Im Fluss der Zeit von Isa-tama ================================================================================ Kapitel 2: Entdeckung --------------------- Die Stelle befand sich auf erhöhtem Terrain, etwa 500 Meter von der eigentlichen Grabungsstätte entfernt. Unterwegs begann Sivila mit ihren Ausführungen: „Es hat ziemlich lange gedauert, bis wir auf etwas gestoßen sind. Wir mussten wirklich jeden Zentimeter absuchen. Den Boden, die Bergwände, einfach alles. Wir wollten schon aufgeben, aber dann ist jemandem eine bröcklige Stelle im Berg aufgefallen. Als er begonnen hat sie auszuheben, stellte sich heraus, dass irgendwann einmal eine Vertiefung in diese Stelle hineingehauen worden sein muss. Jedenfalls ist sie nicht unter natürlichen Umständen entstanden, dafür ist sie viel zu sauber bearbeitet. Ihr werdet gleich sehen, was ich meine.“   Der Platz war eine kleine, geebnete Fläche auf dem Berghang. Ein kleiner Teich plätscherte vor sich hin, der Wind ließ die Blätter des einsamen Baumes rascheln. Sobald wir angekommen waren, kam auch schon Lakus auf uns zu. Er war ein junger Orni, der noch in niedrigem Semester studierte und für sein Feldphasenpraktikum an meiner Ausgrabung teilnahm. Ich bemerkte sofort, wie aufgeregt er war, auch wenn er sich größte Mühe gab es zu verbergen. Er wollte wohl professionell wirken. Es war auf jeden Fall irgendwie niedlich. Es erinnerte mich ein wenig an mich selbst, als ich gerade mein Studium begonnen hatte. Sivila sagte: „Lakus war derjenige, der die Vertiefung entdeckt hat. Hat sich denn etwas ergeben?“ Er sagte: „J-ja, denke ich. Also, ich habe das gesamte Geröll entfernt und das sieht für mich jetzt wie eine Nische aus. Darin ist eine runde Vertiefung, ich denke mal das bedeutet, dass da mal etwas gestanden haben muss. Und an der hinteren Wand ist ein Symbol, das ist aber schon ziemlich verblasst. Ich konnte es kaum erkennen, habe es mir aber auch noch nicht genau ansehen können.“   Mein Herz machte einen Luftsprung. Das waren verdammt gute Neuigkeiten! Manori grinste mich von der Seite an. Er sagte: „Ich habe doch gesagt, dass du dir keine Sorgen machen musst.“ Ich lächelte zurück und richtete meine Aufmerksamkeit auf Lakus. Ich sagte: „Gute Arbeit. Führe mich bitte dort hin, ja?“ Der Orni nickte eifrig und ging voraus. Offensichtlich hatte mein Lob seine Wirkung auf ihn. Kein Wunder, sein erstes Mal in Aktion und er hatte schon etwas entdeckt. Das war immer ein tolles Gefühl.   „Hier ist es“, sagte Lakus und deutete auf die Stelle. Ich pflichtete ihm bei, es war definitiv eine Nische. Ich drückte Manori meine Kaffeetasse in die Hand, dann näherte ich mich. Ich ließ meine zitternden Hände die Wände entlang laufen. „Sivila, du hast Recht“, sagte ich. „Das ist eindeutig handgemacht. Die Wände hier scheinen feingeschliffen zu sein. Außerdem ist die Nische als perfekter Quader konstruiert, mal abgesehen von den vorderen Unebenheiten wegen dem Bergabhang. Und diese Vertiefung hier…“ Ich ließ meine Finger die kreisförmige Senke entlang gleiten. „Lakus, was denkst du darüber?“ Verdutzt starrte er mich an: „Äh, ich?“ „Natürlich“, sagte ich und lächelte ihm zuversichtlich zu. „Du hast die Entdeckung gemacht, also will ich auch deine Meinung hören.“ „Na gut, ähm.“ Zögerlich kam er näher. Ich ließ ihm etwas Platz, damit er es sich genauer ansehen konnte. „Ich denke, das ist der Platz für einen Opferkelch. Die Shiekah haben ja in ihren Kultstätten oft Opferkelche aufgestellt, auch in Nischen und so. Die Vertiefung dient dazu, den Platz dem Gegenstand fest zuzuweisen.“ Ich nickte. „Sehr gut. Da wir sowieso davon ausgehen, dass sich hier eine Sakralstätte befindet, ist die Annahme eines Opferkelches die naheliegendste. Stellt sich nur die Frage, warum der Kelch nicht an seinem Platz ist. Wenn die Stätte einfach vergessen worden und die Nische von dem Berggeröll zugeschüttet worden wäre, müsste der Kelch noch an Ort und Stelle sein.“ Manori klinkte sich ein und sagte: „Aus irgendeinem Grund ist der Kelch also entwendet worden. Vielleicht Räuber. Oder die Stätte wurde aufgegeben und der Kelch kam an anderer Stelle zum Einsatz.“ Ich sagte: „Welchen Grund es auch hat, es ist in jedem Fall schade.“   Schnell markierte ich die Fundstelle auf der Karte, die an mein Klemmbrett geheftet war, und zog im Anschluss meinen Shiekah-Stein hervor, um ein Foto zu machen. Anschließend sorgte ich mit dem Gerät für etwas Licht, um mir das Symbol an der hinteren Nischenwand, von dem Lakus zuvor gesprochen hatte, genauer anzusehen. Es war tatsächlich bereits verblasst, dass es einmal farblich hervorgehoben war ließ sich bloß noch an wenigen weißen Farbresten erkennen. Doch die Umrisse waren in das Gestein eingeritzt, sodass man zumindest die grobe Form erahnen konnte. Die äußere Form des Zeichens wies eindeutig auf jenes der Göttin Nayru hin, doch in der gegebenen Gesamterscheinung war es höchst selten anzutreffen. Im Zentrum befand sich eine Sanduhr. Ich schnappte nach Luft. Vielleicht war das hier wirklich eine große Entdeckung. Manori bemerkte meine Reaktion. Er fragte: „Was ist? Was ist mit dem Symbol?“ „Ich weiß nicht, ob ich das glauben kann. Schau es dir selbst an.“   Er warf einen Blick darauf und seine Reaktion war ähnlich. „Die Göttin der Zeit?“, fragte er ungläubig. „Wie bitte?“, fragte Sivila und betrachtete es ebenfalls. „Bei den Göttinnen!“, rief sie aus. „Das ist eine Sensation!“ Lakus schien ein wenig verloren. Er fragte: „Göttin der Zeit? Was ist damit?“ Ich antwortete: „Die Göttin der Zeit ist im Grunde bloß eine der Erscheinungsformen von Nayru. Nayru verkörpert, wie du vielleicht weißt, vielerlei. Vor allem Weisheit, Vernunft, aber eben auch Wasser. Gerade bei den Zoras wird sie dafür besonders verehrt. Aus dem Wasserattribut hat sich bald die Zugehörigkeit zur Zeit entwickelt, da diese sich wie Wasser im stetigen Fluss befindet.“ „Ja, das wusste ich“, sagte Lakus. „Aber warum ist das dann so eine Entdeckung?“ „Nun, auch wenn Nayru als Herrin der Zeit gilt, ist es höchst selten, dass sie bloß in ihrer Funktion als Göttin der Zeit verehrt wird. In dieser Erscheinungsform wird sie auch Nayru Temporis genannt.“ Manori meldete sich zu Wort und sagte: „Du musst verstehen, in ganz Hyrule ist derzeit nur eine Stätte bekannt, die gänzlich der Nayru Temporis gewidmet ist. Das hier ist wahrlich eine Entdeckung und vielleicht der Beweis dafür, dass der Kult um sie weitrechender ist, als ursprünglich angenommen!“ „Achso“, sagte Lakus begeistert. „Wie krass!“   Wir lachten ein wenig. Besser hätte ich es nicht ausdrücken können. Dann wandte ich mich Sivila zu und sagte: „Ich möchte, dass du mit genaueren Analysen beginnst. Ich brauche Fotos, Zeichnungen und ein genaues Protokoll über den Befund und die Arbeit, die hier vorher stattgefunden hat.“ Sie nickte und sagte: „Kein Problem, mache ich sofort. Ich hoffe, ich kann weiterhin auf deine Unterstützung zählen, Lakus?“ Wenn Orni erröten könnten, würde er das nun vermutlich. Sichtlich verlegen sagte er: „K-klar, natürlich!“   Manori drückte mir meine Kaffeetasse wieder in die Hand. „Willst du diese Untersuchungen nicht selbst machen? Ich sehe doch, dass es dir in den Fingern juckt.“ „Das mag schon sein“, sagte ich sehnsüchtig und trank einen Schluck. Mittlerweile war das Getränk leider schon ordentlich abgekühlt, aber es war auch nicht mehr viel vorhanden. Den Rest würde ich noch trinken können. Ich sagte: „Aber ich muss wieder zurück zum restlichen Team und die Lage begutachten. Und ich will mich bei Zeria über den Stand ihrer Ergebnisse informieren. Ich habe immer mehr das Gefühl, dass die Probe auf das hinausläuft, was wir bereits vermutet haben. Außerdem muss ich bald mit meinem Bericht für den heutigen Tag beginnen.“ „Nun, immerhin hast du jetzt etwas Aufregendes für den Bericht.“   Auf dem Weg zurück diskutierten wir, was uns spontan zu dem Befund einfiel. Manori fragte: „Was denkst du, wer das hier errichtet haben könnte? Wahrscheinlich Shiekah, vermute ich.“ Ich nickte und sagte: „Mit Sicherheit. Wenn ich es noch richtig in Erinnerung habe, gab es einen Stamm der Shiekah, der sich neben der Verehrung zu Hylia gänzlich der Nayru Temporis gewidmet hat. Von diesem stammt ja auch die andere Stätte.“ „Wir werden es sicher wissen, wenn der Fels sich als Shiekah-Konstruktion herausstellt. Ich bin gespannt, ob Zeria schon etwas entdeckt hat.“ „Und ich erst.“ Ich konnte meine Aufregung nicht länger verbergen. „Manori, ich glaube es fast gar nicht. Die Nayru Temporis! Das ist so gut wie unerforschtes Gebiet, wir können hier so viel herausholen. Wenn wir Glück haben, befindet sich hinter dem Felsen ein ganzer Tempel mitten im Berg. Mit dem Fund könnten wir ganze Bücher füllen! Ich fasse es nicht!“ Manori lachte. „Ich sage ja immer, etwas Optimismus macht sich hin und wieder bezahlt. Ich frage mich nur…“ „Was?“, hakte ich nach, als er eine kurze Sprechpause eingelegt hatte und nicht weitersprach. „Na, es ist doch seltsam. Mit diesen Felsen wurden bisher fast nur fehlgeschlagene Konstruktionen der antiken Shiekah-Völker versteckt, die damals hätten gefährlich werden können. Meistens waren es fehlerhafte Wächtermodelle oder Waffen oder sowas. Aber weshalb sollte man ein Heiligtum der Nayru Temporis verstecken? Heiligtümer werden aufgegeben, das stimmt, aber gleich vollkommen versteckt? Mit voller Absicht? Was könnte dahinter stecken?“ „Wir wissen ja noch gar nicht, ob es wirklich ein Shiekah-Fels ist. Es könnte auch einfach nur Geröll sein, das vom Berg gerutscht ist.“ „Das mag sein. Aber die Nische im Berg wurde auch verschüttet. Und der Opferkelch ist weg. Das sind einige Zufälle. Wenn unsere Theorie stimmt frage ich mich einfach, was die Shiekah so unbedingt vor der Welt verstecken wollten? Und was hat das mit der Nayru Temporis zu tun?“ „Wir stehen noch ganz am Anfang“, sagte ich. „Spekulationen hin oder her, ob hier wirklich etwas Gefährliches verborgen liegt wissen wir erst, wenn wir den Felsen endlich losgeworden sind.“ „Ja, du hast Recht.“ Aber ich konnte keinesfalls leugnen, dass mir seine Bedenken keine Sorgen machten.   Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)