Die Farbe Grau von Cocos ================================================================================ Kapitel 29: Entscheidungen -------------------------- Die unterschwellige Anspannung beim Essen war nun wieder offen präsent, als sie nach der Nachspeise auf Perser und Manx warteten. Schwarz hielt sich von ihnen fern und Omi war dankbar darum. Alleine der Gedanke, dass Crawford und Schuldig sich in der Nähe befanden und keine Sicherheitskräfte von Kritiker zwischen ihnen standen, machte ihm mehr zu schaffen, als er es zuzugeben bereit war. Und da hatte er noch nicht einmal Farfarello und Naoe in der Rechnung, die er mit aller Gewalt ausblendete, auch wenn Naoe trotz seiner Handlungen und den Schmerzen, die er Omi zugefügt hatte, etwas Anderes war. Beinahe schon unterwürfig war der Telekinet seinem Anführer gegenüber gewesen beim Essen. Die meiste Zeit hatte er seinen Blick gesenkt gehalten und nur dann reagiert, wenn er direkt angesprochen oder zu etwas aufgefordert worden war. Seiner Kraft hatte er sich kein einziges Mal bedient und die Haltung war im besten Fall als zusammengesunken zu bezeichnen, wenn nicht sogar als devot, insbesondere bei seinen Seitenblicken in Richtung des Orakels, das ihn pointiert ignorierte. Was bei Omi die Frage aufwarf, ob Naoe dafür bestraft worden war, was er Crawford angetan hatte. Oder ob es noch geschehen würde. Sicherlich… ein Mann wie das Orakel ließ so etwas nicht ungestraft mit sich machen, wusste Omi aus eigener Erfahrung. Wenn er schon auf Worte so reagierte, dann war Folter sicherlich ein Grund für vernichtende Rache, auch wenn der Telekinet sicherlich nicht aus freien Stücken so gehandelt hatte. Verletzt schien Naoe aber nicht zu sein, zumindest nicht offensichtlich. Doch irgendwie hatte Omi Zweifel daran. Warum sollte das Orakel ihn darum bitten, Naoe zu retten, warum sollte er sein eigenes Leben für den jüngsten Schwarz opfern, wenn er ihn dann strafte? Das bedeutete aber nicht, dass jemand Anderes es nicht tun würde. Omi runzelte die Stirn ob des Mitleides, das er mit Naoe hatte, aber nicht haben sollte. Nur weil gerade jetzt dessen arrogante und kühle Persona zugunsten eines exakt zu beziffernden Traumas verschwunden war und einen ängstlichen, jungen Mann zurückließ, hieß das nicht, dass er sich davon einfangen lassen sollte. Das wäre ein großer Fehler, den Aya genauso und nicht anders bei Crawford gemacht hatte. Seufzend wusch er sich die Hände und löste sich von seinem Spiegelbild, das ihm entgegenstarrte, den weitläufigen Raum im Rücken. Ihr Wohnzimmer im Koneko war genauso groß wie dieses Bad und es frustrierte ihn beinahe, dass er sich mit Gedanken an den jüngsten Schwarz ablenken musste, um nicht vor Angst gar nicht mehr von der Seite seines Teams zu weichen und so seinen dringenden, körperlichen Bedürfnissen eine Absage zu erteilen. Aber er hatte es hinter sich gebracht und stählte sich nun für den Weg nach unten, zurück zu seinem Team. Vorsichtig schloss er auf und öffnete er die Tür, trat in den Gang im Obergeschoss des Hauses hinaus. Mit einem schnellen Blick nach rechts in Richtung Schlaftrakt stellte er fest, dass niemand dort war, der Blick nach links ließ ihn einen Moment später erstarren. Crawford stand auf dem Flur und die kalten, hellbraunen Augen maßen ihn dunkel. Omis Herz brauchte nur den Bruchteil von Sekunden, um brachial schnell bis in seinen Hals hinein zu schlagen. Wie gelähmt starrte er den Schwarz schweigend an, bevor er den ersten, zusammenhängenden Gedanken fasste. Crawford hatte anscheinend geduscht, so nass, wie seine Haare waren und so frisch, wie er selbst auf die Entfernung roch. Ungebetene Erinnerungen an ihre gemeinsame Zeit bei Lasgo drängten sich Omi auf und beinahe schon verzweifelt holte er sich aus eben jenen, indem er sich auf das Äußerliche des Mannes vor ihm konzentrierte. Die dunkelblaue Kleidung, die er trug, war immer noch außergewöhnlich leger, all das milderte aber mitnichten das schmerzhafte Pochen der Angst in seiner Brust. Das Orakel versperrte ihm den Weg nach unten. Von hier aus konnte er sie nicht hören, sie ihn sicherlich auch nicht und Omi fragte sich unwillkürlich, ob die Frau, die ihn hier hoch geschickt hatte, ihm bewusst diesen Raum genannt hatte um ihn in die Arme des Schwarz zu treiben. Er war alleine und stand dem Mann gegenüber, der ihm weit überlegen war und dessen Nähe alleine schon ausreichte, um seinen Herzschlag rasen und seine Atmung hektischer werden zu lassen. Omi senkte seinen Blick, imitierte instinktiv die Geste es Telekineten. „Ich möchte gerne durch“, wisperte er, in der Hoffnung, dass es ausreichte. Er irrte. Natürlich. „Komm mit“, erwiderte Crawford mit eben jener Gewohnheit, Befehle zu erteilen, in seiner Stimme, dass es Omi mühelos in die Augenblicke zurückwarf, in denen er dem anderen Mann hilflos vor ihm ausgeliefert gewesen war. Omi schreckte hoch und seine Augen fuhren wider besseren Wissens zum Gesicht des Schwarz. Der Blick des anderen Mannes war unleserlich und kalt, gab keinen Aufschluss darauf, was er vorhatte. Omi wollte nicht, er konnte nicht, er war nicht bereit dafür… „Bitte“, flehte der junge Weiß und krampfte seine Hand zur Faust. „Ich möchte nach unten.“ Seine Augen weiteten sich, als Crawford einen Schritt auf ihn zutrat und er sich bewusst wurde, dass er rein gar nichts dagegen ausrichten konnte, wenn das Orakel ihn dazu zwingen würde, seinem Befehl Folge zu leisten. Ohne Zweifel hatte er genau diesen Moment abgepasst, sein Team war unten und wurde von dem Rest von Schwarz in Schach gehalten. Er konnte Crawford nur weiter wütend machen, indem er sich dessem Befehl nicht fügte. Wer wusste schon, was das Orakel und Schwarz mit seinem Team anstellten, wenn er sich weigerte? „Komm mit“, wiederholte Crawford, ruhiger dieses Mal, doch nicht weniger befehlsgewohnt. Nein, Gegenwehr hatte definitiv keinen Sinn und so nickte Omi schließlich stumm und folgte ihm unsicher den Gang hinunter, weg von der Treppe, weg von seinem Team. Der Amerikaner…Schotte… führte sie in einen Raum, den Omi erst mit Schließen der Tür als ein Schlafzimmer identifizierte. Crawfords Schlafzimmer, das so sehr nach dem Orakel roch, dass es Omi vor Angst kalt den Rücken hinunterlief. Wieder richtete er seinen Blick auf alles, nur nicht auf den Mann, der ihm verboten hatte, ihn anzusehen. Lieber sah er auf den schwarzen, glatt polierten Holzboden, der ihn beinahe spiegelte, während die weißen Lackmöbel in seinem Augenwinkel einen abstrakten Kontrast boten, den er sonst vielleicht zu schätzen gewusst hätte. Nun verdeutlichte ihm eben dieser, dass er sich in feindlichem Territorium befand. Alleine. Mit dem Mann, dem er weit unterlegen war. Ein panischer Laut entwich Omis Lippen, als er einen Schritt zurücktrat, noch einen, einen dritten, bevor er an die Wand stieß darauf wartete, dass Crawford den ersten Schlag tat. Oder Schlimmeres. Doch nichts geschah. Anstelle dessen hörte er, wie der andere Mann sich auf das Bett setzte und er wagte einen vorsichtigen Blick in Richtung Orakel. Eingedenk seiner durch Naoe erlittenen Verletzungen ließ der Schwarz sich langsam auf dem Bett nieder und lehnte seine Ellbogen vorsichtig auf die Oberschenkel. Ruhig sah er ihn an und unwillkürlich fuhr Omis Blick zu den heilenden Wunden an den Handgelenken und Unterarmen, sehr wohl um die anderen Schnitte und Verwundungen wissend, die Crawford unter dem schlichten Shirt verbarg. Ruckartig senkte Omi seinen Blick wieder, als die hellbraunen Augen seinen Blick einfingen und begriffen, wo er hinstarrte. „Ich werde dich nicht dafür schlagen, dass du mich ansiehst“, drang die kalte Stimme des Orakels zu ihm, eine Reminiszenz an ihrer beider Vergangenheit, die so frisch hochkochte, dass es Omi so vorkam, als läge die jüngste Katastrophe nicht zwischen ihnen. Als wäre es gestern gewesen. „Wofür dann?“, fragte er leise und Stille trat zwischen sie. Crawford gab ihm keine Antwort auf seine verzweifelte Frage, sondern musterte ihn schweigend. Omi wusste nicht, was ihm lieber gewesen wäre. „Du hast Kontakt zu Schuldig aufgenommen“, sagte Crawford schließlich, ohne auf seine Frage einzugehen und Omi nickte eingeschüchtert. War das gut oder schlecht? Hatte er etwas falsch gemacht? War es zu spät gewesen? „Zusammen mit Schuldig hast du uns alle drei gerettet.“ Wieder nickte Omi vorsichtig. Was sollte er auch anderes sagen. So war es nun einmal, auch wenn er sich im Nachhinein nicht mehr sicher war, wie er es geschafft hatte und ob es die richtige Entscheidung gewesen war, wenn Crawford ihn nun umbrachte oder schlimmer, dafür strafte. „Warum sollte ich dich dafür schlagen?“ Omi zuckte zusammen und schloss gepeinigt die Augen. „Dafür nicht.“ „Wofür dann?“, spiegelte Crawford mit einem nachdenklichen Blick seine Frage und Omi konnte im ersten Moment keine Antwort geben. „Für…für…für das, was ich getan habe“, presste er dann hervor. „Du meinst, was in dem Zimmer geschehen ist?“ Ein elendiges Wimmern entkam Omi und Crawford runzelte kurz die Stirn. Wie wenig sie doch beide aussprechen konnten, was wirklich passiert war. „Ich wollte das nicht. Ich habe mir nur einen Plan zurechtgelegt. Ich wollte dich eigentlich gar nicht anfassen und…“, brach es aus Omi heraus. Nichts von seiner dort gespielten Sicherheit war übrig geblieben. Gar nichts. Er machte eine allumfassende Handbewegung, doch Crawford brachte ihn mit einer knappen Geste zum Schweigen. Unsicher verharrte Omi. „Ich trage es dir nicht nach. Nichts davon.“ Abrupt sah der Weiß hoch. Unglauben tränkte seine Augen und ließ sie weit werden vor Fragen, die er nicht veräußern konnte, weil seine Lippen wie versiegelt waren vor Angst. Lange gewährte Crawford Omi einen Einblick in seine Augen, in denen hinter der Kälte durchaus Leid schimmerte, das auch er verursacht hatte. Das wegen ihm verursacht worden war. „Ich bin dir dankbar, dass du deinen Teil des Handels gehalten hast. Ich bin dir dankbar, dass du Nagis Leben gerettet hast. Dass du mich ebenfalls gerettet hast, addiert meine Schuld deiner Person gegenüber noch auf.“ Omi brauchte etwas, bis er verstand, was ihm Crawford damit sagen wollte. Er verstand, welche Macht der Schwarz ihm in die Hände legte, hatten sie doch nie wirklich ausdefiniert, was Omis Forderung für das Leben der beiden Schwarz war. Alleine mit dieser Feststellung kehrte so etwas wie Ruhe in ihn und sein Gehirn schaffte es endlich, wieder in geordneten Bahnen zu denken. Es ließ ihn blinzeln und brachte damit unnötige und ungewollte Feuchtigkeit in seine Augen, die im eklatanten Gegensatz zu seiner ausgedörrten Kehle stand. „Wir haben dich gefoltert“, wechselte Crawford abrupt das Thema und Omi zuckte brachial zusammen. Die eiserne Disziplin, mit der er sich bislang vor unvernünftiger, bodenloser Panik bewahrt hatte, verlor sich abrupt und hinterließ pure Angst, vor den Worten und vor den Erinnerungen. Wie grausam sich die schlichten Worte ausgesprochen anhörten. Crawford maß ihn schweigend wie auch durchdringend und Omi wurde abrupt zurückgeworfen in seine Erinnerungen an Gewalt und Leid in dem kalten Keller. Diese hellen Augen hatten sich in sein Denken gefressen, wenngleich er schließlich nicht mehr gewagt hatte, dem Orakel in die Augen zu sehen, als dieser das Leben aus ihm herausgeprügelt hatte. Irgendwann…irgendwann hatte er gehofft, dass Crawford dieses Zeichen der Unterwerfung anerkennen würde, doch der Amerikaner hatte nicht aufgehört…ihn zu quälen. Eben jener räusperte sich und zog so Omis Aufmerksamkeit wieder in die Gegenwart. „Ich werde nun nur für mich sprechen. Zu dem betreffenden Zeitpunkt war ich nicht ich selbst und habe Entscheidungen getroffen, die ich nicht hätte treffen sollen. Ich habe dich für etwas bestraft, was du nicht getan hast. Für etwas, das du nicht wissen konntest und was du nicht zu verschulden hattest.“ Stille schwelte zwischen ihnen und Omis Augen waren weit vor Unglauben. Crawford… gab zu, dass es nicht richtig gewesen war? Heiß und kalt durchlief es ihn und mittlerweile zitterte Omi unkontrolliert, als hätten seine Muskeln die Herrschaft übernommen und er keine Kontrolle mehr über seinen Körper. Omi betete, dass das kein grausames Spiel war, was der andere Mann mit ihm trieb. Er betete, dass Crawford es ernst meinte. Aber selbst wenn, was brachte es ihm und seinen Erinnerungen in den schlaflosen Nächten voller Angst? Was brachte ihm diese Rechtfertigung ein? Er konnte davon nichts tilgen, seine Erinnerungen nicht auslöschen, die ihn wieder und wieder überfielen… „Du hast mit Lasgo geschlafen.“ Ein Laut des Entsetzens entkam Omis Lippen und die Angst, die gerade so eben abgeflacht war, flammte nun wieder brachial auf. Genau dies war der letzte Satz gewesen, den Omi gehört hatte, bevor Crawford angefangen hatte, Stück für Stück das Leben aus ihm heraus zu prügeln. Hellbraune Augen betrachteten ihn schweigend wie auch nichtssagend. Beinahe schluchzte Omi vor Erleichterung. Es stand keine Wut in ihnen! „Du hast mit ihm geschlafen, ebenso wie ich auch. Du hast es freiwillig getan, ich nicht. Dich dafür zu bestrafen, war ein Fehler, den ich so nicht mehr machen werde.“ Ruhe strahlte von Crawford aus, Ruhe, die Omi verstörte…genauso wie ihn diese Worte verstörten in seiner Beinahepanik, die sich über alles schob, was er sich an brüchigen Schutzwällen angeeignet hatte. Tränen lösten sich aus seinen Augen, während Unverständnis in seinem Gesicht geschrieben stand. Crawford schnaubte verächtlich. „Er hat für dich die gleichen Kosenamen benutzt wie für mich.“ Omi wollte sich am Liebsten die Ohren zuhalten, wollte nichts mehr hören von diesen Vergewaltigungen, von dem Opfer, das Täter zugleich war. Er wollte sich am Liebsten hier und jetzt verkriechen und nicht mehr hervorkommen, bis Crawford damit aufhörte, ihm Dinge zu sagen, die Mitleid in ihm hervorbrachten und die ihn immer tiefer in ein emotionales Chaos stürzten, das er mitnichten bewältigen konnte. Wieso…wieso kam jetzt auch noch das dazu? Wieso genügte die Angst nicht? Die Schuld, die es zu begleichen gab? Wieso musste jetzt auch noch Reue mit dazukommen? Wieso? Omi schwieg, weil er nicht wusste, was er sagen sollte. Er schwieg, weil er Angst hatte, das Falsche zu sagen. „Und das ist der dritte Punkt, für den ich dir etwas schulde. Es liegt in deinem Ermessen, einen angemessenen Preis für mein fehlerhaftes Verhalten einzufordern. Wobei ich mir hier wie bei allen Punkten vorher ebenfalls die Einschränkung erlauben muss, dass keiner der Gefallen zum Schaden oder zum Verrat an meiner Organisation genutzt werden darf.“ Die hellbraunen Augen betrachteten Omi für einen Moment, dann erhob sich Crawford und der junge Weiß zuckte zusammen. Vor seinen Augen rasten die Erinnerungen an den Schwarz wüst hin und her, vermengten sich zu einer schwarzen zähen Masse, die ihn zu ersticken drohte. Crawford, wie er ihn folterte. Crawford, wie er seinetwegen, vor seinen Augen und von ihm misshandelt und gefoltert wurde. Bis hin zum jetzigen Schwarz, der vor ihm stand, die Augen ruhig, aber geschützt durch die Kälte, die Omis Angst so wunderbar nährte. Er schluckte schwer. „Ich…weiß nicht…“, begann er, konnte den Satz aber nicht fortführen. Er wusste nicht, was er fordern sollte. Er wusste nicht, was er erwidern sollte, wie er sich verhalten sollte. Hilflos sah er hoch, seine Finger in ewiger Unruhe gefangen. „Überlege es dir in Ruhe.“ Das war etwas, das er befolgen konnte. Das war leicht. Omi nickte hastig und wagte einen Blick zur Tür. Als wenn das Orakel seine Gedanken gelesen hätte, nickte er. „Geh, wenn du es willst. Du bist kein Gefangener in diesem Haus, Tsukiyono.“ Das war alles, was Omi brauchte, um vor dem Amerikaner, nein Schotten, zu fliehen, hinaus in die Sicherheit des Flures und die Sicherheit seines Teams, das unten auf ihn wartete. ~~**~~ Was auch immer es gewesen war, das Omi auf seinem Weg auf die Toilette und zurück erlebt hatte, es hatte ihn in gleichen Teilen unruhig und nachdenklich zu ihnen zurückgebracht. Was genau passiert war, darüber sprach ihr Taktiker nicht, sondern starrte nur gedankenverloren aus dem nahen Fenster des Wintergartens, den Weiß nach dem Essen okkupiert hatte. Ganz zum Missfallen des Telepathen, der sich mit einem kurzen Grollen und einem Lächeln der Exekutorin in das Wohnzimmer zurückgezogen hatte, von dem aus seit einer halben Stunde eine beruhigende Erzählstimme von ausländischen Zoos der ganzen Welt berichtete, untermalt von immer anderen Tierlauten. Kurz nachdem Aya gehört hatte, dass Farfarello sich murmelnd darüber beschwerte, hatte dieser bereits seinen Weg durch den Wintergarten in den Wald gesucht und war bisher nicht wieder aufgetaucht. Von Naoe und Crawford fehlte ebenfalls jede Spur, so war es ein Einfaches, sich vorzustellen, dass sie sich hier nicht inmitten der Höhle des Löwen befanden. Aya hatte sich an Omi ein Beispiel genommen und starrte seitdem hinaus in die verschwenderisch weitläufige Natur der Abendstunden, die ihn sich unwillkürlich fragen ließ, ob es überhaupt Zivilisation im näheren Umfeld des Anwesens gab. Aus seiner Richtung heraus konnte er das für die zurückgelegten Kilometer verneinen und das Meeresrauschen, das er von hier aus hörte, implizierte ihm, dass es auch auf der anderen Seite nicht wirklich bewohnt sein würde. Eine gut gewählte Position und alles in allem beinahe friedfertig. Wäre da nicht die greifbare und erstickende Anspannung, die erst recht nicht besser wurde, als der hünenhafte Assistent der Dame des Hauses mit entschlossenem Blick zur Tür ging und sie just in dem Moment öffnete, in dem der Wagen Persers vorfuhr. Durch seinen Fensterplatz konnte Aya sehen, wie dieser zusammen mit Manx ausstieg und kurz danach das Haus betrat. Aya vermeinte Sorge und Erschöpfung in den ernsten Gesichtszügen ihrer Agentin zu lesen, während Persers Gesicht eine Maske an eingefrorener Wut zu sein schien. „Weiß“, grüßte er in seiner gewohnt knappen Art so neutral, als würde gerade nicht seine komplette Organisation angegriffen werden. „Perser.“ Omi war er, der aus seinen Überlegungen aufgetaucht war und ihren Anführer mit einem seltsamen Unterton begrüßte, den Aya nicht genau zu beziffern vermochte. „Sie sind da!“, schallte es aus der Küche und keine Sekunde später stand Crawfords Mutter in der Tür, lächelte ein warmes Lächeln, das Aya ihr immer noch nicht recht glauben wollte. Im Gegenteil. Es schauderte ihn jedes Mal, wenn er sie sah, so wie ihn jedes Mal ein Gefühl von Sorge und latenter Angst vor ihr überkam. Aber auch das tat der Absurdität der Situation keinerlei Abbruch. Die eigene Mutter sollte ihren Sohn für sein Versagen bestrafen? Wie konnte eine Organisation das zulassen? Wie konnte sie es mit sich machen lassen? Unerheblich, befand Aya. Crawford sollte ihn genauso wenig interessieren wie seine Mutter oder Schwarz. Sollte. Auch jetzt schon wusste er, dass das frommes Wunschdenken war nach den letzten Tagen. Und als wenn er durch seine Gedanken den Teufel heraufbeschworen hatte, trat dieser nun langsam in den Wintergarten und musterte Perser stumm, bevor er sich ebenso schweigend ohne ein Wort des Grußes den Platz in dem noch freien Sessel am Kopfende des Kreises suchte. Angesichts der Tatsache, dass es Persers Organisation war, die Crawford die letzten Tage aufgepäppelt hatte, eigentlich ein Affront und vermutlich war es genauso gedacht. Andererseits behandelte er seine Mutter genauso und Aya kam nicht umhin, sich zu fragen, ob es etwas gab, das ihm bisher entgangen war. Außer dem Offensichtlichen natürlich. „Setzen Sie sich doch bitte“, holte die Dame des Hauses mit ihrer Freundlichkeit alles auf, was Crawford versäumt hatte. „Möchten Sie etwas trinken? Die Reise hierhin war lang und beschwerlich. Kaffee, etwas Alkohol?“ „Kaffee, wenn Sie so gut wären“, erwiderte Perser und lächelte zurück. Der Hüne – Thomas – nickte und verschwand erneut in die Küche. Abrupt erlosch währenddessen das Hintergrundgedudel aus dem Wohnzimmer und Schuldig streunte in den Raum hinein. Missbilligend musterte er die beiden, insbesondere Manx, und ließ sich in Crawfords Nähe auf der Couch nieder ohne seinen Anführer eines Blickes zu würdigen. Naoe tat es ihm gleich, den Blick immer noch gesenkt und die Haltung so demütig, wie Aya ihn noch nie gesehen hatte. Nicht einmal verließ sein Blick den langflorigen Teppich in dezentem Hellgrau. „Und wer fehlt mal wieder? Der Ire“, stöhnte Schuldig auf und Crawford lächelte dunkel. Spätestens dann, als es nicht Thomas war, der die Kaffeekanne in den Wintergarten brachte, sondern der Verrückte des gegnerischen Teams, von dem Aya sich lange nicht mehr sicher war, wie verrückt er im Vergleich eigentlich war. Mit festem Blick auf Manx, den diese ausdruckslos und angespannt erwiderte, stellte er die Kanne summend vor ihr ab. Aya sah, wie sie überrascht die Augenbrauen hob und dann kurz amüsiert schnaubte. Tassen, Löffel, Milch und Zucker folgten mit dem Assistenten, der erst Perser, dann den Rest schweigend bediente. Abends schwarz, morgens mit Milch und Zucker, kam es Aya ungebeten in den Sinn, als er sah, was für eine Tasse das Orakel erhielt und ein verächtliches Schnauben schlängelte sich durch seine Gedanken. ~Zum Kotzen…~ Aya hob über seiner eigenen Tasse die Augenbrauen. ~Wenn es dir nicht gefällt, bleib meinen Gedanken fern.~ ~Nein. Deine Erbärmlichkeit ist mir immer eine Warnung, nicht so zu werden wie du.~ Aya lächelte schmal, erwiderte aber nichts mehr darauf. Er ließ seinen Blick in die Runde schweifen und stellte sich zum wiederholten Mal die Frage, wie es möglich sein konnte, dass Feinde hier zusammensaßen, Kaffee tranken und eine gemeinsame Besprechung abhalten würden. Er hatte eine latente Vermutung, warum das so war, doch sein Innerstes wollte das nicht wahrhaben. Ganz und gar nicht. Ihm wurde nur bewusst, dass er im Gegensatz zu seinem Team wie selbstverständlich zu einer Kaffeetasse gelangt hatte, die von Schwarz bereitgestellt wurde. Und dass Weiß wie auch Perser und Manx das sehr wohl aufgefallen war. ~Gestehe es dir ruhig ein, dass du Schuld an der ganzen Scheiße hier bist. Wären du und dein dummes Handeln nicht gewesen, dann säßen wir nicht hier.~ Das Argument hatte Aya schon einmal gehört und seine Antwort war damals wie jetzt die Gleiche. ~Und du hättest keinen Anführer mehr.~ ~Ich komme auch ohne klar.~ ~Momentan kannst du dir ohne Hilfe noch nicht einmal die Schuhe zubinden.~ ~Du mich auch, Arschloch.~ ~Nein danke, ich stehe nicht auf Psychopathen.~ ~Sondern auf Hellseher.~ ~In deiner absurden Fantasie vielleicht.~ „Wären die beiden Herren so nett, ihre Aufmerksamkeit auf wichtigere Probleme zu lenken als auf sinnloses Beleidigungsgeplänkel?“, fragte die Rosenkreuzagentin zu sanft, um den unnachgiebigem Befehlston in ihrer Stimme zu verbergen und Aya nickte zähneknirschend. Sein einziger Trost an der Gänsehaut, die sich seine Arme entlang zog, war, dass auch Schuldig sich vornehm zurückhalten musste. Die Dame des Hauses nickte Perser zu und er spiegelte ihre Geste mit einer Vertrautheit, die Aya die Stirn runzeln ließ. Seufzend lehnte er sich vor und suchte den Blick Crawfords, der ihn versteinert musterte. „Crawford-san, durch die Bereitschaft Ihrerseits, meine Agentin an Ihrer Vision teilhaben zu lassen und ihr mitzuteilen, dass das Gebäude zu räumen ist, haben Sie die Leben vieler Kritikeragenten gerettet. Dafür bin ich Ihnen dankbar. Ebenso dafür, dass Sie der hier anwesenden Einheit sicheren Unterschlupf gewährt haben.“ Er hielt inne und ließ seinen Blick über Weiß schweifen. Lange musterte Perser Aya und Schuldigs Worte kamen ihm in den Sinn. War er wirklich Schuld an dem Ganzen hier? Oder gar an dem Angriff auf Kritiker? „Bei der Explosion des Gebäudes gab es dank der rechtzeitigen Evakuierung keine Toten und lediglich vierzehn leichtverletzte Personen. Auch das ist Ihr Verdienst.“ Dort, wo Aya einen bissigen oder arroganten Kommentar erwartet hätte, verließ kein Wort die Lippen des schottischen Mannes. Im Gegenteil. Wenn es möglich war, noch unzufriedener und versteinerter auszusehen, dann gelang es Crawford just in diesem Moment. „Was gleichwohl bedeutet, dass Kritiker Sie bei der Jagd nach Ihrer Zielperson unterstützen wird.“ Überrascht zuckte Aya zusammen und es war Omi, dessen kalkweißes Gesicht davon zeugte, dass er die gleichen Gedanken hegte wie er selbst. „Wie sieht diese Unterstützung aus?“, fragte dieser gepresst, bevor Aya seine Lippen voneinander lösen konnte. „Infrastruktur, Material, Informationen, Personal.“ Sorgsam neutral, aber unumstößlich waren die Worte, die ihnen allen Unbehagen verursachten. Youji schnaubte belustigt. „Die armen Trottel, die Schwarz dabei unterstützen müssen“, warf er abschätzig ein und Aya hob die Augenbraue. Er musste nicht in Omis nunmehr kreidebleiches Gesicht und Crawfords blanke Ausdruckslosigkeit schauen um zu wissen, was unweigerlich kommen würde. „Diese Unterstützung wird solange gewährt, bis das Problem eliminiert wird.“ „Wer sagt Ihnen denn, dass wir Ihre Unterstützung überhaupt wollen?“, klinkte sich Schuldig in die Unterhaltung ein und Aya ahnte, was kam. Schwarz würden zu stolz sein um jedwede Form von Hilfe anzunehmen. Ganz ab von der Frage, ob sie es überhaupt verdient hatten, nach all dem, was vorgefallen war. Perser lächelte unfreundlich. „Ihre Krankenakten sagen es mir, Mastermind. Ihr Telekinet ist noch nicht wieder einsatzbereit. Seine Gabe ist unstet und instabil, die Mangelernährung der letzten Tage führt gleichwohl dazu, dass er körperlich nicht stark genug ist um ein längeres Nutzen seiner Kraft unbeschadet zu überstehen. Ihr Hellseher hat seine Gabe ebenso nicht unter seiner vollen Kontrolle und ist körperlich angeschlagen durch die Folter, der er durch sein eigenes Teammitglied unterzogen worden ist. Eine reibungslose und vertraute Zusammenarbeit innerhalb Ihres Teams ist also ebenso in Frage zu stellen wie eine objektive Herangehensweise an die Zielperson zum jetzigen Zeitpunkt. Sie selbst, sind körperlich nicht in der Lage, sich gegen eventuelle Angreifer zu wehren, die Schwachstellen, die Sie durch Ihre ausgekugelte Schulter und Ihre angebrochene Nase besitzen, machen Sie zu einem Risiko. Der einzige Schwarz, der voll einsetzbar ist, sind demnach Sie, Berserker. Das ist vor dem Hintergrund der großzügigen sechs Wochen, die Ihnen verbleiben, um sich des Problems ein für alle Mal zu entledigen, eine schlechte Bilanz, mit Verlaub, um alleine die weitreichenden Geschäftsstrukturen der Zielperson auszuradieren.“ Die darauffolgende Stille war um ein Vielfaches unangenehmer, als es alleine die Worte bereits gewesen waren. Jeder von ihnen wusste, dass Perser mit seiner Analyse mehr als Recht hatte und keiner von ihnen wollte die Implikationen, die dem folgen würden, wirklich wahrhaben. „Warum ist die Rettung der Mitarbeiter aus dem Gebäude kein Ausgleich für das, was sie Aya und mir angetan haben?“, warf Omi schließlich ein, die Stimme rau und leise vor verzweifelter Wut. „Wieso ist es nötig, den Kontakt weiterhin aufrechtzuerhalten und dieses Sicherheitsrisiko in Kauf zu nehmen…gerade jetzt, wo Lasgo anscheinend beschlossen hat, Kritiker zu zerstören?“ Perser wandte sich an Manx und nickte ihr zu. Schweigend nahm sie eine Akte aus ihrer mitgebrachten Tasche und reichte sie Omi. „Wir haben die Reste des Sprengstoffes analysiert, mit dem das Gebäude in die Luft gesprengt wurde. Es handelt sich hierbei um eine Eigenkreation von Takatori Masafumi, die wir damals bereits sicherstellen konnten. Lasgo hat das Gebäude nicht in die Luft gesprengt, sondern Takatori Reiji.“ Aya schluckte. Wenn der verhasste Politiker dafür verantwortlich war, warum waren sie dann hier? Ausgerechnet bei dem Team, das für den Mann arbeitete? „Das ist eine sehr gute und spannende Frage, Fujimiya-san“, schmunzelte die Telepathin auf seine Gedanken hin. „Lassen Sie mich Ihnen diese beantworten. Darf ich, Shuichi-kun?“ Die vertrauliche Anrede jagte nicht nur Aya einen eiskalten Schauer über den Rücken, stellte er jetzt fest. Omis Lippen öffneten sich nutzlos, um sich kurz darauf wieder zu schließen und dann in stillem Entsetzen wieder zu öffnen. Ken schluckte schwer gegen den Unglauben an, der seinen Körper im eisernen Griff hatte und Youji bohrte seinen Blick in das Gesicht der Frau, die er beim Essen noch so freigiebig angeflirtet hatte. Selbst Crawford war von der vertrauten Wortwahl seiner Mutter ganz und gar nicht erfreut und, so stellte es Aya mit wachsendem Unwohlsein fest, ebenso überrascht. „Bei Takatori Reiji handelt es sich seit längerem um einen organisationsinternen Prüffall, da die Meinungen meiner Auftraggeber sich in einigen Punkten nicht mehr mit den Handlungen und Aussagen unseres Protegés decken. Insbesondere in der letzten Zeit ist es da zu Differenzen gekommen, die uns über unseren Weg hier in Japan haben nachdenken und zu der Erkenntnis haben kommen lassen, dass der bisher beschrittene, gemeinsame Weg einer Trennung würdig sein könnte. Insbesondere, da es vermehrt Hinweise darauf gibt, dass unser Protegé oder ein Mitarbeiter seiner Scheinfirma Verbindungen zu Lasgo hegt.“ Aya schluckte schwer und kam nicht umhin, Crawfords Reaktion bei diesen für ihn sicherlich ungeheuerlichen Neuigkeiten zu analysieren. Doch da war nichts. Das bleiche Gesicht war auf Ausdruckslosigkeit gepolt, nichts entkam den zusammengepressten Lippen. Lediglich die Hände ballten sich zu Fäusten, sodass sich die Haut weiß um die Knöchel spannte. Das Orakel hatte nichts hiervon vorhergesehen. „Wann hat der Rat die Entscheidung getroffen?“, presste er hervor und seine Mutter maß ihn stirnrunzelnd. „Als du mit der Zielperson aufgebrochen bist, wurde beschlossen, ihn engmaschiger zu beobachten und ihm die Unterstützung stückweise zu entziehen.“ Aya erinnerte sich an die Hämatome in Crawfords Gesicht, die er erst fälschlicherweise Schuldig zugeschrieben hatte. Takatori war es gewesen. Er erinnerte sich ebenso an den freien Oberkörper, den er in seinem Rausch nach Schuldigs Eingreifen im vernebelten Zustand gesehen hatte. Insbesondere an die Hämatome darauf. Sicherlich auch Takatoris Werk. Rosenkreuz hatten also zugelassen, dass eine Person, die sie sowieso schon kritisch beobachteten, dem Anführer ihrer stationierten Einheit auch noch weiterhin körperlich zusetzte. „Sind die Verbindungen zur Zielperson sicher?“, fragte Crawford nach und Aya wusste, dass die Ruhe, die diese innehatte, mitnichten das war, was sie zu sein schien. Es würde ihn nicht wundern, wenn das Orakel innerlich tobte vor Wut. „Nein, das gilt es herauszufinden, damit wir eine finale Lösung anstreben können. Bisher geht es lediglich darum, ihm unsere Unterstützung zu entziehen.“ „Eine finale Lösung wollen wir seit Jahren“, warf Ken und die Dame des Hauses nickte ihm zu. „Dessen bin ich mir bewusst, Hidaka-san. Wir haben diese Lösung zunächst nicht angestrebt, aber wie gesagt, Dinge können sich ändern.“ „Wenn es Takatori war, der uns und Ihre Einheit in die Luft sprengen wollte und der die Kritikeragenten getötet hat, wie geht es jetzt mit uns weiter?“, kam Youji zum Kernpunkt ihrer Sorgen und wieder war es Perser, der das Wort ergriff. „Es gilt weiterhin höchste Sicherheitsstufe für alle Agenten, bis wir das Problem eliminiert haben. Die entsprechenden Protokolle kennen Sie alle. Das bedeutet aber auch, die internen Sicherheitslücken zu finden, die zu der Weitergabe von Informationen geführt haben.“ Die Sicherheitsprotokolle waren das Erste gewesen, was ihnen allen eingebläut worden war. Um eine zu Kompromittierung zu verhindern, konnten sie nicht in ihre Basis zurückkehren. Der Kontakt zu ihrer Organisation war auf ein Minimum zu beschränken und im Idealfall suchten sie eines von den für sie bereitgestellten Verstecken auf. Sollte eine Flucht ins Ausland nötig sein, so standen ihnen an einigen Stellen innerhalb und außerhalb von Tokyo gefälschte Dokumente bereit, die ihnen ein Verlassen des Landes möglich machten. „Wo schicken Sie uns hin?“, fragte Youji die Frage aller Fragen und Aya ahnte, was die Antwort darauf war. Die absurde, unmögliche Antwort auf die Frage, wo sie am Sichersten wären, trotz allem. Perser wandte ihm den Kopf zu, als hätte er seine Gedanken gelesen und Aya war sich angesichts der ihm vertrauten Telepathin nicht sicher, ob diese seine Gedanken nicht just an Perser weitergereicht hatte. „Weiß bleibt hier.“ Da war es, das Damoklesschwert. Hier. Bei Schwarz. Bei Rosenkreuz. In den Händen von PSI-Begabten, die erst Omi, dann ihn entführt hatten. Die Omi über Stunden gefoltert hatten. Wie sollte das gut gehen? Konnte das überhaupt gut gehen? Sie hassten sich. Sie wollten sich töten. Wie sollte es für Omi sein, dessen Alpträume ihm zu deutlich ins Gesicht geschrieben standen, als dass er auch nur in Ansätzen damit einverstanden sein konnte. Das konnte man nicht einfach so von heute auf morgen ausradieren. ~Das ist dir aber mit deinem amerikanischen Schotten ziemlich leicht gefallen~, funkte Schuldig dazwischen und Aya schnaubte. Das war etwas Anderes. Das war notwendig. „Das ist eine Unterbringung hier auch, falls Sie und Ihr Team überleben möchten“, erwiderte die Dame des Hauses und Aya schüttelte den Kopf. „Nein. Es muss noch andere Möglichkeiten geben, uns in Sicherheit zu bringen als die Unterbringung bei Schwarz.“ „Und doch gibt es nur hier die Möglichkeit, durch PSI-Begabte geschützt zu werden.“ Ungläubig weiteten sich Ayas Augen. „Schützen? Schwarz soll uns schützen?“, fragte er nach und konnte sich ein Lachen nicht verkneifen. Das war absurd. Mehr als das. Wütend maß er sie. „Darf ich Sie daran erinnern, dass wir hier ein dysfunktionales Team voller Konflikte vor uns haben, das erst einmal selbst seinen Weg finden muss? Dass Sie noch keine finale Entscheidung bezüglich Takatori getroffen haben?“ Telepathin hin oder her, er ließ sie seine ungebremste Wut sehen. „Unsere Entscheidung bezüglich Takatori Reiji wird unsere Aufgabe hier in keinem Fall beeinträchtigen.“ „Das nennt man Interessenkonflikt.“ „Nichts liegt uns ferner, einen erneuten Vertrag zu brechen.“ „Wissen das auch Ihre Agenten?“ Noch bevor sie das einer Antwort würdigen konnte, war es aufgerechnet der Ire, der mit einem unerfreuten Zischen auf sich aufmerksam machte. „Der Satellit wurde wieder in die Umlaufbahn gebracht und beide Söhne stehen auf der Schwelle zu ihrem Schicksal. Dysfunktionalitäten ergänzen einander und haben einander auf.“ Die raue Stimme des Iren trug sich über den Tisch hinweg unmissverständlich und klar zu ihm und doch konnte Aya den Sinn seiner Worte nicht gänzlich begreifen. „Von was für einem Satelliten sprichst du?“, fragte er dementsprechend ungnädig nach und es war tatsächlich Naoe, der antwortete. „Er meint Tsukiyono damit“, erwiderte er beinahe zu leise um gehört zu werden und doch laut genug, dass seine Worte sie alle zum Schweigen und ihn in den Fokus der Aufmerksamkeit brachten. Nicht, dass die Stille lange andauerte. Die Dame des Hauses räusperte sich und nahm einen tiefen Schluck Kaffee. Ihre nunmehr leere Tasse stellte sie resolut auf die Tischplatte und fixierte sie alle schließlich mit einem Ausdruck in den Augen, der keinerlei Widerspruch zuließ. „Vielleicht nimmt es Ihnen allen ein wenig Ihrer Sorgen, wenn ich Ihnen mitteile, dass für die Dauer der jetzigen Operation die hier anwesende Rosenkreuzeinheit in allen operativen Belangen der Weisungsbefugnis von Kritiker untersteht. Aufgrund der erfolgten Rettungseinsätze und insbesondere der vorangegangenen, vertragsbrüchigen Entführungen Tsukiyono-sans und Ihrer Person, Fujimiya-san, haben der Leiter Ihrer Organisation und ich Reparationsleistungen beschlossen, die das ergangene Unrecht ausgleichen werden. Es obliegt Perser-san, Schwarz nach seinem Ermessen zum Schutz von Kritiker und von Weiß einzusetzen. Und, sollten sich die Fakten verdichten und unser Protegé sich des Verrats schuldig gemacht haben, so wird Schwarz Ihnen bei der Eliminierung der Zielperson behilflich sein.“ Aya blinzelte, während er versuchte, ihren Worten Folge zu leisten und zu begreifen, ob er wirklich gerade das gehört hatte, was er vermeinte zu hören. Zunächst glaubte er an einen Scherz, doch der Blick in ihr ernstes Gesicht widersprach dem ebenso vehement wie das Entsetzen, das Schuldig und Naoe ohne Frage zur Schau stellten. Crawford saß wie aus Stein gemeißelt auf seinem Sessel und entbehrte jeglicher Reaktion auf die Worte seiner Mutter. Nur Farfarello lehnte sich zufrieden und mit einem Lächeln auf seinen Lippen zurück. Seinem eigenen Team ging es da nicht besser und vor allen Dingen Omi wandte sich nahezu hilflos an Perser. „Wieso?“, fragte er und die aufkommende Verzweiflung in seinen Worten zerriss Aya beinahe das Herz. „Nach allem, was geschehen ist, wieso?“ Keinerlei Reaktion zeigte sich in dem bärtigen Gesicht. Lediglich kühle, neutrale, emotionslose Ruhe. „Hier geht es nicht um einzelne Wünsche, Bombay. Hier geht es um die Zukunft Japans. Diese zu sichern ist meine Aufgabe und diese werde ich auch erfüllen.“ „Indem Sie Feuer mit Feuer bekämpfen?“, warf Youji wütend ein. Abrupt erhob er sich und entfernte sich von ihrer Runde, als könnte er die Anwesenheit der Frauen und Männer an diesem Tisch nicht mehr ertragen. „Indem ich Fähigkeiten miteinander kombiniere, die in den vergangenen Wochen bewiesen haben, dass sie in der Lage dazu sind, miteinander zu arbeiten.“ „Das war aus der Not heraus geboren.“ „Und dennoch haben Sie ohne die Zustimmung Ihrer jeweiligen Organisationen einzuholen ein Musterbeispiel an Zusammenarbeit absolviert, an dessen Ende die Rettung Ihrer Teammitglieder stand“, erwiderte Perser und der Vorwurf zwischen den Zeilen war unüberhörbar. Sie waren es selbst Schuld mit ihrer Vorgehensweise. Nein, er war schuld, korrigierte Aya sich. „Der Einzige, dem ich in dieser Angelegenheit ein Vetorecht einräume, ist Bombay, aufgrund der Ihnen allen bekannten Ereignisse“, fuhr Perser fort und Aya kam nicht umhin, wie der Rest von Weiß auch seine Aufmerksamkeit auf Omi zu lenken, der sie anstarrte, als würden vor ihm Dämonen sitzen. Und war es nicht auch so? Mühevoll schluckte ihr Jüngster und kurz huschte sein Blick zu Schwarz. Seltsamerweise blieb er an dem Iren hängen, dessen verbliebenes Auge ihn amüsiert musterte. „Große Entscheidungen, nicht mehr trudelnder Satellit. Zwei Söhne und eine Zukunft, wie schwer das doch sein muss zu akzeptieren, wenn es Blut ist, das ein Band geschmiedet hat und nicht…“ Aya schluckte, als der Blick auf ihm zum Ruhen kam. „…Mitleid.“ War es so? Bestand die Verbindung, die er zu Crawford hatte, aus Mitleid? ~Das musst du noch fragen?~ „Frage dich, Technikjunge, was du willst. Eine Entscheidung so groß wie dein Name es ist treffen oder dich in deinem Elend und deinen Erinnerungen verkriechen, die dumme und unnötige Taten in dir geweckt haben und einsam und alleine den Thron zu besetzen, ohne diejenigen, die du liebst und die du gerade eben um Rat fragst? Bist du bereit, sie sterben zu sehen für dein kurzfristiges, feiges Glück?“ Omi gewährte ihm für den Bruchteil einer Sekunde einen Einblick in seinen rasenden Puls, der durch seine Halsschlagader schoss, bevor er aufsprang und beängstigend stumm den Raum verließ. Kurze Zeit später hörten sie, wie die Eingangstür hinter ihm zugeschlagen wurde. „Scheiße!“ Fluchend sprang Youji hoch, wurde aber im selben Moment von Farfarello, der sich ebenfalls erhoben hatte, zurückgehalten. „Das ist nicht dein Krieg, Weiß“, merkte er ruhig an und Youjis Blick war bestenfalls als abfällig zu bezeichnen. Erbost zischte er. „Aber deiner? Nachdem, was ihr getan habt?“ „Sie.“ Als wäre eine Erläuterung seiner Worte nicht weiter wichtig, trat der Ire um den Tisch herum und ging zur Terrassentür, die er mit einem Ruck öffnete. „Er wird ihm nichts tun“, erläuterte die Dame des Hauses auf die unausgesprochene Angst, die im Raum schwebte. „Nicht wahr, deamhan?“ Als wären sie dumme Kinder, schnaubte der Ire und drehte sich gerade so weit zurück, dass er Perser und Youji mit einem knappen Blick mustern konnte. „Wäre ich die Nervensäge, wäre die Antwort darauf nein. Aber ich bin weder dumm noch nutzlos.“ Unter Schuldigs gewaltversprechendem Fluchen trat er in die Dunkelheit hinaus und schlug die Tür hinter sich zu. ~~**~~ Das durfte doch alles nicht wahr sein. Das musste ein schlechter Traum sein, aus dem er jeden Moment schweißgebadet erwachte. Niemals hätte er zulassen dürfen, dass sie hierblieben um auf Perser zu warten. Niemals hätte er zulassen dürfen, dass es zu dieser Entscheidung kam, die nun ihm oblag. Einzig und alleine ihm, niemandem sonst. Er hatte ein Vetorecht? Dass er nicht lachte. Wieviel Wert hatte dieses denn, wenn das Leben seiner Freunde davon abhing? Denn dass dem der Fall war, zweifelte er keine Sekunde lang an. Vielleicht, wenn Schuldig die Worte geäußert hätte. Oder Crawford. Aber der Ire des Teams hatte kein Grund zu lügen. Hatte es in sämtlichen ihrer vorhergehenden Zusammentreffen und auch in dem verdammten Keller nicht gehabt, sondern ihn mit unwillkommenen Wahrheiten überschüttet, während er selbst kaum geradeaus hatte denken können. So auch jetzt. Seine Angst schrie nein, seitdem er sich bewusst geworden war, worauf Perser und die Rosenkreuzagentin hinauswollten. Er verfluchte den Mann, der das Wohl eines Landes seinem Wohl vorzog, obwohl er doch sein…Vater… war. Ein Vater, der ihn zu einem Mörder großgezogen hatte, der niemals zugegeben hatte, sein Vater zu sein. Doch das war jetzt nicht von Bedeutung, es konnte und durfte es nicht sein. Alleinig die Frage, ob er es überhaupt in Erwägung ziehen konnte, mit diesen Monstern zusammen zu arbeiten, war von Interesse und die Antwort konnte nur nein lauten. Er hatte Alpträume wegen ihrer Taten. Er konnte kaum in ihrer Nähe sein. Und auch wenn Crawford sich bei ihm entschuldigt hatte und ihm für das, was vorgefallen war, die Wiedergutmachung genannt hatte, so war es doch etwas Anderes, sich nun auf eine Zusammenarbeit einzulassen. Das konnte er nicht. Oder? „Sie sind wie Kinder“, ertönte es hinter ihm und Omi fuhr erschrocken herum. Farfarello stand dort, unheimlich beleuchtet durch das Licht im Haus, keine drei Meter von ihm entfernt und musterte ihn wie ein besonders interessantes Insekt. Omi kannte diesen Blick, war er doch schon einmal Empfänger dessen gewesen. Nein, nicht er. Seine Haare, die keine Sekunde später geföhnt worden waren als wäre es wichtig, dass er mit trockenen Haaren bei seinem Team abgeliefert werden würde. Unbeirrt von Omis Erschrecken trat der Ire näher. „Sie treffen dumme Entscheidungen aus noch viel dümmeren Gründen. Sie denken nicht nach, bevor sie handeln. Sie sind stur und hoffen, dass ihre Taten Besserungen bringen, die niemals eintreten.“ Omi musterte ihn ebenso verwirrt wie vorsichtig, die Hand an seinen Darts als Zeichen einer offenen Drohung. Er hatte schon öfter gegen den Iren bestehen können und ihn zurückgetrieben. Darauf hoffte er auch jetzt, sollte es zu einem Angriff kommen. Auch wenn er das bezweifelte. „Du sprichst von deinem Team?“, fragte Omi zögerlich nach und wurde mit einem minimalen Nicken belohnt. „Das ungeschehen zu machen, was geschehen ist, würde alleine IHM gebühren, doch es interessiert IHN nicht. So wird die Vergangenheit in Stein gemeißelt bleiben. Aber es gibt Söhne, die die Reise in die Zukunft bestreiten können. Wenn sie nicht wie Kinder sind.“ Omi runzelte die Stirn. „Wer sind die Söhne?“ Wieder lächelte der vernarbte Ire des gegnerischen Teams. „Du. Der Andere.“ „Welcher Andere?“ „Sohn.“ Gegen seinen Willen grunzte Omi frustriert. Das führte zu rein gar nichts hier. „Die Zukunft ist nicht festgeschrieben“, lenkte er ihr Gespräch, wenn man es denn als solches betiteln konnte, auf ein anderes Thema und wurde mit einem Lachen belohnt. „Nur, wenn Sturheit die Wege der Schreitenden leitet.“ Das Gefühl, das die Worte des verrückten Iren nicht halb so verrückt waren, wie es den Anschein hatte, ließ Omi nicht los. Warum genau das so war, konnte er allerdings nicht beziffern und wagte auch keinen Versuch, sich das Handeln des Mannes zu erklären, den er außerhalb von Missionen in einer Zwangsjacke erwartet hatte. Und der ihm ohne viel Federlesens das Leben gerettet hatte. „Was willst du von mir, Farfarello?“ „Nichts“, wurde er für seine Frage belohnt, aber dann schien der Schwarz einen Gedanken zu haben, dem es sich zu folgen lohnte. Nachdenklich legte er den Kopf schief. „Du sollst ja sagen.“ Omi zuckte ungläubig zusammen. „Das kann ich nicht.“ „Sie sind Kinder“, wiederholte der vernarbte Mann, als wäre das eine Begründung für alles. Verächtlich schnaubte Omi. „Dein Anführer hat mich beinahe zu Tode geprügelt.“ „Früher war er so, wenn er nicht versteht.“ „Heute nicht mehr?“, fragte Omi und konnte den spöttischen Unterton nicht gänzlich aus seiner Stimme lassen. Dort, wo er erwartete, dass dieser auf Wut traf, irrte er sich. Farfarello grinste kurz sein unheimliches Grinsen, das eher daran erinnerte, wie ein Raubtier seine Zähne zeigte. „Schuldig hat mich stundenlang mit seiner Telepathie gefoltert“, machte Omi bei der Aufzählung nahtlos weiter und wurde mit einem Nicken belohnt. „Die Nervensäge kennt weder Maß noch Vernunft, wie so viele seiner Art“, drangen Worte zu ihm, die hasserfüllter und wütender nicht sein konnten und Omi instinktiv zurückweichen ließen, bevor er begriff, dass sich die Wut tatsächlich nicht auf ihn bezog. Nervensäge also. Ein kurzes Schmunzeln drängte sich ihm auf. Farfarello schnalzte mit der Zunge. „Sie hat den neuen Vertrag aufgesetzt und wird dafür sorgen, dass er eingehalten wird. Niemand wird dich foltern für die Dauer des Vertrags. Und danach wird die Nervensäge deiner überdrüssig und der Seher an seine Versprechungen gebunden sein.“ „Was ist mit Naoe und dir?“, fragte Omi und Farfarello lachte schallend. Es hallte weit durch den zikadenlauten Wald, begleitet von dem omnipräsenten Rauschen des Meeres. „Ich habe dich in den Weltraumbahnhof zurückgebracht, kleiner Satellit. Was den Technikjungen angeht…“ Wieder lachte Farfarello und zuckte schließlich mit den Schultern. „…sieh selbst, mit deinen klugen, blauen Augen.“ Langsam trat Farfarello auf ihn zu und griff wie im Keller auch zu seinen Haaren. Ganz zu Omis Unbill zupfte er sich erneut eines davon. Als würde das alles erklären. Gar nichts war hier geklärt, gellte es in Omi wütend und er war versucht, rein aus Prinzip und aus Frust nein zu sagen. Nein zu einer Zusammenarbeit, nein zum Schutz durch Schwarz und der Dame des Hauses, der Mutter des Orakels, die sicherlich die Taten ihres Sprösslings guthieß. ~Nicht alle. Wir haben da unsere Differenzen.~ Omi zuckte zusammen ob der weichen, weiblichen Stimme, die abrupt seine Gedanken ausfüllte. Angst schnürte ihm seine Kehle zu. Eine Telepathin. Auch das noch. Als wäre einer nicht genug. Sie lachte und das Lachen hallte ebenso sehr wie Schuldigs auch von den Innenwänden seines Schädels wieder, als gab es da kein Gehirn. Verstörend. „Du bist Teil einer Sippe, Takatori Mamoru“, murmelte Farfarello in seine Gedanken hinein. „Die Frage ist, ob es eine Sippe von Schafen oder Wölfen ist, in die du hineingeboren wurdest und ob du die Entscheidung eines Schafs treffen wirst.“ Omi blinzelte und verfolgte stumm, wie der Ire zurück in das Haus trat und ihn unverrichteter Dinge hier alleine ließ. Omi richtete seinen Blick nach oben, in den hell leuchtenden Sternenhimmel. Im Hintergrund konnte er die Zikaden hören, die ihm ein Gefühl von Heimat vermittelten, das er schwer beziffern konnte. Wollte er wirklich den leichten und törichten Weg gehen? Oder wagte er es und entschied sich für das Undenkbare? Omi schluckte schwer und wusste bereits, als er die Augen schloss und die noch warme Luft des sonnigen Tages über sich hinwegwaschen ließ, dass er eine Entscheidung getroffen hatte. Für das Leben seines Teams. Omi straffte seine Schultern und trat ebenso zurück in den Wintergarten, den er so fluchtartig verlassen hatte. So ruhig, wie er die Männer und Frauen in der Runde betrachtete, fühlte er sich ganz und gar nicht und als sein Blick den des Orakels streifte, der ohne Zweifel bereits vorhergesehen hatte, wie seine Entscheidung ausfallen würde, war es, als würde ihn kurz sein Mut verlassen. Doch dann fiel sein Blick auf den Mann, der laut Lasgos Aussage sein Vater war und eben jene Erwartungshaltung gab ihm die Kraft, die er benötigte. „Ich stimme einer Zusammenarbeit grundsätzlich zu“, richtete er seine Worte an Perser, der anerkennend nickte. Ein minimales Lächeln lag auf seinen Lippen und Omi erkannte Stolz darin. Er schnaubte innerlich. Worauf war der Mann stolz? Dass er zu einem ebenso ruchlosen Mörder für die gerechte Sache wurde? „Doch ich treffe die Entscheidung nicht alleine. Weiß?“ Ganz bewusst versicherte er sich bei seinem Team, dass sie hinter ihm standen, dass sie das gemeinsam mit ihm durchstanden. Jeden einzelnen von ihnen maß er intensiv und schweigend, ließ sie an seinem inneren Tumult teilhaben. Ken war es, der sich als erstes erhob und zu ihm kam. Stirnrunzelnd blieb er vor ihm stehen und erwiderte die Musterung auf seine ganz eigene Art und Weise. „Willst du das wirklich?“ Omi schüttelte den Kopf. „Nein, aber ich will eine Zukunft für uns.“ „Und die gibt es nur hier?“ „Ich will eure Leben nicht für nichts riskieren.“ „Bist du dir wirklich sicher?“ Der jüngste Weiß lächelte selbstironisch. „Noch nie so sicher gewesen.“ ~Da ist es, das verlogene Takatoriblut.~ Er ignorierte Schuldig, so gut es ging und labte sich an Kens Nicken. „Ich lasse dich doch nicht alleine“, murmelte Youji und schnaubte verächtlich. „Wo käme ich denn dann hin?“ Omi nickte erneut und sein Blick fiel auf Aya, den Mann, der durch sein Mitleid mit dem Schwarz soviel in Bewegung gesetzt hatte. Ihr hasserfüllter, pflichtbewusster Anführer, der seinem Feind das Leben gerettet hatte um diesen nicht weiterer Folter und weiterem Missbrauch auszusetzen. Eben jener, der sich, um ihn, aber auch Crawford, zu retten, mit Schuldig und Farfarello zusammengetan hatte. Eben jener Mann nickte langsam. „Ich bin bei dir und trage deine Entscheidung mit, Omi.“ Sein Team, sie standen hinter ihm. Sie würden ihn schützen und er war nicht mehr alleine im Angesicht von Schwarz. „Bevor ich eine finale Zustimmung gebe, will ich wissen, wie die einzelnen Modalitäten aussehen“, richtete er an ihre Agentin. „Natürlich.“ Manx, die sich bisher aus der Diskussion herausgehalten hatte, öffnete ihre Aktentasche und händigte ihnen allen eine Ausfertigung des Vertrages aus. Mit kühler und wenig erfreuter Stimme verlas sie die einzelnen Paragraphen, die ihre Zusammenarbeit und ihr Miteinander regeln würden. Omi hörte ihr aufmerksam zu und legte schlussendlich mit zittrigen Händen die Blätter an Papier zur Seite, als sie fertig war. Erst, als er es Zeile für Zeile schwarz auf weiß gelesen hatte, was ihre Zusammenarbeit und ihr Zusammenleben definieren würde, wurde ihm konkret bewusst, wofür er sich entscheiden würde. Ebenso konkret war auch der Kloß in seinem Hals, den er nur mit Mühe schlucken konnte. „Gut“, presste er unter dem breiten Lächeln des Iren hervor, in der Hoffnung, dass er sie alle damit nicht ins Verderben führte. „Ich stimme zu.“ ~~**~~ „Vater…?“ Es war ein leises Wort, das Omis Lippen verließ. Ungewohnt war es, schüchtern hatte er es in den angenehm erhellten Flur geworfen, auf dass es sein Ziel traf. Die Anspannung, die sich den Rücken des Mannes, der abgewandt von ihm stand, entlangfraß, war Omi Antwort genug und sein Herz tat einen schmerzhaften Hüpfer. Lasgo hatte also Recht gehabt, was seinen Vater anging. Was also war, wenn er bei seiner Mutter ebenso wenig gelogen hatte? Er ballte seine Hände zu Fäusten, als es Wut war, die die Angst vertrieb. „Warum?“ Warum hast du mir nichts gesagt? Warum hast es mir verschwiegen, all die Jahre? Warum hast du mir nicht das gegeben, was ich mir seit so langer Zeit gewünscht habe? Warum wolltest du nur mein Onkel sein, aber nie mein Vater? Warum hast du zugelassen, dass ich leide, all die Jahre? All das schwelte in dem einzigen Wort, der rauen Frage, die er an seinen Vater gerichtete hatte, der sich nun langsam zu ihm umdrehte. Augen, die den Seinen so sehr ähnelten, dass es wehtat, maßen ihn. Früher hatte er das Märchen geglaubt, dass es Takatoriaugen waren, dass sie sich deshalb so sehr ähnelten. Eine weitere Lüge in seinen Leben, die ihn wie ein Netz umgab. „Es war notwendig.“ Die ruhigen Worte ließen Omi innerlich aufschreien. „Wozu? Um mich unglücklich werden zu lassen? Um mich einsam aufwachsen zu lassen?“ Der Schmerz in den Augen seines Vaters war ihm willkommen, doch Wut war größer als Genugtuung. „Um dich zu schützen, Mamoru.“ Omi biss nicht in den Köder der Ablenkung an, den sein Vater mit seinem richtigen, vergessenen, verhassten Namen ausgelegt hatte. Ein Name, der bereits seit Jahren tot war. „Wovor?“ „Vor dem Bösen, was dir drohte.“ „Und deswegen hast du mich zum Killer ausbilden lassen? Ein Kind? Dein Kind?“ Perser maß ihn lange Zeit, bevor er schließlich nickte. „Du solltest so wie ich werden. Auf der Seite des Guten, in der Lage, dich zu verteidigen gegen das Übel der Welt, damit dir nicht noch einmal das widerfährt, was…“ Sein Vater brach ab. Omi verschränkte die Arme. Zitternd presste er die Zähne aufeinander. „Trotz aller Ausbildung haben SIE es geschafft.“ Es stand außer Frage, wer sie waren und die Schuld in den Augen des Älteren war deutlich zu sehen. „Hätte ich es verhindern können, dann…“ „Hast du aber nicht. Dein Handeln hat mich genau in diese Hölle gebracht. Dein Handeln zum Wohle Japans stößt mich in diese Hölle zurück.“ Perser verfiel wieder in sein Schweigen und Omi trat einen Schritt näher. „Stimmt es mit meiner Mutter? Dass sie sich von früher kannten und dass sie eigentlich heiraten wollten, bevor sie zu der Ehe mit deinem Bruder gezwungen wurde?“ Sein Wissen überraschte Perser, das sah er und eigentlich brauchte Omi die Bestätigung nicht. „Sie erwähnte so etwas, ja.“ Wut schäumte in ihm hoch. Niemals, mit keinem Wort hatte Perser ihm etwas von seiner Mutter erzählt. Mit keinem Wort hatte er versucht, die Erinnerung an eine Frau zurückzuholen, die ihm Zeit seines Lebens wie ein fremder Engel vorgekommen war, eine Heilige, die er – der unrein war vor lauter Blut, das an seinen Händen klebte – nicht berühren durfte. Oder, in den dunklen Stunden, eine Frau, die ihren Sohn nicht wiederhaben wollte mit einem Mann, der nicht bereit war, das Lösegeld für seinen Sohn zu bezahlen. „Ich habe mit ihm geschlafen“, setzte Omi den Dolch an und trieb ihn in das Herz seines Vaters, dessen Schmerz soviel Labsal für ihn war. „Als ich noch nicht wusste, wer er war, habe ich mich von ihm verführen und ficken lassen. Was mich Schwarz hat büßen lassen.“ Sein Vater trat einen Schritt auf ihn zu, blieb jedoch stehen, als Omi gleichzeitig einen zurücktat. „Mamoru….ich…“ Dieses Mal ließ sich Omi ködern. „Mein Name ist Omi. Nicht Mamoru. Mamoru hast du selbst getötet. Du, dein Bruder, deine Neffen, all diejenigen, die mir Zeit meines Lebens etwas vorgemacht und mich angelogen haben um mich zu dem zu machen, was ich jetzt bin.“ Darauf wusste sein Vater nichts zu sagen. Er starrte ihm in die Augen, nahm schließlich seine Brille ab, betrachtete sie für einen Moment lang gedankenversunken. Dann sah er auf, begegnete harten, blauen Augen. „Wärest du als Takatori glücklicher geworden?“ Omi schüttelte den Kopf, Enttäuschung stand in seinen Augen. „Nein, aber als dein Sohn.“ Lange Zeit maß sein Vater ihn stumm und Omi erwiderte den Blick offen vor Wut und Zorn. „Kann ich das wieder gut machen?“ Es brauchte ebenso lange, bis Omi darauf eine Antwort fand. Noch viel länger, bis er wusste, wie er diese in Worte fassen konnte. Er schüttelte schließlich den Kopf. „Ich denke nicht, Vater. Das, was ich mir so sehr gewünscht habe, eine Familie zu haben, eine Mutter, einen Vater, einfach umarmt und geliebt zu werden, das…“ Die Arme, die ihn umschlangen und an sich pressten, ließen ihn verstummen und der letzte Teil des Satzes blieb unausgesprochen. Die Umarmung fühlte sich falsch an…zunächst. Dann erlaubte er sich, sie anzunehmen und zu akzeptieren, er erlaubte sich, auf sie zu reagieren. Wortlos legte Omi seine Stirn auf die Schulter seines Vaters und verharrte stumm in den Armen. Es tat ihm gut. Irgendwie, auch wenn etwas in ihm schrie, losgelassen zu werden, endlich trauern zu können um das, was er verloren hatte. Dieses Etwas hielt er zurück, mit all der gebotenen Strenge, die ihm antrainiert worden war. „Ich habe dich vom ersten Tag deines Lebens an geliebt, mein Sohn. Schon als ich dich in den Armen gehalten habe und dich nicht als meinen Sohn anerkennen durfte, warst du mein Ein und Alles, mein kleiner Junge, der beschützt werden musste. Der irgendwann einmal in meine Fußstapfen treten sollte.“ Omis Augen öffneten sich. Er lächelte schmerzlich und seine Gedanken vollendeten den Satz, den er angefangen hatte. …das gibt mir Weiß, denn Weiß sind meine Familie. ~~~~~~~~ Wird fortgesetzt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)