Erschütternde Erkenntnisse von Varlet ================================================================================ Kapitel 9: Erstes Date? ----------------------- Shuichi öffnete die Haustür. „Jodie“, sagte er ruhig. In seinem Inneren freute er sich über ihre Anwesenheit. Wie sie es angekündigt hatte, musste der Agent mehrere Wochen warten, ehe sich die Organisation wieder bei ihm meldete. Fünf Wochen konnten lang sein, wenn man jeden Tag eine Nachricht oder einen Besuch von ihnen erwartete. Wahrscheinlich gehörte es zu ihrer Art neue Mitglieder zu rekrutieren. Es hätte ihn nicht gewundert, hätten sie einen noch viel gründlicheren Hintergrundcheck bei ihm vorgenommen und dann seine Reaktion auf die Wartezeit beobachtet. „Komm doch rein.“ Shuichi stellte sich etwas abseits. „Danke. Hast du gerade Zeit? Ich lad dich auf einen Bourbon ein.“ Shuichi musterte sie. „Klar.“ Er schlüpfte in seine Schuhe und zog seine Jacke an. Hatte er doch einen Fehler begangen und seine Zugehörigkeit zum FBI war aufgeflogen? Würde er bald bei den Fischen schlafen? Akai verließ die Wohnung und folgte Jodie nach draußen. „Mein Wagen steht fast vor der Tür“, entgegnete sie und machte sich auf den Weg zu ihrem weißen Peugeot. Jodie öffnete die Türen und stieg auf der Fahrerseite ein. Akai sah sich um. Nachdem er sich sicher genug war, nahm er auf der Beifahrerseite Platz. Er legte den Sicherheitsgurt an und blickte sie an. „Besprecht ihr all eure Aufträge bei einem Glas Alkohol?“ Jodie startete den Motor und fuhr los. Sie versuchte zu lächeln, aber ihre Mundpartien hatten sich kaum bewegt. „Kommt auf den Auftrag an“, begann sie. „Ich habe keine guten Nachrichten für dich.“ „Mhm…“ Akai verschränkte die Arme. „Inwiefern?“ „Es gab in den letzten Tagen ein paar kleine…Unstimmigkeiten. Aus diesem Grund müssen wir die Füße still halten.“ „Aha“, gab der Agent von sich. „Und warum willst du dann mit mir etwas Trinken fahren?“ „Eigentlich wollte ich es dir erst beim Getränk sagen, aber egal.“ Jodie sah zu ihm. „Ich dachte mir schon, dass du deswegen ein wenig deprimierter sein würdest und wollte dich etwas Aufmuntern.“ „Du kannst ja ganz schön nett sein“, kam es von Akai. „So bin ich eben…manchmal…“ „Und wo geht’s hin?“ „Ich mag die Bar im Tokyo Tower. Warst du schon mal dort?“ „Vor langer Zeit“, antwortete Akai und sah aus dem Fenster. Spielte sie nur mit ihm oder hatte sie etwas ganz anderes vor? Shuichi konnte sie nur schwer einschätzen. Akemi hingegen war für ihn wie ein offenes Buch. Anhand ihres Gesichtsausdruckes wusste er was sie dachte. Jodie aber besaß ein richtiges Pokerface. Mal war sie nett, dann wieder nicht. Er setzte ein gezwungenes Lächeln auf – eine Reaktion die er auch von Dai erwarten würde. „Du wirkst nicht glücklich“, sagte Jodie. „Natürlich nicht“, fing er an. „Ich halte mich für einen Auftrag bereit und es kommt einfach nichts. Stattdessen willst du mit mir einen Absacker trinken gehen. Und jetzt sagst du mir, dass ich weiter warten muss…“ „Ach komm, es hätte dich schlimmer treffen können. Du hast wenigstens eine nette Begleitung dabei.“ „Nichts gegen dich, aber…“ „Jaja, schon klar…ich kenn die Leier und nehm es dir nicht übel. Dafür spendierst du mir aber die erste Runde.“ „Eh?“ Akai sah sie überrascht an. „Von mir aus.“ Nach 20-minütiger Autofahrt parkte Jodie ihren Wagen in einer naheliegenden Tiefgarage. Sie stieg aus. „Bist du eigentlich immer so wortkarg?“, wollte sie wissen. „Es kommt auf die Situation an.“ Akai war ebenfalls ausgestiegen und stand ihr nun gegenüber. Er sah sich um. Ein ungutes Gefühl breitete sich in ihm aus. Gänsehaut lief über seinen Rücken. Irgendwas war im Busch. Er wusste nur nicht was es war. Er musste auf jeden Fall auf der Hut sein und sich auf seinen Instinkt verlassen. Sie verließen zusammen die Tiefgarage und gingen die letzten Meter zu Fuß. Jodie wirkte wie ausgewechselt, als sie sich in die Reihe stellte. „Triffst du dich oft mit Jemanden hier?“, fragte Akai. „Hm?“ Jodie schmunzelte. „Hin und wieder, aber meistens kann ich die Aussicht nicht genießen.“ „Verstehe“, murmelte er. Es ging nur schleppend voran. Person für Person. Akai war froh, als sie sich nach rund 30 Minuten endlich im Aufzug befanden. Kaum, dass sich oben die Türen öffneten, verließ die Amerikanerin den engen Raum und ging zur Glasscheibe. Jodie strahlte. Shuichi schluckte. Was davon echt und was gespielt war, konnte der Agent nur erahnen. Da sie für die Organisation arbeitete, konnte sie ihre wahren Gefühle und Absichten gut verschleiern. Und doch hatte ihr Blick etwas Magisches. Shuichi stellte sich neben sie und steckte die Hände in die Jackentasche. „Sightseeing steht wohl nie auf deinem Programm.“ Es war eher eine Feststellung und keine Frage. Jodie nickte. „Ich hab anderes zu tun. In den meisten Fällen ist mein Begleiter…naja egal…“, murmelte sie. Sie wirkte für einen Moment sehr verletzlich. Akai hatte das Bedürfnis den Arm um sie zu legen und sie zu trösten. Er ließ es sein und wechselte das Thema. „Wo war die Bar in die du gehen wolltest?“ Jodie sah zu ihm hoch. „Hier entlang“, sagte sie und machte sich auf den Weg. Gerade als sie den Eingang erreichten, klingelte ihr Handy. Jodie blieb stehen und holte es aus ihrer Handtasche. „Na toll“, murmelte sie als sie auf den Display sah. Sie stellte sich etwas abseits und nahm das Gespräch entgegen. „Ich bins“, meldete sie sich. „Ja…ja, aber…woher…was? Nein…ich mein…ja…ja gut…“ Jodies Stimme schwenkte von ruhig auf aufgeregt und von aufgeregt auf wütend. Shuichi beobachtete sie nachdenklich. „Ich habe doch…ja…jetzt warte! Verdammt…“ Jodie seufzte. „Tut mir leid…ja, ich habe verstanden…ich kümmer mich drum…bis dann…“ Jodie legte auf und schob das Handy zurück in die Handtasche. „Schlechte Nachrichten?“, fragte der Agent. „Komm mit.“ Jodie ging zurück zur Aussichtsplattform. „Hideaki Onbu.“ Jodie wies auf den Mann. „Er ist Sportreporter und…hat ein wenig zu tief gegraben.“ „Und du sollst ihn jetzt von der Bildfläche verschwinden lassen?“, fragte er leise. „Nein“, antwortete Jodie. „Sie wissen, dass du mit mir hier bist. Sie wollen…dass du dich darum kümmerst.“ Akai sah sich um. „Hier sind zu viele Menschen“, gab er von sich. In dem Moment klopfte ihm ein fremder Mann auf die Schulter. Er hatte sein Basecap tief ins Gesicht gezogen und drückte Akai einen Gitarrenkasten in die Hand. Ehe der Agent reagieren konnte, war der Fremde auch wieder verschwunden. Er schaute auf den Gegenstand in seiner Hand. Natürlich konnte er sich denken, was er im Innenraum vorfinden würde. „Hast du einen Plan?“, wollte er von Jodie wissen. Auch Jodie sah sich um. „Ich habe die Anweisung dir nicht zu helfen. Aber eines solltest du bedenken: Wir müssen auch wieder rauskommen.“ „Lass das nur meine Sorge sein“, antwortete er selbstsicher. „Hier gibt es doch zahlreiche Mitarbeiter-Räume. Ich muss nur einen finden, der nach draußen führt. Von dort aus habe ich die beste Position, wenn er mit dem Aufzug nach unten fährt. Wahrscheinlich wird in diesem Moment im Aufzug ein Notsignal abgesetzt, aber damit er behandelt werden kann, müssen sie die Fahrt bis ganz nach unten antreten. Den Moment müssen wir nutzen und runter fahren. Da wir keine großen Taschen dabei haben und sie nicht damit rechnen, dass der Täter so schnell die Flucht versucht, werden sie uns mit größter Wahrscheinlichkeit gehen lassen“, flüsterte er ihr den Plan zu. „Hört sich gut an. Ich hoffe, du bist so ein guter Schütze wie man munkelt.“ Akai schmunzelte. „Das werden wir sehen. Ich suche jetzt den Raum und wenn Onbu früher runter fahren will, hältst du ihn auf. Sobald ich die richtige Position gefunden habe, klingel ich dich an. Dafür müsstest du mir natürlich noch deine Nummer geben. Wenn alles nach Plan geht, kontaktiere ich dich nicht.“ „Schau in deinem Telefonbuch nach. Ich müsste an Position 42 stehen.“ „42? Die Antwort auf alles?“ Jodie grinste. Vielleicht.“ „Gut“, nickte der Agent. „Ich begeb mich dann auf die Suche“, sagte er und marschierte los. Es dauerte nicht lange, bis er einen Raum fand, der nicht abgeschlossen war. Akai ging rein und zog die Kapuze seiner Jacke tief ins Gesicht. Er durchquerte den Raum bis er am anderen Ende durch die nächste Tür schritt. Er lief eine Treppe nach oben und ging durch die nächste Tür. Shuichi befand sich nun im Freien auf den Konstruktionsteilen des Towers. Ein schmaler Steg verband die einzelnen Abschnitte. Akai suchte die beste Position und als er sie gefunden hatte, zog er ein paar Handschuhe aus seiner Jackentasche. Er streifte sie über die Hände und öffnete den Gitarrenkoffer. Fingerabdrücke an der Tasche würde er noch erklären können, aber nicht die an der Waffe. Sorgsam baute der Agent das Scharfschützengewehr zusammen. Ein resigniertes Seufzen kam über seine Lippen. Er hatte schon früher Menschen in den Tod geschickt – böse Menschen. Es gehörte zu seiner Arbeit, genau wie dieser Moment. Aber jetzt musste er einen Unschuldigen aus dem Leben reißen. Und warum? Weil er zu viel wusste. Aber was konnte er tun? Das FBI informieren? Nein, sie wären viel zu spät hier. Die japanische Polizei einschalten? Auch das war nicht möglich, denn dann wäre sein Leben schneller zu Ende, als das er Organisation sagen konnte. Akai blickte durch das Zielfernrohr seines Gewehrs. Zuerst beobachtete er die Zielperson, dann richtete er den Blick auf Jodie. Sie stand an der Glasscheibe und sah nach draußen. Ihr Blick wirkte traurig und melancholisch zugleich. Akai schluckte. Er schüttelte den Kopf. Er durfte keine Ablenkung zulassen. Leicht nervös schwenkte er das Zielfernrohr wieder auf die Zielperson. Shuichi wartete eine weitere halbe Stunde, dann erst machte sich Onbu auf den Weg zu den Aufzügen. Akai spannte alle Muskeln an und legte den Finger an den Abzug. Er war bereit bis zum Äußersten zu gehen. Onbu betrat mit einigen anderen Menschen den Aufzug. Die Türen schlossen sich und das Gefährt begab sich auf den Weg nach unten. Nur wenige Sekunden später drückte Akai ab. Die Zielperson sackte in sich zusammen. Die Menschen im Fahrstuhl wurden panisch. Eine Person drückte auf den Notruf-Knopf und der Aufzug blieb prompt stehen. Shuichi baute das Scharfschützengewehr schnell auseinander und legte die Teile wieder in den Gitarrenkoffer. Er nahm den Koffer und lief in das Innere des Towers. Die ganze Zeit über war er darauf bedacht gewesen, sein Gesicht nicht in eine der Kameras zu drehen. Shuichi begab sich an den Hinterausgang der Bar und stellte dort den Gitarrenkoffer ab. Dann klopfte er zweimal gegen die Tür und verschwand in der Menge. Akai richtete die Kapuze seiner Jacke und machte sich auf die Suche nach Jodie. Sobald er sie erspähte – blonde Frauen in Japan waren selten – zog er sie an sich. „Wir müssen verschwinden“, flüsterte er ihr ins Ohr. Jodie nickte. „Bist du fertig?“ „Ja, lass uns gehen. Mittlerweile müsste unten das Chaos ausgebrochen sein. Sie werden höchstwahrscheinlich jeden, der den Tower verlassen will, überprüfen. Wir müssen trotzdem versuchen einen Weg zu finden.“ Shuichi zog sie mit sich zum Aufzug. „Entschuldigung?“ Der Agent blickte den Mitarbeiter des Tokyo Towers an. „Ja, bitte?“ „Es gibt unten momentan ein paar Schwierigkeiten. Die Fahrt nach unten verzögert sich daher ein wenig. Ich bitte um Geduld.“ Shuichi runzelte die Stirn. „Wissen Sie, was passiert ist?“ „Dazu kann ich zum jetzigen Zeitpunkt noch keine Auskunft geben.“ Wie aufs Kommando öffneten sich die Türen des zweiten Aufzuges. Akai und ein paar andere Menschen stiegen ein. Shuichi drückte Jodie erneut an sich. „Spiel mit“, flüsterte er ihr ins Ohr. Jodie ließ ihn machen. Sie sah aus der Scheibe des Aufzuges. Die Sirenen waren bereits zu hören. Nachdem sich unten die Aufzugstür öffnete, erblickten sie eine Menschentraube, die sich um Onbu gebildet hatte. Ein Mitarbeiter kam auf sie zu. Shuichi war zu allem bereit gewesen. „Hatten Sie einen schönen Aufenthalt? Vielleicht möchten Sie ja den Souvenir-Laden besuchen?“ „Ein anderes Mal“, antwortete Akai und marschierte mit Jodie nach draußen. In diesem Moment parkte der Krankenwagen auf der Straße und ein Team von Sanitätern stieg aus. Schweigend ging der Agent zurück zur Tiefgarage und lehnte sich gegen den Wagen. „Und? Wie war ich?“, wollte er wissen. „Willst du das jetzt ausdiskutieren? Wir sollten zuerst verschwinden.“ „Ach bitte“, fing Akai an. „In dem Scharfschützengewehr waren nur Platzpatronen. Selbstverständlich ist es möglich, dass bei der Geschwindigkeit des Schusses jemand tödlich verletzt wird, aber unter den Umständen wäre eben etwas ganz Anderes unten los gewesen.“ Jodie schmunzelte. „Wann hast du gemerkt, dass es ein Test war?“, wollte sie wissen. Sie öffnete die Wagentür und stieg ein. Shuichi nahm auf der anderen Seite Platz. „Das erste Mal hatte ich einen Verdacht, als du mich allein hast gehen lassen. Gerade bei meinem ersten Auftrag für euch, hätte ich erwartet, dass ihr mich auf Schritt und Tritt überwachen würdet. Aber du hast mir freie Wahl gelassen. Außerdem habe ich dich von draußen beobachtet. Du hattest keine Angst, dass wir erwischt werden könnten. Ich nehme an, du trägst deine Waffe immer bei dir? Hätte ich Onbu wirklich erschossen, wären unsere Taschen auf jeden Fall kontrolliert worden.“ „Ich hätte ihnen auch die dumme Amerikanerin vorspielen können“, entgegnete Jodie ruhig. „Das zieht und dadurch lassen sie ihr eigentliches Ziel aus den Augen.“ „Mag sein, aber wäre er wirklich tot, hätte es hier schon lange von Polizisten gewimmelt. Man hätte uns nie so einfach gehen gelassen. Und wie ich schon erwähnt habe, war das Gewehr nur mit Platzpatronen gefüllt. Der Unterschied ist nur minimal, aber wenn man sich mit seiner Waffe auskennt, erkennt man den Gewichtsunterschied. Ich nehme an, dass jemand den Gitarrenkoffer wieder an sich genommen hat.“ Shuichi schnallte sich an und verschränkte die Arme. „Außerdem denke ich nicht, dass ihr solche Aufträge spontan vergebt. Gerade Onbu, der eine Person des öffentlichen Interesses ist, hat einen engen Zeitplan. Ihr musstet also seine Abläufe gekannt haben. Also nehme ich an, dass Onbu für euch arbeitet und das Opfer gespielt hat, damit ihr meine Reaktionen und Handlungen überwachen könnt. Wahrscheinlich trug er irgendeine Verstärkung am Kopf und wurde gut geschminkt. Wie bin ich?“ Jodie schmunzelte und startete den Motor. „Recht gut. Aber eines hast du nicht bemerkt.“ „Hm?“ „Wir haben die Kameras entsprechend manipuliert und dich die ganze Zeit aus jedem Winkel aufgenommen. Aber mach dir keine Sorgen, die Aufnahmen haben wir auf unseren Servern gesichert und die offiziellen Bilder bereits überspielt. Niemand wird mitbekommen, was du heute getan hast. Im Übrigen, Onbu arbeitet nicht für uns. Aber die Wahrheit dahinter wirst du noch erfahren…irgendwann.“ Jodie zwinkerte ihm zu. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)