Die Farbe Grau von Cocos ================================================================================ Kapitel 35: Poolkriege und Mittwochsbohnen ------------------------------------------ Die Nacht endete für Crawford, als gesichtslose Schatten und formlose Hände auf seinem Körper an Substanz gewannen und der Alptraum ihm nichts als Schmerz brachte, bevor er sich selbst in die Welt der Wachen katapultieren konnte. Sein Atem floh ebenso schnell davon wie sein Herzschlag, als er sich aufsetzte und versuchte zu begreifen, dass er nicht mehr träumte. Als das nicht ausreichte, stand er auf, ließ seine nackten Füße den kalten Holzboden spüren, die Realität und die Bodenständigkeit, die diesem innewohnte, während er versuchte, seinen Atem und sein Herz unter seine Kontrolle zu zwingen und die Bilder zu vertreiben, die immer noch Spuren auf seiner Haut hinterließen. Mit eisernem Willen hielt er sich davon ab, eben jene durch seine eigenen Hände auszulöschen und sich die widerwärtigen Berührungen aus seinen Erinnerungen mit seinen Nägeln von der Haut zu kratzen. Er war stärker als das. Den geflüsterten Kosenamen, die durch sein stilles Schlafzimmer hallten, entkam er jedoch nicht. Nur zu gut erinnerte er sich an eben jene tiefe Stimme, wie sie ihm unwillkommene Obszönitäten und Komplimente ins Ohr flüsterte. Oder an den Geruch des Mannes, der ihm in der Nase lag und Crawford für einen Moment lang seinen eigenen, verräterischen Körper bekämpfen ließ, der ihm das vor ein paar Stunden eingenommene Abendessen durch den Kopf gehen lassen wollte. Er war stärker als das, sagte er sich wieder und wieder und richtete sich ungeachtet des Schmerzes in seinem Rücken auf. Die durch Nagi verursachten Wunden waren auf dem besten Weg zu verheilen, aber dennoch machten sie ihm hin und wieder Probleme, insbesondere dann, wenn er sich nur zu gut daran erinnerte, wie sie verursacht worden waren. In diesem Moment war es zuviel für seine sowieso schon geschundenen Nerven und er grollte laut und unbeherrscht in die Stille des Hauses. Das großzügige Zimmer war ihm mit einem Mal zu klein und er trat hinaus in den Flur. Die Kühle des klimatisierten Hauses ließ ihn schaudern und Gänsehaut seinen bloßen Oberkörper entlangkriechen, als er Schritt um Schritt die Treppe hinunterstieg. Seine Vorhersehung lag still in diesem Moment, also schloss er daraus, dass er weder auf Gesellschaft noch auf Komplikationen stoßen würde. Das Licht des Kühlschranks erhellte Crawfords Unterarme und die verheilenden Schnitte auf seiner Haut, als er die selbstgemachte Limonade seiner Mutter herausnahm und sich aus einem Anfall von sentimentalen Erinnerungen ein Glas einschenkte, in der Hoffnung, dass nach ein paar Tagen endlich die verdammte Übelkeit ausblieb, die in ihn hineingefickt worden war, was alles anging, das kühl und flüssig war. Seine Hoffnung wurde nicht enttäuscht. Tatsächlich ruhte sein Magen, als er vorsichtig und bedacht Schluck um Schluck trank. Der Geschmack erinnerte ihn unweigerlich an seine Kindheitstage und an jede Gelegenheit, die er mit seiner Familie zuhause verbrachte. Wer wusste schon, wie oft er noch in den Genuss kommen würde? Noch bevor Crawford sich für diesen Gedankengang schelten konnte, war es seine Gabe, die ihm die Antwort auf seine Frage gab. Die gleiche Vision, wie er sie schon einmal gehabt hatte. Die Glattheit und das durchgestylte Logo der Airline auf der Bordkarte verhöhnten ihn erneut. Ebenso wie der Hinweis auf die First Class und die Sitznummer auf der Karte selbst. Ein Fensterplatz, 3A, Destination Wien. Das Datum lag fünfeinhalb Wochen in der Zukunft. Crawford folgte der Vision und seinem zukünftigen Selbst und sah hoch, in die Augen der Dame des Hauses in vollem Ornat und ernstem Blick. Die Hand mit dem Glas hielt inne und langsam stellte es Crawford auf den Tresen. Wenn es so weiterging wie bisher, würden sie also keinen Erfolg haben. Schweigend forderte er seine Gabe und dehnte seine Fähigkeiten bis hin zur Migräne, damit sie ihm einen weiteren Hinweis darauf gaben, was zu dieser Zukunft führen würde. Doch seine Voraussicht war – wie in jungen Jahren – so unnütz wie eine dieser verfluchten Sendungen über Zootiere, die Schuldig Tag und Nacht in seine Gehirnwindungen zwängte. Seine Gabe zeigte ihm, dass Jei und Hidaka wegen eines Brötchens aneinandergeraten würden, getrennt durch Nagi und Kudou. Oder aber dass Fujimiya gänzlich seines Rufes als Teilzeittrottel folgend einen unfreiwilligen Abgang in den Außenpool machen würde. Andererseits könnte Schuldig da auch seine Finger im Spiel haben bei genauerem Hinsehen. Frustriert stöhnte Crawford auf und entspannte sich willentlich, ließ die Visionen gehen, die ihm nichts als unnötigen Unsinn zeigten, den er nicht gebrauchen konnte. Bis auf die Bordkarte zu seiner Hinrichtung natürlich. „Wie lange hast du diese Vision schon?“ Die ruhige Stimme ließ Crawford brachial zusammenzucken und sich darüber verfluchend schloss er die Augen. Darüber und aufgrund der Tatsache, dass sein hauseigener Telepath sich ohne Probleme an ihn anschleichen konnte. Crawford schwieg und ignorierte Schuldig so gut es ging. Vielleicht ging er weg, wenn er nicht auf ihn reagierte. Vielleicht fror aber auch die Hölle zu. „Brad.“ Die Hölle, definitiv. Crawford atmete tief ein und fand die Stärke, seine Augen zu öffnen. Er ließ das Bild des Limonadenglases seine Gedanken dominieren und drehte sich dann zu Schuldig um, der natürlich in seinen Gedanken gelesen hatte, was er seit Tagen vor sich selbst zu verbergen suchte. Auch wenn Schuldig seit ihrem Zusammenstoß nicht mehr schmerzhaft in seine Gedanken gedrungen war und er den letzten Tag über die mentale Anwesenheit des Telepathen nicht gespürt hatte, so hieß das nicht, dass Crawford Schuldig vorbehaltslos vertraute. Dafür kannte er den Deutschen viel zu gut und zu lange, als dass dieser seiner ewigen Neugier nicht nachgeben würde. So auch jetzt. Das spärliche Licht des einfallenden Mondes beleuchtete Schuldigs blasse Haut, von der er wie gewohnt verschwenderisch viel zeigte. Crawford konnte sich vermutlich glücklich schätzen, dass der Telepath nicht gänzlich nackt vor ihm stand, sondern noch die Großzügigkeit einer Boxershorts besessen hatte. Der spöttische Blick des jüngeren Mannes sagte ihm alles, was er über seinen eigenen Zustand wissen musste, so wie die durchdringenden Augen ihn von oben bis unten maßen. „Seit ein paar Tagen“, erwiderte Crawford und zuckte nonchalant mit den Schultern, als würde es hier nicht um seine Zukunft gehen. Schuldig glaubte ihm keine Sekunde und einen Moment später spürte er auch schon die schwere Anwesenheit des Telepathen in seinen Gedanken, als dieser selbst nach Antworten suchte, die Crawford ihm nicht geben konnte und wollte. Anscheinend bedeutete ihr Frieden nicht, dass Schuldig es aufgab, ohne Erlaubnis in ihn einzudringen und Crawford schwankte unter der Wucht der Inbesitznahme. Von Schuldig zu verlangen, dass er ihn in Ruhe ließ, war vermutlich zuviel verlangt… auch wenn es in diesem Moment einfach zuviel war für ihn. Nach dem Traum, den geisterhaften Erinnerungen, konnte er die fremde Präsenz in seinem Kopf nicht ertragen und sie schon gar nicht kompensieren. „Lass mich in Ruhe“, presste Crawford hervor, während Panik in seinem Inneren zuverlässig ob der unfreiwilligen, auferzwungenen Gesellschaft aufwallte. Er taumelte zurück an die Anrichte, hielt sich mit zittrigen Fingern an dem kühlen Marmor fest. Mit jedem Augenblick, in dem Schuldig sich nicht zurückzog, wurde das Zittern größer, die Verzweiflung stärker. „Schuldig…“ Ohne es wirklich zu wollen, hatte seine Stimme etwas Flehendes. Nachher würde er sich für den schwachen Unterton seiner Stimme verfluchen, doch nicht jetzt. Jetzt hatte es oberste Priorität, dass Schuldig seine Gedanken verließ, dass er ihm eben die Ruhe schenkte, die er brauchte. Die erlösende Einsamkeit kam keinen Moment später und Crawford stöhnte erleichtert auf. Zittrig atmete er ein, den Blick auf Schuldig vermeidend, der schweigend vor ihm stand und wartete. Ruhig ging der Atem des Telepathen, als er Crawford anscheinend jede Zeit der Welt gab, um sich wieder zu fangen und die Fassung zurück zu erlangen. Es war schwieriger als gedacht, als Stolz mit Angst und zögerlichem Vertrauen kämpfte, das nur marginal vorhanden war und dessen Ecken nun sekündlich ausfransten, als der altbewährte Kreislauf aus Misstrauen, peinigenden Erinnerungen und hilfloser Wut mehr und mehr Fahrt aufnahm. „Warum hast du nichts gesagt?“, fragte Schuldig schließlich, als Crawford weiterhin schwieg. Braune Augen maßen ihre blauen Gegenstücke nach Momenten des Zögerns und das verbuchte Crawford schon als Fortschritt. Als wenn Schuldig in seinen Augen mehr lesen konnte als er es schon in seinen Gedanken getan hatte. „Was macht es für einen Unterschied?“, stellte er die Gegenfrage, als er sich sicher sein konnte, dass seine Stimme fest genug klang. Langsam griff er zu dem verwaisten Limonadenglas und nahm einen tiefen Schluck. Durstig war er nicht. „Einen Lebenswichtigen.“ Crawford schnaubte und hob die Augenbraue. „Es ist noch fünfeinhalb Wochen hin und genug Zeit, die Zukunft zu verändern.“ „Das kannst du aber nicht alleine. Dafür brauchst du dein Team.“ „Die Zukunft und die Deutung eben jener waren schon immer meine Zuständigkeit, Schuldig.“ Schuldig verschränkte die Arme vor seiner nackten Brust, die Lippen zu einer starren Linie verzogen. „Wie oft hast du mir so etwas schon verschwiegen?“ „Meinen möglichen Tod?“ „Ja was denn sonst? Verarsch mich nicht, Orakel“, grollte Schuldig und Crawford lachte ein freudloses, bitteres Lachen. „Ein- bis zweitausend Mal.“ Stille trat zwischen sie und Crawford hätte gerne eine Kamera gehabt, um Schuldigs Gesicht nach seiner gerade erfolgten Antwort festzuhalten. Der Ausdruck auf den vom Mondlicht surreal akzentuierten Zügen war ohne Übertreibung des Beste, was er seit ihrem ersten Kennenlernen von dem Telepathen gesehen hatte und er hätte das gerne bis in alle Ewigkeit festgehalten. So konnte er sich den Ausdruck nur einprägen, auf dass die weit geöffneten Augen und Lippen, der entsetzt-dumme Gesichtsausdruck im Ganzen auf ewig in seinen Gedanken bleiben würde. Zumindest bis in fünfeinhalb Wochen, wenn seine Vision tatsächlich wahr werden sollte. Crawford hob erwartungsvoll eine Augenbraue, wartete, dass der Telepath sein kohärentes Denken zurückerlangte. „Du hast nichts gesagt! All die Zeit nicht!“, stürmten auch schon Vorwürfe aus dem Mund des Anderen, die Crawford unwillkürlich mit den Augen rollen ließen. „Weil es einen Weg gegeben hat, um die möglichen Tode zu verhindern. Nichts Anderes ist diese Vision auch. Eine von vielen Möglichkeiten, wie es enden kann. Sobald wir anfangen zu handeln, wird es andere Möglichkeiten geben, andere Zukunftsarten. Bisher gibt es diese eine.“ Zuversichtlicher als er es wirklich war, klangen diese Worte und Crawford fragte sich, ob er es sich in der kommenden Zeit einreden konnte. „Aber warum nur du? Warum nicht wir? Was solltest du falsch machen?“ Ein schmales Lächeln kroch über Crawfords Lippen. Selbstironisch erwiderte er Schuldigs fragenden Blick. „Mir würden da ein paar Dinge einfallen.“ Schuldig schnaubte. „Das haben wir hinter uns gelassen, Brad.“ Crawford schnaubte lediglich indifferent und griff sich erneut die Limonade, die ihm ein absurdes Gefühl der Ruhe verschaffte. Er wandte sich ab und öffnete die Terrassentür, ließ die immer noch warme Luft in das Haus und begab sich selbst in die stille Nacht hinaus. Im Hintergrund hörte er, wie Schuldig den Kühlschrank öffnete, sich etwas aus dem Kühlschrank nahm und ihm nachfolgte. Das würde nichts werden mit den einsamen Stunden bis zum Sonnenaufgang, begriff Crawford und schicksalsergeben ließ er sich an dem Tisch nieder, lehnte sich vorsichtig im Stuhl zurück, immer darauf bedacht, seinen Rücken nicht zu sehr zu belasten. Schuldig ließ sich neben ihm auf den anderen Sessel fallen und es war tatsächlich Bier, das der Telepath sich genommen hatte. Das Orakel hob die Augenbraue, sagte aber nichts zu den nächtlichen Trinkgewohnheiten seines Teammitgliedes. Es war ja schon ein Wunder, dass Schuldig sich nicht schon einen Club in der Umgebung gesucht hatte. „Es gibt keine. Clubs, meine ich.“ Crawford lachte dunkel amüsiert. „Wirst du es Nagi und Jei sagen?“, fragte Schuldig nach einer Weile, in der sie schweigend zusammengesessen hatten und das Orakel schüttelte den Kopf. „Noch nicht. Nagi muss stabiler werden, er ist immer noch nicht einsatzfähig.“ „Du bist zu streng mit ihm. Gib ihm Zeit. Er hat immer noch Angst, dich zu enttäuschen. Aus dieser Angst heraus nähert er sich im Übrigen sogar Tsukiyono.“ Crawford schnaubte. „Er hatte schon vorher eine Vorliebe für die Kunstfertigkeiten des Weiß.“ „Was du natürlich weißt.“ Die ehrliche Überraschung, die auf Schuldigs Gesicht stand, ließ Crawford die Augenbrauen heben. Hatte der Telepath wirklich gedacht, dass ausgerechnet Nagi ihm etwas verheimlichen konnte? „Wenigstens die Auswüchse seiner Pubertät hätten dir allwissendem Großkotz verborgen bleiben können.“ Die Augenbraue hebend legte Crawford den Kopf schief. Glaubte Schuldig das wirklich? „Solange er damit keinen Schaden anrichtet, soll es mir recht sein.“ „Die Beiden blockieren meinen Fernseher mit ihrem komischen Spielkram.“ „Deinen…“ „Ich habe das ältere Vorrecht. Der Kleine interessiert sich sonst nicht dafür.“ Unwillkürlich schmunzelte Crawford. Aus Schuldigs Stimme las er durchaus Frust und der Grund dafür war derart banal, dass es ihn für einen Augenblick lang von seinen dunklen Gedanken weglockte. Es war bodenständig genug, um ihn zu erden und ihn auf das zurück zu besinnen, was wichtig war. Sechs Wochen hatte er Zeit, um das zu retten, was ihm wichtig war. Selbst aus dem Augenwinkel sah er das Augenrollen des Telepathen. „Lasgo hat dem Kleinen so zugesetzt wie es die Scheiße auf der Straße noch nicht einmal konnte. Er hat ihm vor Augen geführt, dass er machtlos ist. Ganz zu schweigen von den Dingen, die er ihm angetan hat und die er dir antun musste. Sechs Wochen reichen nicht aus um Nagi wieder auf die Beine zu stellen. Dich im Übrigen auch.“ Crawford schnaubte. „Ich glaube nicht, dass Rosenkreuz uns danach Ruhe und Zeit gönnen wird, um wieder auf die Beine zu kommen.“ „Wenn sie nicht wollen, dass einer ihrer vielversprechendsten Telekineten und der Kronprinz selbst vor die Hunde gehen, dann sollten sie das.“ Die Entrüstung in Schuldigs Stimme löste eine Wärme in Crawford aus, die nichts mit dem warmen Wetter zu tun hatte, dass sie immer stärker heimsuchte. Es wunderte ihn immer noch. Auch wenn er sich bei einer Sache sehr sicher war. „Ich denke nicht, dass ich weiterhin als solcher gehandelt werde.“ Schuldig nahm sich die Dauer eines Schluckes Bier Zeit mit der Antwort. Ernst sah er ihm in die Augen. „Glaubst du wirklich, dass sie dich fallen lassen, weil es so ein Stümper gewagt hat, sich an dir zu vergreifen?“ „Nein, sie werden mich fallen lassen, weil meine Gabe versagt hat…und kurz darauf ich selbst.“ „Brad, das ist nur menschlich.“ „Und der Kronprinz hat genau das eben nicht zu sein.“ „Das ist Bullshit.“ Crawford lächelte bitter. „Du weißt, wie sie ticken und wie sie dysfunktionale Agenten aussortieren.“ „Du bist ihr Sohn.“ „Das hat mir noch nie Vorteile verschafft und ich würde den Teufel tun, solche auch anzunehmen.“ Crawford grollte. Er war unabhängig von dem übermächtigen Schatten seiner Mutter, der ihn selbst bis hierhin verfolgte. „Dafür reitet sie dich uns gegenüber viel zu sehr in die Scheiße, als dass man es Vorteil nennen könnte.“ Crawford weigerte sich, weiter über das Thema nachzudenken. Er wollte nicht darüber sprechen, inwieweit Siobhan das sorgsam distanzierte Bild, das er von sich geschaffen hatte, mit ihrer telepathentypischen Art zunichte machte. Stille breitete sich zwischen ihnen beiden aus, als Crawford seinen Blick und seine Gedanken in Richtung Meer schweifen und Schuldigs Worte weiterhin unkommentiert ließ. Gemeinsam schwiegen sie, sinnierten über das Vergangene und das Kommende, jeder in seinen eigenen Gedanken. „Wenn…“, setzte Crawford schließlich an und hielt inne, stockte für einen Moment. Sein Blick fiel auf den Telepathen. „…falls diese Vision wahr werden sollte, dann wirst du dich um Nagi kümmern und ihm ein Vorbild sein. Er wird dich brauchen. Auch wenn es mir jetzt schon vor eben jener Vorstellung graut, dass du eine Vorbildfigur für ihn darstellen könntest.“ Es schien, als hätte Schuldig ihn nicht gehört, so wie er weiter an seinem Bier trank, in seinen eigenen Gedanken versunken, seine Aufmerksamkeit nicht bei ihrem Gespräch. Doch das Orakel irrte sich, als sich die blauen Augen mit ungewohnter Schärfe auf ihn richteten. „Nein, Brad.“ Crawford runzelte die Stirn. „Nein?“ „Du wirst nicht draufgehen oder einer Neutralisierung unterzogen werden. Deine Falls und Wenns kannst du dir in den Arsch stecken und ich werde den Teufel tun, den Vater für den Satansbraten da oben im Bett mimen.“ „Schuldig…“ „Nein. Vergiss es.“ Aufgebracht stellte Schuldig sein Bier ab, lehnte sich vor und zeigte ihm den Vogel. „Du hast sie doch nicht alle. Jetzt schon aufgeben und den Kopf in den Sand stecken steht dir nicht, Orakel. Die Zukunft ist erst da, wenn sie da ist. Und fest ist sie jetzt noch nicht. Also.“ Seufzend ließ sich Crawford zurücksinken, als er begriff, dass es keinen Sinn machte, mit Schuldig zu diskutieren. Zähneknirschend akzeptierte er das und widmete sich dem Rest seiner Limonade. Vielleicht sollte er in der kommenden Zeit mit seiner Familie telefonieren, sinnierte Crawford, als ihn eine Vision überkam, die ihn schaudern ließ. „Das geht dich nichts an“, beantwortete das Orakel warnend die aufkommende Frage des Telepathen und Schuldig grinste breit. „Es geht um da Glück meines Anführers, natürlich geht mich das etwas an.“ „Für mein Glück bin ich selbst verantwortlich, das ist nicht deine oder seine Aufgabe“, stellte Crawford mit kühlem Unterton fest, doch anscheinend war sein Leben etwas, das die beiden Telepathen, die ihm sein eben jenes zur Hölle machten, sich auf ihre Agenda geschrieben hatten. „Keine Bindung, ja?“, fragte Schuldig wenig subtil nach und Crawford beschloss, ihn einfach rigoros zu ignorieren, als der viel zu verlockenden Alternative – ihm einen herzhaften Faustschlag ins Gesicht zu geben - nachzugeben. Er hatte genug damit zu tun, die Bindung, die Nagi erneut zu ihm aufgenommen hatte, zu akzeptieren, was ein täglicher Kampf war. Grimmig schlug er die Beine über und schloss die Augen, genoss die stille Nacht. Übertags würden die Zikaden die Geräusche des Waldes bestimmen und zur Mittagszeit noch lauter sein als das Meer. Doch nun schwiegen sie…im Gegensatz zu Schuldig, der mit seiner Penetranz die kleinen Störenfriede mit Leichtigkeit übertönte. „Er ist ganz annehmbar, wenn auch ein bisschen langweilig in seinen Gedanken. Aber das würde gut zu dir passen, wenn du denn wieder bereit dafür bist.“ Crawford hob innerlich zweifelnd die Augenbrauen, sich nicht sicher, ob Schuldig ihn in das Bett des Japaners verfrachten oder beleidigen wollte. Wieder bereit. Er war doch noch nicht einmal bereit dazu, sich selbst anzufassen, geschweige denn, Intimität mit einem anderen Menschen auszuüben. Er schwieg eisern, in der vagen Hoffnung, dass es Schuldigs Interesse schließlich abflauen lassen würde. Dass er im Irrtum war, erkannten er und seine Gabe einen Augenblick später schmerzlich. „Außerdem gefällt er Siobhan. Sie hat ihm sogar schon Komplimente gemacht.“ Und da schloss sich der Kreis. Sein Leben, verdammt in alle Ewigkeit von zwei Telepathen, die ihm eben jenes zur Hölle machten und sich nun zu allem Übel auch noch als… ja, als was versuchten. Als Kuppler wohl kaum, denn wie konnten eben die Beiden, die Zugriff zu seinen Gedanken hatten, davon ausgehen, dass er noch in der Lage dazu war, sich einem anderen Mann zu nähern? Crawford schwieg weiterhin, biss sich im Anblick des Mondes fest. Seine Vorlieben waren nichts, was irgendjemand außer ihm selbst diskutieren würde. Wenn es überhaupt zur Diskussion stand und das tat es momentan schlicht und ergreifend nicht. „Und man kann sagen, was man will, aber das ewige Schwertgekämpfe macht sich bemerkbar. Als er sich vor dem Spiegel ausgezogen hat und Jei ihn in seinem zugedröhnten Zustand geduscht hat…“ Genervt stöhnte Crawford auf. „Ich habe nicht das Bedürfnis, mit dir über Abyssinian zu sprechen oder aber über seine Vorzüge und Nachteile.“ Endgültig war seine Stimme und Crawford starrte Schuldig über die Dunkelheit hinweg durchdringend in die Augen. Das Amüsement in den Augen des Telepathen schwand sekündlich, als er die dahinter liegenden Erinnerungen begleitete. Abwesend nahm dieser sich sein Bier und trank gierige Schlucke, lehnte sich schlussendlich stirnrunzelnd zurück. „Ich könnte ihm nochmal eine runterhauen dafür, wenn du willst?“, bot Schuldig schließlich an und Crawford schnaubte. „Das kann ich noch alleine, danke. Ich habe versucht, ihn dafür umzubringen, wie du sicherlich in meinen Gedanken gesehen hast. Woran er, wie wir im Übrigen erfahren haben, unschuldig ist.“ „So unschuldig, wie die Kritikerhure auch.“ Crawford zuckte zusammen. Das Thema Birman war kein Gutes, immer noch nicht. Anders als bei Nagi und Fujimiya war er nicht bereit, ihr ihre Handlungen zu vergeben. Keine einzige. Doch mit dem Hass kam er auch in den Strudel aus Dunkelheit und Trauma. „Ich könnte sie umbringen. Ein kleiner Schlaganfall und schon ist sie, bevor die Sonne aufgeht, tot.“ Der Gedanke war zu verlockend, als dass Crawford sich in diesem Moment eine Antwort zutraute. Alles in ihm schrie ja. Alles in ihm sann auf blutige Rache. Wieder verfielen sie in einträchtiges Schweigen, bevor Schuldig die Beine zu sich auf den Stuhl zog und den Kopf in den Nacken legte. „Wollen wir deine Alpträume gemeinsam durchgehen?“ Crawford maß den Telepathen schweigend und prüfend. Es war keine Neugier, die Schuldig antrieb, das wusste er. Schuldigs Angebot bezog sich auf eine Begleitung der Erinnerungen zur Unterstützung und Auswertung. Manchmal handhabten sie es bei seinen Visionen so, wenn Crawford eine zweite Meinung wünschte. Dies nun auch mit seinen Erinnerungen und den Traumbildern zu handhaben und den Telepathen zu konsultieren, war Crawford neu und ungewohnt. Lange Zeit überlegte er, ob er das Angebot annehmen sollte. Sein finales Nicken schmerzte seinen Stolz, sein rationales Denken jedoch erklärte sich damit äußerst einverstanden. ~~**~~ Die brutale Hitze, die Aya außerhalb des klimatisierten Hauses erwartete, machte es beinahe verlockend, wieder ins Haus zurück zu kehren und den dortigen Pool im Keller zu nutzen, nachdem Aya den Morgen der viel zu kurzen Nacht dafür genutzt hatte, seine Übungen durchzuführen und nun vor dem vielversprechenden, kühlen Wasser stand. Eben dieses Versprechen ließ ihn auch schlussendlich in das kühle Nass steigen und wohlig schaudern. Sein Körper zuckte ob des kalten Schocks, als er untertauchte und sich vom Beckenrand abstieß. Mit kräftigen Zügen pflügte Aya sich durch das klare Wasser und reizte seine Lungenkapazität beinahe bis zur Schmerzgrenze aus, um bis ans andere Ende des Pools zu tauchen. Erleichtert aufatmend tauchte er auf und zog sich am Beckenrand hoch, lehnte sich glücklich grinsend auf den weißen Marmor, der das Schwimmbecken einfasste. Das kalte Wasser weckte seine Lebensgeister und machte ihm den puren Luxus, den er hier hatte, nur umso deutlicher. Im Koneko verfügten sie weder über den Platz noch über die Möglichkeiten eines Swimmingpools und mussten sich damit begnügen, nach einem schwül-heißen Tag ein kühles Planschbeckenfußbad auf ihrem Dach zu nehmen. Eben in jenem quietschbunten Planschbecken, das Ken vor Jahren angeschafft hatte. Damals hatte er sein Teammitglied noch dafür belächelt, doch mittlerweile wusste Aya diesen geringen Luxus wirklich zu schätzen. Auch hier, jetzt und in diesem Moment wusste er das, auch wenn der Pool ihm mehr Erfrischung bot. Wie alles hier schien das Haus und dessen Umgebung nur einen einzigen Zweck zu haben: den anwesenden Teams soviel wohltuenden Luxus wie möglich zu bieten, eine schöne Umgebung zu schaffen und es ihnen an nichts fehlen zu lassen. Bis auf das Essen natürlich. Crawfords Mutter traktierte sie Mahlzeit um Mahlzeit mit anscheinend allem, was Schottland zu bieten hatte und Aya fragte sich, wann sein Team endlich rebellieren würde. Er selbst, das konnte er sich ehrlich eingestehen, brachte nicht den Mut dazu auf, in die warmen, lächelnden Augen zu sehen, hinter denen ein so tiefer Abgrund lauerte, dass es ihn schauderte. Ebensowenig wollte er in diese Augen sehen, weil sie Crawfords so sehr ähnelten, dass es ihn eines ums andere Mal verwirrte, insbesondere, wenn die Beiden nebeneinander saßen. Irgendwann einmal, wenn die Arroganz des Orakels wieder überhand nehmen würde, dann würde er ihm genau das ins Gesicht sagen. Aya schwamm zurück auf die andere Seite und tauchte die letzten paar Meter. Wie zuvor auch schon stemmte er sich nach Luft schnappend am Rand hoch. Und sah blinzelnd in helle, durchdringende Augen, die in einem starren Kontrast zu den schwarzen, ungewöhnlich ungeordneten Haaren standen. Unter den Augen thronten tiefe, dunkle Schatten, als hätte der Schwarz die Nacht über nicht geschlafen. Aya legte die Arme auf den Beckenrand und reckte den Kopf, um sich nicht den Hals zu verrenken. Nicht, dass das Crawford dazu animierte, etwas zu sagen. Im Gegenteil. Er wurde stumm gemustert, als hätte er Crawfords Erstgeborenen umgebracht. Nur langsam dämmerte ihm, was das Problem war und ein Lächeln breitete sich auf Ayas Lippen aus. „Bin ich dir im Weg?“, fragte er und die müden Augen glitten von ihrem ursprünglichen Punkt an seinem Gesicht hinunter bis ins Wasser und dann wieder zurück. Ruhig strich sich Aya das ihn kitzelnde Nass aus dem Gesicht. „Ist es Zeit für deine Morgenrunde?“ Ein Schnauben antwortete ihm und Aya stellte fest, dass es genauso verschlafen klang, wie Crawford aussah. „Ich habe dich geweckt“, mutmaßte er mit einem zweifelnden Blick in Richtung Haus. Crawfords Zimmer lag nicht in diese Richtung und er war viel, aber nicht laut gewesen. Die Haltung des Orakels und dessen offensichtliche Müdigkeit ließen jedoch wenig andere Schlüsse zu und mit einem Blick zur Seite blieb ihm das Glas, das auf dem Tisch stand, nicht verborgen. Ebenso wenig die Decke, die auf dem Stuhl daneben lag. „Vielleicht solltest du Kaffee zu dir nehmen, anstelle mich weiter anzustarren“, nahm Aya das Schweigen des Anderen zum Anlass um sich vom Rand abzustoßen und sich in die Mitte des Beckens treiben zu lassen. Crawford Raum zu geben, wie es ihm sein Instinkt einflüsterte, auch wenn ihn das Verhalten des anderen Mannes irritierte. Wobei er, das musste Aya zugeben, selten Zeuge eines gerade aufgestandenen Orakels geworden war. Bei Lasgo, ja. Doch dort war Crawford durch einen Alptraum aufgewacht und das war wohl kaum mit dem hier vergleichbar. Im Krankenhaus, als er aus seiner Bewusstlosigkeit erwacht war, auch nicht. Das waren Ausnahmesituationen gewesen, die wohl kaum vergleichbar waren mit der eigentlichen Realität. Aya versuchte sich Crawford als Morgenmuffel vorzustellen, scheiterte aber daran, auch wenn er das perfekte Exemplar gerade vor sich sah. „Heute ist Mittwoch“, erwiderte eben jener, als würde er ihm eine Antwort auf seinen Vorschlag geben und Aya runzelte die Stirn. Schweigend beobachtete er Crawford dabei, wie dieser sich langsam am Pool niederließ und die Beine seiner Schlafanzughose hochkrempelte, damit er sie in das Wasser stecken konnte. Der Oberkörper des anderen Mannes war unbekleidet und wenn Aya genau hinsah, konnte er sowohl die Spuren, die Naoe auf Lasgos Geheiß auf ihm hinterlassen hatte als auch die Abdrücke des Gartenstuhls, in dem er anscheinend geschlafen hatte, sehen. „Ist Mittwoch dein Ich-trinke-keinen-Kaffee-Tag?“, hakte Aya ironisch nach und wurde mit einem Blick belohnt, der ihm zweifelsohne mitteilte, dass er schon klügere Momente gehabt hatte. Weiterhin erwiderte Crawford nichts, sondern spielte regelecht mit dem Wasser, das er durch seine Finger fließen ließ. „Was machst du so früh hier?“, fragte das Orakel, als würde er einen Gesetzesverstoß begehen und Aya kam nicht umhin, ob der offensichtlich schlechten Laune des Mannes vor ihm zu schmunzeln. „Ich schwimme“, erwiderte er in dem Wissen, dass ihm das den Unbill des Orakels einbringen würde. „Selbst?“ „Ich wurde aufgeweckt.“ Der Vorwurf in seine Richtung war unüberhörbar und Aya schwamm ein paar Züge näher. In gebührendem Abstand zu den ihn sezierenden und analysierenden Augen lehnte er sich an den Rand und sah über das Becken hinaus auf das unter ihnen liegende Meer, das ruhig in der Sonne glitzerte. „Was machst du überhaupt hier draußen? Das Haus ist kühler und angenehmer zum Schlafen.“ Aya hielt inne, als er sich selbst bewusst machte, wie alltäglich ihre Konversation eigentlich war. Eine Premiere, wenn man so wollte und keine, die Aya Unbehagen verursachte, was noch viel irritierender war. „Ich hätte gedacht, dass ein Florist sich besser um die Pflanzen im Garten des eigenen Ferienhauses kümmert“, lenkte Crawford ab und Aya hob überrascht die Augenbrauen. „Des eigenen Ferienhauses?“, versuchte er noch, den Schwarz von seiner Spur abzubringen, die dieser offensichtlich hatte, doch vergebens. Die Warnung in den stechend hellen Augen teilte ihm mit, dass es Ungefährlicheres gab, als Crawford anlügen zu wollen. Zumindest in dieser offenbar offensichtlichen Angelegenheit. Soviel zum Thema Alltäglichkeit. „Tarnidentität bedeutet nicht zwangsläufig Liebe für den Beruf. Warum ist es dir wichtig genug, es zu erwähnen?“, hielt Aya dagegen und wurde mit einem Schnauben bedacht. Crawford zuckte mit den Schultern und er kam nicht umhin, den sich bewegenden Muskeln zuzusehen, wie sie ihre Arbeit taten. Normalerweise verbarg Crawford eben jene unter Shirts oder Anzügen und erst bei Lasgo hatte Aya erkannt, wie ansprechend gut gebaut der Ameri… Schotte eigentlich war. Alleine schon, um sich von den fehllaufenden Gedanken abzulenken, ließ Aya seine Erinnerungen zu seinem Aufenthalt bei Schwarz zurückkehren. Die Pflanzen im Wohnzimmer und auch in den Räumlichkeiten des Orakels hatten allesamt einen gesunden Eindruck gemacht. Bislang hatte sich Aya keine Gedanken darum gemacht, wer dafür verantwortlich war, aber so langsam keimte in ihm ein Verdacht auf, der sich, bevor er wirklich eingreifen konnte, als Lächeln auf seinem Gesicht manifestierte. „Nein, Fujimiya“, versuchte Crawford noch, ihn von eben jenem abzuhalten, doch zu spät. Ayas seitlicher Blick war voller humorvoller Bosheit. „Sag es nicht.“ „Du Hobbygärtner…“ Mit der Intensität seines Blickes hätte Crawford den Pool mit Leichtigkeit auf eine kochende Temperatur bringen können. „Auf einer Skala von eins bis zehn, wie lebensmüde würdest du dich schätzen?“ „Im Durchschnitt acht.“ „Möchtest du diese Einschätzung vielleicht noch einmal revidieren?“ „Nein. Aber da du das Haus ja jetzt schon kennst, kannst du dich in dem Garten austoben und ihn wieder in Ordnung bringen.“ „Ich glaube nicht, dass du meine Diensteistungen bezahlen kannst.“ „Ich rufe Manx an, die wird es zum Bestandteil eures Vertrages mit Kritiker machen.“ „Du möchtest, dass das Haus deinem Arbeitgeber bekannt wird?“ Aya war überrascht, dass sich Crawford überhaupt noch daran erinnerte, dass das Haus niemandem bekannt war. Andererseits wunderte es ihn auch nicht, wenn er näher darüber nachdachte. Mit erhobenen Augenbrauen maß er den Schwarz, der nicht minder amüsiert zurückstarrte und in dessen Gesicht eine Herausforderung stand, die Aya schwerlich ausschlagen konnte. „Nein“, gab er sich aber schließlich geschlagen und Crawford nickte sardonisch und rollte im gleichen Moment mit den Augen, in dem sich die Terrassentür öffnete und der Ire des Teams heraustrat und die sonnige Hitze mit einem verachtenden Blick strafte. In seiner Hand hielt er ein Buch und eine große Schüssel mit… „Kaffeebohnen?“, fragte Aya zweifelnd und verfolgte den Weg des vernarbten Mannes weg von ihnen in den Wald hinein, in dem bereits jetzt die ersten Zikaden zirpten, obwohl der Tag noch lange nicht seine Höchsttemperatur erreicht hatte. Verständnislos richtete er sich an Crawford, der ihn mit einer derart überheblichen Genugtuung maß, dass Aya unwillkürlich grollte. „Heute ist Mittwoch“, wiederholte das Orakel und er wurde immer noch nicht schlauer daraus. „Oder wie Jei es ausdrücken würde: Lesetag.“ Zweifelnd musterte Aya sein Gegenüber. „Das bedeutet was?“ „Dass du dir heute deine Bohnen von Jei erjagen darfst. Nicht, dass du viel Erfolg dabei haben wirst, da Jei dich in dem Moment abstechen wird, in dem du eine Hand an die heilige Schüssel legst.“ Es war eher der Ton als die Worte des Orakels, der Aya dazu verführte, Crawford mit Wasser zu bespritzen. Es zumindest zu versuchen, denn schneller, als er die Bewegung ausführen konnte, hatte Crawford seine Hand gegriffen und eine derartige Bewegung mit einem ungläubig warnenden Blick unterbunden. Absolut instinktiv und ohne, dass Aya vorher wirklich darüber nachgedacht hatte, packte er eben jene Hand und zog Crawford daran an in den Pool. Überraschung war das Letzte, was er sah, als er den Schwarz in das Wasser tauchte, Überraschung dominierte auch in Aya, dass er tatsächlich Erfolg mit der unbewussten, spontanen Geste hatte. So fixierte er sich blinzelnd auf den nun auftauchenden Mann, dessen Unglauben sich wunderschön in den ihn fassungslos anstarrenden Augen manifestierte, während an seinen Wimpern Wassertropfen abperlten. „Fujimiya…“, betonte Crawford dunkel jede einzelne Silbe seines Namens und Aya konnte das breite Grinsen nun wahrlich nicht mehr verbergen, bevor er abtauchte und versuchte, die andere, weit entfernte Seite des Beckens zu erreichen, bevor der Schwarz ihm folgen konnte. Wie es sich herausstellte, war Crawford ein ebenso guter, jedoch schnellerer Schwimmer als er. ~~**~~ „Sehe ich das gerade wirklich richtig?“ Der grau-blonde Riesenhüne, der mit dem Rücken zu ihm stand, drehte sich bei seinen Worten um und folgte Kens Fingerzeig aus dem Fenster heraus. In einiger Entfernung zu eben jenem war der Pool gerade ein Kriegsschauplatz zwischen zwei erwachsenen Männern, die sich vermutlich umbrachten, zumindest sah es auf diese Entfernung so aus. Ungeduldig trommelten Kens Finger auf der Anrichte, als er von dem Assistenten der Telepathin auf das Drama im Pool sah und dieser in seinem Augenwinkel wie gewohnt still schweigend den Kopf schüttelte. „Sie werden sich nicht umbringen“, antwortete anstelle dessen die Telepathin, die nun in Begleitung eines zögerlichen Omis ebenfalls den Raum betrat. Ken hob die Augenbraue, als er von einer zum anderen schaute und feststellte, dass die Haare der beiden um die Wette aus jeder Ordnung ausbrachen, die es jemals gegeben hatte. „Woher wissen Sie das?“ „Ich kenne meine Brut“, grinste die Schottin und Ken hob äußerst zweifelnd die Augenbraue. Er auch und er wusste, wie ruchlos und tödlich Crawford war. „Was ist denn?“, fragte Omi mit einem Stirnrunzeln und der Hüne deutete nach draußen, wo gerade eine Wasserfontäne über den Rand schwappte und Ayas dunkelroter Schopf für einen Moment triumphierend auftauchte, bevor er bedingt durch Crawfords entschlossenen Gesichtsausdruck beinahe ebenso schnell wieder untertauchte. Zweifelnd ruhten die blauen Augen ihres Jüngsten auf ihm und Ken konnte sich ein Grinsen nicht ganz verkneifen, mit der Omis nachdenklichen Blick bedachte. „Was tun sie da?“, fragte ihr Taktiker in den Raum hinein, wie immer niemals direkt an die Frau, die ihnen allen einen Schauer über den Rücken jagte, Omi jedoch ganz besonders. „Ihr Anführer hat den Anführer unseres Teams in den Pool gezogen und seitdem ringen die beiden Männer recht erfolglos um die Vormachtstellung“, erwiderte der Hüne, der mit ihm nicht sprach, mit trockenem Humor und Siobhan lachte neben ihm laut auf. „So könnte man es nennen“, murmelte Ken und wuschelte Omi durch die Haare, der immer noch nicht so aussah, als würde er sich damit wohlfühlen. Wie auch? So amüsant der Anblick des Herumalberns da draußen war, es war immer noch Crawford, mit dem Aya dort rang. Die Erinnerungen, die Omi an das Geschehene mit sich herumtrug, würden so schnell nicht verblassen, egal, wie sehr sich der Schwarz entschuldigt hatte. Dass er es überhaupt getan hatte, wunderte Ken auch heute noch. Niemals hätte er gedacht, dass das Orakel Manns genug war, einen Fehler einzugestehen. Aber… es war passiert. Ebenso wie die Verbindung ihrer beider Anführer passiert war. Es gehörte schon eine gehörige Portion Dummheit dazu, das nicht zu bemerken. Wen Ken näher darüber nachdachte, dann hatte das alles vermutlich seinen Anfang in der Undercovermission genommen und verfestigte sich nun von Tag zu Tag. Dass das ein Problem für Omi war, war offensichtlich und nur zu verständlich. Als hätte ihr Jüngster seine Gedanken gehört, gab er einen Laut des Unverständnisses von sich. „Ich habe ihn noch nie so ausgelassen erlebt“, sagte er wie zu sich selbst und es war Siobhan, die nickte. „Dito.“ Ken hatte das Gefühl, dass sie nicht wirklich von Aya sprach und bekam das Momente später mit einem wolfartigen Grinsen bestätigt. „Ich verstehe das nicht“, stellte er sein Unverständnis zur Diskussion. „Schicksal“, mutmaßte die Frau neben ihm und er hob zweifelnd die Augenbraue. „Mit etwas Nachhilfe oder was?“ Sie lachte. „Ich sicherlich nicht.“ „Schuldig?“ „Im Leben nicht“, mischte sich eben jener ein, der unbemerkt hinter ihnen die Küche betreten hatte und Omi herumfahren ließ. Wortlos trat Ken an ihren Jüngste heran und gab ihm alleine durch seine Anwesenheit zu verstehen, dass er hier nicht alleine war im Angesicht der drei Kritikeragenten. Doch Schuldig schien von ihnen keine weitere Notiz zu nehmen, als er an den Kaffeevollautomaten herantrat und mit einem ausgiebigen Gähnen seine Tasse darunter stellte. Mit schlafwandlerischer Sicherheit traf er den Knopf für Kaffee und grunzte, als ihm das System anzeigte, dass es keine Bohnen zum Mahlen hatte. „Thomas, wo finde ich den Kaffee?“ „Im Wald.“ Das brachte dem sonst so schweigenden Assistenten die Aufmerksamkeit fast aller Anwesenden ein. Nur Siobhan schwieg mit einem breiten Grinsen, das sie damit kaschierte, indem sie ihren Kopf in den Kühlschrank steckte. „Im. Wald“, wiederholte Schuldig und hob die Augenbraue. Sein Blick machte sehr deutlich, dass er keine Lust hatte, frühmorgens verarscht zu werden und Ken gönnte ihm jede Sekunde dessen. Vielleicht war der Hüne doch nicht ganz so unsympathisch. ~Fresse, Hidaka. Bleib auf deiner Seite des schwarz-weiß-Tisches.~ Als wenn. „Der Ire ist am frühen Morgen mit einem Buch in die Küche gekommen und hat die Bohnen in eine Schüssel gefüllt. Damit hat er dieses Haus in Richtung Wald verlassen und ist bis jetzt nicht wiedergekommen“, erwiderte Thomas in einer nüchternen Wiedergabe der Informationen und Ken glaubte nicht richtig zu hören. Einen Reim darauf machen konnte er sich erst recht nicht. Wieso sollte Farfarello mit den Bohnen in den Wald gehen? Was gab es da für einen Anlass, außer eben, dass er verrückt war und seine Gedanken sich einem normalen Menschen nicht erschlossen? Schuldig grollte und fluchte in – so vermutete Ken – nicht nur einer Sprache. Omi beobachtete das von seiner Seite aus schweigend und angespannt, insbesondere, da der Telepath sich nun mit brennendem Blick an Thomas wandte. „Aber wir haben doch sicherlich ein Geheimversteck mit Ersatzbohnen, weil alle hier anwesenden Rosekreuzagenten von dem Spleen dieses Irren wissen, nicht wahr?“, frage er lauernd, doch der Assistent schüttelte seelenruhig den Kopf. Schuldigs darauffolgender Laut gellte wie der Grunzen eines verwundeten Tieres durch die Küche, während er sich fluchend die Haare raufte. Ken würde lügen, wenn er behaupten würde, dass er den Anblick dessen nicht in vollen Zügen genoss. ~~**~~ „Sind sie denn dann noch gekommen?“ „Nachdem ich sie noch zweimal daran erinnert habe, dass wir einen Termin haben, ja. Aber der Einbau selbst ist reibungslos verlaufen. Jetzt kann der Winter kommen und es ist endlich wieder warm im Haus.“ „Von wann waren die alten Fenster?“ „Aus den 70ern, schätze ich. Nicht zu vergleichen mit den heutigen Standards.“ „Dann wurde es Zeit, sie auszutauschen.“ „Höchste Zeit, das sage ich dir. Und wir haben jetzt ein Gartenhaus.“ „Wie kommt das?“ „Ich hatte Lust darauf, eins zu bauen. Dein Bruder hat mir eine Anleitung aus dem Internet besorgt und dann habe ich angefangen. War ein gutes Projekt für den Frühsommer.“ „Mir scheint, als forderten dich deine Studenten nicht genug.“ „So würde ich das nicht nennen. Ich habe tatsächlich ein paar Hoffnungsschimmer unter den desinteressierten Gesichtern, ein paar kluge Köpfe.“ „Das hast du auch über Alan gesagt, bevor er das Studium abgebrochen hat um Buchhändler zu werden.“ „Alan?“ „Aileenes Freund. Du erinnerst dich?“ „So heißt er? Ich nenne ihn immer den Langweiler.“ „Sag das nicht Aileene.“ „Habe ich schon. Deswegen ist sie nach Thailand gegangen.“ „Dieses unwesentliche Detail hat mir Mutter verschwiegen.“ „Hatte sie eine gute Reise?“ „Ich denke. Hat sie darüber nichts gesagt?“ „Das musst du noch fragen? Hat sie das je getan?“ „Nein. Sie singt im Übrigen wieder.“ „Das ist schön. Ich höre sie gerne singen.“ Crawford seufzte tief und schloss für einen Moment seine Augen. Er ließ seinen Kopf auf das Polster seines Schreibtischstuhls zurücksinken und lauschte der tiefen, entspannten Stimme seines Vaters, der am anderen Ende der Welt einen Moment Zeit gefunden hatte, mit ihm zu telefonieren. Nach der gestrigen Nacht hatte er tatsächlich zuhause angerufen. Seine Gabe hatte ihm bereits verraten, dass sein Vater abnehmen würde, daher konnte er keine Ausflüchte finden um es nur kurz klingeln zu lassen und dem Schmerz zu entgehen, den ihm die Stimme William Crawfords bescherte. Er hatte nicht gedacht, dass die Sehnsucht nach seinem Vater so groß sein würde, nicht nach all den Monaten, in denen sie sich nicht gesehen hatten. Nicht vor dem Hintergrund der drohenden Neutralisierung, die ihm all seiner Erinnerungen und Gefühle berauben und ihn zu einer Marionette für seinen Puppenspieler machen würde. Er wünschte sich tatsächlich, dass er seinen Vater noch einmal sehen würde, sich mit ihm auf ein Glas Wein an ihren Kamin zurückziehen, mit ihm über Weltpolitik und Geschichte diskutieren könnte wie in alten Tagen. „Was ist los mit dir, Brad? Du rufst doch nicht einfach nur zum Plaudern an.“ Die Art, wie sein Vater seinen Namen aussprach, war einzigartig und selbst das hinterließ einen Stich an Nostalgie und Heimweh in ihm. Die Leichtigkeit und Mühelosigkeit, mit der er die gespielte Nonchalanz durchblickte, war beruhigend und beängstigend zugleich. Wieder seufzte Crawford. „Es ist gerade etwas stressig hier in Japan, viel zu tun. Es ist schon Monate her, dass wir miteinander gesprochen haben“, gab er dann zu ohne wirklich etwas zu verraten. Sein Vater wusste um seine Gabe, wusste um Rosenkreuz, wusste, dass er als Berater und Beschützer eines wichtigen Politikers in Japan stationiert worden war…mehr aber auch nicht. Garantiert wusste er nichts über die jüngsten Geschehnisse, insbesondere nichts vom Auftrag seiner Frau, seinen eigenen Sohn zum Schlachter zu führen. Das würde ihn brechen und wenn Siobhan eines nicht wollen würde, dann ihr Eheglück zerstören. Lieber log sie ihren Mann an als dass sie ihre Ehe zerstören würde. Und Crawford wusste, dass er selbst nichts sagen durfte, nicht, wenn es um das Glück seiner Geschwister und seines Vaters ging. Weder von dem, was passiert war noch von dem, was passieren würde. So zwang er sich zu lächeln, damit man das Lächeln auch in seiner Stimme hören konnte. Damit Siobhan William irgendwann unter Tränen mitteilen konnte, dass ihr Ältester in Ausübung seiner Aufgabe getötet worden war. „Aber das ist nicht alles, was dich bedrückt.“ Es war erschütternd, wie ein einziger, ruhig ausgesprochener Satz seine Beherrschung zerbrechen lassen konnte. Das Lächeln zerschellte an seinem Unvermögen, das Geschehene in den hinterletzten Winkel seines selbst zu verbannen. „Nein, ist es nicht, Dad, aber ich möchte jetzt nicht darüber sprechen.“ Er hörte das nachsichtige Lächeln am anderen Ende der Leitung selbst über die tausende an Kilometern, die sie trennten. Er sah es aus seinen Erinnerungen heraus. „Habe verstanden, Brad. Aber wenn dir danach ist, dann reden wir, okay?“ Das schätzte er an seinem Vater: diese fehlende Aufdringlichkeit, was die Sorgen und Nöte seines Sohnes anging, die so ganz im Gegensatz zu der telepathischen Aufdringlichkeit seines Mutter standen. Crawford schwieg eine lange Zeit, wog die Worte in seinen Gedanken ab, wollte sie nicht äußern und doch verließen sie schließlich seine Lippen, bevor er sich selbst stoppen konnte. „Dad?“ „Ja?“ „Ich…wollte dir danken. Für alles. Dafür, dass du du bist.“ „Okay Brad, jetzt machst du mir wirklich Sorgen!“ „Weil ich Danke sage?“ „Das hast du in deinem bisherigen Leben nicht getan.“ „Lüge.“ „Garantiert nicht.“ „Aber tatsächlich doch.“ „Wer von uns beiden ist der Mathematiker mit dem ausgezeichneten Gedächtnis?“ Crawford grollte, als er seinem Vater den Sieg überlassen musste. Er grollte gleich noch einmal, als er das Nächste bereits vorhersah und die Augen rollte. „Deine Mutter erzählte mir, dass es da jemanden gibt…“, stellte sein Vater in den Raum und Crawford rieb sich aufstöhnend die Nasenwurzel. Das war doch nicht möglich. Nein, da gab es niemanden. Fujimiya konnte froh sein, dass er nicht mit dem Gesicht nach unten im Pool trieb. „Deine Frau ist eine telepathische Plaudertasche und lügt noch dazu.“ „Deine Mutter meinte, es wäre ein Er.“ „Deine Frau überinterpretiert Dinge.“ „Deine Mutter meinte, er wäre Japaner.“ „Deine Frau mischt sich da in Dinge ein, die sie nichts angehen.“ „Deine Mutter meinte, er wäre eine Art moderner Samurai.“ „Deine Frau…“ „Sie hat mir ein mentales Bild von ihm geschickt.“ „Dad!“ Sein Vater lachte sein warmes Lachen und Crawford starrte aus dem Fenster, verfolgte Jeis Weg aus dem Wald zurück in das Haus mit der halb leer gegessenen Schüssel an gerösteten Kaffeebohnen, welcher ihm in diesem Moment eine willkommene Abwechslung war vor dem Unbill und der Resignation, die in ihm schwelten. Er beschloss abzulenken. „Deine Frau möchte im Übrigen, dass du Großvater wirst.“ Dass das seinen Vater überraschte, stimmt Crawford zufrieden. Zumal es das leidige Thema Fujimiya vom Tisch wischte – vorerst. „Wie meinst du das, Brad?“ „Sie hat vorgeschlagen, dass ich Nagi adoptiere.“ „Den kleinen Japaner, den du ausbildest und vor ihr versteckst?“ „Exakt.“ „Ich wusste gar nicht, dass ihr euch so nahe seid.“ Crawford zögerte mit der Antwort. „Es hat sich über die Zeit ergeben.“ „Wie schön. Wenn dir das Thema wichtig genug ist, es hier aufzubringen, gehe ich davon aus, dass ich bald ein neues Familienmitglied begrüßen darf. Ich sage schonmal herzlichen Glückwunsch zur Vaterschaft, dann. Ich freue mich darauf, dass ihr Weihnachten vorbeikommt.“ Der Schmerz, welcher ruckartig in seinem Inneren aufwallte und stetig tobte, war beinahe unerträglich. Crawford schloss die Augen um ihn zu kompensieren, er ballte seine freie Hand zur Faust und presste die Lippen aufeinander, um keinen Ton zu veräußern. Die Wahrscheinlichkeit, dass es kein Weihnachten geben würde, zumindest nicht für sie beide, war greifbar. Stand jetzt würde er noch nicht einmal die nächsten sechs Wochen überstehen. „Ich würde mich auch freuen“, erwiderte er wahrheitsgemäß, da er wusste, dass sein Vater eine Lüge durchschauen würde. Er würde sich tatsächlich freuen, wenn es so wäre. „Ach Brad…“ Sein gottverdammter Vater war zu klug für ihn. Crawford hörte an dem Ton, dass sein Vater ganz genau wusste, dass auch hier etwas nicht stimmte. „Ich muss Schluss machen. Wir fahren gleich auf einen Auftrag“, lenkte er ab. „Pass auf dich auf.“ „Immer. Du auch.“ „Immer. Ich liebe dich, mein Sohn.“ Crawford erstarrte in seiner Bewegung, aufzustehen und überlegte einen Moment. Der letzte Satz seines Vaters hatte ihn unvorbereitet getroffen und zugegebenermaßen kalt erwischt. Noch nie hatte er es erwidert, warum also jetzt? Weil es vermutlich das letzte Mal war, dass sie miteinander sprachen? Weil er nie wieder die Gelegenheit haben würde, es seinem Vater zu sagen? Weil…Aber er war nicht emotional. Oder sentimental. Emotionen hinderten ihn daran, das zu tun, was er tun musste. Emotionen schafften Bindungen, Bindungen Abhängigkeiten, Abhängigkeiten machten erpressbar. Wer erpressbar war, war schwach. Dennoch. Crawford lächelte schließlich. „Ich weiß, Dad. Ich weiß…“ Sie verabschiedeten sich und er legte auf, ließ für lange, schweigsame Momente das Telefon auf seinem Oberschenkel ruhen. Blind starrte er nach draußen, versunken in Gedanken und Emotionen, die er nicht haben wollte, nicht brauchen konnte und die ihn dennoch ohne Gnade überfielen. So war es auch Widerwillen, der ihn überfiel, als sich in seinem Rücken die Tür öffnete, jemand hineintrat und die Tür wieder schloss. Schritte kamen zu ihm, um seinen Schreibtisch herum und alles in Crawford schrie nein, er wollte in diesem Moment keine Gesellschaft, er wollte nicht gestört werden, er wollte nicht in die Augen seiner Mutter schauen, die ihn schweigend betrachtete und nun ihre Hand nach ihm ausstreckte. Er wich ihr aus. ~Lass mich~, schickte er ihr die Warnung, die er nicht laut veräußern konnte, da er seiner Stimme nicht traute. ~Ich bin nicht hier, um dir wehzutun~, klangen ihre Gedanken in seinen beinahe traurig. ~Ich möchte dir nur etwas Gutes tun.~ ~Dafür ist gerade nicht der richtige Zeitpunkt, Thanatos~, erwiderte Crawford und erhob sich, drehte sich weg von ihr. ~Wir brechen bald auf. Es ist keine Zeit für Sentimentalitäten.~ ~Ich bin nicht als Thanatos hier, Bradley.~ ~Im Krankenhaus warst du es. In meiner Vision wirst du es sein. Ich würde es vorziehen, wenn wir das gerade jetzt auch dabei belassen, es macht es einfacher.~ Nun war es doch die Hand seiner Mutter, die sich eisern auf seinen Oberarm legte und ihn zu ihr herumdrehte. ~Du kennst die Regeln~, tadelte sie ihn und er nickte. ~Habe ich mich darüber beschwert?~ ~Du zürnst mir wegen deines Vaters.~ Crawford presste den Kiefer aufeinander und ballte die Hände zu Fäusten. Wieder entzog er sich der Berührung. ~Es steht mir nicht zu, der Dame des Hauses zu zürnen.~ ~Aber deiner Mutter.~ ~Das mag sein.~ ~Lass mich für dich da sein.~ ~Nicht jetzt.~ ~Bradley…~ „Nicht jetzt, Mutter“, erwiderte er kalt und starrte ihr wütend von oben herab in die Augen. Erst, als er den Schmerz auf ihrem gezeichneten Gesicht sah, wurde er für einen Moment ruhiger, weniger zornig. Er akzeptierte ihre mütterliche Sorge, auch wenn es ihm schwerfiel mit allem, was geschehen würde. „Wir reden später.“ Sie nickte. Gott sei Dank nickte sie und erleichtert vergrub Crawford seinen Kopf in seinen Händen, als sie das Zimmer verließ und die Tür hinter sich schloss. ~~~~~~~~~~~~~~ Wird fortgesetzt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)