Ein Austausch mit Folgen von SuperCraig ================================================================================ Kapitel 9: Erschöpfung ---------------------- Ich wurde wieder in einem äußerst weichen und bequemen Bett wach. Als erster Gedanke schoss mir ein neuerlicher Krankenhausaufenthalt durch den Kopf. Was war eigentlich passiert? Ich erinnerte mich noch an das Game, den Torwächter, den Schwarzen Totenkopfdrachen und an Joey, welcher mich fest in seinen Armen hielt. Joey! Schlagartig hockte ich kerzengerade im Bett. Ich war nicht im Krankenhaus, so viel stand schon einmal fest. Außer die Krankenzimmer in Japan hatten sich in gut zwei Wochen schlagartig verändert und ich war Klassenpatient geworden. Das war aber nicht der Fall; ich erkannte das Gästezimmer der Kaibavilla wieder, in dem ich letztes Mal genächtigt hatte. Ich trug sogar den gleichen Schlafanzug wie damals. Wie war ich hierhergekommen? Viel wichtiger war aber die Frage, was mit Joey war. Panisch sah ich mich im Zimmer um. War ihm auch nichts passiert? Wie ging es ihm? Hatte er auch ein Blackout wie ich? Ich wurde auch schnell fündig. Joey saß neben mir, auf einem Stuhl, die Arme vor der Brust verschränkt. Er döste offensichtlich. Seufzend ließ ich mich wieder ins Bett sinken. Ein Glück. Plötzlich regte sich mein blonder Freund ein wenig und gähnte ausgiebig. Als sein Blick auf mich fiel, wirkte er schlagartig wach: „David! Alles okay bei dir?“ Ich schrägte den Kopf und nickte dann schwach. „Ja, ich denke schon. Was ist denn passiert?“ Joey stand auf und goss mir eine schwarze Flüssigkeit in ein Glas ein, welches neben meinem Bett stand. „Du bist ohnmächtig geworden. Ich habe dich noch nach draußen getragen, also in den Ausgang, dann war das Level vorbei. In der Realität hat es dich dann aber auch irgendwie gefressen. Du bist zusammengeklappt. Der Arzt meinte, das wäre eine Art psychosomatischer Schock gewesen oder so. Die Konfrontation mit Jirai Gumo, dann noch das mit dem Wasser.“ Behutsam legte Joey mir seine Finger unter mein Kinn und hob es ein wenig an, damit ich anständig trinken konnte. Gierig befeuchtete ich meinen trockenen Rachen mit kühlem Zitroneneistee. „Sie verschärfen jetzt die Warnhinweise auf den Spielboxen, und werden, bevor die VR in Serie gehen kann, noch einmal die Mechaniken überdenken. Wir haben uns große Sorgen gemacht, Mokuba und ich.“ Langsam setzte mein Freund das halbvolle Glas ab und stellte es auf den Tisch neben uns. „Mh, Joey, es tut mir so leid. Wir konnten nicht einmal die Session ordentlich zu Ende bringen. Ich habe dich schon wieder enttäuscht. Beim Rätsel habe ich voll danebengehauen.“ Schuldbewusst senkte ich meinen Blick. Das nagte tatsächlich an mir. Außerdem noch die Schmach, wie ein Angsthase weggeklappt zu sein. Allmählich würde er wohl die Schnauze gestrichen voll von mir haben. Ich war nicht zuverlässig, überhaupt nicht, im Gegenteil: Bisher hatte ich Joey und Co nur schwer enttäuscht. Die mussten doch sowieso denken, dass ich ein Rad abhatte. Innerhalb von einem Monat zweimal irgendwo zusammenzubrechen, das war ungewöhnlich und vor allem lästig für das Umfeld. Ich war kein alter Mann, im Gegenteil: Eigentlich war ich vital und sportlich. Mir ging es auch gut, meiner Ansicht nach zumindest. So virtuelle Monster konnten mich aber in die Knie zwingen. Ein lautes Seufzen entsprang meiner Kehle: „Joey? Ich verstehe es, wenn du, Yugi, Tristan, Bakura, Tea und Duke die Schnauze voll habt. Ich mache euch nur Scherereien, vor allem dir.“ „David? Schau mich mal an.“ Ich wollte dieser Aufforderung nicht nachkommen. Sein niedergeschlagener Gesichtsausdruck würde mir den Rest geben. Die rehbraunen Augen, die so wunderschön im Glanz der Fackeln anzusehen gewesen waren, durchzogen von Enttäuschung und Abneigung. Mein Kinn wurde erneut behutsam nach oben gedrückt. Joey wirkte tatsächlich enttäuscht und irgendwie auch traurig. Ich versuchte mich beschämt aus seinem Griff zu lösen, was er aber mit sanfter Gewalt zu verhindern wusste. „David, wir kennen dich erst seit gut einem Monat. Du hast dich gleich am ersten Tag mit Seto Kaiba duelliert, und dabei gut abgeschnitten. Du hast Mokubas Herz im Sturm erobert, mir in Englisch geholfen, bist mit uns abgehangen, und so weiter. Wir alle mögen dich so wie du bist, mit allen Ecken und Kanten, von denen wir bisher nur wenige kennen. Die sind uns aber egal, glaube mir. Du warst sehr mutig, als du Jirai Gumo vernichtet hast. Das habe ich dir aber bereits gesagt. Du hast die Rätsel auch ganz einfach gelöst; das letzte war Künstlerpech. Ich hätte nicht einmal eines über die Bühne bringen können, in der dreifachen Zeit.“ Seine Stimme klang irgendwie ein wenig brüchig. Enttäuschung oder Abneigung war aber nicht zu erkennen. „Warum klingst du dann so komisch, Joey?“ Ich schrägte meinen Kopf ein wenig, und endlich ließ er mich los. Sobald seine Hand mein Kinn verließ, vermisste ich schon das Gefühl seiner Finger auf meiner Haut. Irgendetwas stimmte ganz und gar nicht mehr mit mir. Oder mit Joey? Mit uns beiden? „Weil in deinen Dickschädel anscheinend nicht hineingeht, dass du ein ganz wunderbarer Freund bist, und wir dich gerne um uns haben. Deine Späße, dein trockener Humor, deine Hilfsbereitschaft. David, wir sind froh, dass du Teil unserer Gruppe bist, wirklich. Alle mögen dich, wir, Mokuba, Yugis Großvater, die Lehrer; denkst du, dass dich alle belügen? Wenn ich ehrlich bin, es verletzt mich, dass du so von uns denkst. Nein, es verletzt uns.“ Ich hatte zweifelsohne ein Händchen, wenn es darum ging, das Offensichtliche zu leugnen. „Los, sag etwas, mach etwas! Willst du, dass er verschwindet, traurig und verletzt?“ Wer oder was war diese Stimme? Mein Gewissen konnte es nicht sein, das würde wohl meine eigene, vertraute Tonvibration verwenden. Oder? Zögernd griff ich nach Joeys Hand und legte sie zwischen meine beiden Handinnenflächen. Ich konnte sie natürlich nicht einbetten – er war größer als ich, und hatte auch die größeren Extremitäten verpasst bekommen, aber ich konnte es zumindest versuchen. Warum ich das tat? Im Nachhinein würde ich es mit Instinkt bezeichnen. Joey jedenfalls blickte mich ein wenig verwundert wirkend an. „Joey? Es tut mir leid, dass ich so ein Esel bin. Gerade dir gegenüber. Ich hatte damals Schiss, dir von meinem Besuch bei Mokuba zu erzählen, oder von Kaibas Angebot mit dem Synchronsprechen. Dabei hast du bisher immer zu mir gehalten, genauso wie der Rest. Ihr seid immer ins Krankenhaus gekommen, habt mich besucht, das mit der Schule gedeichselt. Was mache ich? Labere irgendeinen Scheiß, der offensichtlich nicht der Wahrheit entspricht. Ich bin verdammt dankbar, dass ihr meine Freunde seid. Mit dir und Tristan in der Arcadehalle abzuhängen, Tea beim Tanzen anzufeuern, mit Bakura und Yugi über Duel Monsters und Ägypten zu quatschen, oder einfach nur so zu tun, als hätte ich kapiert, wie Dungeon Dice Monsters abläuft, wenn Duke mir die Regeln erklären will; das schätze ich. Ich würde keine Sekunde missen wollen, selbst heute nicht.“ Sanft drückte ich Joeys warme Hand, bevor ich fortfuhr: „Ich hatte heute zweimal echt eine Heidenangst. Einmal die Spinne, dann das mit dem Ertrinken. Ich bin als kleiner Junge, mit fünf oder sechs Jahren, beim Spielen in den nahen Bach gefallen. Ich hasse das Gefühl, unter Wasser zu sein. Ich schwimme auch mies. Heute war es aber anders. Als du deinen Arm um mich gelegt hattest, da fühlte ich mich sicher, geborgen. Bis zum Abtauchen war ich ruhig wie nie. Dann war ich erst wirklich panisch. Andererseits fand ich es nicht so schlimm, denn, du warst ja bei mir, und ich vertraue dir ab jetzt auch blind, versprochen?“ Joeys Gesichtszüge wurden so unendlich weich und sanft, als ich mit meiner Ansprache fertig war. Lächelnd drückte er meine rechte Hand, welche unten lag. „Das wollte ich hören, Champ. Ich bin stolz auf dich, wir alle eigentlich. Mokuba übrigens auch; der wollte das Spiel schon eine ganze Weile vorher abbrechen lassen, aus Sorge um dich. Bis vor kurzem war er auch noch hier und hat mit mir gewartet, bis du wach wirst. Morgen solltest du ihn dann vielleicht einmal beim Frühstück ein wenig beruhigen, und ihm klar machen, dass es deine Entscheidung war weiterzumachen.“ Ich nickte leicht und lächelte schmal. „Okay, dann halten wir es so. Wer hat mich eigentlich umgezogen?“ Ich mochte es eigentlich nicht, wenn jemand an mir herumfummelte, außer die Person war mir besonders nahe. Dementsprechend beunruhigt war ich ob des Gedankens, dass jemand Wildfremder mich ausgezogen hatte. Meine Sachen hatte man, fein säuberlich gefaltet, auf dem Boden neben meiner Bettseite platziert. „Das war ich, und bevor du fragst: Nein, ich habe nichts unter der Gürtellinie angefasst. Du trägst die gleichen Boxershorts wie vor unserem Testausflug. Der Arzt meinte auch, du solltest dich heute ausruhen. Ich lasse dich alleine, damit du schlafen kannst, okay?“ Joey wollte bereits aufstehen, aber ich hielt ihn unbewusst zurück. Meine Hände waren noch immer um seine gelegt. Fragend starrte mein Freund zuerst auf unsere Hände, dann auf mich. Nach kurzer Zeit schrägte der Größere von uns den Kopf. „Joey? Wäre es okay wenn du heute, also, wenn du heute hierbleiben würdest? Es ist sicher schon spät, und außerdem, ich bekomme das mit der Spinne nicht aus dem Schädel. Wenn ich alleine bin, dann habe ich das Gefühl, irgendwo krabbelt so ein Mistvieh herum, und dann kann ich erst Recht nicht schlafen. Ich weiß, es ist viel verl…“ Joeys Zeigefinger versiegelte meine Lippen. Lächelnd schüttelte er den Kopf. „Was haben wir gerade besprochen? Klar penne ich bei dir. Ich ziehe mich eben um und putze meine Zähne. Mach dich nicht zu breit, ja?“ Damit ließ ich Joey los, welcher ins Badezimmer nebenan verschwand. Das mit der Arachnophobie war nur die halbe Wahrheit gewesen. Etwas in mir wollte ihn um sich haben. Wäre es nicht so albern gewesen, und hätte ich bisher schon einmal eine solche Neigung verspürt, wäre der naheliegendste Gedanke gewesen, dass ich mich in Joey verknallt hätte. Das war aber ausgeschlossen. Einerseits gefielen mir Mädchen, andererseits war ich von meinen Eltern streng religiös erzogen worden, mit dem Einfluss meiner Großeltern. Ich war nicht homophob oder so, überhaupt nicht, aber auch sicherlich nicht homosexuell. Etwas stimmte dennoch nicht ganz; die Situation war komisch. Sie in Worte zu fassen war unmöglich. Joey kam aus dem Badezimmer zurück. Bis auf eine kurze, schwarze Trainingshose war er vollkommen nackt. Im Licht des Mondes, welcher durch die Fensterscheiben schimmerte, zeichneten sich die Muskeln seines Oberkörpers ab. Das war das erste Mal, dass ich Joey so sah. Die Adern an seinen Unterarmen und am Bizeps stachen durch seine helle Haut hervor. Zwischen den Brustmuskeln ruhte eine schmale, dünne Halskette mit einem goldenen Anhänger in Form eines Herzens. Joey besaß außerdem einen deutlich ausgeprägteren Sixpack als ich. Seine Waden wiesen ebenfalls diese Adern auf. Insgesamt war er sicherlich als ein verboten hübscher Junge zu beschreiben. Ich bedauerte es ein wenig, dass mir der Blick auf das Ende des V-förmigen, trainierten Beckenbereichs durch die schwarze Trainingshose verwehrt wurde. Hastig schüttelte ich den Kopf und starrte an die Decke. Was für ein Gedanke. Er war ein enger Freund, mehr nicht. Zum Glück schien Joey meine Reaktion nicht bemerkt zu haben, denn er warf sich ohne weiteren Kommentar ins Bett und krabbelte unter die Decke. „Gute Nacht, David, wenn was ist, weck mich, ja? Mokuba wird uns morgen aus den Federn reißen, ganz sicher.“ Damit war der Blondhaarige auch schon weggedöst, oder er konnte sehr gut einen Schlafenden mimen. Sein Brustkorb hob und senkte sich gleichmäßig. Joeys Atem war ging ganz ruhig. Der Anblick meines schlafenden Freundes war wirklich zum Anbeißen. Sein Mund war ein wenig offen und ertappte mich dabei, wie ich unwillkürlich lächeln musste und ein wenig näher an ihn herangerückt war. Würde er wohl wach werden, wenn ich ihn berührte? „Halt den Rand und schlaf endlich.“ Grob riss ich mich am Riemen und hörte auf mein schlechtes Gewissen. Das war sicher meine innere Stimme, denn die kannte ich gut, besser als die andere. Murrend drehte ich Joey meinen Rücken zu und zog die Decke an mein Kinn. Wenn das so weiterging, war ich mir nicht mehr ganz so sicher, ob ich nicht doch mehr für Joey empfand, als nur Freundschaft. Diesen Gedanken unwirsch verscheuchend, schlief ich erschöpft ein. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)