[Beta Ver.] CONDENSE von YukihoYT (An jenem schicksalhaften Regentag) ================================================================================ Kapitel 9: Vol. 1 - "Tsundere" Arc: Eine Welt, eine Stadt, ein Junge. --------------------------------------------------------------------- Drei Wochen sind vergangen. Und ich habe mich noch immer nicht entschuldigt bei dieser Pflegerin. Noch nie habe ich mich so lange vor einer Sache gedrückt. Diese grüne Haarsträhne von letztens lässt mich echt nicht mehr kalt. Sie hat mich so gesehen, es ist so leicht, es zu fehlinterpretieren. Hanazawa hat mich ausgezogen und meine Krawatte gelöst, sie war mir so nah und ich glühend rot vor Stress und Fieber, wenn ich das hatte. Jetzt ist es auf jeden Fall weg, aber das lässt mich mich nicht weniger mies fühlen. Ich weiß nicht wie lange ich neben der Spur war, aber jetzt ist gleich mit hoher Sicherheit der Unterricht vorbei und ich werde nach Hause gehen. Nach Hause. Ohne sie. Jetzt wo ich so darüber nachdenke, fällt mir ein, dass mir die Pflegerin von letztens irgendwie bekannt vorkommt, vom Gesicht her. Von der Stimme. Das war mir eigentlich von Anfang an klar. Vielleicht ist gerade das der Grund, wieso ich sie nicht sehen will. Und je länger ich darüber brüte, desto mehr tut es mir leid, sie so fertiggemacht zu haben. Hanazawa hat über das Krankenhaus auch kein Wort mehr verloren. Als ob wir uns nicht etwa dort erst kennengelernt hätten.   "Ich finde, wir sollten hin.", reißt sie mich plötzlich aus den Gedanken.   "Ins Krankenhaus? Wieso denn genau jetzt?", will ich wissen.   "Weil wir seit fünf Wochen daran vorbeilaufen, ich wirklich versucht habe, Rücksicht auf dich zu nehmen, so langsam aber keinen Bock mehr habe und endlich wissen will, wie es ihr geht!", schnauzt sie mich an. Wow, sie scheint wirklich böse auf mich zu sein. "Meinetwegen. Gehen wir. Aber was soll das heißen, du nimmst Rücksicht auf mich?!", fühle ich mich in meinem Stolz verletzt.   "Weil du weder Manns genug bist, um zu überprüfen, ob das Mädchen, das dich liebt, noch am Leben ist, noch kannst du an den Vorfall erinnert werden, ohne dass ich mir sicher sein kann, dass du nicht wieder irgendwelche unschuldigen Frauen für deine Probleme verantwortlich machst!", blafft sie und ich zucke zusammen. Wow, das klingt ja echt nach einem Arschloch. Und das habe ich wirklich getan? Herrschaft noch mal, ich muss da hin! Dieses Mädchen. Wie kommt es, dass ich sie die ganze Oberschulzeit nie beachtet habe? Bislang waren wir nur nicht in der gleichen Klasse, es ist nicht so, als hätte ich ihren Namen noch nie gehört oder ihr Gesicht noch nie gesehen. Aber ich bin einfach niemand, der alles und jedem Aufmerksamkeit schenkt. Da kann ich ja wohl wirklich nichts für. Ich habe einfach meine Rolle in diesem Spiel namens Schule Schrägstrich Leben gespielt und damit war es eigentlich auch gut. Andererseits würde ich dieses kleine Mädchen nicht gerade als unauffällig bezeichnen. Ich meine, sie ist irgendwie genau das, was man sich unter einer der vielen Arten von Fanservice-Charakteren vorstellt. Klein, schmächtig, kleine Brüste, langhaarig und eine Schwäche für Lolita-Mode. Ich muss ganz schön blind gewesen sein. Na ja, irgendwann hätte ich sie sowieso irgendwann bemerkt. Dass ausgerechnet jemand wie sie, der doch glatt aus einem Dating-Sim entsprungen sein könnte, in meine neu zusammengewürfelte Klasse kommt, ist schon ganz amüsant. Ich war nach dem LKW-Unfall wahrscheinlich zu weggetreten, um die Informationen für Hanazawas Gesicht hervorzuholen. Sie hat irgendetwas mit Chika zu tun, wenn auch nur ein wenig. Sie war auf Informationssuche. Und dafür hat sie mich geküsst.   "Wir sind gleich da, schätze ich.", murmle ich vor mich hin, weil ich noch nie von der Schule aus direkt zum Krankenhaus gelaufen bin. Die Drehtür überwunden springe ich so normal wie möglich zum Tresen. Ich frage etwas unschlüssig nach der Pflegerin die am Tag, als Chika Failman eingeliefert wurde, bei mir war. Sie sind zwar verwundert, aber wenig später kommt sie tatsächlich, wenn auch von einer anderen Pflegerin her geschleift.   "Nein, ich will nicht, ich werde angeschrien, Erika-san. Angeschrien! Ich will nicht!", aber Erika-san lässt nicht locker und schmeißt mir die verängstigte arme Pflegerin frontal gegen die Rippen und das gar nicht mal so sanft.   "Bring Akane nicht wieder zum Weinen, ja?", warnt mich diese Erika-san eher, als dass sie mich bittet.   Die Pflegerin bewegt sich immer noch nicht und hält meine Schultern fest. Ihr Kopf ist direkt unter meinem Kinn, ihr Shampoo kämpft sich den Weg in meine Nase. Es riecht ziemlich penetrant aber frisch.   "Bitte nicht anschreien, du hast mir Angst gemacht.", schnieft sie in mein Schlüsselbein.   "Werde ich nicht, versprochen.", beruhige ich die Frau und schiebe sie vorsichtig von mir. Dieses Namensschild an ihrem Hemd! 'Kyokei'.   "Kyokei?!", schrecke ich auf und sie fährt zusammen.   "Du hast gesagt, du schreist nicht.", sagt sie mehr zum Boden als mir ins Gesicht.   "Tut mir leid, ich heiße nur auch so.".   Und als ich ihr dann noch mal ins Gesicht schaue, fällt es mir wie Schuppen von den Augen. Die Teddybärenfrau Schrägstrich Hauslehrerin Schrägstrich meine Tante! Ihre Haare sind ja auf einmal viel kürzer. Deshalb habe ich sie nicht wiedererkannt. Wie konnte ich meine Tante vergessen, nachdem sie...   "Tante Akane?! Aber was machst du denn hier?!".   "Na ja, ich... ich arbeite hier! Seit der Sache vor drei Jahren habe ich diesen Ort nie verlassen.".   "Tut mir auch echt leid, dass ich dich so angebrüllt habe, ehrlich, ich meinte das nicht so.",   "Ist schon gut, Elvis-chan, ist bin nur froh, dass du mich endlich wiedererkannt hast.", jetzt sind es Freudentränen, die sich auf ihren Augen abzeichnen lassen.   "Ich muss dann mal wieder zurück zur Arbeit, grüß Taiyo-chan von mir!", und weg ist sie.   Stille.   "Da wir das nun hinter uns haben, sollten wir nicht nach Failman-san suchen?", zerreißt Hanazawa diese im selben Moment.   "Sicher.", entgegne ich, doch keiner von uns bewegt sich. Hätte ich das Sicher doch stecken lassen. Denn sicher ist hier allemal gar nichts. Ich kann Failman nicht unter die Augen kommen. Sie hat mich gerettet. Sie ist für mich vielleicht sogar bereit zu sterben. Nein, definitiv. Ich stehe in ihrer Schuld. Ich weiß nicht, wie ich mit ihr reden soll. Was ich sagen soll. Wie ich es ihr sagen soll.  Ich will am liebsten gar nicht hier sein. Doch das bin ich nun mal.   Schritte. Ganz schnelle Schritte.   Von der einen auf die andere Sekunde wird mein Fluchtinstinkt aktiviert, ohne, dass meine Beine es auf die Reihe kriegen, davonzulaufen. Ich bin völlig lahmgelegt.   "Chika-sama...", stammelt Hanazawa, als sie in die gleiche Richtiung starrt wie ich.   Denn in dem Moment erscheint die Gestalt mit dem grünen Haar im Flur.  Als unsere Blicke sich treffen, erstarrt sie. Ein geräuschloses Schauspiel geht zwischen uns von statten. Ihre Augen leuchten wieder, nur ihre Haare sehen immer noch etwas klebrig aus. Ein Verband liegt um ihren Kopf. Ich denke wieder an das ganze Blut dass sie vergossen hat und meine Brust zieht sich schmerzhaft zusammen. Beim Gedanken daran tut mir das Herz weh. Wir starren uns einfach nur bewegungslos an. Wie zwei Menschen, die einander so nah sind und die dann doch wieder Lichtjahre trennen.   Dann renne ich. Ich habe nicht einmal gemerkt, wie ich es meinen beinen befohlen habe, es passiert einfach. Ich sprinte auf sie zu und umarme sie aus dem Nichts, bevor sie überhaupt daran denken kann, mir zuvor zu kommen. Sie ist es wirklich.   "Ellie, ich... ich...", höre ich sie schniefen, plötzlich weint sie einfach so. Dann drückt sie mich genauso fest an sich wie ich sie. Ich meine fast schon, zu spüren, wie ihre Zuneigung mich umhüllt und mir versichert, dass alles wieder in Ordnung ist. Dieses Gefühl kenne ich. Dieses Gefühl, wenn sie mich umarmt, wenn sie mir so nah ist, ich kenne es so gut.   "Ellie, es tut mir so leid! Meinetwegen musstest du das alles sehen, meinetwegen... Ich...!", ihre Stimme bricht ab, wird von den Tränen verschluckt.   Ich bin völlig steif und bewege mich nicht. Ich bin zu nichts mehr imstande. Ich kann nicht mehr, als sie festzuhalten. Ihre ganze Präsens lässt mich einfach nur einfrieren und zugleich lässt sie mich verbrennen. Ich habe mich geirrt, da ist noch ein anderes Gefühl, eins, dass ich in den drei Jahren seit meines Erwachens nie gekannt habe. Das meine Wangen in Brand steckt und meinen Magen kribbeln lässt. Das Gefühl, das mich nachts nicht schlafen lässt. Dieses bescheuerte Gefühl, dass in den Serien und Filmen entweder alles retten oder bis in alle Ewigkeit verdammen kann. Dass auch ich jemals ein Opfer dieses Gefühls werden würde, habe ich wirklich nicht geglaubt.   Ich entferne mich nur wenig von ihr, nur um ihr erneut in die Augen zu sehen.   "Idiotin. Wieso opferst du dich für einen wie mich?", höre ich mich hauchen und sie blinzelt nur aus verheulten Augen und schluchzt.   "Weil ich lieber mich selbst verliere, als dass ich zulassen könnte, dass dir was passiert.", erwidert sie fast unverständlich erstickt.   "Hohlbirne. Du bist die größte Idiotin, die je in mein Leben getreten ist, Chika Failman.", teile ich ihr im selben hauchdünnen Ton mit.   Sie lächelt nur.   "Wenn das heißt, dass du mich niemals vergessen wirst, bin ich gerne ein Idiot.", meint sie und irgendwie ist dieser ganze Augenblick unglaublich intim. Wie wir uns ansehen. Was für einen Blödsinn wir unserem Gegenüber erzählen. Ich streiche ihr über die Wange.   "Dich kann man nicht vergessen. Keine Ahnung, wie ich das geschafft habe, aber... von nun an merke ich mir dich. Deshalb... Bitte, bitte bleib für immer und ewig an meiner Seite.", ihre Augen weiten sich und im nächsten Moment duellieren sich unsere Lippen.   Ihre sind trotz allem so weich wie am Tag unserer ersten Begegnung am Schuljahresbeginn. Der Tag unserer ersten Begegnung liegt ironisch in weiter Ferne, doch... in dem Moment, in dem wir uns küssen, schöpfe ich wieder, genau wie mein Körper gerade Dopamin ausschöpft, Hoffnung. Fast in Zeitlupe lösen wir uns voneinander und glotzen blöd einander an. Einfach so, dumm und dämlich. "Ellie, was war das?" "Ich hab dich nachgemacht." "Mich so zu überfallen ist gemein." "Das ist es vielleicht wirklich. Aber du bist noch viel schrecklicher." "Was meinst du damit?" "Dass wir quitt sind." "Hä?" "Dich in meine Gedanken einzuschleichen und zu sowas zu verleiten, ist viel gemeiner." "Ellie... ich..." "Chika... was ich eben gesagt habe, meine ich auch so..." "Du hast keine Ahnung, was das in mir auslöst, Ellie..." "Du hast keine Ahnung, was du in mir auslöst." "Bitte was? Also, jetzt ehrlich? Du..." Ich habe keine Garantie dafür, wie lange ich es noch aushalten kann, derart um den heißen Brei zu reden. Wenn ich nicht sofort loswerde, was mir unter den Nägeln brennt, werde ich diesen Mut vielleicht niemals aufbringen.   Nimm dir etwas vom Mut außerhalb deines eigenen Verstandes, irgendwo im Flur findet sich bestimmt welcher, den gerade niemand braucht., denke ich, ehe mir einfällt, dass das ein Krankenhaus ist. Ein Ort, an dem täglich gegen die Angst vor einer Spritze, einer Untersuchung, einer Diagnose oder dem Tod gekämpft wird. Ich nehme mir ganz schön was raus, mein Problem mit den ihren gleichzusetzen. Aber niemand sagt, dass irgendjemanden hier automatisch der Mut verlässt, nur weil er mich findet. Das ist nicht, wie er funktioniert. Der Mut ist eine Kopfsache. Und nichts dergleichen, was sich in deinem Kopf befindet, von Gehirn, Atemwegen, Gehör, Blutfluss und so weiter abgesehen, könnte in irgendeiner Weise in einem Flur zurückbleiben. Falls jemand in einem Flur anfängt, sich ins Hemd machen zu wollen, wird sich das nicht ändern, nur weil man ihn absucht. Reine Kopfsache. Benutz deinen Kopf, Elvis. "Ich unterbreche dich ja nur ungern, aber... Was zur Heckenschere ist falsch mit dir? Drei Jahre, nachdem ich vergessen habe, wie ich heiße, mit wem ich was hatte und was Pornos sind, meinst du einfach, du könntest feuchtfröhlich meine Klasse invadieren, meine Nachbarin sein und dich meinetwegen vor einen verdammten LKW schmeißen? Für irgendeinen Kerl ohne Gedächtnis, Emotionen oder auch nur einen Funken Menschlichkeit? Wie dumm kann ein Mensch eigentlich sein?", werde ich auf meine Weise mit meinen Gedanken fertig, spreche sie aus.   Es kommt nicht oft vor, dass Gefühle in meinem Innern mehr sind als das stille Echo ihrer verfallenen Version. Diesmal habe ich nicht nur das Gefühl, ich könnte schon ein wenig aufgewühlt sein. Ein wenig verwirrt. Ein wenig überfordert. Ein wenig schwach. Ein wenig selbstsüchtig. Ich habe das Gefühl, ich wüsste zum ersten Mal, was es wirklich heißt, dieserlei Dinge in ihrer vollen Heftigkeit zu empfinden. Was da auf chemischer Basis in mir abgeht, müsste schon die reaktionsheftigste chemische Reaktion allerzeiten sein, dass ich derart empfinde und so dringlich alle Karten auf den Tisch legen will. Nicht nur legen. Werfen. Schmettern. Schlagen. Danach soll der Tisch nur noch ein hölzerner Haufen Schrott sein, bereit für den Sperrmüll. Komm zum Punkt, Elvis. Hör auf, Zeit zu schinden. "Herrschaft noch mal, von allen Mädchen, die je etwas für mich empfunden haben, bist du das mit Abstand anstrengendste", seufze ich zu Anfang. Das kann ja was werden. "Wie lange hast du eigentlich vorgehabt, weiter von mir zappeln gelassen zu werden? Warum um alles in der Welt wurdest du nie müde, im Stil eines Cinderella-Komplex-Opfers an mir zu kleben und darauf zu warten, dass sich etwas ändert?", lass es mich verstehen. "Ich verstehe dich nicht. Dein ganzes Handeln mir gegenüber ist absolut irrational. Wie kann eine Frau für einen Mann nur so dermaßen ihre Selbstachtung entsorgen, in dem sie wie du so bedingungslos liebt?", ich will dich verstehen. "Ich habe nie jemanden weniger verstanden als dich. Und lass dir gesagt sein, dass ich insgeheim generell niemanden wirklich verstehe. Weniger als normale Menschen ohnehin einander. Weil ich objektiv gesehen aber trotzdem ein normaler Mensch bin, genau wie du, Hanazawa und alle anderen, sollte ich dir raten, weder an diesem Verhalten noch an deinen Gefühlen für mich weiter festzuhalten. Aber genau hier komme ich mit meiner Gleichung nicht weiter.", ich will dich unbedingt so sehr verstehen, dass es mich umbringt. "Aus einem mir unbekannten Grund widerstrebt es mir, dieser normale Mensch zu sein und die Vernunft zu üben, dich wegzustoßen. Jene Gleichung, die ich eben angeschnitten habe... ich will, dass sie aufgeht. Ich will, dass dieses Ungleich zu einem Gleich wird, das sie richtigstellt und beide Seiten verbindet. Sei du die passende Seite zu der meinen.", wenn du mir nicht gleich zu verstehen gibst, was ich verstehen will, werde ich vor Schwäche für nichts garantieren können.   Bleib hier und stell dich meinem egoistischen Wunsch. Bitte. Jetzt, wo ich ohne dich nicht weitermachen will. Zwing mich bloß nicht, meinen Spielstand zu löschen. Lass mich nicht Reset drücken, jetzt, wo ich nichts von unserer verbrachten Zeit jemals wieder verlieren und vergessen will. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)