Liebe, Lüge, Wahrheit von Saph_ira ================================================================================ Kapitel 1: Erkältung -------------------- Heißer Dampf von einem Sud aus Kamille und Salz in einer Schüssel drang ihr in die Lungen und sofort musste sie husten. „Ich mache das nicht mehr länger mit!“, knurrte sie, schob ein Tuch von ihrem Kopf und richtete sich auf. Angenehme Kühle umfing ihr verärgertes und mit Schweißperlen bedecktes Gesicht. Sie nahm das Tuch, unter dem sie gerade diese unangenehme Prozedur gegen Erkältung ertragen musste, und rieb sich damit ihr Gesicht trocken. Eigentlich durfte sie gar nicht hier sein! Nur weil sie sich vor zwei Wochen eine Erkältung zuzog, hatte man sie auf das elterliche Anwesen geschickt. Aber nicht damit sie sich kurieren konnte, sondern um die Ansteckungsgefahr für die Kronprinzessin und den Kronprinzen zu vermeiden. Wie absurd! Sie musste doch gerade jetzt in Versailles sein und noch mehr Augen auf Kronprinzessin halten und noch wachsamer den Kronprinzen bewachen! Denn vor etwa drei Wochen hatte Marie Antoinette einen schwedischen Grafen auf einem Maskenball kennengelernt und nun besuchte er sie öfters am Hofe. Das wäre nicht das Problem, wenn die zwei sich nicht zueinander hingezogen fühlen und ihre Gefühle offen zu Schau tragen würden.   „Noch ein, zwei Tage und dann seid Ihr wieder gesund, Lady Oscar.“ Ihr einstiges Kindermädchen Sophie nahm ihre Launen nicht ernst. Sie kannte sie von klein auf und wusste einfach, was gegen die Erkältung am besten helfen würde. „Ich mache für Euch noch eine Tasse heiße Milch mit Honig und einem Löffel Gänsefett!“   Oscar rümpfte angewidert mit der Nase. „Verschone mich bitte mit diesem grässlichen Gebräu!“ Seit zwei Wochen war sie erkältet und jeden Tag bekam sie die gut bewährte Medizin von Sophie, abgesehen von der, die Doktor Lasonne ihr hinterließ. Am frühen Morgen gab es Hühnerbrühe zu trinken, mittags Hühnersuppe mit Fleisch und Kartoffeln, abends heiße Milch mit Honig und Gänsefett oder Butter. Als wäre das nicht schon unerträglich genug, musste sie im Laufe des Tages Kamillen- oder Salbeitee mit Honig trinken. Eigentlich trank sie gerne Tee, aber doch nicht so etwas Grässliches! Und zuallerletzt, nach dem Abendessen, musste sie auch noch über eine Schüssel gebeugt den Dampf vom Sud aus Kamille und Salz zehn bis fünfzehn Minuten einatmen. Oscar kam es so vor, als machte Sophie es Spaß, sie derart zu quälen.   „Das ist nur zu Eurem Besten.“, merkte Sophie an und räumte die Schüssel und das Tuch vom Tisch weg.   Zu ihrem Besten? Sophies Methoden, um gesund zu werden, schienen noch schlimmer zu ertragen zu sein als die Erkältung selbst! „Wo ist eigentlich André?“, fragte Oscar ihr einstiges Kindermädchen. Ihr Freund hat sie schon seit gestern nicht mehr besucht. Das war nicht seine Art, sich von ihr den ganzen Tag fernzuhalten und zugegeben, begann sie ihn langsam zu vermissen.   „Er hat auch eine Erkältung abbekommen und macht das Gleiche auf seinem Zimmer wie Ihr. Ich habe ihm verboten, Euch zu besuchen, damit Ihr besser genesen könnt.“ Oder besser gesagt, damit er sie nicht ansteckt und sie wegen ihm nicht rückfällig würde. Sonst wäre die ganze Mühe umsonst und ihr Schützling würde noch länger auf dem Anwesen ihrer Eltern bleiben. Der Gedanke gefiel zwar Sophie, aber dass Lady Oscar noch länger krank wäre, lag auch nicht in ihrem Sinne. Also war sie erst einmal froh, dass die Erkältung so gut wie vorbei war.   „André ist auch erkältet?“, wunderte sich Oscar. Dann hatte sie ihn wohl angesteckt und das hieß, dass sie nicht so schnell nach Versailles kommen würden. Verdammt! Warum nur musste sie sich unbedingt jetzt erkälten? Es gab doch viel zu tun und als erstes musste sie die Kronprinzessin noch mehr beobachten, wenn dieser junger Graf aus Schweden sie besuchte! Sonst würde es nicht lange dauern, bis das erste Hofgetuschel aufkommt und sie sich mit Intrigen herumschlagen müssten. Hoffentlich war die Erkältung bei André nicht so schlimm wie ihre und sie würden schon bald wieder an dem Hof von Versailles sein können.   „Ja, Lady Oscar.“ Sophie nahm das Tablett, schmunzelte ihren Schützling an und verließ ihren Salon.   Oscar begleitete sie mit ihrem Blick, schnäuzte in ihr Taschentuch und überlegte, was sie jetzt tun sollte. Sophie würde ihr noch dieses grässliche Gebräu aus warme Milch, Honig und Fett bringen und dann ins Bett gehen. Bis dahin würde etwa eine halbe Stunde vergehen und erst dann konnte sie ihr Zimmer unbemerkt verlassen. Sie spielte etwas auf ihrem Klavier, merkte wie Sophie zurückkam und für sie eine Tasse auf dem Tisch abstellte und wieder ging. Oscar brach die Musik seufzend ab, trank vehement die Milch und schlich dann bis zur bescheidenen Kammer ihres Freundes. Also, wenn André sie nicht besuchen kommen konnte oder durfte, dann würde sie das tun. Ihr ging es doch viel besser und zudem noch musste sie mit eigenen Augen sehen, wie schlimm er erkältet war. Sie klopfte leise an der Tür, wartete bis sie aufging und André mit rotem Gesicht und Augenringen sie hereinließ.   „Dich hat die Erkältung also auch erwischt. Das hat mir deine Großmutter gesagt.“ Oscar setzte sich auf einen Stuhl, der direkt neben Andrés Bett stand und verfolgte jede Bewegung ihres Freundes. André trug ein knielanges Nachthemd, sein langes Haar lag ihm offen über die Schultern und verübte wieder diese Wirkung von angenehmen Kribbeln in ihrem Bauch auf sie. Das war nicht das erste Mal, dass sie ihn so sah und dass war auch nicht das erste Mal, dass sie für ihn warme Gefühle bekam. Seit er ihr im vorletzten Monat ein besonderes Geschenk zu ihrem achtzehnten Lebensjahr gegeben hatte, fühlte sie eine gewisse Veränderung in sich und auch an ihm.   „Ja, das stimmt und sie hat mir deswegen verboten, dich zu besuchen.“ André schlüpfte, nachdem er die Tür geschlossen hatte, schnell unter seine warmen Decken und saß aufrecht, um sich mit ihr nicht im Liegen zu unterhalten. „Aber es geht mir besser.“, fügte er schnell hinzu, als er ihren besorgten Blick sah. „Und ich hatte auch kein Fieber.“   „Gott sei Dank.“ Oscar lächelte erleichtert und es kribbelte ihr sogleich in der Nase. Noch rechtzeitig holte sie ihr Taschentuch und nieste darein. „Ich werde froh sein, wenn das endlich vorbei sein wird.“, sagte sie nach dem Schnäuzen und verfrachtete ihr Taschentuch wieder weg.   „Ich auch. Aber wenigstens habe ich keinen Schnupfen.“ André schaute mitfühlend seine langjährige Freundin an. Ihre Nase war noch röter als ihre Wangen und sie tat ihm leid.   „Das stimmt.“ Oscars Nase verstopfte sich auf einer Seite und sie öffnete leicht ihren Mund, um besser atmen zu können. „Ich werde wohl gehen.“, krächzte sie. Ihre Kehle fühlte sich an wie Reibeisen. „Gute Besserung.“   „Danke, dir auch, Oscar.“ André schaute auf ihren leicht geöffneten Mund. Obwohl Oscars gerötetes Gesicht und schniefende Nase nicht gerade einen hübschen Anblick bot, trugen aber ihre schmale Lippen noch immer diese Süße, die er vor einigen Wochen kosten durfte … Er erinnerte sich an jenen Tag mit einem angenehmen Schauer, als wäre es gestern gewesen: Es hatte viel geschneit und das neue Jahr stand kurz vor der Tür. Genaugenommen war das der 25. Dezember und es gab noch etwas zu feiern – der achtzehnte Namenstag von Oscar. Eigentlich feierte kein Mensch den Tag, an dem man geboren wurde – es wurde meistens nur in den Büchern verzeichnet und dann vergessen. Aber nicht für André. Jedes Jahr brachte er eine kleine Gefälligkeit für seine Freundin und erinnerte sie daran, dass sie ein Jahr älter geworden war. Meistens waren das selbstgebastelte Sachen, wie ein weißbemaltes Holzpferd, oder ein Schneemann aus Wachsresten der Kerzen oder neue Metallsporen für ihre Stiefel. Diesmal brachte er nur eine Flasche Wein und zwei Gläser, um auf ihr Wohl zu trinken. Und sie tranken, lachten und scherzten bei den Erinnerungen an ihre fröhliche Tage der Kindheit und den Schabernack, den sie fast tagtäglich angestellt hatten - bis die Flasche irgendwann leer wurde, der Lachkrampf abebbte und zwischen ihnen plötzlich Stille eintrat. Nur das Knistern des Feuers im Kamin unterbrach sie, aber weder Oscar noch André hatten es wahrgenommen. Ihre Gesichter hatten sich genähert, ihre Lippen zärtlich einender berührt und Oscars: „Ich danke dir für dieses außergewöhnliche Geschenk, André!“, klang in seinem Kopf noch immer wie eine sanfte Melodie ... Vielleicht war diese völlig unbekannte Aktion und der Mut, sie zu küssen, dem Wein geschuldet. Oder weil er das schon immer tun wollte, aber sich nie getraut hatte, um Oscar nicht zu verärgern und ihre langjährige Freundschaft nicht aufs Spiel zu setzen. Dennoch hatte es ihr offensichtlich gefallen und zusätzlich in beiden ein Gefühl erweckt, den die Troubadouren aus früheren Jahrhunderten als Liebe zwischen zwei Menschen besangen.   Oscar hatte diesen Abend voller Magie, schnelleren Herzklopfen und flatternden Gefühlen auch nicht vergessen können. Ebenso seine trockenen und warmen Lippen, an denen noch der süße Geschmack vom Wein gehaftet hatte. Das hatte sie als besonderes Geschenk von ihm und als einmalige Sache empfunden. Vorerst. Aber ab den nächsten Tag begannen ihr Denken und ihre Gefühle auf eigenartiger Weise sich zu verändern. Sie betrachtete André nicht mehr als ihren Freund aus Kindertagen, sondern anders. Sie fing Dinge an ihm zu bemerken, denen sie früher keine Beachtung geschenkt hätte: Seine verstohlene Blicke in ihre Richtung zum Beispiel, wenn sie unterwegs in Versailles waren, schenkten ihr Zärtlichkeit und erinnerten sie immer wieder an diesen unschuldigen Kuss. Eigentlich wollte sie sich damit nur für seine Aufmerksamkeit und Freundschaft bei ihm bedanken. Stattdessen wurde sie Opfer ihrer weiblichen Gefühlen, die sie niemals zulassen durfte. Sie war doch zu einem hartherzigen Soldaten erzogen worden, war in eiserner Disziplin geübt und deswegen gab es keinen Platz für so etwas wie Liebe in ihrem Herzen. Oder etwa doch?   Sie schaute André an und wollte nicht gehen. Wie eine Porzellanpuppe blieb sie noch auf dem Stuhl, der vor seinem Bett stand, sitzen und rührte sich nicht. Einerseits wollte sie gehen, aber andererseits wollte sie noch bei ihm bleiben. Früher, als sie noch Kinder waren, hatten sie manchmal miteinander in einem Zimmer genächtigt, wenn es einem von ihnen schlecht gegangen war. So gesehen konnten sie das noch einmal tun. Es war doch nichts Schlimmes dabei, ihre alte Gewohnheit aufzufrischen und geschehen würde auch nichts. Vielleicht würde sie dadurch ihre Gefühle noch mehr verstehen und eine Lösung finden, um sie zu bewältigen. André war noch immer ihr Freund, dem sie vertraute und den sie zu gut kannte. „André, darf ich heute bei dir über Nacht bleiben? So wie in unserer Kindheit.“, fügte sie noch schnell hinzu, um Missverständnisse zu vermeiden.   Hatte er das jetzt richtig gehört? Oscar wollte bei ihm übernachten? So wie in ihrer gemeinsamen Kindheit? André standen diese Fragen im Gesicht geschrieben. Dennoch rückte er seinen Körper zur Seite und machte ihr Platz. „Natürlich, Oscar.“   Er war so schnell einverstanden? Seine Antwort kam Oscar eine Spur zu schnell, aber sie zog bereits ihre Hausschuhe aus und schlüpfte zu ihm vollkommen angekleidet unter die Decke. Sie lagen nur beieinander und berührten sich auf keine Weise. „Gute Nacht, André.“ Oscar schloss ihre Augen und in Kürze entrann ein leises Schnaufen von ihr. André betrachtete ihr Gesicht mit aufsteigender Wärme in seinem Körper. Aber es war kein Fieber. Es war eher eine magische Kraft der Anziehung und Sympathie zu ihr, die seit ihrem ersten Kuss und mit jedem Tag stärker wurden. Er berührte ihre Haarsträhne und schob sie von ihrem Gesicht, was sein Herz noch höher schlagen ließ. Sie sah wie ein Engel aus – unschuldig und rein. Er konnte dem Anblick nicht mehr länger widerstehen und hauchte ihr einen zärtlichen Kuss auf die Wange. Dann legte er sich hin, schloss seine Augen und mit süßer Erinnerung an den einen Kuss von ihr, schlief er irgendwann ein.       Im Winter waren die Nächte länger und die Tage kürzer. Die Sonne ging immer so spät auf und wenn sie mit bleischweren Wolken verhangen war, blieb es draußen und im Haus noch immer düster. Aber egal ob Winter, Sommer, Frühling oder Herbst, Oscar wachte meistens um dieselbe Zeit auf. Sie zog sich auf ihren Ellenbogen hoch und schaute ihren Freund an. André schlief noch und Oscar wollte ihn nicht wecken. Seine ruhenden und entspannten Gesichtszüge im Schlaf zu beobachten, ließ ihr Herz wieder schneller schlagen und sie fühlte sich zu ihm hingezogen. Sie berührte ihre Wange, wo er ihr in der Nacht einen Kuss hinterlassen hatte und dachte daran, ihm dies zurückzugeben. Zaghaft streichelte sie sein Haar an der Schläfe, schob es ihm aus dem Gesicht und schenkte ihm einen Kuss auf die Wange. „Wie du mir, so ich dir.“, flüsterte sie dabei und kaum dass sie ihr Gesicht von ihm entfernte, öffnete er seine Augen. „Guten Morgen, Oscar.“ Natürlich hatte er ihre Lippen auf seiner Haut gespürt, aber er würde nie etwas dazu sagen. Er würde lieber weiter in ihren meerblauen Augen wie ein Schiff versinken, solange sie noch so nah bei ihm war.   „Guten Morgen, André. Wie geht es dir?“ Oscar dachte derweilen an den lauwarmen Sommer, an die grünen Blätter an den Bäumen, wo der Wind rauschte, je mehr sie in Andrés Augen sah. Wie gerne hätte sie jetzt in dem sanften Gras gelegen, das Kitzeln des Windes auf ihrer Haut gespürt und den betörenden Duft der Wiesenblumen in sich eingeatmet. Warum nur musste gerade Winter herrschen? Hoffentlich würde der Februar bald vorüber sein, danach der März und der April könnten auch schnell vergehen und ab Mai würde ihr Wunsch wahr werden.   André lächelte verwegen. „Seit du bei mir bist, geht es mir viel besser.“, antwortete er auf ihre Frage und unterdrückte den Drang, ihre Wange zu streicheln, sich zu ihr hochzuziehen und ihre süßen Lippen zu küssen. Dafür waren sie beide noch nicht ganz gesund und den ersten Kuss betrachtete sie sicherlich als eine einmalige Sache. „Wie geht es eigentlich dir, Oscar?“   Ihre Nase war frei und die morgige Heiserkeit im Hals war auch verschwunden. Lag es etwa tatsächlich an den heilenden Methoden von Sophie? Oder weil sie heute bei André übernachtet hatte? Oscar erwiderte ihm das Lächeln. „Mir geht es auch besser.“   „Dann können wir bald wieder nach Versailles aufbrechen.“ Das war mehr eine Feststellung als eine Frage und Oscars Lächeln verschwand von ihren Lippen. Irgendwie wollte sie nicht mehr an ihre Pflichten als Kapitän der königlichen Garde erinnert werden. Zumindest dann nicht, wenn sie bei André war und seinen sanften Blick genoss. „Ich werde lieber gehen, bevor mich jemand so bei dir sieht.“, sagte sie, stieg aus seinem Bett und verließ sein Zimmer. Ihre Wangen glühten, ihr Herz pochte schnell und sie musste ihre Gefühle unbedingt in Ordnung bringen. Aber wie? Es gab doch keine Medizin dafür, wie bei einer Erkältung und würde es nie geben. Oscar ahnte das bereits und musste entweder es akzeptieren, sich darauf einlassen oder so tun, als fühlte sie nichts und das Leben eines Mannes wie gewöhnlich weiterführen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)