Die Farbe Grau von Cocos ================================================================================ Kapitel 5: Wahre Lügen ---------------------- ~~**~~ Aya tauchte die hölzerne Kelle in den mitgebrachten Wassereimer und goss mit Bedacht Wasser über das Grab seiner Eltern. Der Schwamm folgte der Kelle und er wrang ihn mehrfach aus, damit er mit ihm sorgfältig den Stein säubern konnte. Er kam oft hierher, sehr oft auch nachdem er bei Aya gewesen war und fragte seine Ahnen um Rat, was er tun sollte. In Gedanken erzählte er ihnen alles, was er getan hatte, all seine Sünden, die er begangen hatte. So auch heute, auch wenn die Sünden, die er nun zu beichten hatte, um ein Vielfaches größer waren als nur Mord. Nur Mord. Aya hielt inne, als ihm die Bedeutung dessen bewusst wurde. Nur Mord. Vor ein paar Jahren wäre er noch nicht derart verroht gewesen, dass er das Töten von Menschen als legitim angesehen hätte. Doch nun war es für ihn eine Arbeit wie jede andere und rangierte mitunter vor seiner Tätigkeit im Blumenladen. Vielleicht hatte Crawford Recht mit seinen Worten gehabt, die er ihm an den Kopf geworfen hatte. Er war selbst zu einem der Monster geworden, die er jagte. Er war bigott geworden und hatte sich soweit von seinen Idealen entfernt, wie er sich nur hatte entfernen können. Insbesondere nachdem er versucht hatte sich dem Schwarz aufzuzwingen, obwohl er das noch Stunden zuvor für sich ausgeschlossen hatte und auch jetzt nicht wusste, was ihn da geritten hatte. War das sein Abstieg in seine persönliche Hölle? War er tatsächlich nicht besser als Lasgo und war jeder Mord, den er beging, ein Alibi auf seinem Weg zum Monster? Aya sank auf seine Knie und legte die Hände aneinander. Er suchte um Vergebung für Sünden, für die es eigentlich keine Vergebung geben könnte. Er betete dafür, dass er nicht noch einmal so schwach sein würde und dass er zu sich selbst zurückfinden würde. Er betete, dass er nicht zu einem vergewaltigenden Monster wurde, das den Wert eines ihm ausgelieferten Lebens verneinte und nicht wertschätzte. Doch so sehr er auch betete, so stetig und penetrant flüsterte ihm eine Stimme ein, dass er niemals in seinem Leben Absolution erhalten würde. Niemals. Aya presste die Lider aufeinander, als hinter ihm ein Klicken ertönte. Er kannte diese Art von Klicken, eben jene, wenn ein metallener Bolzen auf ein ebenso metallisches Gehäuse traf. Es war leise nur, aber definitiv unmissverständlich. Hundert- wenn nicht schon tausendmal hatte er es gehört und war mehr als ein dutzend Mal selbst derjenige, welcher dafür verantwortlich war. Es war so falsch wie es richtig war in diesem Moment, wenn er bedachte, wer er war, was er getan hatte und welcher Tod ihn irgendwann einmal ereilen würde. Anscheinend war der Moment jetzt gekommen. Ironisch, dass es am Grab seiner Eltern passierte. Ironisch, dass es nicht während einer Mission geschah. Logisch, dass es ausgerechnet dann passierte, wenn er damit nicht gerechnet hatte. Wer war es? Kritiker etwa? Birman oder Lasgo? Oder war es Schwarz, Crawford vermutlich? Aya rechnete sich anhand der akustischen Entfernung des Klickens seine Chancen aus, dem Schussfeld zu entkommen. Sie lagen bei null. Langsam öffnete er die Augen und lauschte seinem bemerkenswert ruhigen Herzschlag. Anscheinend hatte selbst sein Körper akzeptiert, dass es nun vorbei sein würde. Er lauschte still. Anscheinend hatte der- oder diejenige, der nun sein Henker sein würde, Zeit, denn ansonsten hätte sein Blut vermutlich schon den Grabstein seiner Familie beschmutzt. Aya nahm das als Anlass, sich langsam umzudrehen um seine Neugier zu befriedigen. Er begegnete hellen, gold-braunen Augen, die ihn kühl musterten. Er begegnete dem Lauf einer Waffe, der ruhig und ohne zu zittern auf ihn gerichtet war. Er begegnete einem Mann, der so angezogen war, wie er ihn in den drei Tagen nicht gesehen hatte, wie er ihn aber die Jahre zuvor kennengelernt hatte. Es wirkte auf Aya so passend wie die Nacktheit des Schwarz auf ihn unpassend gewirkt hatte. Crawford trug einen seiner unzähligen Anzüge und einen dunklen Mantel darüber, ganz der Geschäftsmann, der er war. Die Brille auf seiner Nase machte ihn älter, weniger informell und nur die bleiche Gesichtsfarbe in Verbindung mit den Hämatomen deutete darauf hin, dass dem anderen Mann übel mitgespielt worden war. Aya schnaubte. Übel mitgespielt? Was für ein Euphemismus. Insgesamt war er froh, Crawford so zu sehen, auch wenn alleine der Gedanke abstrus war. Dieser Mann würde ihn umbringen und er war froh, dass dieser in Anzug und Mantel vor ihm stand und eine Waffe auf ihn richtete. Er schwieg, weil er nicht wusste, was er sagen sollte. „Was für ein passender Ort für dich um zu sterben“, merkte Crawford an, bevor das Schweigen unbequem werden konnte. Aya schnaubte schicksalsergeben und entspannte seine Muskeln, blieb jedoch auf dem kalten Boden hocken. Seine Knie bohrten sich in den Stein. „Ich wäre dankbar, wenn du den Winkel so wählen würdest, dass das Grab meiner Familie nicht beschmutzt wird.“ Crawford legte abschätzend den Kopf schief. „Es gibt Friedhofspersonal, das die Reinigung übernimmt.“ Aya hob die Augenbraue und schmunzelte dann kurz. Er hatte genug Geld gespart, um auch seine Beerdigung zahlen zu können. Die Frage wäre nur, ob Kritiker noch für Aya sorgen würde, wenn er nicht mehr da war. Wahrscheinlich nicht und sie würde in einem öffentlichen Krankenhaus mit geringwertigerer Versorgung landen. Oder aber Schwarz würde sich um sie kümmern, wie Crawford es ihm bereits angedroht hatte. „Was wirst du mit meiner Schwester machen?“ Ein amüsiertes Zucken huschte über die Lippen des Schwarz. „Warum sollte ich mir Gedanken um ein komatöses Mädchen machen?“ Aya bedachte Crawford mit einem Blick, der besagte, dass er schon einmal sinnvollere Fragen gehört hatte. „Rache?“ „Eine bewusstlose Göre zu sich zu nehmen um sich an einem toten Auftragsmörder zu rächen, schießt dezent über das Ziel hinaus. Zudem rechtfertigt der Aufwand den Nutzen nicht und ich habe sicherlich Besseres zu tun, als mich um eben jene zu kümmern. Da lasse ich sie lieber in einem öffentlichen Krankenhaus vor sich hin verrotten, bis sie schlussendlich an schlechter Versorgung und Desinteresse der Pfleger und Krankenschwestern verstirbt.“ Auch wenn er es nicht zugeben wollte, so war Aya froh darum, dass Crawford sich ihrer nicht, wie angedroht, annehmen würde. Zumindest so froh, wie er unter diesen Umständen sein konnte. Wenn Crawford zu glauben war. Doch irgendwie fand er keinen Ansatzpunkt, dem Schwarz nicht zu glauben. Außer dem Offensichtlichen natürlich, dass es sich bei ihm um den Anführer von Schwarz handelte, einem notorischen Täuscher also, der nichts davon hatte, ehrlich zu ihm zu sein oder seine Versprechen zu halten. Und wer wusste es schon, vielleicht war seine Schwester am Ende sogar besser bei Schwarz aufgehoben als bei Birman, die sie misshandeln oder schlimmer, an Lasgo verkaufen würde. Aya lief es kalt den Rücken hinunter bei dem Gedanken daran. „Ich nehme an, dein Team hat dich aus dem Hotel geholt?“, richtete er an den Amerikaner und begegnete einem ähnlichen Blick, bevor es wieder Belustigung war, die Einzug hielt. „Du schindest Zeit“, verließ es überrascht die trockenen Lippen und Aya fragte sich unwillkürlich, ob Crawford immer noch Probleme damit hatte, Wasser zu sich zu nehmen. „Nicht wirklich, aber es interessiert mich.“ „Warum sollte es?“ Aya zuckte erneut mit den Schultern. Warum sollte es ihn im Angesicht des Todes interessieren, wie es seinem Mörder ging? Er kannte die Antwort bereits, auch wenn er sie sich nicht wirklich eingestehen wollte. Er hatte etwas wieder gut zu machen und die Frage war ein Teil dessen, unabhängig davon, dass Crawford ihn umbringen würde. Insbesondere, wo er hier im Angesicht seiner Eltern kniete und seine Taten bereute, mit denen er den Namen seiner Familie beschmutzt hatte. „Ja, haben sie.“ Die Bereitschaft des Orakels, ihm tatsächlich eine Antwort darauf zu geben, überraschte den Weiß und er lächelte. Doch das war von kurzer Dauer, als er ein Hämatom sah, das er Crawford nicht zugefügt hatte. Wer dann? Es war frisch genug, um kürzlich geschlagen worden zu sein. „Sie waren nicht glücklich, dass sie dich holen mussten?“, deutete er auf eben jenes und der durchdringende Blick verlor sich für einen Moment in stirnrunzelndem Nichtwissen. Doch als Aya ansetzen wollte, seine Frage zu erklären, tat die Gabe seines Gegenübers ihr Übriges und dieser schnaubte. „Du schindest erneut Zeit.“ „Immer noch nicht.“ „Neugier ist der Katze Tod, dann.“ „Wenn du mich sowieso umbringst, hat das schon etwas von selbsterfüllender Prophezeiung, oder?“ „Beeindruckend, deine Auffassungsgabe.“ Aya vermochte sich durch den Spott des Schwarz nicht angegriffen fühlen, was ihn unweigerlich in ihre gemeinsame Zeit zurückwarf. Crawfords Ruhe, sein vor ein paar Tagen vorsichtiger, nun aber latent arroganter Humor und seine bissigen, aber wahren Kommentare hatten Aya einen anderen Mann offenbart, der nun auch immer noch vor ihm stand. Und der ihm seine Frage nicht beantwortet hatte. Also war es tatsächlich sein Team gewesen, was ihm das Hämatom verpasst hatte. „Du bist der Dritte“, nahm Aya ein anderes Thema auf, das ihm aber wichtig erschien, bevor Crawford sich besann und ihm ohne Vorwarnung eine Kugel durch den Kopf jagte. Der Amerikaner runzelte die Stirn. „Womit habe ich das Ranking verdient?“ „Indem du mich bedrohst.“ „Nicht meine Schuld, dass du es mir so einfach machst.“ „Birman und Lasgo sind dir zuvorgekommen. Ich soll für sie arbeiten, wenn ich meine Schwester in Sicherheit wissen möchte.“ Das brachte Crawford tatsächlich zum Lachen. Amüsiert warf er den Kopf zurück und lachte befreit, als hätte Aya einen besonders guten Witz erzählt. Und mehr als die Waffe, die auf ihn gerichtet wurde, mehr als der nahende Tod, schmerzte das Aya. Es war logisch, dass es soweit kommen musste und dennoch sah er keine Möglichkeit, dem zu entkommen. Er war gefangen in einem Spiel, dem seine Schwester nur allzu leicht zum Opfer fallen würde ohne dass er etwas dagegen tun konnte, wenn es sowohl Birman als auch Lasgo darauf anlegten. Wenn es soweit war, hatte er vermutlich keine Wahl, als Birman zu gehorchen und sich selbst zum Verräter zu machen. Es gab keine andere Möglichkeit außer dem Tod und dieser war nun von alleine zu ihm gekommen. Er knurrte erbost. „Es reicht, Schwarz.“ Amüsiert kehrten die durchdringenden Augen zu ihm zurück. „Was, wenn nicht?“ Nichts würde dann passieren, gestand sich Aya zähneknirschend ein. Nichts würde Crawford davon abhalten, weiterhin über ihn zu spotten, bevor er ihn umbrachte. Wortlos wandte er den Blick ab und richtete ihn zum Himmel, in dem sich die Wolken auftürmten, die dick vor Regen waren, den sie sicherlich bald über sie ausschütten würden. Daher vermutlich der Mantel. Es musste schon praktisch sein, ein Hellseher zu sein. Aya war sich durchaus bewusst, dass die jetzige Situation ein verquerer Spiegel ihrer ersten Begegnung in seiner Wohnung bei Lasgo war. Nun hatte Crawford die Macht ihn zu töten und seine Chancen auf ein Überleben waren minimal; ganz so, wie es Crawfords Chancen zuerst auch gewesen waren, als dieser gefesselt und nackt vor ihm gekniet hatte. Aber wer wusste es schon? Vielleicht spielte der Amerikaner ja auch mit dem Gedanken, ihn mitzunehmen und ihn langsam zu töten für das, was er getan hatte. Eine durchaus plausible Möglichkeit. „Was sollst du für sie tun?“, fragte Crawford schließlich und Aya zuckte mit den Schultern. „Lasgo hat mir angeboten, dass ich nie wieder töten muss, wenn ich für ihn arbeite. Birman hat mir mit meiner Schwester gedroht, wenn ich nicht für sie arbeite.“ Selbstironisch schnaubte Aya. Hass auf den anderen Mann klang durch. Noch mehr Hass auf seine Agentin. „Da hast du natürlich mit wehenden Fahnen ja gesagt“, soufflierte der Schwarz und Aya bohrte seinen Blick erbittert in die hellen Augen. Gleichzeitig ließ er sich auf seine Fersen zurück und machte es sich den Umständen entsprechend bequem. Seine Beine schmerzten jetzt schon und er mochte sich nicht ausdenken, wie es Crawford gegangen sein musste, als dieser von Lasgo über Stunden in der quälenden Position gehalten wurde. Da war es wieder, das Gefühl des Mitleids, was er nicht brauchte und was hier vollkommen fehl am Platz war. „Du hast meine Antwort doch sicherlich schon vorausgesehen“, hielt er dagegen und erntete ein Stirnrunzeln für seine Worte, das so minimal war, dass es ihm beinahe entgangen war. Unmerklich trat Crawford zurück und bedeutete Aya, aufzustehen. Noch während sich Aya vorsichtig und misstrauisch erhob, verbarg der Schwarz die Waffe in seiner Tasche und musterte ihn kühl. „Wenn du nicht möchtest, dass ein ach so schützenswerter Unschuldiger stirbt, dann wirst du dich jetzt vollkommen normal verhalten, Fujimiya“, richtete Crawford eine eindeutige Warnung an ihn und verwirrt runzelte Aya die Stirn. Er verstand nicht, was der Schwarz von ihm wollte, dennoch wagte er es aber nicht, den Anweisungen nicht zu folgen, auch wenn er sich bereits einen rudimentären Fluchtplan zurechtlegte, der eventuell Aussicht auf Erfolg haben könnte. Die eine Sekunde, die Crawford brauchte um seine Waffe zu ziehen, könnte sein Vorteil sein, wenn er es geschickt anstellte. Es dauerte keine drei Minuten, dann schlurfte ein gebeugter, alter Mann an ihnen vorbei und verbeugte sich knapp vor ihnen. Aya tat es ihm gleich. Crawford blieb wie angewurzelt stehen und ignorierte ihn. Natürlich hielt sich der Schwarz nicht mit Höflichkeiten normalen Menschen gegenüber auf. Jetzt nicht mehr, wo er wieder Oberwasser hatte und auf niemanden angewiesen war. Es war gefährlich und bigott, doch auf eine sehr rudimentäre Art und Weise beruhigte Aya genau diese Arroganz. Die Bilder des Amerikaners, wie er in der Dusche saß oder wie er die Hände vor die Augen gepresst hatte, hatten sich in seine Lider gebrannt, ebenso wie das Bild, das er bei Lasgo abgegeben hatte. So konnte er sich nun einreden, dass das, was Lasgo Crawford angetan hatte, diesen nicht im Geringsten beeinträchtigte. Erst, als der Mann außerhalb ihrer Hörweite war, ließ Crawford ein missbilligendes Zungenschnalzen erklingen. „Auf einer Skala von eins bis zehn, wie suizidal bist du, Fujimiya?“ Ertappt sah Aya hoch. „Null, aber das weißt du schon.“ „Dann rate ich dir dringend, deinen nutzlosen Fluchtversuch in dem Stadium zu lassen, in dem er sich zu diesem Zeitpunkt befindet. Ansonsten wirst du mit dem Ausgang dessen nicht zufrieden sein.“ Zähneknirschend nahm Aya die Drohung als das, was sie war und entspannte willentlich seine angespannten Muskeln, die genau darauf programmiert gewesen waren. Frustriert seufzte er und ballte die Hände zu Fäusten, als er in Crawfords überhebliches Gesicht sah. „Was willst du von mir, Orakel?“, grollte er wütend. „Sehen, ob Kritiker dich schon zerfleischt hat oder ob ich das für deine Stümperorganisation übernehmen muss.“ „Ich darf dich daran erinnern, dass ich deinen wunden Arsch aus Lasgos Fängen befreit habe.“ „Findest du es klug, mir das jetzt unter die Nase zu reiben?“ Der rothaarige Weiß lächelte schmal. „Klug sicherlich nicht, allerdings macht es das nicht unwahrer. Und ohne mich wärst du sicherlich jetzt nicht hier.“ Crawford schwieg daraufhin und sein Blick verlor an Schärfe. Ein Zittern durchlief seinen Körper und der Weiß begriff erst nach einigen Momenten, dass der andere Mann eine Vision hatte. Aya trat einen Schritt nach vorne. Vermutlich war das seine einzige Möglichkeit, dieser Situation hier zu entkommen. Doch schneller, als er reagieren konnte, hatte sich die Waffe auf ihn gerichtet und die befehlsgewohnten Augen richteten sich mit spöttischem Zorn auf ihn. „Wie möchtest du, dass ich dich für deine wiederholte Dummheit diszipliniere, Fujimiya?“, fragte Crawford scheinbar kooperativ und nachsichtig und Aya grollte erneut. „Gar nicht, so wie ich dir auch viele Dinge habe durchgehen lassen, als du noch nicht die Oberhand hattest.“ Es brauchte einen Moment, dann nickte Crawford mit einem äußerst menschlichen Augenrollen. „Sollte ich, ja. Alleine schon um zu sehen, wie du versuchst, dich gegen deine Agentin zu wehren und deine Schwester vor ihr zu schützen.“ „Dann bringe mich nicht um“, schlug Aya hoffnungsvoll vor und Crawford hob amüsiert die Augenbraue. „Hegst du Hoffnungen, Fujimiya?“ „Ich bin noch nicht fertig mit Lasgo und Birman.“ „Mutige Worte für einen Einzelkämpfer. Ich nehme an, dass dir bewusst ist, dass Birman deine Abwesenheit gerade dazu nutzt, dein Team gegen dich aufzuwiegeln?“, fragte Crawford mit nicht geringer Genugtuung und Aya zuckte zusammen. „Wie bitte?“, grollte er dunkel und wurde mit einem amüsierten Schnauben belohnt. „Dachtest du, sie würde die Gelegenheit außen vor lassen? Du hast dich gegen sie gestellt und bist eine Gefahr für sie. Alleine die Tatsache, dass sie dich noch am Leben gelassen hat, spricht dafür, dass sie wie der Rest von Kritiker nicht weiß, was gut für sie ist.“ Aya ignorierte die allzu spöttischen Worte. „Was wird sie tun?“ Der Schwarz trat einen Schritt neben Aya und warf einen Blick auf das Grab seiner Eltern. Fast war Aya versucht, ihm zu sagen, dass er kein Recht dazu hatte, sie hier, in ihrer letzten Ruhestätte, zu stören und sie zu entweihen, doch wie hatte Crawford es so schön gesagt? Es stand ihm hier, jetzt, in diesem Moment nicht zu, nicht mit einer geladenen und entsicherten Schusswaffe, nicht so unbewaffnet wie er war. „Ich meine mich zu erinnern, dass unser Deal sein Ende gefunden hat, als du mich in dem Hotelzimmer abgesetzt hast. Jede weitere Unterstützung kostet dich etwas.“ Aya grollte. Natürlich tat sie das und er war sich beinahe sicher, dass er den Preis dazu nicht zahlen wollte. Darüber hinaus durfte er ihn nicht zahlen, denn obwohl er Crawford gerettet hatte, obwohl der Mann mit ihm kooperiert hatte, war der Mann immer noch der Teufel in Person. Pakte mit dem Teufel würde er nicht eingehen: sei es Lasgo, Birman oder eben der Mann, der vor ihm stand. „Ich will deine Unterstützung nicht, ich will, dass diese Farce ein Ende hat“, knurrte er erbost und Crawfords Mundwinkel zuckte. „Fromme Wünsche, Fujimiya. Vielleicht solltest du schon für deine Beerdigung sorgen.“ Aya hielt inne. Vielleicht? „Also bist du wirklich nicht gekommen um mich umzubringen?“ Crawford versagte ihm erneut eine Antwort und ließ ihn schmoren. Doch etwas in ihm sagte Aya bereits, dass er Recht hatte mit seiner Annahme. Dafür war der Schwarz zu ruhig. „Katzen haben neun Leben, Schwarz, unterschätze mich nicht.“ „Du bist einer gegen viele. Deine Chancen stehen schlecht.“ „Ich brauche keine guten Chancen, mir reicht eine passende Möglichkeit.“ „Nein, das tut es nicht.“ Aya hatte genug von dem wenig konkreten Unsinn, den Crawford von sich gab. Langsam bückte er sich nach dem Eimer und tauchte die Kelle ein. Wütend warf er den Schwamm ins Wasser und richtete sich wieder auf, nur um Crawfords durchdringenden Augen zu begegnen, die ihn bei jeder Bewegung musterten. Betont deutlich wandte er sich ab von seinem Gegenüber. „Was denkst du, was du da tust, Fujimiya?“ „Ich gehe, Crawford. Ich habe ein Team zu leiten, nicht nur ein Problem zu lösen und meine Schwester zu retten.“ „Alles nicht nötig, wenn du tot bist.“ Aya atmete tief ein und warf einen nach Geduld suchenden Blick in Richtung Himmel. „Das ist der springende Punkt, nicht wahr? Ich werde nicht sterben, zumindest heute nicht. Du wirst mich nicht umbringen, aus welchen Gründen auch immer. Vermutlich belustigt es dich, dass ich mich mit meiner eigenen Organisation herumschlagen darf, weil ich dich am Leben gelassen habe und so nachsichtig war, dich am Leben zu lassen und dich Lasgo zu entreißen. Du wirst dich vermutlich daran ergötzen, dass Birman wie auch Lasgo mich unter Druck setzen, während ich mich weigere, nun auch noch zu deren Kettenhund zu werden. Und diese Belustigung willst du mir unter die Nase reiben, weil es deiner Natur entspricht, dich vom Leid anderer zu nähren. Sei es drum. Wenn es soweit ist, werde ich dich und dein Team ebenso vernichten, wie ich es mit Birman und Lasgo tun werde. Ich habe kein Interesse daran, euer aller Spielball zu sein.“ Crawford musterte ihn und für einen Augenblick lang war sich Aya sicher, dass er falsch gelegen hatte. Da war Mordlust in den Augen des Amerikaners. Da war Hass, den Aya sich nur zu gut erklären konnte. Wut, die er nachvollziehen konnte. Doch das alles verschwand und verbarg sich unter der Maske der Arroganz, die soviel Menschlichkeit verbarg, dass Aya sich fragte, ob die, derer er ansichtig geworden war, eine Täuschung gewesen war. „Man darf auf den Ausgang gespannt sein, Abyssinian“, erwiderte Crawford schließlich und sicherte die Waffe, steckte sie zurück in das Holster. „Einen Tipp zum Abschied?“, fragte Aya lakonisch über sein erleichtert klopfendes Herz hinweg und tatsächlich runzelte sich die glatte Stirn des Schwarz ein paar Sekunden lang. Dann schmunzelte er. „Nimm die Nordroute zum Einkaufen. Auf der Ostumgehung wird es einen Stau mit Vollsperrung geben. Das wird dich Stunden kosten.“ Aya grollte tief und leidenschaftlich. „Du warst schonmal hilfreicher, Crawford. Was für einen Sinn hatte dieses Gespräch, wenn du mich nicht umbringen willst und mich mit unwichtigem Stuss aufhältst?“ Crawford hatte tatsächlich die Güte, das mit einem Stirnrunzeln zu quittieren. „Keinen. Und nun solltest du dich langsam auf den Weg zu deinem Wagen machen und fahren, bevor ich es mir anders überlege und dich von hinten erschieße. Und nachdem ich mit dir fertig bin, mich dem alten Mann dort hinten zuwende. Also?“ Aya wusste, dass Crawford es ernst meinte. Er sah es in den scharf konturierten Zügen. Es war mehr, als er erwartet hatte und jemals erhofft hatte, so gab er sich für den Moment zufrieden und wandte sich ab. Dann verharrte er jedoch und war noch einmal einen Blick zurück. Pointiert richtete er seinen Blick auf das dunkle und farbenfrohe Hämatom auf dessen Jochbein. „Schuldig war es, nicht wahr? Er hat dir eine runtergehauen, weil er genug von deinen Provokationen hatte.“ Spöttisches Amüsement begegnete ihm. „Stimmst du etwa mit dem überein, der es mir geschlagen hat?“ Aya nickte bestimmt und das Lächeln wurde dunkler. Genugtuung huschte über Crawfords Gesicht und manifestierte sich als ein kurzes, kaltes Lachen voller Zufriedenheit. „Es war Takatori. Dafür, dass ich es versäumt habe, Lasgo zu töten. Glückwunsch Fujimiya, ihr seid euch gar nicht mal so unähnlich.“ ~~**~~ Stirnrunzelnd zog Youji an seiner Zigarette, während er in ihrem kleinen, beendenden Hinterhof saß. Der Geschmack und der Rauch, den er in die Umwelt blies, sollten ihn beruhigen, wie er es immer taten, aber ausgerechnet jetzt verweigerte seine Sucht ihm diesen Gefallen. Es war haarsträubend gewesen, was Birman ihnen über ihren Anführer erzählt hatte. Jedes ihrer Worte hatte Widerwillen in Youji erzeugt, ebenso wie Unglauben und Entsetzen. Er wusste, dass sie keinen Grund hatte sie anzulügen, dennoch war er immer noch davon überzeugt, dass es sich hierbei um einen Irrtum handeln musste. Ein schrecklicher Irrtum, dem Aya zum Opfer fallen würde, wenn sie nicht genau genug prüften. Dass Birman zu ihnen gekommen war, nachdem Omi ihren Anführer weggeschickt hatte, machte ihm deutlich, wie wichtig es war, dass sie es vor Aya zunächst verborgen hielten, um die Ermittlungsergebnisse nicht zu gefährden. Youji ließ das jedoch unwillig die Stirn runzeln. Aya und er waren immer ehrlich zueinander gewesen. Sie vertrauten einander und mehr als einmal hatte der rothaarige Mann ihm auf Missionen das Leben gerettet oder verhindert, dass ihm der Arsch aufgerissen wurde. Warum also sollte er mit einem Mal mit dem Feind paktieren, noch dazu mit einem Drogen- und Menschenhändler? Mochte es an der langen Einzelmission liegen? Youji verwarf diesen Gedanken. Einzelaufträge waren keine Seltenheit und was sollte denn geschehen sein, dass Aya sich plötzlich einem solchen Abschaum zuwandte? Youji würde äußerst sensibel vorgehen müssen, um die Balance zwischen der Loyalität zu seinem Freund und der Wahrheitsfindung zu wahren. Anscheinend hatte er mit seinen Überlegungen den Mann heraufbeschworen, denn keine drei Minuten später fuhr der weiße Porsche auf den Hinterhof. Stumm sah Youji Aya dabei zu, wie er seinen Wagen parkte und den Kofferraum öffnete um die Einkaufstüten herauszuholen. Aufmerksam bohrten sich die grünen Augen in Ayas Mimik und Gestik und Youji stellte fest, dass sein Anführer mehr als angespannt war. Selbst von hier aus konnte er die strengen Linien des Kinns sehen, die durch die zusammengepressten Kieferknochen noch mehr hervortraten. Die hochgezogenen Schultern. Die gewittrig gesenkten Mundwinkel. Irgendetwas war passiert. „Musst du nicht arbeiten?“, grimmte eben jenes Subjekt seiner Beobachtungen und Youji ließ seine Augen zu den violetten Gegenstücken wandern. Er grinste mit einer Maske aus lässigem Spott. „Ich habe auf dich gewartet, alter Mann, damit ich dir beim Tragen der Einkäufe helfen kann“, erwiderte er und fing scheinbar sorglos lachend eine der tiefgefrorenen Fischpackungen. „Ich bin jünger als du, Playboy. Sowohl im Aussehen als auch auf dem Papier.“ Youji streunte näher und warf einen Blick in den vollen Kofferraum von Ayas Heiligtum. „Du verhältst dich aber nicht so, Opa.“ Er wackelte mit den Augenbrauen und nahm sich eine der vollbeladenen Tüten, bevor sich Aya eventuell noch dazu entschließen konnte, diese nach ihm zu werfen. Fröhlich pfeifend trug er sie hinein und kam noch weitere zwei Male hinaus um Aya zu helfen, seinen Kofferraum leer zu räumen und die Einkäufe in ihrer Vorratskammer und ihrem Kühlschrank zu verstauen. Die merkwürdige Anspannung, die die Muskeln des rothaarigen Mannes fest in ihrem Griff hielt, wich dabei die ganze Zeit über nicht und Youji fragte sich warum. War es tatsächlich so, wie Birman gesagt hatte und Aya war ein Verräter? Übergelaufen zu einem Mann, der ihm vermutlich falsche Versprechungen gemacht hatte? Kam daher die Anspannung? Youji wollte es gleich hier herausschreien, doch er beherrschte sich notgedrungen. Weniger anlässlich Birmans Warnung, eher, weil er um den Umstand wusste, dass Aya, sobald er ihn unter Druck setzte, dicht machen und sich gar nicht öffnen würde. Youji besah sich Aya, während dieser an der Kaffeemaschine hantierte und ihn anscheinend schon ausgeblendet hatte, so wie er jedes Ärgernis ausblendete. Aber nicht mit dem großartigen Detektiv Youji Kudou, dem Ältesten dieser unvernünftigen Truppe. Grinsend ließ er sich auf einen der Stühle fallen und schlug die Beine über. „Du hast noch gar nichts von der Mission erzählt, Aya. Fünf Wochen weg und dann kommt nichts. Das ist selbst für dich wortkarg…was ist passiert?“, fragte er frei heraus und gab dem Ganzen eine humorvolle Note. So wie er Aya schon hundert Mal nach dem Ausgang einer Mission gefragt hatte. Und wie die hundert Mal zuvor auch schon, leitete eben jener seine Antwort ein, indem er mit den Schultern zuckte. Gepaart mit einem nichtssagenden Brummen widmete er sich erst einmal wieder seiner eigentlichen Aufgabe, bevor er sich schlussendlich mit einer dampfenden Tasse Kaffee zu Youji umdrehte und seinen Teamkollegen dunkel musterte. Gerade so, als wäre er der Feind und nicht Lasgo. „Der Mann ist ein widerliches Drecksschwein“, spuckte Aya Youji vor die Füße und überrascht hob der blonde Weiß die Augenbrauen. In dieser Deutlichkeit sprach Aya sonst nur von Takatori. „So schlimm?“ Aya presste eisern den Kiefer aufeinander und zog seine Brauen sturmgeweiht zusammen. „Schlimmer, als es in den Akten stand?“ Aya nickte abgehackt und alleine diese Geste ließ Youji Birmans Verdacht anzweifeln. Aya war wirklich und ehrlich bestürzt. Er sah den Zorn und den Hass in den Augen seines Teamkollegen, las die Anspannung in den Schultern und die Kraft, mit der die arme Kaffeetasse malträtiert wurde. „Hat er dir etwas angetan?“, fragte Youji ruhig und legte seine Stirn in sorgenvolle Falten. Die Frage war nur zur Hälfte eine Fangfrage. Youji machte sich ernsthafte Sorgen, dass Lasgo sich Aya bemächtigt hatte. Das Kopfschütteln, das sich ihm nun entgegentrug, beruhigte ihn. „Mir nicht.“ Ayas darauffolgende Worte jedoch weniger. Youji wäre bisher kein guter Detektiv oder Freund gewesen, wenn er die Zwischentöne nicht herausgehört hätte. „Jemandem vor Ort?“, fragte er vorsichtig nach und wurde zunächst mit gedankenlastigem Schweigen bedacht. Aya war nicht abgeneigt, ihm eine Antwort zu geben, das erkannte er. Doch wie so oft brauchte der rothaarige Mann ein paar Augenblicke um sich seine Worte zurecht zu legen. In den letzten Jahren war es besser geworden, doch immer, wenn Aya sich mit etwas nicht sicher war, verfiel er in alte Gewohnheiten und so war es Geduld, die er vorrangig brauchte um Aya zum Sprechen zu bringen. Unwillkürlich fragte sich Youji, was die Unsicherheit dieses Mal auslöste. Er schwieg und lehnte sich langsam zurück, in eine bequemere Position. Es dauerte ein paar Minuten, dann hatte der rothaarige Mann anscheinend eine Entscheidung getroffen. Langsam senkten sich die angespannten Schultern und für einen kurzen Moment schloss dieser die Augen, nur um sie Sekunden später wieder nachdenklich zu öffnen. „Er hatte einen Mann bei sich“, begann Aya und lehnte sich gegen den Tresen. Die Kaffeetasse wurde von seinen angespannten Fingern umklammert, die vor Anspannung weiß waren. „Er hat ihn als seinen persönlichen Sexsklaven gehalten.“ Youji bohrte seinen Blick in das abgewandte Profil seines Freundes. Wieder waren es die Zwischentöne und das Ungesagte, das ihm Aufschluss darüber gab, was Aya beschäftigte und ihm bereits jetzt einen eiskalten Schauer über den Rücken trieb. „Der Mann war nicht freiwillig dort“, stellte Youji in den Raum zwischen sie beide und Aya schüttelte abgehackt den Kopf. „Lasgo hat ihn dazu gezwungen. Und ihn schließlich mir geschenkt, damit ich meinen Spaß mit ihm haben kann.“ Youji zuckte nicht nur innerlich zusammen, als ihm die Bedeutung dessen bewusst wurde. Die Mission hatte in so einem Fall Priorität, insbesondere, wenn es sich um einen derart großen Fisch wie Lasgo handelte. Perser schätzte es nicht, wenn sie ihre Tarnung auffliegen ließen, dementsprechend streng waren ihre Vorschriften, was das Verhalten auf einer Mission anging. „Was hast du getan, Aya?“, fragte Youji sanft, weil er glaubte zu ahnen, in welche Richtung ihr Gespräch gehen würde. War Aya wirklich so weit gegangen um seine Tarnung aufrecht zu erhalten? Oder hatte er seine Tarnung fallen lassen und Lasgo erpresste ihn nun und Birman hatte Recht mit dem, was sie ihnen gesagt hatte? „Ich habe ihn für drei Tage geschenkt bekommen und ihn bei mir untergebracht um ihn davor zu bewahren, weiterhin vergewaltigt zu werden.“ Erleichtert seufzte Youji. Das klang schon einmal gut. Hoffte er. Youji sah Aya dabei zu, wie er gedankenverloren in seine Kaffeetasse starrte und schließlich die Stirn runzelte. „Du hast ihn geschützt?“ Aya nickte stumm, sagte jedoch weiter nichts dazu. „Und dann?“ „Habe ich ihn freigelassen.“ „Das ist doch gut.“ Wieder nickte Aya und nahm einen weiteren Schluck Kaffee. Erst dann wagte er einen Blick in Youjis Augen, die ihn aufmerksam maßen und verzweifelt verzog Aya die Lippen. „Der Mann wurde aus seinem Leben gerissen, Youji. Er war… ein Geschäftsmann, den Lasgo entführt und gebrochen hat. Er hat ihn wie ein Tier gehalten.“ Aya schluckte schwer. „Du musstest dem Mann gegenüber deine Tarnung aufrecht erhalten?“ Es dauerte eine Weile, bis Aya indifferent mit den Schultern zuckte. „Er war verängstigt und dankbar, denke ich, dass ich mich nicht auch an ihm vergriffen habe. Ich bin schließlich nicht Lasgo, nicht dieser widerliche Abschaum.“ Youji fand immer weniger Anhaltspunkte dafür, dass Aya sie vielleicht verraten haben könnte. Warum sollte er, wenn aus jeder seiner Pore Verachtung tropfte und die Verzweiflung, die Youji in den Worten seines Freundes erkannte, pur und ehrlich war? Nein, Birman konnte einfach nicht Recht haben, sie musste sich irren. Trotzdem schwebte noch etwas in der Luft zwischen ihnen, etwas, das Aya auf der Zunge lag und nicht äußerte. Auch jetzt nicht, als Youji geduldig schwieg und darauf wartete, dass Aya weitersprach. Doch sein Freund tat ihm nicht den Gefallen. Aya trank seine Tasse leer und drehte sich zum Spülbecken um und spülte sie aus, verharrte schließlich in der Position. „Ich verstehe das nicht, Youji. Wie kann man so etwas einem anderen Menschen antun? Ich konnte sehen, dass dieser Mann vorher stolz gewesen ist und selbstbewusst. Lasgo hat ihn soweit gebracht zu betteln.“ Aya schüttelte den Kopf und stützte sich an der Anrichte ab. Langsam erhob Youji sich und kam zu Aya. Ebenso bedacht legte er dem anderen Mann seine Hand auf die Schulter. Die Muskeln unter seiner Hand zitterten und ein Blick auf Aya sagte ihm, dass sein Anführer alles andere als ruhig war. Er hatte die Lider fest zusammengepresst, ebenso wie die Lippen, die sich verächtlich verzogen hatten. „Aya, er ist frei. Du hast ihn befreit“, murmelte Youji und erntete dafür ein verächtliches Schnauben. Aya öffnete seine Augen und wandte sich ihm zu. „Wie viele wie ihn mag es noch geben? Wie viele Lasgos mag es noch geben?“ „Zu viele, um sie alle zu töten. Aber jeder von denen, den wir erledigen, wird diese Welt nicht mehr belästigen.“ Die Augen, die ihn maßen, entbehrten jedweder Lüge. Aya stimmte ihm aus vollstem Herzen zu, das sah Youji. Nein, Aya hatte sie nicht verraten. Im Gegenteil. „Ich habe die Mission in den Sand gesetzt, Youji. Ich habe den Mann gerettet und damit die Chance verpasst, Lasgo zu töten. Das Einzige, was mir in dem Moment geblieben ist, ist das Areal in die Luft zu sprengen. Hätte ich mich nicht um den Mann gekümmert, Youji, dann hätte ich die Mission nicht in den Sand gesetzt und Lasgo entkommen lassen. Hätte ich nicht… wäre ich nicht…“ Aya stockte und Youji maß seinen Freund aufmerksam, dessen Verzweiflung nun deutlich aus jeder Pore tropfte. „Ich habe einen gerettet und wie viele andere verdammt? Ich habe versagt, Youji, ich habe versagt…“ Da war es, was Birman ihnen erzählt hatte. Aya hatte die Mission nicht beendet. Aya hatte versagt, wenn er sich des Vokabulars von Kritiker bediente. Und warum? Weil er einen anderen Menschen gerettet hatte. Und nicht, weil er sie verraten hatte. Youji grollte innerlich. Er würde alles daransetzen und Ayas Unschuld beweisen. Er würde nicht zulassen, dass Kritiker seinen Freund tötete, nur weil er Milde und Güte bewiesen hatte. Um Lasgo würden sie sich auch gemeinsam kümmern können. ~~**~~ Crawford war nicht danach gewesen, nach Hause zu fahren. Der dumpf pochende, durch Medikamente betäubte Schmerz war dabei nicht das Problem. Die vorsichtigen oder penetranten Fragen in den Augen seines Teams ebenfalls nicht, das konnte er wegignorieren und in Nagis Fall mit einem Blick beenden. Das Problem war ein anderes und das war ihm heute bewusst geworden. Sein Problem hieß Fujimiya. Natürlich. Crawford ließ seinen Wagen schließlich auf einem abgelegenen Parkplatz ausrollen und fuhr sich mit den Händen müde über seine schmerzenden Gesichtszüge. Er wünschte, er hätte eine akute Lösung für eben jenes, doch der heutige Tag hatte ihm genau das nicht bestätigt. Das war nicht gut...das war gar nicht gut. Um ehrlich zu sein jagten ihm diese Neuigkeiten Schauer des Unwohlseins durch seinen Körper, wenn nicht sogar mehr als das. Crawford schloss erbittert die Augen und presste seine Handballen gegen die geschlossenen Lider. Nein, solche Gedanken durfte er nicht haben. Er durfte nicht an dem zweifeln, was ihn ausmachte. Das Geschehene einfach zu vergessen und hinter sich zu lassen, das war das Richtige und das Einzige, was er tun konnte, um die Stabilität wieder zu erlangen, die ihm seit Tagen fehlte. Wie schön doch die Theorie war, so vollkommen anders als die Praxis. Seine Gabe war seit Lasgo sich ihm zum ersten Mal aufgezwungen hatte, instabil und gehorchte ihm anscheinend nur, wenn Fujimiya in der Nähe war um sie auszulösen. Crawford hatte eine ungute Ahnung gehabt und sie in dem Moment bestätigt gefunden, als er auf Fujimiya getroffen war, nein, sich nur in seine Nähe begeben hatte und mit einem Mal von Visionen heimgesucht worden war. Flüssig, stringent, in klarer Reihenfolge. Je mehr Zeit er in Fujimiyas Nähe zubrachte, desto stabiler und ruhiger war er geworden nur um sich wieder Hals über Kopf in die altbekannte Unruhe und Blindheit zu stürzen, je weiter er sich von Fujimiya entfernte. Crawford grollte und öffnete abrupt die Augen. Er musste raus aus diesem Wagen. Dessen geräumige Weite schien ihm plötzlich um ein Vielfaches zu eng, als er hastig den Schlüssel aus der Zündung zog und unelegant aus dem Wagen stolperte. Ja, hier war es besser, hier ließ sich das abrupte Herzklopfen wieder unter Kontrolle bringen. Er hörte sich selbst, wie er gewaltsam nach Luft rang und sich zitternd an sein Auto lehnte. Immer und immer wieder hielt er sich vor Augen, dass er zuhause war und dass dieser Zustand nur temporär war. Und nur zu logisch. Fujimiya war der sichere Anker gewesen, den er gebraucht hatte um wieder zu sich zu kommen, nachdem Lasgo ihn beinahe zerstört hatte. Durch das Verhalten des Weiß hatte er die wenigen Stunden, die er mit diesem verbracht hatte, Ruhe und Konzentration gehabt, die er für eine adäquate Aufgabenerfüllung benötigt hatte. Dass er sich in der anfänglichen Zeit danach sich nach eben dieser Ruhe sehnte, war beinahe zu logisch und wenig überraschend. Er sollte es wie alles andere auch einfach nur durch sich hindurchwaschen lassen und entsprechend handeln. Crawford ließ seinen Blick über sein zweites Zuhause gleiten: seine private, seinem Team nicht bekannte Errungenschaft. Laut Schuldig würde es wohl ein Schrebergarten sein, doch Crawford wusste, das kleine Stück Land, welches er sich zugelegt hatte, verdiente diesen Namen nicht. Sicherlich, es war mit verwinkeltem Garten und sich anschließendem, zweistöckigem Holzbau ähnlich aufgebaut, doch er hatte sich ausschließlich auf den Anbau von Blumen und Pflanzen spezialisiert und nicht auf Gemüse. Rosensträucher säumten seinen kleinen, kieseligen Weg, den er nun entlang schritt. Sie alle waren dank des Wassermangels nicht mehr in ihrer ursprünglichen Pracht anzutreffen, sondern starrten ihn aus traurigen, bräunlichen Blüten an. Eine Schande, doch unumgänglich, nicht im Ansatz so wild wie der Fujimijasche Garten. Er hatte damit gerechnet, hatte seinen Auftrag mit eingeplant. Was er jedoch nicht vorausgesehen hatte, war die ungewollte Verlängerung seines Aufenthaltes, dessen unfreiwillige Opfer ihm nun mehr als deutlich bewusst waren. Er würde sich die nächsten Tage erst einmal darum kümmern müssen, all das hier wiederherzustellen, um Ordnung in seine private Oase zu bringen. Aber das war gut, würde es ihn von den überflüssigen Gedanken ablenken, die sich so störend auf seine Konzentration auswirkten. Crawford inspizierte kurz den mächtigen Kirschbaum zu seiner Rechten. Ein spät Tragender, der, im Gegensatz zu anderen Pflanzen, sehr genügsam im Wasserhaushalt war. Er berührte eine der rosanen, perfekten Blüten, die schlussendlich in Kirschen münden würden. Er musste unwillkürlich schmunzeln, als er daran dachte, wie misstrauisch Schuldig und Nagi ihn beäugen würden, wenn er, wie jedes Jahr, mit Eimern voller Kirschen auftauchen und sie ohne Kommentar waschen und zum Verzehr hinstellen würde. Nagi hatte ihn einmal vorsichtig danach gefragt, mehr als einen nichtssagenden Blick hatte Crawford ihm jedoch nicht zugestanden. Trotzdem aß sein Team die Kirschen gierig und gerne. Crawfords Blick wanderte zu der uralten Eiche, die wie ein ewiger, stummer Wächter das Haus bewachte und es vor neugierigen Blicken abschirmte. Ein Meer aus frisch gewachsenen, grünen Blättern bedeckte um diese Jahreszeit den mächtigen Stamm und wiegte sich sanft im noch kühlen Aprilwind. Ein angenehm untermalendes Rauschen drang an seine Ohren und ließ seinen Gedanken für einen Moment zurückschweifen zu jenen drei Tagen. Auch dort hatte er auf das Rauschen der Bäume gehört und sich davon beruhigen lassen. Zumindest immer dann, wenn Fujimiya nicht da gewesen war oder geschlafen hatte und somit nicht in der Lage war, ihn mit seiner unnützen Anwesenheit zu belästigen. Oder seinen zukünftigen Taten. Was Crawford jedoch wirklich daran erzürnte, war die Tatsache, dass seine Gabe, jahrelang geschult auf feine Details und Gefahren, ihm in Fujimiyas Nähe ungefiltert alles gezeigt hatte. Von all den kleinen Details ganz zu schweigen, die unwichtiger nicht hätten sein können. Unwirsch schüttelte er den Kopf und steuerte unter leisem Knirschen der Kieselsteine unter seinen Sohlen auf das Haus zu. Kurz davor blieb er stehen und ließ seinen Blick über die efeubewachsene Fassade gleiten. Grüne Ranken, die das sonst dunkle Holz nun beinahe komplett verbargen. Auch das war Arbeit, die auf ihn zukam. Efeu, ein Parasit unter den Gewächsen, wucherte schnell unkontrolliert, wenn man sich nicht regelmäßig um die Pflege kümmerte. All das, was nun die großen Panoramafenster des Erdgeschosses im Pavillon verbarg, musste weg. Mit einem ergebenen Seufzen schloss er auf und betrat seine persönliche Ruheinsel. Das Besondere daran war der steinerne Eingangsbereich, sowie eigentlich das gesamte Erdgeschoss. Mit orientalischen Mustern und Skulpturen verziert, mutete es an, wie ein altes, arabisches Badehaus. In sich harmonische Muster aus handgeschnitztem, robustem Holz, farbenfrohe Wände, kalter, kupfern durchzogener Marmor, all das kennzeichnete diesen einzelnen, durchgehenden Raum. Was hier nicht so deutlich zur Geltung kam, war der achteckige Grundriss des Hauses, der im zweiten Stock dafür umso deutlicher ins Auge stach. Hier jedoch zog das riesige, in den Marmor eingelassene Schwimmbecken die ganze Aufmerksamkeit auf sich. Es war ebenso klassisch arabisch, wie der gesamte Raum an sich und genau das, was Crawford entworfen hatte. Sein persönliches Paradies, seine Oase zum Entspannen und Ruhen, fernab seines Teams. Die Stille und Einsamkeit des Raumes jagte Crawford wie so oft einen Schauer des Wohlbehagens über den ganzen Körper. Im Moment entspannte ihn diese stille Friedfertigkeit und ließ ihn den Stress vergessen, der an ihm zerrte. Für einen Augenblick waren weder Schwarz noch Takatori, noch Fujimiya oder Lasgo ein Thema. Alles ließ er gehen und zog seine Ruhe aus seinem kleinen, privaten Rückzugsort. Crawford ließ den Blick nach oben streifen, zum verglasten Dach, der Kuppel von zwei Metern Durchmesser, die beide Etagen in ein natürliches Licht tauchte. Mit Bedacht stieg er die Treppe hinauf und warf einen Blick auf das einfache, aber geräumige Bett, das ihm schon so manche ruhigen Nächte beschert hatte, in denen zumindest Schuldig davon ausgegangen war, dass er sich mit anderen Menschen vergnügte. Zittrig atmete Crawford ein und wandte sich zum Kamin, der gegenüber dem Bett in der Wand eingelassen war. Der schwache Duft nach verbranntem Holz erinnerte ihn an die letzten Momente in dem Areal, das Fujimiya in die Luft gejagt hatte. Mit dem Geruch kamen die Erinnerungen, die sich nicht mehr zurückhalten ließen. Er erinnerte sich an den Moment, an dem sein Abstieg begonnen hatte. Alles lag präsent vor ihm: sein Auftrag, Lasgo, seine Ahnungslosigkeit und schließlich die Katastrophe, die er nicht vorhergesehen hatte. Seine persönliche Hölle aus Schmerz, Vergewaltigung und vollkommener Machtlosigkeit. Hilflos, das war er gewesen, als Lasgo ihn überrumpelt hatte. Er spürte jetzt noch den kalten, schweren Stahl der Handschellen, der sich ungefragt in seine Haut geschnitten hatte, während er sich gegen die massigen Wachleute Lasgos gewehrt hatte, doch bald erkennen musste, dass es sinnlos gewesen war. Ein schrecklicher Moment. Aber einer, den er bis zu dem Zeitpunkt noch zu händeln wusste. Gewalt gegen ihn war nicht das Problem. Schmerz auch nicht. Crawford war in seinem bisherigen Leben selten ängstlich oder gar entsetzt gewesen, doch Lasgo hatte nur zu gut gewusst, wie er derlei Gefühle aus ihm hatte herausholen können. Wie er sie ihm Stück für Stück herausgerissen hatte und sich allem bemächtigte, was Crawford ausmachte. Ja...er hatte sie erfahren, die absolute Demütigung, die vollkommene Entmenschlichung. Nackt, entblößt, ohne Würde und Selbstbestimmung hatte er vor ihm gelegen und musste das über sich ergehen lassen, was in ihm qualvollen, aber sinnlosen Widerstand hervorrief. Die körperlichen Schmerzen waren schlimm gewesen, ja. Weitaus schlimmer als alles andere zuvor. Doch das, was sein Verstand daraus machte, übertraf die körperlichen Schmerzen, die Lasgo ihm zugefügt hatte, bei weitem. Insbesondere die Momente, in denen der ältere Mann ihm eben keine Schmerzen zugefügt, sondern seine eigene Lust gegen Crawford verwendet hatte. Und dann war da Abyssinian gewesen. Crawford musste wider Willen verzweifelt amüsiert lachen. War. Abyssinian war immer noch, das machte es ja zu einem Problem. Crawford hatte ihn leben lassen, bei Lasgo, zurück in Tokyo, auf dem Friedhof am Grab seiner Eltern. Immer aus unterschiedlichen Gründen, aber der Weiß lebte noch und war eine Gefahr für seinen Plan, Rosenkreuz das Ganze zu verheimlichen und so weiter zu machen wie bisher. Und er war ein Motor, der seine Visionen befeuerte, was in Crawford ungute und unkluge Ideen hervorrief. Wie einfach wäre es, täglich am Blumenladen vorbei zu fahren, seinen Tagesablauf an den des Weiß anzupassen, bis seine Gabe wieder stabil war. Wie einfach wäre es doch, wenn da nicht die Kritikeragentin wäre. Diese verdammte Hure. Crawford grollte angewidert und hasserfüllt. Wenn die Zeit gekommen war, würde er sie töten, ganz langsam. Sie dachte, sie hätte über ihn gesiegt? Im Leben nicht. Sie hatte ihr eigenes Leben in dem Moment verspielt, in dem sie Hand an ihn gelegt hatte. Und Crawford war ganz und gar nicht fantasielos, was einen quälenden Tod anging. Langsam ließ er sich auf seinem Bett nieder und starrte in den sauberen Kamin. In seinem Kopf spielte er für ihn ungewohnt blutige Rachefantasien durch, bevor er sich daran machte, ernsthafte Pläne für Kritiker Weiß, vor allem aber für Birman zu schmieden unter Einbeziehung aller Eventualitäten, die ihm momentan jedoch noch verborgen blieben. Minutiös plante er die nächsten Schritte, die er gehen musste um Takatori gerecht zu werden und den noch brach liegenden Auftrag zu erfüllen. Lasgo hatte jetzt seine oberste Priorität und dieses Mal war er nicht alleine. Den Fehler würde er kein zweites Mal machen. Und wie passend war es da, dass Birman sicherlich wusste, wo sich der Drogenhändler aufhielt. Seiner Aussage in dem von ihm zu fertigenden Bericht würde der Rat glauben und ihm die Ausnahmeerlaubnis geben, sich der Agentin zu entledigen. So wie er die Ratsmitglieder kannte, würden sie beileibe nicht die Exekutorin schicken, um ein solch kleines Detail vor Ort zu überprüfen, das augenscheinlich keinerlei Auswirkungen auf ihren Plan haben würde, Japan als einen sicheren und stabilen Partner zu gewinnen. ~~**~~ Wird fortgesetzt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)