When the Sky Darkens von Votani ================================================================================ Kapitel 3: [3] -------------- JON Die Müdigkeit war Jons konstanter Begleiter an diesem Morgen. Kein Wunder, da er die gesamte Nacht kein Auge zugetan hatte. Zu viele Gedanken waren ihm durch den Kopf gegangen, nachdem er den ganzen Abend mit Sam und Varys zusammengesessen hatte. Endlose Diskussionen hatten sie geführt, doch keiner hatte eine Lösung für ihre Probleme parat. Mehr als einmal war Jon drauf und dran gewesen, sich eine Fackel zu schnappen und in das Gewölbe unter der Festung hinunterzusteigen, um dieses Siegel zu den sogenannten Deep Roads zu suchen. Konnte es tatsächlich sein, dass die Gefahr sich direkt unter ihnen befand? Nur Sams besorgte, braune Augen hatten ihn davon abgehalten, als er ihn daran erinnerte, wie tief und verwinkelt jenes Gewölbe war. Sich mit einer Hand über das Gesicht fahrend, betrat er mit Brienne im Schlepptau den Thronsaal. Doch seine Schritte verlangsamten sich instinktiv, als er die Frau bemerkte, die allein in der hohen Halle stand und sie doch mit ihrer autoritären Aura füllte. Cassandra Pentaghast hatte die Hände hinter dem Rücken verschränkt, als sie über den hellen Teppich wanderte, der ihre Schritte verschluckte, obwohl sie eine leichte Lederrüstung trug. Sie wandte den Kopf in ihre Richtung und ihr Blick bohrte sich in ihn hinein. Obwohl ihre Gesichtszüge hart und markant waren, durch die kurzen, dunklen Haare und der Narbe auf der Wange nur verdeutlicht, schwand die Ungeduld in ihren Augen, als sie Jon erblickte. Sie drehte sich um und deutete eine Verbeugung an. „Eure Hoheit.“ „Sie sind früh, Lady Pentaghast“, kommentierte Jon, als er seinen Weg zum Thron fortsetzte. Er hatte erst gerade einen Dienstboten zu den Gemächern seiner Gäste hinaufgeschickt, um diese zu versammeln und ihren kleinen Ausflug in das Gewölbe hinunter hinter sie zu bringen. Obwohl er hoffte, dass es ein Fehler war und sich nichts dort unten befand, hoffte er gleichzeitig für diese kleine Gruppe, dass sie ehrenhaft war und sich nicht mit Lügen den Weg ins Schloss gesucht hatte. Brienne verweilte an der Tür, die Hand auf dem Schwertgriff gelegt. „Ich bevorzuge den Titel des Sers“, sagte Cassandra, die vor dem Thron stehen blieb. Jon sah auf. „Also sind Sie ebenfalls ein Ritter?“ Bisher hatte er nur einen weiblichen Ritter getroffen, weshalb sein Blick unwillkürlich zu Brienne wanderte, die das Kinn in die Höhe reckte. Cassandra räusperte sich und ihre gebräunte Haut färbte sich einen Hauch dunkler. „Nicht direkt. Ich bin ein Seeker. Wir... besitzen eine andere Hierarchie.“ „Ich kenne mich nicht besonders gut mit den Seekers aus, da es diese in Westeros nicht gibt. Ich bitte Sie um Verzeihung, Seeker“, sagte er und tauschte einen Blick mit Cassandra aus, als diese überrascht bei dem von ihm gewählten Titel aufsah. Ein amüsiertes Lächeln fand den Weg auf Jons Lippen. Er nahm an, dass er richtig gewählt hatte. Es war keine Eitelkeit, die sie dazu gebracht hatte, ihn zu korrigieren, sondern eine Bitte nach Respekt. Wahrscheinlich nicht einmal direkt von ihm, sondern den Bewohnern von Westeros, die nichts mit einem Seeker anfangen konnten, dafür aber mit einer ritterlichen Ansprache. „Ich werde mich bemühen, in der Gegenwart anderer den Titel ‚Ser’ zu benutzen“, versprach er daher. Cassandras Schultern entspannten sich kaum merklich. Erneut neigte sie den Kopf nach vorn. „Danke, König Jon.“ „Jon. Einfach nur Jon. Oder Jon Snow, wie mich die meisten nennen“, sagte Jon, da der Titel sich furchtbar gezwungen anhörte. Zum ersten Mal sah er, wie Cassandras Mundwinkel sich zu einem Lächeln heben wollten, sie es im letzten Moment jedoch unterdrückte. „Ich werde dafür sorgen, dass ich wenigstens in der Gegenwart anderer den offiziellen Titel verwenden werde, Jon.“ „Gut.“ Obwohl sich seine Erfahrung mit Frauen auf zwei begrenzte, so verstand er zumindest seine eigenen Reaktionen gegenüber des anderen Geschlechts genug, um zu verstehen, dass er irgendetwas an der Frau vor ihm als anziehend empfand. Sie war das Gegenteil von Daenerys, aber auch das von Ygritte. Cassandra Pentaghast war hochgewachsen, sogar ein paar Zentimeter größer als er, athletisch und auf den ersten Blick mehr Krieger als Frau. Intelligenz und Selbstbewusstsein lagen in den dunklen Augen, während etwas Weiches unter seinem Blick in ihr Gesicht Einzug erhielt. Stille breitete sich zwischen ihnen aus, welche ihre Wangen noch einen Hauch dunkler färbte, bis sich die Türen zum Thronsaal erneut öffneten und Sam die restlichen Mitglieder von Cassandras Gruppe hineinführte. BLACKWALL Die Luft wurde zunehmend stickiger, als sie die enge Steintreppe hinunterstiegen. Fenster gab es keine mehr, da sie sich längst im Bauch der Feste und unter der Erde befanden. Das einzige Licht stammte von den Fackeln, die sie trugen und die in dem leichten Windzug flackerten, was bedeutete, dass es irgendwo mindestens noch einen weiteren Ausweg aus dem weitläufigen Kellergewölbe gab. Das würde es der Dunklen Brut nur einfacher machen, an die Erdoberfläche zu gelangen, sollten sie es durch das Siegel schaffen. Allerdings war es unwahrscheinlich, dass die Biester hier durchgekommen waren, denn davon hätte man im Schloss etwas mitbekommen und dann wären die Angriffe näher am Palast gewesen, anstatt in den umliegenden Dörfern, wie der königliche Ratgeber ihnen mitgeteilt hatte. Trotzdem festigte sich Blackwalls Griff um sein Breitschwert, als sie die letzten Stufen hinter sich zurückließen. Stützpfeiler säumten ihren Weg durch das Gewölbe, ebenso wie die Schädel von Drachen, die in Westeros einst heimisch gewesen waren, während sie in Ferelden noch nie etwas anderes als ein schlechtes Omen dargestellt hatten. „Die Sitten sind andere“, murmelte Blackwall. „Haben sie etwas gesagt, Warden Blackwall?“, erkundigte sich die Kommandantin der königlichen Garde und warf einen Blick über ihre Schulter, eine Fackel tragend. Blackwall räusperte sich. „Nein, Ser.“ „Die Drachenschädel sind gruselig“, sagte Lavellan und ihr Blick hing an einem der kleineren Schädel, die winzig im Vergleich zu vielen anderen schienen, die hier unten gelagert wurden. „Wie sie einen aus hohlen Augen anschauen. Als verfolgen sie einen auf Schritt und Tritt.“ „Das macht bestimmt das Licht der Fackeln“, sagte Sam. „Ich setze auch nicht gern einen Fuß hier hinunter, obwohl die kleinen Drachenschädel eher Mitleid in mir auslösen.“ „Warum das, wenn ich fragen darf?“, fragte Cullen. „Nun“, begann Sam, doch Jon schnitt ihm das Wort ab. „Die letzten Drachen der Targaryen-Familie wurden in den Dragon Pits gehalten, wo sie für Schaulustige gekämpft haben, aber nie die Chance gehabt haben, größer zu werden“, erklärte er. Laut Lelianas Informationen handelte es sich bei König Jon Snow um den letzten der Targaryen-Blutlinie, auch wenn es lange ein Geheimnis gewesen war und er als uneheliches Kind aufgewachsen war, weswegen er den Nachnamen ‚Snow’ trug, den er behalten hatte. Dies war eine weitere Sitte, die es in Ferelden nicht gab. In ihrem Land rannten unzählige Bastarde herum und niemand kümmerte sich darum. „Laut den alten Karten, die wir über die Deep Road haben, muss das Siegel sich irgendwo zu unserer Linken befinden“, steuerte Cassandra das Gespräch wieder in die richtige Richtung. An einer Weggabelung hielten sie inne. „Also diesen Tunnel hinunter“, sagte Jon und sie schlugen den Tunnel zur linken Seite ein. Hier wirkte die Dunkelheit noch ein wenig finsterer und ihre Schritte hallten dumpfer wider, als der Tunnel sich verengte, so dass sie hintereinander gehen mussten. „Woher stammen die Karten?“, fragte Sam. „Es erscheint mir, dass unsere Lände in den alten Tagen nur wenig Kontakt miteinander gehabt haben.“ Er spähte an Cassandras Schulter vorbei, um einen Blick auf das vergilbte Papier zu werfen, welches sie bei sich trug und grimmig studierte. „Aus den Archiven“, erwiderte Cassandra. Lavellan lachte leise. „Ich glaube, du musst schon etwas genauer sein, um die Neugierde unseres neuen Freundes zu stillen, Cassandra.“ „Die Zwerge sind es gewesen, welche die Deep Roads erbaut haben“, erklärte Blackwall. „Sie sind es, welche die alten Karten erstellt haben. Viele Karten sind zerstört worden, andere befinden sich in Orzammer, der Stadt der Zwerge. Nur ein paar haben es in den Besitz anderer Organisationen geschafft, darunter den Grey Warden und den Seekers.“ „Diese Karte stammt von den Seekers“, sagte Cassandra. „Ähm... und woraus genau besteht die Funktion der Seekers?“, erkundigte sich Sam. Cassandra schnaufte. „Seekers sind die Sucher der Wahrheit. Wir unterstehen direkt der Kirche. Wie der Name bereits vermuten lässt, ist es unsere Aufgabe, die Wahrheit ans Licht zu bringen und die Korruption auszurotten. Für gewöhnlich kümmern wir uns ausschließlich um alles, was die Templer angeht, aber auch die Verderbnis und andere Gefahren werden nicht von uns ignoriert. Ganz besonders, seit ich der Inquisition beigetreten bin.“ „Das klingt nach einer wichtigen Aufgabe, Ser“, sagte Sam. „Das ist es.“ Blackwall schmunzelte, bevor Cassandra ein „Wir sind hier“ hinzufügte und ihre kleine Gruppe zum Stillstand kam. Sie ließen das Licht der Fackeln über die Steinwände und Drachenschädel wandern. „Dort, seht“, entwich es Lavellan und sie deutete auf eine Vertiefung in der Wand. Um die verschnörkelten Runen im Gestein auszumachen, mussten sie näher herantreten. Keiner von ihnen konnte zwergisch lesen, doch Blackwall erkannte die Schriftzeichen vom Sehen wieder. „Es ist eindeutig das Siegel“, sagte er. „Aber das Siegel hält“, sagte Jon und ließ die Finger über die Runen wandern. „Könnt ihr es öffnen?“ „Ja“, antwortete Blackwall. „Und wieder verschließen. Es liegt in der Verantwortung der Grey Warden.“ „Gut“, sagte Jon. „Obwohl ich eurem Wort vertraue, muss ich mit eigenen Augen sehen, was sich dort unten befindet. Umso besser kann ich euch unterstützen, wenn diese Verderbnis tatsächlich auftritt.“ „Wenn sie auftritt, wird es höchstwahrscheinlich bereits zu spät sein, da sie schon im Gange ist“, sagte Cassandra. „Aber wir hatten sowieso vor, uns dort unten umzusehen. Nur so können wir herausfinden, ob die Dunkle Brut im Aufmarsch ist.“ „Ein weiteres Abendteuer also“, sagte Lavellan, doch Blackwall hörte das Zittern in ihrer Stimme. Auch er hatte die Deep Roads noch nie betreten. „Ser Brienne“, wandte sich Jon an die hochgewachsene Soldatin. „Bereite alles für diesen kleinen Ausflug vor. Wir brechen in drei Stunden auf.“ Sein Blick wanderte zu Cassandra. „Ich nehme an, es spielt keine Rolle, um welche Tageszeit wir dort hinuntersteigen, da dort ebenfalls ständige Dunkelheit herrscht.“ „Es spielt keine Rolle, nein.“ BRIENNE Bisher war es stets Jaime gewesen, der vor ihrer Tür aufgetaucht war, nie andersherum. Wahrscheinlich war dies der Grund für die Verwirrung, die Einzug auf sein Gesicht erhielt und die ihre eigene widerspiegelte, als er die Tür öffnete. „Brienne...“ Sie riss sich aus ihrer Starre, was schwieriger so ganz ohne Rüstung war. Ohne sie fühlte sich Brienne furchtbar verletzlich. „Darf ich reinkommen?“ Jeder abendliche Besuch im Gemach des anderen war mit Spannung erfüllt, mit der Erinnerung an ihre erste und einzige gemeinsame Nacht. Briennes Haut prickelte unter Jaimes Blick, als er sie wortlos hineinbat. Sein Raum war nicht klein, aber kleiner als das Gemach der Kommandantin der königlichen Garde, welches er einst bewohnt hatte. Zudem sah sein Zimmer wüst aus. Das Bett war nicht gemacht – oder Jaime hatte bereits in ihm gelegen. Brienne riss ihren Blick von der zerwühlten Decke und verschränkte die Hände hinter dem Rücken, ehe sie sich zu Jaime umdrehte. Er hatte die Tür geschlossen, verweilte jedoch in ihrer Nähe. „Hast du... Hast du über meine Worte nachgedacht?“, erkundigte er sich. Ihre Schultern strafften sich. „Darum bin ich nicht hier.“ „Oh.“ Jaime senkte den Blick, hob ihn dann wieder. „Ist etwas vorgefallen?“ Er bewegte sich zum Schreibtisch hinüber. „Willst du etwas trinken? Wein? Nein, ich weiß, dass du nicht trinkst. Wasser also.“ Er zog einen Becher heran, überprüfte ihn der Sauberkeit wegen, bevor er nach der Karaffe griff und das Glas zur Hälfte eingoss. Brienne beobachtete ihn dabei, beobachtete die Bewegungen seiner linken Hand, die immer geschmeidiger wurden. Ob er inzwischen wohl allein die Schnüre an seinem Hemd aufbekam. „Brienne...?“ Diesmal musste sie den Blick heben, von seinem Hemdkragen hinauf zu seinem Gesicht. Ihre Wangen fühlten sich hitzig an und sie sich furchtbar ertappt. Sie räusperte sich. „Du hast es sicher schon gehört. Das Siegel im Gewölbe wurde gefunden und Jon wird es öffnen lassen, damit wir sehen, was sich hinter ihm tatsächlich befindet.“ Das Glas ruhte vergessen auf dem Tisch, als Jaime nickte. „Jon hat mir die Vorbereitungen aufgetragen“, redete sie unbeirrt weiter, um gleich auf den Punkt zu kommen. Sie würde nicht autoritär klingen, wenn sie um den heißen Brei herumredete. „Genauso wie die Entscheidung, wer von der Garde uns begleiten wird. Und wer im Schloss bleibt.“ Jaimes Stirn kräuselte sich. „Was willst du mir damit sagen?“ Misstrauen schwang in seiner Stimme mit und sorgte dafür, dass sich etwas in Briennes Brust zusammenzog. „Dass du mich nicht dabeihaben willst? Mich, der früher auch einmal Kommandant der königlichen Garde gewesen ist?“ Er stieß ein Schnaufen aus, das wie ein raues, freudloses Lachen klang. „Ist es die fehlende Hand, Brienne? Nein, immerhin haben meine Schwertkünste im Kampf gegen die White Walkers gereicht. Dann kann es nur sein, dass du mir noch nicht vergeben hast, oder irre ich mich?“ Wortlos ließ Brienne Jaimes Wut über sich ergehen. Sie verstand es. An seiner Stelle würde sie genauso fühlen. „Irgendjemand muss im Palast nach dem Rechten sehen, solange Jon und ich uns dort unten aufhalten. Jemand, der ehrenhaft ist und dem man vertrauen kann.“ Jaime starrte sie an, suchte die Lüge in ihren Worten, nach ihren wahren Motiven, aber Brienne schulte ihren Gesichtsausdruck. „Und du denkst, dass ich das bin? Ich, der dich mitten in der Nacht hat sitzen lassen?“ „Meine Meinung über dich hat sich nicht geändert, Jaime.“ Für einen Moment starrten sie sich einfach nur an, Jaime mit halb offenstehendem Mund, als läge ihm noch viel mehr auf der Zunge. „Nein“, presste er schließlich hervor. „Ich glaube dir, aber... da steckt mehr dahinter. Ich kenne dich zu gut dafür.“ Natürlich ließ sich Jaime nicht so einfach abspeisen, nicht von ihr, nie von ihr. Ihr flatterte das Herz bei diesem Gedanken – und Jaime musste irgendetwas in ihrem Gesicht gesehen haben, denn er kam auf sie zu, bis er direkt vor ihr stand. Brienne fühlte sich sofort in der Zeit zurückversetzt, nur dass sie nicht gerade eine Schlacht überlebt hatten und auch kein Feuer im Kamin knisterte. „Sag es mir“, forderte Jaime. „Jaime...“ „Bitte, Brienne.“ Sie war so entschlossen gewesen, als sie Jaimes Gemach aufgesucht hatte. Alle Worte waren bereitgelegt gewesen, alle Emotionen in eine Kiste gesperrt worden. Ihr Verstand hatte die Entscheidung getroffen, hatte sich für das Logischste und Sicherste entschieden. Dies hatte Brienne zumindest gedacht, aber jeder Moment in Jaimes Gegenwart belehrte sie eines Besseren. „Ich kann dich nicht schon wieder verlieren“, sagte sie tonlos und mit starrem Blick, mit einem tauben Gefühl, welches jeden Winkel ihres Körpers einnahm. „Nicht schon wieder.“ Jaimes Augen weiteten ihn. Es kam Brienne vor, als hätte ein Zauber die Zeit nun endgültig zurückgedreht, als Jaime vorschnellte. Seine Hand in ihrem Nacken und sein Mund, der sich gierig gegen ihren drückte. Brienne keuchte in den Kuss, bevor sie ihn erwiderte und nach seinem Hemd griff, um sich an ihm festzuhalten. JON Der Raum lag in Stille. Eine Ruhe, die Jon seit seiner Krönung ganz besonders schätzte, da Momente wie diese selten geworden waren. Seine Finger strichen über das längliche Pergament, als er nach den passenden Worten suchte. Schließlich nahm er die Feder zur Hand und tauchte sie in die Tinte. Den Brief begann er mit dem Namen seiner Schwester. Schon seit Wochen hatte er sich vorgenommen, eine Nachricht für Sansa zu verfassen. Wo genau sich Arya auf ihren Reisen herumtrieb, wusste Jon nicht. Nur selten erreichte eine Nachricht von ihr das Schloss. Doch ohne einen Ort, an dem sie sich länger aufhielt, blieb es ihm verwehrt, Arya ebenfalls zu schreiben. Daher verfasste er nur einen Brief. Aber das Problem der Dunklen Brut und der Verderbnis bezüglich betraf Sansa als rechtmäßige Königin im Norden ohnehin. Zudem war Jon interessiert daran, was Tyrion zu diesen Geschehnissen sagen würde, ob er etwas wusste und was er Jon empfehlen würde. Wenn all dies tatsächlich der Wahrheit entsprach, wonach es im Moment aussah, dann stand ihnen womöglich wirklich eine Verderbnis bevor. Zwar konnte sich Jon nicht vorstellen, dass etwas schlimmer als eine untote Armee sein konnte, aber er wollte es auch nicht herausfinden. Zudem war es unsicher, ob es im Norden nicht auch eines dieser Siegel zu den Deep Roads gab. Auch dies schrieb er in den Brief an Sansa, in dem er erwähnte, dass er sich auch über eine Rückmeldung ihres Ehemannes freuen würde. Obgleich seines Hauses war Tyrion immer schon so etwas wie ein alter Freund für ihn gewesen und nun gehörte er auch zur Familie und zu ihrem Haus, da Sansa als Königin darauf bestanden hatte, ihren Nachnamen und die Angehörigkeit zu ihrem Haus zu behalten. Das Wappen des Direwolfs legte sie nicht ab und Jon war froh darum. Die gewohnte Sehnsucht nach dem kalten Norden mit ihren klaren, ruppigen Sitten ergriff Jons Herz, als die Feder über das Papier kritzelte. Zwar hatten die Häuser im Norden ihre eigenen Traditionen, aber eine davon war, dass sie gelegentlich ihre Traditionen brachen, wenn es um ihre eigenen Leute ging. Darunter fiel auch eine Frau zur Königin zu krönen, denn sie wussten, dass der Norden sich nicht einmal unter Jons Führung der restlichen Welt anpassen würde. Es klopfte an seiner Zimmertür. Die Feder kam zum Stillstand und Jon hob den Blick und sah zu ihr hinüber. Die Tür lag in in den Schatten, da die kleine Kerze auf seinem Schreibtisch nur einen schmalen Lichtkreis warf. „Herein.“ Sams Haarschopf erschien im Türspalt. „Jon? Störe ich?“ „Natürlich nicht, Sam. Komm rein.“ Seine Mundwinkel hoben sich, als sich Jon wieder dem Brief zuwandte, seinen Namen unter den Text schrieb und das Pergament zusammenrollte, um sein Siegel daraufsetzen zu können. Die Tür schloss sich mit einem leisen Klicken. „Ich war nicht sicher, ob du noch wach bist“, gestand Sam und Jon vernahm seine Schritte, als er nähertrat. „Es war mir wichtig, noch einen Brief an Sansa zu schreiben“, sagte Jon. „Nur für den Notfall. Als Blutsverwandte ist sie meine rechtmäßige Erbin, sollte mir irgendetwas passieren. Aber so oder so ist es wichtig, dass sie weiß, dass der Frieden vielleicht nicht von Dauer ist.“ Sams buschige Augenbrauen zogen sich zusammen. „Befürchtest du, dass dir etwas passieren wird? Ich meine, ja, morgen begebt ihr euch in die Deep Roads um nach der Dunklen Brut zu suchen, aber...“ „Mach dir keine Sorgen, Sam.“ Jon lächelte. „Ich möchte nur vorbereitet sein. Für den schlimmsten Fall, was nicht bedeutet, dass er eintreten wird.“ „Richtig. Ja, richtig.“ Er reichte Sam die kleine Rolle. „Könntest du das für mich heute noch abschicken, Sam?“ „Natürlich.“ Sam nahm ihm das kleine Schriftstück ab, doch seine Hand bebte. „Was gibt es?“, fragte Jon und sein Freund senkte ertappt den Blick zu seinen Schuhen hinunter. „Nun, ich weiß, dass ich nur dein Berater bin, Jon, aber—“ „Sam. Du bist viel mehr als das“, unterbrach Jon. Selbst im schwachen Lichtschein der Kerze wurde deutlich, wie sich Sams Gesicht rötete. „Ich würde euch gern morgen begleiten. In die Deep Roads. Ich würde sie gern mit meinen eigenen Augen sehen, diese Dunkle Brut.“ Jons Augen weiteten sich und er strich sich über den Bart, als er sich diesen Wunsch durch den Kopf gehen ließ. Sam war kein Kämpfer, obwohl er schon oft gekämpft und überlebt hatte. Seine Waffe war sein Verstand; es waren die Bücher. Andererseits sah Sam auch oft Dinge, die Jon oder anderen Leuten entgingen, was vom Vorteil sein konnte, gerade in einer Angelegenheit wie dieser, mit der keiner von ihnen Erfahrung hatte. „In Ordnung. Solange du Brienne oder mir nicht von der Seite weichst“, sagte Jon schließlich, wohl wissend, dass seine Worte den Stolz eines anderen Mannes verletzt hätte, doch Sam nur begeistert nicken ließ. „Ich werde wie ein Schatten sein“, versprach Sam, bevor er davoneilte, um noch in dieser Nacht einen Raben nach Winterfell zu schicken. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)