Insomnia von mairio ("You can't fix me.") ================================================================================ SEVEN ----- SEVEN   Fast hätte Maron vergessen, dass Chiaki in dieselbe Schule ging, wie sie, was bedeuten würde, dass sie ihn auch tagsüber sehen würde. Ein Lächeln bildete sich auf ihrem Gesicht, als sie sich im Spiegel betrachtete und die Zähne putzte. Miyako war diesen Morgen ungewöhnlich still, wahrscheinlich war sie immer noch enttäuscht über Yamato’s Abwesenheit auf der Party am Freitag. Die Fahrt lief ereignislos ab bis sie am Schulgelände ankamen und Miyako Yamato entdeckte, der ein paar Parkplätze weiter aus einem schwarzen BMW ausstieg. Das ist er also… Maron musterte den braunhaarigen Jungen flüchtig. Optisch sah er nicht schlecht aus. Sie konnte verstehen, wieso Miyako hin und weg von ihm war. Diese versuchte cool und desinteressiert zu wirken, was ihr wenig gelang. Dann sah Maron Chiaki aus dem der Fahrerseite aussteigen. Ihr Herz machte einen kurzen Sprung. Bei Tageslicht sah er noch besser aus als bei Nacht. Die Haare auf seiner eigenen Art und Weise zerzaust, die Tasche lässig über einer Schulter hängend. Anders als sie ihn sonst kannte, trug er die grüne Schuluniform der Momokuri High, darüber der passende Mantel. Dies stand ihm genauso gut wie seine Lederjacke. Nun war Maron es, die versuchte desinteressiert zu wirken, was ihr wahrscheinlich besser gelang als Miyako. Die beiden Mädchen stiegen aus dem Wagen aus und liefen einige Meter hinter den Jungs hinterher. Wie erwartet, spürte die Braunhaarige all die Blicke ihrer Mitschüler auf sich. Lass die nicht an dich ran, ging es ihr angespannt durch den Kopf. Sie atmete tief durch, setzte sich ihre Maske auf und steuerte aufs Schulgebäude zu, ließ sich von allem nichts anmerken. Auf dem Weg zum Klassenzimmer fragte Maron sich, ob es okay war Chiaki in der Schule anzusprechen, mit ihm zu reden und ob er überhaupt damit einverstanden wäre. Im Klassenzimmer angekommen, bekam sie ihre Antwort. Er saß schon auf seinem Platz und Maron realisierte, dass er ihr Tischnachbar war, der die ganze letzte Woche über gefehlt hatte. Sie warf ihm ein kleines Lächeln zu, als sie sich hinsetzte und ihre Blicke sich trafen. Ist das okay?, fragte sie ihn stumm. Seine Augen verengten sich leicht, ehe er seinen Blick bestimmt von ihr abwandte. Maron zog ihre Brauen zusammen, sah ihn finster an. Ernsthaft?!, dachte sie sich beleidigt. Enttäuscht und verletzt drehte sie sich um, sah murrend zur Tafel. Gab er ihr wirklich die kalte Schulter! Aber na gut – wenn sie ehrlich mit sich war, dann hatte sie es irgendwo auch erwartet. Schließlich war sie offiziell der Freak der Schule und er würde sich offensichtlich nicht mit ihr zeigen lassen wollen. Die Unterrichtsstunden zogen sich hin und waren für Maron schwer zu ertragen. Zum einen, weil alle in der Klasse sie anstarrten, als träge sie eine tickende Bombe mit sich rum (warteten wahrscheinlich auch gespannt auf den nächsten potenziellen Ausraster von ihr). Und zum anderen, weil ihr Nachbar im Vergleich zu seinen Mitschülern sie komplett ignorierte. Als es zur Mittagspause klingelte, war Maron als Erste von ihrem Platz aufgesprungen und ging, ohne sich zu Chiaki umzudrehen, zur Cafeteria. Dort saßen Miyako, Natsuki und Shinji schon an ihrem Stammtisch. Maron setzte sich hin, holte ihr Mittagessen sowie ihr Buch aus der Tasche und blendete wie üblich alles um sich herum aus. Sie zwang sich somit auch nicht nach Chiaki umzusehen, wo er in der Mittagspause sitzen würde – falls er sie in der Cafeteria verbrachte. Als Maron wieder ins Klassenzimmer zurückkehrte, fand sie wieder Chiaki auf seinem Platz vor. Innerlich musste sie entnervt aufseufzen. Sie konnte es kaum erwarten, wenn der Tag vorbei war. Neben ihm zu sitzen war reinste Tortur. Sie konnte seinen vertrauten Geruch von Zigaretten und Minze wahrnehmen, was ihr ein flaues Gefühl in die Bauchgegend verursachte. Es war sehr irritierend. Unauffällig blickte sie durch ihre Haare zu ihm rüber und sah, dass Chiaki stur nach vorne zur Tafel schaute. Sein Verhalten nervte Maron so sehr, sie konnte sich noch keinen Moment über Hijiri’s zerschrammte Nase amüsieren! Letztendlich ging auch die letzte Unterrichtsstunde zu Ende und diesmal war Chiaki schneller auf den Beinen, als ihr müdes Gehirn es wahrnehmen konnte. Kannst es wohl kaum erwarten von mir wegzukommen, ging es Maron zynisch durch den Kopf, während sie langsam ihre Sachen einpackte und sich nach allen anderen als Letzte aus dem Raum begab. Und da das Universum sie wohl hasste, wartete noch Hijiri vor der Tür auf sie. Sie hielt ihren Kopf gesenkt, lief bewusst an ihn vorbei und tat so, als hätte sie ihn nicht gesehen. „Hey, Maron“, hört sie ihn hinter sich rufen. Ohne dass die Angesprochene es wirklich wollte, blieb sie stehen, schauderte und drehte sich langsam zu ihm um. Verdammt, bleib nicht stehen und geh weiter!, schrie sie in ihrem Inneren. Doch ihre Beine wollten ihr nicht gehorchen. Er war zehn komfortable Schritte von ihr entfernt. Zu mindestens komfortabel für sie. Nicht für ihn. Hijiri kam auf sie zu. Sofort beschleunigte sich ihre Atmung. Adrenalin schoss durch ihre Venen, Maron begann zu zittern. Sie wollte wegrennen, schreien, Hijiri sagen, dass er sie zum Teufel nochmal in Ruhe lassen sollte. Doch sie war völlig erstarrt, als er bei ihr war und eine Hand auf ihre Schulter legte. Hörbar schnappte sie nach Luft. Sofort blitzten Bilder vor ihrem inneren Auge auf, fluteten förmlich auf sie ein. Bilder von Noyn und wie er sie fest an der Schulter packte und gegen die Wand warf. Wie er an ihren Haaren zog und ihr ins Gesicht schlug. Wie er ihr etwas zuflüsterte und seine kalte, feuchte Zunge ihre Wange entlang lief-… „FASS MICH NICHT AN!“ Kreischend schlug Maron Hijiri’s Hand von ihrer Schulter. Sie ging einige Schritte zurück, traf mit dem Rücken an der Wand an, keuchte, bebte und zitterte am ganzen Leib. Tränen liefen ihr unkontrolliert das Gesicht herunter. Es war vollkommen still um sie herum, jeder im Korridor starrte sie entgeistert an. Ihre Atmung ging gehetzt und unregelmäßig. In ihren Ohren rauschte es, sie konnte keinen klaren Gedanken fassen, schwarze Flecke bildeten sich vor ihren Augen, ihre Hände ballten sich so fest zu Fäusten, eventuell schnitten sich ihre Fingernägel in ihre Haut rein. Hijiri’s amüsiertes Kichern durchbrach die Stille im Gang, lächelte ihr zu und verschwand mit einem Winken schließlich. Entsetzt und fassungslos starrte Maron dem Kerl hinterher. Gefiel ihm ihr Leid?! In dem Moment setzten alle anderen ihre Aktivitäten wieder fort, doch das Getuschel und Geflüster war auf einmal noch ausgeprägter als vorher. Maron löste sich von ihrer Starre, senkte beschämt den Kopf und rannte zur nächstgelegenen Toilette. Sie hatte das Gefühl, als würden all die Blicke sie erdrücken, ihr dem Atem wegnehmen und sie ersticken. In der Toilette schloss sie sich in einer Kabine ein. Dort blieb sie für eine Weile, weinte still bittere Tränen. *** Chiaki lief unruhig in seinem Zimmer auf und ab. Seit er sich heute Morgen bei den Picknickbänken von Maron verabschiedet hatte, war er besorgt darüber gewesen, sie in der Öffentlichkeit zu sehen. Er war sich nicht sicher gewesen, wie er sich ihr gegenüber verhalten sollte. In dem Moment, als Yamato heute in sein Auto einstieg, hätte Chiaki ihm fast von ihr und ihren nächtlichen Treffen und Gesprächen erzählt. Doch etwas in seinem Inneren hielt ihn davon ab. Letztlich hatte er seinen Beifahrer stattdessen gefragt, wie dessen Wochenende war. Etwas in seinen Kopf wollte, dass er diese gemeinsame Sache mit Maron für sich behielt. Chiaki war sich nicht sicher, wie Yamato reagiert hätte, aber so abfällig wie er über Maron letztens geredet hatte, gab ihn zu denken. Dieses Bedürfnis, diese Ereignisse mit jemand Drittes, Außenstehendes zu teilen, war ihm schließlich doch zuwider. Genauso wenig wollte er Maron mit jemandem teilen. Er wollte, dass die ganze Sache zwischen ihm und ihr blieb. Und niemand sollte sich zwischen ihnen stellen. Nicht mal Chiaki selbst. Gelegentlich erwischte er sich selbst dabei, wie er seinen Blick nicht von ihr abwenden konnte, wenn sie beispielsweise rot wurde oder sich verlegen auf die Lippen biss. Doch in solchen Momenten gab er sich eine innere Ohrfeige. Auf keinen Fall wollte er diese Sache -diese Freundschaft- zwischen ihm und ihr wegen irgendwelchen Teenager-Hormonen ruinieren. Maron war allerdings mehr, als er es irgendwie beschreiben konnte. Wie eine Art verwandte Seele… Er hatte ihr schließlich Sachen offenbart, die niemand anderes von ihm wusste. Und er wollte diese freundschaftliche Verbindung zwischen ihnen, insbesondere diesen Komfort, mit allen Mitteln beibehalten. Weshalb er sich dafür entschied darüber zu schweigen. Maron war sein Mädchen. Nicht auf eine besitzergreifende oder romantische Art und Weise… eher wie sein Geheimnis. Sie war sein Geheimnis. Und wie Geheimnisse so sind, dürfen sie auf keinem Fall Preis gegeben werden. Bei diesen Gedanken musste Chiaki seufzen. Als er Maron in die Klasse kommen sah und ihn anlächelte, hatte er fast Panik bekommen. Panik darüber, dass alle ihr Geheimnis in dem Augenblick herausfinden würden. Schließlich waren alle Augen auf sie fixiert gewesen, das hatte er bemerkt. Sie ließ sich von den Blicken nicht beirren, trug über den Tag diese ausdruckslose Maske, durch die sie sich nichts anmerken ließ. Chiaki selbst wusste nicht, wie er mit so viel Aufmerksamkeit zurechtkommen würde. Aus den Gründen hatte er sich Maron gegenüber kalt verhalten. Zugegeben, vielleicht hatte er überreagiert und damit ihre Gefühle verletzt. Ihm entging dieses kleinen, verärgerte Funkeln in ihren Augen nicht. Er hoffte, dass sie nicht allzu wütend auf ihn war und dass sie ihm verzeihen würde, wenn er sich erklärte. *** Es war kurz vor Mitternacht und Maron stand mit einer vollen Kekstüte auf dem Tresen in der Küche, den Blick immer wieder zur Hintertür zu ihrer Rechten gerichtet, nicht wissend was sie tun sollte. Nervös zupfte sie sich die Haut von den Lippen. Sie hatte zwei Optionen. Option A: zu Hause bleiben. Wozu sich nachts mit ihm treffen, wenn er sie Tagsüber eiskalt ignorierte? Allerdings war ihr Kopf hin und her gerissen über die Möglichkeit, ob Chiaki ihre Anwesenheit überhaupt mitbekommen würde. Ob er nach dem heutigen Schultag überhaupt wiederkommen würde, um dies in Erfahrung zu bringen. Von ihrem Sitz aus konnte sie sein Fenster sehen. Das Licht brannte die ganze Zeit. Im nächsten Moment erlosch es jedoch. Sie krauste die Stirn. Er war jetzt also draußen. Er kam also wieder! Wild schüttelte sie mit dem Kopf. Er hat sich trotzdem wie ein Arsch verhalten! Bleib besser zu Hause, dachte Maron sich bitter. Option B war zu gehen. Nach draußen gehen und sich ihm stellen. Und Maron wusste, dass dieses kleine, schiefe Lächeln von ihm, ihren Ärger ihm gegenüber vergessen lassen würde. Es wäre naiv und dumm den Schritt zur Hintertür zu nehmen und die Klinke zu betätigen. Den ganzen Nachmittag und Abend war sie sauer auf Chiaki gewesen. Gleichzeitig war sie aber irgendwie auch nicht sauer auf ihn (?). Es war einfach nur irritierend! Sie wollte wissen, wieso er sie so verletzen musste. Bei jeder anderen Person in dieser Stadt wäre Maron glücklich gewesen, wenn man sie mied. Bei jeder anderen Person in dieser Stadt wäre ihr es auch vollkommen egal und gleichgültig gewesen. Bei jeder anderen Person in dieser Stadt – bis auf Chiaki Nagoya! Maron erdolchte mit ihrem Blick nahezu die Hintertür, hoffte dabei, dass diese Blicke ihn erreichen würden. Die schlauste Option wäre A. Zu Hause in der warmen Küche zu bleiben, ein Ort, in der sie sich sicher fühlte. Das wäre die Option, die charakteristisch zu ihr passen würde. Immer die sicherste Route nehmen. Option B wäre für Maron raus zu gehen und sich selbst einzugestehen, dass Chiaki irgendeine große Macht auf sie zu haben schien. Das wäre erbärmlich. Frustriert stieß sie einen genervten Laut zwischen den Zähnen aus, raufte sich die Haare. Verdammt seist du, Chiaki Nagoya…!, fluchte Maron innerlich, als sie die Hintertür auf machte und rausging.   Die Nacht heute war kälter als sonst. Maron fröstelte etwas, als sie mit gesenktem Kopf auf die Picknickbänke zusteuerte. Gedanklich sprach sie immer wieder auf sich ein, dass es okay war zu kommen und dass sie Chiaki deutlich die Meinung sagen würde. Dass sie ihn dazu bringen würde sich bei ihr zu entschuldigen. Dies war noch bevor sie ihn sah. Er saß auf dem Tisch, die Füße auf der Bank gelegt und das Gesicht betreten nach unten gerichtet. Jegliche Wut in Maron war mit einem Mal verebbt und mit Sorge um ihn ersetzt. Gott, werd' nicht gleich weich…, schimpfte sie mit sich selbst, Was auch immer ihn leiden lässt, er hats irgendwo verdient. Als Chiaki bemerkte, dass sie sich ihm näherte, sah er auf. Er sah müder aus, als die Nacht vorher und wirkte besorgt. Frustration und Irritation stieg ein weiteres Mal in ihr hoch. Dieser Typ wechselte seine Stimmungen, wie andere ihrer Unterwäsche! Chiaki hüpfte vom Tisch herunter und strich seine Hände nervös durch die Haare. Er schien sich in irgendeiner Weise schuldig zu fühlen. Gut, dachte Maron sich, versuchte mit aller Kraft wütend zu bleiben. Ließ somit die Kekstüte plump auf dem Tisch fallen, nahm auf ihrem Ende der Bank Platz und verschränkte die Arme vor sich, die Augen stur geradeaus gerichtet. Sie konnte spüren, wie seine Blicke Löcher in ihren Kopf reinstarrten, doch Maron weigerte sich etwas zu sagen oder ihm eines Blickes zu würdigen. „Du bist sauer auf mich, hm?“ Er klang traurig. Sie schnaubte, wollte bewusst nichts sagen. Ihre Stimme würde sonst verraten, wie verletzt sie wirklich war und wie sehr sein Verhalten sie getroffen hatte. Chiaki seufzte tief aus und ließ sich auf seinen Platz auf der Bank nieder. „Ich wollte nicht wie ein Arsch rüberkommen heute. Aber in der Schule geht das hier nicht-“ Er gestikulierte zwischen ihnen hin und her. „Ich würde mit all dieser Aufmerksamkeit nicht klarkommen. Es hat nichts mit dir persönlich zu tun.“ Klar, hat es mit mir persönlich zu tun! Ich bin der Freak der Schule und du willst nicht mit dem Freak gesehen werden. Maron schwieg. Sie hatte sich gedacht, dass dies der Grund war weshalb er sie mied, aber sie hatte immer noch keine Entschuldigung von ihm gehört. Weshalb sie weiter den Fluss anstierte, ihn anschwieg und auf die Entschuldigung wartete, die womöglich nie kommen würde. „Hey, schau mich an“, bat Chiaki sie sanft. Widerwillig schaute Maron zu ihm rüber. Er sah sie mit einem müden und gleichzeitig flehenden Ausdruck im Gesicht an. „Vergibst du mir?“, sprach er in dieser sanften Stimme, die ihr Herz für einen Moment hochschlagen und all ihre Vorsätze zerfallen ließ. Du bist so armselig, Maron, sagte ihre innere Stimme. Ihr war bewusst, dass Chiaki sich immer noch nicht entschuldigt hatte, aber diese Art wie er sie gerade ansah-... Augenrollend seufzte sie leise auf, nickte einmal bejahend und schob ihm stumpf die Kekstüte entgegen. Seine Mundwinkel zogen sich zu diesem schiefen Grinsen hoch, von dem Maron ab und an tagträumte. Armselig..., sprach sie in Gedanken zu sich selbst, während er sich einen Keks rausholte. Seufzend legte sie ihren Kopf in die Arme, das Gesicht zu Chiaki gewandt und schaute ihm beim Essen zu. Vage bekam sie mit, dass er irgendwas über die Kekse sagte, doch ihre Konzentration war zu sehr auf sein Seitenprofil geheftet. Irritiert zwang Maron sich den Blick von ihm abzuwenden und vergrub ihr Gesicht in ihre Arme. „Müde?“, fragte er besorgt. Sie richtete sich aufrecht, um ihn für ein paar lange Sekunden anzusehen. Ein leichter Wind wehte vorbei und spielte mit ein paar Strähnen seiner Haare. Es zuckte in ihren Fingern. Sie hatte plötzlich dieses überwältigende Bedürfnis ihre Finger durch seine Haare zu streichen und ihm die abstehenden Strähnen zu richten. Als ob du ihn berühren kannst, ohne hysterisch zu werden, ermahnte Maron sich selbst. Und selbst wenn... würde Chiaki nichts mit ihr Näheres zu tun haben wollen. Das hatte er ihr heute eindeutig gezeigt. Sie war demnach auch nicht sicher, ob sie Freunde waren. Was auch immer sie in seiner Anwesenheit verspürte, Maron schob das alles in ihrem Kopf beiseite und akzeptierte ihn für das, was er war. Ein freundlicher, allnächtlicher Vertrauter. Mehr nicht. Schließlich sah er in ihr wahrscheinlich auch nur eine Art Genossin, um die Nächte totzuschlagen. Mehr nicht. Auf seine Frage zurückzukommen, schenkte Maron ihm ein halbes Lächeln und zuckte mit den Schultern. „Sind wir nicht immer müde?“, entgegnete sie und nahm sich ein Keks. Chiaki kicherte daraufhin leise und sie lächelte augenrollend in sich hinein. Was auch immer für eine Beziehung sie hier hatten, Maron würde versuchen, dass diese nächtliche halb-Freundschaft (oder was auch immer Chiaki hiermit wollte) funktionierte und aufrecht blieb. Es war ein Give-and-Take Arrangement zwischen ihnen, in der sie beide irgendwie profitieren. Und sie sollte sich nur das nehmen, was sie auch wirklich haben konnte. Nämlich jemand, der ihr in der Nacht das Gefühl von Komfort und Sicherheit gab. Jemand, mit dem sie ihre Probleme teilen konnte und der sie verstand.   Die Zeit verging und Maron und Chiaki knüpften an ein Gespräch über seine Büchersammlung an. Beide schienen dieselben Geschmäcker an Bücher zu haben, was größtenteils in Richtung Fantasy und Dystopien ging. Maron selbst mochte es lieber in fiktionale Fantasiewelten einzutauchen, statt sich mit Geschichten zu beschäftigen, die den dumpfen Alltag widerspiegelten. Dann versuchte er mit ihr über Musik zu reden, doch sie hatte keine Ahnung von was für Künstler und Bands er sprach. „Ich habe keine Ahnung, wer oder was das sind. Und ganz ehrlich - ich höre nur das, was im Radio lauft. Wenn höchstens“, gestand sie. Seine Augen wurden groß und starrten sie entsetzt an. „Nicht dein Ernst, Maron. Wir leben im Zeitalter des Internets und du hörst nur das, was im Radio läuft? Wenn höchstens?! Wie geht das? Den Scheiß, den die da abspielen, kann man sich doch nicht anhören.“ Maron zuckte daraufhin mit den Schultern. „Bisschen Klassik eventuell noch, als ich früher Ballett getanzt habe“, ergänzte sie. Chiaki fasste sich daraufhin die Stirn. „Oh, wow... Da gibt es einiges, was ich dir beibringen muss“, grinste er schelmisch. Sie schmunzelte etwas über seine offensichtliche Leidenschaft für Musik. Die restlichen Stunden verbrachte Chiaki anschließend damit ihr Lektüren über alle möglichen Musikrichtungen zu geben, die er mochte und welche Künstler und Bands er empfehlen würde. Manche hatten solch ungewöhnliche und teils lächerliche Namen, Maron musste amüsiert kichern. Heute Nacht sprachen niemand über ihre Träume oder Vergangenheit, was eine willkommene Abwechslung war. Weshalb Maron ihm auch nichts über dem Vorfall mit Hijiri am Nachmittag erzählte. Sie wollte einfach ein ganz normales Gespräch mit Chiaki genießen, über belanglose Themen, wie Musik und Bücher. Und so wie sie es beurteilen konnte, schien es ihm auch zu gefallen. Als die Sonne aufging, versprach Chiaki, bevor er ging, ihr seine Playlist nächstes Mal zu zeigen. „Bis später, Maron“, schenkte er ihr zum Abschied sein schiefes Grinsen und ging. Seufzend sah Maron ihm verträumt hinterher, die Wangen rosa gefärbt. Irgendwie mochte sie den Klang ihres Namens aus seinem Mund. Oh Gott, was denkst du da…!, stöhnte sie innerlich auf, das Gesicht für einen Moment in ihren Händen vergraben. Für eine Weile beobachtete sie ihn dabei, wie er die Wand zu seinem Balkon hochklettern. Anschließend begab auch sie sich zurück und machte sich für die Schule fertig.   Wie jeden Morgen hatte Maron Frühstück für alle vorbereitet. Und wie jeden Morgen kam ihr Vater als Erster in die Küche, nur schien er es im Vergleich zu sonst nicht eilig zu haben. Stattdessen setzte er sich zu ihrer Überraschung am Tresen hin und bedankte sich fürs Frühstück. „Können wir kurz reden?“, sagte Takumi, als Maron ihm eine Tasse Kaffee hinstellte und sich wieder abwenden wollte. Oh-oh. Reden war nie gut. „Oh…okay?“ Zögernd nahm sie schräg gegenüber von ihm Platz. Takumi sah sie mit einem teils ernsten, teils besorgten Gesichtsausdruck an, wischte sich den Mund mit einer Serviette ab und räusperte sich. „Ich habe gestern einen Anruf von der Schule bekommen“, fing er an zu sagen. Oh, Shit!, ging es ihr panisch durch den Kopf, versuchte sich aber nichts anmerken zu lassen. „Man sagte mir, dass du ab und an im Unterricht einschläfst“, sprach er weiter. Maron kniff sich ihre Lippen zu einem dünnen Strich zusammen. „Und…“ Takumi zögerte, fuhr sich eine Hand über den Hinterkopf. „Uhm… dass du gestern sowas wie einen Zusammenbruch im Korridor hattest?“ Na super! Maron senkte ihren Blick, versuchte gefasst und ruhig zu wirken und nahm tief Luft. „Ich bin nur ein-zwei Male eingeschlafen. Manchmal kann der Stoff sehr langweilig sein, da ich ihn schon in Osaka behandelt habe“, erklärte sie sich, „Es wird nie wieder vorkommen, versprochen“, beschwichtigte Maron ihm und sah zu Takumi auf. „Und die Sache im Korridor?“, fragte er leise. Sie konnte ihm ansehen, dass er ahnte, was kommen würde. Ihr Vater hatte schon versucht ihr eine Therapie einzureden, doch sie ließ das Thema unbeachtet. Wozu Geld für sowas ausgeben, wenn es am Ende sowieso nicht funktionierte? Außerdem wollte sie Krankenhäuser und Kliniken gut möglichst umgehen, nachdem sie einen ganzen Monat in einem verbringen musste und schon dort ihr keiner helfen konnte. Maron schnaubte. „Da gibt es diesen Typen in meiner Klasse, der mir auf Pelle rückt“, sagte sie in einem genervten Ton. Takumi’s Züge verhärteten sich und Wut funkelte in seinen Augen. „Wie lautet der Name des Jungen? Soll ich mit der Schulleitung reden? Oder mit seinen Eltern?“, fragte er mit einem ruhigen -beängstigend ruhigen- Ausdruck im Gesicht, die Stimme so scharf wie ein Messer. Maron saß für einen Moment mit halboffenem Mund verblüfft da. Verblüfft darüber, dass ihr Vater sie vor Hijiri beschützen wollte. Solch nette Gesten, war sie nicht gewohnt. „Papa, ist schon okay. Ich komme mit ihm schon klar“, sagte sie und fügte mit einem ehrlichen Lächeln hinzu, „Wenn es nochmal passiert, werde ich es dich wissen lassen.“ Takumi schien sich zu beruhigen. „Maron, du weißt, dass du immer mit mir oder Sakura reden kannst. Egal was ist, ja?“, sprach er mit väterlicher Fürsorge. „Ich weiß, dass keiner von uns beiden Korron ersetzen kann. Aber ich will, dass du mir als Elternteil - als dein Vater, vertraust.“ Bei der Erwähnung von seiner Ex-Frau bekam Takumi einen traurigen zugleich bedauernden Blick in den Augen. Auch wenn ihre Eltern nichts mehr miteinander zu tun hatten, so war auch für ihn der Verlust schwer. Schließlich war Korron Maron’s Mutter gewesen und jemand, den er mal geliebt hatte. Bei Maron hatten sich Tränen angesammelt, die sie sich wegblinzelte. Mit einem weiteren Lächeln nickte sie. Im nächsten Moment kam Sakura. „Nanu…Du bist noch hier? Kommst du nicht zu spät?“, fragte sie, nachdem sie Takumi einen Kuss auf die Wange gab. „Wollte gerade gehen“, entgegnete er mit einem aufgesetzten Lächeln, warf Maron einen letzten Blick zu und war kurz darauf auch schon aus der Haustür verschwunden.   Wie am Montag bei der Heimfahrt, tat Miyako auch jetzt so, als wüsste sie nichts von dem Maron’s Zusammenbruch, unterhielt sich mit ihr fröhlich über Gott und die Welt. Maron kam sich vor, als würden alle um sie herum sie mit Samthandschuhen anfassen. Sie wusste, dass man es tat, weil man sich um sie sorgte. Das wusste Maron auch zu schätzen. Gleichzeitig bekam sie ein schlechtes Gewissen, weil sie den anderen extreme Unannehmlichkeiten bereitete. Zumindest glaubte sie da. Bestimmte Themen werden ihretwegen immer vermieden und sie stellte sich das stressig vor. Glücklicherweise, war Miyako nie gestresst und schaffte es problemlos Maron immer wieder in normale, belanglose Konversationen einzubringen, wie beispielsweise über den neusten Schuhtrend oder ihren nächsten Flirtversuch bei Yamato. In solchen Momenten fühlte sich die Braunhaarige fast so normal, wie jeder anderer Teenager. Aber nur fast. Sie seufzte schwer. Im Klassenzimmer angekommen, sah Maron wie Chiaki ihr, wie am Tag zuvor, keine Beachtung schenkte. Kurioserweise starrte er Hijiri die ganze Zeit wütend an. Schien ihn mit seinen Blicken offensichtlich zu töten. Konfus verzog Maron das Gesicht und setzte sich. Gestern hatte er sie und jeden anderen um sich herum ignoriert. Was war heute anders? Die tödlichen Blicke hielten den ganzen Vormittag an und Maron machte sich eine gedankliche Notiz ihn heute Nacht zu fragen, was sein Problem mit Hijiri war. Wenigstens war sie nicht die Einzige, die den Typen abgrundtief hasste. Als die Mittagspause kam, schoss Chiaki von seinem Stuhl hoch, ging vor ihr raus. Kurz darauf verließ Hijiri den Raum. Maron wartete noch ein paar Momente bis sie zu den Letzten gehörte, die sich noch im Zimmer befanden. Dann ging auch sie zur Tür. Draußen im Gang sah sie inmitten der vorbeilaufenden Schüler, wie Chiaki mit Hijiri in Richtung Schulhof lief. Merkwürdig, dachte sie sich. Zuerst starrte er ihn den halben Tag wütend an und jetzt verschwand er mit ihm nach draußen. Sie wurde nicht schlau aus Chiaki. „Maron.“ Miyako’s plötzliche Stimme riss sie aus den Gedanken. Sie drehte sich um und sah, wie Miyako und Natsuki ihr entgegenkamen. „Was macht ihr denn hier?“, fragte Maron verwundert. Normalerweise trafen sie sich immer in der Cafeteria an ihrem Tisch. Abgesehen davon war Miyako’s Klassenzimmer am anderen Ende des Schulgebäudes. Und wo Natsuki ihr Zimmer hatte, wusste sie nicht. „Wir, eh…“ Miyako warf einen auffällig langen Blick in Maron’s Klassenzimmer rein, wie als würde sie etwas oder jemanden suchen. Es waren noch ein paar Schüler drin. „Ist der nicht da?“, fragte Natsuki hinter ihr flüsternd leise, doch Maron konnte es hören. „Sucht ihr jemand?“, fragte sie mit hochgezogener Augenbraue. Miyako wandte sich wieder zu ihr. „Oh, eh, ja, dich!“, entgegnete sie überschwänglich. „Wir dachten uns, wir holen dich ab.“ Skeptisch zog Maron die Brauen zusammen. Sie war sich sicher, dass sie nach jemand bestimmten aus ihrer Klasse gesucht haben. „Und was hattest du mit deinem Schwert vor?”, fragte sie an Natsuki gewandt, die ihr Bokutō -ihr Kendoholzschwert- seltsamerweise mithatte. Diese versteckte es hinter ihrem Rücken und winkte unschuldig ab. „Ich laufe immer mit dem Ding rum.“ Es ist das erste Mal, dass ich dich mit dem Ding sehe, merkte Maron in Gedanken an. Es war offensichtlich, dass die beiden irgendwas vorhatten, dies jedoch ins Wasser gefallen war. „Okay, Mädels, dann mal los. Es gibt heute Pizza“, kam es von Miyako in einem freudigen Ton. Gemeinsam begaben sie sich zur Cafeteria. *** Ich bringe den Mistkerl um!, ging es Chiaki wenige Stunden zuvor wutentbrannt durch den Kopf. Die Fahrt über hatte Yamato davon erzählt, was Hijiri gestern mit Maron getan hatte. Was ihn neben der Sache auch aufregte, war die Art und Weise wie Yamato über Maron sprach. Als wäre sie eine Irre, die aus einer Anstalt entkommen sei. „Alter, ich schwöre. Solche Leute, wie die, sind der Grund wieso Schulen irgendwann in den Nachrichten landen und Polizisten das Gelände stürmen.“ Kopfschüttelnd lachte er auf. Chiaki musste sich stark zusammenreißen, um seinen Beifahrer nicht aus dem Auto rauszuschmeißen. Was für ein Recht hatte er, um sowas zu behaupten? Er kannte Maron nicht. Nicht so, wie Chiaki sie kannte. Der Blauhaarige atmete tief durch und versuchte sich mit einer ruhigen Miene auf die Straße zu konzentrieren. Er kennt sie nicht, mahnte er sich immer wieder, bis seine Wut allmählich nachließ. Dennoch konnte er Yamato’s Verhalten nicht so dulden lassen. „Ich denke nicht, dass Toudaiji mit dir reden wollen würde, wenn du so ein Shit über ihre zukünftige Schwester laberst“, sagte Chiaki mit hochgezogener Augenbraue, nutzte bewusst Yamato’s Schwäche für seinen Schwarm aus. Dessen Augen wurden erschrocken groß und sofort blickte er reuevoll aus dem Fenster. Die restliche Fahrt verlief schweigend ab und Chiaki dachte an Maron zurück. Sie hatte ihm für sein arschiges Verhalten verziehen. Trotzdem war letzte Nacht irgendwie anders. Maron verhielt sich komisch, wirkte in vielen Momenten so geistesabwesend. Chiaki hatte schon die Befürchtung, dass er sie mit seinen abgefuckten Geschichten abgeschreckt hatte, wodurch er darauf bedacht war die Stimmung locker zu halten. Mit der Zeit realisierte er auch, wie abhängig er von Maron’s Gesellschaft war. Er genoss sie sichtlich und sie tat ihm irgendwie gut. Und nachdem Yamato ihm von dem aktuellsten Ereignis erzählte, welches als „Schräger, emotionaler Zusammenbruch Nummer Drei“ betitelt wurde, stellte Chiaki überraschender Weise einen weiteren Nebeneffekt fest, welches aus seiner Bindung mit Maron resultierte. Nämlich, dass sie ihm schon so viel bedeutete, dass er sie beschützen wollte. Allein, wie sein bester Freund über sie sprach, hatte ihn sichtlich angepisst und Chiaki hoffte, dass die Bemerkung zu Miyako ihn zukünftig darüber verstummen ließ. Apropos Miyako – er fragte sich, wieso sie Maron nicht half bei solchen Anfällen. Schließlich müsste auch sie von den ganzen Zusammenbrüchen hören und beide sind nahezu sowas wie Schwestern. Wenn er Takumi Kusakabe wäre, würde er es sich zweimal überlegen Sakura Toudaiji zu heiraten, wenn seine zukünftige Stieftochter sich nicht ordentlich um seine eigene Tochter kümmern konnte. Das war zumindest Chiaki’s Meinung.   Kaum hatte er sich auf seinem Platz hingesetzt, spürte er erneut dieses beschützerische Gefühl, als Maron das Klassenzimmer betrat. Ihm fiel auf, wie Hijiri zwei Reihen vor ihnen sie anstarrte - wenn man es nur anstarren nennen konnte. Er zog sie nahezu mit seinen Augen aus, was Chiaki noch wütender machte, als er es schon war. Chiaki blickte ihn finster an, während Maron langsam Platz nahm. Hijiri bemerkte seine Blicke nicht, nur ab und an wandte er sich zur Tafel nach vorne. Doch sobald sich die Gelegenheit ergab, ging das Gelüster weiter los. Der Blauhaarige beschäftigte sich den ganzen Vormittag damit sich zu überlegen, wie er es ihm am besten heimzahlen konnte, für das was er Maron am Montag angetan hatte. Und was er ihr zukünftig antun könnte. Denn es war offensichtlich, dass der Mistkerl keinen Halt machte, selbst wenn man hysterisch und weinend vor ihm stand. Als es zur Mittagspause klingelte, lief Chiaki aus dem Klassenzimmer raus und wartete nicht weit entfernt von der Tür, um sicher zu stellen, dass Hijiri nach ihm rauskam. Was er auch tat. Seine Nase war immer noch geprellt von der Party letzten Freitag. Ein kleiner Trost. Am liebsten wollte Chiaki dessen ganzes Gesicht brechen. Ein paar Mädels sprachen für einen Moment flirtend auf den Rothaarigen ein und verabschiedeten sich anschließend kichernd. Was sie an den Typen fanden? Sobald Hijiri’s Blicke seine trafen, setzte der Blauhaarige eine freundliche Miene auf. „Hey“, sagte Chiaki so gelassen wie möglich. „Hey, was gibt’s, Nagoya?“, kam Hijiri auf ihn zu, hatte offensichtlich den Köder geschluckt. Ein selbstgefälliges Grinsen haftete auf seinem Gesicht und wie arrogant er lief, als würde er denken, er wäre ein Geschenk Gottes. Chiaki verzog innerlich eine Grimasse. „Lust mit mir eine Rauchen zu gehen?“, fragte er, behielt sein künstliches Lächeln bei. „Klar“, stimmte der Rothaarige zu. Chiaki lief paar Schritte voraus, stellte auch sicher, dass niemand sie beide zusammen sah, während Hijiri ihm brav nach draußen folgte. In einem kleinen Waldstück des Schulhofes blieb Chiaki schließlich stehen und drehte sich zu seinem Mitschüler um. „Sag, warum zum Teufel machst du Maron die ganze Zeit an?“, fragte er, die Stimme mit der Wut gezeichnet, die er innerlich auch fühlte. „Maron Kusakabe?“ Hijiri’s Augen wanderten kurz zum Schulgebäude rüber, ehe er amüsiert auflachte. „Alter. Dieses scheue, schüchterne Getue von ihr - das macht gerade den Reiz aus. Und dieser Verrücktheitsaspekt macht es noch spannender-“ Noch bevor Hijiri zu Ende reden konnte, hatte Chiaki ihn schon mit einer Hand am Kragen gepackt und gegen einen Baum gedrückt. Seine Augen wurden erschrocken großen. „Hör gut zu, du Vollpfosten“, sagte Chiaki mit Gift in der Stimme, den Griff fest um den Kragen des anderen. Seine braunen Augen verengten sich, stierten sein Gegenüber zornig an. „Halte dich verflucht nochmal fern von ihr. Wenn du es wagst, sie anzufassen, sie anzusehen oder sogar an sie zu denken, dann findest du dich fünf Meter unter der Erde wieder.“ Chiaki kannte Hijiri gut genug, um zu wissen, dass er Respekt vor ihm hatte. Schließlich gab es letztes Jahr mal einen Vorfall, in der Chiaki dessen besten Freund vor seinen Augen nahezu krankenhausreif geprügelt hatte. Und gerade jetzt sah Hijiri so aus, als würde er sich in die Hose machen müssen. Dabei hatte Chiaki ihn noch nicht mal geschlagen. Allerdings wollte er ihn auch nicht ungeschoren davonkommen lassen, weshalb er mit seiner Faust ihm auf die bereits verletzte Nase schlug. Fest genug, dass es schmerzte, aber nicht so hart, dass sie nochmal gebrochen war. Als Warnung reichte das. Dann ließ er ihn los und Hijiri sackte nach unten, hielt sich beide Hände stöhnend vor das Gesicht. Erbärmlich..., dachte Chiaki sich abfällig und beugte sich zu ihm runter. „Wenn du jemand hier von was erzählst, bist du erledigt. Verstanden?”, sagte er mit beängstigend ruhiger Stimme. Als er sah, wie Hijiri nickte, stand er auf und klopfte sich die Hände an den Klamotten ab. Zufrieden damit, dass der Kerl sein Mädchen nicht nochmal anfassen würde, machte Chiaki auf dem Absatz kehrt und ging.   Mit guter Laune verbrachte Chiaki die restliche Mittagspause in der Cafeteria mit Yamato. „Wo warst du denn?“, fragte der Braunhaarige, als er zu deren gemeinsamen Stammtisch kam. „Hatte nur was zu erledigen“, zuckte Chiaki mit den Schultern. Yamato nahm das ohne weitere Fragen hin und begann im nächsten Moment von Miyako und ihrer Kehrseite zu schwärmen. Schon hörte Chiaki nicht mehr zu und blickte zu dem Tisch rüber an den Maron mit Miyako und den anderen saß. Wie auch am Tag vorher schien sein Mädchen in ein Buch vertieft zu sein, schenkte ihrer Umgebung dabei keine Beachtung. Plötzlich sah sie hoch, schaute sich kurz um bis ihre Blicke seine trafen. Für einige Sekunden sahen sie sich in die Augen, ehe Maron den Blickkontakt abbrach und ohne weiteres sich wieder ihrem Buch widmete. Chiaki konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. „Ihr Stift fiel ihr plötzlich runter, ja? Dann stand sie auf und beugte sich vor mir und meinem Tisch runter und-… Gott, der Anblick den sie mit bot..!“, hörte er Yamato stöhnen. Chiaki rollte seine Augen. Ob Yamato wusste, dass das beabsichtigt war? Zumindest wusste Miyako, wie sie ihre weiblichen Reize einzusetzen hatte. Überhaupt war es amüsant, den beiden bei ihren peinlichen Paarungstanz zuzusehen. Nach wenigen Minuten war die Pause vorbei und der Unterricht ging weiter. Und wie erwartet hatte Hijiri über den Rest des Tages es keinen Moment gewagt sich zu Maron umzudrehen. Gut, dachte Chiaki sich zufrieden grinsend. Die Schule ging zu Ende und die Fahrt nach Hause verlief ereignislos ab, abgesehen von Yamato’s Besessenheit über Miyako’s Hinterteil. Als Chiaki zu Hause ankam, war es ruhig in der Villa, da Shinji noch Training hatte. Auf dem Weg zu seinem Zimmer spürte er, wie erschöpft er eigentlich von dem Tag war. Die Aktion mit Hijiri hatte ihm einen gewissen Adrenalinschub gegeben und jetzt fühlte er sich müder als sonst. Er schwankte etwas auf den Treppen, musste sich daraufhin an der Brüstung festhalten. Mit Mühe schaffte er es die letzten Treppen und Stufen hoch. „Shit“, murmelte er flüsternd, als er in seinem Zimmer ankam und sein Bett sah. Warm, weich und einladend - und drauf und dran seinen guten Tag zu ruinieren, sobald er sich reinlegte. Chiaki stellte sich den Wecker für zwei Stunden. Bitte… nur dieses eine Mal, flehte er im Stillen. Kaum hatte er sich hingelegt, schlossen sich automatisch seine Lider und er driftete in einen tiefen Schlaf ab. Dieses Mal war es das Feuer. Rot, glühend heiß und verbrannte alles, was es berührte. Feuer war etwas was man respektieren und fürchten sollte. Hätte er das nur damals gewusst. Stattdessen saß er zusammengekauert in einer Wohnzimmerecke und schaute den Flammen zu, wie sie sich in Arata’s Fleisch reinfressen. Er selbst war von Feuer umgeben. Die Flammen und der Rauch drohten ihn zu ersticken. Er konnte den Geruch wahrnehmen. Der verdammte Geruch von verbranntem Fleisch. Arata schrie nach ihm. Schrie, dass er wegrennen soll. Doch Chiaki konnte ihn nicht allein lassen. Er saß da und sah mit Schrecken zu, wie sein Stiefvater sich über den brennenden Boden schleppte. Der schreiende Ton seines Weckers weckte ihn schließlich. Er atmete gehetzt, lag nassgeschwitzt im Bett, zitterte am ganzen Körper, Tränen standen ihm in den Augen. Er ließ einen gequälten, frustrierten Schrei in sein Kissen raus, bevor er seinen Wecker ausmachte. Es dauerte diesmal etwas länger bis er sich beruhigen konnte. Er hatte es satt. Immer dieselben Träume mit denselben Ergebnissen. Chiaki starrte nach oben zur Decke, schob den Stoff seines Shirts etwas hoch und betastete die vernarbte Haut auf seinem Bauch. Die Narben, die sich auch auf seinem Rücken und Oberarmen stellenweise bemerkbar machten. Souvenirs von der Nacht, die sein Leben ruiniert hat. Nach einige Minuten stand er vom Bett auf und steuerte direkt auf den Balkon zu, brauchte dringend etwas zur Beruhigung seiner Nerven. Rauchend genoss er die kalte, angenehme Abendluft, die auf seine verschwitzte Haut traf und blickte gedankenverloren über den Hof. Es war schon ziemlich dunkel. Er konnte teilweise bis zu der kleinen Parkanlage mit den Picknickbänken raussehen. Bei Nacht waren sie noch viel einladender als bei Tag, insbesondere weil Chiaki wusste, dass jemand dort auf ihn warten wird. Ein Lächeln bildete sich auf seinen Lippen. Der Gedanke an sein Mädchen beruhigte ihn soweit, dass er seine Zigarette schon ausmachte, bevor sie verglühte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)