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Liebe, Lüge, Wahrheit

von

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Vorahnung

Oscar dachte, er würde nichts merken, aber sie täuschte sich. André hatte schon an dem Abend bemerkt, dass mit ihr etwas nicht stimmte, als sie sich seines Kusses entzog. Am nächsten Tag mied sie gar seinen Blick und er glaubte langsam nicht mehr daran, dass es an der Wunde an ihrem Schulterblatt lag. Aber er fragte nicht nach. Wozu? Sie würde sowieso nichts sagen und höchstwahrscheinlich wegen seiner Hartnäckigkeit noch wütend werden. André seufzte wehmütig, nahm einen Apfel aus dem Eimer und gab ihn seinem Pferd.

 

„Jetzt ich! Ich will auch!“ François, der ihm heute auf Schritt und Tritt verfolgte, nahm auch einen Apfel aus dem Eimer und schaute erwartungsvoll seinen Vater an.

 

„Ja, jetzt du.“ André lächelte verstellt und nahm den Jungen am Handgelenk. „Merke dir, niemals den Apfel festhalten, wenn du ihn dem Pferd gibst, sonst kann er in deine Hand beißen.“

 

Das würde dann sicherlich auch weh tun, verstand François. „Wie dann?“

 

André öffnete seine Finger, mit denen er Apfel hielt. „Auf der offener Handfläche.“ Er führte die Hand seines Sohnes näher an das Pferd und das Tier schnappte nach der Frucht, ohne die Finger des Jungen oder gar seine ganze Hand zu berühren. Seine weichen Lippen kitzelten nur kaum merklich an der Haut und François kicherte. Er war begeistert und rannte wieder zu dem Eimer. „Noch mal?“, fragte er seinen Ziehvater mit einem Strahlen im Gesicht.

 

„Nein, wir gehen in den Garten. Ich will dir etwas zeigen.“ André ging mit ihm aus dem Stall, passierte den Hof und sah einen Reiter, der von einem grauen Pferd abstieg. Die Stallburschen führten das Pferd weg und der Reiter wurde sichtbarer.

 

„Onkel Victor!“, rief der Junge und winkte dem Mann zu. Er mochte seinen Patenonkel. Onkel Victor, wie er ihn gerne nannte, war stets freundlich zu ihm.

 

„Was für eine fröhliche Begrüßung. Schön dich zu sehen, junger Mann.“ Girodel strich ihm durch das Haar und bei dem Blick in dessen grünblauen Augen, musste er schmunzeln. François war ein liebenswerter Junge und je älter er wurde, desto mehr ähnelte er André. Es war bemerkenswert, dass niemand noch die Frage gestellt hatte, warum das so war. Aber was ging das ihn an? Er kam hierher nicht wegen André. „Wie geht es Lady Oscar?“, wollte er wissen und schaute zu dem jungen Mann.

 

André sagte nichts, aber François dagegen schon. „Mama ist sehr traurig.“, meinte er wahrheitsgemäß und verzog betrübt sein Gesicht. So, als ahme er seine Ziehmutter wirklich nach.

 

Girodel zog stutzig seine Augenbrauen zusammen. Ging es Lady Oscar etwa nicht mehr gut? Weswegen war sie denn traurig? „Ist etwas passiert?“

 

„Nicht das ich wüsste, Graf.“ André wurde es unbehaglich. Graf de Girodel war zwar ein treuer Untergebener von Oscar und hütete ein strenges Geheimnis, aber er war immer zu neugierig, was Oscar betraf. André erinnerte sich noch genau an das Gespräch zwischen ihm und dem Grafen vor vier Jahren, kurz bevor sich Oscar mit Herzog de Germain duelliert hatte. Graf de Girodel wollte damals Oscar heiraten, falls André sich zwischen den Duellanten werfen und sterben würde. Diese Aussage hatte damals André sehr getroffen und eifersüchtig gemacht. Jetzt war das eine ganz andere Situation. Oscar befand sich nicht in Gefahr, aber sie hatte sich seit dem Attentat und seit Graf von Fersen sie gerettet hatte, sehr verändert. André hatte das Gefühl, als ob sie seine Nähe nicht mehr ertragen konnte. In Versailles war sie oft mit Graf von Fersen unterwegs und hier auf dem elterlichen Anwesen verschloss sie sich auf ihrem Zimmer. André schmerzte ihr Verhalten sehr und trieb nicht nur Eifersucht in ihm, sondern ließ sein Herz qualvoll verbluten. Aber das ging Graf de Girodel nichts an und deshalb fügte er noch hinzu: „Oscar will nur nicht gestört werden.“

 

„Schade. Ich wollte sie gerade besuchen.“ Graf de Girodel bekam das Gefühl, dass André ihm etwas verschwieg.

 

„Gibt es wichtige Neuigkeiten aus Versailles?“, fragte André und hoffte sehr, dass Giodel bald gehen würde. Es war ihm schon schwer genug ums Herz wegen Oscar und Graf de Girodel machte es ihm auch nicht gerade leicht – er bescherte ihm mit seiner Anwesenheit und Fragerei noch mehr Unbehagen.

 

„Nein, es gibt nichts Neues..“, erwiderte Girodel. „Ich wollte nur mit Lady Oscar plaudern und vielleicht mit ihr eine Tasse Tee oder Glas Wein trinken.“ Und vielleicht unterschwellig herausfinden, was eigentlich mit ihr los war. In Versailles hatte er nichts Auffälliges bei ihr beobachten können, aber sie war schon immer eine Meisterin darin, ihre Gefühle gekonnt zu verstecken und nach außen eine Maske der Hartherzigkeit zu tragen. Hier, in ihrem Zuhause, brauchte sie das allerdings nicht tun, denn sonst würde François nichts darüber äußern und auch kein trübes Gesicht ziehen. Und was hatte André gerade gesagt? Sie verschloss sich auf ihrem Zimmer und wollte alleine sein? Das passte auch nicht zu Lady Oscar. Soweit Victor es bei seinen früheren Besuchen mitbekommen hatte, war Lady Oscar stets in Gesellschaft von André und François zu sehen. Etwas musste ganz bestimmt vorgefallen sein und er würde solange nicht gehen, bis er es herausgefunden hatte!

 

Oscar derweilen war nicht mehr auf ihrem Zimmer. Noch vor der Ankunft ihres Untergebenen aus der königlichen Garde hatte sie sich auf den Turm des Anwesens zurückgezogen und beobachtete desinteressiert, was unten alles vor sich ging. Irgendwann sah sie André, Graf de Girodel und François den Hof passieren und in ihrem Herzen stach es wieder schmerzlich. „Vergib mir, mein André… Ich liebe dich, aber ich muss herausfinden, was für Gefühle das sind, die ich zu Graf von Fersen empfinde… Deshalb kann ich nicht in deiner Nähe sein und deine Liebe genießen… Es tut mir leid, aber das ist besser für uns...“, dachte sie dabei verbittert und konnte sich selbst kaum noch ertragen. Mit halbem Ohr nahm sie wahr, wie jemand zu ihr auf den Turm kam, aber drehte sich nicht um. Sie ahnte, wer das sein könnte und hörte schon Rosalies Stimme: „Lady Oscar, Graf de Girodel ist...“

 

„Ich weiß, ich habe ihn gesehen.“ Oscar ließ die junge Frau erst gar nicht zu Ende sprechen und hörte schon die nächste Worte von ihr: „Soll ich ihn...“ Aber auch da unterbrach Oscar sie: „Wenn das wichtig ist, ja. Wenn nicht, dann sag ihm, dass mir heute unpässlich ist und dass wir uns in Versailles sehen.“

 

Rosalie wunderte sich, aber ging und teilte dem Grafen mit, was Lady Oscar zu ihm gesagt hatte. Girodel schmunzelte, obwohl ihm gar nicht danach war und noch mehr den Drang verspürte, etwas über das seltsame Verhalten von Lady Oscar herauszufinden. „Dann werde ich sie nicht weiter stören und bleibe noch etwas bei meinem Patenkind.“ Irgendwann würde sie vielleicht doch herauskommen und ihn in ihr Salon auf eine Tasse Tee oder Glas Wein einladen. „Wie wäre es mit einem kleinen Spaziergang im Garten?“, schlug Victor vor und François nickte zustimmend.

 

André passte das nicht, aber wegen François stimmte er auch zu und zeigte dem Grafen den Garten. Wenn dieser Spaziergang seinen Sohn glücklich machte, dann sollte er es auch bekommen. Unter einer alten Eiche blieben sie zu dritt stehen und André erzählte über einen Schatz, den er hier mit Oscar einstmalig vergraben hatte. Bis alle drei nahende Schritte vernahmen und François übers ganze Gesicht erstrahlte. „Mama!“, rief er und winkte ihr zu.

 

Oscar lächelte, aber wurde sogleich ernst. „Graf de Girodel, welch eine Überraschung. Rosalie sagte mir, dass Ihr in den Garten gegangen seid, zusammen mit André und unserem Kleinen.“

 

„Verzeiht, Lady Oscar, ich wollte Euch mit meinem Besuch keineswegs stören.“ Victor musterte sie unterschwellig und machte dabei eine Entdeckung, die ihm bisher nicht aufgefallen war: Lady Oscar schaute nur ihn an und hatte kein einziges Mal André beachtet – als wäre er nur Luft für sie und stünde gar nicht vor ihr. „Ich wollte nachsehen, wie es Euch geht. In Versailles hatte ich keine Möglichkeit dazu.“, beendete er seinen Satz wie eine Berichterstattung und Oscar äußerte sich gleich nach ihm. „Mir geht es gut, Graf. Ich bin in zwei Tagen wieder am Hofe und dann könnt Ihr mir genauere Details erstatten.“

 

„Wie Ihr es wünscht, Kommandant.“

 

„Dann ist es geklärt. Ich wünsche Euch noch einen schönen Nachmittag.“ Oscar, bevor sie wieder ins Haus ging, schenkte François ein Lächeln. „Ich werde jetzt Klavier spielen. Willst du mir Gesellschaft leisten?“

 

„Ja, Mama!“

 

„Dann komm mit.“ Oscar, obwohl ihr Herz schmerzte und sie sich selbst kaum ertragen konnte, mied es weiterhin André anzusehen und ging mit François wieder ins Haus.

 

„Weißt du, André, mit Lady Oscar stimmt in der Tat etwas nicht.“, sagte Girodel direkt. Er hatte genug gesehen und weil er jetzt mit André alleine geblieben war, konnte er genau so gut von ihm herausfinden, warum Lady Oscar sich so merkwürdig verhielt. „Habt Ihr Euch gestritten?“

 

Gestritten war nicht einmal das richtige Wort. Es war einfach so geschehen, Oscar nahm immer mehr Distanz zu ihm und André wusste keinen Zugang mehr zu ihr. „Wie meint Ihr das, Graf?“, fragte André ausweichend.

 

„Du und Lady Oscar könnt vielleicht euren Jungen und die anderen täuschen, aber nicht mich.“ Girodel sah zu ihm. „Noch vor dem Attentat auf Lady Oscar habt ihr heimlich Liebesblicke ausgetauscht, die niemand außer mir gesehen hatte, und jetzt würdigte sie dich keines Blickes.“

 

„Nun ja, es soll nicht auffallen, dass wir...“, versuchte André sich rauszureden, aber Girodel glaubte ihm nicht. „Ich weiß nicht, was zwischen euch vorgefallen ist, aber Lady Oscar hat sich verändert und das gefällt mir ganz und gar nicht. Es sieht danach aus, als würde sie Gefühle für einen anderen Mann haben. Womöglich deswegen sieht sie dich nicht an und will alleine sein. Ich werde sie in Versailles unterschwellig beobachten und empfehle dir das gleiche zu tun, wenn du deine Liebe noch retten willst.“ Girodel verabschiedete sich. „Wir sehen uns bestimmt noch.“

 

André blieb im Garten unter der Eiche und ihm kam es so vor, als wäre sein Herz mit einem unsichtbaren Messer durchgeschnitten. Er wollte es nicht glauben, aber Graf de Girodel konnte womöglich recht haben: Oscar verlor ihr Herz an einen anderen Mann und André ahnte, wer das sein könnte.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  dreamfighter
2020-01-11T11:40:36+00:00 11.01.2020 12:40
Du verstehst es, Spannung aufzubauen. Bin gespannt, wie es sich weiter entwickeln wird.
Antwort von:  Saph_ira
17.01.2020 17:57
Dankeschön für deinen lieben Kommentar. Es wird sich etwas kompliziert entwickeln.
Von:  Tito
2020-01-10T14:46:16+00:00 10.01.2020 15:46
Es scheint dass es beim nächste mal zum großen Knall kommt zwischen Oscar und André ! Armer François
Antwort von:  Saph_ira
17.01.2020 17:56
Zum großen Knall zwischen den beiden kommt etwas später, aber es stimmt, der arme Francois hat es nicht leicht...


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