Red Silver von minowari (Vampire AU) ================================================================================ Kapitel 2: Mythos ----------------- Ein durchringender Schmerz durchbohrte seinen Hals, zog wie ein Blitz von seinem Ohr bis zum Schlüsselbein und er konnte sich nicht erklären, warum. Er konnte die Augen nicht öffnen und es schien, als würde er noch schlafen. Jedoch konnte er langsam etwas hören und durch den Schmerz den er verspürte, wusste er, dass er nicht träumen konnte. Ein regelmäßiges Piepen war das Erste, das ertönte. Wie das Ticken eines Uhrwerks kam es immer wieder und hörte nicht auf. Es begann ihm auf die Nerven zu gehen. „…hast…wir…durchgeführt?“ Eine unbekannte Stimme kam in seine Hörweite und Shizuo spitzte die Ohren. Leider rauschte alles seltsam und er fand es komisch. Es fühlte sich beinahe so an, als ob er einen Durchhänger hatte. Hatte er getrunken? Konnte nicht sein. Das letzte Mal ist Ewigkeiten her. War das nicht in der Oberstufe gewesen? „Ich habe es ihm verabreicht. Es sollte ihm bald besser gehen.“ Eine andere Stimme. Dieses Mal weiblich. Der Klang wurde deutlicher und das Rauschen in seinen Ohren leiser. Nein. Er war definitiv nicht betrunken gewesen. Aber was war es dann? Wieso ging es ihm so dreckig? Und wo zum Teufel war er? „Oh! Er bewegt sich.“, erwiderte die andere, männliche Stimme und dann wusste Shizuo, dass seine Gliedmaßen anscheinend funktionierten. Als nächstes probierte er erneut seine Augen zu öffnen und dieses Mal klappte es. Wenn auch mühsam. „Wo…wo bin ich hier?“, kam es trocken und heiser aus seinem Mund und Shizuo erkannte seine eigene Stimme nicht mehr. Das Bild vor seinen Augen war noch unscharf und schwankte so stark, als sei er wahrhaftig betrunken. Er konnte nur vereinzelt Umrisse erkennen – Gestalten in weißen Klamotten, graue Wände und irgendetwas Helles blendete seine Sicht. „Erstaunlich! Wie schnell er sich erholt hat!“, rief nun die weibliche Stimme aus und Shizuo konnte sie zu seiner linken Seite zu sortieren. Etwas Wabbeliges mit braunen Haaren war dann vor seinem Gesicht und dann endlich erkannte er es als eine Frau. „Hallo Heiwajima-san. Keine Sorge, es wird Ihnen bald besser gehen.“, begrüßte ihn die Dame formell und derweil fragte sich Shizuo wie er hier hin gekommen war. Was hatte er zuletzt getan? War er hier in einem Krankenhaus? Hatte er wieder einen Unfall gebaut? Was war hier los? „Wo bin ich?“, wiederholte der blonde Mann seine Frage und wollte aufstehen, doch die Frau drückte ihn sanft zurück auf die Matratze, auf der er gelegen hatte. „Nicht so eilig Heiwajima-san. Haben Sie noch etwas Geduld, dann dürfen sie sich hinsetzen.“ Woher wussten sie seinen Namen? Wer waren diese Leute? Unverständnis und auch Wut mischte sich langsam in seinen Körper. „Wo bin ich zum Teufel nochmal! Lasst mich los!“ Die Frau und der Mann hielten ihn zusammen fest, damit er auf der Matratze liegen blieb und wäre Shizuo nicht so geschwächt, wäre er vermutlich längst auf den Beinen. „Bleiben Sie ruhig, Heiwajima-san! Wir werden es Ihnen erklären. Bitte bleiben Sie noch einen Moment liegen!“, rief die junge Dame an seiner Seite und Shizuos Blick wurde nach und nach klarer. Sie war eine etwas pummelige Dame mit braunen Haaren, die sie sich zu einem strengen Dutt zusammen gebunden hatte. An ihrem Körper trug sie ausschließlich weiße Klamotten; ein Langarm-Shirt und eine Jeans, die ihr etwas zu eng waren. Ihre grünen Augen lagen besorgt auf ihm, doch Shizuos Augen wanderten an seine andere Seite. Die männliche Person war im Gegensatz zu der jungen Frau ein älterer Mann, der bestimmt schon an die fünfzig Jahre alt sein musste. Er hatte kurz geschorene, graue Haare und blickte ihn streng an. Genau wie die Frau trug er ebenso nur weiße Klamotten; einen Sakko und eine Stoffhose. Sein Griff war stark und Shizuo knurrte, hörte aber auf, sich gegen die anderen zu wehren. Shizuos Körper war schwach. Er konnte sich nicht einmal gegen zwei ganz normale Personen wehren. Was in Teufels Namen war bloß passiert? Shizuo versuchte sich zu erinnern, doch das letzte was ihm einfiel, war lediglich der stumme Befehl seines Vorgesetzten an seinem vorübergehenden Arbeitsplatz. „Hey! Dein erster Kunde wartet, Neuling. Mach, dass du an die Arbeit kommst.“ Ja, richtig. Und dann war er nach vorne zur Bar gegangen und hatte seinen ersten Kunden angesprochen. Und dann war… Dann war da… Shizuo bekam plötzlich starke Kopfschmerzen, die sich wie ein Messer durch seinen halben Kopf bohrten. Er schloss die Augen und zuckte zusammen, als hätte man ihn geschlagen. Was zum Teufel…? Doch Shizuos Wut und Unverständnis war groß und noch größer war seine Neugier. Er wollte verdammt nochmal wissen, was passiert war, also versuchte er es erneut. Da war… Irgendetwas wie Nebel schwirrte durch seinen Kopf und wollte nicht, dass er sah, was passiert war. Shizuo kniff die Augen zusammen. Mehrere Sekunden lag passierte nichts, dann- Eine Person, ein Schatten, etwas Schwarzes… Es… Izaya! Shizuo öffnete seine Augen weit, als er realisierte. „Heiwajima-san…?“, fragte schließlich die Frau an seiner rechten Seite und Shizuo knurrte. „Klappe!“ Die Frau zuckte zusammen, doch hielt ihn weiter fest. Shizuo kniff die Augen nochmals zusammen und versuchte sich weiter zu erinnern. Genau, diese Pest war sein Kunde gewesen und hatte ihn provoziert und… Und dann? Was war dann? Der Nebel wurde immer dichter und ließ ihn nicht durch. Wieso zum Teufel konnte er sich nicht erinnern? Was war bloß passiert, dass er jetzt hier war? Hatte es der Floh geschafft ihn gefangen zu nehmen und ihn irgendwo hin zu schleppen? Ihn in einer Zelle festzuhalten? Nein. Warum sollte er- „…Ich bin nur…um ein Glas Scotch…bist du nun ein Bartender…oder hast du…als einer verkleidet?“ Je mehr Shizuo nachdachte, je mehr Fragmente tauchten wieder auf. Wie ein Puzzle, das sich langsam zusammensetzte. Der Floh hatte ihn mit seinem Geschwafel provoziert – wie sonst immer – und dann…ja, dann hatte er ihn gejagt. Richtig! Gejagt…und dann…dann wollte er ihn erwischen. Ihn schlagen. Ihn zertrümmern. Ihm das widerliche Grinsen aus dem Gesicht wischen! „Heiwajima-san? Muroko-san ist hier, um Ihnen alles zu erklären.“ Shizuo wurde erneut aus seiner Konzentration gerissen und dieses Mal wurde er wütend. „Ruhe verdammt! Ich muss mich konzentrieren!“, brüllte der blonde Mann und begann sich dieses Mal erbarmungslos gegen die Griffe der beiden Personen zu wehren. Seine Kräfte kehrten zurück, als er es schaffte die Frau abzuschütteln, welche durch die rohe Gewalt zu Boden stolperte und dort mit geweiteten Augen liegen blieb. Der Griff des Mannes wurde fester, doch er hatte keine Chance mehr, nachdem die Frau ihm nicht mehr helfen konnte. Drei Sekunden später stand Shizuo auf seinen Beinen und starrte erst auf den Mann und hob dann den Blick. Er befand sich in einem kleinen Raum mit grauen Wänden, der irgendwie erdrückend wirkte. Um ihn herum waren überall diese metallischen Ablagetische, die man herum schieben konnte. Darauf lagen mehrere medizinische Gerätschaften, wovon Shizuo einige nicht einmal gesehen hatte. Der blonde Mann fuhr mit seinem Blick zu seinem Arm und sah die Nadel, die ihm injiziert wurde. Andere Kabel waren ebenfalls mit seinem Körper verbunden, was er merkte, als er sich bewegen wollte. Wütend riss er sie sich heraus und es ertönte statt dem regelmäßigen ein durchgehendes Piepen. Und dann ertönte ein Lachen. „Wie ich sehe, erholen Sie sich tatsächlich so schnell wie man sagt, Heiwajima-san.“ Ruckartig blitzten Shizuos Augen auf die Person, die gesprochen hatte. Ein alter Mann, so groß wie er selbst in einem grauen Anzug stand mit einem Gehstock vor ihm. Er hatte ein kantiges Gesicht und gebräunte Haut, welche einige tiefe Falten zeigte. Bereits grau werdende, kurze Haare zierten seinen Kopf, auf dem – passend zu seinem restlichen Outfit – eine graue Fedora seinen Platz hatte. Shizuo musste ein Schnauben unterdrücken. Dieser Mann wirkte durch und durch wie ein Schnösel. Sein dicker Schnäuzer machte das nicht gerade besser… „Wo bin ich hier? Und wer sind Sie?“, knurrte Shizuo ihn direkt an. Der Mann lachte erneut und dieses Mal konnte Shizuo sogar seine Raucherstimmer heraushören. Denn das Lachen klang auf irgendeine Art und Weise rau und nicht ganz gesund. „Alles mit der Ruhe Heiwajima-san. Ich werde es Ihnen persönlich erklären. Ich bin Muroko Akaguchi, um mich erst einmal vorzustellen.“, begann der ältere Mann ganz entspannt und ging auf Shizuo zu. Nun interessiert, dass der Mann so ruhig auf ihn zuging, obwohl er ihn zu kennen schien, überraschte Shizuo. Muroko hielt ihm wie selbstverständlich die Hand hin und lächelte ihn an. Shizuo ignorierte die Gestik und rührte keinen Finger, stattdessen wiederholte er wütend seine Frage. „Sagen Sie mir endlich wo ich bin, bevor ich Kleinholz aus Ihnen mache!“ Doch Muroko schien auf Shizuos Drohung nur ein kurzes Lachen übrig zu haben. „Und ungeduldig sind Sie auch, du meine Güte! Sie sind doch erst vor fünf Minuten erwacht, wie können Sie denn so schnell munter sein?“, gab Muroko kopfschüttelnd von sich und schien sich ernsthaft zu fragen, was mit dem blonden Mann nicht stimmte. Doch Shizuos Geduldsfaden war bereits gerissen, als er plötzlich wie von der Tarantel gestochen auf den anderen losging. Er brüllte laut, ballte die Fäuste und holte aus. Doch statt den alten Mann hatte er nur die Metallwand hinter ihm erwischt. Wie zum Teufel war er so schnell ausgewichen? Er war doch gerade eben- Doch als Shizuo sich umdrehte, um den nächsten Angriff zu starten, atmete er stattdessen scharf ein, als plötzlich etwas Scharfes gegen seinen Hals drückte. Er blinzelte irritiert auf das silberne Schwert, dass eng an seinem Hals lag, bevor er langsam den Blick hob. Die dunklen Augen des alten Mannes funkelten unheimlich und nahmen ihn komplett in Besitz. Es war, als ob er sich plötzlich an einem anderen Ort befand, so als ob der Raum eine dunkle Höhle war und die Schwärze ihn verschlingen wollte. Es war ein so unheimliches Gefühl, das der blonde Mann es nicht mal ansatzweise beschreiben konnte. Shizuo atmete erschrocken ein, als sein Gedächtnis ihm plötzlich Bilder zeigte. Wie blitzartige Erinnerungen tauchten sie wieder auf. Izaya. Dunkelrote Augen, die ihn anstarrten. Seine sonst so filigranen Hände, welche ihn mit einer unglaublichen Kraft gegen die Wand festhielten – die ihm die Luft zum Atmen nahmen. Dann war da noch etwas anderes. Etwas Dunkles…etwas Mächtiges. Shizuo hatte sich nicht bewegen können. Selbst wenn er wollte. Izaya, er- „Benehmen Sie sich, Heiwajima-san, oder ich muss Sie zurück in den Schlaf versetzen.“ Shizuo blinzelte und kam aus seiner Erinnerung zurück. Murokos Stimme war haarscharf und dessen eiskalter Blick auf ihn gerichtet. Was auch immer hier passierte, dieser…Muroko war gefährlich. Shizuo konnte nicht einmal etwas sagen, sondern starrte den alten Mann nur überrascht an. Dann, einige Sekunden später, nahm Muroko das silberne Schwert von seinem Hals und es war, als wäre der Zauber gebrochen. Unbewusst packte sich Shizuo an die Stelle wo das Schwert ihn berührt hatte, doch da war nichts. „Tut mir Leid, Heiwajima-san. Ich habe heute nicht sonderlich gute Laune, müssen Sie wissen.“ Muroko packte mit einem unechten Lachen sein Schwert zurück in den Gehstock, den er mit sich führte und ließ diesen dann mit einem lauten Geräusch zu Boden gleiten, als er sich darauf abstützte. „Alles in Ordnung, Muroko-san? Sie sollen doch nicht-“ Die junge Frau mit dem strengen Dutt war inzwischen wieder auf den Beinen und blickte den älteren Mann sorgenvoll an. „Yumi-san, Sie machen sich immer unnötig Gedanken, das wissen Sie doch. Mir geht es bestens!“ Muroko lachte wieder und warf dabei den Kopf zurück. Der andere Mitarbeiter war ebenfalls wieder aufgestanden und schien Muroko stumm anzustarren. Shizuo verengte die Augen, während er sich den Hals abtastete. Auch wenn auf seiner Haut nichts zu sehen oder zu spüren war, fühlte es sich immer noch so an, als säße das silbernes Schwert warnend an seinem Hals. Wer zum Teufel war dieser Kerl? Und warum war er hier gelandet? Was wollten Sie von ihm? Und vor allem…was stimmte mit diesem Kerl nicht? „Wer…sind Sie?“, fragte Shizuo in den Ohren von einigen anderen vielleicht dümmlich, doch Muroko wusste genau, inwiefern der blonde Mann sie gemeint hatte. Der alte Mann verengte daraufhin die Augen. „Schön, dass Sie sich etwas beruhigt haben, Heiwajima-san. Folgen Sie mir. Ich werde Sie aufklären.“, begann Muroko und verließ ohne weiteren Kommentar den eingeengten Raum. Einen Moment zögerte Shizuo, während er die junge Frau und den anderen Mann anstarrte. Doch diese deuteten ihm mit einem Handwink an, Muroko zu folgen. Die junge Dame wagte es sogar zu lächeln. Shizuo zischte unwillig, bevor er sich schnurstracks umwandte und dem älteren Mann folgte. „Wissen Sie denn nicht mehr was passiert ist?“, fragte ihn Muroko von vorne, als er einen kleineren Gang hinunter lief und dann mittendrin stehen blieb. Es schien ihn nicht zu scheren, dass Shizuo theoretisch einen Angriff von hinten starten konnte. „Nein, verdammt! Würde ich sonst fragen? Ich weiß nicht, warum ich hier bin oder wer Sie überhaupt sind! Haben Sie mich entführt? Ist das wieder so ein Spiel von dieser Pest?!“ Shizuo spürte die Wut zurückkommen, wie eine Explosion in einem Vulkan. Muroko drehte sich mit halbem Körper zu ihm um und sah ihn mit gerunzelter Stirn an. „Pest?“, kam es fragend von ihm und Shizuo knirschte wütend mit den Zähnen. „Izaya Orihara! Und nun tun Sie doch nicht so, als ob sie ihn nicht kennen würden. Sie wurden mit Sicherheit vom ihm angeheuert, um mich zu entführen!“ Muroko blickte ihn erst verdutzt an, bevor er begann zu lachen. Er beugte sich sogar ein Stück hinunter, so als ob sein ganzer Körper vor Lachen verkrampfte. Shizuo blinzelte irritiert. „Sie wissen also wirklich gar nichts mehr? Rein gar nichts?“, fragte Muroko dann, als er sich beruhigt hatte. Shizuo zögerte. „Was ist denn passiert, zum Teufel nochmal? Erklären Sie es mir doch endlich! Warum bin ich hier?“, rief Shizuo wütend aus und war nahe dran, sich erneut Muroko am Kragen zu schnappen. Dieser olle Schnösel sollte lieber mit der Sprache rausrücken. Denn so langsam konnte er die unbändige Wut in seinem Inneren nicht mehr wirklich unterdrücken. Und wenn er noch- „Izaya Orihara ist ein Vampir.“ Der Satz wurde mit so einer Selbstverständlichkeit ausgesprochen, dass Shizuos Mund sich überrascht öffnete. Muroko sah ihn ernst an und es gab keine Anzeichen, dass das Ganze ein Scherz gewesen war. Das war der Grund? Der Grund dafür, dass er hier sein musste? Weil Izaya Orihara ein…Vampir war? Die ersten paar Sekunden blieb er unruhig stehen und zweifelte tatsächlich an seinen gesunden Menschenverstand, bevor er realisierte, dass Muroko ihn auf den Arm nehmen musste. Es konnte nicht anders sein. „Oh ja, und ich bin ein Engel.“, gab Shizuo ironisch von sich, „Sie rücken besser mit der Wahrheit heraus, denn ich bin in keiner guten Stimmung mich von Ihnen verarschen zu lassen.“ „Oh ich veräppele Sie keineswegs.“, erwiderte der andere. „Ich sagte, verarschen Sie mich nicht, alter Mann!“, knurrte Shizuo und ließ bereits die Fäuste knacken, um sie im nächstmöglichen Moment einsetzen zu können. Auf Murokos Lippen stahl sich ein lasches Lächeln. „Es ist verständlich, dass Sie so reagieren, aber-“ „Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass ich Ihnen das Märchen abkaufe? Ein Vampir? Izaya? Ganz ehrlich, da hatte die Pest schon bessere Lügengeschichten auf Lager.“ Muroko seufzte daraufhin und zog sich seine Fedora ein Stück tiefer ins Gesicht. „Muss ich Ihnen erst einen Vampir zeigen, damit Sie mir glauben, Heiwajima-san?“ Daraufhin wusste Shizuo beim besten Willen nicht, wie er reagieren sollte. Das war doch nicht sein Ernst. Es gibt und gab auch keine Vampire, was bitte wollte er ihm dann also zeigen? Und was hatte ein Vampir mit ihm und seiner aktuellen Lage hier zu tun? Muroko schien Shizuos Stillschweigen als eine Zustimmung gelesen zu haben, denn er wandte sich um und deutete mit seiner Hand an, dass Shizuo ihm folgen sollte. Noch völlig verdutzt und auch verwirrt setzte Shizuo seine Beine in Bewegung, doch noch immer verstand er die Situation nicht. Was ging hier ab? Glaubten die tatsächlich, dass er ihnen das Märchen abkaufte, indem sie ihm einen…Vampir zeigten? Ein Wesen, das es gar nicht gab? Wie denn? War das alles etwa ein Plan von diesem elendigen Bastard…? „Es ist gleich dort vorne. Sie brauchen nur links um die Ecke und Sie können sich einen Frischblüter ansehen.“, sprach Muroko von vorne, als er sich während des Ganges mit dem Kopf zu ihm zurückblickte und dann mit der Hand zur linken Seite wies. Frischblüter? Was zum Teufel meinte- Aber als Shizuo schließlich an der riesigen Glasscheibe zum Stehen kam, verstummten seine Gedanken und er hatte nur Augen für das Wesen, das unter ihnen wild in einem metallischen Käfig randalierte. Es war eine Frau, vielleicht mittleren Alters, mit schwarzen Haaren. Sie hatte blutrote Augen, die wild hin und her gingen, wobei sie in ihrem Käfig umhertigerte, wie ein Tier. Die Frau machte hektische Bewegungen um sich herum und schien die Wissenschaftler, die um den Käfig herum standen wie Gaffer, anzuknurren. Sie sprang im nächsten Moment an die hohen Gitterstäbe, hing wie ein Affe an den Metallstangen und versuchte sie auseinander zu biegen, jedoch schrie sie danach gellend auf und es war so laut, dass selbst Shizuo hinter dem dicken Panzerglas hören konnte. Die Frau sprang zurück und betrachtete wütend ihre Hände, die leicht dampften und als Shizuo genauer hinsah, bemerkte er, dass die Haut des Wesens sich grau verfärbt hatte. Shizuo trat einen Schritt zurück. Was in aller Welt war das? Es…es war ein Mensch…aber irgendwie auch nicht. Sie sah aus wie eine Frau, benahm sich aber wie ein wildes Tier. „Wie ich sehe, sind Sie doch überrascht, nicht wahr?“, säuselte Muroko und gab ein kurzes Lachen von sich, während er den blonden Mann von der Seite aus beobachtete. „Was zum Teufel wird hier gespielt? Was ist mit der Frau los? Habt ihr sie betäubt?“ Shizuo wandte sich wild um und funkelte Muroko wütend an. „Sie sind wirklich schwer von Begriff, Heiwajima-san…“, Muroko schüttelte gespielt den Kopf, „Ich sagte Ihnen ja, ich werde Ihnen einen Vampir zeigen. Et voilà! Ein Vampir!“ Der alte Mann gestikulierte seine Hand auf die Glasscheibe nach unten. „Ich glaube Ihnen kein Wort! Ihr müsst die arme Frau betäubt haben und-“ Muroko unterbrach ihn. „Zu komisch. Alle anderen, die ich bei mir aufgenommen habe, haben spätestens bei dem bloßen Anblick eines Vampires an diese widerwertigen Wesen geglaubt. Aber Sie…“ Muroko seufzte und schien es anstrengend zu finden, Shizuo weiterhin die Existenz eines Vampires zu erklären. „Was soll das heißen, ‚aufgenommen‘?“ Welche anderen? Hieß das, dieser alte Schnösel hatte bereits andere Leute entführen und sie glauben lassen, es gäbe Vampire? Wozu? Shizuo knirschte mit den Zähnen. „Sehen Sie genau hin, Heiwajima-san.“, begann Muroko und ignorierte Shizuos Frage. „Die Frau dort unten hat blutrote Augen. Haben Sie so etwas schon mal im Alltag gesehen? Ich sage es Ihnen: Nein! Menschen haben braune, blaue, grüne oder graue Augen, aber keine blutrote Farbe.“ Shizuo war einerseits wütend und wollte dem Wichtigtuer am Liebsten auf die Fresse hauen, doch andererseits wollte er nun endlich wissen, um was es hier ging, weshalb er widerwillig nach unten sah und sich noch einmal die Frau genauer unter die Lupe nahm. „Es ist eines der Hauptmerkmale an Vampiren. Viele verstecken ihre wahre Augenfarbe, indem sie Kontaktlinsen tragen. Doch wenn sie durstig sind und im Begriff sind ihr Opfer zu beißen…dann leuchten sie so stark, dass selbst Kontaktlinsen nicht mehr helfen.“ Muroko hob beide Hände in einer hilflosen Pose und schüttelte den Kopf. Shizuo musste gegen seinen Willen zugeben, dass die Frau wirklich rote Augen hatte. So rote Augen wie… Wie… Es schlug ein wie eine Bombe. Shizuos Kopf begann zu schmerzen, als ihn verschwommene Bilder trafen. Er kniff zischend die Augen zusammen, während er sich den Kopf hielt und sich anscheinend an die Momente erinnerte, nachdem er den Floh gejagt hatte. „Hnngh…!“ Es waren rote Augen, schwarze Haare und ein widerliches Fuchsgesicht. Izaya. Er hatte ihn angestarrt, ihn festgehalten, mit diesen roten Augen. „Oh? Sie scheinen sich nach und nach zu erinnern. Erstaunlich…“, kommentierte Muroko überrascht, als er Shizuo angestrengtes Stöhnen wahrgenommen hatte. Shizuo blinzelte gegen den Schmerz in seinem Kopf und sah wieder zu der Frau herunter. Izaya hatte dieselben roten Augen. Spielte ihm sein Gehirn bloß einen Streich? Das konnte doch nicht alles wahr sein! „Die Frau dort unten ist aber nicht nur ein Vampir, Heiwajima-san. Sie ist ein Frischblüter.“ „Kommen Sie zum Punkt, Sie elendiger-“ Shizuo schaffte es nicht einmal seine Beleidigung auszusprechen, da unterbrach ihn der alte Mann. „Sie müssen mir zuhören, Heiwajima-san, oder Sie werden gar nichts verstehen. Wenn Sie erst einmal wieder draußen sind, werden Sie die Welt mit anderen Augen sehen. Sie müssen darauf vorbereitet sein.“ Der alte Mann sprach wirklich so, als ob sie ihn doch gehen ließen. Aber das konnte ja schlecht die Wahrheit sein…oder? Shizuo entschied, Muroko anzuhören, was auch immer er ihm noch für einen Humbug erzählen wollte. Muroko sah seine stumme Zustimmung in seinem wütenden Blick, also fuhr er fort. „Frischblüter sind frisch verwandelte Vampire. Sie sind Neugeborene und müssen sich erst einmal an ihren neuen Körper und ihre Fähigkeiten gewöhnen. Gewöhnlich sind sie eine Woche lang im Blutrausch, was sie absolut gefährlich macht. Sie können sich nicht kontrollieren und fallen jeden Menschen an, der ihnen über den Weg läuft.“ So wild wie sich die Frau in dem Käfig verhielt, schien das sogar Sinn zu machen. Jedoch glaubte Shizuo ihm trotzdem nicht. „Ein weiteres Merkmal für Vampire sind die Eckzähne. Bei Vampiren sind sie auffällig spitz und verwandeln sich in wahre Saugzähne, sobald sie kurz davor sind ihr Mahl einnehmen. Sehen Sie nur Heiwajima-san! Sie bringen ihr nun die nächste Mahlzeit.“ Neugierig, angeekelt und irgendwie auch verblüfft, starrte Shizuo hinunter und beobachtete das Geschehen. Einer der Wissenschaftler in dem weißen Kittel platzierte etwas Seltsames auf einen Tisch mit Rollen und erst, als sich das Ding in Bewegung setzte, realisierte Shizuo das es ein Roboter war. Er fuhr langsam Richtung Käfig, der Arm fuhr aus und dann sah Shizuo erst, was genau es war. Ein Tierkadaver. „Wir testen gerade, ob ein Frischblüter auch mit Tierblut zurechtkommt oder ob es wahrhaftig Menschblut braucht.“, erklärte Muroko, doch Shizuos Blick lag immer noch auf der wilden Frau. Er konnte sehen, wie sich ihre Augen weiteten, je näher der Roboter mit dem Kadaver kam. Als der Arm durch die Gitterstäbe reichte, kreischte die Frau plötzlich auf und sprang auf die Mahlzeit wie eine Bestie. Sie riss durch rohe Gewalt den Tierleichnahm zu Boden und biss einmal kräftig zu. Shizuo musste schlucken vor Übelkeit, die ihm die Speiseröhre hochkroch. Er konnte ganz genau sehen, wie die Frau schluckte. Sie aß nicht…sie schluckte. Shizuo erstarrte zu Eis, als sein Kopf ihm erneut Bilder zeigte. Das Geräusch rauschte in seinen Ohren, das wie Wasser durch einen Strohhalm klang. So laut, so- Betäubend. Sein eigenes Blut. Izaya. Schwarze Haare, rote Augen und ein Fuchsgesicht. Schon wieder. Oder immer noch…? Plötzliche Schmerzen durchzogen seinen gesamten Körper, beginnend bei der Quelle des ganzen Übels…den Hals. Er hatte das Gefühl, er würde ohnmächtig werden. „Heiwajima-san?“ Shizuo schreckte aus der Erinnerung zurück wie eine Welle das Meer traf und begegnete dem fragenden Blick von Muroko. Der blonde Mann schüttelte ungläubig den Kopf. Selbst mit Drogen im Blut würde ein Mensch so etwas nie machen, wie diese Frau dort unten es tat. Als Shizuo erneut hinblickte, wischte sich die Frau gerade unwirsch über den Mund und es entstand ein blutiger Streifen. Ihre Augen leuchteten nicht mehr so stark, doch noch immer tigerte sie unruhig hin und her. „Bislang ist uns nur aufgefallen, dass der Frischblüter zwar mit Tierblut gesättigt ist, sich jedoch nicht beruhigen lässt.“ Als Muroko erneut sprach, wandte Shizuo den Kopf in seine Richtung. Der alte Mann sah mit voller Abscheu hinunter zu der Frau und zog sich seine Fedora ein Stück tiefer ins Gesicht. Er seufzte. „Sie ist der erste Frischblüter, den wir ergattern konnten und doch müssen wir sie bald entfernen. Was für eine Schande…“ Wütend auf Muroko und auch immer noch verwirrt darüber, was er von der ganzen Sache halten sollte, fuhr Shizuo herum und funkelte ihn an. „Seid ihr denn völlig übergeschnappt? Was macht ihr hier? Menschenversuche? Was habt ihr der Frau angetan, dass sie zu diesem Biest geworden ist? Huh?!“ Shizuo war unbewusst direkt vor Murokos Nase getreten, doch der ältere Mann wich nicht zurück. Im Gegenteil. Er erwiderte den scharfen Blick von Shizuo und hob den Kopf an. „Nicht wir haben der Frau etwas angetan, Heiwajima-san. Wir nicht.“ Was? Shizuo öffnete bereits den Mund um wütend zu antworten, doch Muroko fuhr bereits fort. „Sie ist zu diesem Biest geworden, weil ein anderer Vampir sie verwandelt hat.“ Verwandelt? Das war doch nicht sein Ernst. Was erzählte er da überhaupt? Wusste dieser alte Schnösel überhaupt, wie er sich anhörte? Shizuo öffnete den Mund und schloss ihn wieder, als Muroko bereits weiter sprach. „Als wir sie gefunden haben, war es bereits zu spät. Und nun ist sie hier.“ Shizuo verlor die Geduld. „Ihr seid doch alle völlig übergeschnappt! Ich habe genug von euren Experimenten. Ich gehe!“ Schnaubend wandte Shizuo sich um und wühlte in seinem Jackett nach seinem Handy. „Mag sein, dass wir in Ihren Augen wie Verrückte erscheinen mögen, aber seien Sie versichert, dass Sie ihr Leben nicht mehr wie vorher leben werden können. Sie täten gut daran, uns erklären zu lassen.“ Shizuo ignorierte Murokos Geplänkel, sondern suchte weiterhin nach seinem Handy. Er musste die Polizei rufen oder irgendjemanden Bescheid sagen…! Doch als er fast alle Taschen durchsucht hatte und weder Handy noch seine Schlüssel fand, wurde er unruhig. Seine Zigaretten waren auch verschwunden! „Suchen Sie nur weiter, Heiwajima-san, aber Sie werden hier drin nicht telefonieren können. Vom Rauchen ganz zu schweigen. Blackberry Blue. Die Marke habe ich auch eine Zeit lang geraucht. Sehr süß.“ Mit einem Ausdruck der töten konnte, wandte Shizuo seinen Kopf zurück und starrte Muroko an, wie ein Jäger sein Opfer. „Sie wagen es, mich zu bestehlen?“ Muroko musste daraufhin lachen. „Spricht man so mit seinem Lebensretter, Heiwajima-san, also ich bitte Sie! Ich glaube, Sie würden es mir verzeihen, dass ich ihre Wertsachen konfisziert habe, wenn Sie dafür weiter leben können.“ „Lebensretter? Sie haben wirklich nicht mehr alle Latten am Zaun! Wann haben Sie mich bitte gerettet, Sie Wichtigtuer?“ Was stimmte nicht mit diesem Kerl in seinem teuren Satin-Anzug? Tat sich hier auf, als eine wichtige Person? Als ein Samariter? Muroko schob sich seinen Ärmel hoch, sodass eine teure, golden verzierte Uhr zum Vorschein kam. „Ich würde sagen…vor exakt fünf Stunden und neununddreißig Minuten.“ Verdutzt über diese Antwort, wusste Shizuo im ersten Moment nicht, was er sagen sollte. Dann verdunkelte sich sein Ausdruck. „Hat es mit diesem elendigen Bastard zu tun?“, fragte Shizuo knurrend. „Wenn Sie mit elendigen Bastard Izaya Orihara meinen, dann ja.“ Muroko grinste ihn frech an und dieses Mal wusste Shizuo, dass er in seine Falle getappt war. „Na los! Spucken Sie es endlich aus, Sie alter Schnösel!“ Muroko ignorierte die simple Beleidigung und trat stattdessen auf ihn zu. Exakt einen Meter vor ihm, blieb er stehen. „Sie waren eines seiner Opfer, Heiwajima-san.“, begann Muroko bedeutend und Shizuo schnaubte daraufhin. „Natürlich war ich das. Das war ich schon immer. Seit wir uns kennen, macht er mir das Leben zur Hölle. Erzählen Sie mir was Neues!“ „Nein, Sie verstehen nicht, Heiwajima-san. Sie waren eines seiner neusten Opfer. Er hat Sie gebissen. Izaya Orihara hat von Ihnen Blut getrunken. Und das nicht zu wenig…“ Shizuo war sprachlos und stand wie angewurzelt da. Sein Mund öffnete sich und schloss sich wieder. Das…das war ein Scherz. Es musste ein Scherz sein. Er nahm ihn auf den Arm. Niemals würde Izaya- Dann kamen die Bilder wieder; schossen auf ihn ein wie ein Pfeil auf die Zielscheibe. Wieder diese schwarzen Haare, diese roten Augen, die ihn nicht in Ruhe ließen. Und dann der Biss. Shizuo sah blinzelnd, wie sich Izayas Hände um seinen Hals lockerten und stattdessen seinen Kopf sanft zur Seite drückten. Shizuo hatte gedacht es wäre vorbei, hatte gedacht, es würde aufhören und der Floh würde ihm sagen es war alles nur ein Traum und er würde aufwachen. Aber dem war nicht so. Stattdessen hatte er plötzlich etwas Feuchtes an seinem Hals gespürt und zwei Sekunden später realisiert, dass es eine Zunge war, die über seine Haut fuhr, wie eine Schlange. Es war Izaya, es musste Izaya gewesen sein. Aus Reflex hatte Shizuo gestöhnt, doch was danach kam, war weitaus Schlimmer. Es kam ein höllischer Schmerz. Wie ein Feuer hatte es sich plötzlich ausgebreitet, brannte an seinem Hals am Stärksten. Schwindel hatte ihn dann überfallen wie eine Lawine, zusammen mit einem Taubheitsgefühl, dass sich vom Hals auf seinen kompletten Körper ausbreitete. Und dann dieses Geräusch. Shizuo erinnerte sich wieder, hörte es ganz genau, als ob es gerade live passierte. Es war ein Saugen, ein Schlürfen, so laut, dass es nur noch dieses eine Geräusch gab. Immer und immer wieder. Shizuo begann zu keuchen. „Heiwajima-san?“ Shizuo schreckte auf, sah Murokos Gesicht vor sich und er stand so nahe vor ihm, dass der alte Mann ihm schon fast besorgt die Hand auf die Schulter legen wollte. „Erinnern Sie sich?“ Der blonde Mann nickte nur klomm und konnte es immer noch nicht ganz verstehen. Izaya hatte ihn wahrhaftig gebissen. Gebissen. Shizuo schüttelte den Kopf. Aber nicht nur gebissen, sondern auch gegen die Wand gedrückt, als wäre er nichts weiter als ein lästiger Käfer. Und selbst zuvor noch…hatte er dem Floh nicht sogar einen Schlag ins Gesicht verpasst? Und was war dann passiert? Diese elendige Pest war einfach wieder aufgestanden. Einfach so. Stimmte es etwa, was dieser Wichtigtuer erzählt hatte? Sollte es wirklich Vampire geben? „Glauben Sie mir jetzt, Heiwajima-san?“, fragte Muroko ihn direkt, als ob er seine Gedanken gelesen hätte. Der alte Mann in dem Anzug verengte seine Augen, als er den blonden Mann genau beobachtete. Shizuo blinzelte ein paar Mal, bevor er ihm antwortete. „Ich…Ich bin nicht überzeugt, Muroko-san. Aber ich bin bereit, Ihnen zuzuhören. Also erzählen Sie endlich. Was genau ist passiert vor sechs Stunden?“ Der blonde Mann trat entschlossen einen Schritt auf ihn zu und auf Murokos Lippen stahl sich ein Lächeln, weil er wusste, dass er ihn hatte. „Das freut mich zu hören, Heiwajima-san. Folgen Sie mir.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)