Brothers von Karma ================================================================================ Kapitel 19: Wieder zu Hause --------------------------- Ryuuji, der auch noch den restlichen Nachmittag und den frühen Abend bei seinem besten Freund verbracht hatte, verabschiedete sich um kurz nach sechs von Katsuya und Bakura und machte sich mit dem Bus auf den Weg zu Mokubas Schule. Immerhin hatte er dem Fünfzehnjährigen versprochen, ihn heute abzuholen, und er stand nun mal zu seinem Wort – ganz egal, wie sehr ihm die Aussicht, Seto gegenübertreten zu müssen, auch zusetzte. Versprochen war nun einmal versprochen und fertig. Als Ryuuji den Parkplatz der Schule, wo der Bus mit den Heimkehrern erwartet wurde, erreichte, war es schon kurz vor sieben. Die kaibasche Limousine stand bereits dort und ein schneller Rundblick zeigte dem Schwarzhaarigen, dass sein Stiefbruder gerade in ein Gespräch mit seinem besten Freund Muto Yami vertieft war. Zum Glück! So hatte er selbst wenigstens noch ein kleines bisschen Schonfrist, ehe er sich mit Seto würde auseinandersetzen müssen. Die Ankunft seines Stiefbruders entging Seto keineswegs, auch wenn er so tat, als bemerke er ihn gar nicht. Dennoch pochte sein verräterisches Herz beim Anblick des Schwarzhaarigen viel zu schnell und viel zu laut – so laut, dass Seto schon befürchtete, jemand könnte es hören. Unwillkürlich straffte er sich und setzte eine noch eisigere Miene auf, was wiederum von Yami nicht unbemerkt blieb. Einen Moment lang wirkte der Bunthaarige irritiert, doch nachdem auch er Otogi Ryuuji erblickt hatte, blitzte in seinen Augen das Verstehen auf. Er hütete sich allerdings, Seto auf seinen Stiefbruder anzusprechen, denn der Brünette sah nicht aus, als würde er auf einen Themenwechsel dieser Art besonders freundlich reagieren. Die Zeit, bis der Bus mit Mokubas Klasse endlich eintraf, verging für Ryuuji geradezu quälend langsam. Er hatte zwar gewusst, dass Seto ihm die Sache mit dem Kleid wohl kaum jemals verzeihen würde, aber so offensichtlich die kalte Schulter gezeigt zu bekommen und mit völliger Ignoranz gestraft zu werden tat wesentlich mehr weh, als er erwartet hatte. Jetzt lass dich davon doch nicht so runterziehen. Verachtung bist du doch nun wirklich gewöhnt, versuchte er sich selbst gut zuzureden, doch das wollte ihm nicht so recht gelingen. Von Menschen, die ihm relativ gleichgültig waren – oder auch von seinen eigenen Großeltern, von denen er eine solche Behandlung schon sein ganzes Leben lang gewohnt war –, so verachtet zu werden war eine Sache. Die Verachtung desjenigen, in den er verliebt war, war jedoch ein ganz anderes Kaliber – und viel, viel schmerzhafter. Aus diesem Grund atmete Ryuuji förmlich auf, als der Bus endlich in Sichtweite kam. Mokuba war zwar unter den Letzten, die ausstiegen, aber sobald er seine beiden Brüder erblickte, begann er, über das ganze Gesicht zu strahlen. "Seto! Ryuuji!", rief er, stürzte auf die beiden zu und warf sich erst dem Brünetten in die Arme, nur um gleich darauf auch den Schwarzhaarigen stürmisch zu umarmen. "Willkommen zu Hause, Kleiner", begrüßte Ryuuji ihn und Mokuba drückte sich einen Moment lang ganz fest an ihn, ehe er ihn wieder freigab und einen Schritt zurücktrat. Dabei huschte sein Blick unwillkürlich zu Ryou, doch der Weißhaarige war vollauf mit der Begrüßung seines Vaters beschäftigt. Trotzdem fühlte Mokuba sich seinem Freund gegenüber schuldig, schüttelte das Gefühl jedoch schnell wieder ab. "Spielst du nachher eine Runde Schach mit mir, Seto?", wandte er sich an seinen älteren Bruder, während Isono sein Gepäck aus dem Bus holte und im Kofferraum der Limousine verstaute. Seto, den diese Frage ziemlich überrumpelt hatte – sein kleiner Bruder spielte nur dann mit ihm Schach, wenn er etwas auf dem Herzen hatte und nicht wusste, wie er sein Problem in Worte kleiden sollte –, nickte nur. "Wenn du willst, gerne, otouto", erklärte er sich einverstanden und Mokuba strahlte ihn an. "Super!", freute er sich, schnappte sich die Hand seines Bruders und schleifte diesen eilig hinter sich her zur Limousine, nachdem er seinen beiden Freunden über die Schulter hinweg noch "Bis Montag dann!" zugerufen hatte. Ryuuji wollte seinen beiden Stiefbrüdern gerade folgen – es noch länger aufschieben zu wollen brachte ja doch nichts –, doch eine zaghafte Berührung an seinem Arm ließ ihn innehalten. "Hm?", fragte er, drehte sich um und fand sich zu seiner Verwunderung Kinoshita Ryou, Bakuras kleinem Bruder, gegenüber. "Ich habe eine Bitte an dich", kam der Fünfzehnjährige gleich zur Sache und eine von Ryuujis Brauen wanderte ein Stück in die Höhe. Was mochte der Junge von ihm wollen? "Ich habe nicht viel Zeit, also … Könntest du meinen Bruder bitten, mich morgen da zu treffen, wo wir früher immer gespielt haben? Er weiß dann schon, wo das ist. Ich kann ihn nicht selbst anrufen, weil mein Vater das nicht erlaubt, aber du bist doch mit Bakura befreundet und da dachte ich …" "Kein Problem", unterbrach Ryuuji den Redeschwall des Weißhaarigen und legte fragend den Kopf schief. "Was soll ich ihm sagen, wann er da sein soll?", wollte er wissen und auf Ryous Lippen legte sich ein erleichtertes Lächeln, in das sich allerdings auch eine Spur Schuldgefühl mischte. Ryuuji war so nett zu ihm und er selbst war seinetwegen ständig so schrecklich eifersüchtig. Eigentlich war das wirklich dumm, aber er konnte einfach nichts dagegen tun. "Um zwei", brachte Ryou etwas belegt heraus und Ryuuji lächelte ihm aufmunternd zu. "Ich ruf ihn gleich an, sobald ich zu Hause bin", versprach er und warf einen raschen Blick zu dem Vater der beiden Weißhaarigen, der sie beide misstrauisch beobachtete. "Und wenn dein Vater fragt, was du von mir wolltest, dann erzählst du ihm einfach, du hättest mich um Nachhilfe gebeten und ich hätte dich für morgen Nachmittag eingeladen, okay?", schlug er vor und Ryou schluckte schwer, denn sein schlechtes Gewissen erdrückte ihn beinahe. "Mache ich. Danke", nuschelte er beschämt und ließ sich von dem Schwarzhaarigen wie am Montag zum Abschied einmal kurz umarmen, ehe er zu seinem Vater zurücksprintete. "Wer war das, Ryou?", wollte dieser auch prompt von ihm wissen. "Und was hast du mit ihm zu schaffen?" "Das ist Mokubas neuer Bruder. Ryuuji", erklärte Ryou, ohne seinen Vater anzusehen. Er war einfach ein entsetzlich schlechter Lügner und wollte um jeden Preis vermeiden, dass sein Vater die Lüge durchschaute, die zu erzählen er plante. "Sein Vater ist Amerikaner und da dachte ich … Wir schreiben doch nächste Woche eine Englischklausur, also habe ich Ryuuji gefragt, ob er mir ein paar Dinge erklären würde. Er hat gesagt, ich kann morgen Nachmittag zum Lernen zu ihm kommen", schloss er seine Ausführungen und betete zu allen Göttern, die ihm einfielen, dass seine Worte glaubhaft genug geklungen hatten, um seinen Vater zu täuschen. Satoru warf seinem Sohn einen missbilligenden Blick zu. "Du weißt, dass ich es ganz und gar nicht schätze, wenn du dich so kurzfristig verabredest", erinnerte er und Ryou rutschte das Herz in die Hose. Die nächsten Worte seines Vaters ließen ihn jedoch innerlich erleichtert aufatmen. "Aber da es um die Schule geht, werde ich dieses eine Mal eine Ausnahme gestatten", sagte dieser nämlich, runzelte dann jedoch die Stirn. "Warum hat er dich umarmt?", wollte er wissen und Ryou lächelte ein wenig verlegen. "Das macht er bei allen. Ich glaube, in Amerika ist das so üblich." Dessen war er sich zwar keineswegs sicher, aber zu seiner Erleichterung ließ sein Vater das Thema ruhen und erkundigte sich stattdessen nach dem Verlauf der Klassenfahrt. oOo "Was wollte Ryou denn gerade von dir?" Neugierig sah Mokuba seinen Stiefbruder an, der erst mit etwas Verspätung in die Limousine gestiegen war und Seto und ihm gegenüber Platz genommen hatte. Ryuuji zwang sich ein freches Grinsen ins Gesicht, das es zumindest nach außen hin tatsächlich schaffte, seine Nervosität zu kaschieren. "Er hat mich nur gebeten, ihm einen kleinen Gefallen zu tun", antwortete er dann, lieferte allerdings keine weitere Erklärung und stürzte damit unwissentlich seine beiden Stiefbrüder in ein heilloses Gefühlschaos. Mokuba befürchtete halb, dass dieser Gefallen mit ihm zu tun hatte, und Seto konnte nicht aufhören, sich zu fragen, was für einen Gefallen Ryuuji Kinoshitas kleinem Bruder wohl tun konnte, dass der Schwarzhaarige so überaus zufrieden aussah. Dass diese Zufriedenheit nur vorgetäuscht sein könnte, kam Seto gar nicht in den Sinn. Gemeinsam stiegen die Drei vor der Kaiba-Villa wieder aus der Limousine und gingen ins Esszimmer, während Isono Mokubas Gepäck in sein Zimmer brachte und schon mal mit dem Auspacken begann. Das Abendessen verging unter Mokubas fröhlichem Geplapper recht kurzweilig. Ausführlich schilderte der Fünfzehnjährige seinen Brüdern die vergangene Woche, sparte jedoch alles, was am heutigen Tag geschehen war, großzügig aus. Ryuuji bemerkte davon nichts, Seto hingegen fiel es sehr wohl auf. Also, dachte er bei sich, war irgendwas von dem, was heute passiert war, der Grund für Mokubas Frage nach einer Schachpartie. Nun, das gab ihm zumindest schon mal eine grobe Richtung für das Gespräch, das ihm wohl unweigerlich bevorstand. Gleich nach dem Abendessen entschuldigte Ryuuji sich damit, dass er noch etwas zu erledigen hatte, verließ das Esszimmer und ging nach oben in sein Zimmer. Dort schnappte er sich sein Handy, suchte aus dem Telefonspeicher die Nummer seines besten Freundes und rief diesen an. Es dauerte jedoch eine geraume Weile, bis vom anderen Ende der Leitung ein atemloses "Ja?" ertönte, das den Schwarzhaarigen ungewollt zum Schmunzeln brachte. "Klingt, als hättest du gerade Spaß gehabt", stellte er fest und lachte über das gegrummelte "Blödmann!", das er zur Antwort bekam. "Aber deshalb ruf ich gar nicht an, Kats. Und eigentlich wollte ich auch nicht dich sprechen, sondern Bakura, also reich mich doch mal bitte weiter, ja?", bat er dann und hatte kaum fünf Sekunden später auch schon den Weißhaarigen an der Strippe, der hörbar erstaunt war über den Anruf. "Was gibt's denn?", wollte er wissen und Ryuuji hockte sich erst einmal bequem auf sein Bett, ehe er antwortete. "Dein kleiner Bruder hat mich vorhin gebeten, dir was auszurichten", ließ er Bakura wissen und versuchte zu ignorieren, dass das Kleid, das ihm so viel Unglück gebracht hatte, noch immer zusammengeknüllt am Fußende des Bettes lag. "Und zwar möchte Ryou sich morgen Nachmittag um zwei mit dir treffen – da, wo ihr früher immer gespielt habt. Er meinte, du wüsstest schon, wo das ist." "Klar weiß ich das", gab Bakura zurück, schob noch ein "Ich werde da sein" hinterher und beendete dann gleich das Gespräch, ohne eine Verabschiedung abzuwarten. "Dir auch einen schönen Abend, Bakura", kommentierte Ryuuji dieses Verhalten grinsend, schüttelte den Kopf und legte sein Handy beiseite. Dann stand er wieder auf, schloss seine Zimmertür ab und machte sich daran, sein Unglückskleid endlich zu reparieren, damit er es danach in der hintersten Ecke seines Kleiderschranks verstecken und seine Existenz am besten gleich komplett vergessen konnte. oOo Kaum dass Ryuuji das Esszimmer verlassen hatte, sprang Mokuba ebenfalls auf und hetzte förmlich hinüber ins Wohnzimmer, um schon mal das Schachspiel aufzubauen. Seto folgte ihm etwas langsamer und nahm seinem kleinen Bruder gegenüber Platz. "Ich nehme Schwarz", verkündete Mokuba überflüssigerweise – er spielte grundsätzlich Schwarz, wenn er mit seinem Bruder spielte – und Seto nickte ihm kurz zu, ehe er den Eröffnungszug machte. Im Gegensatz zu sonst spielte Mokuba dieses Mal ausgesprochen unkonzentriert. Normalerweise bemühte er sich redlich, seinem immer sehr kühl und überlegt spielenden Bruder so hart wie nur irgendwie möglich zuzusetzen, aber nicht heute. Heute war er ganz offensichtlich nicht recht bei der Sache, sondern träumte die ganze Zeit vor sich hin. So war es kaum verwunderlich, dass Seto ihn in weniger als einer halben Stunde mit Leichtigkeit besiegt hatte – ein Sieg, auf den der Brünette keineswegs stolz war, denn er hätte genauso gut gegen eine Marionette spielen können. "Du warst überhaupt nicht bei der Sache, otouto", tadelte er deshalb und seufzte, denn sein Bruder blinzelte ihn an, als sähe er ihn zum allerersten Mal. "Was ist los mit dir?" Diese Frage entlockte Mokuba seinerseits ein abgrundtiefes Seufzen. Während der gesamten Schachpartie hatten sich seine Gedanken unaufhörlich um das gedreht, was im Aquarium geschehen war. Der Fünfzehnjährige wusste, dass er für seine Verhältnisse gerade wirklich grottenschlecht gespielt hatte, aber das konnte er jetzt nicht mehr ändern. "Tut mir leid, Nii-san. Ich …", entschuldigte er sich bei seinem Bruder, brach aber ab, ohne seinen Satz zu beenden, und schüttelte stattdessen den Kopf. Er konnte einfach nicht mit Seto über das sprechen, was ihm widerfahren war. So lieb Mokuba seinen Bruder auch hatte, dieser erschien ihm einfach nicht der richtige Ansprechpartner in dieser Sache zu sein. Er wollte jetzt keine Belehrungen hören, sondern lieber einen Rat, der ihm wirklich weiterhelfen konnte. Und in Bezug auf solche Dinge war von Seto nun mal leider nicht allzu viel zu erwarten. Mokuba war sich nicht mal sicher, ob sein älterer Bruder überhaupt schon mal verliebt gewesen war. Solche Themen hatte es zwischen ihnen noch nie gegeben und der Fünfzehnjährige wusste nicht, ob er das ausgerechnet heute ändern wollte. "Ist schon okay. Ich gehe in mein Zimmer." Seto blickte seinem kleinen Bruder irritiert nach, als dieser fast schon überhastet das Wohnzimmer verließ und die Treppen hoch polterte. Was war das denn?, fragte er sich, fand jedoch keine Antwort. Da es allerdings, wie er aus Erfahrung wusste, auch nichts bringen würde, Mokuba jetzt zu folgen und ihn zu bedrängen, schob er seufzend die Schachfiguren wieder auf ihre Anfangspositionen und begann dann damit, eine Partie gegen sich selbst zu spielen – hauptsächlich, um sich von seinen Gedanken abzulenken, die sich jetzt, wo er alleine war, ungebeten wieder einstellten und ihm seine mühsam erkämpfte Ruhe zu rauben drohten. oOo Ein leises, fast schon zaghaftes Klopfen an seiner Zimmertür ließ Ryuuji verwundert aufhorchen. "Ryuuji? Kann ich reinkommen?", hörte er Mokuba von draußen fragen. Dabei klang der Fünfzehnjährige so ungewohnt schüchtern, dass er sein Kleid, das er gerade hatte weghängen wollen, eilig in den Schrank stopfte und dann gleich seine Zimmertür aufschloss, um den Jungen hereinzulassen. Mokuba sah aus wie ein Häufchen Elend – ein Anblick, der Ryuuji dazu veranlasste, ihm einen Arm um die Schultern zu legen und ihn so zu seinem Bett zu dirigieren. "Was ist denn los, Kleiner?", erkundigte er sich und der Fünfzehnjährige seufzte abgrundtief, ehe er sich fast schon ein bisschen schutzsuchend an seinen Stiefbruder kuschelte. "Ryou hat mich geküsst", nuschelte er undeutlich in dessen Hemd und Ryuuji zog fragend eine Augenbraue hoch. "Hab ich das richtig verstanden? Hast du gerade wirklich gesagt, Ryou hätte dich geküsst?", hakte er nach und Mokuba nickte, ohne ihn anzusehen. Stattdessen verbarg er sein hochrot glühendes Gesicht an der Brust des Anderen. "Ja", gab er dabei kaum hörbar zu und Ryuujis Augen wurden groß. Kinoshita Ryou, der auf ihn bei ihren wenigen Treffen immer so einen ruhigen und schüchternen Eindruck gemacht hatte, hatte Mokuba tatsächlich einfach so geküsst? "Wow!" Das erklärt auch, warum er sich morgen mit seinem Bruder treffen will, ging es Ryuuji durch den Kopf. Wenn das wirklich passiert war, dann war Mokuba sicher nicht der Einzige, der deshalb vollkommen durcheinander war. Ryou ging es im Augenblick bestimmt nicht viel besser. "Wie wär's, wenn du mir einfach von Anfang an erzählst, was passiert ist?" Der sanfte Tonfall seines Stiefbruders in Verbindung mit den Fingerspitzen, die ihm beruhigend über den Rücken streichelten, sorgte dafür, dass Mokuba sich langsam wieder ein bisschen entspannte. Trotzdem dauerte es noch fast fünf Minuten, bis er sich von Ryuuji löste und sich traute, ihm ins Gesicht zu sehen. Noch immer waren seine Wangen gerötet, aber da Ryuuji ihn nicht auslachte, sondern ihn nur aufmunternd ansah, atmete Mokuba noch einmal tief durch und wappnete sich innerlich für das, was er zu tun gedachte. "Das … Es ist heute Mittag passiert. Wir – also Yuugi, Ryou und ich – waren im Aquarium, weil wir bis zur Heimfahrt noch Freizeit hatten, und da … Also, wir haben uns erst ganz normal unterhalten und dann hab ich gesagt, dass ich mich ja auf heute Abend und morgen freue, weil Seto, du und ich ja noch ein bisschen sturmfrei haben. Und dann … Irgendwann meinte ich dann, dass wir Drei ja morgen noch mal zusammen nach Seaworld gehen könnten – oder dass du und ich vielleicht alleine gehen könnten, wenn Seto keine Lust dazu hat. Und da hat Ryou dann … Er hat gesagt, er mag es nicht, dass ich immer so viel von dir spreche. Und dann hat er noch gesagt, dass er dich zwar mag, aber dass er mich viel lieber hat. Und dann hat er … mich eben ge … geküsst. Und Yuugi hat mir danach erzählt, dass Ryou schon ganz lange in mich verliebt ist und dass er deinetwegen eifersüchtig ist, weil ich dich doch so gern hab, und … Was soll ich denn jetzt machen?" Ryuuji, der seinen Stiefbruder absichtlich nicht unterbrochen hatte, zog den Jungen wieder in seinen Arm, sobald dieser geendet hatte. Armer Kleiner, dachte er dabei und meinte damit Mokuba ebenso wie Ryou. Ihm taten die beiden Jungen leid, denn ganz sicher war Ryou mit der ganzen Situation ebenso überfordert wie Mokuba, der sich geradezu verzweifelt an ihn klammerte und sogar leise zu schniefen begonnen hatte. "Shh. It's okay, Mokuba. It's gonna be alright", versuchte Ryuuji, seinen Stiefbruder zu trösten. Sanft wiegte er ihn ein wenig hin und her und strich ihm dabei immer wieder zärtlich über den Rücken – so lange, bis Mokubas Schultern aufhörten zu beben. Dann schob er ihn ein Stück von sich weg und wischte ihm erst mal die Tränen von den Wangen, ehe er ihn fragend ansah. "Bist du denn auch in Ryou verliebt?", wollte er wissen und Mokuba zog in einer hilflosen Geste die Schultern hoch. "Ich … weiß nicht", nuschelte er. "Ich bin so durcheinander. Yuugi hat gesagt, ihm ist das schon vor Monaten aufgefallen, aber ich hab nie was gemerkt und irgendwie … Ich hab ein ganz schlechtes Gewissen. Ich meine, Ryou ist einer meiner beiden besten Freunde und ich kriege nicht mal mit, dass ihn so was beschäftigt. Das ist ganz schön bescheuert, oder?", fragte er kleinlaut, doch Ryuuji schüttelte den Kopf. "Das ist überhaupt nicht bescheuert", widersprach er und lächelte Mokuba aufmunternd an. "Du kannst doch keine Gedanken lesen. Ich bin sicher, Ryou weiß das auch. Er ist dir bestimmt nicht böse, dass du nichts gemerkt hast." Dass dem Weißhaarigen das wahrscheinlich sogar lieber gewesen war, verschwieg Ryuuji vorsichtshalber. Damit wollte er seinen Stiefbruder wirklich nicht belasten. Der Kleine hatte auch so schon genug zu verarbeiten. "Meinst du?" Mokuba atmete unwillkürlich auf, als Ryuuji nickte. Wenn Ryou nicht sauer auf ihn war, dann war alles gut – zumindest fast, denn ein Problem blieb: Wie sollte er sich am Montag verhalten, wenn er Ryou das nächste Mal sah? "Aber was soll ich ihm denn sagen?", wollte er von seinem Stiefbruder wissen und dieser deutete ein Achselzucken an. "Die Frage kann ich dir nicht beantworten. Das kann niemand außer dir selbst. Du musst selbst wissen, wie deine Gefühle für Ryou aussehen", gab er zurück, lehnte sich mit dem Rücken an die Wand hinter seinem Bett und zog Mokuba so zu sich, dass dieser sich rücklings an ihn lehnen konnte. Dann legte er seine Arme locker um den Jungen und lächelte, als dieser sich wieder an ihn kuschelte. "Am besten, du nimmst dir etwas Zeit, um gründlich darüber nachzudenken, und sprichst dann in aller Ruhe mit ihm. Nur spiel nicht mit seinen Gefühlen. Das hat Ryou nicht verdient", riet Ryuuji und Mokuba schüttelte sofort den Kopf. "Das würde ich nie tun. Ryou ist schließlich mein Freund", erwiderte er ernst und brachte seinen Stiefbruder damit wieder zum Lächeln. Eine Weile schwieg der Fünfzehnjährige und genoss einfach nur die Umarmung, dann drehte er sich ein wenig, so dass er seinen Stiefbruder über seine Schulter hinweg ansehen konnte. "Warst du schon mal verliebt?", erkundigte er sich neugierig und Ryuuji seufzte unhörbar. Na wunderbar!, dachte er ironisch. Diese Frage hatte ja kommen müssen. Womit hatte er das eigentlich verdient? "Ja", beantwortete er Mokubas Frage trotzdem ehrlich, beschloss aber, diesem lieber nichts von seinen Gefühlen für Seto zu erzählen. Wenn der Junge sich versehentlich verplapperte, dann konnte das nur peinlich und unangenehm führ ihn werden. "Aber bevor du jetzt fragst, ob das bei Mädchen anders oder sogar einfacher ist: Das weiß ich nicht. Ich hab mich bisher immer nur in Jungs verliebt", fuhr Ryuuji fort und seufzte erneut. Da ging es hin, das Versprechen, seiner Mutter keinen Ärger zu machen und niemandem in seiner neuen Familie von seiner sexuellen Orientierung zu erzählen. Aber jetzt war es zu spät. Vor Seto hatte er sich immerhin am Vorabend schon in der Hitze des Gefechts geoutet; da war es ja wohl nur fair, wenn er es Mokuba auch selbst erzählte, ehe der Fünfzehnjährige es von seinem großen Bruder erfuhr. "Echt?" Mokubas Augen wurden nach diesen Worten seines Stiefbruders groß und kugelrund. "Das heißt, du bist …", setzte er an, schaffte es aber nicht, seine Vermutung laut auszusprechen, denn Ryuuji kam ihm zuvor. "Schwul", beendete er den Satz des Jungen und nickte. "Ja, das bin ich", bestätigte er noch einmal verbal und wartete, doch das, was er befürchtet hatte – dass Mokuba von ihm abrücken oder gar aufstehen und gehen würde –, geschah nicht. Der Fünfzehnjährige drehte sich zwar ein bisschen, um ihn besser ansehen zu können, blieb aber ansonsten, wo er war. "Und wie … Ich meine, w-wie ist das, verliebt zu sein … in einen Jungen?", fragte er zögerlich, bekam jedoch erst einmal nur ein diffuses Achselzucken zur Antwort. "Ich schätze, es ist wohl nicht viel anders als bei einem Mädchen. Nur ein bisschen komplizierter vielleicht. Immerhin wirst du schon sehr schräg angesehen, wenn du in der Öffentlichkeit die Hand eines anderen Jungen hältst oder ihn sogar küsst. Manche Leute beschimpfen dich nur, andere schlagen sogar zu. Schön ist das nicht, aber man lernt, damit zu leben", erzählte er dann und registrierte zu seinem Erstaunen, dass es jetzt Mokuba war, der ihm tröstend über den Arm streichelte. "Das ist sicher schlimm", vermutete der Fünfzehnjährige und Ryuuji verkniff sich mühsam ein Seufzen. Er wollte dem Kleinen keine Angst machen, aber es brachte auch nichts, etwas zu beschönigen. "Manchmal schon, ja", gestand er deshalb und versuchte, das bittere Lächeln nicht auf seine Lippen zu lassen, doch diesen Kampf verlor er. "Manchmal möchtest du einfach nur alle, die dich schief ansehen, anschreien, dass sie sich gefälligst aus deinem Leben raushalten sollen. Aber solange du Menschen hast, die hinter dir stehen, ist alles nur halb so schlimm. Klar, wenn du dich outest, verlierst du eventuell Freunde und, wenn es ganz schlimm kommt, vielleicht sogar Teile deiner Familie, aber das ist nicht immer so. Meine Eltern sind beispielsweise ganz gut damit klargekommen, als ich ihnen gesagt hab, dass sie von mir besser keine Enkelkinder erwarten sollten", versuchte er zu witzeln, um die Stimmung wieder etwas aufzulockern, doch darauf ging Mokuba nicht ein. "Deine Eltern wissen davon?", versicherte er sich stattdessen des Gehörten und Ryuuji nickte. "Ja. Ich hab's ihnen erzählt, nachdem ich mir ganz sicher war. Mum war anfangs etwas geschockt, aber sie hat sich damit arrangiert. Mein Dad war weitaus weniger begeistert, aber nach ein paar Wochen Bedenkzeit hat er sich auch damit abgefunden", antwortete er und blinzelte verblüfft, als Mokuba sich nach kurzem Zögern wieder an ihn schmiegte. "Ha-Hattest du schon mal einen Freund?", wollte er leise wissen und Ryuuji nickte wieder. "Ja, hatte ich. Von meinem letzten Freund hab ich mich ungefähr einen Monat vor meinem Rückflug nach Japan getrennt. Und meinen allerersten Freund hatte ich letztes Jahr hier", erzählte er und schmunzelte ganz leicht, als er die Neugier in den blauen Augen seines Stiefbruders sah. "Weißt du, der erste Junge, in den ich mich je verliebt hab, war mein bester Freund", ließ er den Jungen wissen und dessen Augen wurden noch größer. "Katsuya?", fragte er nach und Ryuuji grinste ihn kurz an, ehe er ihm einen Arm um die Schultern legte und sich dann gemeinsam gemütlich auf dem Bett ausstreckte. "Ganz genau. Kats und ich waren fast vier Monate zusammen, aber dann ist uns beiden klargeworden, dass uns unsere Freundschaft wichtiger war. Seitdem sind wir einfach nur noch Freunde." "Das …" Mokuba war vollkomme baff – und zugegebenermaßen auch verdammt neugierig. "Wie hast du das gemerkt? Ich meine, dass du in Katsuya verliebt warst?", bohrte er nach und Ryuuji grinste ihn an. "Das ist eine ziemlich lange Geschichte." Und auch eine, die nicht unbedingt jugendfrei war. "Aber die Kurzfassung ist, dass ich irgendwann gemerkt hab, dass ich ständig an Kats denken musste. Irgendwann hab ich angefangen, mich zu fragen, wie es wohl wäre, ihn zu küssen" – und noch ganz andere Dinge mit ihm zu tun, aber das stand jetzt hier nicht zur Debatte – "und weil wir uns eigentlich immer alles erzählt haben, hab ich ihm irgendwann auch das gesagt. Zu meinem Glück hatte er das gleiche Problem wie ich, also haben wir beschlossen, das mit dem Küssen gleich mal auszuprobieren." Von dem, was danach kam, ganz zu schweigen. "Das hat uns beiden so gut gefallen, dass wir uns einig waren, dass wir das öfter machen wollten. Und von da an waren wir dann zusammen." Die Erinnerung an diese Zeit brachte Ryuuji zum Lächeln. Diese vier Monate waren wirklich schön gewesen. "Es ist ein bisschen schade, dass es nicht gehalten hat, aber ich war einfach nicht der Richtige für Kats. Und er war auch nicht der Richtige für mich." "Hast du … Bist du denn jetzt gerade auch verliebt?" Mokuba wagte nicht, seinen Stiefbruder bei dieser Frage anzusehen, denn sein Gesicht glühte schon wieder. Ihm war durchaus bewusst, dass er Ryuuji mit seiner Fragerei vielleicht auf die Nerven ging, aber gegen seine Neugier war er einfach machtlos. Dieses Thema interessierte ihn brennend. Und so lange sein Stiefbruder ihn nicht rauswarf, war es doch sicher okay, weiter nachzufragen, oder? Ryuuji seufzte unhörbar, nickte aber trotzdem. "Unglücklich zwar, aber ja, ich bin gerade verliebt. In wen ist allerdings meine Sache. Darüber möchte ich nicht sprechen, okay?", stellte er klar und nun war es an Mokuba, beinahe schon hektisch zu nicken, obwohl ihm seine Neugier geradezu ins Gesicht geschrieben stand. Dennoch akzeptierte er Ryuujis Bitte und verlegte sich auf allgemeinere Fragen, die sein Stiefbruder ihm geduldig und ausführlich beantwortete. Dass es noch jemanden gab, der ihr Gespräch heimlich mitverfolgte, bemerkten die beiden Schwarzhaarigen nicht. oOo Seto brach seine Schachpartie gegen sich selbst nach knapp zwanzig Minuten ab, denn nun war es seine eigene Konzentration, die stark zu wünschen übrig ließ. Nachdem er zwei Mal hintereinander mit Weiß gezogen hatte, gab er auf, schob seufzend das Schachbrett beiseite und stand auf, um nach oben zu gehen. Möglicherweise war Mokuba ja mittlerweile so weit, dass er doch über das reden wollte, was ihn beschäftigte. Für diesen Fall wollte der Brünette da sein – nicht ganz uneigennützig, wie er zugeben musste, denn er hatte die leise Hoffnung, dass ein Gespräch mit seinem kleinen Bruder ihn vielleicht von seinen eigenen quälenden Gedanken ablenken würde. Auf sein Klopfen an Mokubas Tür hin tat sich jedoch nichts und nachdem er noch einmal geklopft hatte, drückte er die Klinke herunter und warf einen Blick in das Zimmer, das zu seinem Erstaunen jedoch leer war. Als Seto begriff, was das bedeutete – dass sein kleiner Bruder sich nämlich höchstwahrscheinlich im Zimmer ihres Stiefbruders aufhielt –, knirschte er mit den Zähnen. Mit ihm wollte Mokuba also nicht über seine Probleme sprechen, aber mit Ryuuji schon oder wie? Hatte er jetzt, wo Ryuuji da war, etwas auch gleich als großer Bruder ausgedient oder was hatte das zu bedeuten? Reichlich angesäuert ging Seto zum Zimmer seines Stiefbruders hinüber und wollte anklopfen, ließ seine Hand jedoch untätig sinken. Einen Moment lang blieb er unschlüssig im Flur stehen, doch dann gab er sich einen Ruck und öffnete so leise die Tür, dass die beiden Schwarzhaarigen nichts davon mitbekamen. Innerlich schalt Seto sich für die Verletzung der Privatsphäre, die er hier gerade beging, aber dieses eine Mal war seine Neugier stärker als seine Vernunft – besonders, als er auch noch den Namen ›Katsuya‹ aufschnappte. Wieso in aller Welt unterhielten sein Bruder und sein Stiefbruder sich bitteschön über diese elende blonde Nervensäge Jounouchi? Die Antwort auf diese Frage bekam Seto schneller und auch eindeutiger, als ihm lieb sein konnte. "Wie hast du das gemerkt? Ich meine, dass du in Katsuya verliebt warst?", wollte Mokuba nämlich gerade in diesem Moment wissen und Seto hielt unwillkürlich den Atem an, um auch nur ja kein Wort von dem zu verpassen, was sein Stiefbruder sagte. Ryuujis Antwort ließ den Brünetten seine Hand so fest um die Türklinke krampfen, dass seine Knöchel weiß hervortraten. Der fast schon zärtliche Tonfall Ryuujis, als er über die Beziehung zu dem blonden Kläffer sprach, brachte alles in Seto zum Brodeln. Am liebsten hätte er seine Ohren vor dem verschlossen, was er zu hören bekam, aber das konnte er nicht. Und ein kleiner Teil von ihm wollte auch unbedingt bleiben und auch noch den Rest hören. Wenn er schon lauschte, dann konnte er das auch bis zum bitteren Ende tun – zumindest solange ihn niemand dabei ertappte. So wenig es ihm auch gefiel, was er zu hören bekam, Ryuujis Bemerkung, er sei nicht der Richtige für Jounouchi gewesen und dieser sei im Umkehrschluss auch nicht der Richtige für ihn, war Musik in Setos Ohren. Als Ryuuji jedoch auf Mokubas Nachfragen hin bestätigte, im Augenblick unglücklich verliebt zu sein, landete der Brünette äußerst unsanft wieder auf dem Boden der Tatsachen. Für ihn war es absolut offensichtlich, dass sein Stiefbruder noch immer Gefühle für Jounouchi hatte. Dazu passte schließlich auch, dass er das Kusstalent des Blonden am vergangenen Abend erst so hoch gelobt hatte. Höchstwahrscheinlich behielt Ryuuji seine Gefühle nur für sich, weil Jounouchi jetzt schließlich eine Beziehung mit Kinoshita hatte. Diese Erkenntnis – dass sein Stiefbruder auch nach einem Jahr noch immer in seinen ›besten‹ Freund verliebt war – war für Seto unerwartet schmerzhaft. Und erst jetzt, als ihm klar wurde, dass es für ihn keine Chance gab, gestand er sich auch endlich vor sich selbst ein, dass er sich bezüglich seiner Gefühle für Ryuuji den ganzen Tag über selbst belogen hatte: Er war noch immer in seinen Stiefbruder verliebt – eine Tatsache, die so unumstößlich war, dass er um ein Haar laut aufgelacht hätte. Das tat er jedoch selbstverständlich nicht. Stattdessen zog er sich einfach nur ungesehen zurück, schloss die Tür leise hinter sich und ging hinüber in sein eigenes Zimmer. Dort ließ er sich auf sein Bett fallen, schloss die Augen und erlaubte sich ein absolut uncharakteristisches, abgrundtiefes Seufzen. Wie er es auch drehte und wendete, er würde sich damit abfinden müssen, dass er Ryuuji von vornherein verloren hatte. Aber warum in aller Welt musste diese Gewissheit so verdammt wehtun? oOo "Du, Nii-chan, kommst du morgen mit ins Museum?" Ohne anzuklopfen platzte Yuugi in das Zimmer seines Bruders, doch dieser hatte ihn gar nicht gehört. Seine Anlage lief, er trug Kopfhörer und starrte blicklos aus dem Fenster in die Dunkelheit – ein Anblick, der Yuugi mehr als seltsam vorkam. Sein Bruder war zwar schon den ganzen Tag ungewöhnlich still und in sich gekehrt gewesen, doch dabei hatte der Fünfzehnjährige sich nicht allzu viel gedacht. Jetzt jedoch wurde ihm klar, dass Yami ganz offenbar ein Problem hatte, denn eine andere Erklärung gab es für sein seltsames Verhalten einfach nicht. "Nii-chan?" Zaghaft zog Yuugi seinem Bruder die Kopfhörer von den Ohren und lächelte entschuldigend, als Yami daraufhin erschrocken zusammenzuckte. "Ich wollte dich nicht erschrecken, Nii-chan. Eigentlich wollte ich dich nur fragen, ob du morgen mit ins Museum kommen willst, aber das ist jetzt nicht so wichtig. Was ist los mit dir, Nii-chan?", erkundigte er sich besorgt und Yami seufzte leise, ehe er sich ein schmales Lächeln abrang. "Ich muss morgen zu Seto, Otogi die Unterlagen von heute vorbeibringen. Seto und er haben Streit und ich bezweifle, dass Seto Otogi darüber informiert, welche Hausaufgaben wir bekommen haben", gab er zurück und Yuugi runzelte die Stirn. "Das ist ja schön und gut, aber das hat doch nichts mit dir zu tun, Yami", wies er seinen älteren Bruder auf das Offensichtliche hin. "Mir ist egal, was Seto für ein Problem hat. Ich möchte wissen, was mit dir los ist", stellte er dann klar und Yami seufzte erneut. Wie sollte er seinem kleinen Bruder erklären, was mit ihm nicht stimmte? Seit er entdeckt hatte, wie es um seine Gefühlswelt bestellt war, hatte er dieses Geheimnis streng gehütet – zumindest bis er Anfang der Woche mit Seto darüber gesprochen hatte. Aber wie sollte er seinem jüngeren Bruder begreiflich machen, dass er sich nicht im Geringsten für Mädchen interessierte? Was würde der Junge wohl von ihm denken, wenn er es erfuhr? "Nichts", probierte Yami es, doch ein Blick in die violetten Augen seines Bruders zeigte ihm deutlich, dass Yuugi ihm nicht glaubte. Und so, wie dieser ihn ansah, war klar, dass er selbst um eine richtige Erklärung nicht herumkam. "Liebeskummer", gab er deshalb seufzend zu und Yuugi rutschte zu ihm aufs Bett. "Das tut mir leid, Nii-chan", murmelte er, schmiegte sich tröstend an seinen großen Bruder und sah diesen dann von unten herauf fragend an. "Geht es um Masaki aus deiner Parallelklasse?", wollte er wissen und Yami schüttelte den Kopf. Dabei legte sich die Andeutung eines Schmunzelns auf seine Lippen, das jedoch gleich wieder verblasste. "Nein, nicht Masaki. Ich … Es geht überhaupt nicht um ein Mädchen", wich er einer direkten Antwort aus und Yuugi ließ ihn los, um sich ihm gegenüber auf die Matratze knien und ihm in die Augen sehen zu können. "Du bist also in einen Jungen verliebt?", hakte er nach und Yami nickte langsam. "Und in wen?", wollte Yuugi wissen, bekam jedoch wieder keine direkte Antwort. "Stört dich das denn nicht?", erkundigte Yami sich verwundert und der Fünfzehnjährige schüttelte den Kopf. "Nein, gar nicht. Warum denn auch? Es ist doch deine Sache, in wen du sich verliebst", gab er altklug zurück und entlockte seinem Bruder damit zumindest ein leichtes Schmunzeln. "Außerdem bist du nicht der Einzige, den ich kenne, der in einen anderen Jungen verliebt ist", fuhr Yuugi fort und grinste, als Yami ihn überrascht ansah. "Aber das erzähle ich dir erst, wenn ich die Antwort bekommen habe, die du mir noch schuldest", trumpfte der Fünfzehnjährige auf und Yami gab sich seufzend geschlagen. Dabei konnte er sich ein weiteres Schmunzeln allerdings nicht so ganz verkneifen. Sein kleiner Bruder wusste ganz genau, wie er ihm die Informationen, die er haben wollte, aus der Nase ziehen konnte. "Durchtriebenes Früchtchen", titulierte Yami den Jüngeren und kniff diesem spielerisch in die Nase, ehe er wieder zum Thema zurückkehrte. "Kinoshita. Kinoshita Bakura, um genau zu sein", gestand er dann zum zweiten Mal einem anderen Menschen seine Gefühle für seinen weißhaarigen Klassenkameraden und sprach gleich weiter, ohne seinen Bruder zu Wort kommen zu lassen. "Ich weiß, dass er kein Interesse an mir hat. Er weiß auch nichts von meinen Gefühlen. Als ich es bemerkt habe und endlich genug Mut aufgebracht hatte, um es ihm zu sagen, war es schon zu spät. Es gibt einen Anderen, der ihm sehr wichtig ist", spielte er auf Jounouchi Katsuya an, ohne den Namen des Blonden zu nennen, und betete inständig, dass sein Bruder nicht weiter nachbohren würde. Über diese ganze Sache zu sprechen war auch so schon nicht einfach. "Das tut mir leid für dich, Nii-chan." Yuugi, dem nicht entging, wie sehr das alles seinen Bruder mitnahm – die Traurigkeit in seinen Augen war einfach nicht zu übersehen –, rutschte wieder näher zu Yami und nahm ihn in den Arm, denn er wusste nicht, wie er ihn sonst trösten sollte. Normalerweise war sein großer Bruder immer der Stärkere von ihnen beiden, aber im Augenblick, schien er mal eine Schulter zum Anlehnen zu brauchen. Und wenn dem so war, dann wollte er ihm diese Schulter bieten. Yami sollte wissen, dass er immer auf seinen kleinen Bruder zählen konnte, wenn er ihn brauchte. Er sollte spüren, dass er nicht alleine war, wenn es ihm schlecht ging. "Danke, Yuugi", murmelte Yami in die dreifarbige Haarpracht seines jüngeren Bruders und drückte diesen ein bisschen fester an sich. Es tat gut, einfach mal in den Arm genommen und so getröstet zu werden. Das änderte zwar rein gar nichts an seinen Gefühlen für seinen weißhaarigen Klassenkameraden, aber es war dennoch beruhigend zu wissen, dass sein kleines Wiesnäschen Yuugi ihn jetzt nicht anders sah als vor seinem Geständnis. Solange wenigstens sein kleiner Bruder und sein bester Freund zu ihm standen und ihn nicht für seine Gefühle verurteilten, war der Rest der Welt erst mal nicht ganz so wichtig. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)