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When the Sky Darkens

von

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THE FARMER

Sie kamen in der Nacht.

Scheinbar eins mit der Finsternis, die sich über Westeros gelegt hatte, erreichten die Geräusche zuerst das kleine Dorf, in dem in einigen Fenstern noch Licht von entzündeten Kerzen flackerte. Gelegentliches Grunzen wurde vom Wind herbeigetragen, ebenso wie Schritte, welche die Erde erzittern ließen, Knurren und das Schleifen von Metall auf dem unebenen Boden.

Der alte Farmer, der zusammen mit seinem Sohn eines der Häuser bewohnte, entdeckte die unförmigen Gestalten als erstes, als sie über das Dorf herfielen.

Mit ihrer Ankunft schien auch die Nacht finsterer zu werden und die Dunkelheit, die bis eben noch von einem halben Mond erhellt worden war, wurde mit einer undurchdringlichen Schwärze gefüllt, die verdorrtes Gras und tote Bäume hinter sich zurückließ.

Ein Schrei steckte in der Kehle des Farmers, als die Gestalten, einige hochgewachsene und einige furchtbar klein, durch die Tür brachen und über sie herfielen, als sich eine verrostete Axt in seinen Magen grub. Es raubte ihm den Atem, als er auf die Knie sank und nach Luft schnappte.

Die Wesen besaßen groteske Fratzen und schuppenartiges, mutiertes Fleisch, während einige von ihnen lederne Rüstungen trugen, die zerfressen und uralt wirkten. Eines von ihnen öffnete den Mund so weit, dass er in den Rachen des Wesens blicken konnte, bevor ein schriller Laut seine Trommelfelle zum Platzen brachte und die Axt aus seinem Körper gerissen wurde.

Schwärze umfing ihn, als er nach vorn fiel und sein Blut sich auf dem Holzboden ausbreitete.
 


 

JON

Nach all den Geschehnissen der letzten Jahre hatte Jon angenommen, dass man sich an alles gewöhnen konnte. Inzwischen war er sich jedoch nicht mehr ganz so sicher, denn selbst nach all diesen Monaten des Friedens hatte er sich noch immer nicht an das schwere Metall der Krone auf seinem Kopf gewöhnt. Genauso wenig war der königliche Titel oder der unbequeme Eiserne Thron vertrauter geworden. Jon hatte gedacht, dass der mit Leichen gepflasterte Sieg über den Nachtkönig und anschließend auch über Cersei Lannister und ihre Armee die Welt ein wenig farbenfroher für ihn erscheinen lassen würde.

„Eure Majestät?“

Doch stattdessen wirkte noch immer alles grau und trostlos, obwohl der Wiederaufbau von King’s Landing gut voranging. Der Palast hatte den Angriff ihrer Armee unbeschadet überstanden, doch das Gleiche konnte man nicht von den Dörfern oder den Häfen an der Küste behaupten. Letztere waren im Kampf von Eurons Flotte und Daenerys Drachen komplett ruiniert worden, wodurch der Handel eingeschlafen war.

„Eure Majestät.“

All das hatte Jon nicht mit eigenen Augen gesehen, denn er war an diesen begehrten Stuhl gefesselt, in diesem Palast gefangen, in den er nie hatte Fuß setzen wollen. Wie genau ihn Varys und Tyrion nach Danys Tod im Kampf gegen Cerseis Armee dazu gebracht hatten, seinen angeblich rechtmäßigen Thron zu akzeptieren, war ihm auch heute noch ein Rätsel.

„Jon“, rief dieselbe vertraute Stimme, die ihn davor bereits angesprochen hatte, doch ihn erst bei dem Ausruf seines Namens aus seinen Gedanken holte.

Jon blinzelte und hob ruckartig den Kopf, um Sam anzuvisieren. Sein Freund stand vor dem Thron und hielt einen kleinen Zettel in der Hand, den ein Rabe ihm heute früh gebracht hatte.

„Es tut mir leid, Sam“, sagte Jon und ein Seufzen lag auf seinen Lippen, welches er jedoch hinunter schluckte. „Was sagtest du?“

Das schmale, zaghafte Lächeln auf den Lippen seines besten Freundes sagte ihm jedoch, dass dieser ihn gut genug kannte, um es auch so zu erahnen.

Sam räusperte sich, bevor er den Blick wieder bedeutungsschwer auf die Nachricht senkte. „Für gewöhnlich würde ich dem nicht so viel Aufmerksamkeit schenken, aber dies ist nun schon die fünfte Nachricht dieser Art, die uns ereilt. Scheinbar gab es vor einigen Tagen einen Angriff auf ein kleines Dorf in der Nähe von Riverrun.“ Ein Beben ging durch Sams stämmigen Körper, denn selbst nach all den White Walkers, die sie bekämpft und getötet hatten, hatte sich Sam seine Unschuld und seine Herzlichkeit erhalten und es rang Jon trotz der schlechten Nachrichten ein müdes Lächeln ab.

„Das Dorf ist vollständig zerstört“, fuhr Sam unbeirrt fort. „Sämtliche Einwohner wurden... abgeschlachtet. Es soll aussehen, als sei eine kleine Armee einmarschiert, die alle umgebracht hat. Alles ist tot. Laut der Nachricht sogar... die Landschaft.“ Er hob den Blick, doch Jon sah in Sams Augen dieselbe Verständnislosigkeit, die auch er fühlte.

„Ich verstehe nicht“, sagte Jon und lehnte sich auf dem Eisernen Thron nach vorn, die Stimme senkend, obwohl sie allein in der großen Halle waren. „Die Landschaft?“

Sam nickte, rasch und abgehackt. „Die Bäume. Das Gras. Jeder Busch im näheren Umkreis ist vertrocknet. Auch der Himmel erscheint farblos und trüb.“

„Bist du sicher, dass das nicht Übertreibung ist, Sam? Vielleicht hat es ein Feuer gegeben.“

„Hätten wir nicht schon mehrere Nachrichten erhalten, die identisch sind, was den Inhalt angeht, würde ich dir zustimmen, Jon“, erwiderte Sam und faltete den kleinen Zettel zusammen. Ein Zögern unterlag ihm, doch dann straffte er die Schultern. „Aber ich habe mir die Erlaubnis genommen, um Sandor und Grey Worm zu einer kleinen Ortschaft nicht weit von King's Landing zu schicken, wo es einen ähnlichen Vorfall gegeben hat.“ Sam hob die Hände in stummer Abwehr. „Ich weiß, dass die Kingsguard eigentlich nur da ist, um den König zu beschützen, aber--“

„Sam“, unterbrach Jon, wobei das Lächeln sich diesmal weniger schwerfällig auf seinen Lippen ausbreitete. „Du bist meine Hand. Ich vertraue dir. Wenn du es als nötig empfunden hast, dann akzeptiere ich das.“

Kurz meinte Jon ein verräterisches Glänzen in Sams Augen zu sehen, bevor er ernst wurde. „Jedenfalls haben beide das bestätigt, was die Nachricht besagt hatte. Allerdings können sie sich auch keinen Reim daraus machen, was dort geschehen ist.“

„Was willst du damit sagen, Sam?“, fragte Jon mit rauer Stimme, obwohl seine Instinkte bereits in Alarmbereitschaft waren und ahnten, worauf sein Freund hinauswollte.

Unsicherheit flackerte in Sams Gesicht. „Dass ich noch von keiner Armee gehört habe, welche die Farbe des Himmels verändern kann.“

Unwillkürlich kehrten die Erinnerungen an den Nachtkönig und den White Walkers zurück, die Jon noch immer mitten in der Nacht heimsuchten. Es waren diese Momente, in denen er Ghost am meisten vermisste und sich nach dem weißen Direwolf sehnte, den Tormund mit hinter die Mauer genommen hatte.

Jon lehnte sich zurück, da er keine Antwort auf Sams Worte hatte.
 


 

CULLEN

Der Wellengang war eben und ihre Reise bereits so lang, dass Cullen ihn kaum mehr wahrnahm. Allerdings konnte man dasselbe nicht von Lavellan behaupten.

Ein Schmunzeln lag auf den Lippen des Kommandanten, als er die kleine Kabine betrat, die Lavellan und er während der Schifffahrt nach Westeros bezogen hatten. Mehr als eine Kommode und ein Bett mit durchgelegener Matratze befand sich nicht in ihr, doch Lavellan zog diese der salzigen Meeresluft und dem unendlichen Nass vor.

„Du kannst nicht ewig im Bett verbringen, meine Liebe“, meinte Cullen, als er an dieses herantrat und die Frau betrachtete, die dort unter der rauen Stoffdecke eingerollt lag. Nur ein paar ihrer rotbraunen Haarsträhnen schauten heraus, die auf dem Kissen ausgebreitet lagen. Ein wenig so wie sie es letzte Nacht getan hatten...

Bei dieser Erinnerung durchfuhr Cullens Körper ein heißer Schauer, als er sich auf der Bettkante niederließ.

Lavellan gab ein Murren von sich, als sie sich auf den Rücken drehte und ihr Gesicht unter der Decke zum Vorschein kam. Es war fürchterlich blass, so dass die rötliche, verschnörkelte Tätowierung, welches sich über ihr linkes Auge bis hinunter zu ihrer Wange zog und Zeichen ihres Stammes war, scharf hervorstand.

Er streckte die Hand nach ihr aus, um ihr ein paar Haarsträhnen aus der Stirn zu streichen und Lavellan öffnete die Augen bei seiner Berührung, gegen das grelle Tageslicht anblinzelnd, welches durch das Bullauge fiel.

„Bitte sag mir, dass wir endlich in King's Landing anlegen, Cullen“, presste sie so atemlos hervor, so dass sich Cullen nicht erkundigen musste, wie es ihrem Magen erging. „Auf den Weg zurück nehmen wir den Weg über das Land. Egal, wie lang es dauern wird.“

„Es tut mir leid, dich enttäuschen zu müssen, aber Westeros und Ferelden sind mit keiner Landbrücke verbunden", antwortete Cullen. „Aber die gute Nachricht ist, dass wir schon heute Nachmittag King's Landing erreichen werden. Die Frage ist nur, ob man uns mit dem König sprechen lässt. Vielleicht hätten wir Josephine doch vorher einen Brief schreiben lassen sollen.“ Doch für diese Einsicht war es inzwischen zu spät, abgesehen davon, dass sie darüber vor ihrer Abreise schon ausgiebig debattiert hatten.

„Das hätte viel zu lange gedauert. Außerdem weißt du, dass man uns nicht geglaubt hätte“, meinte Lavellan und setzte sich schwerfällig auf, nur ein loses Nachthemd tragend, welches sie weich und verletzlich wirken ließ, ganz anders als in ihrer Rüstung. „Soweit ich Leliana verstanden habe, gab es in der gesamten Geschichte von Westeros noch keine Verderbnis. Keine, die sich soweit ausgebreitet hat. Nicht, dass ich eine Expertin auf diesem Gebiet wäre...“

„Nein, aber du bist die Inquisitorin“, sagte Cullen, um Lavellans Zweifel Einheit zu gebieten. „Wenn jemand eine Audienz mit dem König bekommt, dann bist du es.“

Doch das war nicht der einzige Grund, weshalb Josephine, Leliana und auch Cassandra entschieden hatten, dass Lavellan ihre beste Chance war, um dieser Gefahr Einhalt zu gebieten. Nicht nur, dass sie in der Vergangenheit das Unmögliche möglich gemacht hatte, aber auch ihre Vergangenheit ähnelte der von dem jetzigen König der sieben Königreiche. Jon Stark war als Bastard aufgewachsen, während Lavellan einem Stamm von Ureinwohnern entstammte. Von keinem von beiden war etwas Großes erwartet worden, aber genau dies hatten sie vollbracht. Wie wenig Lavellan dieser Vergleich jedoch gefallen würde, wusste er, denn sie sprach nie über ihre Vergangenheit oder über den Vorfall, der sie zur Inquisitorin gemacht hatte.

Cullen lehnte sich über das Bett, um seine Stirn gegen die von Lavellan zu lehnen und die Hand in ihrem Nacken und ihrem Haar zu vergraben.
 


 

BRIENNE

Sie versuchte nicht zu oft oder zu intensiv über die Situation nachzudenken, da ihr dies höchstens Kopfschmerzen bereiten würde. Schließlich war es immer schon ihr Wunsch gewesen, ein Mitglied der königlichen Garde zu sein und dieser hatte sich nun endlich erfüllt. Zudem hatte sie nicht vor, ihr Versagen, als sie Renly nicht hatte beschützen können, zu wiederholen.

Doch Jaimes Anwesenheit machte es ihr schwer, sich vollständig auf ihre Verantwortungen zu konzentrieren, ganz besonders in Momenten wie diesen, in denen sie seine schneller werdenden Schritte hinter sich vernahm und er sie binnen weniger Sekunden eingeholt hatte.

„Ser Brienne“, begrüßte er sie, obwohl etwas Zögerliches in seiner Stimme lag. Seine linke Hand lag auf seinem Schwertgriff und selbst aus den Augenwinkeln konnte Brienne nicht ignorieren, wie gut der andere Ritter der königlichen Wache in seiner goldenen, neuangefertigten Rüstung und dem weißen Umhang aussah.

„Ser Jaime“, erwiderte sie, als er nichts weiter sagte, sondern lediglich neben ihr herging, als hätte er nach dem Sieg gegen den Nachtkönig nicht mit ihr geschlafen, um wenige Tage später fortzureiten und mit seiner Schwester zu sterben, auch wenn ihm dies nicht gelungen war.

Doch Brienne würde nur den Kopf zur Seite drehen und den Blick heben müssen, um die Trauer in Jaimes hagerem Gesicht zu entdecken, die er noch immer mit sich herumtrug. Und obwohl das Wissen für einen Stich in ihrer Brust sorgte, so verstand sie, dass man einen Bund, der schon vor der Geburt geschlossen war, nicht einfach auslöschen konnte. Darum brachte sie es nicht einmal fertig, wütend auf den Mann zu sein, der ein furchtbar schlechtes Selbstwertgefühl besaß. Obwohl es verdreht war, verstand sie, warum er in besagter Nacht nicht bei ihr geblieben war, auch wenn es diese Zusammenarbeit in King's Landing nicht vereinfachte.

Wie lange sie schweigend nebeneinander hergingen vermochte Brienne nicht zu sagen, doch irgendwann kam sie zu einem abrupten Halt. Wenn es nötig war, konnte sie professionell sein, doch dieses Schauspiel war selbst ihr langsam zu albern.

Mit zusammengezogenen Augenbrauen funkelte sie den Mann an, der nach ein paar weiteren Schritten ebenfalls stehen blieb und ihr einen überraschten Blick über die Schulter zuwarf.

„Darf ich mal fragen, was das werden soll?“, erkundigte sich Brienne und ihre Finger festigten sich um den eigenen Griff, wobei sie nie vergessen konnte, dass es das von Jaime geschenkte Schwert war: Oathbringer.

„Ich... ich weiß nicht, was du meinst.“

„Tu nicht so, Jaime“, herrschte sie ihn an und seine Augen weiteten sich nur noch mehr bei ihrem Ton. „Willst du mir jetzt jeden Morgen bis zu meinem Posten folgen?“

„Zufällig bin ich eben...“, begann Jaime als Erklärung, brach unter ihrem skeptischen Blick jedoch mittendrin ab und fuhr sich mit der Hand über das bärtige Kinn. „Ich würde gern mit dir reden, Brienne“, sagte er dann und senkte die Stimme, obgleich sich niemand außer ihnen in diesem Gang der Feste befand. „Unter vier Augen und in Ruhe. Das wollte ich dir schon die ganze Zeit sagen, aber ich wusste nur nicht wie. Eigentlich habe ich es nicht verdient, dass du mir zuhörst, das weiß ich.“

Eine Weile sahen sie sich einfach nur an. Manchmal konnte Brienne kaum glauben, dass dieser Mann, der so furchtbar arrogante Reden schwingen und so schlagkräftig sein konnte, oftmals so herumdruckste.

„In Ordnung“, presste sie schließlich hervor und bemühte sich darum, ihre Stimme möglichst neutral klingen zu lassen, während sie ihren Gesichtsausdruck schulte, damit er nichts von dem Gefühlswirrwarr in ihrem Inneren preisgab. Immerhin wusste sie nicht einmal selbst, wie sie fühlte oder was sie hiervon halten sollte, da hatte Jaime noch weniger Anrecht auf ihre Empfindungen.

„Gut. Darüber bin ich froh“, antwortete Jaime und nickte, als läge es auf der Hand, dass dem so war.

Erneut breitete sich Stille zwischen ihnen aus, ehe ferne Schritte ertönten und ein Soldat die Ruhe für sie brach.

„Ser Brienne, Ser Jaime“, sagte dieser atemlos, als er um die Ecke des Ganges bog und die beiden Ritter antraf. „Jemand ist am Tor, der eine Audienz mit dem König verlangt!“

„Wer?“, forderte Jaime und der Bote der unerwarteten Nachricht zuckte zusammen, bevor er sich räusperte.

„Sie nennt sich Inquisitorin Lavellan aus Ferelden.“

„Diesen Namen habe ich noch n—“

Doch bevor Jaime seinen Satz beenden konnte, trat Brienne näher. „Inquisitorin?", wiederholte sie. „Ich habe einiges über die Inquisition in Ferelden gehört - aber was bringt die Inquisitorin hierher?“

Der Soldat zuckte mit den Schultern. „Sie sagte, dass Sie dies nur mit dem König besprechen kann.“

„Bringt mich zu Ihr. Ich möchte mit Ihr sprechen“, entschied Brienne, die sich in solchen Situationen auf ihren Instinkt verließ. Ihre Menschenkenntnisse hatten sie selten im Stich gelassen, nicht einmal bei Jaime hatte sie sich geirrt, denn selbst all die Geschehnisse änderten nichts daran, das etwas Gutes in ihm steckte.

„Sofort, Kommandant!“ Der Soldat wandte sich ab und Brienne schob sich an Jaime vorbei, vermied jedoch einen weiteren Blick in seine Richtung.

Erneut zog sich etwas in ihrer Brust zusammen, denn sie beide hatten sich schon so oft voneinander entfernt und da war immer die Sorge, dass dies das letzte Mal sein würde.
 


 

BLACKWALL

Die Feste in King's Landing war ein eindrucksvolles Bauwerk, das sich majestätisch in den blauen Himmel erhob, auch wenn es trotz allem nicht an Skyhold heranreichte. Skyhold, welches seit dem Angriff von Corypheus in Haven als Stützpunkt der gesamten Inquisition fungierte, rief noch immer angenehme Erinnerungen in Blackwall hervor. Seine Gedanken kehrten oft zu dieser Festung zurück, in der er unter Lavellans wachsamen Augen Akzeptanz sowie eine zweite Chance erhalten hatte.

Während die Stadtwachen sie durch die Ortschaft zur Feste führten und die Bewohner in den kaputten Straßen ihnen neugierige Blicke zuwarfen, schielte Blackwall aus den Augenwinkeln zu der schmalen Frau hinüber, die eine der wenigen Menschen war, die sein Geheimnis kannte.

Lavellan ging neben ihrem Kommandanten her, die vertraute, dunkle Rüstung tragend, die bläulich schimmerte und mit einem blauvioletten Mantel abgerundet war. Ihre zwei Dolche ruhten in Halterungen auf ihrem Rücken und wurden den Wachen übergeben, als sie die Festung erreichten.

Auch Cullen und Cassandra überreichten ihre Schwerter, während Blackwall langsamer den Schwertgürtel löste. Nur ungern legte er seine Waffe ab, noch weniger an einem unbekannten Ort wie diesem, der erst vor kurzen fast komplett vom Krieg um den Thron zerstört worden war.

Obwohl Ferelden seine eigenen Kriege führte, hatten diese relativ wenig mit sogenannten White Walkers oder Fehden zwischen mächtigen Häusern zu tun. Diese Informationen hatten zumindest Lelianas Spione herangetragen, die Leliana selbst jetzt noch als das Oberhaupt der Kirche angestellt ließ.

Angeblich hatte Frieden Westeros letztendlich doch wieder erreicht, doch Blackwall wusste, dass dieser oftmals nicht sonderlich langlebig und stabil war, weshalb er an seinem Misstrauen festhielt.

Als sie durch das offene Tor auf den riesigen, bewirtschafteten Innenhof traten, wurden sie von einem Soldaten und einer Frau in einer frisch polierten Rüstung entfangen. Sie trug ihre Haare kurzgeschnitten, doch es war ihre Größe, die selbst seine überragte, welche die Aufmerksamkeit auf sich zog.

„Sers, willkommen in King's Landing“, richtete sie das Wort an ihre Gruppe und deutete eine Verbeugung an, die Hand weiter auf dem Griff ihres Schwerts ruhend. „Mein Name ist Brienne of Tarth. Ich bin die Kommandantin der königlichen Wache, König Jon Stark direkt unterstellt. Darf ich fragen, was Sie hierher bringt?“

Ihre hellen Augen wanderten über Cassandras Rüstung, die das Abzeichen der Sucher auf sich trug, bevor sie an Blackwalls blauweißem Brustplatte hängen blieb, welcher ein Merkmall der Grauen Wächter darstellte. Letztendlich wandte sie sich Cullen und Lavellan zu, aber war offenbar nicht sicher, wer von den Anwesenden ihr Ansprechpartner war. Jedenfalls war sich Blackwall sicher, dass man selbst hier von der Inquisition gehört hatte, deren Aufgabe es gewesen war, das Ende von Ferelden, vielleicht sogar der gesamten Welt, abzuwenden.

Ein Lächeln tauchte auf Lavellans Lippen auf. „Ich würde es wirklich bevorzugen, es mit dem König direkt zu besprechen. Wäre es nicht von absoluter Wichtigkeit, hätten wir uns nicht den Weg hierher gemacht. Ihr bin sicher, Ihr versteht das, Ser.“

Brienne neigte den Kopf, um ein Nicken anzudeuten. „Natürlich, Mylady. Doch ein paar Informationen muss ich haben, um Ihnen eine Audienz verschaffen zu können.“

Lavellan studierte das ernste, geschulte Gesicht der hochgewachsenen Frau, welche viel eher die Statur eines Mannes besaß, ehe sie sich an ihre Kameraden wandte.

„Das Gebiet der Diplomatie liegt mir nicht“, erklärte Blackwall, als ihr Blick auf seiner Person zum Ruhen kam und stumm nach seinem Rat forderte. „Aber ich denke, dass es wohl nicht zu viel verlangt ist, nachdem wir unangekündigt hier aufgetaucht sind.“

Cullen strich sich durch das blonde Haar. „Nun, völlig unrecht hat er wohl nicht.“

„Es scheint, als hätten wir keine Wahl“, sagte Cassandra und hob genervt die Augenbrauen. „Der Weg ist zu weit gewesen, um kampflos umzudrehen und das Schiff zurück nach Ferelden zu nehmen.“

Brienne sah zwischen ihnen hin und her, und Blackwall konnte sich ein grimmiges Schmunzeln nicht verkneifen. Er wusste, wie ungewohnt es war, dass ein Anführer Ratschläge der Untergebenen entgegennahm. Bevor er Lavellan begegnet war, war es ihm nicht anders ergangen. Sie hatte seine Welt auf den Kopf gestellt und ihm zu dem gemacht, was er hatte sein wollen: Ein ehrlicher Mann und ein nobler Grauer Wächter.

„Es scheint so, als sei ich überstimmt worden“, sagte Lavellan und trat einen Schritt näher an Brienne von Tarth heran, der sie gerade mal bis zur Schulter hinaufreichte. „Wie es oftmals so ist, wenn eine Gefahr gebannt ist, taucht eine zweite auf. Eine, die uns alle betrifft und nicht nur das Ende von Westeros oder Ferelden bedeuten kann, sondern der gesamten Welt. Wieder einmal.“ Ihre Worte waren nicht mehr als ein Flüstern, welches selbst Blackwall nur schwer aufschnappte, obwohl er direkt neben Lavellan stand. Doch bei den umhereilenden Leuten war es wichtig, diese Neuigkeiten über eine neue Gefahr geheim zu halten.

Briennes Augen weiteten sich und ihr blasses Gesicht schien noch an etwas mehr Farbe zu verlieren. „Bitte folgt mir, Myladys, Mylords“, sagte sie und wandte sich mit wehendem Umhang ab, um sie in die Feste hineinzuführen.

[2]


 

JON

Wahrscheinlich sollte sich Jon darüber freuen, dass die Informationen und Probleme zu ihnen kamen und sie ihnen nicht hinterher jagen mussten. Wenigstens versuchte er an diesem optimistischen Gedanken festzuhalten, als er mit Sam und Varys im Schlepptau durch die Türen des Thronsaals trat und in die prunkvolle Halle marschierte.

Dort warteten bereits ihre unerwarteten Gäste aus dem weit entfernten Ferelden, was für Jon immer nur ein unbekannter Punkt am Kartenrand gewesen war.

„Ser Brienne“, begrüßte Jon die Kommandantin seiner Garde, bevor er sich ihren Gästen zuwandte, die ihm nacheinander vorgestellt wurden.

„Eure Hoheit, das sind die Inquisitorin aus Ferelden und ihre Gefolgsleute, Cullen Rutherford, Warden Blackwall, und Seeker Cassandra Pentaghast.“

„Willkommen in Westeros, Lady Inquisitor“, meinte Jon und er deutete rein aus Reflex der Höflichkeit und als Zeichen des Respekts eine Verbeugung vor der zierlichen Frau mit der ungewöhnlichen Tätowierung auf dem Gesicht an.

Sam und Varys hatten ihn über die Geschehnisse in Ferelden aufgeklärt, ausgestattet mit Informationen aus Büchern und weiteren, die von Varys Spionen gesammelt worden waren. Allerdings waren diese Ereignisse genauso unglaubwürdig wie all die Dinge, die hier in Westeros geschehen waren. Doch all das machte dieser Unhold Coryphus, der sich zum Gott erklärt hatte, sowie der Schnitt im Himmel leichter nachvollziehbar, jedenfalls für Jon. Beide Ländern hatten ihre Hände voll gehabt.

„Was kann ich für Sie tun?“, brachte Jon es auf den Punkt, als er den Eisernen Thron ansteuerte, wie man es in solch offiziellen Momenten wie diesen von ihm erwartete. Das machte den Thron jedoch keinen Deut bequemer.

Die junge Frau trat vor, gekleidet in einer violett schimmernden Rüstung und deutete nun ihrerseits eine Verbeugung an. „Wir haben Grund zu glauben, dass Westeros – mitsamt der restlichen Welt – einer weiteren Bedrohung gegenübersteht. Eine, die wir im Keim ersticken müssen, bevor es zu spät ist.“

Jon rieb sich mit einer Hand über das Kinn. Etwas anderes hatte er kaum erwartet, wenn sich auch erhofft. „Und was für eine Gefahr soll das sein?“ Die Ahnung, dass es mit diesen merkwürdigen Angriffen auf die Dörfer und den verfärbten Himmel zusammenhing, war nicht aus der Luft gegriffen. Jon hatte sich schon immer auf seine Instinkte verlassen und obwohl diese ihn nicht immer von Gefahr ferngehalten hatten, hatte er ihnen stets vertrauen können.

„Eure Hoheit“, begann Cassandra und trat einen Schritt vor, so dass sie neben der Inquisitorin zum Stehen kam. „Es gibt Dinge, die aus den Geschichtsbüchern von Westeros ausgelassen wurden. Sogenannte Verderbnisse, die—“

„Über den Begriff bin ich in der Bibliothek der Zitadelle schon einmal gestolpert“, unterbrach Sam, bevor er hastig den Blick senkte. „Entschuldigt, Madam Seeker. Es ist nur... eine Verderbnis wird von der sogenannten Dunklen Brut ausgelöst, oder nicht? Sie ist tatsächlich nichts weiter als eine Legende hier in den sieben Königreichen.“

Cullen schnaufte. „Ich wünschte, es wäre tatsächlich so. Aber so oft, wie wir sie schon bekämpft haben, ist sie viel mehr als das. Ich habe sie mit meinen eigenen Augen gesehen. Wir alle. Wir alle haben bereits das Schwert gegen die Dunkle Brut erhoben und nicht alle haben das Aufeinandertreffen überlebt.“

„Eine Verderbnis beginnt nur, wenn die Dunkle Brut einen der uralten Götter findet. Einen Drachen“, erklärte Cassandra und legte die Betonung auf die letzten Silben. Die dunkelhaarige Frau durchbohrte ihn mit ihren stechenden Augen, anklagend und misstrauisch.

Einen Drachen...

Soweit Jon wusste, gab es nur noch einen einzigen Drachen auf der Welt. Einen, den Jon selbst hatte wegfliegen sehen, zusammen mit dem toten Körper seiner Königin und Mutter in den riesigen Klauen, nach dem diese durch die White Walkers gefallen war.

Etwas zog sich in seiner Brust zusammen, als diese Erinnerung unerwartet über ihn hineinbrach. Kurz schloss Jon die Augen und massierte sich die Nasenwurzel. Dass die Neuigkeiten über einen noch existierenden Drachen selbst ferne Länder erreicht hatte, wunderte ihn nicht. Allerdings nahm er an, dass die meisten dies ebenfalls nur als eine absurde Geschichte abtaten und die Inquisition eine der wenigen waren, die diese Information ernst genommen hatten.

Bedeutete das, dass Drogon dieser Dunklen Brut zum Opfer gefallen war? Aber wie? Spielte das überhaupt eine Rolle?

„Und woher sollen wir wissen, dass Ihr Euch nicht irrt?“, fragte Jon. „Wir brauchen wenigstens einen Beweis, bevor wir auch nur darüber nachdenken können, euch in diesem Kampf gegen die Dunkle Brut und dem Drachen beizustehen.“

Hatte sich Daenerys so damals gefühlt, als er bei ihr in Dragonstone angekommen war, um sie um Unterstützung im Krieg gegen den Nachtkönig zu bitten? Damals war er ungeduldig gewesen und hatte gehofft, dass sie seinem Wort vertraute und ihnen sogleich half, doch nun, da er selbst auf einem Thron saß, wurde ihm bewusst, dass es nicht ganz so einfach war. Er musste seinen Leuten und seinem Volk etwas zeigen, damit sie seine Entscheidung verstanden und unterstützten, anstatt sich von ihm abzuwenden und erneut Unruhe zu stiften, wo doch gerade erst Frieden eingekehrt war.

„Ich bin kein Experte auf dem Gebiet der Verderbnisse, aber meine Ratgeber sind erfahren“, sagte die Inquisitorin. „Unter Westeros, ebenso wie unter Ferelden, befinden sich die Deep Roads, die einst von einem uralten Volk an Zwergen erbaut worden sind. Das Tunnelsystem erstreckt sich endlos und tief unter der Erdoberfläche. Dort befindet sich die Dunkle Brut und von dort dringen sie an die Oberfläche.“

Nicht nur Drachen, sondern nun auch ein Zwergenvolk... Jons Gedanken wanderten unwillkürlich zu Tyrion Lannister, der in Winterfell an Sansas Seite den Frieden im Norden bewahrte. In diesem Moment wünschte sich Jon glatt, dass er hier in King’s Landing wäre. Er hätte gern gewusst, was Tyrion von alldem hielt.

„Die Eingänge sind für gewöhnlich versiegelt, aber wir glauben, dass die Dunkle Brut irgendwo hier in Westeros einen Durchgang gefunden hat“, erklärte Blackwall mit rauer Stimme, die Lippen fast vollständig unter dem dichten, schwarzen Bart versteckt.

„Und einer dieser Eingänge befindet sich laut einer antiken Karte direkt unter dieser Feste“, sprach die Inquisitorin weiter und deutete mit dem Finger auf den steinernen Boden unter ihren Füßen.

„Ich bin sicher, dass irgendjemand im Laufe der Geschichte von King’s Landing und dieser Feste es bereits bemerkt hätte, wenn sich ein riesiges Tor direkt unter uns befinden würde“, meinte Varys, die Finger beider Hände vor seinem Bauch miteinander verschränkt.

Cassandra zog die Augenbrauen zusammen. „Befindet sich unter der Festung nicht ein massiges Gewölbe?“, erkundigte sich sie und Jon konnte sich bei ihrem nachdrücklichen Ton das Heben eines Mundwinkels nicht verkneifen. Ein Seitenblick ging zu Varys hinüber, der seinen Gesichtsausdruck schulte.

„Sie haben recht, Lady Pentaghast“, räumte Jon ein und meinte einen leichten Rotschimmer auf ihrem braungebrannten Gesicht zu erkennen, was sie selbst mit den kurzen Haaren und der Narbe auf der Wange weiblicher wirken ließ. „Es befindet sich tatsächlich ein Gewölbe unter uns. Aber ich bin sicher, dass diese Verderbnis noch einen Tag länger warten kann. Ihr habt eine lange Reise hinter Euch. Ruht Euch aus. Varys wird dafür sorgen, dass Gemächer hergerichtet werden.“

Gerade der Inquisitorin stand die Blässe in das Gesicht geschrieben, obwohl dieser Aufschub auch dazu diente, damit Jon sich mit Sam und Varys ein weiteres Mal austauschen und eventuell nach diesem versiegelten Tor unter der Feste suchen konnte. „Morgen in aller Frühe habt ihr die Gelegenheit, uns dieses Tor zu den Deep Roads zu zeigen.“

Die Inquisitorin tauschte einen knappen Blick mit dem blonden Mann an ihrer Seite aus, dessen Blick bei ihrem Anblick weicher wurde. Die Bindung der beiden war so eindeutig, dass Daenerys Abbild ein weiteres Mal in seinen Kopf geschossen kam.

„Danke für die gnädige Gastfreundlichkeit, Eure Majestät“, sagte Lavellan und deutete abermals eine Verbeugung an und ihre Gefolgsleute taten es ihr gleich, bevor sie dem schweigsamen Varys aus dem Thronsaal folgten.

Jon stieß ein Seufzen aus und Sam schenkte ihm einen mitfühlenden Blick.
 


 

BLACKWALL

Blackwall konnte sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal in einem solch vornehmen Ort gehaust hatte. Während seiner Zeit in der Inquisition unter Lavellans wachsamen Auge hatte er es sich nahe der Ställe gemütlich gemacht, was zu einem einfachen Mann wie ihm passte. Etwas Besseres hatte er nicht verdient und brauchte er auch nicht. Schlösser wie dieses mit ihren pompösen Gemächern erinnerten ihn nur daran, wie es sich anfühlte jemand zu sein, der er nicht war.

Unschlüssig stand Blackwall inmitten des Gemachs, der Sack mit seinen Vorräten und wenigen Hab und Gut lag zusammen mit seinem Schwert auf der Truhe vor dem breiten Bett mit seinem seidenen Bezug, nachdem irgendwelche Boten ihre Sachen vom Schiff geholt und zur Feste gebracht hatten.

Langsam begann er den ersten Riemen seiner Rüstung zu lösen, als ein Klopfen ihn innehalten ließ. Seine Augenbrauen zogen sich zusammen, da er hier in dieser fremden Feste am allerwenigsten damit gerechnet hatte, dass jemand ihn behelligen würde.

„Herein“, raunte Blackwall, bevor sich auch schon die Tür mit einem leisen Quietschen öffnete und Lavellan ihren rotbraunen Haarschopf durch den Spalt steckte.

„Störe ich?“, erkundigte sie sich und ihre hellen Augen suchten sein Gesicht nach irgendetwas ab, das Blackwall nicht entschlüsseln konnte.

„Du störst nie“, antwortete er, bevor er sich wieder den Riemen widmete, wenn auch nur, um ihren Blick nicht länger erwidern zu müssen.

Obwohl er wusste, dass sie ihm für alles vergeben hatte und ihm mit ihrem riesigen Herzen auch wahrscheinlich alles vergeben würde, so war ihre Freundschaft angespannt. Auch wenn nun alle in der Inquisition wussten, dass er lediglich Tom Rainier war, der nur die Identität von Warden Blackwall angenommen und allen etwas vorgespielt hatte, nachdem er gute Männer in den Tod geschickt hatte, war dies nicht der Grund, warum diese Nervosität von ihm Besitz ergriff, sobald er sich in ihrer Nähe aufhielt.

„Hier, lass mich dir helfen“, sagte sie mit heller Stimme hinter ihm, ehe sich die Tür schloss. Bevor er protestieren konnte, schoben ihre schmalen Finger seine großen, rauen Hände beiseite, um einen Riemen nach dem anderen zu lösen. Schweigend, die Lippen zu einer sanften Linie zusammengepresst, half sie ihm den Brustpanzer abzulegen.

Blackwall hob den Blick, doch Lavellans Augen ruhten bereits auf seinem Gesicht.

„Alles in Ordnung?“, fragte sie, als er ihr den Brustpanzer abnahm und ihn auf die breite Kommode legte, die sich gegenüber vom Bett befand. In dem Spiegel darüber konnte er Lavellan sehen, die sich auf die Kante seines Bettes setzte. Alles, was sie tat, machte sie mit einer Natürlichkeit, die Blackwall beneidete. Sie verbog sich nicht für andere, sondern akzeptierte ihre Schwächen und ihre Fehler, ganz anders als er.

„Dieses Gemach ist gewöhnungsbedürftig, um ehrlich zu sein“, gestand er, als er sich zu ihr umdrehte.

Lavellan stieß ein leises Lachen aus. „Hoffentlich werden wir nicht lange hier bleiben.“ Eine Pause folgte. „Ehrlich gesagt bin ich hier, weil ich mit dir sprechen wollte, Blackwall. Es ist mir schon auf dem Schiff aufgefallen, aber... nun, da hatte ich andere Sorgen.“ Sie errötete unter seinem Blick und Blackwall schnaufte belustigt.

„Selbst die besten Soldaten leiden manchmal an der Seekrankheit“, sagte er und sie schenkte ihm ein dankbares Lächeln, ehe sie ernst wurde.

„Ich habe das Gefühl, dass du mir aus dem Weg gehst“, sagte Lavellan schließlich. „Schon seit sehr langer Zeit.“

Sie hatte es also doch bemerkt... Er war einfältig gewesen, anzunehmen, dass ihr nicht auffallen würde, dass er sich zurückzog.

„Ist es, weil ich dich überredet habe, den Posten als Kommandant der Grauen Wächter anzunehmen?“, erkundigte sie sich mit leiser Stimme, als fürchtete sie die Antwort. Fast so, als könnte er wegen etwas Dergleichen sauer auf sie sein.

Seine Füße trugen ihn unwillkürlich näher zu ihr heran, bis er direkt vor ihr stand und sie zu ihm aufsehen musste. In diesem Moment wollte er nichts lieber tun, als die Finger in ihrem rotbraunen Haar zu vergraben, um sie zu ihm hinaufzuziehen und küssen zu können.

Stattdessen sagte er: „Nichts, was du tun könntest, würde jemals an meinem Respekt und meiner Zuneigung für ich ändern.“

Ihre Gesichtsfarbe wurde noch einen Deut dunkler, bevor sie den Blick senkte.

Hatte er zu viel gesagt? Wahrscheinlich, denn immerhin wusste er, dass Cullen bereits ihr Bett teilte und dass er jede Chance mit ihr verspielt hatte, als er mit ihr geschlafen und anschließend spurlos verschwunden war, um einen seiner ehemaligen Männer vor dem Schafott zu retten. Obwohl sie dies als ehrenhaft angesehen hatte, so war es Cullen gewesen, der jedes Mal, wenn es während ihres Kampfs gegen Corypheus Rückschläge gegeben hatte, sie gestützt und ihr beigestanden hatte. Cullen Rutherford war jedes Mal an ihrer Seite gewesen, nicht er, der zu sehr mit sich selbst beschäftigt gewesen war und sie dadurch von sich gestoßen hatte.

Lavellan umschloss seine Hand mit ihrer. „Gut. Ich möchte deine Freundschaft niemals mehr missen.“

Nachvollziehbar und erwartet wie ihre Worte waren, zog sich dennoch etwas in seiner Brust zusammen, als sie aufstand und er ihren Körper so nah an seinem spürte.

„Ich wüsste nicht, was ich ohne dich machen würde, Blackwall“, fügte sie hinzu, ehe sie ihre Hand von seiner löste und sein Gemach verließ.
 


 

BRIENNE

Für einen Moment starrte Brienne einfach in das Wasser in der Waschschüssel vor ihr, bevor sie den Lappen hineintauchte, um sich das Gesicht und den Nacken zu waschen. Nach dem gewonnenen Krieg gegen den Nachtkönig und Cersei Lannister hatte Brienne angenommen, dass nun endlich eine Zeit des Friedens die Sieben Königreiche erreicht hatte, doch scheinbar galt es sofort die nächste Katastrophe abzuwenden.

Ein Klopfen brachte ihre Gedanken zu einem abrupten Stopp und der Lappen gefror auf ihrer Schulter, bis einzelne Tropfen ihren Arm hinunterliefen. Sie verursachten Brienne eine Gänsehaut, wobei es auch dieser unerwartete Gast sein konnte, der den Weg zu ihrem Gemach gefunden hatte.

Das Herz hämmerte ihr in der Brust, als sie stockstill dastand. Erst nach langen Momenten erinnerte sich Brienne daran, wer sie war. Sie war die Kommandantin der königlichen Garde. Den Lappen in die Waschschüssel gleiten lassend, ergriff Brienne das Hemd, welches sie sorgfältig über die Stuhllehne gehangen hatte. Rasch zog sie es an und schloss die Knöpfe mit zittrigen Fingern, bevor sie zur Tür marschierte und diese einen Spalt öffnete.

Doch bei der Person vor der Tür handelte es sich nicht um eine der Wachen oder Ratgebern von König Jon, sondern um Jaime.

„Ist etwas vorgefallen?“, fragte Brienne und ihre Gesichtsmuskeln spannten sich an, bis sie sich fasste und eine passive Miene aufsetzte. Selbst jetzt kitzelte dieser Mann noch immer furchtbar einfach Emotionen aus ihr heraus. Es war lächerlich.

Jaimes Augen wandern über ihr nasses Gesicht, die kurzen, blonden Haarsträhnen, die an ihren Schläfen klebten, bis hinunter zu dem hellen Hemd, das locker und inoffiziell an ihr wirkte. Sogleich fühlte sich Brienne in der Zeit zurückversetzt, erinnert an den Abend, an dem Jaime sie in ihrem Zimmer in Winterfell aufgesucht hatte, weil er eifersüchtig auf Tormund Giantsbane gewesen an. Als sie miteinander geschlafen hatten.

Brienne spürte, wie ihr die Hitze in die Wangen stieg, und sie senkte den Blick und bat Jaime stattdessen hinein, um nicht weiterhin sinnlos herumzustehen. „Also? Was gibt es?“, forderte sie, als sie die Tür hinter ihm schloss.

Jaime räusperte sich, als er unschlüssig im Zimmer stand. „Reden. Ich dachte, ich komme vorbei, damit wir reden können. Du hast weder Ort noch Zeit genannt, aber... ich war gerade in der Nähe.“

„Es ist spät“, sagte Brienne, selbst nicht wissend, ob sie dies tatsächlich so empfand oder ob sie dieser Unterhaltung lediglich Einhalt gebieten wollte. Andererseits konnte sie Jaime nicht ewig aus dem Weg gehen, da sie beide ein Teil der königlichen Garde waren und Jaime nicht aufzugeben schien.

Anstatt etwas zu sagen, schwieg Jaime und suchte lediglich ihren Blick, als wartete er darauf, dass sie ihn aus dem Zimmer werfen würde, obwohl sie ihn gerade erst hineingebeten hatte.

„Dann rede, ich höre zu“, lenkte sie schließlich ein.

Jaime nickte, bevor er sich in Bewegung setzte und im Raum auf- und abging, den steinernen Boden nach Worten absuchend. „Es tut mir leid, dass ich gegangen bin. Wie ich gegangen bin“, sagte er schließlich. „Ich wollte mit Cersei sterben. Wir sind zusammen in die Welt gekommen, daher wäre es nur richtig gewesen, sie gemeinsam zu verlassen.“

Brienne verstand es, obwohl sie keinen Zwilling hatte und auch sonst niemanden, mit dem sie so eng verknüpft war. Da war nur Jaime gewesen, mit dem sie relativ schnell etwas verbunden hatte. Daher war sie trotz seiner nächtlichen Flucht aus ihrem Raum in Winterfell froh gewesen, als die Neuigkeit sie erreicht hatte, dass Jaime seine Schwester nicht erreicht hatte. Dass er King’s Landing noch nicht erreicht gehabt hatte, als man Cersei aus ihrer Festung gezerrt und ein Attentat auf ihr Leben sie vor der Zelle bewahrt hatte. In dem Moment hatte sie nur an ihre eigenen Gefühle gedacht, nicht an Jaimes.

„Ich...“ Jaime stockte und schluckte so schwer, dass Brienne die Bewegung in seinem Adamsapfel erkennen konnte. Noch immer ruhte sein Blick auf dem Boden, auf seinen Stiefeln, die Brauen so dicht zusammen gezogen, dass sie eine Furche in seine Stirn gruben. „Ich wollte dich nicht einfach so verlassen, Brienne“, sagte er so leise, so dass es Brienne mehr von seinen Lippen ablas.

„Ich wollte bei dir bleiben. Es gab nichts, was ich mehr wollte, auch wenn ich verstehen kann, dass du mir nicht verzeihen kannst.“

Brienne stand stocksteif nahe der geschlossenen Tür, die Augen auf den Mann gerichtet, der neben Renly der Einzige gewesen war, der jemals ihr Herz hatte erreichen können. Er war der einzige Mann, der es je hatte haben wollen. „Und jetzt?“, fragte sie krächzend und kühl, aber nicht ohne Erwartungen.

Jaime hob den Blick, die Augen geweitet und fürchterlich weich. „Und jetzt?“, wiederholte er. „Jetzt... jetzt fühle ich immer noch genauso. Wenn du mich noch möchtest.“

Obwohl er nur einige Meter von ihr entfernt stand, konnte Brienne sich nicht dazu bringen, den Abstand zwischen ihnen zu überbrücken. Es würde noch dauern, denn Vertrauen brauchte Zeit, besonders wenn es schon einmal dem Einsturz nah gewesen war.

„Ich habe nie etwas anderes gewollt“, antwortete Brienne dennoch und wusste im selben Moment, dass es der Wahrheit entsprach.

Jaime hielt ihren Blick und sie erkannte dieselben Gefühle in seinem Blick, die Verwirrung und Überraschung und Erleichterung.
 


 

CULLEN

Manchmal konnte er Andrastes Güte kaum fassen, weshalb sich Cullen oft auf den Knien befand, obwohl sie sich weit von Ferelden und jede Kathedrale oder Tempel befanden. Doch ihr hatte er es zu verdanken, dass Lavellan den Kampf gegen Corypheus gewonnen hatte und zu ihm zurückgekehrt war, dass sie nun gemeinsam hier waren.

Er presste sich enger an den nackten Körper, der neben ihm im Bett lag, schmal und warm. Sein Nasenrücken wanderte an Lavellans Nacken entlang, bevor er ihre rotbraunen Haarsträhnen mit einer Hand beiseite schob, um ihre Schulter zu küssen.

„Ich habe vermisst, so geweckt zu werden“, murmelte Lavellan in ihr Kissen.

Cullens Mundwinkel hoben sich. „Ich bin froh, wenn du auf dem Schiff mal ein Auge zugemacht hast, da stand das Wecken außer Frage.“

Ein Brummen folgte, bevor die Frau, die nicht nur Ferelden, sondern vor allem ihn, in den Bann gezogen hatte, sich auf den Rücken wälzte. „Erinnere mich bloß nicht daran“, nuschelte sie. „Obwohl ich Skyhold vermisse, freue ich mich nicht auf die Schifffahrt zurück nach Ferelden.“

Finger fuhren durch Cullens Haar, bevor sie ein paar der dünnen Haarsträhnen zum Greifen bekamen und ihn heranzogen. Lavellan küsste ihn, bevor ihr Mund sich für ihn öffnete und ihre Beine sich zur ihn spreizten.

Cullen keuchte gegen ihre Lippen, als er sich über sie beugte. Mit einem Arm stützte er sich neben ihrem Kopf ab, während die Finger seiner anderen Hand ihre Körpermitte fanden, heiß und feucht für ihn. Das war seine Lavellan - hungrig, unersättlich.

Noch immer fiel es ihm schwer zu glauben, dass sie sich ausgerechnet für ihn entschieden hatte, obwohl er nicht der Einzige war, der ihr von Anfang an verfallen gewesen war. Damals hatte er aus der Ferne beobachtet, wie sich die Beziehung zwischen Blackwall und Lavellan entwickelt hatte, bis sie durch die Vergangenheit des Soldaten auseinandergebrochen war und Lavellan Mühe gehabt hatte, die Scherben wieder zusammenzusetzen.

Er hatte ihr ein Freund sein wollen, aber ihm war es nie gelungen – und nun war er hier, in ihrem Herzen, in ihrem Körper.

Cullen stöhnte gegen ihren Hals und ihre Finger krallten sich in seinen Rücken, als ihre Beine seinen Hüften hinaufkletterten und ihr heißer Atem sein Ohr streifte.

Ein Klopfen an der Tür ließ Cullens Hüften inmitten eines weiteren Stoßes innehalten. Er biss sich auf die Unterlippe, während auch Lavellan unter ihm stillte, eine Hand gegen ihren Mund pressend.

„Was?“, knurrte Cullen laut genug, um durch die Tür hörbar zu sein.

„Cullen, Lavellan, es wird Zeit“, rief Cassandra durch das Holz und ihr Ton verriet Ungeduld und das Wissen, dass sie ganz genau wusste, was in ihrem Zimmer vor sich ging. „Wir sollten König Jon nicht unnötig warten lassen.“ Anstatt auf eine Antwort zu warten, vernahm Cullen ihre Schritte, bis diese verebbt waren.

Sein Blick ging zu Lavellan hinunter, deren Gesicht einen Rotstich angenommen hatte, der mit ihrer Haarfarbe konkurrierte. Schweiß stand ihr auf der Stirn, doch ihre Lippen waren zu einem verschmitzten Lächeln gehoben, als sie die Hand sinken ließ.

„Sie ahnt etwas“, flüsterte Lavellan verschwörerisch.

Cullen lachte rau auf. „Sie weiß es“, korrigierte er und seine Hüften nahmen ihre Bewegung wieder auf.

[3]


 

JON

Die Müdigkeit war Jons konstanter Begleiter an diesem Morgen. Kein Wunder, da er die gesamte Nacht kein Auge zugetan hatte. Zu viele Gedanken waren ihm durch den Kopf gegangen, nachdem er den ganzen Abend mit Sam und Varys zusammengesessen hatte. Endlose Diskussionen hatten sie geführt, doch keiner hatte eine Lösung für ihre Probleme parat.

Mehr als einmal war Jon drauf und dran gewesen, sich eine Fackel zu schnappen und in das Gewölbe unter der Festung hinunterzusteigen, um dieses Siegel zu den sogenannten Deep Roads zu suchen. Konnte es tatsächlich sein, dass die Gefahr sich direkt unter ihnen befand? Nur Sams besorgte, braune Augen hatten ihn davon abgehalten, als er ihn daran erinnerte, wie tief und verwinkelt jenes Gewölbe war.

Sich mit einer Hand über das Gesicht fahrend, betrat er mit Brienne im Schlepptau den Thronsaal. Doch seine Schritte verlangsamten sich instinktiv, als er die Frau bemerkte, die allein in der hohen Halle stand und sie doch mit ihrer autoritären Aura füllte.

Cassandra Pentaghast hatte die Hände hinter dem Rücken verschränkt, als sie über den hellen Teppich wanderte, der ihre Schritte verschluckte, obwohl sie eine leichte Lederrüstung trug. Sie wandte den Kopf in ihre Richtung und ihr Blick bohrte sich in ihn hinein. Obwohl ihre Gesichtszüge hart und markant waren, durch die kurzen, dunklen Haare und der Narbe auf der Wange nur verdeutlicht, schwand die Ungeduld in ihren Augen, als sie Jon erblickte. Sie drehte sich um und deutete eine Verbeugung an. „Eure Hoheit.“

„Sie sind früh, Lady Pentaghast“, kommentierte Jon, als er seinen Weg zum Thron fortsetzte. Er hatte erst gerade einen Dienstboten zu den Gemächern seiner Gäste hinaufgeschickt, um diese zu versammeln und ihren kleinen Ausflug in das Gewölbe hinunter hinter sie zu bringen.

Obwohl er hoffte, dass es ein Fehler war und sich nichts dort unten befand, hoffte er gleichzeitig für diese kleine Gruppe, dass sie ehrenhaft war und sich nicht mit Lügen den Weg ins Schloss gesucht hatte.

Brienne verweilte an der Tür, die Hand auf dem Schwertgriff gelegt.

„Ich bevorzuge den Titel des Sers“, sagte Cassandra, die vor dem Thron stehen blieb.

Jon sah auf. „Also sind Sie ebenfalls ein Ritter?“ Bisher hatte er nur einen weiblichen Ritter getroffen, weshalb sein Blick unwillkürlich zu Brienne wanderte, die das Kinn in die Höhe reckte.

Cassandra räusperte sich und ihre gebräunte Haut färbte sich einen Hauch dunkler. „Nicht direkt. Ich bin ein Seeker. Wir... besitzen eine andere Hierarchie.“

„Ich kenne mich nicht besonders gut mit den Seekers aus, da es diese in Westeros nicht gibt. Ich bitte Sie um Verzeihung, Seeker“, sagte er und tauschte einen Blick mit Cassandra aus, als diese überrascht bei dem von ihm gewählten Titel aufsah. Ein amüsiertes Lächeln fand den Weg auf Jons Lippen. Er nahm an, dass er richtig gewählt hatte. Es war keine Eitelkeit, die sie dazu gebracht hatte, ihn zu korrigieren, sondern eine Bitte nach Respekt. Wahrscheinlich nicht einmal direkt von ihm, sondern den Bewohnern von Westeros, die nichts mit einem Seeker anfangen konnten, dafür aber mit einer ritterlichen Ansprache. „Ich werde mich bemühen, in der Gegenwart anderer den Titel ‚Ser’ zu benutzen“, versprach er daher.

Cassandras Schultern entspannten sich kaum merklich. Erneut neigte sie den Kopf nach vorn. „Danke, König Jon.“

„Jon. Einfach nur Jon. Oder Jon Snow, wie mich die meisten nennen“, sagte Jon, da der Titel sich furchtbar gezwungen anhörte.

Zum ersten Mal sah er, wie Cassandras Mundwinkel sich zu einem Lächeln heben wollten, sie es im letzten Moment jedoch unterdrückte. „Ich werde dafür sorgen, dass ich wenigstens in der Gegenwart anderer den offiziellen Titel verwenden werde, Jon.“

„Gut.“ Obwohl sich seine Erfahrung mit Frauen auf zwei begrenzte, so verstand er zumindest seine eigenen Reaktionen gegenüber des anderen Geschlechts genug, um zu verstehen, dass er irgendetwas an der Frau vor ihm als anziehend empfand. Sie war das Gegenteil von Daenerys, aber auch das von Ygritte. Cassandra Pentaghast war hochgewachsen, sogar ein paar Zentimeter größer als er, athletisch und auf den ersten Blick mehr Krieger als Frau. Intelligenz und Selbstbewusstsein lagen in den dunklen Augen, während etwas Weiches unter seinem Blick in ihr Gesicht Einzug erhielt.

Stille breitete sich zwischen ihnen aus, welche ihre Wangen noch einen Hauch dunkler färbte, bis sich die Türen zum Thronsaal erneut öffneten und Sam die restlichen Mitglieder von Cassandras Gruppe hineinführte.
 


 

BLACKWALL

Die Luft wurde zunehmend stickiger, als sie die enge Steintreppe hinunterstiegen. Fenster gab es keine mehr, da sie sich längst im Bauch der Feste und unter der Erde befanden. Das einzige Licht stammte von den Fackeln, die sie trugen und die in dem leichten Windzug flackerten, was bedeutete, dass es irgendwo mindestens noch einen weiteren Ausweg aus dem weitläufigen Kellergewölbe gab.

Das würde es der Dunklen Brut nur einfacher machen, an die Erdoberfläche zu gelangen, sollten sie es durch das Siegel schaffen. Allerdings war es unwahrscheinlich, dass die Biester hier durchgekommen waren, denn davon hätte man im Schloss etwas mitbekommen und dann wären die Angriffe näher am Palast gewesen, anstatt in den umliegenden Dörfern, wie der königliche Ratgeber ihnen mitgeteilt hatte.

Trotzdem festigte sich Blackwalls Griff um sein Breitschwert, als sie die letzten Stufen hinter sich zurückließen. Stützpfeiler säumten ihren Weg durch das Gewölbe, ebenso wie die Schädel von Drachen, die in Westeros einst heimisch gewesen waren, während sie in Ferelden noch nie etwas anderes als ein schlechtes Omen dargestellt hatten.

„Die Sitten sind andere“, murmelte Blackwall.

„Haben sie etwas gesagt, Warden Blackwall?“, erkundigte sich die Kommandantin der königlichen Garde und warf einen Blick über ihre Schulter, eine Fackel tragend.

Blackwall räusperte sich. „Nein, Ser.“

„Die Drachenschädel sind gruselig“, sagte Lavellan und ihr Blick hing an einem der kleineren Schädel, die winzig im Vergleich zu vielen anderen schienen, die hier unten gelagert wurden. „Wie sie einen aus hohlen Augen anschauen. Als verfolgen sie einen auf Schritt und Tritt.“

„Das macht bestimmt das Licht der Fackeln“, sagte Sam. „Ich setze auch nicht gern einen Fuß hier hinunter, obwohl die kleinen Drachenschädel eher Mitleid in mir auslösen.“

„Warum das, wenn ich fragen darf?“, fragte Cullen.

„Nun“, begann Sam, doch Jon schnitt ihm das Wort ab.

„Die letzten Drachen der Targaryen-Familie wurden in den Dragon Pits gehalten, wo sie für Schaulustige gekämpft haben, aber nie die Chance gehabt haben, größer zu werden“, erklärte er.

Laut Lelianas Informationen handelte es sich bei König Jon Snow um den letzten der Targaryen-Blutlinie, auch wenn es lange ein Geheimnis gewesen war und er als uneheliches Kind aufgewachsen war, weswegen er den Nachnamen ‚Snow’ trug, den er behalten hatte. Dies war eine weitere Sitte, die es in Ferelden nicht gab. In ihrem Land rannten unzählige Bastarde herum und niemand kümmerte sich darum.

„Laut den alten Karten, die wir über die Deep Road haben, muss das Siegel sich irgendwo zu unserer Linken befinden“, steuerte Cassandra das Gespräch wieder in die richtige Richtung.

An einer Weggabelung hielten sie inne.

„Also diesen Tunnel hinunter“, sagte Jon und sie schlugen den Tunnel zur linken Seite ein. Hier wirkte die Dunkelheit noch ein wenig finsterer und ihre Schritte hallten dumpfer wider, als der Tunnel sich verengte, so dass sie hintereinander gehen mussten.

„Woher stammen die Karten?“, fragte Sam. „Es erscheint mir, dass unsere Lände in den alten Tagen nur wenig Kontakt miteinander gehabt haben.“ Er spähte an Cassandras Schulter vorbei, um einen Blick auf das vergilbte Papier zu werfen, welches sie bei sich trug und grimmig studierte.

„Aus den Archiven“, erwiderte Cassandra.

Lavellan lachte leise. „Ich glaube, du musst schon etwas genauer sein, um die Neugierde unseres neuen Freundes zu stillen, Cassandra.“

„Die Zwerge sind es gewesen, welche die Deep Roads erbaut haben“, erklärte Blackwall. „Sie sind es, welche die alten Karten erstellt haben. Viele Karten sind zerstört worden, andere befinden sich in Orzammer, der Stadt der Zwerge. Nur ein paar haben es in den Besitz anderer Organisationen geschafft, darunter den Grey Warden und den Seekers.“

„Diese Karte stammt von den Seekers“, sagte Cassandra.

„Ähm... und woraus genau besteht die Funktion der Seekers?“, erkundigte sich Sam.

Cassandra schnaufte. „Seekers sind die Sucher der Wahrheit. Wir unterstehen direkt der Kirche. Wie der Name bereits vermuten lässt, ist es unsere Aufgabe, die Wahrheit ans Licht zu bringen und die Korruption auszurotten. Für gewöhnlich kümmern wir uns ausschließlich um alles, was die Templer angeht, aber auch die Verderbnis und andere Gefahren werden nicht von uns ignoriert. Ganz besonders, seit ich der Inquisition beigetreten bin.“

„Das klingt nach einer wichtigen Aufgabe, Ser“, sagte Sam.

„Das ist es.“

Blackwall schmunzelte, bevor Cassandra ein „Wir sind hier“ hinzufügte und ihre kleine Gruppe zum Stillstand kam.

Sie ließen das Licht der Fackeln über die Steinwände und Drachenschädel wandern.

„Dort, seht“, entwich es Lavellan und sie deutete auf eine Vertiefung in der Wand. Um die verschnörkelten Runen im Gestein auszumachen, mussten sie näher herantreten. Keiner von ihnen konnte zwergisch lesen, doch Blackwall erkannte die Schriftzeichen vom Sehen wieder.

„Es ist eindeutig das Siegel“, sagte er.

„Aber das Siegel hält“, sagte Jon und ließ die Finger über die Runen wandern. „Könnt ihr es öffnen?“

„Ja“, antwortete Blackwall. „Und wieder verschließen. Es liegt in der Verantwortung der Grey Warden.“

„Gut“, sagte Jon. „Obwohl ich eurem Wort vertraue, muss ich mit eigenen Augen sehen, was sich dort unten befindet. Umso besser kann ich euch unterstützen, wenn diese Verderbnis tatsächlich auftritt.“

„Wenn sie auftritt, wird es höchstwahrscheinlich bereits zu spät sein, da sie schon im Gange ist“, sagte Cassandra. „Aber wir hatten sowieso vor, uns dort unten umzusehen. Nur so können wir herausfinden, ob die Dunkle Brut im Aufmarsch ist.“

„Ein weiteres Abendteuer also“, sagte Lavellan, doch Blackwall hörte das Zittern in ihrer Stimme. Auch er hatte die Deep Roads noch nie betreten.

„Ser Brienne“, wandte sich Jon an die hochgewachsene Soldatin. „Bereite alles für diesen kleinen Ausflug vor. Wir brechen in drei Stunden auf.“ Sein Blick wanderte zu Cassandra. „Ich nehme an, es spielt keine Rolle, um welche Tageszeit wir dort hinuntersteigen, da dort ebenfalls ständige Dunkelheit herrscht.“

„Es spielt keine Rolle, nein.“
 


 

BRIENNE

Bisher war es stets Jaime gewesen, der vor ihrer Tür aufgetaucht war, nie andersherum. Wahrscheinlich war dies der Grund für die Verwirrung, die Einzug auf sein Gesicht erhielt und die ihre eigene widerspiegelte, als er die Tür öffnete.

„Brienne...“

Sie riss sich aus ihrer Starre, was schwieriger so ganz ohne Rüstung war. Ohne sie fühlte sich Brienne furchtbar verletzlich. „Darf ich reinkommen?“

Jeder abendliche Besuch im Gemach des anderen war mit Spannung erfüllt, mit der Erinnerung an ihre erste und einzige gemeinsame Nacht. Briennes Haut prickelte unter Jaimes Blick, als er sie wortlos hineinbat.

Sein Raum war nicht klein, aber kleiner als das Gemach der Kommandantin der königlichen Garde, welches er einst bewohnt hatte. Zudem sah sein Zimmer wüst aus. Das Bett war nicht gemacht – oder Jaime hatte bereits in ihm gelegen.

Brienne riss ihren Blick von der zerwühlten Decke und verschränkte die Hände hinter dem Rücken, ehe sie sich zu Jaime umdrehte. Er hatte die Tür geschlossen, verweilte jedoch in ihrer Nähe.

„Hast du... Hast du über meine Worte nachgedacht?“, erkundigte er sich.

Ihre Schultern strafften sich. „Darum bin ich nicht hier.“

„Oh.“ Jaime senkte den Blick, hob ihn dann wieder. „Ist etwas vorgefallen?“ Er bewegte sich zum Schreibtisch hinüber. „Willst du etwas trinken? Wein? Nein, ich weiß, dass du nicht trinkst. Wasser also.“ Er zog einen Becher heran, überprüfte ihn der Sauberkeit wegen, bevor er nach der Karaffe griff und das Glas zur Hälfte eingoss.

Brienne beobachtete ihn dabei, beobachtete die Bewegungen seiner linken Hand, die immer geschmeidiger wurden. Ob er inzwischen wohl allein die Schnüre an seinem Hemd aufbekam.

„Brienne...?“

Diesmal musste sie den Blick heben, von seinem Hemdkragen hinauf zu seinem Gesicht. Ihre Wangen fühlten sich hitzig an und sie sich furchtbar ertappt. Sie räusperte sich. „Du hast es sicher schon gehört. Das Siegel im Gewölbe wurde gefunden und Jon wird es öffnen lassen, damit wir sehen, was sich hinter ihm tatsächlich befindet.“

Das Glas ruhte vergessen auf dem Tisch, als Jaime nickte.

„Jon hat mir die Vorbereitungen aufgetragen“, redete sie unbeirrt weiter, um gleich auf den Punkt zu kommen. Sie würde nicht autoritär klingen, wenn sie um den heißen Brei herumredete. „Genauso wie die Entscheidung, wer von der Garde uns begleiten wird. Und wer im Schloss bleibt.“

Jaimes Stirn kräuselte sich. „Was willst du mir damit sagen?“ Misstrauen schwang in seiner Stimme mit und sorgte dafür, dass sich etwas in Briennes Brust zusammenzog. „Dass du mich nicht dabeihaben willst? Mich, der früher auch einmal Kommandant der königlichen Garde gewesen ist?“ Er stieß ein Schnaufen aus, das wie ein raues, freudloses Lachen klang. „Ist es die fehlende Hand, Brienne? Nein, immerhin haben meine Schwertkünste im Kampf gegen die White Walkers gereicht. Dann kann es nur sein, dass du mir noch nicht vergeben hast, oder irre ich mich?“

Wortlos ließ Brienne Jaimes Wut über sich ergehen. Sie verstand es. An seiner Stelle würde sie genauso fühlen. „Irgendjemand muss im Palast nach dem Rechten sehen, solange Jon und ich uns dort unten aufhalten. Jemand, der ehrenhaft ist und dem man vertrauen kann.“

Jaime starrte sie an, suchte die Lüge in ihren Worten, nach ihren wahren Motiven, aber Brienne schulte ihren Gesichtsausdruck. „Und du denkst, dass ich das bin? Ich, der dich mitten in der Nacht hat sitzen lassen?“

„Meine Meinung über dich hat sich nicht geändert, Jaime.“

Für einen Moment starrten sie sich einfach nur an, Jaime mit halb offenstehendem Mund, als läge ihm noch viel mehr auf der Zunge.

„Nein“, presste er schließlich hervor. „Ich glaube dir, aber... da steckt mehr dahinter. Ich kenne dich zu gut dafür.“

Natürlich ließ sich Jaime nicht so einfach abspeisen, nicht von ihr, nie von ihr. Ihr flatterte das Herz bei diesem Gedanken – und Jaime musste irgendetwas in ihrem Gesicht gesehen haben, denn er kam auf sie zu, bis er direkt vor ihr stand.

Brienne fühlte sich sofort in der Zeit zurückversetzt, nur dass sie nicht gerade eine Schlacht überlebt hatten und auch kein Feuer im Kamin knisterte.

„Sag es mir“, forderte Jaime.

„Jaime...“

„Bitte, Brienne.“

Sie war so entschlossen gewesen, als sie Jaimes Gemach aufgesucht hatte. Alle Worte waren bereitgelegt gewesen, alle Emotionen in eine Kiste gesperrt worden. Ihr Verstand hatte die Entscheidung getroffen, hatte sich für das Logischste und Sicherste entschieden. Dies hatte Brienne zumindest gedacht, aber jeder Moment in Jaimes Gegenwart belehrte sie eines Besseren.

„Ich kann dich nicht schon wieder verlieren“, sagte sie tonlos und mit starrem Blick, mit einem tauben Gefühl, welches jeden Winkel ihres Körpers einnahm. „Nicht schon wieder.“

Jaimes Augen weiteten ihn. Es kam Brienne vor, als hätte ein Zauber die Zeit nun endgültig zurückgedreht, als Jaime vorschnellte. Seine Hand in ihrem Nacken und sein Mund, der sich gierig gegen ihren drückte.

Brienne keuchte in den Kuss, bevor sie ihn erwiderte und nach seinem Hemd griff, um sich an ihm festzuhalten.
 


 

JON

Der Raum lag in Stille. Eine Ruhe, die Jon seit seiner Krönung ganz besonders schätzte, da Momente wie diese selten geworden waren. Seine Finger strichen über das längliche Pergament, als er nach den passenden Worten suchte. Schließlich nahm er die Feder zur Hand und tauchte sie in die Tinte.

Den Brief begann er mit dem Namen seiner Schwester. Schon seit Wochen hatte er sich vorgenommen, eine Nachricht für Sansa zu verfassen. Wo genau sich Arya auf ihren Reisen herumtrieb, wusste Jon nicht. Nur selten erreichte eine Nachricht von ihr das Schloss. Doch ohne einen Ort, an dem sie sich länger aufhielt, blieb es ihm verwehrt, Arya ebenfalls zu schreiben. Daher verfasste er nur einen Brief.

Aber das Problem der Dunklen Brut und der Verderbnis bezüglich betraf Sansa als rechtmäßige Königin im Norden ohnehin. Zudem war Jon interessiert daran, was Tyrion zu diesen Geschehnissen sagen würde, ob er etwas wusste und was er Jon empfehlen würde. Wenn all dies tatsächlich der Wahrheit entsprach, wonach es im Moment aussah, dann stand ihnen womöglich wirklich eine Verderbnis bevor. Zwar konnte sich Jon nicht vorstellen, dass etwas schlimmer als eine untote Armee sein konnte, aber er wollte es auch nicht herausfinden.

Zudem war es unsicher, ob es im Norden nicht auch eines dieser Siegel zu den Deep Roads gab. Auch dies schrieb er in den Brief an Sansa, in dem er erwähnte, dass er sich auch über eine Rückmeldung ihres Ehemannes freuen würde. Obgleich seines Hauses war Tyrion immer schon so etwas wie ein alter Freund für ihn gewesen und nun gehörte er auch zur Familie und zu ihrem Haus, da Sansa als Königin darauf bestanden hatte, ihren Nachnamen und die Angehörigkeit zu ihrem Haus zu behalten. Das Wappen des Direwolfs legte sie nicht ab und Jon war froh darum.

Die gewohnte Sehnsucht nach dem kalten Norden mit ihren klaren, ruppigen Sitten ergriff Jons Herz, als die Feder über das Papier kritzelte. Zwar hatten die Häuser im Norden ihre eigenen Traditionen, aber eine davon war, dass sie gelegentlich ihre Traditionen brachen, wenn es um ihre eigenen Leute ging. Darunter fiel auch eine Frau zur Königin zu krönen, denn sie wussten, dass der Norden sich nicht einmal unter Jons Führung der restlichen Welt anpassen würde.

Es klopfte an seiner Zimmertür. Die Feder kam zum Stillstand und Jon hob den Blick und sah zu ihr hinüber. Die Tür lag in in den Schatten, da die kleine Kerze auf seinem Schreibtisch nur einen schmalen Lichtkreis warf.

„Herein.“

Sams Haarschopf erschien im Türspalt. „Jon? Störe ich?“

„Natürlich nicht, Sam. Komm rein.“ Seine Mundwinkel hoben sich, als sich Jon wieder dem Brief zuwandte, seinen Namen unter den Text schrieb und das Pergament zusammenrollte, um sein Siegel daraufsetzen zu können.

Die Tür schloss sich mit einem leisen Klicken.

„Ich war nicht sicher, ob du noch wach bist“, gestand Sam und Jon vernahm seine Schritte, als er nähertrat.

„Es war mir wichtig, noch einen Brief an Sansa zu schreiben“, sagte Jon. „Nur für den Notfall. Als Blutsverwandte ist sie meine rechtmäßige Erbin, sollte mir irgendetwas passieren. Aber so oder so ist es wichtig, dass sie weiß, dass der Frieden vielleicht nicht von Dauer ist.“

Sams buschige Augenbrauen zogen sich zusammen. „Befürchtest du, dass dir etwas passieren wird? Ich meine, ja, morgen begebt ihr euch in die Deep Roads um nach der Dunklen Brut zu suchen, aber...“

„Mach dir keine Sorgen, Sam.“ Jon lächelte. „Ich möchte nur vorbereitet sein. Für den schlimmsten Fall, was nicht bedeutet, dass er eintreten wird.“

„Richtig. Ja, richtig.“

Er reichte Sam die kleine Rolle. „Könntest du das für mich heute noch abschicken, Sam?“

„Natürlich.“ Sam nahm ihm das kleine Schriftstück ab, doch seine Hand bebte.

„Was gibt es?“, fragte Jon und sein Freund senkte ertappt den Blick zu seinen Schuhen hinunter.

„Nun, ich weiß, dass ich nur dein Berater bin, Jon, aber—“

„Sam. Du bist viel mehr als das“, unterbrach Jon.

Selbst im schwachen Lichtschein der Kerze wurde deutlich, wie sich Sams Gesicht rötete. „Ich würde euch gern morgen begleiten. In die Deep Roads. Ich würde sie gern mit meinen eigenen Augen sehen, diese Dunkle Brut.“

Jons Augen weiteten sich und er strich sich über den Bart, als er sich diesen Wunsch durch den Kopf gehen ließ. Sam war kein Kämpfer, obwohl er schon oft gekämpft und überlebt hatte. Seine Waffe war sein Verstand; es waren die Bücher. Andererseits sah Sam auch oft Dinge, die Jon oder anderen Leuten entgingen, was vom Vorteil sein konnte, gerade in einer Angelegenheit wie dieser, mit der keiner von ihnen Erfahrung hatte.

„In Ordnung. Solange du Brienne oder mir nicht von der Seite weichst“, sagte Jon schließlich, wohl wissend, dass seine Worte den Stolz eines anderen Mannes verletzt hätte, doch Sam nur begeistert nicken ließ.

„Ich werde wie ein Schatten sein“, versprach Sam, bevor er davoneilte, um noch in dieser Nacht einen Raben nach Winterfell zu schicken.

[4]


 

CULLEN

Cullens Begeisterung für den Ausflug in die Deep Roads hielt sich in Grenzen. Immerhin waren sie erst vor einigen Monaten knapp dem Tod und dem Untergang der Welt entkommen. Es war ein Wunder, dass es sie überhaupt überlebt hatten, dass Lavellan noch immer an seiner Seite war.

„Bist du sicher, dass es notwendig ist, dort hinunter zu steigen?“, fragte er, obwohl er selten Lavellans Entscheidungen hinterfragte. Immerhin hatte sie sich längst bewiesen und vor ihm musste sie sich sowieso nicht rechtfertigen. Nie vor ihm.

Doch trotz seines tiefsitzenden Vertrauens, verweilten Zweifel in ihm, eine Angst, die sich mehr um Lavellans Wohlbefinden als sein eigenes sorgte.

Cullen ging in ihrem Zimmer auf und ab. „Ich meine nur... Wir wissen bereits, dass uns eine Verderbnis bevorsteht. Ein Ausflug in die Deep Roads wird daran nichts ändern.“

Lavellan festigte die Schnüre, welche ihren Brustpanzer zusammenhielt. „Das vielleicht nicht, doch ich bezweifele, dass wir mit König Jons Unterschätzung rechnen können, wenn wir ihm keinen handfesten Beweis liefern. Selbst wenn er uns glaubt, er hat ein Volk zu vertreten.“ Nachdenklich sah sie zu ihm hinüber, mit Augen so grün wie frisches Gras in der Sonne. „Und sein Königreich ist nicht klein, sondern umfasst mehrere Länder. Auch seine Schwester regiert. Sie wird mitziehen, wenn wir ihn auf unserer Seite wissen, da bin ich mir sicher. Auf all das können wir nicht verzichten, Cullen.“

Ein raues, freudloses Lachen entrann seiner Kehle. „Sag doch einfach, dass wir keine andere Wahl haben.“

„Wir haben keine andere Wahl, Cullen.“ Doch sie lächelte, was selbst diese Tatsache leichter zu ertragen machte, auch wenn die Angst wie ein Stein im Schuh war, immer da und immer spürbar.

Lavellan kam auf ihn zu und legte die Arme um seine Hüften, bevor sie sich auf Zehnspitzen stellte und ihm einen Kuss auf den Mundwinkel presste. „Wir haben schon Schlimmeres überstanden. Das ist nichts im Vergleich.“

„Ich hoffe, du hast recht...“ Er strich ihr eine rotbraune Haarsträhne hinter das Ohr, bevor er sich von ihr löste, um seinen Schwertgürtel umzumachen, der seine Rüstung vervollständigte. „Wir sollten Cassandra besser nicht wieder warten lassen.“

Damit begaben sie sich zum Thronsaal, in dem auch Jon, sein Berater Sam, Blackwall, Cassandra, Brienne und drei weitere Soldaten bereits auf sie warteten. Nur wenige Worte wurden ausgetauscht, bevor sie ein weiteres Mal in die Katakomben unter dem Schloss hinunterstiegen und Blackwall das Siegel zu den Deep Roads öffnete. Dieses schlossen sie hinter sich, so dass nur noch die mitgebrachten Fackeln die ewig weilende Finsternis hier unter erhellten.

Ein Frösteln ging durch Cullens Körpers und seine Hand tastete nach dem Schwert an seiner Hüfte. Das Licht ihrer Fackeln erhellte die langen Steintunnel mit ihren hohen Decken, die von Säulen gehalten wurde. Ihre Schritte hallten in der Dunkelheit davon, ganz gleich wie leise sie sich bewegten. Ihre Gruppe war zu groß, die Anzahl ihrer Mitstreiter zu hoch.

„Seid Ihr sicher, dass die Karte aktuell ist, Lady Seeker?“, fragte Sam und ein Beben lag in der Stimme des königlichen Beraters.

Auch Cullen flatterte das Herz in der Brust und seine Hände schlossen sich fester um die Fackel und seinen Schwertgriff.

„Natürlich ist sie nicht aktuell“, stellte Cassandra klar. „Einige Tunnel werden eingestürzt sein, so alt wie sie sind.“ Nun schlich sich etwas Spott in ihre Tonlage. „Aber ich denke, es kann mit Sicherheit gesagt werden, dass die Abzweigungen sich nicht geändert haben. Dass die Tunnel nicht umgegraben worden sind.“

Cassandras Kommentar entlockte Lavellan ein fast lautloses Kichern und auch Cullen spürte, wie sich der Knoten in seinem Magen ein wenig löste.

Dies war jedoch nicht von langer Dauer, denn ein langgezogenes, hohes Jaulen zerschnitt die Stille und somit auch seine Belustigung über Cassandras Antwort.

Sie kamen zum Stillstand. Schwerter wurden gezogen, als sie warteten. Sie warteten auf weitere Geräusche, auf Schritte, auf Silhouetten, die sich in der Finsternis bewegten, sich in den Lichtkreis ihrer Fackeln bewegten – aber nichts von dem geschah.

„Irgendetwas befindet sich definitiv hier unten“, meinte Jon nach einigen Minuten.

„Was auch immer es ist, es scheint uns nicht gehört zu haben“, sagte Blackwall, als sie dem Tunnel weiterfolgten.

Dieser mündete auf einer langen Steintreppe, die tiefer in die Erde führte. Sie war so lang, dass das Licht ihrer Fackeln ihr Ende nicht erreichte. Ihre Schritte waren leiser als zuvor, doch ihre Rüstungen klapperten leise, als sie die Stufen hinabstiegen.

Die Treppe nahm einen Bogen und dumpfe, fahle Helligkeit wartete hinter diesem, woraufhin sie die Fackeln auf den Steinboden gleiten ließen, um sie auszutreten. Darin brauchten sie sich nicht absprechen. Sie hielten inne und formten einen engen Kreis, während die Dunkelheit sie vor neugierigen Augen verbarg.

„Hier unten brennt ein Feuer?“, flüsterte Sam. „Leben hier etwa Menschen?“

„Hier unten überlebt nichts besonders lange. Nichts Menschliches zumindest“, entwich es Cullen und der Gedanke an das, was sie erwartete, stellte ihm unangenehm die feinen Härchen im Nacken auf.

„Keiner weiß, wer die Feuer hier unten entfacht“, erklärte Blackwall wispernd. „Aber die Aufzeichnungen der Grauen Wächter erzählen schon seit Jahrhunderten von den Feuern in den Deep Roads. Die einzige Erklärung ist, dass sie von der Dunklen Brut entzündet worden waren.“

„Eigenartige Kreaturen“, murmelte Jon. „Sie scheinen uns in dieser Hinsicht nicht ganz so unähnlich sein, wie ich mir erhofft habe. Auch sie brauchen Helligkeit. Oder sehnen sie sich danach?“

„Es spielt keine Rolle“, entwich es Cassandra. „Wir sind nicht hier, um die Eigenschaften der Dunklen Brut zu erkunden, eure Majestät. Lasst uns weitergehen und sehen, was dort vor sich geht, während wir hoffen, unbemerkt zu bleiben.“

„Cassandra hat recht“, sagte Lavellan und legte eine Hand auf Cullens Arm, durch die Rüstung nur durch ihr Gewicht spürbar. „Für alles andere haben wir auch später noch Zeit.“

Kein Widerspruch folgte. Stattdessen setzten sie ihren Weg fort und stiegen auch die restliche Treppe hinunter, die in einem riesigen Gewölbe endete. Die Ecken waren mit Dunkelheit erfüllt, doch viele kleine Feuer, die kein Holz oder Laub zum Brennen brauchten, waren in der Mitte entfacht worden.

Einige, umgefallene Steinsäulen lagen zerbrochen umher, boten weitere Verstecke für sie, hinter denen sie Schutz suchten. Cullen fand sich mit Brienne an seiner Seite hinter einer von ihnen wieder. Der Atem der Frau ging schnell und kurzatmig, als sie die schuppigen, grunzenden Kreaturen ins Auge fasste, die sich um die Feuer gesammelt hatten.
 


 

BLACKWALL

So viele der Grauen Wächter hatte es schon in die Deep Roads verschlagen. Es war der letzte Ort, den sie besuchten, ihre Grabstätte, sobald die Verderbnis in ihnen die Oberhand gewann, die sie sich freiwillig einverleibt hatten, um besser die Dunkle Brut zu bekämpfen. Vorausgesetzt sie vielen nicht zuvor auf dem Schlachtfeld eben diesen Monstern zum Opfer.

Trotzdem war jede Faser von Blackwalls Sein zum Zerreißen angespannt, von einer uralten Angst erfüllt, die sich auch der fähigste Soldat nicht vollkommen entledigen konnte.

Gleichzeitig erfüllte ihn Schuld, denn obwohl er auf Lavellans Bitte den Posten des Kommandanten der Grauen Wächter angenommen hatte, war er keiner von ihnen, nicht wirklich. Nie komplett.

Er war ein Außenseiter, ein Verräter und ein Feigling und ein Lügner, ganz gleich, ob seine Lügen längst das Licht der Welt erblickt hatten und unter den Umständen und durch sein Mitwirken gegen Corypheus aufgrund der Notwendigkeit vergeben worden waren.

Beim Erbauer, wie konnte er da noch mehr wollen? Er hatte so viel mehr, als er sich jemals verdienen und wieder gutmachen könnte. Er hatte noch immer Lavellans Vertrauen und ihre Freundschaft, wenn auch nicht ihr Herz.

Doch nicht einmal die bevorstehende Verderbnis und die Dunkle Brut nur wenige Meter von ihnen entfernt konnte etwas an der zerreißenden Sehnsucht ändern, die Blackwall in Lavellans Gegenwart verspürte.

Die zierliche Frau, die ihren athletischen Körper unter einer blauvioletten Rüstung verbarg, presste sich neben ihn an das Gestein, als sie über den zertrümmerten Pfeiler hinweg linste.

Blackwall tat es ihr gleich. „Sie sind uns überlegen“, flüsterte er.

„Ihre Anzahl bestätigt unsere Theorien, da bin ich mir sicher“, antwortete Lavellan und selbst in der Halbdunkelheit las Blackwall die Angst aus ihrem Blick heraus. Er wollte nichts lieber, als sie in die Arme zu schließen.

Anstatt jedoch diesem egoistischen Impuls nachzugeben, suchte er die zertrümmerte Gegend nach dem Rest ihrer Truppe ab. Sie alle hatten hinter Steinbrocken Schutz gefunden und spähten an ihren Rändern zu ihren Feinden hinüber.

Blackwall wandte sich ab und seine Hand fand den Platz auf Lavellans schmaler Schulter. Ihre Muskeln spannen sich noch ein wenig mehr unter seiner Berührung an. „Wir haben gefunden, wofür gekommen sind. Ein Rückzug an dieser Stelle wäre keine Schande.“ Immerhin waren sie nicht zum Kämpfen hier, sondern nur, um dem König von Westeros den Beweis zu liefern, dass ihre Worte der Wahrheit entsprachen. Die Anwesenheit der Dunklen Brut dürfte genau dies erledigt haben.

Lavellan nickte. „Richtig. Gib das Zeichen, Blackwall.“

Das geplante Handzeichen gab er an Cassandra und die anderen weiter, die mit demselben antworteten, bevor sie einer nach dem anderen wieder in die Richtung der Treppe huschten.

Bevor aber auch nur einer von ihnen die untersten Stufen erreicht hatte, drang ein tiefes Grölen an ihre Ohren. Blackwall, der sich direkt hinter Lavellan befand, warf einen Blick über die Schulter zurück zu der Dunklen Brut, die plötzlich in Auffuhr war.

Wie hatten sie sich verraten? Sie waren leise gewesen. War es ihr Geruch? Etwas ganz anderes?

Blackwalls Frage blieb unbeantwortet, als die schuppigen, mutierten Kreaturen losrannten, direkt in ihrer Richtung. Sie verbreiteten sich schwarzes Wasser, strömten zwischen den umgestürzten Stützpfeilern hindurch und direkt auf sie zu.

„Sie kommen!“, brüllte Blackwall, doch seine Stimme sowie ihr Echo wurden von den Gegrunze und den anderen Lauten der Brut verschluckt, ehe sie bereits eingeholt worden waren.

Er zog das Breitschwert surrend aus der Scheide und schlitzte einem Hurlock im selben Hieb den Magen auf. Adrenalin pumpte durch Blackwalls Arterien, während die verdorbenen Kreaturen einen Kreis um sie zogen, mehrere Kreise, welche sie alle voneinander trennten.

Lavellan hatte ihr Dolche hervorgezogen. Mit geschickten Bewegungen blockte sie die verrosteten Schwerter der Brut ab, ihre scharfen Klauen, die nach ihrem Fleisch lechzten. Gemeinsam hackten sie sich durch die Horde, die nicht weniger zu werden schien.

„Blackwall!“, rief Lavellan und schob einen Dolch zurück in die Halterung auf ihrem Rücken.

Er rückte näher an sie heran, bis er hinter ihr stand und sie von hinten deckte. Sie kämpften schon so lange Seite an Seite, dass sie nichts sagen brauchte. Auch wenn er nicht einverstanden war, verstand er, was sie vorhatte.

Den Bruchteil einer Sekunde später erhellte ein gleißendes, grünes Licht das Gewölbe bis auf den hintersten Winkel, als Lavellan das Mal an ihrer Hand benutzte, das noch immer in ihrer Hand prangte. Das sich längst weiter ihren Arm hinaufzog und sie irgendwann verschlingen würde, ein Überbleibsel von Corypheus und seinen machthungrigen Plänen.

Die Wut stieß Blackwall bitter auf, während das Mal alles einsaugte, was sich vor ihr befand. Der magische Luftstrom zog an seinen Haaren, während er hinter sich Lavellans ersticktes Keuchen vernahm.

Ein Blick ging über seine Schulter, als Lavellan die Hand schloss und das Mal versiegelte, bevor sie erschöpft zu Boden rutschte. Genauso wie es sich ausbreitete, raubte es Lavellan immer mehr an Energie, während der Schmerz anwuchs. Sie redete nicht oft darüber, doch hatte sich ihm vor einiger Zeit nach einem Trinkgelage in der Bar anvertraut.

Blackwall nutzte die allgemeine Verwirrung der Dunklen Brut, die plötzlich in fast vollständiger Dunkelheit getaucht war, da die Feuer bis auf ein paar vereinzelten, erlöscht waren, um Lavellan am Oberarm zu packen und sie auf die Beine zu ziehen.

„Hier rüber!“, rief Cullen. Dieser trat einem Genlock in den Magen, bis dieser zurückstolperte, bevor er ihm mit seinem Schwert den Kopf vom Körper trennte. Er winkte sie heran, da Cassandra und Brienne ihnen einen Weg zwischen den Kreaturen freigehackt hatten.

Blackwall zog Lavellan hinter sich her, sie halb stützend, während sein Schwert schwer in seiner Hand wog.

Mit keuchendem Atem und hastigen Schritten stürzten sie fort von den Kreaturen und blind in die Finsternis hinein, schneller und schneller, fort von den Treppen.
 


 

BRIENNE

Die Finsternis war dunkler in diesem Teil der Deep Roads. Brienne kannte die Hand kaum vor den Augen erkennen, als sie sich weiter vorwagten. Zudem war es furchtbar leise, so leise, dass Brienne ihren Atem vernehmen konnte. Doch wenigstens war das Gegrunze und das Jaulen dieser Dunklen Brut verstummt, die bis vor kurzem noch auf ihren Fersen gewesen waren. Anscheinend sahen diese jedoch genauso wenig bei dem fehlenden Licht hier unten. Die Fackeln hatten sie längst zurückgelassen und auch die Dunkle Brut hatte keine auf ihrer Jagd nach ihnen mitgenommen. Brienne zweifelte jedenfalls nicht daran, dass sie dies hätten tun können, da sie immerhin Schwerter und andere Waffen halten konnten. Sie waren menschlicher, als ihr lieb war, den White Walkers in dieser Hinsicht nicht unähnlich. Nur waren sie stärker, dies hatte Brienne deutlich gemerkt, als ihre Schwerter aufeinander geprallt waren.

Der Tunnel, in den sie geflüchtet waren, war eng und halb eingestürzt. Nacheinander tasteten sie sich am Gestein entlang, darauf bedacht sich leise zu bewegen, um die Dunkle Brut nicht doch auf sich aufmerksam zu machen.

„Sie scheinen in einen der größeren Gänge abgebogen zu sein“, flüsterte Cassandra, die hinter ihr ging und somit das Schlusslicht ihrer Gruppe bildete.

„Gut“, erklang es von weiter vorn. Brienne erkannte die Sorge sogleich aus Jons Stimme heraus. „Weil dieser Weg uns nicht weiterbringt. Der Tunnel ist vollkommen verschüttet, soweit ich sagen kann.“

„Wir sitzen in der Falle“, murmelte Sam und ein Zittern unterlag seinen Worte, die auch Brienne die kurzen Härchen im Nacken aufstellte.

„Nur wenn sie uns finden“, bemerkte Cullen und schob sich an Sam und Cassandra vorbei, um Lavellan zu erreichen, die noch immer von dem Grauen Wächter gestützt wurde.

„Ich denke, dass sie uns hier nicht vermuten“, sagte Cassandra. „Der Tunneleingang war versteckt, darum haben wir ihn schließlich gewählt. Ausserdem ist er schmal. Die größeren Hurlocks dürften nicht einmal zwischen den Felsen hindurchpassen.“

„Verwinkelt wie es ist, dürfte ein kleines Feuer keine Aufmerksamkeit auf uns ziehen, oder?“, fragte Jon.

Ein paar Sekunden später flackerte eine schmale Flamme, die winzig war, doch genug Licht in der vollkommenen Dunkelheit erzeugte, um ihre Gesichter preiszugeben. Jon hatte es aus ein paar mitgenommenen Zweigen entzündet, seine Überlebensqualitäten erneut unter Beweis stellend. Er benahm sich noch immer mehr wie ein Soldat, der auf alles vorbereitet war, und weniger wie der König, der er inzwischen war.

Briennes Blick wanderte von einem zum anderen, während Blackwall sich von Cullen und Lavellan abwandte, um den Tunnel zu bewachen. Er entfernte sich, bis die Finsternis ihn abermals verschluckte.

Cullen half Lavellan sich auf einem heruntergefallenen Stein niederzulassen. Er schraubte die Wasserflasche auf, um ihr einen Schluck zu gönnen, den sie mit einem müden, aber dankbaren Lächeln akzeptierte.

Einst hatte Brienne gedacht, oder vielleicht eher gehofft, dass Jaime und sie irgendwann ein ähnliches Band haben würden: Seite an Seite kämpfen, sich umeinander sorgen und einander beschützen, bis sie vielleicht irgendwann im selben Kampf beieinander auf dem Schlachtfeld fielen.

„Ser Brienne?“, erkundigte sich Cassandra. „Hier. Wasser. Ihr seht bleich aus.“ Unzeremoniell drückte sie Brienne die lederne Flasche in die Hand, bevor sie neben Lavellan und Cullen auf dem Stein Platz nahm, während Jon das Feuer unter Sams wachsamen Blick vergrößerte.

„Danke, Ser“, murmelte Brienne mit belegter Stimme und schluckte die Sehnsucht nach Jaime hinunter. Vielleicht hätte sie nicht so abweisend zu ihm sein sollen. Immerhin hatte er sich tatsächlich um sie bemüht, schon seit Wochen und länger nach einem Gespräch, nach ihrer Aufmerksamkeit, gesucht, auch wenn sie ihm stets aus dem Weg gegangen und ihm ausgewichen war.

Sie steckte das Schwert weg. Das Wasser schmeckte bitter und warm, als sie es trank und sich abseits der Leute aus dem fernen Ferelden auf den Steinboden setzte.

Schweigen breitete sich aus. Erst Blackwall brach es, als er nach Minuten zurückkehrte. „Soweit ich das beurteilen kann, suchen sie noch immer nach uns. Sie scheinen sich in Gruppen aufgeteilt zu haben.“

„Das könnte ein Vorteil für uns sein“, sagte Lavellan. „Weniger zu beseitigen, wenn ihr uns auf dem Rückweg zum Tor vor einigen von ihnen verstecken können. Zur Not kann ich das Siegel in meiner Hand—“

„Auf keinen Fall“, unterbrach Cullen, bevor er sich räusperte und mit der behandschuhten Hand durch das Haar fuhr. „Ich meine... Wir schaffen das auch so irgendwie.“

„Ser Rutherford hat recht“, sagte Jon und richtete sich auf. „Irgendwann werden sie ihre Suche aufgeben und sich in Sicherheit wiegen. Wenn wieder Ruhe eingekehrt, machen wir uns auf den Rückweg. Wenn wir vorsichtig genug sind, dürfte es uns gelingen.“

„Das könnte Tage dauern“, murmelte Sam.

Cassandra schnaufte. „Das glaube ich nicht. Diese Kreaturen sind nicht für ihre hohe Konzentration und Ausdauer bekannt. Auch nicht für ihre Hartnäckigkeit. Sie jagen und töten, was ihnen in den Weg kommt. Nicht mehr und nicht weniger.“

„Genug Wasser, um für eine Weile hier zu bleiben, haben wir“, sagte Cullen. „Gut, dass wir einige Vorräte gepackt haben.“

„Dann ist es beschlossene Sache“, sagte Jon.

Brienne straffte die Schultern und ließ die Trinkflasche sinken. „Gut. Wir sollten abwechselnd Wache schieben. Ich werde die erste übernehmen.“

Jon schenkte ihr ein grimmiges Lächeln und nickte.

„Ich werde Sie ablösen, Ser Brienne“, sagte Blackwall und Brienne war dankbar, dass er sich nicht anbot, sondern ihre Worte akzeptierte.
 


 


 

JON

Hier unten in den Deep Roads war es einfach, sein Zeitgefühl zu verlieren. Sie waren am Nachmittag aufgebrochen und Jon war sich sicher, dass inzwischen einige Stunden vergangen waren. Daher nahm er an, dass es nun tiefste Nacht sein musste, seit sie in diesem Teil der Höhle festsaßen und darauf warteten, dass die Dunkle Brut sie aufspürte. Dies war bisher jedoch nicht geschehen.

In ihrer Gruppe war es inzwischen still geworden, während sie alle sich ausruhten und ein wenig Schlaf zu finden versuchten, nach dem das Adrenalin aus ihrem Blut gewichen war.

Doch schon oben m Schloss kam Jon nur schwer und selten zur Ruhe, wenn er nicht gerade vor völliger Erschöpfung ins Bett fiel. Hier in der ewigen Dunkelheit nur von dem kleinen Feuer erhellt, welches auch nicht ewig brennen würde, fand er keinen Schlaf.

Als es schließlich Zeit wurde, Blackwall bei seiner Wache abzulösen, war Jon fast froh darüber. Seine Knie knackten und fühlten sich steif an, als er sich vom Steinboden erhob und die wenige Helligkeit des Feuers zurückließ, um sich durch den Spalt im Gestein zu schieben. Dort begrüßte ihn die Dunkelheit, sodass es mehr ein Vorantasten als alles andere war.

Ein schleifendes Geräusch war zu vernehmen: ein Schwert, welches aus der Scheide gezogen wurde.

„Ich bin es, Jon“, sagte Jon, um Blackwall zu versichern, dass er keine dieser Kreaturen war.

„Ist es schon Zeit für die Ablösung?“, antwortete die tiefe, raue Stimme des Grauen Wächters. Sie klang erschöpft, aber nicht viel anders als sonst.

„Wer weiß das hier unten schon“, sagte Jon, da er sich lediglich auf sein Instinkt verließ. „Aber ich denke schon.“

Blackwall räusperte sich irgendwo vor ihm. „Seid Ihr sicher, dass ihr allein Wache halten wollt, eure Majestät? Wenn dem König von Westeros—“

„Selbst wenn mir etwas passieren sollte, wird meine Schwester eine würdige Nachfolgerin sein“, sagte Jon, da er schon weit schlimmere Sachen erlebt hatte, als einen Tunnel in völliger Finsternis zu bewachen. Immerhin wusste er sogar, wie sich das Sterben anfühlte.

Blackwall protestierte nicht, sondern suchte sich den Weg an Jon vorbei. Ihre Ellenbogen berührten sich, als sie sich aneinander vorbei manövrierten.

Jon fand einen heruntergefallenen Stein, auf den er sich setzte, die Hand am Schwertgriff. Blackwalls Schritte verebbten und hinterließen vollkommen Stille. Wie lange Jon dort saß und in die Dunkelheit starrte, wusste er nicht. Die Zeit schien genauso zäh zu fließen, wie sie es gerade eben noch getan hatte. Sie konnten nicht ewig hier bleiben. Schon bald müssten sie sich aus ihrem Versteck wagen und den Rückweg finden, um—

Jons Gedanken kamen zum abrupten Stillstand, als er weitere Schritte vernahm. Sein Herz klopfte schneller, doch das Geräusch kam nicht von vorn.

„Ich kann nicht schlafen“, erklang Cassandras Stimme.

Jons Muskulatur entspannte sich wieder. „Dann sind wir schon zwei“, antwortete Jon. Eine Hand fand seine Schulter und benutzte sie als Wegweiser, bis Cassandra neben ihm Platz nahm. Es war merkwürdig, wie schnell er sich an Cassandras Anwesenheit gewöhnte, aber es fühlte sich an, als ob sie einander schon sehr lange kannten.

„Die Inquisition kann mit jeder Unterstützung rechnen, die sie braucht. Alles und jeden, den wir entbehren können“, sagte Jon schließlich, denn er hatte die Dunkle Brut, die ihre Welt bedrohte, mit eigenen Augen sehen wollen und hatte dies getan. Man versuchte ihn nichts vorzuspielen. Diese Verderbnis war keine lang verstummte Legende, sondern etwas, was ihnen erneut bevorstand.

Für einen langen Moment schwieg Cassandra neben ihm, so lange, dass Jon beinahe annahm, dass sie ihn nicht gehört hatte. „Das ist sehr großzügig von Ihnen, Jon“, antwortete sie irgendwann.

Jons Mundwinkel hoben sich bei ihrem höflichen Ton. „Großzügig?“, spöttelte er und vernahm ein Lufteinziehen neben sich. „Wohl eher notwendig.“

„Das mit Sicherheit“, sagte Cassandra und etwas Weiches schlich sich in ihren Ton. Er hätte gern ihr Gesicht gesehen, ob die Sanftheit auch ihre dunklen Augen erreichte und ihr markantes Gesicht entspannte.

„Ich nehme nicht an, dass diese Verderbnis genau aus dem Siegel unter King’s Landing herausbrechen wird?“, erkundigte sich Jon. Sie redeten im Flüsterton.

„Den Vorfällen von zerstörten Ortschaften in Westeros nach zu urteilen, hat die Dunkle Brut bereits einen anderen Weg an die Oberfläche gefunden“, sprach Cassandra. „Vielleicht ist der Erzdämon auch bereits an der Oberfläche oder auf den Weg dorthin.“

„Es ist ein Drache?“ Jon erinnerte sich unwillkürlich an Drogon. „Ich kannte einst einen Drachen. Erst ist zusammen mit dem toten Körper seiner menschlichen Mutter davongeflogen. Ich habe keine Ahnung wohin, aber soweit ich weiß, hat niemand ihn seitdem gesehen.“

Cassandra bewegte sich neben ihm. Jon konnte es nicht sehen, doch spürte ihre Schulter, die sich gegen seine presste, Rüstung gegen Rüstung. „Es kann gut sein, dass dieser Drache einen Weg in die Deep Roads gefunden hat. Irgendeinen versteckten Durchgang und dort der Dunklen Brut in… in seiner Trauer zum Opfer gefallen ist.“

In seiner Trauer…

Jon lächelte freudlos. Er wünschte, er hätte Dany nach ihrem Absturz vor den White Walkers beschützen können. Vielleicht wären sie dann nicht hier in den Deep Roads mit einer Horde verdorbener Kreaturen, die alles abschlachteten, was ihnen in den Weg kam.

„So oder so“, unterbrach Cassandra seine Gedanken. „Es macht keinen Unterschied, wie die Verderbnis entstanden ist. Sie ist hier und wir müssen uns um sie kümmern.“ Die Schulter entfernte sich, als Cassandra aufstand. „Ich werde versuchen zu schlafen. Wir brauchen unsere Kräfte. Ich werde Sie in ein paar Stunden ablösen.“

„Schlafen Sie gut, Seeker.“

[5]


 

CULLEN

Beim Erbauer, manchmal konnte Cullen nicht glauben, wie viel Glück sie hatten. Wie viel Zeit sie in der Dunkelheit der Deep Roads verbrachten, wusste er zwar nicht, doch es war genug, damit die Dunkle Brut weitergezogen war und die Suche nach ihnen aufgegeben hatte. Jedenfalls begegneten sie nur ein paar der verdorbenen Kreaturen, als sie sich schlussendlich aus dem engen Tunnel wagten, in dem sie Unterschlupf gefunden hatten. Mit Mühe und Not suchten sie sich den Weg zurück, was mit einigen hastigen, flüsternden Diskussionen geschah, bis Sam sie unterbrach und ihnen die gemerkten Richtungen mitteilte.

Lavellans Finger ergriffen seine Hand, als sie schließlich die Stufen erreichten, die sie zurück zum Siegel und zum Palast führten.

Er würde nie mehr einen Schritt hinab in die Deep Roads setzten, dies schwor sich Cullen, als sie das Siegel hinter sich schlossen und vom Kellergewölbe hinauf in das Schloss von King’s Landing zurückkehrten. Und er würde auch nie wieder zulassen, dass Lavellan dort hinuntersteigen würde. Sie sollten die erhörten Gebete nicht überstrapazieren, denn irgendwann würde ihr Glück sie verlassen und Cullen hatte Angst, dass dies schon sehr bald eintreffen würde.

„Ich habe nachgedacht, Cassandra“, sagte Lavellan, als sie die Katakomben durchquerten. Ihr Gesicht war bleich und Ringe lagen unter ihren Augen, doch ihre Stimme war sanft und freundlich und fast optimistisch, was Cullen hellhörig machte. Sie hatte sich ein wenig erholt, obwohl sie noch immer ihren Arm mit der Hand, die das Mal in sich trug, hielt. „Hättest du etwas dagegen, eine Weile in Westeros zu bleiben? In King’s Landing? Ich denke, dass es gut sein würde, wenn wir jemanden von der Inquisition hier vor Ort hätten. Jemand, der sich gut auskennt und autoritär ist.“

„Und du glaubst, dass ich die Richtige für diese Aufgabe bin?“, erkundigte sich Cassandra neutral, obwohl Cullen sehen konnte, dass die Muskeln sich in ihrem Kiefer anspannten, ein Zeichen, dass sie tatsächlich darüber nachdachte.

„Meinst du nicht, dass Cassandra in Skyhold gebraucht wird?“, fragte Cullen und Lavellan verlangsamte ihre Schritte, bis sie mit Cullen auf einer Höhe war, während Cassandra nachdenklich hinter den anderen hermarschierte, die Stufen hinauf, die sie zum Schloss brachten.

„Ich bin sogar ziemlich sicher, dass Cassandra hier gut aufgehoben sein wird“, sagte Lavellan in einem verschwörerischen Flüstern. Trotz der Erschöpfung funkelten ihre Augen, als sie zu ihm hinaufschaute und Cullen spürte, wie sich Hitze in seinem Bauch ausbreitete.

„Was meinst du?“

Lavellan lächelte verschmitzt. „Offensichtlich bahnt sich etwas zwischen Cassandra und dem König an.“ Sie blickte nach vorn und Cullen folgte ihrem Blick. Cassandra hatte mit Jon und Sam aufgeholt, ging neben ihnen und tauschte ein paar ernste Worte mit ihnen aus, die Jon mit einem Lächeln beantwortete.

„Ich… Ich habe es nicht bemerkt“, gestand er verwirrt, da es ihm wie Schuppen von den Augen fiel.

Lavellans leises Lachen erklang in seinen Ohren, er konnte sich kein schöneres Geräusch vorstellen. „Du lässt dich zu leicht von mir ablenken“, neckte sie.

Den Impuls unterdrückend, die Hand nach Lavellan auszustrecken und sie an sich zu ziehen, räusperte sich Cullen stattdessen. „Cassandra wird hier mit dem König alles organisieren, während wir nach Skyhold zurückkehrten und dort unsere Soldaten mobilisieren?“

Auch auf Lavellans Gesicht verlor sich die Heiterkeit. „Genau. Es wird uns einige Zeit dauern, nach dem alle nach unserem Sieg getrennten Wege gegangen sind. Eine Menge Arbeit wartet auf uns, aber wenigstens können wir diesmal mit der Unterstützung der Kirche rechnen.“

„Leliana wird uns nicht enttäuschen“, bestätigte Cullen, als sie die Palasthalle erreichten, wo sie von Bediensteten und Rittern empfangen wurden.
 


 

BLACKWALL

Die Kampflust beherrschte Blackwall noch immer. Das Herz hämmerte ihm im Brustkorb, während die Energie ihn auf den Beinen hielt, als befänden sie sich noch immer dort unten in den Deep Roads, umzingelt von der Dunklen Brut. Doch stattdessen stürmte er die lange, steinerne Treppe hinauf in das Gemach, welches ihm zugeteilt worden war. Sein Griff um das Schwert blieb fest, als er die Tür hinter sich schloss und stattdessen im Raum auf- und abging, das Geschehene noch einmal Revue passieren lassend.

Es hatte sich… gut angefühlt, sich im Kampf zu verlieren und abermals an Lavellans Seite zu kämpfen. Wann hatte er sich das letzte Mal so lebendig gefühlt? Zwar fühlte er sich befreiter, seit die Wahrheit über seine Identität ans Licht gekommen war, aber war dies nicht nur, weil jemand – Lavellan, weil sich alles um Lavellan drehte – ihn trotz seiner Sünden akzeptierte und ihm verziehen hatte? Weil sie das Unverzeihliche verziehen hatte? Doch Frieden finden war nicht dasselbe wie ein Kribbeln im Bauch fühlen und in den Genuss zu kommen, das Adrenalin durch seine Arterien jagen zu spüren.

Ein Klopfen brachten die wirren Gedanken und Gefühle zu einem abrupten Ende und ließ Blackwall an Ort und Stelle einfrieren. Sein Blick wandte sich der Tür zu, als könnte er durch das Holz hindurchblicken.

„Ich bin es. Cullen.“

Blackwall hielt den Atem an, bevor er an sich herunterschaute. Er trug noch immer die Rüstung, auf der das Blut seiner Gegner verkrustet und getrocknet klebte, die ebenso von Blut besudelte Klinge in der Hand haltend. Was für ein Bild musste er in diesem Gemach mit seinen schweren Vorhängen und seidenen Bettbezügen abgeben?

„Einen Augenblick“, rief er zurück, bevor er sein Schwert in die Scheide zurücksteckte und den Schwertgürtel auf der Truhe vor dem Bett ablegte. Mit einer behandschuhten Hand fuhr er sich durch das wirre Haar, um etwas Ordnung hineinzubringen. Erst danach öffnete er Cullen die Tür und ließ ihn ins Zimmer.

Cullen wirkte mindestens genauso verwirrend, wie sich Blackwall gerade fühlte. Er machte ein paar Schritte vorwärts, blieb jedoch nahe der Tür stehen, als er die Hand hob und sich den Nacken rieb. Auch er hatte seine Rüstung nicht abgelegt, aber sich wenigstens das Blut und den Schmutz abgewaschen. „Ich… bin nur gekommen, weil ich mich bedanken wollte.“ Seine Augenbrauen waren so dicht zusammengezogen, dass eine tiefe, nachdenkliche Furche zwischen ihnen lag. „Ich war zu weit weg. Ich konnte nicht…“

Er sprach es nicht aus, doch Blackwall verstand auch so, dass er auf Lavellan im Kampf gegen die Dunkle Brut anspielte. Anstatt von Cullen war er es gewesen, der ein Auge auf Lavellan gehabt hatte, weil er immer ein Auge auf die junge Frau haben würde.

„Ich wüsste nicht, was ich ohne dich tun würde“, hallten Lavellans Worte in seinem Kopf wider und ein freudloses Lachen steckte in Blackwalls Kehle, denn sie verstand nicht, dass es ihm genauso erging. Dass er bei diesen Worten lebte, denn ansonsten wäre er den Grauen Wächtern nicht offiziell beigetreten, hätte sich ihrem Missmut nicht so freiwillig ausgesetzt und sich ihnen verschrieben, indem er ihr Kommandant geworden war, als keiner von ihnen gut auf ihn sprechen gewesen war. Und nun stand ihr Liebhaber vor ihr und bedankte sich bei ihm dafür, dass er sie beschützt hatte.

„Meine Gefühle für Lavellan haben sich nicht geändert“, sagte Blackwall, bevor das Schweigen zwischen ihnen schwerer und undurchdringlich werden konnte. Sein Blick bohrte sich Cullen hinein, der mit geweiteten Augen aufsah. „Ich würde mein Leben für sie geben. Immer wieder. Sie besitzt mein Herz, aber ich weiß auch, dass ihres nur dir gehört. Lavellan hätte kaum einen besseren Mann auswählen können, der an ihrer Seite steht.“

Cullens Mund öffnete und schloss sich einige Male, als er seine Worte verdaute. „Ähm, nun, ich bin froh, dass du das so siehst. Ich… Ich weiß, dass es nicht einfach sein kann, uns zusammen zu sehen. Ebenso, dass wir nicht immer derselben Meinung sind, was Dinge angeht, aber du hast meinen Respekt, Blackwall. Etwas verspätet vielleicht, aber du hast ihn.“ Cullen legte ihm seine Hand auf die Schulter, bevor er an Blackwall vorbeitrat und sein Zimmer verließ.

Für einen langen Moment sah Blackwall ihm nach, denn wenn er es nicht besser wüsste, hatte der Kommandant der Inquisition, der immer deutlich gemacht hatte, wie wenig er von Blackwalls Lügen und Taten hielt, ihm soeben genau diese vergeben.

Blackwall sackte auf die Bettkante nieder, als die Energie mit einem Mal aus seinem Körpers wich und die Erschöpfung zurückließ, die vom Adrenalin lediglich niedergeknüppelt worden war.
 


 

BRIENNE

„Das Siegel wird halten, dessen bin ich mir sicher“, verkündete Brienne und ließ den Blick eindringlich über die restlichen Ritter der königlichen Garde wandern. Sie hatte die Aufmerksamkeit aller, doch nur ein Augenpaar schaffte es, sie unsicher zu machen und gleichzeitig ein Kribbeln auf ihrer Haut auszulösen.

Nach ihrer Rückkehr ins Schloss hatte sie die königliche Garde sogleich versammelt, um das Gesehene auch an die anderen Ritter weiterzugeben und Sicherheitsmaßnahmen einzuleiten. „Aber das bedeutet nicht, dass wir nicht trotzdem auf der Hut sein müssen. Einer von uns wird das Siegel zu allen Tageszeiten bewachen“, beendete sie.

Douglas trat vor, jung und mit strammen Schultern. „Ich werde die erste Wache übernehmen und die Abwechselungen einteilen, Ser.“

„Danke, Ser Douglas“, sagte Brienne, bevor sie ihre Unterstellten entließ, die ihr nur widerwillig und mit beunruhigten Blicken den Rücken kehrten. Sie konnte es ihnen nicht verübeln. Selbst ohne einen Blick in den Spiegel wusste sie, dass sie erschöpft und schmutzig aussehen musste, doch gewisse Dinge sollte und konnte man nicht aufschieben und diese Gefahr, die sich direkt unter dem Schloss und somit unter dem Thron ihres Königs befand, war eines davon.

Brienne stützte die Hände auf dem runden Tisch vor sich ab und schloss die Augen, als sie ein zittriges Seufzen ausstieß.

„Der Kratzer sieht tief aus. Jemand sollte ihn sich ansehen“, erklang Jaimes Stimme.

Sie riss die Augen auf und fand ihn an der Tür stehend vor, direkt im Rahmen, als sei er hin- und hergerissen, ob er gehen oder bleiben sollte. Brienne schluckte, da ihr Mund sich plötzlich furchtbar trocken anfühlte und sie daran erinnerte, wie wenig Flüssigkeit sie in der letzten Zeit zu sich genommen hatte, wie durstig sie eigentlich war.

„Ich kümmre mich darum“, sagte sie und richtete sich auf. Sie umrundete den Tisch und ging an Jaime vorbei. Dabei musste sie sich nicht umdrehen, um zu wissen, dass Jaime ihr mit einigem Abstand folgte. Seine dumpfen Schritte auf dem Steinboden verrieten ihn.

„Ich kann mich darum kümmern“, sagte Jaime, als sie die lange Treppe zu dem Raum hinaufstiegen, den man ihr als Kommandantin zugeteilt hatte. Es hatte einst Jaime gehört – und Brienne hatte noch nicht die zerwühlten Laken gerichtet.

Ein Schauer rann ihrer Wirbelsäule hinab, als sie die Tür öffnete. Ihr Blick huschte zu dem Bett, in dem sie das letzte Mal neben Jaime erwacht war, bevor sie sich unwirsch abwandte und sich ihrer Rüstung entledigte.

Jaime schloss die Tür, bevor er einhändig die Waschschüssel von der Kommode zum Tisch hinüberbrachte. „Setz dich“, sagte er und zog ihr den Stuhl heran, als sie mit Hemd und Hose aus dünnen Leinen vor ihm stand. Ein sanftes Lächeln umspielte seine Lippen, die sich rau und gierig angefühlt hatten, als sie sich gegen ihre gepresst hatten.

„Du musst das nicht tun.“

„Ich möchte aber“, antwortete Jaime und tauchte den Lappen in die frische Waschschüssel, die von einem Bediensteten herangeschafft worden war. Die kalten Fingerspitzen seiner goldenen Hand stupsten gegen die Unterseite ihres Kinns, als er mit den Lappen dem Kratzer auf ihrer Wange entlang tupfte.

„Ich bin froh, dass du heil zurückgekehrt bist“, gestand er.

Brienne hob den Blick, doch Jaimes Augen galten nur der Reinigung ihrer Wunde.

„Ich hatte keine Zeit, es davor zu sagen“, sprach er mit gesenkter Stimme weiter. „Aber ich kann mir nicht vorstellen, was ich ohne dich tun würde. Du bist das Einzige, was noch Sinn macht in dieser Welt.“ Seine Augenbrauen zogen sich bei seinen Worten zusammen und Schmerz huschte über sein Gesicht. „Doch das schon länger. Viel zu lange.“

Bevor die Gedanken richtig in ihrem Kopf, in ihrem Herzen angekommen waren, schlangen sich ihre Finger bereits um Jaimes Handgelenk und sie stillte den Lappen auf ihrer Haut.

Jaime sah sie an, überrascht, bevor sein Blick sich auf ihre Lippen legte. Ausnahmsweise musste er sich nicht strecken, sondern lediglich nach vorn lehnen, um sie küssen, während Brienne die Finger in die länger gewordenen Haare gleiten ließ.

Was ihnen allen bevorstand würde nicht einfach werden, denn abermals sahen sie sich mit dem Ende der Welt konfrontiert, aber Jaimes Lippen auf ihren und seine Fingern auf ihrer Haut zwangen die Angst in die Knie. Nun gab es eine Sache mehr, für die es sich zu kämpfen lohnte.
 


 

JON

Das Feuer knisterte im Kamin, monoton und so friedlich, dass man fast vergessen konnte, was für Kreaturen sich unter der Oberfläche sammelten, direkt unter ihnen.

Jon lehnte sich in seinem Sessel zurück und rieb sich mit der Hand das bärtige Kinn. „Ich hatte gehofft, dass wenigstens für einige Jahre ein bisschen Frieden in Westeros eingekehrten würde. Wenigstens solange wie der Winter anhält.“

„Es kommt immer anders als man denkt“, erwiderte Sam in einem entschuldigen Ton, als wäre die bevorstehende Verderbnis seine Schuld.

Jon schenkte ihm einen müden, aber nicht weniger amüsierten Blick. Sein Freund saß ihm gegenüber, einen Becher mit warmem Tee in den Händen halten. Er sah noch immer etwas blass im Gesicht aus, doch er hatte sich wacker in den Deep Roads geschlagen. Obwohl man es Sam oft nicht ansah, so steckte in ihm doch ein Überlebenskünstler.

„Cassandra hat mich informiert, dass sie in King’s Landing verweilen wird, um dabei zu helfen, die Inquisition zu organisieren und die Zusammenarbeit zu vergewissern“, wechselte Jon das Thema und Sam nickte langsam.

„Lady Lavellan hat mich darum gebeten, ein Schifffahrt zurück nach Ferelden zu arrangieren“, sagte er. „Es ist das erste, was ich bei Morgengrauen tun werde.“

„Hoffen wir, dass wir die Verderbnis noch rechtzeitig entdeckt haben und im Keim ersticken können“, antwortete Jon, obwohl er nicht sicher war, ob dies überhaupt so funktionierte. In den nächsten Tagen würde er sich mit Cassandra zusammensetzen müssen, um alles, was er konnte, über die Verderbnis in Erfahrung zu bringen.

„Ich werde einen Brief an die Zitadelle verfassen“, erklärte Sam. „Ich bin sicher, dass sie irgendwelche uralten Bücher oder Schriftrollen zu dem Thema besitzen.“

Abermals huschte ein Lächeln über Jons Lippen. „Wirst du sie ausborgen?“

Sam errötete im Schein des Feuers und der Becher glitt ihm fast aus den Händen. „Das werde ich nie wieder tun! Aber als königlicher Berater habe ich mehr Einfluss auf die Meister. Außerdem hat mich zumindest einer relativ gut in Erinnerung, wenn ich mich nicht irre.“

Sams Blick galt den Flammen und auch Jon sah ins Feuer, als er den Abend genoss, da sie nie wissen konnten, wie viele dieser friedlichen Nächte ihnen noch bleiben würden. Doch diesmal war das Land nicht so zersplittert und sie hatten neue Verbündete an ihrer Seite, die Jon bisher keinen Grund zum Zweifeln gegeben hatten. Sie hatten den Nachtkönig und die White Walkers besiegt, sie würden auch diese Verderbnis zu einem Ende bringen, daran hielt Jon fest, als die Kohlen im Feuer geräuschvoll auseinander brachen und die Flammen sich für einen kurzen Moment aufbäumten.



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