[Beta Ver.] CONDENSE von YukihoYT (An jenem schicksalhaften Regentag) ================================================================================ Kapitel 6: Vol. 1 - "Tsundere" Arc: Verlass mich nicht. Bitte. -------------------------------------------------------------- Draußen in den Wäldern gibt es nichts und niemanden außer mir. Keine Geräusche von Eulen oder anderweitigem Wild weit und breit. Der Nebel ist alles. Mehr als Umrisse von Bäumen und Sträuchern ist nicht in Sicht. Was aber auch nicht weiter schlimm ist, denn ich weiß, wo ich bin. Es ist jener Wald, in dem ich schon öfters umher gewandert bin. Bestimmt taucht er bald auf. Mit dieser Erwartung gehe ich einige Schritte durch das Ungewisse. Die Luft ist kalt und feucht vom Fluss, den ich nie gefunden habe. Das Knacken der Äste unter meinem Gewicht lässt darauf schließen, dass der Boden wie auch sonst trocken ist. Je weiter ich gehe, desto lauter wird das undefinierbare Flüstern um mich herum. Ich spüre eine kalte Schweißperle meine Schläfe hinabrennen, doch bewahre mein Pokerface. Mir kann hier nichts passieren. Egal, wie real das hier ist, diese Realität ist nicht echt. Das penetrante Kichern um mich herum lässt auch weiterhin nicht nach. Ich bemerke, wie sich meine Umgebung verändert. In den grauen Wäldern ist grundsätzlich keine Farbe. Nie. Jemals. Nicht, wenn alles in Ordnung ist. Auf einem Ast, etwa so dick wie mein Arm, sind rote Sprenkel. Jetzt zumindest weiß ich, ist absolut nichts mehr in Ordnung. Dass nichts mehr in Ordnung ist, bestätigt das zusätzliche Knacken unter einem Gewicht, dass nicht von mir ausgeht. Es geht los. Auch wenn stehenzubleiben das alles beschleunigen würde, tue ich ihm nicht den Gefallen und renne um mein Leben. Doch ich komme nicht weit. Ich komme nie weit. Ehe ich den zweiten schnellen Schritt auch nur in Erwägung ziehen kann, packt eine Hand nach meinem Bein. Fest wie eine Fessel, die den Blutfluss unterbricht, ihn abtrennt. Eine zweite Hand drückt mich am Rücken zu Boden, sodass der pieksende Waldboden meine Gesichtshaut kratzt. Eine schwerfällige Drehung meines Kopfes offenbart mir die Fratze des Kerls. Das gruselige Grinsen dieses Gesichts hasse ich mehr als alles andere. Dass dieses Gesicht bis auf die giftgrünen Augen genauso aussieht, wie das von Elvis hasse ich mehr als alles andere.   “Du bist wirklich ein erbärmliches, kleines Wesen. Weißt du nicht, dass du mir nicht entkommen kannst, egal wie schnell du rennst?”, lacht er und schnürt die Versorgung meines Beines nur noch weiter ab.   “Das sind nun einmal meine Instinkte, dafür kann ich nichts, Idris.”, spucke ich den Namen aus, weil er widerlich ist.   “Meinst du nicht viel eher, dass es seine Instinkte sind? Für ein Überleben, dass keines ist? Wie ironisch, wie ironisch.”, säuselt er, wobei der Umfang von meinem Fleisch auf die Breite meines Knochens reduziert wird.   “Mich hier zu töten hat überhaupt keinen Mehrwert.”, flüstere ich unter Schmerzen.    “Bist du dir auch wirklich sicher?”, will er mit dem gleichen grausamen Grinsen wissen.   “Wenn ich hätte aussuchen können, ob er oder ich in die Schule gehen muss, dann hätte ich ihn gewählt!”, höre ich mich schreien. “Ich weiß, dass ich nicht hätte hier sein sollen! Ich steuere eine Leiche! Wenn sie wüssten, wer oder was ich bin, dann wäre es besser, wenn ich dafür sorge, dass er weg ist. So, dass kein Erwachen mehr möglich ist und sie seinem Tod ins Gesicht sehen müssen! Aber… ich bin zu schwach! Ich bin zu schwach, um diesen Körper zu entsorgen! Ich weiß, dass das alles nicht mir gehört. Trotzdem… dieses Schicksal… habe ich mir verdammt nochmal nicht ausgesucht!”, keife ich schluchzend und versuche, mit den Armen, die nicht mir gehören, davonzurobben.   “Du armes, armes Kerlchen, du.”, summt er und tut, als hätte er Mitleid. “Ich werde dir helfen, diesem Schicksal zu entfliehen.”, haucht er und tötet mich mit der subtilen Vorwarnung, weil ich weiß, was das heißt.   Mit voller Wucht reißt er das Bein, um das sich sein Griff legt, aus meinem Hüftgelenk. Das Abreißen von Knochen und das widerliche Schmatzen von Fleisch lassen mich Töne schreien, die nur Wölfe hören könnten, wären welche hier. Beim weiteren erbärmlichen Versuch, dem zu entkommen, werde ich von ihm auf den Rücken gedrückt und meines anderes Beines entledigt. Wieder schreie ich. Ich flehe ins Nichts, dass es aufhört, als er seine Finger mit meinen verschränkt, um sie abzureißen. Mit jedem Stück, mit dem er diesen Körper zerreißt, geht auch ein Stück von mir verloren. Jede gestohlene Gliedmaße, jedes ausgerissene Organ geht mit dem Leben fort von mir. Schlussendlich das Gesicht abgerissen ist der Körper nur noch ein Schatten seiner selbst. Ein entstellter Haufen Menschenfleisch, der nicht länger imstande ist, sich zu bewegen. Ein Körper, der von innen verrottet, gehört nicht unter die guten.   ***   Wie am Ende einer jeden Nacht wie diesen, wache ich schweißgebadet auf. Wieder ist mein Atem schwerer als es für meine Lunge gut wäre und wieder tut mein Kopf so weh, als könnte er seine eigene Masse nicht mehr in Form halten. Wie an jedem Morgen, der so beginnt wie dieser, werfe ich die Tablettenpackung zu Boden, nur um sie wieder aufzuheben und zu öffnen. Ich weiß wieder nicht genau, wie viele das sind, aber solange die Zahl nicht im zweistelligen Bereich ist, wird, wie schon einmal erwähnt, der seltsame Junge noch unter ihnen weilen. Als ich sie auf meiner aktuellen Lektüre ablege, bin ich froh, dass Arme und Beine noch da sind. Solange ich mich bewegen kann, wird niemand sich in irgendeiner Weise zu einem Haufen Menschenfleisch verwandeln, sage ich mir, auch wenn ich nur für mich sprechen kann. Ich atme ein und wieder aus. Ich muss mich beruhigen, sage ich mir und ich finde, ich mache mich gut dabei. Unter die Dusche steigen, Zähneputzen, anziehen. Nachdem ich all das erfolgreich hinter mich gebracht habe, öffne ich den Kühlschrank und hole eine Schüssel raus. Weil ich nicht wirklich Lust habe, die Mikrowelle zu bedienen, gibt es heute wohl kalte Misosuppe zum Frühstück.    “Gut geschlafen, El?”, fragt mich sein Bruder und erschreckt mich damit zu Tode.   Beim Versuch, die Suppe auf ex zu trinken, verschlucke ich mich daraufhin natürlich. War dann wohl doch etwas zu kalt.    “Geht so, du?”, stelle ich eine Gegenfrage und er zuckt mit den Schultern.   Schließlich verlasse ich die Wohnung. Seit ich herausgefunden habe, dass Failman und ich Nachbarn sind, gehen wir gemeinsam zur Schule. Failman ist nicht verzweifelt genug, um mir direkt auf der Fußmatte aufzulauern, stattdessen lehnt sie wie immer lässig an einer Straßenlaterne. Sie lächelt, als sie mich sieht und mir näher kommt.   “Einen schönen, guten Morgen, Ellie!”, begrüßt sie mich und strahlt.   “Morgen, Failman.”, tue ich es ihr gleich, ehe wir laufen und wenig später auf Hanazawa treffen.    Wie immer wirft sie mir kurz einen bösen Blick zu, ehe sich ihre Mimik entspannt und sie die Unnahbare raushängen lässt.   “Guten Morgen, Failman-san.”, sagt sie mit einem Lächeln und blendet mich aus.    Wenig später treffen wir auf die Gang. Weitere Begrüßungen folgen, noch mehr Albernheiten werden ausgetauscht. So viele, dass ich wie immer nicht wirklich etwas beisteuern muss, um dazuzugehören. Ich tue es einfach, denn sie brauchen mich hier. Das hat sich auch heute, drei Tage nach der Klassenfahrt nicht ein Deut geändert. Der Weg in die Schule ist unsere alltägliche Seifenoper.   ***   Es ist ein weiterer wunderschöner Tag, um am Leben zu sein. Die Sonne scheint in unsere jungen Gesichter, da oben ist die richtige Anzahl Wolken vorhanden und alles um uns herum ist so bunt und friedlich. Ein blauer Himmel, Pflanzen und Gebäuden in allen Farben und eine von mehreren sorglosen Gruppen Jugendlicher in der Blütezeit ihres Lebens. Sie verärgern einander, vertragen sich miteinander und sie verlieben sich ineinander. Während der Endspurt ihrer Schulzeit ihnen das Leben zur Hölle macht, können sie trotz allem immer noch lachen. Wenn man weder gemobbt noch missbraucht wird, gibt es für jemanden wie uns keinen Grund, diese Welt zu verlassen. Sie ist friedlich und nett. Jene Umgebung ist eine sichere für Kinder und Jugendliche mit unschuldigen Träumen. Und trotzdem liegt da ein toter Vogel auf dem Asphalt. Ein winziger Bruchteil vergeht, in dem ich in seine leblosen Augen sehe. Ein Körper, der von innen verrottet, gehört nicht unter die guten. Mein darauffolgendes Stehenbleiben, einen Bruchteil später, ist nicht lange genug her, um von den anderen gesehen zu werden. Failman wird sicher gleich die Erste sein, die sich zu mir umdreht. Meine Ohren registrieren das Quietschen von Rädern. Ich sollte mich bewegen, sollte davonlaufen. Mich in Sicherheit bringen, um weiterzuleben. Doch wie an jenem Tag frage ich mich, zu welchem Preis? Wieso gebe ich mir so viel Mühe für Menschen, die nur an meiner Hülle interessiert sind? Natürlich liegt mir etwas an ihnen, es wäre seltsam, wenn sie allesamt auf einmal nicht mehr da wären. Aber ist das auch wirklich alles, was es braucht, um hier zu sein?  Wenn ich wirklich nicht existieren könnte, ohne mir etwas zu wünschen, wofür würde ich dann leben? Wenn meine Existenz nicht nur dem Zweck dienen würde, den Platz einer anderen Person einzunehmen, wäre es mir dann überhaupt erlaubt, sich nach etwas zu sehnen? Die Antwort, die ich forme, als der LKW mit voller Absicht immer schneller immer näher kommt, lautet: Ich weiß es nicht. Doch bevor ich von der tonnenschweren Killermaschine zermatscht werde, drängt sich eine weitere Stimme in meinen Kopf. Die Hände hat, die mich schubsen. Die realer, lauter und verzweifelter als alle anderen in meinem Kopf.   “Vorsicht, Ellie, da ist LK-”, doch sie wird unterbrochen, wie unser Blickkontakt durch den Wagen, der ihr das Wort abschneidet und sie aus meinem Blickfeld reißt.   Ich stolpere und schaffe es gerade noch, mich zu fangen. Ich kneife die Augen zu, als ich die Zähne zusammenbeiße. Wie es scheint, habe ich mir die Hand aufgeschürft. Weitere Bruchstücke von Sekunden braucht es, ehe die friedliche Umgebung in blanke Panik gerät. Die frischen Farbtöne um mich herum wirken vom einen Moment auf den anderen nur noch fehl am Platz und abstoßend. Ich stehe auf und mache mich, so gut mich meine zittrigen Beine tragen, langsam auf den Weg hinter den Wagen, um nach Failman zu sehen. Was ich sehe, sind die Freunde, die mit Schock im Gesicht in diese eine Richtung starren. Lange brauche ich nicht zu suchen, denn eine Spur führt meine Augen direkt zur ekelerregenden Sensation inmitten dieser friedlichen Stadt. Als ich realisiere, dass das Mädchen, dass mich geschubst hat, blutverschmiert mit dem Asphalt verschmilzt, schlage ich die Hand vor dem Mund. Blut. Alles dreht sich. Die Welt dreht sich viel zu schnell. Mir ist so schwindelig, mir wird schlecht. Schließlich können meine Knie nicht mehr standhalten und ich klappe zusammen. Das laute Pulsieren in meinem Kopf droht, ihn wieder zu zerreißen, doch ich habe nicht die Kraft, nach Hause zu rennen und meine Tabletten einzuwerfen. Es gab nie einen Grund, sie mitzunehmen, denn außerhalb seiner vier Wände war alles friedlich und nett. Diese Welt, die friedlich und nett ist… ich muss sie retten. Aber hier liege ich nun, zitternd, die Hand vor dem Mund und hyperventilierend.   “Junge? Hey, Junge! Brauchst du vielleicht was? Soll ich Hilfe holen?”, höre ich die energische Stimme eines Mannes im Alter von Elvis’ Bruder, der eine Hand auf meine Schulter legt.   Das ist der Moment, in dem ich mich auf den Asphalt übergebe. Es ist nicht viel, aber es ist schmerzhaft und widerlich. Mein Essen wieder hochzuwürgen kostet mich meine letzten Kräfte, ehe ich auf die Seite falle und spüre, wie ich bewusstlos werde. Da sind Schritte, die sich nähern, Rufe, die nach “mir” schreien und Sirenen. Mir ist komisch warm. Ich weiß nicht, ob ich gerade selbst ein Blutbad nehme oder mir in die Hose gemacht habe. Im Grunde ist es aber auch egal. Failman ist tot. Meinetwegen. Nicht wegen Elvis, sondern wirklich meinetwegen. Nur weil ich einen Moment lang geschwächelt habe, musste sie jetzt daran glauben. Völlig egal, was für ein fordernder Mensch sie für mein Denk- und Wahrnehmungsvermögen dargestellt und mich an die Grenzen meiner Fassung gebracht hat, das hat sie nicht verdient. Sie hat es nicht verdient, ein unkenntlicher Haufen Menschenfleisch zu werden, der zu hässlich ist, um geliebt zu werden. An meiner Stelle. Das ist nicht fair. Völlig egal, wie fehl am Platz ich in der Welt von Elvis bin, niemals war es vorhergesehen, dass ein Mensch aus seiner Welt wegen meiner eskapistischen Neigungen verletzt wird. Habe ich versagt? Hat man gesehen, dass Elvis’ Körper aufgehört hat, sich zu bewegen und im Gegenzug Failmans Körper dazu bewegt hat, sich vor den LKW zu schmeißen?  Ich weiß es nicht.  Ich will es auch nicht wissen.  Ich habe Elvis dazu gebracht, das Mädchen, das ihn liebt, sterben zu lassen. Nicht sie ist es, die nicht unter die Guten gehört. Nicht sie sollte verschwinden. Das sollte der Parasit. Ich, der das Leben einer Person zerstört hat, die es besser verdient hat. Ich, der nur eine einzige Aufgabe hatte. Nur einen einzigen Grund zu leben. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)