Persona: Shadows of Mirror von ShioChan (Kagami no Kage) ================================================================================ Kapitel 20: XX - Freunde sind wichtig ------------------------------------- Donnerstag, 18.Juni 2015 Alleine schlenderte Mirâ den Weg am Fluss entlang. Die Schule war aus, doch keiner ihrer Freunde hatte heute die Zeit mit ihr gemeinsam nach Hause zu gehen, sodass sie notgedrungen alleine gehen musste. Diese Gelegenheit nahm sie zur Chance den Schulweg mal zu Fuß zu gehen. Sie hatte Zeit und wollte ohnehin einmal testen, wie weit der Weg zu Fuß wäre. So konnte sie auch die Gelegenheit nutzen und sich in Ruhe den Fluss anschauen, welcher durch die Stadt floss. Über ihre Kopfhörer drang leise Musik an ihre Ohren. In den letzten Jahren hatte sie sich angewöhnt Musik zu hören, wenn sie alleine unterwegs war. Da sie in ihren letzten Schulen versucht hatte allen aus dem Weg zu gehen, war das die letzten Jahre keine Seltenheit gewesen. Doch nun hatte sie Freunde gefunden und irgendwie kam es ihr nun seltsam vor, alleine nach Hause zu gehen. In diesem Moment fühlte sie sich doch etwas einsam. Es war erstaunlich wie schnell sie sich daran gewöhnt hatte wieder Freunde zu haben. Es würde ihr sicher schwer fallen wieder Abschied nehmen zu müssen. Etwas wehmütig blieb sie stehen und sah auf den Fluss hinunter. Sie wünschte sich, dass es gar nicht erst soweit kommen möge. Allerdings war nie sicher, wann es wieder an der Zeit war und ihre Mutter in eine andere Stadt musste. Als ihr ihre Gedanken bewusst wurden, schüttelte die junge Frau schnell den Kopf. Nein. Daran wollte sie nicht denken. Noch nicht. Sie war glücklich hier und wollte ihre Freunde um nichts auf der Welt zurück lassen. Sie würde schon einen Weg finden, wenn es so weit war. Mirâ seufzte kurz. Sie sollte sich nicht zu viele Gedanken machen, immerhin gab es derzeit Wichtigeres. Ihre Freunde und sie mussten immer noch herausfinden was es mit dieser komischen Welt auf sich hatte und weshalb sie existierte. Bisher hatten sie noch nicht viel darüber herausgefunden. „Hast du schon gehört? Es soll wieder jemanden aus der 2-4 getroffen haben.“, hörte sie plötzlich gedämpft eine weibliche Stimme erzählen. Sofort zog sie ihre Kopfhörer aus den Ohren und drehte sich ruckartig um. Hinter sich sah sie zwei junge Mädchen an sich vorbei gehen. Sie trugen beide die Uniform der öffentlichen Mittelschule dieses Bezirks. Mirâ hatte die Uniform schon mehrmals gesehen. Die beiden Mädchen schienen sie nicht einmal zu bemerken und erzählten weiter. „Was wirklich?“, fragte die andere verwundert, „Das ist jetzt schon die zehnte Person aus unserer Schule. Dieses Spiegelspiel scheint wirklich gefährlich zu sein.“ Das junge Mädchen schüttelte sich, als würde ihr es eiskalt den Rücken runter laufen. Doch das andere Mädchen winkte nur ab: „Ach was. Ich glaube nicht dass es daran liegt. Es hat bestimmt irgendwas mit der Psyche zu tun.“ „Sicher?“, fragte die andere, woraufhin ihre Freundin nur kicherte und nickte. Das weitere Gespräch konnte Mirâ nicht mehr hören, da die beiden Mädchen bereits zu weit weg waren. Und folgen wollte sie ihnen auch nicht. Anscheinend waren nicht nur Schüler ihrer Schule betroffen. Aber warum wurden einige in den Spiegel gezogen und andere drehten nur durch? Es musste doch einen Grund dafür geben. Oder waren diese Ereignisse und die mit dem Verschwinden der Leute unterschiedliche Dinge? Mirâ kam auf keinen grünen Zweig, egal in welche Richtung sie dachte. Sie seufzte. Sich darüber jetzt den Kopf zu zerbrechen schien nichts zu bringen. Es verursachte nur Kopfschmerzen. Als die junge Frau wieder aufblickte fiel ihr ein Mädchen auf, welches am Ufer saß und auf den Fluss schaute. Ihre hellbraunen leicht gewellten und nackenlangen Haare wehten im aufkommenden Wind. Langsam setzte sich Mirâ in Bewegung, genau in die Richtung des Mädchens. Seufzend blickte sie auf ihren Block, welcher hier und da einzelne Knicke aufwies. Wieder hatte einer ihrer Klassenkameraden ihr den Block weggenommen, auch wenn sie es dieses Mal geschafft hatte ihn sich selber zurück zu holen. Wieso war sie nur so feige und konnte sich nicht wehren? Sie hasste sich dafür. Wütend über sich selbst senkte sie den Blick und lauschte der leisen Musik, welche aus ihren Kopfhörern drang. Nach einer Weile hob sie den Kopf wieder und versuchte nicht weiter daran zu denken. Schnell griff sie nach ihrem Bleistift, welcher neben ihr lag und wollte sich ablenken, indem sie ein wenig skizzierte. Doch kaum blickte sie auf ihren bereits ziemlich mitgenommenen Block verschwamm der Blick vor ihren Augen und ihre Hand mit dem Bleistift begann zu zittern. Sie biss sich auf die Unterlippe, wollte so versuchen ihre Tränen zu unterdrücken, doch es half nichts. Unaufhörlich bahnten sich nun kleine warme Tropfen den Weg über ihre Wangen. Schluchzend ließ sie wieder den Kopf sinken, ebenso wie Ihre Hände, woraufhin Block und Bleistift ins Gras fielen. Sie schlang ihre Arme um ihre angewinkelten Beine und zog diese näher an ihren Körper heran. Wieso waren ihre Klassenkameraden nur so zu ihr und behandelten sie wie einen Freak? Warum konnten sie sie nicht einfach in Ruhe lassen? Und wieso war sie nur so schwach? Was war nur falsch mit ihr? Dabei wollte sie doch einfach nur Freundschaften schließen. Plötzlich schrak sie auf, als sie eine Hand an ihrem Arm fühlte. Erschrocken blickte sie nach links und schaute in zwei mitleidsvoll lächelnde rote Augen, welche zu einem Mädchen mit violettem Haar gehörten. Die Kleine erkannte sie als die ältere Schülerin wieder, welche ihr am Vortag gemeinsam mit ihren Freunden geholfen hatte. Schnell wollte sie ihre Tränen wegwischen, doch diese liefen unaufhörlich weiter. „Hier.“, meinte Mirâ und hielt der jüngeren Schülerin ein ordentlich zusammengelegtes Taschentuch hin. Erstaunt sah die Kleine das Taschentuch an, doch nahm es dann dankend entgegen und wischte sich vorsichtig die Tränen aus dem Gesicht. Mit der anderen Hand zog sie ihre Kopfhörer aus den Ohren, während sich Mirâ neben sie setzte. „Du heißt Yoshiko. Oder? Warum sitzt du denn hier und weinst? Wurdest du wieder geärgert?“, fragte sie vorsichtig. Die Jüngere schwieg kurz und schien zu überlegen, was sie denn antwortete. Doch dann nickte sie. „Passiert das öfters?“, kam eine weitere Frage, auf welche wieder ein Nicken folgte, „Dann solltest du etwas dagegen unternehmen. Hast du es schon einem Lehrer erzählt?“ Das braunhaarige Mädchen schüttelte den Kopf: „Ich... Ich trau mich nicht. Außerdem hören Sie mir eh nicht zu.“ Erstaunt blickte Mirâ die Kleine an, welche wieder ihren Kopf auf ihre angewinkelten Beine gelegt hatte. Sie war wirklich niedergeschlagen, weshalb die Ältere überlegte, wie sie die Kleine wieder etwas aufmuntern konnte. Auf jeden Fall brauchte sie dringend Hilfe, wenn sie ständig so fertig gemacht wurde. Ob sie darüber mit Masaru sprechen sollte? Er war immerhin Teil der Schülervertretung und konnte sicher etwas tun. Bestimmt konnte er der Kleinen helfen, die Mirâ so unendlich leidtat. Ihr Blick fiel auf den Block, welcher auf dem Boden lag. Vorsichtig hob sie ihn an und schaute auf das erste Bild. Es war die Skizze eines jungen Mädchens mit langen Haaren, welches an einigen Stellen geflochten war. Es war nur ein Headshot, aber Mirâ erkannte das Mädchen wieder, welches sie am Vortag als Skizze gefunden hatten. Dann hatte wirklich die Kleine diese Skizze angefertigt. Mirâ wollte weiter blättern, doch vorher wurde ihr der Block wieder aus der Hand gerissen. Erstaunt sah sie zu Yoshiko, welche sie mit einem leicht beleidigten Blick ansah und den Block an ihre Brust drückte. Anscheinend wollte sie nicht, dass man einfach ihre Bilder ansah. Entschuldigend lächelte Mirâ die Jüngere an: „Entschuldige. Ich hätte dich wohl erst fragen sollen, bevor ich mir das angeschaut habe. Hast du die Skizzen gemacht?“ Fragend blickte Yoshiko sie an, doch senkte dann den Blick und nickte. „Das ist wirklich toll. Ich wünschte ich könnte auch so zeichnen.“, meinte die Violetthaarige erfreut, was die Kleine erstaunt aufblicken ließ, „Dürfte ich mir die Skizzen alle anschauen? Bitte.“ Yoshiko zögerte kurz. Anscheinend wusste sie nicht, ob es wirklich so gut war der älteren Schülerin die Skizzen zu zeigen. Immerhin hatte sie bisher nicht wirklich gute Erfahrungen damit gemacht. Noch einmal schaute sie in Mirâs lächelndes Gesicht und reichte ihr dann den Block, welchen Mirâ vorsichtig entgegennahm und durchblättere. Neben einer Menge Skizzen des Mädchens und ihres kleinen Begleiters, waren auch Skizzen von anderen Charakteren mit dabei. Mirâ hatte sogar das Gefühl, dass einer der männlichen Charaktere Ähnlichkeit mit Hiroshi hatte, jedoch verwarf sie den Gedanken schnell wieder. Das konnte auch einfach Zufall sein. Einige Skizzen waren sogar richtig ausgearbeitet. So fand sie unter den Skizzen auch ein Bild, welches die komplette Größe des Blattes einnahm. Dem Motiv zufolge gehörte es wohl zu den Skizzen von dem Mädchen. Ob Yoshiko eine eigene Story darüber schrieb? Mirâ blätterte weiter und fand nun eine skizzierte Stadtkarte vor. Bei genauerer Betrachtung schien diese sogar eine Karte von Kagaminomachi zu sein, doch irgendwie war sie doch etwas anders. So hießen einige Straßen ganz anders und auch die Schule stand an einem anderen Ort. „Wow. Hast du dir die Karte ausgedacht?“, fragte sie schließlich, nachdem sie die Karte eingehend studiert hatte. Yoshiko lief leicht rot an und nickte: „J-ja. Ähm... Kagaminomachi war die Vorlage dafür, aber... Ich habe sie etwas abgeändert. Neben Mangas zeichne ich auch gerne Lagepläne. Ich... Habe ein ziemlich gutes Gedächtnis was Stadtpläne angeht...“ Ihre Stimme wurde immer leiser während sie sprach, so als wolle sie nicht, dass es jemand hörte. „Das ist wirklich unglaublich.“, sagte Mirâ und klappte den Block zusammen, ehe sie ihn Yoshiko zurück gab, „Du kannst wirklich gut zeichnen. Schreibst du an einer eigenen Story?“ Erneut nickte das Mädchen neben ihr, doch wurde immer roter. Sie fand es anscheinend sehr unangenehm im Mittelpunkt zu stehen. Ein so schüchternes Mädchen hatte es wirklich nicht leicht. „Hör mal, Yoshiko-Chan. Ich bin mit jemandem aus der Schülervertretung befreundet. Soll ich mal mit ihm reden? Wegen der Sache in deiner Klasse? Ich meine das kann doch nicht so weiter gehen.“, schlug Mirâ vor, doch die Braunhaarige lehnte dankend ab und meinte, dass es sich sicher bald geben würde und dass ihre Klassenkameraden es ja sicher nicht so böse meinten. Mirâ jedoch war anderer Meinung. Solche Leute hörten meistens nicht damit auf, bis etwas unternommen wurde. Sie hatte schon einige Male solche Situationen mitbekommen. In ihren vorherigen Schulen gab es auch solche Leute. Zu ihrem Bedauern musste sie allerdings zugeben, dass sie sich damals nie eingemischt hatte. Einerseits, weil sie keine Bande zu anderen knüpfen wollte und andererseits, weil sie selbst nicht in Schwierigkeiten geraten wollte. Sie wollte immer einfach nur das Schuljahr überstehen, nach welchem sie eh wieder umziehen musste. Wieso also machte sie sich plötzlich solche Gedanken darüber? Sie wusste selber keine Antwort darauf, allerdings war ihr bereits aufgefallen, dass vieles in dieser Stadt anders lief, als sie es sich vorgenommen hatte. Diese Stadt hatte sie verändert und sie wieder dazu gebracht Freunde zu finden und sich um andere Gedanken zu machen. Ob dies alles mit ihrem Schicksal als Persona-Userin zu tun hatte? Immerhin waren alle Menschen die sie bisher kennen gelernt hatte Social Links. Leichte Zweifel überkamen sie. Waren das dann wirkliche Freundschaften? Irgendwie kam ihr das schon ziemlich skurril vor. Eigentlich waren es ja bei genauerer Überlegung nur Nutzfreundschaften. Oder? Andererseits... Eine Hand berührte sie an der Schulter, woraufhin Mirâ aufschrak und zu Yoshiko blickte, welche sie besorgt ansah. „Alles in Ordnung, Senpai?“, fragte sie, „Du bist plötzlich so blass geworden.“ „A-ah. Alles gut.“, meinte die Ältere lächelnd, „Ich musste nur gerade an etwas merkwürdiges denken.“ Yoshiko setzte sich wieder normal hin: „Dann... Dann ist ja gut. Ich habe mir schon... Sorgen gemacht.“ „Das ist lieb, aber es ist alles in Ordnung. Aber noch mal zurück zum Thema: Ich nehme das Problem in deiner Klasse wirklich ernst. Solltest du also wieder Probleme haben oder sonst irgendwas, schreck bitte nicht davor zurück zu mir zu kommen. Ok?“, meinte die Violetthaarige, was Yoshiko wieder erstaunt aufblicken ließ, „Ich möchte dir wirklich helfen. Und noch etwas, wenn du mal in der Pause einsam bist, komm doch einfach zu uns. Bei schönem Wetter sind wir meistens auf dem Dach. Ok? Die anderen beißen nicht und sind ganz nette Menschen.“ Mirâ wollte einfach nicht glauben, dass die Freundschaften, welche sie über Social Links bildete nicht echt waren. Ihr Gefühl verriet ihr etwas anderes und dem wollte sie glauben. Ihre Freundschaften waren echt und die Social Links nur ein Nebeneffekt davon. Yoshiko lächelte plötzlich leicht erfreut: „Das ist wirklich nett. Vielen Dank, Senpai.“ „Mirâ. Mirâ Shingetsu.“, meinte die Ältere nur mit einem Zwinkern. „Mirâ-Senpai. Danke.“, bedankte sich die Kleine noch mal, „Ähm... Mein voller Name ist Megumi Yoshiko.“ Die beiden Mädchen unterhielten sich noch eine Weile, ehe sie sich voneinander verabschiedeten und auf den Heimweg machten. Mittlerweile war bereits die Sonne dabei unter zu gehen, weshalb die Stadt in ein sanftes orange gefärbt war. Als Mirâ einige Stunden später ihr Zimmer betrat war es bereits dunkel draußen. Der Weg vom Fluss nach Hause zu Fuß war doch länger gewesen, als sie gedacht hatte. Erschöpft stellte sie ihre Tasche auf ihren Stuhl und seufzte. Trotzdem war es ein schöner Nachmittag gewesen. Durch das Gespräch mit Megumi hatte sie herausgefunden, dass diese sich öfters bei schönem Wetter am Fluss aufhielt, um sich Inspiration zu holen. Außerdem mochte sie es dem Fluss zuzusehen. Mirâ musste unweigerlich Lächeln, als sie an das fröhliche Gesicht von Megumi dachte, als sie darüber erzählte. Zu mindestens hatte sie es ein wenig geschafft die Kleine aufzuheitern. „Was grinst du denn so vor dich hin?“, kam plötzlich die Frage, woraufhin sich Mirâ erschrocken umdrehte und Mika in ihrem Spiegel erkannte. Erleichtert fasste sich die junge Frau an die Brust: „Hab ich mich erschreckt. Hallo Mika. Ach weißt du, ich habe mich vorhin mit einer jüngeren Schülerin unterhalten, der in ihrer Klasse wirklich übel mitgespielt wird. Und ich denke ich konnte sie wenigstens ein bisschen aufmuntern.“ „Das klingt doch gut.“, meinte Mika leicht lächelnd, „Bist du deshalb auch heute so spät?“ Während Mirâ durch ihr Zimmer lief und sich langsam ihrer Uniform entledigte antwortete sie auf Mikas frage: „Das auch. Aber auch weil ich heute gelaufen bin, anstatt die U-Bahn zu nehmen. Der Weg war doch länger als erwartet. Auf dem Weg hatte ich dann die Schülerin getroffen.“ „Ach so.“, kam es von dem kleinen Mädchen, welche noch etwas sagen wollte, jedoch stoppte, als sie das Geräusch von Mirâs klingelndem Handy hörte. Dieses wurde kurz darauf von Mirâ vom Tisch genommen: „Oh... Entschuldige mich kurz Mika.“ Die junge Frau machte eine entschuldigende Handbewegung und nahm dann das Telefonat an: „Hallo Papa. Es ist lange her.“ Erstaunt blickte Mika auf und beobachtete ihre Freundin, wie diese freudig durchs Zimmer schritt. Leise hörte sie die tiefe, aber freundlich klingende Stimme des älteren Mannes am anderen Ende der Leitung: „Hallo. Wie geht es meinem großen Mädchen?“ Mirâ lachte: „Mir geht es gut. Ich bin nur etwas erschöpft, aber sonst...“ „Erschöpft? Du wirst dich doch nicht überanstrengen?“ „Nein nein. Ich bin heute von der Schule nach Hause gelaufen und der Weg war doch etwas lang.“, erklärte die junge Frau, „Aber sag mir lieber wie es dir geht. Alles in Ordnung?“ „Ja, alles gut. Mach dir keine Sorgen um deinen alten Herren.“, kam es nur lachend am anderen Ende, „Geht es deiner Mutter und Junko auch gut?“ „Ja. Denen geht es gut. Wir haben uns gut eingelebt und ich habe auch schon einige gute Freunde gefunden.“, meinte Mirâ, woraufhin nur ein verwunderten „Oh?“ aus dem Hörer zu hören war, „Sei nicht so überrascht. Es ist ja nicht so als wäre ich nicht in der Lage Freunde zu finden.“ Wieder ein Lachen: „Das meinte ich damit auch nicht. Ich bin erfreut zu hören, dass du wieder soziale Kontakte knüpfst. Ich habe mir Sorgen gemacht, als du immer meintest, dass du keine Freunde mehr haben willst. Jetzt bin ich erleichtert. Weißt du Mirâ, Freunde sind sehr wichtig. Und wenn es auch noch richtige Freunde sind, dann sind sie immer für sich da, auch wenn du ganz tief in der Klemme steckst.“ Die Violetthaarige nickte, auch wenn sie wusste, dass ihr Vater es nicht sehen würde: „Ja ich weiß. Meine Freunde sind wirklich sehr nett und ich kann mich auf sie verlassen. Sie stärken mir den Rücken.“ Noch einmal hörte man ein Lachen und ein erleichtertes “dann ist ja gut“. Mittlerweile hatte sich Mika erst einmal umgedreht und hörte nicht weiter zu, zumal es mittlerweile eh nur noch um banale Dinge ging, über welche sich Mirâ mit ihrem Vater unterhielt. Das Thema über die Spiegelwelt umging die junge Frau gekonnt. Es war auch ein Thema von dem sie ihrem Vater nicht einfach erzählen konnte. Entweder er würde sie für verrückt erklären oder ihr glauben und sie wegholen, weil es zu gefährlich war. Da war sich Mika sicher. Ein merkwürdiges Gefühl stieg in ihr auf. Ein Gefühl der Vertrautheit, doch sie konnte sich nicht erklären woher dieses Gefühl kam. Es dauerte eine Weile, ehe Mirâ wieder nach ihr rief und sich noch einmal dafür entschuldigte, dass sie plötzlich unterbrochen wurden. Mika jedoch schüttelte nur den Kopf und meinte, dass es in Ordnung gewesen sei, immerhin schien sich Mirâ über den Anruf ihres Vaters gefreut zu haben. „Ja das stimmt.“, meinte die junge Frau mit einem sanften Lächeln, „Weißt du... Meine Eltern leben schon seit vielen Jahren in Scheidung. Sie haben sich häufig gestritten und irgendwann ging es eben nicht mehr. Aber mein Vater war trotzdem immer für mich da. Als sich meine Eltern haben scheiden lassen, war das für mich wie ein Weltuntergang, aber mein Vater munterte mich auf und meinte, dass das nicht hieße, dass wir uns nicht mehr sehen. Seither telefonieren wir regelmäßig miteinander und wenn es die Zeit zulässt, dann gehe ich meinen Vater in den Sommerferien besuchen.“ „Er scheint ein guter Mann zu sein.“, sagte Mika. Die Violetthaarige nickte: „Das ist er. Leider sieht meine Mutter das anders. Sicher... Er hat Fehler gemacht, aber trotzdem ist er mein Vater.“ Auch Mika nickte. Sie konnte die Gefühle ihrer Freundin irgendwie nachvollziehen, obwohl sie sich selbst nicht an ihre Eltern erinnern konnte, wenn sie denn welche hatte. Es war immer noch nicht ganz klar ob sie ein Mensch oder doch nur ein Shadow war. Die Bilder die sie manchmal sah, konnten auch einfach nur eine Laune der Welt gewesen sein. Diese Bilder verwirrten sie. Zeigten sie ihr ihre Erinnerungen? Oder einfach nur irgendwelche Bilder, die gerade passten? Doch wieso bekam sie dabei immer solche Kopfschmerzen? „Mika? Alles in Ordnung?“, fragte ihre Freundin plötzlich, woraufhin sie erschrocken aufsah. „J-ja. Alles gut.“, kam die Antwort zögerlich. „Mach dir keine Sorgen. Wir werden rausfinden, warum du dort festsitzt und dich dort rausholen. Versprochen.“, kam es zwinkernd von Mirâ. Erstaunt sah Mika sie an, doch lächelte dann und nickte: „Ah... Danke Mirâ.“ Plötzlich fiepten ihr die Ohren, was sie veranlasste sich den Kopf zu halten. Schon wieder. Was war das nur? Mirâ bemerkte ihr Unbehagen, doch auf die Frage hin, ob wirklich alles gut war, antwortete das kleine Mädchen nur, dass sie müde sei und sich hinlegen wollte. Nachdem sie sich dann von ihrer Freundin verabschiedet hatte, machte sie sich auf den Weg zu dem Futon, welcher in der Ecke lag und schmiss sich darauf. Es dauerte auch keine paar Sekunden, ehe sie bereits eingeschlafen war. Doch was sie dann träumte würde sie wohl nie wieder vergessen. Ihr war unerträglich warm gewesen und ihr Atem ging sehr schnell und unregelmäßig. Vorsichtig öffnete sie die Augen und blickte in zwei braune besorgt aussehende Augen. Diese gehörten zu einer jungen Frau, nicht viel älter als 20, mit schulterlangem dunkelblauem Haar, welches ihr in leichten Wellen über die Schulter fielen. Sie sagte etwas zu ihr, doch Mika konnte es nicht verstehen. Was mochte sie wohl gesagt haben? Und wer war diese Frau? Ein Mann tauchte hinter der Frau auf und auch seine roten Augen sahen sie besorgt hat. Sein blau-violettes Haar war leicht zurück gekämmt, doch einige Strähnen schienen ihr Eigenleben zu besitzen und standen am Pony etwas ab. Er hob seine Hand und strich ihr sanft über sie Stirn. Es war ein angenehmes Gefühl. Kurz darauf standen die beiden Erwachsenen jedoch auf und entfernten sich von ihr. Panisch streckte sie ihre kleine Hand nach ihnen aus und versuchte nach ihnen zu rufen, doch kein Ton kam aus ihrem Mund. Sie versuchte es immer weiter, bis... „Mama! Papa! Wartet!“, mit einem Schreck und ausgestrecktem Arm wachte Mika aus ihrem unruhigen Schlaf auf. Irritiert blickte sie sich um. Sie war wieder in dem dunklen Raum, welcher in der realen Welt Mirâs Zimmer war. Sie ließ den Kopf sinken und fasste sich an die Stirn. Diese war erstaunlicherweise glühend heiß. Etwas Feuchtes lief ihre Wangen herunter und richtete ihre Aufmerksamkeit darauf. Vorsichtig strich sie mit ihren Fingern darüber. Tränen? Sie hatte nicht einmal mitbekommen wie sie mit weinen begann. Wieder diese Bilder und dieses Mal hatten sie sie zum Weinen gebracht. Es mussten Erinnerungen sein, da war sie sich nun ganz sicher. Denn als sie diese beiden Menschen gesehen hatte, hatte sie ein angenehmes Gefühl der Vertrautheit gespürt. Sie hatte also Eltern. Doch genau dieser Gedanke bereitete ihr einen anderen, unangenehmen Gedanken: Sie musste ja irgendwann verschwunden sein. Ob sich ihre Eltern sorgen machten? Ob sie sich überhaupt noch an Sie erinnerten? Ob sie überhaupt noch lebten? So viele Fragen überkamen sie mit einem Male, weshalb sie den Kopf auf ihre angewinkelten Beine sinken ließ. Ein leises Schluchzen erfüllte den Raum. Sie wollte endlich die Wahrheit wissen. Wer war sie? Woher kam sie? Und wie kam sie hier her? So viele Fragen. Doch wusste sie nicht, ob sie jemals eine Antwort darauf finden würde. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)