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Eine erbarmungslose Entscheidung

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Tja,
was kann ich nur zu meiner Entschuldigung sagen... also das Studium ist hart, mehr kann ich nicht sagen und ich hoffe ihr seid mir weiterhin treu.
Da ich langsam einen Rhytmus in meine Vorbereitung gefunden habe und gestern endlich auch wieder an dieser Geschichte arbeiten konnte, versuche ich nun wieder alle zwei Wochen zu posten und auch wieder Sonntags (das liegt in erster Linie daran, weil ich weiß, was in den kommenden Kapiteln euch bevorsteht und ich bin so aufgeregt, nervös und auch ein bisschen ängstlich über eure Reaktionen, dass ich mir jetzt einfach die Zeit nehme weiterzuposten, damit wir bald zum großen Finale kommen ;-P)

So viel also dazu.

Ich danke euch für eure Geduld und eure lieben Worte.

Habt eine schöne Woche

eure Sharry Komplett anzeigen

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Kapitel 43 - Erinnerungen

Kapitel 43 – Erinnerungen

 

-Mihawk-

Schwerfällig öffnete er die Augen und schaute zu Lorenor hinüber. Dieser sah ihn nur mit hochgezogenen Augenbrauen an und ließ sich dann auf das Sofa gegenüber fallen.

„So beschissen wie du aussiehst könnte man meinen, dass ich dich fertig gemacht hätte und nicht umgekehrt.“

Dulacre beobachtete seinen Wildfang dabei, wie dieser mit seinen bandagierten Händen eines der Bücher, die Dulacre ihm geschenkt hatte, aus der viel zu großen Tasche seines viel zu großen Mantels zog und darin zu lesen begann.

Er hatte nie verstanden, warum Lorenor aus all den Sachen, die Kanan ihm zur Anprobe geschickt hatte, sich für diesen hässlichen, untauglichen, grünen Mantel entschieden hatte. Selbst in dieser Gestalt drohte Lorenor bereits darin unterzugehen, als Lady Loreen wirkte er fast so, wie ein Kind, welches sich am Kleiderschrank der Eltern bedient hatte.

„Ich bin überrascht dich bereits jetzt anzutreffen und dazu noch in dieser Gestalt. Solltest du dich nicht ausruhen? Außerdem hatte ich erwartet, dass du dich längst verwandelt hättest.“

Nun beäugte Lorenor ihn über sein Buch hinweg mit fragendem Blick. Nach einer Sekunde legte er den Kopf schief, als würde er nachdenken.

„Dir ist aber schon bewusst, dass ich über vier Stunden geschlafen habe?“

Verstimmt wunderte Dulacre sich, was Lorenor mit einer solch oberflächlichen Lüge bezwecken wollte. Er konnte doch nicht erwarten schon mit dem Training weiterzumachen indem er so tat, als hätte er sich bereits erholt?

„Und ich hab auch schon was gegessen; Perona hat mir etwas zur Seite gestellt. Die ist übrigens jetzt ins Bett. Sie hat dich wohl durchs halbe Schloss brüllen gehört und hat jetzt Angst davor, dass du… Was guckst du mich so an, als ob ich…?“

„Ach, Lorenor. Was spielst du für ein Spiel mit mir. Wir haben doch abgesprochen, dass keine Lügen notwendig sind. Heute Abend werden wir nicht weitertrainieren, selbst wenn du schon vier Stunden geschlafen hättest, also…“

„Warte mal.“ Lorenor ließ sein Buch sinken und sah ihn nun genervt an. „Was redest du denn da für einen Schwachsinn? Als würde ich mir hier irgendetwas zusammenreimen. Ich hab schon kapiert, dass wir heute Nacht nicht mehr weitermachen würden und ob du’s glaubst oder nicht, ich bin um ehrlich zu sein ziemlich fertig und wäre schnurstracks wieder ins Bett gegangen, wenn du nicht gesagt hättest, dass du noch mit mir reden wolltest.“

Nun musste Dulacre eingestehen, dass er sich wirklich veräppelt vorkam, weil Lorenor so tat als hätte er etwas missverstanden. Kopfschüttelnd setzte er sich etwas gerader hin.

„Aber Lorenor, wenn das was du sagst stimmen sollte, dann hätten wir ja schon mitten in der Nacht.“

„Ja, haben wir“, bestätigte Lorenor nicht mehr ganz so gereizt und senkte seine Aufmerksamkeit wieder auf das Buch in seinen Händen. „Du bist ganz schön verpeilt, weißt du das? Es ist fast zwei Uhr nachts. Also nein, ich hab ausnahmsweise mal nicht vor weiter zu trainieren, zumindest nicht bevor die Sonne wieder aufgegangen ist.“

Nachdenklich beobachtete Dulacre wie Lorenor eine Seite umblätterte. Es sollten also bereits über sechs Stunden seit seinem Gespräch mit dem anderen vergangen sein? Dabei hätte er schwören können, dass kaum mehr als eine ins Land gegangen sei.

Hatte die kleine Auseinandersetzung mit Jiroushin deutlich mehr Zeit gekostet als er es wahrgenommen hatte oder waren die wenigen Sekunden, in denen er die Augen geschlossen hatte, vielleicht doch mehr als nur ein paar Herzschläge lang gewesen?

Was war nur los mit ihm?

„Also?“, murrte Lorenor, ohne überhaupt aufzusehen. „Du wolltest mit mir sprechen und hier bin ich. Worum geht’s?“

Schmunzelnd entschied Dulacre das Rätsel der Zeit für einen Moment zu ignorieren und sich seinem Schüler zuzuwenden.

„Eigentlich wollte ich nur wissen wie es dir die letzten Tage ergangen ist.“

Eine weitere Seite umblätternd schnaubte Lorenor leise auf. Es war ein angenehmes Bild ihm beim Lesen zuzusehen, auch wenn es Dulacre ein bisschen überraschte, dass er sich gleichzeitig unterhalten konnte und wenn er ganz ehrlich war, störte es ihn auch ein bisschen.

„Und wegen sowas kann ich noch nicht ins Bett?“ Doch er grinste schief, meinte es offensichtlich nicht ernst. „Wie soll es mir ergangen sein? Ich hab dir doch schon alles erzählt. Ich kann nun die Grundlagen in…“

„Ausnahmsweise meinte ich mal nicht deinen Trainingszustand.“ Nun schaute Lorenor ihn mit großen Augen an. „Als ich euch verließ war Jiroushin dir gegenüber alles andere als freundlich gestimmt und nun heißt es die ganze Zeit ‚Zorro hier und Zorro da‘. Ich frage mich wohl, was da passiert ist.“

„Nichts ist passiert“, brummte Lorenor und wandte sich wieder seinem Buch zu, „wir sind miteinander klargekommen, falls du das meinst. Jiroushin ist schon in Ordnung, denke ich, und ich kann ihm wohl kaum verübeln, dass er mich wegen Senichi nicht abhaben kann.“

„Oh, ich kann ihm das sehr wohl verübeln.“

Lorenor schwieg für einen Moment, ehe er weitersprach: „Es war ganz okay hier. Perona und Jiroushin verstehen sich gut, daher hat sie mich die meiste Zeit in Ruhe gelassen. Ich musste nur ein paar Mal beim Umgraben helfen, aber das haben Jiroushin und ich mit Training verbunden, daher war es eigentlich ganz gut.“

„Was habt ihr umgegraben?“, fragte Dulacre misstrauisch. Er mochte keine Veränderungen, erst recht nicht in seinem Heim.

„Entspann dich. Perona und Jiroushin haben entschieden den Nutzgarten im Hinterhof wiederzubeleben. Frag mich nicht warum, ist mir ziemlich egal, aber wie gesagt, Jiroushin meinte du hättest kein Problem damit, solange Perona nur draußen Dinge verändert und das Schloss in Ruhe lässt.“

Dem konnte Dulacre nicht wirklich widersprechen, sein Kindheitsfreund kannte ihn einfach zu gut. Er hatte dieses Schloss als seine Heimat erwählt, aber die Insel selbst war ihm ziemlich gleichgültig.

„Ach, übrigens. Eizen hat mir einen Brief geschrieben, indem er uns rät demnächst mal auf Mary Joa vorbeizuschauen.“

„Und warum sollten wir das tun?“, murrte Dulacre bemüht gelassen. Allein der Name des Politikers reichte aus, um ihn in Erinnerung zu rufen, dass Lorenor ihm wohl etwas verschwieg, etwas was mit Eizen zu tun hatte und Lorenor somit in Gefahr bringen konnte.

„Es geht wohl um die Ernennung eines neuen Samurais, der sich selbst eingeladen hat, oder so. Außerdem gibt es anscheinend noch einen Vorschlag für einen weiteren Kandidaten.“

„Na und? Glaubt Eizen wirklich, dass es mich in irgendeiner Form interessieren würde, welcher windige Pirat diesen Titel beschmutzt? Ich muss dir doch nicht erklären, dass ich eher früher als später die Samurai verlassen werde.“

„Lass das bloß nicht Jiroushin hören.“ Lorenor sah ihn wieder an. „Aber irgendwie widersprichst du dir doch selbst, oder nicht? Auf der einen Seite sagst du, dass dir der Titel gestohlen bleiben kann auf der anderen Seite willst du nicht, dass ihn jemand beschmutzt. Um ehrlich zu sein kapiere ich das nicht wirklich.“

Schulterzuckend erhob Dulacre sich.

„Daran ist nicht besonders viel zu verstehen, Lorenor. Die Samurai der Meere stellen eine wichtige Macht in der Gewaltenteilung dar. Aber natürlich bin ich dagegen, dass irgendwelche dahergelaufenen Hunde den gleichen Titel tragen wie ich. Meinst du es ist unterhaltsam mit einem Wahnsinnigen wie Don Quichotte de Flamingo an einem Tisch zu sitzen? Seine eitle Großspurigkeit ist alles andere als erheiternd und die Piratenkaiserin steht ihm da in nichts nach.“

„Scheint eine Voraussetzung für den Titel zu sein“, murmelte Lorenor dazwischen.

„Vergleich mich bitte nicht mit einem solchen Pack, Lorenor. In den letzten Jahren wurde die Besetzung immer enttäuschender und glaube mir, ich warte nur auf einen Grund diese Bühne zu verlassen. Also nein, wenn Eizen dich bezirzen will, muss er mich schon mit etwas Besserem locken.“

„Du bist so nervig.“

„Und du bist naiv.“

Leise lachte Lorenor auf: „Als naiv wurde ich wirklich noch nie bezeichnet.“

„Es gibt für alles ein erstes Mal“, entgegnete Dulacre nur und ließ Lorenor zurück im Kaminzimmer.

Als er wenige Sekunden später wieder hineinkam – nun mit dem alten Bündel Unterlagen seines Vaters – saß Lorenor unverändert auf seinem Sofa und las in dem kleinen Büchlein. Dulacre hoffte inständig, dass er auch dieses zügig übersetzen würde.

„Morgen werde ich mit Jiroushin besprechen, wie lange er noch bei uns bleiben wird und dann sollten wir dein weiteres Training planen.“

Lorenor nickte und sah langsam zu ihm auf. Dulacre ließ sich auf seinen Sessel nieder.

„Ich wollte eigentlich etwas ganz anderes mit dir besprechen, Lorenor, auch wenn mir nicht bewusst war, dass es nun schon so spät ist.“

Er streckte seine Hand nach dem Buch aus, das Lorenor las und der Jüngere reichte es ihm anstandslos. Gedankenverloren blätterte Dulacre ein paar Seiten durch die Runen – stets darauf bedacht die Seite, die Lorenor gerade las, nicht loszulassen – und fragte sich erneut welche Rätsel und Geheimnisse sie wohl enthielten.

„Ich habe mich immer schon gefragt, wenn du diese Bücher hier lesen kannst, dann kannst du doch auch die Porneglyphen lesen, nicht wahr?“

„Nein.“

Überrascht schaute Dulacre auf.

„Nicht? Für mich sehen diese Runen identisch aus, warum solltest du es also nicht lesen können?“

„Es sind die gleichen Schriftzeichen, zumindest die meisten von ihnen, aber ich kann sie trotzdem nicht lesen. Ich erkenne die Zeichen, aber sie ergeben keinen Sinn. Sie sind beinahe wie willkürlich aneinandergereiht bei den Porneglyphen. Ich hab mal ein paar von Robins Notizen gesehen, aber selbst damit hab ich’s nicht kapiert.“

Lorenor zuckte nur mit den Schultern. Doch für Dulacre erklärte dies vieles.

„Natürlich. Was wäre eine bessere Verschlüsselung als eine Geheimsprache aus einer toten Sprache zu formen? Jetzt verstehe ich so langsam.“

Sein Wildfang legte den Kopf schief.

„Wovon redest du eigentlich und wofür zur Hölle sollte das wichtig sein?“

Seufzend legte Dulacre das Buch zur Seite und reichte Lorenor die Unterlagen seines Vaters.

„Ist es dir nie in den Sinn gekommen, Lorenor? Du kannst eine tote Sprache sprechen, aus der vor über 800 Jahren eine geheime Sprache entwickelt wurde, damit…“

„Du nervst“, unterbrach Lorenor ihn, „ich hab dir doch schon mal gesagt, dass mir dieser Kram völlig egal ist.“

Beruhigend hob Dulacre eine Hand und flehte innerlich um Geduld.

„Hör mir doch bitte einfach mal zu. Weißt du, dass mein Vater seinerzeit versuchte diese Bücher zu entziffern, aber kläglich daran scheiterte? Es missfiel ihm so sehr, dass er sie auf einer seiner Reisen mit sich nach Ohara nahm, damit jene Forscher sie entschlüsseln konnten. Doch selbst ihnen gelang es nicht.“

Lorenor sah ihn nur milde interessiert an, während Dulacre weitersprach: „Natürlich ergibt das nun alles Sinn. Sie versuchten von einer Geheimsprache Rückschlüsse zu ziehen auf diese Sprache, die du sprichst. Vielleicht hätten sie einen völlig neuen Ansatz wählen müssen, um sie zu verstehen.“

„Und?“ Offensichtlich unbeeindruckt löse Lorenor den dünnen Faden, der die trockenen Blätter zusammenhielt und überflog sie flüchtig. „Warum erzählst du mir das alles?“

„Nun ja, es schien mir auffällig zufällig, dass ausgerechnet du jene Sprache lesen kannst, also entschied ich herauszufinden, was mein Vater weiß, da er deutlich mehr Zeit mit Büchern verbracht hat, als ich es je tun werde.“

Lorenor erhob sich langsam und blätterte die porösen Seiten weiter durch während er durch den Raum schritt.

„Lorenor, ich denke in diesen Papieren – die Notizen, die mein Vater in mühsamer Kleinarbeit über Jahre zusammengestellt und dann vor der Weltregierung versteckt hat – könnten Hinweise auf deine Vergangenheit, dein Vorfahren, dein Erbe… Lorenor!“

Er sprang auf und hechtete zu Lorenor hinüber, doch er war zu spät.

Wie ausgehungert verzerrten die Flammen das trockene Papier innerhalb eines Augenblicks, knisterten aufgebracht und bäumten sich auf.

Dulacre stieß Lorenor zur Seite und wollte nach den Unterlagen seines Vaters greifen, aber das Feuer hatte sie bereits zu Asche verwandelt.

Fassungslos stand er vor der lodernden Hitze. Jahre der Nachforschungen, all das Wissen vergangener Wissenschaftler, unzählige Gedankengänge seines Vaters, all das war innerhalb eines Momentes vergangen.

„Was hast du getan?“ Bebend wandte er sich zu Lorenor um, der ihn nur gleichgültig betrachtete. „Was hast du nur getan?!“

Er packte Lorenor an den Schultern, schüttelte ihn, als könnte er so die verlorenen Informationen wieder zurückholen.

„Was fällt dir ein, du dummes Kind?! Das waren die Antworten! Endlich hättest du herausfinden können, was dein Name bedeutet, wer deine Vorfahren waren, warum du diese Sprache kannst, vielleicht sogar warum du von den Toten auferstanden bist. Warum nur, warum hast du etwas so Manisches getan? Bist du von allen guten Geistern verlassen?! Wie sollen wir denn jetzt je die Wahrheit hinter deiner Fähigkeit herausfinden? Wolltest du nicht wissen wer du…“

„Hör auf.“

Lorenor klang ruhig, fast schon gelassen. Ganz anders Dulacre, der den Jüngeren am Liebsten gegen die nächstbeste Wand schleudern wollte.

„Das alles interessiert mich nicht.“

Kühl sah Lorenor zu ihm auf, sein Gesicht eine Maske der Gleichgültigkeit.

„Was redest du da?“, flüsterte Dulacre, kaum Herr seines Zornes. Endlich hatte er wichtige Anhaltspunkte gefunden. In diesen Seiten hätten die Puzzleteile enthalten sein können, die ihm noch gefehlt hatten, um zu verstehen wer Lorenor war, wer er in Wirklichkeit…

„Hier geht es nicht um mich“, sprach Lorenor kalt weiter und versuchte noch nicht einmal sich aus Dulacres Griff zu lösen. „Hier geht es nur um dich, um das was du willst.“

Als hätte er sich verbrannt ließ er von seinem Schüler ab.

„Mach dich nicht lächerlich“, herrschte er ihn an, „ich weiß wer ich bin, von wem ich abstamme, wessen Blut durch meine Adern fließt. Ich trage den Namen meiner Familie, die Titel meiner eigenen Taten und das Erbe meiner Ahnen. Du hingegen…“

„Ich sag’s ja, es geht nur darum was du willst.“ Fast schon zustimmend fauchten die Flammen hinter Dulacre auf. „Das hier ist ganz allein deine Sache. All diese Dinge sind mir sowas von scheißegal und damit hast du ein Problem. Du willst all diesen Schwachsinn über meine Vergangenheit wissen, du willst nach irgendetwas Bedeutungsvollem in meiner bedeutungslosen Geschichte suchen und es stört dich, dass mir das alles egal ist.“

Nun schritt Lorenor auf ihn zu, blieb eine Handbreit vor ihm stehen und obwohl Dulacre ihn um mehr als einen Kopf überragte, schien Lorenor auf ihn herabzusehen.

„Du bist derjenige von uns, der Namen und Titeln mehr zuspricht als Worten und Taten und weil ich deinen Titel will – und vermutlich auch weil ich einer der wenigen verdammten Menschen bin, die du überhaupt magst – bist du besessen davon in meiner Vergangenheit irgendetwas zu finden, dass das rechtfertigt. Du suchst eine scheiß Erklärung damit ich es wert bin vom ach so großen Mihawk Falkenauge Dulacre unterrichtet und respektiert zu werden.“

Auf einmal schlug Lorenor ihm leicht gegen die Brust, wobei Dulacre nicht wissen konnte, ob jener Schlag mit Absicht so schwach gewesen war.

„Aber mir geht dieser Kram am Arsch vorbei. Ich werde dich nicht besiegen, weil ich irgendein Nachfahre einer ach so tollen untergegangenen Zivilisation bin, sondern weil ich jeden Tag an meine Grenzen gehe und unablässig daraufhin trainiere! Ich werde deinen Titel nicht an mich nehmen, weil irgendein Blut adliger Ahnen durch meine Adern fließt, sondern weil ich es kann und weil ich es will.“

Selten erlebte er den Jüngeren so wütend.

„Also hör auf damit die Erklärung meiner Fähigkeiten in Dingen zu suchen, die ich nicht beeinflussen kann. Ich akzeptiere nicht, dass alle Opfer und Anstrengungen der vergangenen zwanzig Jahre weniger Wert sein sollen als das Blut irgendwelcher toter Menschen. Also rede meine Leistung nicht klein und tu nicht so, als würde es hier um mich gehen.“

Dulacre schwieg. Eigentlich sollte er doch zornig sein. Lorenor hatte die wertvollen Unterlagen seines Vaters zerstört. Warum also war es nun Lorenor der ihn wie ein wildes Tier anfauchte? Und warum war es Dulacre, der kaum wagte zu atmen?

Kopfschüttelnd drehte sich Lorenor von ihm weg und schritt durch den Raum, nahm das Buch von Dulacres Sessel und deutete damit auf ihn.

„Ich weiß genau wer ich bin, Dulacre, und anders als du definiere ich mich nicht über irgendwelche Namen und Titel, sondern nur über meine Taten, nur darüber ob ich meinen eigenen Ansprüchen genüge, ob ich meinem Spiegelbild stolz entgegentreten kann. Aber anscheinend reicht das für dich nicht.“ Lorenor schnaubte laut auf. „Anscheinend ist alles was ich tue unwichtig, solange ich nicht der Nachfahre irgendwelcher großer Namen bin, oder?“

„Lorenor, das…“

„Lass stecken, es ist mir egal. Geh zu deinem Vater und finde heraus, was du wissen willst, aber glaube nicht eine Sekunde, du würdest mich dadurch besser kennen lernen oder verstehen. Glaube nicht eine Sekunde, dass du so herausfinden wirst, wer ich wirklich bin.“

Fast schon kraftlos ließ Lorenor das Buch zurück auf Dulacres Sessel fallen.

„Weißt du, mir war immer bewusst, dass du und ich aus zwei völlig verschiedenen Welten kommen und auch wenn mich deine geschwollene Art manchmal echt nervt, so bist das nun mal auch du. Ich weiß, dass ich dir zu ungebildet, unkultiviert und schlicht bin, aber ich hab immer gedacht, dass du mich trotzdem als der, der ich bin respektieren würdest. Ich hab immer gedacht, dass du siehst wer ich wirklich bin. Tze, so kann man sich täuschen.“

„Lorenor, bitte höre mir doch eine Sekunde…“

„Nein. Ich bin müde. Ich will dir jetzt nicht mehr zuhören. Morgen früh werde ich meine Runden laufen und danach werden wir weitertrainieren und ich werde mich weiterhin deinem Willen als mein Lehrmeister beugen.“ Lorenor schritt zur Türe, ohne ihn auch nur anzusehen. „Aber was alles andere angeht, so kann mir deine Meinung echt gestohlen bleiben.“

Plötzlich sah er doch auf und dieser Blick fuhr dem Samurai tief in die Glieder. Er wusste genau an welchen Tag ihn dieser tiefe, verletzte Blick erinnerte. Etwas sagte ihm, dass er gerade in Begriff war Lorenor zu verlieren.

Dann schlug die Türe hinter dem Jüngeren zu, ließ Dulacre im eiskalten Kaminzimmer zurück. Er verstand kaum, was passiert war, warum Lorenor erst die Beherrschung und dann das Vertrauen in ihn verloren hatte, aber dieser Blick, der zum ersten Mal ihm, Dulacre, gegolten hatte erfüllte ihn mit einem ungekannten Grauen.

„Er hat Unrecht“, flüsterte er der anklagenden Stille zu.

Was war falsch daran, dass er mehr über Lorenors Vergangenheit herausfinden wollte? Was war falsch daran, dass er dem Rätsel um Lorenors eigenartige Mutter und dieser toten Sprache auf den Grund gehen wollte? Was war falsch daran, dass er hoffte darüber Hinweise zu finden, warum Lorenor diese einzigartige Fähigkeit besaß?

All dies hatte doch nichts mit Dulacres Respekt dem Jüngeren gegenüber zu tun, und wenn er dabei zufälliger Weise feststellen würde, dass Lorenor vielleicht wirklich ein Nachfahre Alciels war, wenn er dabei herausfinden würde, warum sein Vater den Namen Lorenor so fürchtete, was war dann schon dabei?

Schließlich würde dies nichts daran ändern, wer Lorenor war oder eben nicht. Es würde nichts an seinen herausragenden Fähigkeiten und seiner unermüdlichen Hingabe ändern, wenn überhaupt würde es ihm nur zugute kommen. Warum also, benahm sich Lorenor gerade so, als ob Dulacre ihn verraten hätte?

Wieso war Lorenor überhaupt derjenige, der außer sich war? War er nicht derjenige gewesen, der fremdes Eigentum einfach so unwiderruflich zerstört hatte? Müsste nicht eigentlich Dulacre durchs Schloss wüten, während Lorenor sich auf Knien für sein unbedachtes Verhalten entschuldigen müsste?

Nein, Dulacre würde jetzt diesem ungestümen Rotzbengel erklären, wer hier im Unrecht lag und wer nicht. Schließlich hatte er nicht mehr getan, als ein paar Informationen einzuholen. Er hatte Lorenor einen Gefallen tun wollen, verdammt noch mal! Er hatte nicht aus Egoismus gehandelt, sondern völlig selbstlos.

Natürlich hatte er sich schon seit jenem Abend aus Sasaki gefragt, warum ausgerechnet Lorenor diese Bücher lesen konnte, warum ausgerechnet Lorenor von den Toten auferstanden war und warum ausgerechnet Lorenor ihn eines Tages besiegen sollte.

Es musste Schicksal sein, dass Lorenor auf Sasaki landete, dass Dulacres Vater Unterlagen über diese Bücher angesammelt hatte, dass er wusste, was der Name Lorenors bedeuten konnte.

Wenn Lorenor sich nur nicht so zieren würde und Dulacre nichts erklärte, dann hätte Dulacre nicht den weiten Weg zur G2 auf sich nehmen müssen, um seinen Vater zu fragen. Nein, diese Situation hatte Lorenor vollumfänglich zu verantworten, er trug Schuld.

Warum verschwieg er ihm, wie er in diesem fremden Körper wiedergeboren wurde? Warum verschwieg er ihm, warum er in Wirklichkeit Eizen Gefolgschaft geschworen hatte? Warum entschied Lorenor sein Monster in Dulacres Abwesenheit herauszufordern?

Erzürnt stapfte er durch das dunkle Schloss, brauchte nur wenige Atemzüge bis er vor der Zimmertüre des Jüngeren stand und nach einem weiteren Atemzug riss er diese auf.

„Lorenor, du hast dich augenblicklich zu entschuldigen für dein…“

Trotz seiner Wut konnte Dulacre nicht verhindern, dass er errötete, als er den vollständig entblößten Lorenor vor sich sah, der wohl gerade aus dem Bad gekommen war.

Innerhalb eines Herzschlages veränderte sich der überraschte Gesichtsausdruck des Jüngeren in kalte Abweisung.

„Was willst du hier? Verschwinde und lass mich in Ruhe. Ich hab keinen Bock mehr mich mit dir zu unterhalten.“

Dulacre zwang sich den Blick nicht abzuwenden, sondern den anderen direkt anzusehen.

„Wir waren aber noch nicht fertig, außerdem ist dies mein Schloss und ich kann jeden Raum aufsuchen, der mir beliebt.“

Kopfschüttelnd bückte Lorenor sich nach einer achtlos auf dem Boden liegenden Unterhose.

„Ich dachte, dieses Zimmer wäre meins und dieses Schloss wäre auch mein Heim oder gilt das nur für die Tage an denen du großzügig bist oder für Leute, die dir würdig genug sind?“

Sarkasmus tropfte aus jedem Wort und Dulacre wurde wieder wütend über die herablassende Art, mit der Lorenor ihm gegenüber sprach, während dieser sich anzog.

„Sei nicht lächerlich, Lorenor. Aber in einem respektvollen Streitgespräch haben beide Seiten ein Anrecht darauf gehört zu…“

Ein respektvolles Streitgespräch? Willst du mich eigentlich verarschen?!“

Welches Kleidungsstück Lorenor auch immer gerade aufgehoben hatte, achtlos schmiss er es aufs Bett.

„Das hier ist kein Streitgespräch, keine zivilisierte Diskussion, kein kleiner Zwist. Du bist der Arsch, der hinter meinem Rücken in meiner Vergangenheit rumwühlt, obwohl ich klar gesagt habe, dass ich das nicht will! Du bist der Arsch, der mein ganzes Lebenswerk auf das Blut irgendwelcher toten Monarchen reduzieren will und wenn ich dir sage, dass ich meine Ruhe haben will, verfolgst du mich und meinst auch noch, dass ich mich entschuldigen muss! Wer ist hier respektlos?“

So einfach wollte Dulacre sich nicht von Lorenor vorführen lassen.

„Also zu aller erst einmal, hast du mich nicht einmal zu Wort kommen lassen, wie sollte ich also meinen Standpunkt verteidigen und dich beschwichtigen, außer indem ich dir nachfolge? Außerdem hast du mir mit keinem Wort verboten, Nachforschungen über deine Vergangenheit anzustellen, nur dass sie dir gleich ist. Auch habe ich mit keinem Wort gesagt, dass deine Leistungen weniger beeindruckend seien, nur weil du möglicher Weise von einem besonderen Volk abstammst. Wenn überhaupt, könnte das Wissen über deine Vergangenheit dir Vorteile verschaffen. Es könnte dir helfen deine Kräfte zu verstehen und vielleicht hast du ein Erbe, welches du antreten musst. Daher finde ich…“

„Ach zum Teufel, du kapierst es einfach nicht!“

Erst jetzt bemerkte Dulacre, dass Lorenor schwerer atmete, als dieser sich gegen den Bettpfosten lehnte.

„Lorenor?“

„Lass mich in Ruhe. Ich müsste mich längst verwandeln, mehr ist es nicht.“

Wütend sah der Jüngere ihn an.

„Dann werde ich es dir noch einmal mit ganz einfachen Worten erklären: Du respektierst mich nicht. Du hältst mich zwar für einen recht fähigen Schwertkämpfer und kannst mich wohl auch ganz gut leiden, aber letzten Endes respektierst du mich nicht. Ich weiß nicht, ob es daran liegt, weil ich jünger bin, oder in deinen Augen mich nicht zu benehmen weiß, oder einfach daran, weil ich vor dir keinen Kratzbuckel mache, aber es scheint etwas damit zu tun haben, dass ich nicht den gleichen Hintergrund wie du habe. Du willst unbedingt, dass ich irgendwie besonders bin, dass ich irgendwie…“

„Das stimmt nicht, Lorenor“, unterbrach er den anderen nun abwehrend, beobachtete beunruhigt wie sehr Lorenor nun schwitzte. „Du irrst dich ungemein. Es gibt wohl kaum einen Menschen, den ich so respektiere wie dich.“

„Ach wirklich?“ Lorenor ließ sich aufs Bett fallen, offensichtlich würde er sich bald verwandeln müssen, aber dazu war er zu stolz. „Warum also hast du mich nicht einfach gefragt? Warum hast du mir nicht vorher gesagt, dass dein Vater Wissen haben könnte, dass mich interessieren könnte. Warum hast du nicht vorgeschlagen, dass ich mitkomme und ihn selber frage? Vielleicht hätte ich dir dann schon vorher gesagt, dass ich das alles nicht wissen will.“

Einen Moment atmete Lorenor tief ein und rieb sich den Schweiß von der Stirn.

„Aber nein, du hast einfach über meinen Kopf hinweg entschieden meine Vergangenheit aufzuwühlen. Was wolltest du damit bezwecken? Wolltest du, dass ich dir dafür dankbar bin, dass du in Dingen herumstocherst, die ich nicht wissen will und dich nichts angehen? Wolltest du der strahlende Held sein, der mir die frohe Botschaft bringt, dass ich der verlorene Königssohn einer untergegangenen Dynastie bin?“

„Nun ja, zumindest hatte ich mit keiner Strafpredigt gerechnet.“

„Du behandelst mich immer noch wie ein Kind, das von dir bevormundet werden muss und dass obwohl wir schon so oft darüber geredet haben, dass ich meine eigenen Entscheidungen treffe, und das soll ich auch noch gut finden?“

Kopfschüttelnd verschränkte Dulacre die Arme.

„Ich sage nicht, dass ich ausnahmslos besonnen handle, Lorenor, aber du hast selbst gesagt, dass du damit umgehen kannst, dass du mich auch dann aushältst, wenn ich nicht der rationale, kühne Mihawk bin, also…“

„Darum geht es doch gar nicht…“

„Doch, auch darum geht es. Vielleicht hätte ich dich vorher fragen sollen, aber ich konnte doch nicht ahnen, dass dieses Thema für dich so sensibel ist. Vielleicht sind meine Absichten nicht die reinsten, vielleicht war ich zu neugierig in Bereichen, die privat waren, aber nachdem du so wenig über deine Vergangenheit preisgabst, blieb mir kaum etwas anderes übrig. Wie kannst du nur glauben, dass ich dich nur wertschätzen könnte, wenn du eine besondere Herkunft hättest? Denkst du wirklich so gering von mir?“

Nun schien es als würde Lorenor zum ersten Mal seine Worte hinterfragen, als er für einen Moment schwieg, doch diese Sekunde verging schnell.

„Was hast du mir denn anderes übriggelassen? Was sollte ich denn sonst denken? Andauernd redest du davon, wie armselig alle anderen doch sind. Die Weltaristokraten, die anderen Samurai, die Politiker deiner Inseln, andere Piraten, selbst deine eigene Familie und deine Freunde; immer tust du so, als ob du über ihnen allen stehen würdest, als wärest du ein verdammter Gott oder so, besser als jeder andere, als wärest du über jeder Verfehlung erhaben und hättest Weisheit und Wissen im Mutterleib eingepflanzt bekommen.“

Dann begann Lorenor sich zu verwandeln, doch er ließ sich gar nicht davon aufhalten, als er beflissen weitersprach.

„Und jedes Mal, wenn wir irgendwie auf die Bücher, meine Vergangenheit oder meine Mutter zu sprechen kamen, hast du immer direkt von meiner möglichen Herkunft geschwafelt. Ich weiß, dass du davon fantasiert hast, dass ich ein Nachfahre des letzten Königs von Alciel sein könnte, warum sonst wärest du so interessiert an meiner Mutter gewesen? Du wolltest unbedingt wahrhaben, dass ich irgendein mächtiger Adelsnachfahre bin, der am besten noch Anspruch auf irgendein zerfallenes Königreich hat, nur damit ich dir würdig wäre.“

Dulacre wandte den Blick ab, als Lorenor nicht daran dachte seinen nackten Oberkörper zu bedecken.

„Du irrst dich, Lorenor. Natürlich haben all diese fast zu willkürlich wirkenden Zufälle meine Neugierde geweckt, aber unabhängig davon, was ich in deiner Vergangenheit finden würde oder auch nicht, es würde mein Bild von dir nicht beeinflussen. Es würde nichts daran ändern wer du bist, nicht für mich.“

„Ach, Schwachsinn.“ Gnädiger Weise zog Lorenor sich nun ein viel zu großes Shirt über den Kopf und begann dann seine Verbände festzuziehen. „Natürlich hätte es dich in irgendeiner Form beeinflusst. Du bist in dieser Welt von Namen und Titel groß geworden und brüstest dich noch damit. Wenn es dir wirklich egal wäre, würdest du nicht wie ein Wahnsinniger auf Teufel komm raus versuchen alles aufzudecken.“

Dem konnte Dulacre nicht viel entgegensetzen. Natürlich konnte er es abstreiten, aber wenn er ganz ehrlich war, lag der Jüngere damit gar nicht so falsch.

„Und dann hätte ich dir vielleicht auch erzählt, was ich weiß.“

Diese Worte ließen Dulacre nun aufhorchen. Lorenor betrachtete ihn beinahe traurig, nein eher resigniert, die kindlichen Augen waren schwer und matt, der schmale Mund kaum mehr als eine dünne Linie.

„Was meinst du damit, Lorenor?“

„Weißt du noch, wie mich meine Mutter nannte?“, antwortet der Jüngere mit einer Gegenfrage.

„Selbstredend, Ren, was so viel bedeutet wie Kind oder Abkömmling.“

Lorenor nickte.

„Und wie nannte ich sie?“

„Nun ja, Mutter – Ni - wenn ich nicht irre. Lorenor, wo führt das ganze hin?“

„Ich nannte sie, Lo Ni, weil…“

Und dann verstand Dulacre auf einmal.

„Weil es eine respektvolle Anrede ist“, murmelte er und wunderte sich, wie es ihm damals hatte entgehen können.

„Lorenor ist gar kein Name“, flüsterte Dulacre und sah den anderen an, „es ist ein Titel.“

Er strich sich durchs Haar und stützte sich mit einer Hand an der Wand hinter sich ab.

„Es ist ein Titel für den hochwohlgeborenen Nachfahren eines… eines was? Was bedeutet das Or in deinem Namen?“

Lorenor zuckte mit den Schultern.

„Ich weiß es nicht“, meinte er schlicht.

„Nein, das glaube ich dir nicht. Sag mir die Wahrheit, Lorenor. Nun kannst du auch alles sagen. Was für ein Nachfahre bist du?“

„Und das ist genau das, was ich gemeint habe“, murrte der andere nun, „darum wollte ich es dir nicht sagen, weil du jetzt eine riesen Sache daraus machen wirst und…“

„Aber es ist relevant, Lorenor! Wie ich es vermutet hatte, bist du wohl ein Nachfahre Alciels und das bedeutet…“

„Gar nichts bedeutet das!“, unterbrach nun Lorenor ihn wieder. „Ich habe nicht vor mich von irgendeinem ausgerotteten Volk beeinflussen zu lassen. Meine Herkunft hat nichts mit mir zu tun und sie wird nicht meine Zukunft formen, das mache ich schon ganz allein.“

Lorenors Ansicht war ihm absolut unverständlich. Also versuchte er diesen Diskussionspunkt erst einmal zu umgehen.

„Nun gut, Lorenor, aber von was für einer Herkunft sprechen wir hier überhaupt?“

„Ich hab’s dir doch gesagt, ich weiß es nicht.“ Der Jüngere wich seinem Blick aus. „Um ehrlich zu sein, ist mir das alles erst aufgefallen, als wir uns über meine Mutter unterhalten haben. Ich denke nicht oft über sie und meine Kindheit nach und irgendwie habe ich den Zusammenhang nie hergestellt. Aber als wir darüber sprachen, hast du so komische Dinge gesagt und da fiel es mir wie Schuppen von den Augen und auf einmal haben so viele ihrer Aussagen und Handlungen Sinn ergeben, plötzlich ist die Frau aus meiner Erinnerung eine ganz andere und eigentlich weiß ich gar nicht, wer meine Mutter war.“

Dulacre schwieg. Er fragte sich, ob Lorenors Wut von vorher vielleicht einzig und allein in der Unsicherheit begründet lag, die seine Erkenntnis über seine Vergangenheit gebracht hatte, oder ob seine vorgebrachte Anklage, dass Dulacre ihn nur wegen eines Namens wertschätzen würde, vielleicht nicht ganz unbegründet gewesen war.

„Aber warum willst du dann nicht herausfinden, wer deine Mutter war?“, fragte er schlicht. „Warum willst du nicht so viel wie möglich über sie erfahren?“

„Weil es egal ist“, antwortete Lorenor entschieden, „selbst, wenn ich jeden Stein, jedes Buch und jedes Porneglyph nach Informationen über meine Mutter umdrehen würde, so wird das doch nichts an der Vergangenheit ändern. Schlussendlich wird sie doch niemand anders sein als die stolze Frau im geflickten Kleid, die sich selbst vergiftet hat. Und genauso ist es mit irgendwelchen Namen, Titeln oder Erbe. Selbst wenn ich alles darüber herausfinden würde, so ist es doch alles schon längst vergangen und ich lebe mein Leben nicht, um den Ansprüchen unbekannter Ahnen nachzukommen. Ich habe meinem Leben meinem Traum, meinem Versprechen und meinem Schwur gewidmet, und kein Name, kein Titel und erst recht kein verdammtes Erbe wird mich davon abhalten.“

Lange sah Dulacre seinen Schüler an, versuchte zu begreifen, was Lorenor damit meinte und scheiterte jedoch kläglich. Er verstand nicht, was an dem Wissen über die eigene Herkunft so abstoßend sein sollte. Er verstand nicht, warum Lorenor sich so sträubte und so aufbrausend reagierte.

Aber dann kam ihm eine überraschende Erkenntnis.

„Ich muss gestehen“, sagte er klar, „dass ich deine Beweggründe nicht im Mindesten nachvollziehen kann. Aber mir ist bewusst geworden, dass ich das vielleicht auch gar nicht muss. Unabhängig davon ob ich deine Ansichten verstehe oder nicht, sollte ich sie doch zumindest akzeptieren. Ich war von meinem eigenen Wunsch mehr über deine Herkunft zu erfahren so erfüllt, dass ich deine Entscheidung sie ruhen zu lassen, nicht respektiert habe, dafür möchte ich mich entschuldigen.“

Lorenor starrte Dulacre mit großen Augen und offenem Mund an.

„Allerdings möchte ich betonen, dass deine Reaktion auch alles andere als angebracht war. Die Unterlagen meines Vaters zu verbrennen, darüber bin ich sehr erzürnt, und wenn du mir von vornherein die Wahrheit gesagt hättest, wäre ich möglicherweise rücksichtsvoller gewesen.“ Nun zog Lorenor zweifelnd eine Augenbraue hoch. „Schließlich hatten wir vereinbart, dass wir ehrlich miteinander umgehen.“

Nach einer Sekunde nickte der verzauberte Pirat seufzend.

„Jaja, du hast ja schon Recht. Tut mir leid, dass ich dir nicht die Wahrheit gesagt habe und dass ich den Papierkram verbrannt habe. Hätte ich nicht tun sollen, mein Fehler.“

„Außerdem warst du mir gegenüber sehr unhöflich und hast…“

„Wir wollen’s jetzt mal nicht übertreiben, okay? Du bist ein arroganter Mistkerl und dafür werde ich mich auch nicht rechtfertigen.“

„Tze, du wirst dich nie ändern, oder Lorenor?“

Der Jüngere grinste.

„Das würdest du doch gar nicht wollen.“  Dann wurde er wieder ernst. „War’s das jetzt? Ich bin wirklich verdammt müde und will nur noch schlafen.“

„Na gut, ich sollte mich auch hinlegen. Aber eine Frage hätte ich noch.“

Lorenor sah ihn einfach nur an, doch Dulacre wusste nicht, wie er fragen sollte, was ihn beschäftigte. Für einige Atemzüge starrte er Lorenor schweigend an, bis dieser entnervt aufstöhnte. Beschwichtigend hob Dulacre beide Arme.

„Wir haben beide heute einige Dinge gesagt, die besser nicht laut ausgesprochen worden wären und ich wollte… mich nur vergewissern, dass wir…“

„Also ich für meinen Teil hab schon das meiste vergessen, was du oder ich gesagt haben“, warf Lorenor grob dazwischen. „Außerdem war es doch nur ein respektvolles Streitgespräch oder nicht. Warum machst du dir also direkt ins Hemd?“

Auch wenn Dulacre die Ausdrucksweise wirklich nicht gutheißen wollte, so erleichterten diese Worte ihn doch ungemein.

„Das heißt, es wäre nicht vermessen, wenn ich dich bitten würde von nun an wirklich ehrlich mit mir umzugehen? Keine Lügen mehr?“

„Keine Ahnung“, murrte Lorenor und zog sich die Bettdecke über die Beine, „aber wenn’s dich beruhigt mache ich da mit. Hauptsache ich kann jetzt schlafen.“

Kopfschüttelnd verabschiedete Dulacre sich mit einem Lächeln, hörte noch wie Lorenor sein Nachtlicht ausschaltete, ehe er die Tür zuzog.

Dieser Abend sollte ihm eigentlich viel zu denken geben, aber der einzige Gedanke, der ihm gerade einfiel, war dass es wohl niemanden gab, der Lorenor so respektvoll ansprach wie er es tat, erst unbewusst und von nun an bewusst.

Es erheiterte ihn, dass ein solcher Gedanke ihn so glücklich machte, aber als er sein Zimmer erreichte schwand das Lächeln.

Die gegenüberliegende Tür stand offen und Jiroushin lehnte im Türrahmen.

„Spannungen im Paradies?“, fragte dieser ohne jeglichen Schalk in der Stimme. „Habt euch ja ganz schön laut gestritten.“

„Es tut mir leid, falls wir deine Nachtruhe gestört haben sollten, Jiroushin. Das lag nicht in unserer Absicht.“

Der Blondschopf winkte ab.

„Schon gut. Wenn du willst, habe ich eine Minute.“

Dieses Angebot überraschte Dulacre fast noch mehr als die generelle Anwesenheit des Blonden.

„Vielleicht ein anderes Mal, Jirou. Jetzt sehne ich mich nur nach meinem Bett“, lehnte er höflich ab und öffnete seine Zimmertür.

„Du hast dich wirklich sehr verändert, Dulacre, ich erkenne dich kaum wieder.“

Diese Worte ließen Dulacre einen Moment innehalten, während Jiroushin weitersprach: „Früher hättest du nie so mit jemandem gestritten und früher hättest du nie so über jemanden gelächelt.“

„Jirou, ich bin zu erschöpft, um deine Beweggründe zwischen den Zeilen herauszufiltern, also fasse dich bitte kurz.“

„Ich wunder mich nur, Hawky, ist dir wirklich bewusst, was du für diesen Jungen empfindest? Denn ich glaube nicht, dass diese Liaison für euch beide glücklich ausgehen wird.“

„Jiroushin, was redest du da? Lorenor und ich unterhalten keine solche Beziehung, das solltest du doch wissen.“

Nun sah der andere ihn ernst an.

„Oh keine Sorge, ich weiß das und Zorro weiß das, aber die Frage ist doch, bist du dir dessen auch bewusst?“

Mit der Zunge schnalzend stieß Dulacre die Zimmertüre auf.

„Was für lächerliche Gedanken, Jiroushin, der Schlafmangel lässt dich Gespenster sehen.“

„Ich mache mir nur Sorgen um dich, Hawky. Egal was ich von Zorro halte, ich kann nicht wortlos danebenstehen und zusehen wie du in dein Verderben rennst. Ich kann ihn eigentlich ganz gut leiden, das weißt du, aber wenn du nicht gut aufpasst, wird er deinen Untergang bedeuten und das kann und werde ich nicht zulassen.“

Es wäre doch sehr schade, wenn nach Jimbei und Moria die Reihen der Samurai um ein weiteres Mitglied geschwächt würden.

Nun ist dir erneut ein unschuldiges Wesen in Fänge geraten und ich werde nicht dabei zusehen, wie du noch ein Leben zerstörst.

Dieser Name bedeutet für dich und dieses Kind nur Unheil. Der letzte Lorenor ist tot und so soll es auch bleiben.

Ich weiß nicht, ob ich Euch verzeihen kann, dass Ihr einem Kind ein solches Stigma aufgezwungen habt.

„Willst du mir etwa drohen, Jiroushin?“, fragte Dulacre warnend nach, während er sich an all die Worte von Freund und Feind erinnerte, die ihm und Lorenor bereits den Untergang prophezeit hatten.

„Nein, in keinem Fall. Ich bitte dich nur darum auf dich aufzupassen und eine emotionale Distanz zu Zorro zu wahren, wie es sich zwischen Schüler und Lehrmeister gehört.“

Damit schritt der Vizeadmiral zurück in sein Zimmer und ließ Dulacre einfach stehen.

Wieso sagten sie das alle? Wieso schienen alle Menschen in seinem Leben dieser Meinung zu sein?

Ob nun Eizen, Nataku, Gat oder Kanan, selbst Jiroushin! Sie alle warnten Dulacre, entweder davor, dass er Lorenors Elend heraufbeschwören würde oder umgekehrt. Die meisten Worte waren ihm gleichgültig gewesen, doch gerade erinnerte er sich an jeden Zweifel, den er je gehegt hatte, jeden Streit, den er je mit Lorenor ausgetragen hatte.

Konnte es sein, dass Dulacre gerade einen schweren Fehler beging? Konnte es sein, dass er zum ersten Mal in seinem Leben eine Situation falsch einschätzte? Konnte es sein, dass Jiroushin Recht hatte?

Führte der Weg, den er und Lorenor gewählt hatten, in ihrer beiden Verderben?

Dulacre wusste es nicht, doch er erinnerte sich gut daran, dass er sich einst vorgenommen hatte Distanz zu Lorenor zu wahren und dass er damit kläglich gescheitert war. Einst hatte er sich genau vor dem gefürchtet, was Jiroushin vermutet hatte.

Warum also, warum wollte er Jiroushins Worten also einfach keine Bedeutung schenken?

Also, um das ein für alle Mal klarzustellen, ich kann meine Entscheidungen selbst treffen, unabhängig davon was du oder ein dahergelaufener Vollidiot sagt und ich lasse mir dieses Recht auch nicht nehmen, von niemandem. Meinetwegen bist du mein Untergang oder das fleischgewordene Unglück. Aber weißt du was? Das sind alles deine Probleme!

Doch dann verstand er und die Zweifel schwanden so schnell wie sie gekommen waren.

Weißt du, ich bin stark und ich habe einen noch stärkeren Willen. Ich halte dich aus. Weil Ich stark bin und weil ich auf mich selber Acht geben kann und für mich selbst Entscheidungen fällen kann.

Sie alle kannten Lorenor nicht, nicht so wie Dulacre ihn kannte. Sie alle unterschätzen ihn so wie Dulacre es früher auch so oft getan hatte und manchmal immer noch tat.

Also hör auf meine Entscheidungen nicht zu respektieren. Ich bin alt genug, um mir die Menschen in meinem Leben selbst auszusuchen. Du bist zwar echt nervtötend, aber ich kann dich die meiste Zeit über ganz gut leiden, also tu nicht so, als hätte ich das alles hier nicht selbst zu verantworten, als wärest du an irgendetwas schuld. Ich bin ein Lorenor und ein Lorenor lässt niemanden Entscheidungen für sich fällen.

Nur Dulacre wusste, wie stark Lorenor wirklich war und jetzt verstand er auch, was Lorenor so verletzt hatte.

Dulacre wusste wer Lorenor in Wirklichkeit war, er konnte es sehen, weil Lorenor ihm sein wahres Gesicht immer wieder gezeigt hatte, aber aus welchem Grund auch immer, hatte Dulacre es vergessen, einfach vergessen.

Er hatte sich zu sehr um Lorenor gesorgt und hatte für einen Moment vergessen in ihn zu vertrauen, ihn wirklich wahrzunehmen.

Leise lächelnd verließ Dulacre den Flur.

Nun schuldet er Jiroushin noch mehr Dank, ohne dessen Warnung hätte er vielleicht erst viel zu spät bemerkt, dass er drohte vom rechten Weg abzuschweifen.



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