Die andere Seite des Monds von Augurey ================================================================================ Kapitel 8: Severus' Dämonen ---------------------------   Severus starrte auf die Tür, starrte auf sie als wollte er Kraft seiner Blicke Zeichen ins Holz brennen. Nur langsam kühlte die Glut in seinen Adern ab, verrauchte sein Zorn. Sein Zorn auf sich selbst. Warum zum Bowtruckle hatte er es sich auch so leicht machen wollen wie bei Creeveys Koboldsteinspiel und hatte sich auf die Verlockung eingelassen, ein Opfer von zehn Minuten könnte ihn von weiteren lästigen Besuchen verschonen? Was hatte der verlauste Werwolf hier unten überhaupt verloren?! Und was bei Merlins Bart hatte ihn, Severus, dazu getrieben, ihn auf Blacks mörderischen Streich anzusprechen und in seinen Kopf einzudringen,  nachdem seine Bereitschaft, das stärkste Wahrheitsserum einzunehmen, schon Bände gesprochen hatte?!   Die Eieruhr schellte und Severus biss die Zähne zusammen. Er konnte nicht ertragen, was er im Geist seines alten Feindes gelesen hatte. Nicht etwa, dass Lupin ihn in aller Dreistigkeit belogen hatte. O nein, die Sache war viel schlimmer: Der Herr Kollege war absolut ehrlich gewesen. Seine Weste durch und durch und durch rein und er unschuldig wie der junge Morgen. Wäre es nicht sein Büro gewesen und hätte er den Dreck nicht eigenhändig verschwinden lassen müssen, Severus hätte auf den Boden gespuckt. Lupins Unwissenheit in dieser Sache war das Letzte, was er gebrauchen konnte. Er hatte die Wahrheit gesehen und hasste sie. Er wollte die Augen davor verschließen und konnte nicht leugnen, was so offensichtlich war.  ‚Nun aber sind James und Peter tot und Sirius sollte in Askaban sitzen‘, tönten die Worte in seinem Kopf. Ja, die drei hatten ihren Preis bezahlt für ihre Verderbtheit. Doch nichts, nichts davon wog auf, was sie Severus angetan hatten. Sieben Jahre! Sieben Jahre „Schiefelus“-Rufe auf dem Schulhof und dreckiges Gelächter, sieben Jahre übertrumpft und in den Schatten gestellt werden; sieben Jahre Flüche in den Korridoren, feige aus dem Hinterhalt geschossen!  Eine ganze Schulzeit in einem unfairen Krieg, über dessen Verbrechen noch kein Zaubergamot gerichtet hatte, die lediglich fein säuberlich notiert in alten Tagebüchern verstaubten. Und am Ende auch noch Lilys Ja-Wort! Es waren Wunden, die noch immer brannten als wären sie erst frisch ins Fleisch geschnitten worden. Und es blieb nur einer, für den Severus noch eine gerechte Strafe fordern konnte; einer, den er für die Taten aller büßen lassen, den er zur Rechenschaft ziehen und dem er die Hölle heiß machen konnte. Einer, der unschuldig war! Zum Teufel! Wie sollte man so jemanden zum Richtblock führen, ohne die eigene Weste zu besudeln? Mit dem Gefühl in die eigene Falle gegangen zu sein, wandte Severus sich schließlich ab und holte eine Flasche Goldlacktinktur aus dem Regal. Das kühle Glas schmiegte sich wohltuend an seine Handflächen und er besann sich allmählich wieder. Diesmal hatte er aufs falsche Pferd gesetzt. Doch hatte er eine Karte auch verloren - sei sie auch sein größten Trumpf - sieben Jahre waren eine lange Zeit und Lupin hatte sich vieles zu Schulden kommen lassen, das Severus ihm vorwerfen konnte. Zudem war er ein Werwolf und Werwölfe sollten nicht an einem Ort voll unausgebildeter Zauberer frei herumspazieren dürfen und zur Gefahr für Leib und Leben werden!   Mit diesem versöhnlichen Gedanken hatte Severus gerade begonnen all die Essenzen und Sude, die eingelegten Drachenmilzen, Froschaugen, Gingsteralgen und Modsteinpulver hinüber ins Labor zu schaffen als es an der Kerkertür abermals klopfte. Mit einem gereizten Schnauben ließ er die Zutaten auf der Arbeitsplatte zwischen dem Destillator und den Bezoaren zurück und stapfte wieder zum Büro. Was wollte dieser verfluchte Mondanheuler denn jetzt noch?! Doch es war gar nicht Lupin, der im Halbschatten eines Zauberstablichts vor seiner Tür wartete. „Guten Abend, Severus, darf ich reinkommen?“, fragte der Schulleiter höflich, während sich vom Türbalken eine Spinne abseilte und über die Krempe seines Spitzhuts das Weite suchte. Für einen Moment sah Severus ihn überrascht an. „Natürlich, Herr Direktor“, erwidert er dann und ließ seinen Vorgesetzen eintreten. „Was gibt es, Dumbledore? Ich bin sehr beschäftigt gerade“, fuhr er fort als die geschlossene Türe hinter ihnen von der steifen Höflichkeit befreite. Albus holte tief Luft. „Da Sie wegen Ihres auswärtigen Termins an der gestrigen Abendkonferenz nicht teilnehmen konnten, wollte ich Sie eigentlich über die neusten Sicherheitsvorkehrungen informieren. Nachdem Sirius Black in Dethtown gesichtet wurde und es anzunehmen ist, dass er sich der Schule weiter nähern wird, haben wir beschlossen noch größere Vorsicht walten zu lassen“. Dumbledore fuhr fort damit, die Konferenz zusammenzufassen und wies darauf hin, dass jeder Lehrer aufgefordert sei, dem Schulleiter sofort Bericht zu erstatten, sollten ihm vor dem Tagespropheten Auffälligkeiten zu Ohren kommen. Doch Severus hörte nur mit halbem Ohr zu. Da Albus den Tag über außer Haus gewesen war und niemand hatte absehen können, wann er zurückkehren würde, hatte McGonagall ihm schon am frühen Morgen im Lehrerzimmer alles erzählt. Ein Wort aber erregte seine Aufmerksamkeit. „Eigentlich, Dumbledore?“, unterbrach er seinen Vorgesetzten scharf. Albus betrachtete beiläufig die Regale als werfe er nur einen kurzen Blick aus dem Fenster, um das Wetter für einen Spaziergang abzuschätzen. „Ich bin auf der Treppe Professor Lupin begegnet“, gestand er gelassen und ohne Umschweife. Für einen Wimpernschlag starrte Severus seinen Mentor an, spürte wie die Worte sich nadelgleich in seinen Gehörgang bohrten. Dann wirbelte er herum und bugsierte die restlichen Einmachgläser in eine Holzkiste, hastig und energisch wie es der Glut seiner neu aufflammenden Wut entsprach. „Und? Welche Lügen hat er Ihnen aufgetischt?!“, zischte er. „Soweit ich es beurteilen kann, keine einzige“, kam eine ruhige Erwiderung von Dumbledore, dessen Gestalt er nur noch als verschwommener Schatten im Augenwinkel wahrnahm. Severus schnaubte. War ja klar! Das ehrwürdige Mitglied des Phönixordens, der ach so zahme Werwolf, hatte bei Albus natürlich einen besonderen Stein im Brett, genauso wie Potter, sein Goldenes Kalb. Ihn dagegen, den ehemaligen Todesser, der froh sein sollte ein Dach über dem Kopf zu haben, ließ er Staub fressen. Severus brauchte keine Sibyll Trelawney, um zu wissen was nun folgen würde: Eine Standpauke über die Notwendigkeit der Vergebung, gewürzt mit ein paar rätselhaften, nichtsnutzigen Weisheiten. Ein Fußtritt in den Magen!   „Severus…“, säuselte Albus auch schon wie zum Beweis.   Mit giftigen Blicken sah Severus auf, schleuderte dem Schulleiter darin seinen Zorn entgegen und errang zumindest den Sieg eines Seufzers. Kurz trafen sich ihre Augen, dann trat Dumbledore still an ihm vorbei zum Pult und nahm auf jenem Hocker Platz, wo zuvor der feine Kollege gesessen hatte. „Ich bin nicht hier, um für Remus Partei zu ergreifen“, erklärte er ruhig. Severus fixierte ihn erneut mit bohrendem Blick. „Wozu dann, Dumbledore?“, erwiderte er und verkniff sich gerade noch ein höhnisches ‚Achja?!‘ Albus antwortete nicht sofort. Er atmete tief ein wie jemand, der sich für eine lange Erklärung sammelt. „Wegen dir, Severus“, sprach er dann, „Um dir einen Gefallen zu tun. Um dich davor zu bewahren, einen Fehler zu begehen, der dir selbst am Ende mehr Schaden zufügen wird als Remus Lupin.“ Das Licht der Lampe auf dem Pult umspielte das faltige Gesicht, ließ den Bart geisterhaft leuchten und für Augenblick herrschte Schweigen.   „Wenn Sie mir einen Gefallen tun wollen, Dumbledore“, ergriff Severus das Wort und zwang sich zu einem ruhigen Ton, „Dann schmeißen Sie ihn raus. Er ist eine Gefahr für die Schule, für Potter! Sie wissen, wie gut er mit Black befreundet ist!“ „War“, korrigierte Albus ihn wie aus der Pistole geschossen, „Diese Freundschaft liegt mehr als eine Dekade zurück. Sie zählt nicht mehr seit Blacks‘ Verrat. Remus steht auf unserer Seite und er ist vertrauenswürdig. Ich glaube nicht, dass von ihm irgendeine Gefahr ausgeht“. Severus spürte Gift und Galle aufschießen. Dumbledores Worte waren wie Peitschenhiebe. Alle Wunden brachen wieder auf, alle Erinnerungen wirbelten in seinem Kopf durcheinander.   „Keine Gefahr?! Er und seine feinen Freunde wollten mich umbringen! Sieben Jahre, Dumbledore, sieben haben sie mir das Leben zur Hölle gemacht. Aber das zählt ja nicht, nicht wahr?! Es geht ja nur um diesen kleinen, dreckigen Slyth-“ „-Unsinn!“, widersprach Dumbledore in unmissverständlicher Heftigkeit. Dann schloss er für einen Moment die Augen und wirkte sichtlich erschöpft. Als er fortfuhr hatte sein Ton die alte Milde zurückgewonnen. „Ich will deinen Schmerz nicht leugnen, Severus. Die Vergangenheit lastet manchmal erdrückend schwer auf uns. Umso mehr wenn wir jeden Moment der Gegenwart dem alten Mosaik hinzufügen anstatt zu versuchen ihn im Licht seiner Zeit zu betrachten und seinen wahren Kern zu erkennen.“   Er legte eine Gedankenpause ein. Sein Blick schien in weite Ferne zu schweifen. Dann schüttelte er den Kopf und stand auf. „Remus‘ Bedauern über eure Feindschaft erscheint mir aufrichtig. Nichtsdestotrotz sehe ich, dass der Stachel wohl noch zu tief sitzt als dass meine Worte viel bewirken könnten. Darum will ich dich fürs Erste nicht länger von deiner Arbeit abhalten, die so wichtig für dich ist.“ Ein trauriges Lächeln, das schon im Keim wieder erstickte, stahl sich über die alten Lippen und in den blauen Augen spiegelte sich schwere Wärme. Wortlos wandte er sich ab und schritt in Richtung Ausgang davon. Kurz vor der Tür aber hielt er plötzlich inne.     „Eine Sache vielleicht noch, Severus“, nahm er den Faden wieder auf und wandte sich dabei den Regalen zu. Während er weitersprach strich er mit seinen langen Fingern über einen der alten Flakons, die dort aufgereiht waren und musterte ihn eindringlich. „Den Hass zu konservieren hat noch nie ein Problem gelöst. Er ist kein Heiltrank, sondern ein Gift, das schleichend beide Seiten vernichtet. Ich habe keinen Zweifel, dass Remus nicht die geringste Absicht hegt, das Unrecht, das dir widerfahren ist, kleinzureden.“ Dann plötzlich drehte er sich ein letztes Mal um, sah Severus durchdringend in die Augen. „Jeder hat verdient, einen alten Fehler wieder gut zu machen. Gib ihm eine Chance, Severus, zu deinem eigenen Besten. Einen schönen Abend!“ Und mit diesen Worten war der Schulleiter von Hogwarts gegangen.   Im Zimmer zurück blieb Severus – reglos, zu Stein erstarrt, getroffen vom ehrlichen Mitgefühl in Dumblesdores Blicken,  Gesten und den nachdrücklichen Worten, die ihn umschwirrten wie Fledermäuse. Wie jedes Mal nach solchen Gesprächen mit Albus nagte das Gefühl einer tiefen Verunsicherung an ihm. Was hatte er ihm durch die Blume sagen wollen? Welches Rätsel hatte er ihm diesmal zu knacken mitgegeben? Verunsichert und tief ins Grübeln versunken kehrte Severus ins Labor zurück. Eine undurchdringliche Stille empfing ihn: Kein Brodeln des Kessels, keine Maus in den rissigen Mauern, nur das stete Wispern seiner eigenen Gedanken. Er wollte seinen Zauberstab ziehen und endlich das Feuer unter dem Destillator entfachen. Doch in diesem Moment spürte er wieder, was er seit Stunden verdrängte: Die Schwere in seinen Gliedern; die Mattigkeit, die seine Lider niederdrückte; das dumpfe Gefühl in seinem Kopf, wenn er versuchte, sich zu konzentrieren. Es waren zwei lange Tage gewesen und aus irgendeinem Grund gelang es ihm nicht mehr, den Anzeichen der Erschöpfung zu trotzen. Einen Augenblick noch betrachtete er all die Zutaten, die er für sein Experiment herbeigebracht hatte. Dann, mit einem gezielten Handgriff schlug Severus das Buch mit der  Kinderschrift zu, schloss es ab und legte es zusammen mit den Bezoaren zurück in die Pressspankiste mit dem Aufdruck ‚Merlin Akademie, Zaubertränkische Fakultät‘. Mit einem Gemurmelten ‚Nox‘ erloschen die beiden Fackeln in den Nischen und Severus schleppte sich durch die Dunkelheit hinüber ins Schlafzimmer. Kälte zog unter dem Türschlitz hindurch und umfloss seine nackten Füßen auf den Fliesen, während er sich das Nachthemd überstreifte. Als er sich ins Bett legte, sah er Dumbledore noch immer vor sich. Neville Longbottoms Gesicht mischte sich auf einmal hinzu und hinterließ einen bitteren Nachgeschmack. Zähneknirschend wandte Severus sich um, versuchte seinen Geist zu leeren und einzuschlafen. Doch das Bild verfolgte ihn bis in seine Träume... Das Lehrerzimmer. Longbottom mit angestrengter Miene, schwingt den Zauberstab. Da, hinter ihm: Remus Lupin, ein gehässiges Grinsen im Gesicht. „Los, setz ihm den Geierhut auf, steck ihn ins Kleid. Auf, mach ihn fertig! Lass ihm zum Gespött der ganzen Schule werden, damit wir alle unseren Spaß haben“, feuert er den Jungen an. „Oh gib ihm eine Chance, er meint es nicht so!“, säuselt irgendwo eine Stimme. Das Lehrerzimmer verschwimmt, Korridore tauchen aus dunklem Nebel. Herzschlag, Atemringen. Severus rennt. Seine Zauberstabhand ist leer. ‚Expelliarmus‘, tönt es noch in seinen Ohren, sein Arm schmerzt. ‚Na, was ist denn, Schniefelus, so feige?‘ Jemand lacht - alles lacht. Severus dreht sich um. Vier Gesichter bauen sich vor ihm auch: Potter, Black, Pettigrew, Lupin. Er will etwas Fieses erwidern, doch Heiserkeit schnürt seine Kehle zu, presst heiße Tränen in seine Augen. Lupin starrt ihn ohne eine Regung an. „Oh, gib ihm eine Chance, er hat es verdient!“,  säuselt die Stimme. Der Korridor löst sich auf, formt die Bibliothek. Buchreihen über Buchreihen. Folianten schwer auf dem Arm. Plötzlich Schritte. Ein Kichern. Jungenstimmen. Dann - zu schnell - eine Bewegung. Die Bücherwände schwanken, die Bücher fallen zu Boden. Verschleierter Blick, der Kopf schwillt an, weiter und weiter. Dann plötzlich ein Ruf, die Worte nicht vernehmbar. Der Blick kehrt zurück. Da steht er: Remus Lupin, den Zauberstab gezogen.   „Oh, gib ihm eine Chance, er ist ein wahrer Engel“, säuselt die Stimme. Szenen über Szenen überschlagen sich. Ein fliegender Wechsel. Die Peitschende Weide, der Hogwartsexpress, das Quidditchfeld, der Baum am See; Rufe, Flüche, Stimmen, Gelächter, Schimpfworte, Zauberstäbe, ein Ruck in die Höhe, ein zerrissener Umhang, ein gestelltes Bein. „GIB IHM EINE CHANCE! GIB IHM EINE CHANCE!“, säuselt die Stimme immer lauter, immer grotesker, tausendfach wiederhallend, wie ein Echo: Eine Chance, eine Chance, eine Chance!   „Nein, nein, NEIN!“, keuchte Severus und spürte im Halbschlaf wie kalte Tränen über sein Gesicht rannen. Sein eigenes Röcheln weckte ihn mehr und mehr. Schlaftrunken rappelte er sich auf, fuhr halb liegend, halb sitzend im Bett herum. Suchte Dumbledores Gestalt in der Dunkelheit seiner Zimmerecken. Suchte ihn, um ihn anzuschreien: „Siehst du, was er mir antut? Verdammt noch mal, siehst du es denn nicht?!“ Doch Albus war nicht da. Nicht hier, nicht dort, nirgendwo. Nichts als schwarze Leere. Stöhnend glitt Severus zurück, presste sein Gesicht gegen das harte Kissen und seinen Körper auf die kalte Matratze. Alles tat ihm weh, so weh. Das Bett war eine Pritsche und die Einsamkeit lastete wie ein nasses Laken auf ihm. Zitternd vor Kälte schlug Severus die dünne Decke um seine Knie, während die Oktoberkühle lautlos durchs Mauerwerk sickerte. Und nur von Ferne flüsterte eine leise Stimme: Kann ich dir etwas anbieten. Ein Glas Wasser oder einen Tee vielleicht? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)