Bend, not Broken von Cookie-Hunter ================================================================================ Kapitel 31: Die Wände hoch gehen -------------------------------- Shinya wollte die Wände hoch gehen. Über die Decke krabbeln und auf der anderen Seite wieder runter kommen. Aber das ging ja nicht. Denn dafür müsste er sich bewegen können. Und könnte er es, dann würde er die Wände in Ruhe lassen. Stattdessen würde er seine Sachen packen und gehen. Nach Hause. Wo auch immer das mittlerweile lag. Hauptsache zu Kyo und Toshiya, bei denen er sich so wohl fühlte. Und er könnte an sein Schlagzeug. Seit Ewigkeiten hatte er da nicht mehr dran gesessen. Das fehlte ihm ebenso sehr, wie die verlorenen Erinnerungen. Eifrig mühte er sich ab, seinen Körper so weit zu bewegen, wie er konnte. Heute Morgen, beim Aufwachen hatte er beschlossen, ihn nicht länger zu einem Gefängnis zu machen. Zu dumm, dass er jetzt schon so frustriert war, weil es nicht schneller ging. Wenn er nur erst einmal wieder anfangen könnte zu Spielen. Dann würde er die vielen Lieder der vergangenen Jahre lernen. Sie könnten neue Songs kreieren. Er würde sich wieder freier fühlen. Finger strecken. Faust ballen. Finger strecken. Faust ballen. Ob diese Methode mit den Elektroschocks wirklich etwas bringen könnte? Es klang schon etwas verlockend. Muskelaufbau, ohne viel dafür tun zu müssen. Nur, bis er sich mehr bewegen könnte. Bis er aufstehen und erste Schritte machen könnte. Und wenn das dann nur mit Hilfe von Krücken möglich wäre. Aber das wäre immer noch besser, als wie eine Puppe ständig von Anderen bewegt werden zu müssen. Faust ballen. Arm heben. Finger strecken. Arm fallen lassen. Die wenige Kraft in seinem Körper schien ihn schon fast wieder verlassen zu haben. Kein Wunder, die erste Anwendung für heute hatte er ja auch schon hinter sich. Frühstück hatte es davor auch schon gegeben. Wo blieben eigentlich seine beiden Liebsten? Sie wussten zwar von seinem Terminplan, aber die hätten ja dennoch schon hier sein und ihn erwarten können. Es mochte egoistisch sein, dies von ihnen zu Verlangen. Wo sie doch bisher auch in jeder Minute, in der sie konnten, bei ihm waren. Aber wenn man sich liebte, dann.... Er wollte doch vor allem nicht allein sein. Allein mit sich und seinem unnützen Körper. Könnte er ein Handy bedienen, würde er mit ihnen oder irgendwem schreiben, um die Zeit rum zu kriegen. Doch selbst das war ihm ja nicht vergönnt. Dummer Teufelskreis. Shinya wollte die Wände hoch gehen. „Was meinst du? Wird er sehr böse auf uns sein, dass wir erst jetzt kommen?“ Mit einem schlechten Gewissen sah er Kyo an, der sich auf den Straßenverkehr konzentrierte. „Ein bisschen“, seufzte der Ältere und hielt an der roten Ampel. „Aber hier hat uns unser Alltag auch ein Stück weit wieder. Da wird es in Zukunft vielleicht öfter vorkommen. Ein bisschen wird er sich da jetzt schon dran gewöhnen müssen.“ Er sah nach links und griff nach der Hand seines Liebsten. „Wir sind gleich bei ihm und bleiben auch eine Weile. Ich denke, es wäre schlimmer, wenn wir gar nicht zu ihm kommen würden.“ Toshiya nickte. Dass er wieder eingeschlafen war, ärgerte ihn dennoch. Plötzlich ertönte sein Handy. Fragend sahen sich die beiden Männer kurz an, als Kyo sich auch schon wieder auf den Verkehr konzentrieren musste, nachdem die Ampel auf blau umgeschaltet hatte. „Unser Leader-sama“, las der Jüngere vom Display ab und meldete sich. „Hey. Sag mal, wo steckt ihr denn?“, wurde auch gleich gefragt. „Uhm... Kyo und ich sind auf dem Weg ins Krankenhaus. Zu Shinya.“ „Ah, dann ist ja gut.“ Grinsend sah Kaoru zu dem Jüngeren. „Ihr werdet nämlich schon schmerzlich vermisst.“ Jetzt wurde der Patient ein wenig verlegen. So hätte er es vielleicht nicht ausgedrückt. „Ach, sag bloß, du bist schon bei ihm?“ „Ganz recht, das bin ich. Auch erst seit ein paar Minuten, aber wir haben uns beide schon gewundert, wo ihr bleibt.“ Was voll und ganz der Wahrheit entsprach, immerhin verbrachten die beiden Freunde doch momentan mehr Zeit im Krankenhaus, als daheim. „Wir sind wirklich gleich da. Es geht jeden Augenblick ins Parkhaus.“ „Alles klar. Dann bis gleich.“ „Bis gleich.“ Zufrieden legte Kaoru auf und steckte das Handy wieder in die Hosentasche. „Du hast es gehört: Sie sind fast hier. Hoffentlich mit einer guten Entschuldigung, sonst kriegen sie es mit mir zu tun.“ „Nicht nur mit dir“, nuschelte Shinya, sah aber wieder hoffnungsvoll zur Tür. „So schnell sind sie jetzt auch wieder nicht.“ Amüsiert schüttelte Kaoru seinen Kopf. „Ich habe mich gestern Abend übrigens mit dieser Therapie auseinander gesetzt. Ein bisschen recherchiert und so weiter.“ Fragend sah der Liegende ihn an. „Welche Therapie?“ „Die, von der du mir gestern erzählt hast. Wo sie mit Elektroschocks deine Muskulatur anregen wollen.“ „Ah, die.“ Vorhin noch hatte er unbedingt etwas darüber erfahren wollen, jetzt aber konnte er seine Aufmerksamkeit nicht von der Tür weg kriegen. Als ob er dadurch die Ankunft seiner beiden Partner beschleunigen könnte. Abschätzend betrachtete Kaoru den jüngeren Freund. „Man kriegt davon grüne Haare und große, blaue Flecken auf dem ganzen Körper.“ Keine Reaktion? Gut, dann setzte er noch eines oben drauf. „Und Schwimmhäute zwischen den Fingern.“ „Wirklich? Klingt doch gut“, murmelte Shinya. Schallend fing Kaoru das Lachen an. Ihm wurde wirklich nicht zu gehört. Auf den fragenden Blick des Anderen meinte er dann nur: „Ich erzähle es dir, wenn Kyo und Toshiya hier sind. Ich glaube, dann bekommst du wieder mehr mit.“ „Demo...“ Verlegen sah er auf seine Decke. „Ist es wirklich so schlimm?“ Der Ältere zuckte mit den Schultern. „Schon okay. Ich weiß ja, dass sie dir wichtig sind.“ „Uhm, war das sonst auch so? Ich meine, vor meinem Unfall?“ Überlegend wanderte Kaorus Blick durch den Raum. „Nein... Nein, war es nicht. Klar hab ich gemerkt, dass ihr euch wohler fühlt, wenn mindestens einer von den anderen bei euch war. Dennoch habt ihr immer mitbekommen, was um euch herum war.“ Der Ältere überlegte noch einmal. „Das heißt....“ „Ja?“ „Manchmal hattet ihr schon eure fünf Minuten, wo die Welt hätte untergehen, Atlantis aus den Fluten auftauchen und ein Heilmittel gegen jede Krankheit hätte gefunden werden können. Es wäre alles an euch vorbei gegangen. Meist, wenn ihr aus irgendwelchen Gründen für eine Weile getrennt wart.“ Sanft lächelte er Shinya an. „Und jetzt sind sie einfach die wichtigsten Verbindungen zu deinem Leben in den letzten fünf Jahren. Von deinen Gefühlen ist auch noch jede Menge da. Ich verstehe schon, warum du so auf sie wartest.“ Und wieder einmal war er ein bisschen neidisch auf die Drei. Selbst jetzt, wo Shinya mit seinem Gedächtnis Probleme hatte, war die Verbindung zwischen ihnen noch immer so stark, dass sie kaum ohne einander oder die Aussicht auf baldige Wiedervereinigung auskamen. Was Kaoru ihm erzählte, klang schon irgendwie plausibel. Wenn es ihm sonst auch so wie jetzt ging, war dieses Verhalten seinerseits recht normal. „Aber warum sind die beiden noch nicht da, wenn es ihnen doch so gehen soll, wie mir?“ So hatte er Kaorus Worte jedenfalls verstanden. „Sie werden einen guten Grund haben. Da bin ich mir sicher.“ Es vergingen wirklich nur noch ein paar Minuten, bis es an der Tür klopfte und die beiden vermissten Freunde nach einer kurzen Aufforderung eintraten. Sehnsüchtig wurden sie von dem Jüngsten im Raum angesehen, der zittrig eine Hand nach ihnen ausstreckte. „Da sind wir“, meinte Kyo sanft, ging auch gleich auf ihn zu, um die Hand zu ergreifen. Kaoru nickte er zur Begrüßung kurz zu, ehe er sich wieder auf seinen Liebsten konzentrierte. „Da sind wir“, bestätigte er nochmals und verwickelte den Anderen in einen Kuss. Toshiya begrüßte derweil erst einmal den Älteren. „Du siehst müde aus“, stellte jener fest. „Bin ich auch noch“, verlegen kratzte er sich an der Wange. „Das ist auch der Grund, weshalb wir heute etwas später hier sind. Ich hab verschlafen.“ „Oh?“ Überrascht wurde er von dem Gitarristen angesehen. „Nur du?“ „Nur ich“; grinste der Jüngere. „Kyo hatte mich zwar geweckt, aber trotz dem Geruch von Frühstück bin ich einfach wieder eingeschlafen.“ Seine Hand wurde von Kyo ergriffen. Verwundert sah er zu dem Kleineren, der ihn fürsorglich ansah. „Das muss dir nicht peinlich sein. Du warst einfach noch erschöpft. Heute Abend lassen wir es ruhiger angehen, damit du dich erholen kannst.“ „Ruhiger? Echt? Dabei hatte ich auf eine Fortsetzung von gestern gehofft.“ Lasziv grinsend näherte sich der Bassist seinem Sänger, welcher seinen Blick herausfordernd erwiderte. „Unter... bestimmten Umständen“, kam es grüblerisch von dem Blonden. „Würde ich es mir dahin gehend überlegen.“ „Wovon sprecht ihr?“, warf Shinya an. Er verstand mal wieder kein Wort. Kaoru dafür umso mehr, weswegen er einen Arm vor der Brust verschränkte und sein Gesicht hinter der Hand am anderen versteckte. Die Beiden wussten ganz genau, dass er solche Einblicke nicht haben wollte. Unweigerlich kamen ihm Bilder in den Kopf und die waren so schlimm, wie wenn man daran dachte, dass die eigenen Eltern- „Wir hatten gestern Sex“, klärte Kyo den Liegenden auf, ignorierte einfach Kaoru, der zu überlegen schien, wie fest er seinen Kopf mit der Wand kollidieren lassen musste, um ihn wieder frei zu bekommen. Seinen Partner wollte er nur nicht anlügen. Dass sie es ohne ihn getan hatten, war vielleicht etwas, was ihn ein wenig trübselig machen könnte, doch es gehörte nun einmal zu einer Beziehung. Und ein ganz kleines bisschen, weil es ihm eine diebische Freude machte, Kaoru zu ärgern. „Dabei haben wir es vielleicht ein bisschen zu doll getrieben“, ergänzte Toshiya mit einem Grinsen. Ihm machte dieses Spiel auch unheimlich Spaß. „Weißt du, Kyo kann-“ „Ja ja ja. Könnt ihr ihm in allen Details erzählen, wenn ich nicht dabei bin“, fuhr der Gitarrist dazwischen. Er war alles andere als prüde und normalerweise wusste er gerne über alles Bescheid. Nur eben nicht über diesen Bereich. „Spart euch euer Grinsen.“ „Ich grinse doch gar nicht.“ „Oh doch, tief in dir drin tust du es. Das sehe ich dir an.“ Aber auch nur, weil er den Kleineren schon so lange kannte. „Aber vielleicht habe ich ja jetzt mehr von Shinyas Aufmerksamkeit und kann ihm endlich erklären, was ich über diese Elektro-Therapie heraus gefunden habe.“ „Das interessiert mich jetzt aber auch.“ Abwartend sahen die drei Liebenden zu Kaoru, welcher auch gleich begann zu erzählen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)