Brothers von Karma ================================================================================ Kapitel 13: Wasserschlacht und Fernsehabend ------------------------------------------- "Sag mal, gehst du eigentlich gerne schwimmen?" Mokubas leise Frage riss Ryuuji aus seinen Gedanken und er senkte den Blick, um dem Kleinen ins Gesicht sehen zu können. Der Fünfzehnjährige, der jetzt schon seit ein paar Stunden träge auf seinem Schoß lag und sich genüsslich seufzend streicheln und kraulen ließ, blickte aus halbgeschlossenen blauen Augen auf und Ryuuji nickte lächelnd. Der Kleine war wirklich zu goldig! "Ja, klar. Wer tut das nicht?", fragte er zurück und ein durch und durch zufriedenes Lächeln erschien auf den Lippen des Kleineren. "Das ist gut. Wir haben nämlich einen Pool unten im Keller. Wollen wir nachher mal zusammen runtergehen und ein bisschen schwimmen? Das würde sicher Spaß machen", bot er an und der hoffnungsvolle Blick aus den blauen Augen sorgte dafür, dass Ryuujis Lächeln sich noch ein bisschen vertiefte. "Können wir gerne machen." In der Tat klang das nach einer wirklich netten Idee für den Nachmittag. Mit dem Kleinen ein bisschen im Pool rumzuplanschen und auf diese Weise etwas überschüssige Energie abzubauen würde ihm sicher gut tun. Immerhin stand ihm die andere Option, die er im letzten Jahr hatte nutzen können – Sex, um genau zu sein –, derzeit ja leider nicht mehr offen. Katsuya hatte inzwischen schließlich Bakura und der wäre sicher nicht begeistert, wenn zwischen ihm und dem Blondschopf noch einmal etwas in der Richtung passieren würde. Wahrscheinlich würde er mich eiskalt killen. Sein bester Freund hatte ihm schließlich im Laufe der vergangenen Woche irgendwann einmal erzählt, wie eifersüchtig der Weißhaarige auf ihn und das gewesen war, was im vergangenen Jahr zwischen ihnen gelaufen war. Auf keinen Fall, dachte Ryuuji, wollte er dem Freund des Blonden Grund dazu geben, wieder eifersüchtig auf ihn zu sein. Das wäre sicher ganz, ganz schlecht für seine Gesundheit. Außerdem, erinnerte er sich, hatte Bakura sich ihm gegenüber die ganze Woche über zusammengenommen und sich sogar bemüht, annähernd so etwas wie Freundlichkeit an den Tag zu legen – etwas, was er sicher nur Katsuya zuliebe getan hatte, was Ryuuji aber trotzdem durchaus zu würdigen wusste. Schließlich war es ganz sicher nicht alltäglich, dass Bakura etwas anderes als ein unwilliges Brummen als Antwort von sich gab. Ganz bestimmt war es ein ziemliches Privileg, dass er mit ihm sogar ganze Sätze sprach. Oft tat er das sicher nicht. "Das ist klasse!" Mokubas freudiger Ausruf unterbrach die Grübeleien seines Stiefbruders über seinen besten Freund und dessen Freund und ein Grinsen schlich sich auf sein Gesicht. Wie konnte man nur so niedlich sein wie der Kleine, der noch immer halb auf seinem Schoß lag und sich ganz offenbar wirklich wahnsinnig darüber freute, dass er zugestimmt hatte, noch mehr Zeit mit ihm zu verbringen? Der Fünfzehnjährige zögerte noch einen Moment – seine derzeitige Position war viel zu bequem, um einfach so aufzustehen –, doch dann rang er sich dazu durch, sich von der Couch zu schwingen. Sobald er sicher stand, wollte er seinem Stiefbruder die Hand reichen, um diesem aufzuhelfen, aber Ryuuji war schneller als er und streckte sich bereits. Dabei rutschte sein Shirt hoch und gab den Blick frei auf die tätowierte Sonne. Mokuba legte neugierig den Kopf schief. Irgendwie hätte er zu gerne gefragt, woher und wie lange der Ältere dieses Tattoo schon hatte, aber das traute er sich dann doch noch nicht. Kann ich ja auch später noch machen. Ryuuji läuft mir ja nicht weg. Schließlich gehört er ja jetzt zur Familie. Dieser Gedanke ließ den Jungen gleich wieder lächeln. Es war einfach schön, jetzt eine richtige Familie zu haben – so, wie sein Freund Yuugi, beispielsweise. Sicher, Ryous Eltern waren auch seit zwei Jahren geschieden und seine Mutter war aus der gemeinsamen Wohnung ausgezogen, ohne ihren jüngsten Sohn mitzunehmen – was ja auch der Grund dafür war, dass der Weißhaarige seinen älteren Bruder nur so selten sah, denn dieser war mit der Mutter gegangen, zu der sein Vater ihm jeden Kontakt strikt untersagt hatte –, aber Yuugis Familie hatte auf Mokuba immer sehr glücklich gewirkt. Yuugis Eltern, sein großer Bruder Yami und nicht zuletzt der kauzige Großvater mit der Schwäche für alles, was Ägyptisch war – um all das hatte der Fünfzehnjährige seinen bunthaarigen Freund immer beneidet. Natürlich lief auch bei den Mutos längst nicht alles perfekt – eine wirklich perfekte Familie gab es schließlich nicht –, aber trotzdem waren sie eine richtige Familie. Und seit gestern habe ich auch wieder eine. Mokuba zweifelte nicht daran, dass sein Vater jetzt, wo er zum zweiten Mal verheiratet war, beruflich etwas kürzer treten würde. Aber auch wenn er das nicht tun sollte, so war immer noch Yukiko-san da. Seine neue Mutter. Seine wunderschöne, freundliche neue Mutter. Seine neue Mutter, die am Vortag bei der Trauung und auch danach auf der Feier so bezaubernd ausgesehen hatte, dass der Junge sich sicher war, dass sie die schönste Frau der Welt war. Gut, das mochte eine rein subjektive Empfindung sein, aber das war ihm egal. "Träumst du, Mokuba?" Ryuuji grinste breit, als der Kleinere ertappt zusammenfuhr. "Hey, das ist schon okay. Mach Dir keinen Kopf deswegen. Manchmal muss das einfach sein", beruhigte er den Fünfzehnjährigen und lachte, als dessen Gesicht puterrot anlief. Himmel, woher hatte der Junge diese Niedlichkeit nur? Von seinem älteren Bruder ganz sicher nicht. Seto mochte einiges sein, aber niedlich war er auf keinen Fall. Nein, Seto ist eine andere Kategorie, schoss es Ryuuji durch den Kopf und er seufzte unhörbar. Warum konnte er eigentlich nicht endlich damit aufhören, an den Brünetten zu denken – und das auch noch in der Art, wie er es nun mal tat? Na, dass ich ihn attraktiv finde, kann ich nicht leugnen. Ebenso wenig wie die Tatsache, dass er mehr für seinen älteren Stiefbruder empfand, als gut für ihn war. Aber das würde schon irgendwann wieder aufhören. Die Sache mit Katsuya war schließlich auch im Sande verlaufen. Warum also sollte es ausgerechnet bei Seto anders sein? Mokuba schüttelte über sich selbst den Kopf, um seine Gedanken zu vertreiben. Das alles war so neu und aufregend, aber er wollte vor seinem Stiefbruder auf keinen Fall wie ein Idiot oder – noch schlimmer – wie ein Kleinkind dastehen. Er war immerhin schon fünfzehn und würde in ein paar Monaten sechzehn werden. Da war so ein Benehmen, wie er es gerade an den Tag legte, einfach nur peinlich. "Okay, dann lass uns gehen, ja?" Mokuba griff nach Ryuujis Arm, um diesen mit nach unten zu ziehen, doch dieser machte sich los. "Warte mal, Kleiner. Ich sollte vielleicht erst mal meine Badehose holen, meinst du nicht auch? Immerhin muss ich ja nicht unbedingt nackt in den Pool hopsen, oder was meinst du?", fragte er und lachte, als die Wangen des Jungen sich bei diesen Worten wieder heftig röteten. "O-Okay. Fi-Findest du den Weg, wenn ich ihn dir erkläre? Sonst warte ich hier auf dich", murmelte Mokuba, während er dem Blick seines Stiefbruders auswich und sich gleichzeitig ein Loch zum Verkriechen wünschte. Verdammt, warum bekam er seine Gesichtsfarbe bloß nicht unter Kontrolle? Das war doch einfach nur todpeinlich! Er benahm sich eindeutig wie ein unreifes Kind. Was sollte Ryuuji denn von ihm denken? "Passt schon. Ich bin ja nicht ganz blöd." Gut, bis er sich in dieser riesigen Villa ganz alleine zurechtfinden würde, würden sicher noch ein paar Wochen vergehen, aber den Pool im Keller würde er schon finden, wenn der Kleine ihm den Weg erklärte. Jedenfalls hoffte Ryuuji das. Nachdem er eine sehr ausführliche Wegbeschreibung bekommen hatte, nickte er Mokuba zu und sprintete nach oben, um sich umzuziehen, während der Fünfzehnjährige schon mal vorging nach unten. oOo Seto hatte unterdessen bereits ein paar Bahnen unten im Pool gezogen, aber wirklich viel ruhiger fühlte er sich immer noch nicht. Normalerweise half ihm das Schwimmen beim Abschalten, aber sehr zu seinem Leidwesen war das heute nicht der Fall. Noch immer kreisten seine Gedanken beinahe ständig um seinen Stiefbruder. Egal, wie sehr er sich bemühte, das abzustellen, es gelang ihm einfach nicht. Seufzend tauchte er unter und schwamm unter Wasser weiter – so lange, bis ihm die Luft ausging und er prustend wieder an die Oberfläche kommen musste. Warum in aller Welt beherrschte Ryuuji seine Gedanken nur so sehr? Warum konnte er sich nicht von diesen grünen Katzenaugen, die ihn immer so intensiv ansahen, losreißen? Warum? Seto verstand es einfach nicht. So in seine Grübeleien verstrickt entging ihm völlig, dass sein kleiner Bruder nach unten kam und in einer der Umkleidekabinen verschwand, um sich eine Badehose anzuziehen. Auch Mokuba bemerkte seinen Bruder nicht, denn dieser war zu dem Zeitpunkt, als er nach dem Umziehen wieder hereinkam und sich auf eine der Liegen setzte, um auf seinen Stiefbruder zu warten, gerade unter Wasser. Als Ryuuji schließlich den Pool erreichte – er hatte sich in seinem Zimmer bereits umgezogen und sich dank der Wegbeschreibung des Fünfzehnjährigen auch nicht verirrt –, winkte Mokuba ihm hektisch zu und sprang von seinem Liegestuhl auf. "Da bist du ja!", freute er sich und auch der ältere Schwarzhaarige konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Es war wirklich schön, dass es jemanden gab, der sich so über seine Anwesenheit freute. Das tat seinem Ego richtig gut. "Klar. Ich kann dich doch nicht warten lassen", erwiderte er daher, zog seine Hose und sein Shirt aus und fand sich im nächsten Augenblick nach einem Schubs von Mokuba auch schon im angenehm temperierten Wasser des Pools wieder. Prustend tauchte er wieder auf und warf dem Kleinen einen gespielt bösen Blick zu, der diesen zum Quieken brachte. "Na warte, Kleiner! Das hast du nicht umsonst getan! Meine Rache wird fürchterlich sein!", drohte er und Mokuba quiekte erneut, bevor er mit Anlauf ebenfalls in den Pool sprang. "Dafür musst du mich aber erst mal kriegen!", lachte er und versuchte, wegzuschwimmen. Irgendwie hatte er so eine Ahnung, dass er durchgekitzelt werden würde, wenn Ryuuji ihn erwischte – und das, wo er doch so unheimlich empfindlich war! Nein, da ging er lieber auf Nummer Sicher und brachte Abstand zwischen sie beide. Ryuuji, der damit gerechnet hatte, tauchte unter und wollte Mokuba folgen, als er sich unversehens einem anderen Paar azurblauer Augen gegenübersah, die er überall wiedererkannt hätte. Erschrocken stieß er die angehaltene Luft aus, tauchte wieder auf und hustete. Verdammt, warum? Warum musste Seto ausgerechnet jetzt auch hier unten sein? Das war verflucht noch mal nicht fair! Seto, dem ähnliche Gedanken durch den Kopf gingen, tauchte ebenfalls auf und legte seinen kühlstmöglichen Blick auf, um seinen Stiefbruder zu mustern. Verdammt, warum war er hier? Und warum ausgerechnet jetzt? Reichte es denn nicht, dass er sich sowieso die ganze Zeit schon den Kopf über ihn zerbrach? Musste Ryuuji jetzt auch noch herkommen und ihm unter die Nase reiben, dass er seit dem Vortag jedes Recht hatte, hier zu sein? "Was machst du hier?" Die kühle Frage des Brünetten ließ Ryuuji aufsehen, nachdem er sich wieder etwas gefangen hatte. Smaragdgrün traf auf Azurblau und der Siebzehnjährige schluckte schwer, versuchte aber, sich nichts von dem Aufruhr in seinem Inneren anmerken zu lassen. Dennoch schlug ihm sein Herz bis zum Hals. Als Seto ihm das letzte Mal so nah gewesen war, hatte er ihn kurz darauf geküsst. Und dann ... "Oh, hallo, Nii-san. Ich wusste nicht, dass du auch hier bist. Als ich runterkam, habe ich dich gar nicht gesehen. Wir stören dich doch nicht, oder?" Mokuba, der die ersten Anzeichen eines Streits wahrgenommen zu haben glaubte, hatte sich schnell wieder umgedreht und war zu Ryuuji zurückgeschwommen, als er die Stimme seines älteren Bruders gehört hatte. Auf keinen Fall wollte er, dass Seto ihren Stiefbruder für die Störung verantwortlich machte. Immerhin war das mit dem Pool ja seine Idee gewesen. Der Angesprochene warf einen Blick zu seinem kleinen Bruder und schüttelte dann den Kopf. "Das ist schon in Ordnung." Er konnte Mokuba schließlich kaum verbieten, den Pool zu benutzen, in dem er als Kind das Schwimmen gelernt hatte. Immerhin war der Fünfzehnjährige hier ebenso zu Hause wie er – und wie nun auch Ryuuji. Trotzdem musste er über die Anwesenheit seines Stiefbruders ja nicht gleich in endlose Begeisterungsstürme ausbrechen, oder? Ryuuji, dem der kühle Unterton in der Stimme des Brünetten nicht entgangen war, seufzte abgrundtief. Super, wirklich. Da hatte er Mokubas Vorschlag zugestimmt, um endlich mal nicht mehr an Seto zu denken, und was passierte? Er begegnete natürlich ausgerechnet dem Menschen, den er im Augenblick eigentlich am wenigsten sehen wollte. Das war so traurig und so vorhersehbar, dass es eigentlich schon fast wieder zum Lachen war. "Na, wenn wir nicht stören, dann ist ja gut." Ryuuji beschloss, sich nicht von seinen Gedanken verrückt machen zu lassen. Stattdessen begann er zu grinsen und im nächsten Moment hatte sein älterer Stiefbruder, der ihm noch immer viel zu nah war, eine Ladung Wasser im Gesicht – der Auftakt einer Wasserschlacht, in die Mokuba gleich voller Begeisterung einstieg. Im ersten Moment war Seto vollkommen überrumpelt, doch als er plötzlich von zwei Seiten mit Wasser bespritzt wurde, konnte auch er ein grimmiges Grinsen nicht mehr unterdrücken. "Ihr wollt also Krieg, ja? Den könnt ihr haben. Legt euch besser nicht mit mir an!", drohte er und begann nun seinerseits, die beiden Jüngeren nach allen Regeln der Kunst nasszuspritzen. oOo "Isono-san, haben Sie die Jungs gesehen?" Yukiko, die gemeinsam mit ihrem Mann nach unten gekommen war, um mit ihren drei Söhnen zu Abend zu essen – inzwischen war es schon beinahe sieben Uhr; Gozaburo und sie waren einfach nicht eher aus dem gemeinsamen Bett gekommen, erinnerte sie sich errötend –, sah den Trauzeugen ihres Liebsten fragend an. "Ryuuji-san ist gemeinsam mit Mokuba-san und Seto-san unten im Pool", informierte der Angesprochene die Frau seines Arbeitgebers und Gozaburo, der die Worte seines Assistenten gehört hatte, lächelte zufrieden. "Siehst du, du hast dir vollkommen umsonst Sorgen gemacht", sagte er und Yukiko lächelte ebenfalls. "Es sieht so aus. Und ich bin froh darüber, wenn ich ehrlich bin." Es tat ihr unheimlich gut zu wissen, dass ihr Junge mit seinen Stiefbrüdern doch besser auskam, als es anfangs den Anschein gemacht hatte. Vielleicht freundete Ryuuji sich ja wirklich noch richtig mit Seto und Mokuba an. Das war jedenfalls, wenn sie ehrlich war, einer ihrer größten Wünsche. Ihr Sohn hatte so wenige Freunde – genau genommen hatte er hier in Japan nur Katsuya und sonst niemanden –, dass zwei mehr ihm sicher gut tun würden. "Ich glaube, dann sollten wir sie im Augenblick lieber nicht stören. Wenn sie Hunger bekommen, werden sie schon nach oben kommen, meinst du nicht auch?" Gozaburos Worte rissen Yukiko aus ihren Gedanken. Sie sah zu ihm auf und nickte lächelnd. "Da hast du vollkommen Recht", stimmte sie ihm zu und ihr Lächeln vertiefte sich noch etwas, als ihr frischgebackener Ehemann ebenfalls lächelte. Doch, es würde sicher alles gut werden. Wenn die drei Jungs sich jetzt schon so gut verstanden, dann, dessen war sie sich sicher, würde es auch keinen Ärger geben, wenn Gozaburo und sie in der übernächsten Woche ihre Hochzeitsreise antraten. oOo "Gnade! Ich kann nicht mehr!" Gleichermaßen lachend und japsend gab Ryuuji sich nach mehr als einer Stunde Wasserschlacht geschlagen. Was die Ausdauer im Wasser betraf, waren seine beiden Stiefbrüder ihm eindeutig über. Wenn man allerdings bedachte, dass sie einen Pool zu Hause hatten, in den sie jeden Tag nach Lust und Laune hüpfen konnten, hatten sie auch einen ganz schön unfairen Vorteil ihm gegenüber – einen Vorteil, den er in den nächsten sechs Monaten auszugleichen gedachte. Eine solche Niederlage wie die heutige konnte er schließlich nicht einfach so auf sich sitzen lassen. "Okay, ausnahmsweise!", erwiderte Mokuba großzügig und sah dann seinen älteren Bruder, der kräftig mitgeholfen hatte, aus leuchtenden Augen an. Eigentlich war solches Toben gar nicht Setos Art – jedenfalls inzwischen nicht mehr, denn früher hatte er das durchaus gerne getan – und genau deshalb bedeutete dem Fünfzehnjährigen die Tatsache, dass er dennoch mitgemacht hatte, besonders viel. "Dem haben wir's aber gezeigt, was, Nii-san?", fragte er und lachte, als er sah, dass sein Stiefbruder schmollend die Unterlippe vorschob. "Ihr seid fies! Zwei gegen Einen ist unfair!", grummelte Ryuuji und hätte im nächsten Moment beinahe das Atmen vergessen, als Seto in das Lachen des Jüngsten mit einstimmte. Holy shit, was für ein toller Anblick!, schoss es Ryuuji durch den Kopf und er tauchte kurz unter, um sicherzugehen, dass man ihm seine Gedanken nicht durch einen dummen Zufall würde ansehen können. Seto so lachen zu hören und zu sehen, wie gut er aussah, wenn er so ausgelassen im Pool herumtobte wie ein ganz normaler Achtzehnjähriger, brachte Ryuujis kompletten Hormonhaushalt völlig durcheinander. Einigermaßen entsetzt über sich selbst bemerkte er unter Wasser, dass er körperlich nicht nur eindeutig, sondern zu allem Überfluss auch noch ziemlich heftig auf das reagierte, was hier geschah. So schnell wie möglich kniff er die Augen zu, denn das, was er gerade vor der Nase gehabt hatte – Setos glücklicherweise blickdichte, aber nichtsdestotrotz weiße Badehose –, war nun wirklich nichts, was er sich in seinem momentanen Zustand ansehen sollte. Erst als er kaum noch genug Luft bekam, tauchte Ryuuji schließlich wieder auf. "Ich glaub, ich leg mich ein bisschen hin. Ich brauch ne Pause", informierte er seine beiden ›Gegner‹ und schwamm dann in Richtung Treppe, um aus dem Pool zu steigen. Dass ihm auf dem ganzen Weg zu den Liegestühlen, wo er sich bäuchlings hinlegte – sicher war sicher – die Blicke aus zwei blauen Augenpaaren folgten, bemerkte er nicht. Mokuba blickte seinem Stiefbruder nach, als dieser das Becken verließ. Die Wasserschlacht hatte ihm eine Menge Spaß gemacht und er war unglaublich froh, dass Seto auch mitgemacht hatte. Sie hatten schon viel zu lange nicht mehr so ausgelassen miteinander herumgetobt. Meistens war sein großer Bruder einfach viel zu erwachsen und zu reif dafür. Heute hatte er sich endlich mal wieder wie ein richtiger Teenager benommen – eine Tatsache, die eindeutig an Ryuuji lag. Nur mit ihm, Mokuba, alleine ging sein Bruder schließlich nie so aus sich heraus. Für den heutigen Nachmittag schuldete er Ryuuji eindeutig Dank. Seto seinerseits, der vor sich selbst durchaus zugab, sich lange nicht mehr so gut amüsiert oder sich so ausgetobt zu haben, konnte seinen Blick ebenfalls nicht von seinem Stiefbruder nehmen. Die langen schwarzen Haare, die ihm nass und wirr ins Gesicht gehangen hatten, sein Lächeln, sein Lachen und das Funkeln in den grünen Augen gingen ihm einfach nicht aus dem Kopf. Gleichermaßen irritiert wie peinlich berührt musste Seto sich eingestehen, dass er ein paar Mal kurz davor gewesen war, dem Anderen die Haare aus dem Gesicht zu streichen oder ihn sonst wie zu berühren – ein Drang, den er allerdings jedes Mal erfolgreich bekämpft hatte. Wie hätte das denn auch ausgesehen? Bei Mokuba war das etwas völlig anderes, denn dieser war schließlich sein Bruder. Ryuuji allerdings gehörte jetzt zwar ebenfalls zur Familie, aber sie waren nicht wirklich miteinander verwandt. Solche Berührungen würden ihm doch sicher seltsam vorkommen, oder? Warum eigentlich? Mokuba umarmt er doch auch, wann immer er ihn sieht oder ihm der Sinn danach steht. Da kennt er auch keinerlei Scheu. Trotzdem, sagte Seto sich, war es bestimmt besser, wenn er sich nicht zu solchen Vertraulichkeiten hinreißen ließ – egal, wie gerne er es getan hätte und egal, wie hübsch er seinen Stiefbruder auch fand. Als seine Gedanken an diesem Punkt ankamen, stutzte Seto und schüttelte dann über sich selbst den Kopf. So etwas sollte er wirklich nicht denken. Das gehörte sich definitiv nicht. Und ebenso wenig gehörte sich das, was er am Morgen in der Küche gedacht hatte. Ihn berühren oder gar streicheln ... Das geht doch nicht! Was würde er denn von mir denken? Nein, das war voll und ganz unmöglich. So etwas schickte sich einfach nicht. Als er zu allem Überfluss auch noch bemerkte, dass er noch immer auf die Rückansicht Ryuujis, verpackt in einer schwarzen Badehose, starrte, wandte er entschlossen den Blick ab. Also das sollte er nun ganz sicher nicht tun! Ryuuji, der von diesen Gedankengängen seines älteren Stiefbruders nichts ahnte, streckte sich abgrundtief seufzend bäuchlings auf einem der neben dem Pool befindlichen Liegestühle aus und schloss die Augen. Verdammt, es war einfach nicht gut, wenn er Seto so nah war. Jedes Mal, wenn er in diese unglaublichen, azurblauen Augen sah, wurde der Drang, den Anderen zu berühren oder ihn sogar zu küssen, stärker und stärker. Ich bin doch so ein Idiot. Das würde er nie zulassen. Obwohl er das rein rational gesehen ganz genau wusste, erinnerte der Schwarzhaarige sich viel zu gut an das Gefühl von Setos Lippen auf seinen. Sein Mund war warm und weich gewesen und inzwischen wünschte Ryuuji sich beinahe, den Kuss erwidert zu haben. Nur noch ein einziges Mal. Noch einmal diese Lippen fühlen dürfen ..., dachte er und seufzte erneut. Das war Wunschdenken, sonst nichts. Sollte er sich seinem Stiefbruder jemals auf diese Weise nähern, würde dieser ganz sicher ausflippen und er würde sich endgültig seinen Hass zuziehen – etwas, das er auf keinen Fall wollte. Nicht ausgerechnet jetzt, wo ihr Verhältnis sich langsam zu entspannen schien. Jetzt krieg dich mal wieder ein, Ryuuji. Denk einfach nicht mehr darüber nach. Das ist nicht gut. Ganz und gar nicht, ermahnte er sich selbst und schloss die Augen – ein Fehler, denn seine Gedanken begannen sich gleich wieder um den noch immer im Pool schwimmenden Brünetten zu drehen. Während ihrer Wasserschlacht hatte er sich wie ein ganz normaler achtzehnjähriger Teenager verhalten, nicht so reif und übermäßig erwachsen wie sonst immer. Ich glaub, ich sollte besser so schnell wie möglich nach oben gehen. Hier unten werd ich noch irre. Oder ich mach irgendwann nen Riesenfehler. Und das muss echt nicht sein. Gerade, als er diesen Gedanken in die Tat umsetzen und aufstehen wollte, tippte ihm von hinten jemand auf die Schulter. "Bist Du irgendwie sauer oder so?", erkundigte Mokuba sich und Ryuuji winkte sofort ab. "Quatsch, nein. Warum auch? Ich bin nur total kaputt. Ihr habt mich echt fertiggemacht. Außerdem krieg ich so langsam Hunger", versuchte er, sich rauszureden. Der Fünfzehnjährige atmete erleichtert auf. Irgendwie hatte sein Stiefbruder gerade so einen seltsam grüblerischen und niedergeschlagenen Eindruck gemacht, der ihm gar nicht gefallen hatte. Aber wenn er nur hungrig war ... nun, dem konnte man abhelfen. "Dann lass uns eben duschen und dann raufgehen, okay? Gleich gibt es sowieso Essen und wir haben ja über das Kuscheln vorhin schon das Mittagessen verpasst." So langsam, stellte Mokuba fest, bekam er auch ziemlichen Hunger. Seto, der noch ein paar Runden im Pool gedreht hatte und gerade dabei war, diesen zu verlassen – immerhin war es schon zwanzig vor sieben, also war es beinahe Zeit für das Abendessen –, stockte mitten in der Bewegung, als er die Worte seines jüngeren Bruders hörte. Narrten ihn seine Sinne oder hatte er gerade richtig verstanden? Hatte Mokuba wirklich gesagt, er und ihr Stiefbruder hätten miteinander gekuschelt, bevor sie zum Schwimmen heruntergekommen waren? Das ist doch wohl ein schlechter Scherz! Ja, genauso musste es sein. Ganz bestimmt hatte er sich verhört. Seine Ohren spielten ihm einen Streich, weiter nichts. Warum sollte sein kleiner Bruder bitteschön mit Ryuuji kuscheln? Und warum sollte Ryuuji das tun? Mokuba und er waren nicht einmal wirklich miteinander verwandt, verflucht! Das hindert sie aber auch nicht daran, sich gegenseitig immer und überall zu umarmen, wenn sie sich sehen, erinnerte Seto sich ärgerlich, stieg endgültig aus dem Wasser und ging zur Dusche hinüber. Darüber, was sein Bruder und sein Stiefbruder miteinander getan oder nicht getan hatten, während er nicht dabei gewesen war, wollte er im Augenblick nun wirklich nicht nachdenken. Immerhin ging ihn das ja auch gar nichts an. Sollten die beiden doch so viel aneinander kleben, wie sie wollten. Das war ihm doch egal. Vollkommen egal sogar. Dass er die Tür hinter sich lauter zuwarf, als es nötig gewesen wäre – und dass er damit seine eigenen Gedankengänge Lügen strafte –, bemerkte er nicht. Ryuuji und Mokuba hingegen blickten gleichermaßen irritiert auf die Tür der Dusche, zuckten zeitgleich mit den Schultern und brachen dann beide in fröhliches Gelächter aus, als ihnen bewusst wurde, dass sie sich gerade benahmen wie Spiegelbilder. "Mann, wir haben echt viel gemeinsam!", kicherte Ryuuji und Mokuba stimmte ihm heftig nickend zu, während er sich lachend seinen Bauch hielt. "Find ... ich auch!", japste er, atmete mehrmals tief durch und zog Ryuuji dann von dem Liegestuhl hoch. "Aber jetzt sollten wir auch duschen, sonst kommen wir zu spät zum Essen und dann beiße ich nachher noch vor lauter Hunger in den Teppich oder so", witzelte er und Ryuuji zwinkerte ihm grinsend zu. "Na, solange du mich nicht versehentlich anknabberst ...", konterte er, ließ sich von dem Fünfzehnjährigen mitziehen und hätte im nächsten Moment beinahe laut geflucht, als er sich schon wieder Seto gegenübersah, der seelenruhig – und, sehr zu Ryuujis Leidwesen, splitternackt – unter der Dusche stand, die genug Platz für sechs Personen bot. "Würde es euch viel ausmachen, etwas leiser zu sein?", wandte Seto sich an die beiden Jüngeren, ohne ihnen wirklich einen Blick zu gönnen. Aus einem Grund, den er selbst nicht so ganz begriff, machte es ihn nervös, gemeinsam mit seinem Stiefbruder zu duschen. Dass es diesem im Bezug auf ihn genauso ging, konnte er ja nicht ahnen. Allerdings hätte ihn diese Gewissheit wohl auch nicht beruhigt, sondern ihn im Gegenzug nur noch nervöser gemacht. Ryuuji schluckte schwer und nickte dann. "Klar, kein Thema", brachte er einigermaßen mühsam heraus und drehte Seto und auch Mokuba schnellstmöglich den Rücken zu, bevor er sich auszog, denn keiner der beiden sollte sehen, dass alleine Setos Anblick vollkommen ausreichte, um bei ihm ein kleines Problem mit der Durchblutung auszulösen. Das war dann doch ein bisschen zu peinlich und zu persönlich, als dass es irgendjemand bemerken musste. Schließlich hatte er seiner Mutter ja ein Versprechen gegeben, das er auch um jeden Preis zu halten gedachte. Mokuba nickte seinem großen Bruder kurz zu, bevor er sich ebenfalls aus seiner Badehose pellte und diese zur Seite legte, um sich vernünftig das Chlor vom Körper und aus den Haaren waschen zu können. Er war gerade fertig damit, sich einzuseifen, als ihm einfiel, dass er seinem Stiefbruder noch gar nicht auf seinen Spruch geantwortet hatte. Sofort schlich sich ein breites Grinsen auf sein Gesicht. "Ich werde dich schon nicht fressen, Ryuuji. Ich esse kein rohes Fleisch, weißt du?" Die Stimme seines jüngeren Stiefbruders ließ den Angesprochenen kurz zusammenzucken. Dann jedoch verzogen sich auch seine Lippen zu einem Grinsen und er sah den Jungen über seine Schulter hinweg an. "Na, dann hab ich ja gerade noch mal Glück gehabt, was?", scherzte er zurück und reizte Mokuba damit wieder zum Lachen. Seto, der mit dem Duschen beinahe fertig war, spitzte so unauffällig wie möglich die Ohren. Worüber in aller Welt redeten die Zwei da bloß? Und warum störte es ihn so sehr, dass sie sich so gut miteinander verstanden? Es konnte ihm doch gleichgültig sein, ob die beiden sich gegenseitig auffraßen, ob sie kuschelten oder was auch immer sie sonst miteinander taten. Dummerweise musste Seto sich eingestehen, dass es nicht so war. Es wurmte ihn ungemein, dass Mokuba Ryuuji scheinbar wichtiger war als er. Dass er sich insgeheim wünschte, sich auch besser mit seinem Stiefbruder zu verstehen, wollte Seto sich allerdings nicht eingestehen – ebenso wenig wie die Tatsache, dass er den Schwarzhaarigen mit den grünen Katzenaugen die ganze Zeit über immer wieder heimlich beim Duschen beobachtete. Erst als ihm der abwegige Gedanke kam, dass er gerne mit einem der Wassertropfen tauschen wollte, die über den schlanken Körper seines Stiefbruders flossen, drehte er energisch das Wasser ab, schnappte sich ein Handtuch und trocknete sich notdürftig ab, bevor er schnellstmöglich die Duschkabine verließ. Bloß weg hier! Ryuuji atmete unhörbar auf, als Seto endlich aus der Duschkabine verschwand. Himmel, das war aber verdammt knapp gewesen! Zum Glück war Mokuba da. Sonst hätte ich Scheiße gebaut. Und zwar so richtig, dachte er und beeilte sich, ebenfalls fertig zu werden. Der Fünfzehnjährige, der etwas schneller gewesen war, reichte ihm ein Handtuch an und legte dann fragend den Kopf schief, sobald er es sich um die Hüfte gebunden hatte. "Ist was, Mokuba?", erkundigte Ryuuji sich, während er gemeinsam mit dem Kleineren die Duschkabine verließ, um seine draußen auf dem Liegestuhl liegenden Sachen wieder anzuziehen. "Nein. Ich meine ... Kann ich dich mal was fragen?" Nachdem sein Stiefbruder genickt hatte, deutete Mokuba auf dessen Tätowierung. "Hast du sie schon lange?", erkundigte er sich und Ryuuji warf ebenfalls einen kurzen Blick auf die schwarze Sonne, bevor er den Kopf schüttelte. "Nicht wirklich, nein. Ich hab sie jetzt seit knapp drei Monaten. War ein vorgezogenes Geburtstagsgeschenk von meinem Dad", erklärte er und grinste. Sein Vater war nicht unbedingt begeistert davon gewesen, was er sich hatte stechen lassen – und das wo hatte ihm auch nicht sonderlich zugesagt. Wahrscheinlich hätte er's mir erst gar nicht erlaubt, wenn er gewusst hätte, was ich wollte, ging es Ryuuji durch den Kopf. Gut, dass er es seinem Vater vorher nicht gesagt hatte. Hinterher war es für Beschwerden schließlich zu spät gewesen. Mokuba staunte seinen Stiefbruder mit offenem Mund an. "Dein Vater hat dir das geschenkt?", hakte er ungläubig nach und blinzelte, als Ryuuji nickte. "Ja, hat er. Ich hab ihm schon seit zwei Jahren damit in den Ohren gelegen, dass ich unbedingt ein Tattoo wollte. Na ja, und bevor ich hergeflogen bin, meinte er eben, dass ich ja jetzt sowieso bald achtzehn werden würde, also könnte ich ja dann praktisch fast machen, was ich will. Also hat er mir das Geld gegeben und gemeint, ich soll mir was aussuchen, was mir gefällt." Dass sein Vater von dem Motiv wenig begeistert gewesen war – immerhin war das ja schließlich nicht wirklich ›männlich‹ –, verschwieg Ryuuji dem Jungen allerdings geflissentlich. "Gestochen hat's mir dann eine Bekannte", fuhr er fort, während er sich weiter anzog. Gut, eigentlich war es eher die ältere Schwester seines Exfreundes gewesen, die ein eigenes Tattoostudio besaß, aber auch das musste der Fünfzehnjährige nicht unbedingt wissen. "Dein Vater muss echt unheimlich cool sein!", entfuhr es Mokuba. "Unser Vater würde das nicht erlauben", fügte er hinzu und seufzte leise. Sicher, es war nicht so, dass er unbedingt eine Tätowierung gewollt hätte, aber er beglückwünschte seinen Stiefbruder trotzdem insgeheim zu dessen Vater. Offenbar nahm dieser solche Dinge ja ziemlich locker. Wenn er seinem Sohn sogar ein Tattoo zu seinem achtzehnten Geburtstag schenkte ... "Ja, er ist schon cool." Oder auch nicht. Diesen Gedanken sprach Ryuuji allerdings nicht laut aus. Immerhin war gerade der Abschied von seinem Vater nicht besonders gut verlaufen, weil sie sich erst am Tag zuvor – wieder einmal – aufs Heftigste gestritten hatten. Dementsprechend kühl und reserviert hatten sie sich auch am Flughafen voneinander verabschiedet. Genau genommen hatten sie schon die ganze Woche vor seiner Abreise kaum ein Wort mehr miteinander gewechselt. Ist ja auch egal. Bis ich wieder zu ihm komme, hat er sich hoffentlich eingekriegt. Ryuuji zog den Reißverschluss seiner Jeans hoch und seufzte unhörbar. Wenigstens war er bis dahin achtzehn. Wenn er erst aufs College ging, konnte sein Vater sich endgültig nicht mehr in sein Leben einmischen. Und vielleicht sah er dann ja auch endlich mal ein, dass sein Sohn keine Kopie von ihm war, sondern ein eigenständiger Mensch, der eben andere Vorstellungen vom Leben hatte als er. Da er wirklich nicht mehr über seinen Vater sprechen wollte – das Thema war auf Dauer einfach zu deprimierend –, bemühte Ryuuji sich um einen Themenwechsel. "Komm, lass uns raufgehen. Sonst knabbere ich dich nachher noch an", witzelte er und wie erwartet begann sein jüngerer Stiefbruder erst zu kichern, bevor er die Treppen nach oben rannte. "Dafür müsstest Du mich aber erst einmal kriegen!" Seto, der gleich nach dem Duschen bereits nach oben gegangen war – er hatte an sich selbst eine absolut unangemessene körperliche Reaktion auf seinen Stiefbruder festgestellt und nicht gewollt, dass einer der beiden Jüngeren etwas davon bemerkte –, ließ sich im Esszimmer auf seinen Platz sinken, nachdem er seinem Vater, Yukiko und Isono, die sich bereits dort befanden, kurz zugenickt hatte. Das Strahlen in den Augen seines Vaters entlockte ihm ein kurzes Lächeln. Ganz offenbar war er also jetzt wirklich glücklich. Gut, unter diesen Umständen würde er selbst sich auch bemühen, sich zusammenzunehmen. "Ich habe gehört, ihr Drei wart zusammen unten am Pool, Seto." Gozaburo sah seinen Ältesten fragend an und dieser nickte. "Ja, Vater. Ich denke, Mokuba und Ryuuji sollten auch gleich hier sein", erwiderte er. Bevor er allerdings noch mehr sagen konnte, wurde im Flur Gelächter laut und im nächsten Moment kamen die beiden gemeinsam um die Ecke gebogen. "Ha, Du hast mich nicht erwischt!", triumphierte Mokuba, ließ sich auf seinen Platz fallen und streckte seinem Stiefbruder über den Tisch hinweg die Zunge heraus. Ryuuji erwiderte diese Geste mit gleicher Münze, bevor er den Tisch umrundete, seiner Mutter einen kurzen Kuss auf die Wange hauchte und sich dann neben Mokuba setzte – nicht ohne diesen in die Seite zu pieksen und ihn damit zum Quietschen zu bringen. "Würdet ihr Zwei euch bitte benehmen?", rügte Seto und die beiden Schwarzhaarigen sahen ihn unisono mit einem nicht wirklich ernst gemeinten zerknirschten Gesichtsausdruck an. "Natürlich, Nii-san", nuschelte Mokuba zeitgleich mit Ryuujis "Tschuldige, Seto", aber wirklich ernstgemeint klangen beide Entschuldigungen nicht. Unwillkürlich wanderte eine von Setos Brauen in die Höhe. Versuchten die Zwei etwa, ihn zu verschaukeln? Und irrte er sich oder unterdrückten sie beide nur mühsam ein Kichern? Gozaburo, dem die Stimmung seines ältesten Sohnes nicht entging, sah diesen an, doch scheinbar enthielt der Brünette sich jeglichen weiteren Kommentars. "Da jetzt alle da sind, können wir ja endlich essen", murmelte der CEO daher und die drei Jungen nickten beinahe gleichzeitig, bevor sie sich – dieses Mal alle schweigend – ihrem Essen widmeten. Yukiko blickte zwischen den Dreien hin und her und atmete innerlich erleichtert auf. Gut, Setos Laune war im Augenblick vielleicht nicht die allerbeste, aber ganz offenbar verstanden sich wenigstens Ryuuji und Mokuba wirklich gut miteinander. Und ganz sicher würde ihr Sohn sich auch mit seinem älteren Stiefbruder arrangieren – oder vielmehr dieser mit ihm. Jedenfalls schien Seto ihm gegenüber nicht mehr ganz so negativ eingestellt zu sein wie zu Beginn. Nun, sie konnte dem älteren ihrer beiden Stiefsöhne seine Haltung auch nicht wirklich verdenken. Immerhin war ihr Ryuuji nun mal manchmal etwas schwierig – was ihn aber nicht unbedingt zu einem schlechten Menschen machte. Dadurch, dass sein Vater James nun einmal gebürtiger Amerikaner war und er eine Jahreshälfte bei diesem verbrachte, war er eben etwas offener als die meisten Japaner seines Alters. Auch Gozaburo beobachtete seine beiden Söhne und seinen Stiefsohn während des Essens. Besonders auf seinen Ältesten hatte er ein Auge und so entging ihm nicht, dass Setos Blicke immer wieder zu Ryuuji wanderten. Anders als zu Beginn lag in seinen Augen jetzt allerdings keine Abneigung mehr, sondern eher ein seltsamer, undeutbarer Ausdruck. Ganz offenbar gewöhnt er sich langsam an Ryuujis Anwesenheit hier bei uns, dachte der CEO und gestattete sich ein winziges Lächeln. Mokuba war von Anfang an nicht das Problem gewesen. Er hatte wirklich gehofft, dass gerade Seto seine Ablehnung seinem Stiefbruder gegenüber auch noch ablegen würde. Ganz offenbar hatte er das tatsächlich getan – oder war zumindest gerade dabei. Eindeutig ein gutes Zeichen. Nachdem alle mit dem Essen fertig waren, stand Mokuba auf und sah erst seinen neben ihm sitzenden Stiefbruder und dann seinen leiblichen Bruder über den Tisch hinweg bittend an. "Wollen wir uns noch einen Film zusammen ansehen?", fragte er und setzte seinen besten Bettelblick auf – den, dem für gewöhnlich auch sein älterer Bruder nichts entgegenzusetzen hatte. "Von mir aus", gab dieser sich auch gleich leise grummelnd geschlagen. Warum konnte er dem Jungen nur nichts abschlagen, wenn dieser ihn so herzerweichend ansah? Das Letzte, was er selbst jetzt wollte, war, mitansehen zu müssen, wie gut sich sein Bruder und sein Stiefbruder verstanden. Aber jetzt, wo er erst einmal zugesagt hatte, konnte er auch keinen Rückzieher mehr machen. Ryuuji nickte ebenfalls und grinste, als er gleich darauf auch schon von Mokuba gepackt und ins Wohnzimmer geschleift wurde. Dort ließ er sich auf die Couch verfrachten und machte es sich bequem. Vielleicht wollte der Kleine ja wieder wie am Vormittag ein bisschen mit ihm kuscheln. Wirklich abgeneigt, gestand sich der Siebzehnjährige ein, wäre er jedenfalls nicht. Mokuba ließ sich neben seinem Stiefbruder auf die Couch plumpsen und winkte dann seinem älteren Bruder, sich auf der anderen Seite neben ihn zu setzen. Seto, der gerade in einen der Sessel hatte Platz nehmen wollen, seufzte unhörbar und folgte dann der stummen Aufforderung, die sein durchtriebener kleiner Bruder mit einem weiteren Bettelblick gepaart hatte. Verflucht seien diese großen blauen Kulleraugen! Während der Brünette sich auf die freie Seite seines jüngeren Bruders setzte, hielt Ryuuji unbewusst den Atem an. Verdammt, das war nicht fair! So war Seto ihm eindeutig viel, viel zu nah! Nur gut, dass der Kleine zwischen ihnen saß. Solange Mokuba in der Nähe war, würde er schon nichts anstellen. Zumindest hoffte er das für seine Gesundheit. Ein falsches Wort in Setos Richtung wäre sicher ungemein schädlich. Nachdem seine beiden Brüder rechts und links neben ihm saßen, schnappte der Fünfzehnjährige sich die Fernbedienung, schaltete den Fernseher ein und kuschelte sich dann gemütlich zwischen die beiden Älteren. Doch, so ließ es sich leben. Das mussten sie unbedingt öfter machen. Er musste unbedingt öfter seinen Bettelblick auspacken und bei Seto anwenden. Wenn das heute schon geklappt hatte, dann würde es sicher auch in Zukunft klappen. oOo "Gozaburo, komm mal bitte her und sieh dir das an." Yukiko, die leise zur Wohnzimmertür getreten war, winkte ihren Mann zu sich und deutete dann lächelnd auf ihre drei Söhne, die es sich gemeinsam vor dem Fernseher bequem gemacht hatten. Als sie eine Stunde zuvor heimlich nach den Dreien gesehen hatte, war Setos Haltung noch recht verspannt gewesen, aber inzwischen hatte er offenbar ebenfalls eine gemütliche Position eingenommen. Gozaburo legte seiner Frau einen Arm um die Taille und lächelte ebenfalls, als er das Bild sah, dass die drei Jungen boten. Mokubas Kopf lag auf der Schulter seines älteren Bruders, während Ryuuji den Jüngsten ganz offenbar im Nacken kraulte. Setos Arm lag entspannt auf der Rückenlehne der Couch und seine Finger spielten – ob bewusst oder nicht, war nicht ersichtlich – mit einer schwarzen Strähne, die allerdings nicht seinem leiblichen, sondern seinem Stiefbruder gehörte – etwas, was dieser scheinbar nicht bemerkte. "Mir scheint, sie raufen sich langsam zusammen", murmelte der CEO und Yukiko nickte. "Ich glaube, das ist hauptsächlich Mokubas Verdienst." Ihr war nicht entgangen, dass ihr jüngerer Stiefsohn ganz offenbar darauf bestand, sowohl Seto als auch Ryuuji um sich zu haben – eine Tatsache, für die sie dem Fünfzehnjährigen sehr, sehr dankbar war, denn so erhöhten sich die Chancen, dass ihr Junge sich wirklich in seine neue Familie integrierte, ungemein. "Komm, lassen wir sie lieber allein", schlug Gozaburo vor und seine Frau nickte. "Stimmt. Wir sollten sie jetzt nicht stören. Sie scheinen sich gut zu verstehen", erwiderte sie leise und ließ sich von ihrem Mann wegführen. Dabei schmiegte sie sich mit einem glücklichen Lächeln an ihn. Doch, sie war froh, dass sich sowohl für sie als auch für Ryuuji scheinbar alles zum Guten gewendet hatte. Sehr froh sogar. oOo Knapp drei Stunden, nachdem sie sich zum Fernsehen ins Wohnzimmer verzogen hatten, rüttelte Seto seinen kleinen Bruder leicht, denn dieser lag inzwischen so unbequem auf seinem Arm, dass der langsam einschlief. Mokuba grummelte allerdings nur leise irgendetwas Unverständliches und machte keinerlei Anstalten, sich aufzusetzen. Ganz offenbar, stellte Seto mit einem raschen Seitenblick auf seinen Bruder fest, war dieser tief und fest eingeschlafen. "Na toll", murmelte er und versuchte, sich wieder auf den Film zu konzentrieren, doch das fiel ihm ziemlich schwer. Sein ganzer Arm kribbelte mittlerweile und mit jeder verstreichenden Sekunde wurde dieses Kribbeln schlimmer und schlimmer. Bevor er allerdings seinen Bruder doch noch wegschieben und ihn dadurch wecken konnte, verschwand das Gewicht von Mokubas Kopf so plötzlich, dass Seto verwirrt zur Seite blickte – genau in ein Paar grüne Katzenaugen. Ryuuji, der die missliche Lage seines älteren Stiefbruders bemerkt hatte, lächelte diesem zu, nachdem er Mokuba zu sich gezogen hatte. "Besser so?", erkundigte er sich leise, um den noch immer schlafenden Fünfzehnjährigen, der mittlerweile an seiner Schulter lehnte und von seinem nicht ganz freiwilligen Positionswechsel offenbar nichts bemerkt hatte, nicht versehentlich doch noch zu wecken. Seto nickte nur stumm. Er hatte nicht damit gerechnet, dass Ryuuji etwas von seiner Situation mitbekommen hatte. Und noch weniger hatte er erwartet, dass dieser ihm helfen würde. Was ihn allerdings am meisten aus dem Konzept brachte, war das Lächeln, mit dem Ryuuji ihn bedachte. Warum nur hatte er auf einmal das Bedürfnis, ihn so in seinen Arm zu ziehen, wie dieser es gerade mit Mokuba getan hatte? "Ich glaub, der Kleine hier gehört ins Bett", murmelte Ryuuji, dem unter dem durchdringenden, seltsamen Blick aus Setos azurblauen Augen viel zu heiß wurde. "Und wir sollten auch langsam pennen gehen. Morgen ist schließlich wieder Schule", fügte er leise hinzu, denn die Stille war ihm mehr als unangenehm. Musste Seto ihn so ansehen? Das war nicht fair! Hatte er eigentlich eine Ahnung, was er damit anrichtete? Wahrscheinlich nicht. Woher auch?, dachte der Schwarzhaarige seufzend und schüttelte innerlich über sich selbst den Kopf. Er brauchte Ablenkung, und zwar dringend. Ich brauch unbedingt nen Freund. Selbst wenn es nur irgendwas Körperliches ist. Scheißegal. Hauptsache, ich komm bei Seto nicht in Versuchung. Alles in allem war das eine gute Idee. Unglücklicherweise hatte diese ganze Sache einen großen Haken: Woher sollte er auf die Schnelle einen Freund nehmen? Seto war in der Zwischenzeit bereits aufgestanden und hob seinen kleinen Bruder kurzentschlossen von der Couch, nachdem auch ein erneuter Weckversuch nicht gefruchtet hatte. Wenn es gar nicht anders ging, dann würde er den Jungen eben wie früher auch in sein Bett tragen. Inzwischen war Mokuba zwar ein bisschen schwerer geworden, aber bis in sein Zimmer würde er es schon irgendwie schaffen. Ryuuji blinzelte irritiert, als er sah, dass sein älterer Stiefbruder den Kleinen auf die Arme gehoben hatte und ihn ganz offensichtlich nach oben zu tragen gedachte. Da Seto wohl kaum alleine Mokubas Zimmertür würde öffnen können, solange er den Jungen trug, erhob der Schwarzhaarige sich und ging schweigend neben dem Größeren und seiner noch immer schlafenden ›Fracht‹ her. Oben vor Mokubas Zimmer angekommen staunte Seto nicht schlecht, als sein Stiefbruder ihm kommentarlos die Tür öffnete und dann vorging, um schon mal den Pyjama des Kleinen rauszusuchen. Während er selbst seinen Bruder auf dessen Bett legte und ihn auszuziehen begann, reichte Ryuuji ihm kommentarlos den Pyjama an, nahm ihm die andere Kleidung ab und faltete sie ordentlich zusammen, bevor er sie auf einen Stuhl legte. "Gute Nacht, otouto", murmelte Seto leise, nachdem er seinen Bruder umgezogen und zugedeckt hatte. "Nacht, Nii-san", nuschelte Mokuba, ohne richtig wach zu werden. Dadurch entging ihm, dass seine beiden älteren Brüder beinahe zeitgleich schmunzelten. "Schlaf gut, Kleiner", flüsterte auch Ryuuji, doch er bekam keine Antwort mehr, denn der Fünfzehnjährige war bereits wieder im Reich der Träume verschwunden und bemerkte nichts mehr von dem, was um ihn herum vor sich ging. So leise wie möglich, um den Schlafenden nicht versehentlich doch noch zu wecken, verließen die beiden Älteren das Zimmer wieder und Seto zog die Tür vorsichtig ins Schloss. "Der Kleine ist echt süß, wenn er schläft", murmelte Ryuuji und zu seiner eigenen Überraschung ertappte Seto sich dabei, wie er zustimmend nickte. "So hat er schon als Kind ausgesehen, wenn er geschlafen hat", erzählte er und wunderte sich im nächsten Moment über sich selbst. Warum in aller Welt hatte er seinem Stiefbruder etwas derart Privates preisgegeben? Als der Schwarzhaarige ihn jedoch offen anlächelte, vergaß er diese Frage gleich wieder. War das denn auch so wichtig? Immerhin gehörte Ryuuji jetzt ja schließlich irgendwie zur Familie. "Hab ich mir fast gedacht", erwiderte Ryuuji leise und schluckte, denn erst jetzt wurde ihm bewusst, dass er vollkommen alleine mit seinem älteren Stiefbruder im Flur stand. Sofort begann sein Herz, wie verrückt zu rasen, und gleichermaßen geschockt wie belustigt stellte er fest, dass seine Handflächen feucht wurden. Wie lange war es her, dass ihm das das letzte Mal passiert war? "Na ja, wir sollten auch langsam ins Bett gehen, denke ich. Schlaf gut, Seto." Der Angesprochene nickte nur, denn auch ihm war gerade aufgefallen, dass sie ganz alleine waren. Weder ihre Eltern noch Mokuba oder Isono waren im Augenblick in der Nähe. Warum in aller Welt machte ihn diese Tatsache nur so nervös? Der Schwarzhaarige war jetzt ein Teil seiner Familie. Da gab es keinen Grund, nervös zu sein. Rein logisch betrachtet wusste Seto das, aber dennoch musste er sich räuspern, bevor er antworten konnte, weil sein Hals sich wie ausgetrocknet anfühlte. "Das denke ich auch", stimmte er daher zu, sobald er wieder Herr seiner Stimme war. Er blickte Ryuuji nach, als dieser zu seinem Zimmer ging. Wieder gelang es ihm nicht, seinen Blick von ihm zu lösen, aber er konnte sich auch jetzt nicht erklären, woran das lag. "Gute Nacht, Ryuuji." Setos Stimme in seinem Rücken ließ den Schwarzhaarigen innehalten. Hatte der Brünette ihn gerade tatsächlich das erste Mal mit seinem Vornamen angesprochen? Unbemerkt legte der Siebzehnjährige eine Hand auf sein wie wild pochendes Herz. Gut, es war doch kein Traum gewesen. Seto hatte ihn wirklich eben zum ersten Mal ›Ryuuji‹ genannt. "Wünsch ich dir auch. Träum was Schönes, Seto", gab er daher zurück, lächelte den Brünetten noch einmal über seine Schulter hinweg zu und verschwand dann in seinem Zimmer. Hinter sich zurück ließ er einen vollkommen irritierten und überrumpelten Seto, den das eben erhaltene Lächeln so sehr aus dem Konzept gebracht hatte, dass er noch beinahe fünf Minuten brauchte, bevor es ihm gelang, ebenfalls in sein Zimmer zu gehen und in sein Bett zu schlüpfen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)