Erschütternde Erkenntnisse von Varlet ================================================================================ Kapitel 6: Geburtstagsfeier --------------------------- Über seine viel zu langsame Reaktion hatte sich Shuichi den ganzen Abend geärgert. Jodie war aus dem Nichts aufgetaucht und genau so schnell wieder verschwunden. Gerade als er sein Handy griffbereit hatte, hatte sie sich aus seinem Blickfeld entfernt. Und da Akemi ihr bereits folgte, konnte er nur abwarten. In Akemis Abwesenheit hatte er die ganze Zeit über Jodie gegrübelt. Die Akte über Agent Starling war dick und enthielt auch alte Kinderfotos seiner Tochter. Die blonden Haare, die Brille, der Name und ihr Geburtstag waren ein erstes Indiz. Dass sie ihren Namen nicht geändert hatten und ihr Geburtstag am gleichen Tag war, wie der Todestag ihrer Eltern und wie ihr Verschwinden, schien reine Ironie zu sein. Oder es war Absicht der Organisation, um dem FBI zu zeigen, wer am längeren Hebel saß. War die Jodie, die er gerade kennen lernte, die Tochter des verstorbenen Agenten, dann hatte ihnen die Organisation sehr lange auf der Nase herumgetanzt. Für einen Zufall kamen viel zu viele Hinweise parallel auf. Aber es waren nur Hinweise. Mehr nicht. Vielleicht war sie auch eine Fremde, die seine Reaktion prüfen sollte? Nachdem Akemi zurück an ihren Platz kam, hatte der Abend abrupt geendet. Sie war weniger gut gelaunt und wollte nur noch nach Hause. Akai hatte keine andere Wahl gehabt, als auf sie Rücksicht zu nehmen. Schweigend brachte er sie nach Hause und verabschiedete sich bis zum nächsten Abend. Der FBI Agent hatte ein ungutes Gefühl bei der Sache. Hatten sie ihn beobachtet und gewusst, worauf die Mission abzielte und deswegen Jodie geschickt? Oder war sie wirklich für das Anwerben von neuen Mitgliedern zuständig? Gern hätte sich Shuichi die Strecke zum Blue Parrot angesehen, aber er spürte die Verfolger in seinem Nacken und änderte daher nichts an seinem Alltag. So musste er die Recherche in abgespeckter Version durchführen. Das Internet hatte allerdings nicht viel zu bieten gehabt. Das Blue Parrot wurde vor einigen Jahren von Jii Konosuke gekauft und zu einer Poolbar umgebaut. Konosuke war selbst jahrelang Billardspieler und hatte diese Sportart seinen Gästen in der Bar zur Verfügung gestellt. In den Staaten hatte Akai selbst mehrere Male sein Können unter Beweis gestellt, aber er glaubte nicht daran, dass die Organisation nur spielen wollte. Shuichi öffnete das Handschuhfach seines Wagens und überprüfte den Inhalt. Seine Waffe – die lediglich der Sicherheit diente – befand sich unangerührt dort, wo er sie zurück ließ. Skeptisch sah er in den Rückspiegel. Die Personen, die für die Beschattung zuständig waren, machten ihre Sache schlecht. Aber wenigstens war er so auf der Hut vor ihnen. Akai verengte die Augen. Warum hatte Jodie ihn eingeladen? Wollte sie ihn in die Organisation holen oder würde der Abend sein Ende einläuten? Langsam öffnete der Agent die Fahrertür und stieg aus. Er marschierte auf Akemis Wohnblock zu. Als sie ihm entgegen kam, blieb er überrascht stehen. „Wollte gerade bei dir Klingeln“, gab er von sich. „Ich hab deinen Wagen gesehen“, begann sie. „Und da dachte ich, dass ich gleich runter komm“, fügte sie an und umarmte ihn plötzlich. „Dai“, wisperte Akai. Der Agent drückte sie leicht an sich. „Alles in Ordnung?“ wollte er wissen. Akemi nickte. „Ja…Entschuldigung…“ Sie löste sich von ihm. „Wollen wir dann?“ „Gern.“ Akemi folgte ihm zu seinem Wagen. „Noch einmal danke, dass du heute mit kommst. Ich kann aber verstehen, wenn dir so etwas nicht behagt. Du musst das nicht wegen mir machen. Ich könnte verstehen, wenn du lieber zu Hause bleiben würdest.“ „Schon gut“, antwortete Akai und öffnete die Wagentür „Ich lern gern deine Freunde kennen.“ Akemi zuckte zusammen. „Freunde…“, murmelte sie leise. „Hab ich etwas Falsches gesagt?“, wollte Akai wissen. Akemi schüttelte sofort den Kopf und stieg ein. Shuichi tat es ihr gleich, schnallte sich an und fuhr los. „Akemi?“ Sie sah aus dem Fenster. „Ja?“ „Du kannst mit mir über alles reden. Ich kann Geheimnisse für mich bewahren.“ „Dai“, wisperte sie leise. „Ich…das mit Jodie und mir…ist kompliziert…“ „In wie fern?“, wollte der Agent wissen und achtete auf die Straße. „Seid ihr keine Freunde mehr?“ „Mhm…“, murmelte Akemi und wandte sich wieder ihm zu. „Weißt du…es ist schon Jahre her“, begann sie. „Nach dem meine Eltern gestorben sind, kamen Shiho und ich in eine Pflegefamilie. Shiho war noch ein Baby und die Familie wohnte in einem anderen Bezirk. Dadurch hab ich von heute auf morgen all meine Freunde verloren. Jodie kam ein paar Wochen später in die gleiche Pflegefamilie. Wir haben immer zusammen gespielt.“ Akemi lächelte leicht. „Sind ihre Eltern auch gestorben?“, fragte der Agent. „Nicht das ich wüsste“, entgegnete Akemi. „Sie wurde zu einer Bekannten der Familie geschickt, aber ihre Eltern kamen sie nie holen. Die Bekannte ist irgendwann nach Japan ausgewandert und konnte Jodie nicht einfach so zurück lassen. Da ihre Eltern kein Interesse mehr an ihr hatten, kam Jodie auch hier her. Allerdings…es lief wohl nicht so gut und Jodie wurde in einer Pflegefamilie untergebracht.“ „Verstehe“, murmelte Akai. „Ihr habt bestimmt viel Zeit miteinander verbracht.“ „Das kommt drauf an…In den Ferien wurde Jodie weggeschickt, ich weiß bis heute nicht wohin. Sie kam immer sehr verändert zurück und nach neun Jahren…verschwand sie ganz. Man wollte mir nicht sagen, wo sie ist. Ich habe sie dann einige Jahre später wieder getroffen. Wir wollten in Kontakt bleiben…aber die Realität sah anders aus. Das letzte Mal habe ich sie vor einem halben Jahr gesehen…und gestern.“ „Mhmm…verstehe“, sagte Shuichi. „Dann wird es Zeit, dass ihr eure Freundschaft wieder aufnehmt.“ Die junge Frau nickte. „Ich vermute, wir haben mittlerweile vollkommen andere Interessen. Das ist natürlich in Ordnung.“ „Aber?“ „Aber ich mach mir Sorgen um sie. Auch wenn Jodie nahezu hier aufgewachsen ist, halten sie viele für eine Ausländerin. Ich kenne viele Japaner, die damit nicht klar kommen. Ich will einfach nicht, dass Jodie ihnen das übel nimmt“, log sie. In Wahrheit hatte sich Jodie durch die Organisation verändert. Sie bekam Aufträge und führte diese immer zur vollsten Zufriedenheit durch - auch wenn sie über Leichen gehen musste. Und das machte Jodie so gefährlich. Akemi konnte das Ausmaß des Abends noch nicht absehen. Sie biss sich auf die Unterlippe. „Dai?“ „Ja?“ „Bitte…lass uns nach Hause fahren“, murmelte sie. „Geht’s dir nicht gut?“, wollte der Agent wissen. „Ich…“ Akemi schluckte. „Jodie kennt…ein paar Typen, die…mit denen du nichts zu tun haben willst…“, wisperte sie. „Mhm…“ Akai sah in den Rückspiegel. „Sind das die, die uns immer beobachten?“ Akemi sah ihn überrascht an. „Du…du weißt…“ Der Agent nickte. „Ich hab sie bemerkt. Sie verfolgen dich auf Schritt und Tritt. Seitdem wir uns treffen, sind sie auch hinter mir her.“ „Dai…“ Akemi kamen die Tränen. „Ich wollte dich nicht in Gefahr bringen…es tut mir leid…es tut mir so leid…durch mich sind sie jetzt auf dich aufmerksam geworden…“ „Schon gut, ich kann mich verteidigen“, sprach er. „Dai…du verstehst nicht…“ „Akemi“, fing er ruhig an. „Mach dir um mich keine Sorgen.“ „Oh Dai…“ Shuichi parkte den Wagen. „Wir sind da.“ Akemi sah aus dem Fenster. „Wir sind da“, wiederholte sie. „Dai…bitte, wenn es gefährlich wird…dann verschwindest du, ja?“ Der Agent nickte und stieg aus. „Lass uns rein gehen.“ Akemi folgte ihm und betrat das Blue Parrot. Leise Musik spielte und es hatten sich mehrere Grüppchen gebildet. Akemi erkannte Mitglieder der Organisation – alle in Schwarz gekleidet. Aber unter ihnen befanden sich auch Fremde – Freunde oder Bekannte von Jodie. Sofort kam das Geburtstagskind auf die beiden zu. „Akemi, Dai“, begrüßte sie sie. „Wie schön, dass ihr gekommen seid.“ „Herzlichen Glückwunsch“, entgegnete Akemi und umarmte ihre ehemalige Freundin. „Herzlichen Glückwunsch“, gab der Agent von sich. „Danke. Habt ihr Durst? Die erste Runde geht auf mich.“ „Bourbon“, antwortete der Agent. „Für mich bitte nur Wasser“, sagte Akemi. „Mhm…ein Mann der Geschmack hat“, sagte Jodie schmunzelnd. „Ich bring euch die Getränke gleich. Mischt euch ruhig unters Volk. An jedem Tisch findet ihr etwas zu Knabbern“, kam es von Jodie, ehe sie an den Tresen ging. „Danke“, murmelte Akemi und sah zu Dai. „Kennst du hier alle?“, wollte der Agent wissen. Akemi sah sich um. „Nur ein paar Leute“, gestand sie. „Man könnte fast meinen, dass wir auf einer Trauerfeier sind…“ Sie nickte. „Sie tragen immer schwarz“, murmelte sie. „Jeder der etwas zu sagen hat…Schwarz wie die Nacht…“ „Akemi?“ Die Gefragte sah zu ihm. „Entschuldigung…vergiss, was ich gesagt habe…“ Akai legte seine Hand auf ihre Schulter. „Atme tief durch. Es ist alles gut.“ Akemi tat, was er vorschlug. „Danke…jetzt geht es mir besser.“ Sie lächelte. „Wollen wir uns unter Jodies Freunde mischen?“ „Gern“, nickte der Agent und folgte Akemi. Eine Stunde später kam Jodie wieder zu den Beiden. „Amüsiert ihr euch?“, wollte sie wissen. „Ja, aber wir werden wohl gleich gehen“, antwortete Akemi. „Jetzt schon? Das ist schade, aber in Ordnung“, sagte Jodie. Ein, in schwarz gekleideter, Mann kam auf die drei zu. Er ließ Akai nicht aus den Augen. „Verschwindet.“ Es war an Jodie und Akemi gerichtet. „He!“, kam es sofort von Akai. „Das geht auch freundlicher.“ Gin verengte die Augen. „Oh, da will sich also einer einmischen“, kam es von ihm. „Entweder du bist mutig oder dumm. Aber was solls. Gehen wir doch mal nach draußen. Mal sehen, ob du dann deine Klappe immer noch so weit aufreißt.“ „Von mir aus“, gab Akai gelassen von sich. „Dai…“, wisperte Akemi und hielt sich an seinem Arm fest. „Mach dir um mich keine Sorgen.“ Er löste sich aus ihrem Griff. „Ich bin gleich wieder zurück“, fügte er an und folgte Gin nach draußen. Gin stand mit dem Rücken zu ihm. Er lachte. „Eines muss man dir lassen, du hast keine Angst vor einer Herausforderung.“ Akai verschränkte die Arme vor der Brust. „War es das jetzt oder kommt da noch was?“ Der Mann in Schwarz drehte sich um. Akai sah in den Lauf seiner Waffe. Er hatte sich keinen Millimeter bewegt. „Nicht schlecht“, sprach Gin. Es hatte ihm imponiert. „Du fürchtest dich nicht.“ „Warum sollte ich?“, kam es von Akai. „Wenn du mich umbringen willst, spielt es keine Rolle ob ich mich wehre oder nicht.“ Gin steckte seine Waffe zurück in die Manteltasche und leckte sich über die Lippen. „Ich geb dir einen aus.“ Akai folgte ihm zurück in das Lokal und setzte sich an den Tresen. „Dai“, murmelte Akemi. Sie wollte zu ihm, aber Jodie hielt sie zurück. „Bourbon“, bestellte Akai. Gin nahm neben ihm Platz. „Gin“, sprach er und wandte sich wieder dem Agenten zu. „Wie ich höre, gehst du derzeit keiner festen Arbeit nach.“ „Die Arbeitslage ist momentan nicht einfach.“ „Du hast interessante Fähigkeiten“, fing Gin an. „Was hältst du davon, wenn du sie für uns einsetzt?“ Akai bekam sein Getränk und blickte in sein Glas. „Ich weiß nicht einmal was ihr macht.“ Der Mann in Schwarz schmunzelte. „Das findest du noch heraus. Dein Lebenslauf spricht für sich. Du bist nicht zimperlich und wenn es sein muss, handelst du.“ „Wenn das Geld stimmt, mache ich beinahe alles“, antwortete Akai. „Kinder sind tabu.“ „Ein Mann mit Prinzipien“, spottete Gin. „Aber das gefällt mir. Wir geben dir einen Tag Bedenkzeit. Lass dich von Akemi über unsere Arbeit aufklären. Aber ich warne dich. Ein Fehler und wir pusten dir das Hirn weg.“ „Ich mache nie Fehler.“ Gin nahm einen Schluck von seinem Getränk und schwieg. „Wie kann ich euch kontaktieren?“ „Wir melden uns schon bei dir, wenn die Zeit reif ist.“ James starrte auf den Fernseher. Chris Vineyard hatte spontan zu einer Pressekonferenz geladen. Mehrere Reporter waren extra angereist und warteten Stunden in der Hotellobby, ehe man sie in den Tagungsraum ließ. Chris saß neben ihrem Manager und blickte in die Kamera. „Vielen Dank, dass Sie alle so spontan zu unserer Pressekonferenz gekommen sind“, begann der Manager. „Wir sind hier, weil Miss Vineyard eine wichtige Ankündigung für Sie alle hat.“ Er sah zu ihr. „Chris.“ Die junge Schauspielerin nickte. „Vielen Dank für Ihr Erscheinen“, fing sie an. „Wie Sie wissen, bin ich in die Fußspuren meiner Mutter getreten. Bereits zu ihren Lebzeiten wurden wir oft miteinander verglichen. Wie Sie sicher verstehen können, war der Tod meiner Mutter nicht leicht für mich. Und auch wenn mein Leben weiterging, stand ich immer noch in ihrem Schatten. Bitte verstehen Sie mich nicht falsch, ich liebe das Schauspielern, aber jetzt ist eine Zeit gekommen, in der ich an mich denken muss. Aus diesem Grund habe ich mich entschieden, die Schauspielerei für eine Weile an den Nagel zu hängen. Ich bitte um Ihr Verständnis.“ Es herrschte Schweigen. „Sie haben jetzt die Möglichkeit, Ihre Fragen an Miss Vineyard zu stellen.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)