Liebe, Lüge, Wahrheit von Saph_ira ================================================================================ Kapitel 17: Beförderung ----------------------- Ein unerwiderter Kuss zum Abschied hatte immer etwas Herzzerreißendes und Melancholisches an sich. Vielleicht, weil es unbemerkt geschah und der Schläfer es gar nicht mitbekam. Nun, nach so einer leidenschaftlichen und lustvollen Vereinigung wäre es kein Wunder, dass er so müde und erschöpft war. Sie eigentlich auch. Allerdings war es nicht ihr Bett und auch nicht ihr Zimmer. Also musste sie gehen, noch bevor die ersten Bediensteten aufwachen würden. Der erste Hahn hatte bereits gekräht und sie beeilte sich beim Anziehen. Wenigstens Hose und Hemd. Die Uniformjacke und Stiefel würde sie besser in die Hand nehmen und auch so in ihr Zimmer tragen.   Oscar verließ ihren André genauso leise wie die Nacht, die langsam von der Morgendämmerung abgelöst wurde. Das war ein immer wieder passierendes Ritual, seit sie sich liebten und die Nächte miteinander verbrachten. Niemand sollte ja über ihre Liebesbeziehung wissen und in ihnen weiterhin die Freunde seit Kindertagen sehen.   Die Sonne stieg träge am Horizont auf, verjagte die restliche Dunkelheit der Nacht und der nächste Hahn krähte auch schon. André öffnete seine Augen und stellte fest, dass Oscar nicht mehr auf seinem Zimmer war. Es war zwar schade, aber besser für sie beide. Er wusste nicht, wie lange sie schon fort war, aber bestimmt eine oder zwei Stunden. Denn das Morgenlicht hatte sich bereits überall ausgebreitet und er hörte raschelnde Schritte und gedämpfte Stimmen außerhalb der Tür. Die Bediensteten waren also schon wach und gingen ihren gewohnten Tätigkeiten nach. Das würde er gleich auch tun.   André stieg aus dem Bett, beeilte sich bei der Morgenwäsche, zog frische Sachen an und räumte schnell in seinem Zimmer auf. Danach besuchte er seinen Sohn. Dieser war schon mit seiner Amme fort - André hörte bereits sein helles Lachen aus der Küche. Also ging er dorthin und entdeckte ihn bei Oscar auf dem Schoß. Seine Geliebte trug ihre gewöhnliche Hauskleidung: Hose, Hemd und Weste. François spielte am Tisch mit seinem Holzpferd, während die Amme Äpfel für einen Kuchen schälte. Seine Großmutter bereitete bereits den Kuchenteig zu und runzelte sogleich die Stirn, als sie ihn an der Türschwelle entdeckte. „Endlich bist du aufgestanden! Bedanke dich bei Lady Oscar, dass ich dich nicht mit einem Eimer kalten Wasser geweckt habe! Denn genau das hatte ich vor einer halben Stunde vor!“   „Verzeiht, Großmutter.“ André atmete erleichtert auf, dass ihm dieses unsanfte Aufwecken erspart blieb und ging schnell zum Tisch, um sich mit seinem Sohn zu beschäftigen. „Danke.“, hauchte er dabei zu Oscar und François lachte mit glockenheller Stimme, als er von ihm auf die Arme genommen wurde.   „Beim nächsten Mal werde ich sie nicht mehr davon abhalten können.“, scherzte Oscar, um ihre Gedanken an die Liebesnacht mit ihm zu verdrängen.   „Ganz Recht!“, bekräftigte Sophie von ihrem Platz und warf einen Blick in die Apfelschale. „Der Teig ist soweit fertig. Wie viele Äpfel hast du schon geschält?“, fragte sie die Amme von François und diese zeigte ihr die andere Schale. Dort waren die Äpfel nicht nur geschält, sondern bereits kleingeschnitten. Sophie nickte zufrieden. „Das wird für einen Kuchen vollkommen ausreichen.“ Sie ordnete ein Küchenmädchen an, eine Tasse Rosinen zu holen und schüttelte die geschnittenen Apfelstücke in den dickflüssigen Teig. Ihren Enkel hatte sie schon vergessen und konzentrierte sich vollkommen auf die Zubereitung des Kuchens, der heute für das Frühstück gedacht war.   Oscar hatte derweilen genug ihren Geliebten und ihren Sohn beobachtet und wollte nicht mehr länger untätig die Zeit in der Küche verbringen. „Bis zum Frühstück haben wir noch etwas Zeit. Wollen wir bis dahin eine Runde fechten?“, schlug sie André vor und dieser bejahte selbstverständlich.   Der Garten hinter dem Haus war ein perfekter Platz für ihre Fechtübung und es hatte ihnen schon seit langem nicht mehr so viel Spaß dabei gemacht. Nicht weit von ihnen, auf der Decke unter einem Apfelbaum, beobachteten François und die Amme das Geschehen. Wobei der Junge sich zwischendurch von gefallenen Äpfeln ablenken ließ, zu den Früchten krabbelte und sie auf der Decke zu einem Häufchen stapelte. Die Amme behielt ihn sorgsam im Auge, spielte mit ihm nebenbei und warf zwischendurch auch ein Blick auf die Kampfübung seiner Zieheltern.   Oscar und André waren so sehr in ihren Kampf konzentriert, dass sie davon nichts merkten. Sie vergaßen die Zeit. Energisch wich Oscar Andrés Hieben aus, konterte flink mit einem Gegenangriff und gab ihm keine Möglichkeit, zu verschnaufen. So schlug sie ihm schon bald das Übungsschwert aus der Hand und zwang ihn somit zur Aufgabe. „Ich muss zugeben, du bist besser geworden.“, sagte Oscar und gab ihm seine Waffe zurück. „Ich kriege langsam Bedenken, echte Schwerter zu benutzen.“ Sie wischte sich Schweißtropfen von der Stirn mit ihrem Ärmel und schnaufte ein wenig außer Puste.   „Doch reicht es nicht aus, um dich zu besiegen.“, erwiderte André genauso leicht außer Atem. „Ich bin einfach zu langsam in meinen Reaktionen und längst nicht so beweglich wie du.“ Nun ja, in den Liebesnächten sah das schon etwas anders aus, aber das gehörte jetzt nicht hierher und er verdrängte die schönen Bilder von ihrer Zweisamkeit aus seinem Kopf.   „Oscar!“, erscholl unerwartet die tiefe Stimme des Generals aus einem der oberen Fenster des Hauses. Er war gerade auf das Anwesen angekommen und hatte seiner Tochter etwas Wichtiges mitzuteilen.   Leicht von der Plötzlichkeit erschrocken, folgte Oscar der Stimme mit ihrem Blick. „Was gibt es, Vater?“, rief sie zurück und auf dem Gesicht des Generals zeichnete sich ein breites Lächeln. „Du kannst stolz auf dich sein!“, frohlockte er strahlend. „Ich habe eine sehr gute Nachricht für dich: Du bist ab heute Kommandant, mein Kind!“   Das überraschte Oscar. „Man hat mich befördert?“   „Ich hörte munkeln, dass Marie Antoinetts erstes Begehren als Königin war, den König um deine Beförderung zu bitten!“, erklärte ihr Vater und verschwand wieder im Inneren des Zimmers.   „Dann habe ich ihr das also zu verdanken?“ Oscar konnte noch immer nicht so recht daran glauben. Die Beförderung kam ihr nicht nur überraschend, sondern auch eine Spur zu schnell vor.   „Gratuliere.“ André schmunzelte. Zugegeben war er nicht minder über die Beförderung wie seine Oscar überrascht, aber er freute sich für sie genauso wie ihr Vater.   „Ich werde wohl gleich die Königin aufsuchen müssen, um mich bei ihr zu bedanken.“ Oscar ging zu der Decke, André folgte ihr sogleich. Sie wollte sich von ihm kurz verabschieden, bevor sie nach Versailles aufbrach.   Der kleine François sah seine Zieheltern auf sich zukommen, nahm einen Apfel und reichte ihn Oscar. „Ma!“, rief er dabei und lächelte übers ganze Gesicht.   „Oh, danke dir.“ Oscar nahm den Apfel und biss hinein. „Er ist noch sauer, aber man kann ihn essen.“   „So, so, er nennt dich also Mutter.“ Das war mehr eine Feststellung als eine Frage. Der General tauchte neben ihr unerwartet auf. Dass der Junge sie so nannte, stieß ihm missmutig auf. Seine Tochter hatte zwar die Verantwortung über das Findelkind übernommen und war demzufolge seine Ziehmutter, aber sie sollte deshalb nicht gleich ihre Erziehung als Mann vergessen.   „Ja, Vater.“, bestätigte Oscar im sachlichen Ton und versuchte nur ihren Vater anzusehen, um ihre Schwäche für den Kleinen nicht zu zeigen.   François nahm derweilen einen anderen Apfel und streckte ihn André entgegen. „Pa!“, rief er wieder fröhlich und seine Augen glänzten wie kleine Edelsteine bei einem Lichteinfall.   André sah unsicher zum General und dieser zog eine Braue nach oben. „Ein verlockendes Angebot.“, meinte Reynier. „Ich würde es an deiner Stelle nicht ablehnen.“ Bei André war es dem General gleich, wie das Findelkind ihn nannte. André war nur dafür da, um auf seine Tochter aufzupassen und ihr überallhin zu folgen.   „Danke.“ André nahm den Apfel und biss hinein, um nicht viel reden zu müssen. Der strenge Blick des Generals verursachte ihm ein wenig Gänsehaut und er fühlte sich ertappt. Gleichzeitig jedoch wusste er, dass der General nicht einmal ahnte, was für Geheimnisse in seinem Haus passierten und das war gut so. Sonst wäre Oscar schon längst bestraft und zusammen mit ihm und François aus dem Haus verjagt worden.   Reynier beachtete ihn nicht mehr weiter und richtete sein Blick auf François. „Und mir gibst du keinen Apfel?“   Der Junge sah unschlüssig auf den General und steckte sich den Daumen in den Mund. Oscar schmunzelte unwillkürlich. „Ich glaube, er weiß gar nicht, was Ihr von ihm verlangt, Vater.“   „Dann bringe es ihm bei.“, erwiderte Reynier, ohne seinen Blick von François abzuwenden und runzelte gar die Stirn. „Du hast ihn schließlich gefunden und es liegt in deiner Verantwortung, was aus ihm wird. Schließe ihn aber nicht so sehr ins Herz. Du bist in erster Linie ein Soldat und ich habe dich nicht für das Leben einer Frau erzogen. Denke daran.“ Jetzt schaute er zu ihr und stellte nicht zum ersten Mal eine gewisse Ähnlichkeit zwischen dem Findelkind und seiner Tochter fest. Aber vielleicht bildete er sich das schon wieder ein, weil Oscar für François die Ziehmutter spielte? Wäre solches überhaupt möglich?   „Gewiss, Vater.“, meinte Oscar mit fester Stimme und strafte ihre Haltung kerzengerade.   Der General nickte in ihre Richtung. „Gut.“, mehr sagte er nicht, drehte sich um und marschierte wieder ins Haus.   Oscar und André sahen ihm nach. Es war noch einmal gut gegangen und der General hatte keinen Verdacht geschöpft. Er schien sogar damit einverstanden zu sein, dass François zu ihnen Mutter und Vater sagte. Zusätzlich hatte er es nicht einmal verboten und das musste ein gutes Zeichen sein.   Im Zimmer von Oscar, als sie ihre weiße Uniform anzog, kam André mit einem beladenen Tablett zu ihr. „Ich finde es ungerecht, was dein Vater zu dir gesagt hat. Er hat dich zwar zu einem Soldat erziehen lassen, aber du bist trotzdem eine Frau.“ Er goss schnell den Tee in zwei Tassen ein und legte neben jeder zwei Croissants. Der Apfelkuchen war noch nicht fertig, aber sie sollten wenigstens eine Kleinigkeit zu sich nehmen, bevor sie nach Versailles aufbrachen.   Oscar aß das Croissant, spülte den letzten Bissen mit dem Tee und kam auf die Aussage von ihrem Geliebten zurück. „Mein Vater hat aber recht. Ich darf keine Schwäche zeigen, sonst wird der Schwindel auffliegen und wenn die Wahrheit ans Licht kommt, wird unser Kleiner als erster darunter leiden.“   André beendete auch schnell sein Essen und nahm seine Liebste in die Arme. „Wir lassen das aber nicht zu, Oscar, dass ihm etwas passiert. Wir können weiter so wie bisher machen und ihm im Verborgenen unsere Liebe schenken. Sodass niemand davon etwas merken würde. Ich weiß, es ist nicht leicht, aber gemeinsam sind wir stärker.“   „Ach, André, wenn ich dich nicht hätte ...“ Oscar stellte sich auf Zehenspitzen und zog sich zu ihm.   „Ich liebe dich.“, flüsterte André und küsste sie innig.   „Ich liebe dich auch.“ Oscar erwiderte ihm den Kuss liebevoll zurück und als sie ihre Lippen kurz darauf trennten, brachen sie gemeinsam nach Versailles auf. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)