Que faire si? Oder: Was wäre, wenn ...? von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 6: Das darf doch nicht wahr sein ---------------------------------------- Hikari war zu aufgewühlt, als dass sie sich freuen konnte. Gedankenverloren ging sie durch die Straßen von Tokio. Ihre Gedanken überschlugen sich. Was war alles an einem einzigen Tag passiert? Sie war sich ganz sicher, dass sie diesen jungen blonden Mann nicht kannte. Trotzdem kamen ihr die Augen und das Lachen vertraut vor. Sie konnte sich keinen Reim auf die gesamte Situation machen. Ihr gingen andere Gedanken durch den Kopf: ‚Was meinte er damit, dass ich die Beziehungen zur Chefetage nicht ausnutzen soll? Was denkt dieser Blödmann eigentlich von mir? Ach, das ist doch alles zum verrückt werden.‘ Genervt stöhnte Hikari auf. Das konnte lustig werden. Die junge Frau blickte sich kurz um. Sie war im Park von Odaiba gelandet. Nachdenklich beobachtete die Braunhaarige ihre Umgebung. Unbewusst griff sie in ihre Kameratasche und holte ihre Spiegelreflexkamera raus. Vielleicht fand sie ein paar Motive, die sie fotografieren konnte. Ihr Blick blieb an ihrer Freundin hängen, die gerade von einer Bank aufsprang und auf jemanden zu rannte. Ihre Beobachtung wurde durch ihr klingelndes Handy unterbrochen. „Hey Tai! ... Nein, ich habe euch nicht vergessen. ... Ich bin gleich bei euch. Bis dann.“ --- Froh darüber, dass der Arbeitstag sein Ende gefunden hatte, schloss Takeru sein Büro ab und machte sich auf den Weg nach Hause. Seine Wohnung hatte er mit Hilfe seines Vaters gefunden. Leider waren die Spuren des Umzuges immer noch nicht beseitigt. In der Essecke fehlten noch der Esstisch und die Stühle. Zurzeit diente zur Nahrungsaufnahme der Tresen, der die Küche von den Wohnzimmern abtrennte. Im Schlafzimmer standen ein paar Kartons, die noch ausgepackt werden mussten. Dafür hatte er heute keine Nerven. Dieser Tag brachte ihn vollkommen durcheinander. Takeru wollte sich entspannen und zur Ruhe kommen. Er suchte sich seine Sportklamotten raus und machte sich für eine Joggingrunde fertig. Er hoffte, dass er seinen Frust, der sich im Laufe des Tages aufgebaut hatte, durch das Laufen abbauen konnte. Im Park angekommen lief er seine Runde. Zufällig blickte Takeru zu der Bank, auf der eine junge Frau saß. Ein aufrichtiges Lächeln zierte sein Gesicht, als er sie erkannte. Schnell lief er in ihre Richtung und rief ihren Namen. Die rothaarige Frau sah auf. Sie drehte sich in die Richtung, aus der ihr Namen gerufen wurde. Sie erkannte den jungen Mann, fing an zu lächeln und lief ihm entgegen. Beide umarmten sich herzlich. Sie gaben sich einen kleinen Begrüßungskuss auf die Wange. „Hallo TK. Schön dich endlich zu Gesicht zu bekommen. Wie lange wohnst du jetzt schon in Tokio?“ „Hey Sora! Ich freue mich auch, dich wiederzusehen“, grinste er sie an. „Ähm … zwei Monate“, kam es verlegen von dem Jüngeren. „Entschuldige, dass ich noch keine Zeit für euch hatte. Vater und Yamamoto haben mich voll eingespannt. Mit dem Einrichten in der neuen Wohnung bin ich noch nicht fertig“, stöhnte er auf. Sora musste lachen. „Schon gut. Matt und ich haben mit nichts anderen gerechnet. Wie geht es dir?“ „Gut, danke der Nachfrage.“ Der Blonde sah kurz zu Seite. „Hör auf damit, TK. Du solltest -“ „Sora, lass es“, zischte er die Frau seines Bruders an. Sie seufzte resigniert auf. „Wir wollen morgen Grillen. Du bist herzlich eingeladen. Unsere Freunde könnest du auch kennenlernen. Was meinst du? Haru würde sich freuen, seinen Onkel mal wieder zu sehen. Von Matt müssen wir nicht reden.“ Sora sah ihn mit großen Augen an. Takeru seufzte auf. „Na gut.“ „Sehr schön. Wir freuen uns, TK. Es tut mir Leid. Ich habe keine Zeit mehr. Haru wartet darauf aus dem Kindergarten abgeholt zu werden. Ich schreibe dir, wann es morgen losgeht.“ „Danke dir, bis Morgen Sora.“ Takeru blickte ihr kurz nach. Er setzte seine Joggingrunde fort. Die Wut auf seinen Vater und Yamamoto war noch nicht verraucht. Die Sache mit Hikari machte ihn fertig. Er merkte, dass er ihr Unrecht getan hatte. Die Fotos, die er gesehen hatte, waren eine Augenweide. Er konnte sich nicht mit den Gedanken anfreunden, dass sie bald zusammenarbeiten mussten. Der einzige Lichtblick an diesem Tag war die Begegnung mit Sora. Er freute sich darauf, morgen Yamato und seine Familie wiederzusehen. Takeru merkte, wie er ein wenig zu Ruhe kam. --- Yamato räumte den Grill auf die großzügige Dachterrasse. „Du bist dir sicher, dass TK heute kommen wird?“, rief er fragend seiner Frau in die Wohnstube zu. „Klar, bin ich mir sicher. Wieso sollte TK sagen, dass er kommt, wenn er keine Lust hat?“, kam es sicher von Sora. „Er hat sich seit der Trennung von Chloé zurückgezogen. Selbst unsere Mutter konnte nicht zu ihm durchdringen. TK ist ein Workaholic geworden.“ Sora ging auf Yamato zu und schlang ihre Arme um seine Hüften. „TK hat es nicht leicht. Neun Jahre seines Lebens liegen in Scherben. Lass ihn Zeit, sein Leben neu zu ordnen.“ „Damit er sein Leben neu ordnen kann, ist dir nichts Besseres eingefallen, als ihn in die Höhle der Löwen zu schicken“, lachte der Blonde sie an. Entgeistert schaute die Rothaarige ihn an. „Wieso Höhle der Löwen? Was denkst du über unsere Freunde?“ „Lass mich mal überlegen: Wir haben mit Tai einen absoluten Trottel in der Runde, der jedes Fettnäpfchen mit nimmt. Izzy wird wahrscheinlich nur mit seinen Laptop beschäftigt sein. Joe ... Wer weiß, ob er kommt, oder zu einem Notfall gerufen wird? Mimi wird sich über Tai aufregen. Kari wird sich nicht von Haru trennen können. Ach so, Tai wird uns alles wegfressen und zeigen, dass er keine Tischmanieren hat. TK wird nahe an einem Nervenzusammenbruch sein. Im Geiste wird er sein Flugticket nach Paris buchen.“ „Aha! Warum sollte TK das machen?“ „Weil er merkt, mit was für ein Chaotenhaufen wir befreundet sind“, kam es trocken vom Blonden. Sora lachte auf. „Du hast ja eine hohe Meinung von unseren Freunden. Was mache ich?“ „Du besorgst mir Ohrstöpsel, Baldriantropfen und eine Kopfschmerztablette“, zog Yamato sie auf. „Wozu brauchst du Baldriantropfen? Du bist die Ruhe in Person.“ „Damit ich dir diese geben kann.“ Soras helles Lachen erhellte den Raum. „Danke, dass du an meine Nerven denkst. Das hört sich nach einem gemütlichen Nachmittag an.“ Sie zog ihn zärtlich am Hemdkragen zu sich und gab ihn einem Kuss. „Stimmt. Ein verrückter Nachmittag mit seinen liebsten Freunden.“ Yamato ging zur Wohnungstür, als es an dieser klingelte. „Endlich bekomme ich dich mal zu Gesicht“, begrüßte der Besitzer der Wohnung seinen Gast. Entschuldigend schaute Takeru seinen Bruder in die Augen. „Pardon! Ich weiß, ich hatte noch keine Zeit für euch. Habe bitte Nachsicht mit mir. Mein Tag hat zu wenige Stunden.“ „Ach, schon gut. Ich weiß, wie es ist wenig Zeit für die Familie zu haben. Jetzt komme erst einmal rein.“ Yamato trat einen Schritt zur Seite, damit Takeru eintreten konnte. „Merci beaucoup.“ Das genervte Aufstöhnen von seinen Bruder ließ Takeru fragend aufblicken. „Was ist los, Matt?“ „Was los ist? Du bist in Japan, TK. Tue mir und vor allem dir selber einen Gefallen und spreche Japanisch. Das hat den Vorteil, dass dich deine Mitmenschen verstehen. Verstanden?“ „Na toll! Jetzt fängt der Nächste an, meine Kompetenz in Frage zu stellen. Wenn ich euch nerve, kann ich auch wieder gehen“, motzte der Jüngere rum. Yamato zog fragend eine Augenbraue hoch. Der Ältere sah dem Jüngeren in die Augen. Der Gesichtsausdruck passte Yamato gar nicht. Er griff nach dem rechten Oberarm seines Bruders und zog ihn auf die Dachterrasse. Sora wollte den jüngeren Blonden begrüßen. „Hallo TK.“ „Jetzt nicht Sora“, fuhr Yamato seine Frau an. Sora sah den Brüdern nachdenklich hinterher. Yamato schloss die Tür. „So, TK, was ist los?“ „Nichts, mir geht es -“, blockte der Jüngere ab. „Höre auf dich selbst zu belügen. Also? Ich höre.“ „Was willst du hören, Matt?“ „Wie wäre es mit der Wahrheit?“ „Die Wahrheit? Ehrlich?“, rief Takeru aufgebracht. „Klar! Du bist mein Bruder. So wie du dich zurzeit verhältst kenne ich dich nicht.“ „Wir sind in unterschiedlichen Ländern aufgewachsen. Das könnte damit zusammenhängen“, konterte Takeru. „Das weiß ich. Trotzdem kenne ich dich sehr gut. Es tut mir leid das zu sagen: Du tickst zurzeit nicht richtig. Darüber reden soll helfen.“ „Du nervst. Weißt du das?“ „Ich nerve solange, bis du mit mir redest. Alles in sich reinfressen ist doch keine Lösung.“ „Bei den Heiligen: Kommt dein großer Bruder-Beschützerinstinkt durch?“ „Das kann sein. Also noch mal: Was ist los?“ Takeru blickte in die Augen seines Bruders. Plötzlich sprudelte es aus ihm heraus: „Ich bin wütend, genervt, verletzt und angepisst von der ganzen Welt. Ich bewerbe mich bei einem französischen Verlag in Frankreich und was passiert? Unser Vater entscheidet über meine berufliche Zukunft. Ich wollte nicht alleine entscheiden, ob ich für ein halbes Jahr nach Tokio ziehe. Ich wollte mit meiner ach so tollen Verflossenen reden und mit ihr zusammen eine Lösung finden. Durch diese Entscheidung sind neun Jahre meines Lebens den Bach runter gegangen. Diese wurden mit einer ach so tollen Liveshow ausradiert. Der ganze Scheiß lief bereits mindestens ein halbes Jahr - falls sie ihren Bruder, der mein bester Freund ist, die Wahrheit gesagt hat. Ich komme mir seitdem wie der letzte Volldepp vor. Jetzt ist der Urknall passiert: Vater und sein Geschäftspartner setzen mir die neue Kollegin vor die Nase. Ich sollte die Entscheidung treffen, wer den Job bekommt. Vater kennt die Fotografin und ich musste mich seiner Entscheidung beugen. Gut, ich habe nicht viel Berufserfahrung ... Wenn ich so ein Vollpfosten bin, dann hätte er mir die Stelle des Chefredakteurs nicht anbieten sollen.“ Eine kurze Pause entstand, bevor Takeru leise weitersprach: „Ich habe Paris verlassen, um sie zu vergessen. Wie soll mir das gelingen? Zum Schluss hackst du auch auf mir rum. Ständig frage ich mich, was ich falsch gemacht habe. Das ist einfach zu viel. Ich frage mich, ob es richtig war nach Tokio zu ziehen.“ Verzweifelt sah Takeru seinen Bruder in die Augen. Nachdenklich hatte Yamato den Gefühlsausbruch des Jüngeren über sich ergehen lassen. „Geht es dir besser, nachdem du es rausgelassen hast?“ „Besser? Es soll mir besser gehen?“ Der pure Sarkasmus war aus Takerus Stimme zu hören. „TK -“ „Lass mich in Ruhe. In Ordnung?“, zischte er seinen Bruder an. Takeru riss die Tür von der Dachterrasse auf und blickte für ihn in fremde Gesichter. Nur eine Person, neben Sora, kam ihm bekannt vor. Sie hatte heute Mittag ihren Arbeitsvertag in seinem Büro unterschrieben. Fassungslos schaute Takeru in die ebenso überraschten braunen Augen von Hikari. „Das darf nicht wahr sein! Sie haben mir gerade noch gefehlt!“, rief Takeru aufgebracht. Er schlüpfte schnell in seine Schuhe und schnappte sich die Jacke. Die Wohnungstür wurde mit einem lauten Knall von außen geschlossen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)