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Desaster

von

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Nervöser als er bereit war zuzugeben, stand Steve vor Lokis Tür. Jarvis hatte ihm bestätigt, dass der Asgardier sich in seinem Quartier befand und offenbar in ein historisches Buch vertieft war. Die letzten Tage hatte der Außerirdische hauptsächlich mit Tony und Bruce im Workshop verbracht. Sie arbeiteten an irgendetwas, das Steve nicht verstand. Tony hatte es einmal versucht ihm zu erklären als sie zufällig zusammen beim Frühstück gesessen hatten, doch irgendwann hatte der Soldat einfach abgewinkt und behauptet es verstanden zu haben, obwohl die Erklärungsversuche ihn nur noch mehr durcheinandergebracht je länger sie gedauert hatten. Im Beisein von Loki, der offenbar ohne Probleme auf Tonys hohem Niveau mitreden konnte, obwohl er von einem anderen Planeten kam und Bruces Stephen Hawking Intellekt -Steve hatte sich über den Wissenschaftler informiert nachdem Coulson ihn erwähnt hatte- hatte er sich plötzlich furchtbar dämlich gefühlt und den schnellsten Weg raus gewählt. Er glaubte nicht wirklich, dass Tony ihm geglaubt hatte. Die anderen beiden wahrscheinlich ebenso wenig. So allein mit den hyperintelligenten Leuten im Tower, und anstatt der üblichen zwei, waren es inzwischen drei geworden, war er sich plötzlich sehr bewusst gewesen, wie unterirdisch sein Verstand im direkten Vergleich sein musste.

Es schien als hätten Tony und Bruce den Asgardier einfach in ihre Welt assimiliert. Eine Welt, von der Steve nicht das Geringste verstand und in der Loki sich ziemlich wohl zu fühlen schien. Jedenfalls hatte Steve immer wieder ein Lächeln auf den blassen Lippen gesehen, wenn der Außerirdische Tony ansah. Ein Lächeln. Kein Grinsen. Ein richtiges Lächeln.

Jedoch hatte er Loki nur selten gesehen in letzter Zeit. Inzwischen seit zwei Tagen gar nicht mehr. Tony kümmerte sich komplett um ihn und anscheinend gab es auch keine Probleme. Jarvis bestätigte ihm bei jeder Nachfrage, dass der Asgardier keinerlei aggressives Verhalten außerhalb seiner Panikattacken zeigte. Der Milliardär hatte Steve erzählt, dass die Albträume nicht nachließen, aber dass es inzwischen keine Schwierigkeiten mehr mit der Nahrung gab. Das war immerhin schon etwas. Die Tatsache, dass Tony inzwischen bei Loki im Zimmer schlief, um sich die Laufwege zu ersparen, wie er behauptete, machte ihn nervöser als er zugeben wollte. Doch als er das angesprochen hatte, meine der Milliardär lediglich, wenn er selbst im Glashaus saß, sollte er definitiv nicht so viel mit Steinen um sich schmeißen. Natürlich hatte Jarvis ihm erzählt, dass Steve vor gar nicht allzu langer Zeit ebenfalls neben dem Asgardier eingeschlafen war.

Leider hatte Loki bisher auch niemanden wieder auf seinen Rücken sehen lassen. Aber anscheinend war das auch nicht mehr so schlimm. Der Asgardier hatte weder erneut das Bewusstsein verloren, noch roch er nach Infektion. Bruce hatte ihm das bestätigt.

Genervt von sich selbst fuhr Steve sich durch die Haare und atmete tief aus. Das konnte doch nicht so schwer sein! Jarvis hatte ihn schon zwei Mal gefragt, ob er Loki von seiner Anwesenheit in Kenntnis setzen sollte und spätestens beim zweiten Verneinen war Steve der Gedanke gekommen, dass es wirklich bescheuert aussehen musste, wie er hier schon minutenlang vor der Tür herumlungerte. Dass Jarvis danach gefragt hatte, ob alles in Ordnung war, hatte die Situation nicht besser gemacht.

Der Soldat spürte schon fast, wie sich Jarvis Augen - Sensoren? - in seinen Nacken bohrten. Und er wusste, wenn er jetzt kniff, würde sich so eine Gelegenheit wahrscheinlich nicht so schnell wieder bieten. Tony und Bruce waren beide nicht im Tower. Tony hatte etwas mit Stark Industries zu erledigen und Bruce traf sich mit einem befreundeten Kollegen in der Stadt. Nachdem beide gegangen waren, hatte der Asgardier sich in sein Zimmer zurückgezogen.

Schließlich, Steve befürchtete die KI könnte sich jeden Moment wieder zu Wort melden, atmete er noch einmal tief durch und klopfte an die Tür. Es dauerte nur zwei Sekunden bis diese aufglitt und ihn in den Wohnbereich des Appartements einließ. Sein Blick fiel fast sofort auf die schmale Gestalt, die weiter hinten im Raum ans Fenster gelehnt auf dem Boden saß und sich um seine Anwesenheit anscheinend nicht scherte.

Absichtlich langsam schritt Steve näher. Loki hatte sich mit der Schulter gegen die Fensterscheibe gelehnt, sein Kopf ruhte ebenfalls an dieser, während sein Blick runter auf den LED Bildschirm eines Tablets gerichtet war, das in seinem Schoß lag. Schwarze Strähnen hingen offen und unordentlich über seine Schultern und ihm ins Gesicht. Sein Mund stand leicht offen und die grünen Augen wanderten stetig von links nach rechts über den Bildschirm.

„Hey.“, machte Steve auf sich aufmerksam und stand dann einige Sekunden unentschlossen einen Meter entfernt herum.

Sich anscheinend kaum von seiner Lektüre losreißen könnend, hob der Asgardier schließlich seinen Kopf an und richtete seinen Blick nach oben auf seinen Besuch. Als die grünen Iriden auf ihn fielen, bemerkte er erneut seinen plötzlich rapiden Herzschlag. Dennoch fielen ihm die fast schon eingraviert wirkenden schwarzen Augenringe sofort auf. Das Weiß in den Augen war von roten Äderchen durchzogen. Er war noch immer kalkweiß, aber Steve bildete sich ein, dass die Wangen nicht mehr ganz so eingefallen waren wie zu Beginn und wenn er sich die Lippen ansah, so hatten auch diese inzwischen etwas Farbe bekommen und hoben sich von der sonstigen Haut ab. Ebenso waren sie deutlich weniger aufgesprungen und rissig. Irgendwie wirkte er gleichzeitig etwas gesunder wie kranker.

„Captain.“, begrüßte er ihn mit tonloser Stimme. Die Tatsache, dass der Asgardier ihren Milliardär inzwischen beim Vornamen nannte und bei Steve nicht über seinen Titel hinaus ging, obwohl Steve ihm das bereits angeboten hatte, stieß dem Soldaten übel auf. Er benutzte noch nicht einmal seinen Nachnamen, aber Tony war ziemlich direkt `Stark´ gewesen. Und nur wenige Tage darauf Tony. Bruce war auch Dr. Banner, nicht einfach nur Doktor. Von Pepper wollte er gar nicht erst anfangen.

Loki musterte ihn kurz von oben bis unten. Er spürte, wie seine Ohren warm wurden.

„Ich habe dir was mitgebracht.“, rückte er sofort mit der Sprache heraus. Er hatte sich zurechtgelegt, was er sagen wollen würde. Jetzt, im Nachhinein, fühlte es sich seltsam an, dass er sich tatsächlich Worte für dieses Gespräch zurechtgelegt hatte. Andererseits hatte er so die dumpfe Ahnung, dass er andernfalls jetzt stumm oder stotternd dastehen würde. Schnell schob er diese Gedanken beiseite und präsentierte ihm den Bildband über europäische Kunst der Renaissance, den Pepper ihm einst aus Rom mitgebracht hatte. Es war nur ein Band von vielen, die er ihr zu verdanken hatte.

„Pepper sagte mir, du hättest Interesse an Kunst gezeigt. Ich dachte, du könntest vielleicht etwas Abwechslung zwischendurch gebrauchen. Du warst fast nur im Workshop.“, sprach er dann weiter.

Irritiert sah der Asgardier zwischen dem Buch und Steve hin und her. Dann stand er auf, Steve entging nicht, dass er leicht schwankte und einen kurzen Moment brauchte, um sich wieder zu stabilisieren. Das hatte er schon länger nicht mehr gesehen. Es war besorgniserregend.

„Dann kann ich davon ausgehen, dass die Lady Virginia nicht die einzige Bewohnerin des Towers ist, die Kunst zu schätzen weiß?“ Loki überwand die Distanz zwischen ihnen ohne zu zögern und nahm Steve den Bildband aus den Händen. Deutlich interessiert besah er sich das Cover auf dem ein Abbild der Mona Lisa prangte.

„Ähm… ja.“, antwortete Steve kurz angebunden. Loki stand direkt neben ihm, dicht genug, dass sie sich fast berührten.

„Ich habe angefangen mich über Midgards Geschichte zu informieren.“, ergriff der Asgardier dann wieder das Wort und sah von dem Buch hoch und Steve direkt in die Augen. So nahe dran konnte der Soldat verschiedene Nuancen des Grüns in den Iriden erkennen, wie die verschiedenen Töne ineinanderflossen und ein kompliziertes Netz bildeten. „Ich bin zu meinem Bedauern noch nicht weit gekommen und Kunst ist immer im Kontext zur Epoche zu betrachten. Vielleicht könntet Ihr etwas Eurer Zeit erübrigen und mir zumindest eine kurze Einführung zur Renaissance geben, Captain?“

Hatte Loki gerade wirklich das gesagt, was Steve glaubte gehört zu haben? Er wollte das Steve ihm etwas zur Renaissance erzählte? Also, dass er Zeit mit ihm verbrachte? So wie Loki ihn mit diesem fragenden Blick ansah, erwartete er in jedem Fall irgendeine Art von Antwort.

„Sicher.“, stimmte der Soldat schließlich zu.

Mit einem Nicken drehte der Außerirdische sich um, ging zur Couch, legte das Tablet und den Bildband dort auf dem kleinen davorstehenden Tisch ab und verschwand dann in den Küchenbereich, wo Steve beobachtete, wie er den Wasserkocher füllte und anschaltete.

„Ich muss leider auch zugeben, dass meine Kenntnisse über midgardische Getränke äußerst begrenzt sind. Vielleicht mögt Ihr selbst nachsehen, was Tony hier deponiert hat und Euch etwas Passendes heraussuchen.“

Steve konnte nicht anders als zu grinsen, während er zusah wie Loki zwei Tassen, offensichtlich Merchandise, denn auf einer prangte Iron Man und auf der anderen Black Widow im Comiclook, aus einem der Schränke holte und neben dem Wasserkocher abstellte. Es wirkte als hätte der Asgardier sich eingelebt. Er schien sich sicher zu fühlen und Steves Anwesenheit störte ihn offensichtlich nicht, offenbar sogar so wenig, dass er kein Problem damit hätte ihn länger in seiner Nähe zu haben.

Seine Anspannung löste sich langsam, als er Loki hinterher in die offene Küche folgte. Die Appartements waren alle etwa gleich eingerichtet. Ohne Probleme fand Steve den Kräutertee und versenkte einen Teebeutel davon in der Black Widow Tasse, während Loki Honig in die andere gab und anschließend einen Beutel Kamillentee hineinwarf.

Kurz darauf fanden sie sich auf der Couch wieder, ihre dampfenden Tassen standen auf dem Tisch davor und während Steve akribisch darauf geachtet hatte dem anderen Mann Platz zu lassen, schien diesem das alles komplett egal zu sein. Er hatte sich den Bildband gegriffen, ihn aufgeschlagen und war an den Soldaten so nahe herangerückt, dass sie beide gleichzeitig problemlos hineinsehen konnten. Das bedeutete, Loki und er hatten an der Schulter und am zugehörigen Oberarm Körperkontakt. Wenn sein Herz ihm nicht aus der Brust hätte springen wollen und seine Ohren sich nicht anfühlen würden als wären sie dabei zu verglühen, wäre das alles ja auch kein Problem.

Taten sie aber. Er versuchte seine körperliche Reaktion zu ignorieren. Vielleicht half die Schocktherapie ja und sein Körper würde endlich einsehen, dass er nicht sofort Adrenalin durch seine Adern pumpen musste, sobald Loki etwas näherkam. Sie waren keine Feinde mehr. Oder zumindest momentan nicht.

Umso länger sie so dasaßen und Steve von der damaligen Kultur sprach, ihm die Zusammenhänge zwischen Kunst und er damaligen Politik, von der Rückbesinnung auf die Antike und dem Bestreben natürlicher Darstellungen erzählte, umso ruhiger wurde er selbst. Er befand sich in seinem eigenen Wohlfühlbereich. Loki selbst hackte immer wieder nach, wollte immer mehr wissen, als Steve zu Beginn preisgab und wenn er nicht weiterwusste, konnte ihnen Jarvis eine Antwort liefern, die Loki einigermaßen zufriedenstellte. Es kam Steve fast so vor als wolle der Asgardier einfach alles wissen. Diese Neugier wirkte fast kindlich und völlig unschuldig. Wenn der Mann im Workshop ein ähnliches Verhalten an den Tag legte, verstand der Soldat ziemlich gut, warum Tony ihn nicht wieder hergeben wollte.

Nach der nicht ganz so kurzen historischen Einführung, blätterten sie durch das Buch und diskutierten die abgebildeten Gemälde. Steve erzählte von einigen der Künstler mit denen er sich etwas näher beschäftigt hatte, sie holten sich neuen Tee und verbrachten den gesamten Nachmittag damit über die Gemälde zu sprechen. Erst nach Stunden fiel Steve auf wie leicht es war sich mit dem anderen Mann zu unterhalten. Wo er am Anfang noch befürchtete, dass das alles in einer Katastrophe enden würde, fühlte sich Lokis Gesellschaft inzwischen fast natürlich an.

„Das war äußerst interessant.“, gab der Asgardier zu, als er den Bildband zugeklappt hatte, nachdem sie einmal durch das komplette Buch geblättert hatten. Es war inzwischen mitten in der Nacht. Steve wusste nicht genau, wie spät es war, aber er konnte durch die riesigen Panoramafenster Sterne am Himmel sehen.

„Freut mich, dass ich dich nicht gelangweilt habe.“, antwortete Steve grinsend und leerte seine Tasse aus, bevor er sie auf dem Couchtisch wieder abstellte.

„Ich habe das sehr genossen. Vielleicht können wir das wiederholen?“ Lokis schlanke Finger glitten fast andächtig über das Cover des Bildbandes. Dann riss er seinen Blick von der Mona Lisa los und richtete seine Aufmerksamkeit auf Steve, dessen Grinsen sich in ein Lächeln ausbreitete.

„Ich habe noch einige solcher Bücher.“, schlug er vor.

„Dann bin ich äußerst gespannt auf die nächste Epoche, Captain.“ Mit diesen Worten hielt er Steve den Bildband hin, der ihn entgegennahm. Sie verabschiedeten sich voneinander und Steve verließ das Appartement, nachdem er seine Tasse in den Geschirrspüler gestellt hatte. Mit einem breiten Grinsen im Gesicht legte er den Weg zu seinem eigenen Quartier zurück. Er würde Pepper unbedingt anrufen und ihr für den Tipp danken müssen. Es hatte fantastisch geklappt! Sie hatten bis vier Uhr morgens geredet, wie er mit einem Blick auf die Uhr feststellte. Er fühlte sich glücklich. Offenbar war es ihm wichtiger gewesen als er gedacht hatte mit Loki klarzukommen.

Mit einem guten Gefühl schlief er schließlich ein.

Die nächsten Tage verbrachte Loki wieder im Workshop mit Tony und Bruce. Immer wenn Steve nachfragte, erzählte Jarvis ihm, dass der Asgardier gerade mit Tony und/oder Bruce beschäftigt war. Wenn sie sich im Gemeinschaftsbereich begegneten, was hauptsächlich zu den Essenszeiten war, war Tony nicht von seinem Gast wegzubekommen. Mit jedem Atemzug erzählte er etwas von Quantenmechanik und Newtschen Axiomen und wenn sie fertig mit dem Essen waren, zerrte er den Asgardier schon fast mit sich. Dennoch fiel Steve auf, dass Loki nicht absichtlich Platz zwischen sich und ihm ließ. Wenn er früher den Gemeinschaftsraum betreten und sich einen Hocker ausgesucht hatte, hatte er für gewöhnlich Platz zwischen ihnen gelassen, jetzt setzte er sich direkt neben ihn.

Leider sah er auch wie der Schlafmangel weiter an Loki zehrte. Er beobachtete ihn und seine Bewegungen schienen von Tag zu Tag anstrengender für ihn zu werden. Er fing an dauernd irgendwelche Gegenstände umzustoßen, Besteck fiel ihm herunter und er hatte in relativ kurzer Zeit vier Tassen auf dem Gewissen. Manchmal hatte Steve den Eindruck, als würde er immer wieder in einen Sekundenschlaf versinken, wenn er am Tresen saß. Dass Tony auch aussah, als hätte er seit Tagen nicht geschlafen, machte die Situation nicht angenehmer. Bruce schien der einzige zu sein, der sich Schlaf gönnte. Und auch er warf seinen beiden Wissenschaftskollegen immer wieder besorgte Blicke zu.

Letztendlich konnte Steve nicht anders als Tony darauf anzusprechen als er ihn eines Nachmittags alleine in der Küche antraf. Der Milliardär stand neben der Kaffeemaschine die gurgelnd ihre Arbeit verrichtete, während Tony mit der Stirn an den darüber angebrachten Schrank angelehnt darauf wartete, dass sie fertig wurde.

Steve saß hinter ihm am Tresen und beobachtete ihn eine Weile, bevor er das Wort ergriff. „Du musst dich schlafen legen.“

„Hm.“, kam es nur zurückgegrummelt.

„Ich meine es ernst. Du schläfst im Stehen ein.“

„Ich kann nicht.“, murmelte Tony zurück. Ohne hinzusehen, hob er den Arm, öffnete die Schranktür rechts neben sich und zog die erstbeste Tasse heraus, die er dort ertasten konnte.

„Ich lasse den Workshop wieder sperren.“, drohte Steve ihm schließlich. Er sah zu, wie der Milliardär sich Kaffee eingoss und dann zu ihm umdrehte. Rot unterlaufene von dunklen Ringen umrahmte Augen starrten ihn an.

„Es geht nicht um den Workshop. Hast du Loki nicht gesehen?“, fragte er mit deutlich genervtem Tonfall und nahm einen Schluck von seinem dunklen Gebräu. Sofort fing er an zu fluchen und spukte die Flüssigkeit wieder zurück. Dann pustete er in den Becher.

„Was hat das mit dir zu tun?“

„Ich bin derjenige, der ihn aufweckt. Dazu muss ich selbst wach sein.“ Er nahm erneut eine Schluck Kaffee, diesmal deutlich vorsichtiger.

„Jarvis hat immer noch keine Möglichkeit ihn zu wecken?“, hackte Steve nach. Er hatte zwar gewusst, dass das am Anfang so gewesen war, aber sie hatten oft genug darüber gesprochen, dass das eigentlich auch über die KI laufen müsste.

„Nein. Und er wacht auch nicht von alleine auf. Außerdem ist die Panikattacke heftiger je länger ich brauche um ihn aufzuwecken. Ich habe tatsächlich schon darüber nachgedacht ihn einfach zu ignorieren, vielleicht wäre das auch besser für ihn. Vielleich ist schlecht schlafen inzwischen besser als gar nicht schlafen, aber der bloße Gedanke und ich möchte mich betrinken.“, erklärte Tony ihm, wobei er, als hätte er sich in diesem Moment daran erinnert, einen anderen Schrank öffnete, eine Flasche Scotch herausholte und einen kräftigen Schluck davon in seinen Kaffee kippte. Steve quittierte das nur mit einem missbilligenden Blick, hielt aber den Mund. „Es macht mich langsam wahnsinnig. Er versucht inzwischen krampfhaft wachzubleiben, aber er schläft immer wieder ein und nur wenige Minuten danach fängt es wieder an.“

Besorgt hörte Steve zu. Es hatte sich gar nicht gebessert? Das würde nicht ewig so weitergehen können. Aber zunächst sollte er zusehen, dass Tony geistig wieder einigermaßen leistungsfähig war. Vielleicht fiel ihm dann etwas ein.

„Du gehst jetzt schlafen. Ich kümmere mich um Loki.“, sagte er in seinem Befehlston und stand auf. Er sah, wie Tony den Mund öffnete und er kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass da ein Wiederspruch auf ihn zukam. Er unterband es gleich. „Keine Diskussion. Du hättest mich viel früher davon in Kenntnis setzen sollen. Es hilft ihm nicht, wenn du dir ebenfalls Schlaf verweigerst.“

Tony folgte ihm zum Fahrstuhl. „Hey, das halte ich für keine gute Idee.“

„Ich komme schon klar.“, versuchte Steve seinen Freund zu beruhigen. Es war offensichtlich, dass er sich Sorgen machte. Dann sah er nach oben zu Fahrstuhldecke. „Jarvis. Workshop und Lokis Etage für Tony unzugänglich machen. Er darf auch nicht nach Loki fragen und du gibst ihm keinerlei Auskünfte von dir aus, egal worauf Tony dich angesetzt hat. Du kannst das wieder aufheben, nachdem er mindestens 8 Stunden geschlafen hat. Am Stück.“

„Sehr wohl, Captain Rogers.“

Tony sah ihn mit einem betrogenen Gesichtsausdruck an als der Fahrstuhl auf seiner Etage hielt. Er bewegte sich keinen Millimeter. „Wirklich? Du ziehst die Tony-gefährdet-seine-eigene-Sicherheit-Karte?“

„Du hast dieses Schlupfloch aus gutem Grund für mich und Pepper kreiert. Wir können darüber reden, wenn du geschlafen hast.“

Steve konnte ganz genau sehen, wie sehr ihm diese Situation gegen den Strich ging. Schließlich fluchte Tony laut, bevor er sich erneut an den Soldaten wandte.

„Wenn du ihn wachrüttelst und du wirst ihn ordentlich schütteln müssen, denn offenbar hängt er richtig an seinen Albträumen, musst du ihn sofort loslassen. Er kriegt nur noch mehr Panik, wenn er festgehalten wird. Er hat mir gesagt, dass es hilft, wenn er meine Stimme hört. Also rede mit ihm, wenn er aufwacht, das hilft ihm sich geistig wieder zu sammeln. Eine Aufnahme hilft nicht, haben wir schon probiert. Offenbar kann er trotzdem noch den Unterschied erkennen. Wie gesagt, je länger du brauchst um ihn wachzubekommen, umso schlimmer die Panik. Sei nicht zimperlich.“

Etwas erstaunt sah Steve seinen Freund an. Die Sorge in den Gesichtszügen war echt. Offenbar hatte Steve deutlich unterschätzt wie verantwortlich Tony sich für den Asgardier fühlte.

Mit einem Nicken signalisierte er Tony, dass er ihn verstanden hatte. Er legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Mach dir keine Sorgen. Geh schlafen. Du hast es dringend nötig.“

Deutlich unwillig verließ der Milliardär den Fahrstuhl. „Wenn Probleme auftauchen, sag Bescheid.“

„Es wird keine Probleme geben. Geh!“ Mit diesen Worten schlossen sich die Fahrstuhltüren und die Kabine hielt auf seiner eigenen Etage. Es war sicher besser, wenn er dort nicht so offensichtlich als Kindermädchen auftauchte. Er schnappte sich einen weiteren seiner Bildbände und nahm dann die Stufen zu Lokis – Thors? – Etage.

Ohne zu zögern überwand er die Distanz, klopfte kurz an und betrat das Appartement. Wie gewohnt saß Loki am Fenster. Wieder lehnte er daran, nur dass er diesmal den Blick nach draußen gerichtet hatte. Das Tablet lag auf dem Couchtisch.

„Hey Loki.“, machte Steve sich bemerkbar. Es kam keine Reaktion. Vorsichtig setzte er sich ebenfalls ans Fenster und betrachtete den anderen Mann. Er sah furchtbar aus. Zugegeben, das war schon die ganze Zeit so gewesen, jetzt sah er aber anders furchtbar aus.

Mit müden Augen, sah der Asgardier kurz zu ihm. „Captain.“, murmelte er leise zur Begrüßung und sah dann wieder hinaus. So, wie er aussah, wunderte Steve sich, dass er überhaupt fähig war sich wach zu halten.

„Ich habe einen neuen Bildband dabei.“, informierte Steve ihn. Die grünen Augen richteten sich wieder auf ihn und fixierten das Buch, das Steve dabeihatte. Bereitwillig drehte der Soldat es so, dass Loki das Cover sehen konnte. Rembrandts `Die Nachtwache´ war darauf abgebildet und in kursiver Schrift und goldenen Lettern verriet der Titel den Fokus auf die Zeit des Barock.

Wortlos und offensichtlich mühsam stand Loki auf, stützte sich dabei am Fenster ab. Steve erhob sich ebenfalls, es sah aus, als könnte der andere Mann jede Sekunde einfach umkippen. Es dauerte auch nur wenige Schritte, bis dieser sich an der Couch festhielt. Schnell kam Steve ihm hinterher.

„Setz dich.“, forderte er den Asgardier auf. Er bemerkte einen Blick in Richtung der Küche, doch dann gab der Mann nach und sank auf die Couch nieder. Ohne ein Wort ging Steve weiter und setzte Wasser auf. Es war beängstigend Loki so zu sehen. Sein Zustand hatte sich bereits so sehr gebessert und nun schien ihn der Schlafmangel wieder komplett aus der Bahn zu werfen. Besorgt sah der Soldat immer wieder zur Couch, auf der der Außerirdische nun saß und einfach vor sich hinstarrte. Wenigstens konnte er keine Infektion riechen. Vielleicht war die Wunde inzwischen verheilt? Loki war zwischendurch deutlich kräftiger gewesen.

Steve trug zwei Tassen zurück. Die Tasse mit Captain America – sicherlich hatte er dieses Motiv nicht absichtlich gewählt - gab er Loki, der sie mit einem dankbaren Nicken entgegennahm als er sich neben ihn setze. Er hatte ihm einen Kamillentee mit Honig zubereitet. Loki nahm einen Schluck aus der Tasse und fuhr sich mit seiner freien Hand über das Gesicht.

„Tony sagt, du schläfst nicht.“, ergriff Steve das Wort, als der Asgardier gegen ihn sank. Es wirkte fast, als könne er sich nicht von alleine in einer sitzenden Position halten. Doch so müde Loki auch war, offenbar war er noch immer fähig mit einem Blick klar zu machen, dass er genervt war. Wahrscheinlich hatte er das Thema bereits hundertfach mit Tony gehabt und sicher auch das eine oder andere Mal mit Bruce. Den er im Übrigen auch inzwischen beim Vornamen nannte, wie Steve nicht umhin gekommen war zu bemerken.

Dennoch griff er nicht nach dem Bildband oder wechselte das Thema. Vielleicht war er in seinem Zustand auch einfach nicht mehr fähig dazu.

„Was können wir tun?“, versuchte Steve es erneut.

„Nichts.“, antwortete Loki als der Soldat es schon gar nicht mehr erwartet hatte. „Ich habe Tony bereits gesagt, er soll es ignorieren. Er weigert sich. Offenbar hat er aber wenigstens nun eingesehen, dass er selbst trotzdem Schlaf braucht. Deshalb seid Ihr doch an seiner Stelle hier, Captain.“

Steve, verdammt noch Mal! Er hieß Steve!

„Fast.“ Der Soldat versuchte gar nicht erst sich aus der Angelegenheit herauszureden. „Ich habe Jarvis angewiesen ihm Zugang zu dir und dem Workshop zu verwehren bis er ordentlich geschlafen hat.“

Skeptisch hob Loki eine Augenbraue an als er ihm einen Blick von der Seite zuwarf. „Dazu seid Ihr befugt?“, hackte er nach und drehte seinen Kopf nun so, dass er seinen Gesprächspartner direkt ansehen konnte. Er war offensichtlich erstaunt über diese Information. Auf eine Antwort wartete er jedoch nicht. „Ich nahm an, Tony hätte dem nur zugestimmt, weil Ihr ihm versprochen hattet seinen Platz einzunehmen.“, fügte er hinzu und löste sich dann von Steves Seite. „Dann seid Ihr an kein Versprechen gebunden, Captain?“ Machte Loki das eigentlich mit Absicht? Wusste er, dass es ihn reizte?

„Nun, ich habe ihm schon versprochen mich um dich zu kümmern.“, gestand Steve. Es wäre auch schwer gewesen das nicht zu tun. Ohnehin war er davon überzeugt, dass Tony ziemlich schnell einen Weg gefunden hätte seinen Ausschluss von Lokis Etage zu umgehen, wenn er glauben würde, Steve wäre unzuverlässig.

„Das ist eine äußerst ungenaue Formulierung.“, beurteilte der Asgardier. Er nahm erneut einen Schluck aus seiner Tasse und stellte sie auf dem Tisch ab, bevor er sich wieder gegen die Couch sinken ließ. „Ich befürchte, ich bin momentan nur unangenehme Gesellschaft. Ihr habt Euch sicher um wichtige Dinge zu kümmern. Ich versichere Euch, Captain, ich bedarf keiner Aufsicht.“

„Er hat mir gesagt, wie ich mich verhalten soll, wenn du einen Albtraum hast. Das war alles andere als ungenau.“, wiedersprach Steve.

Loki betrachtete den Soldaten eine Weile. Es war offensichtlich, dass er seine Möglichkeiten abwägte. Der Blick wäre sicher deutlich bohrender gewesen, wenn er nicht gleichzeitig so unglaublich müde aussähe. Schließlich seufzte er und rieb sich mit einer Hand über die Augen. „Ich werde Euch ebenso wenig davon überzeugen können wie Tony, mich einfach zu ignorieren, nicht wahr, Captain?“

„Keine Chance.“, bestätigte Steve und bemühte sich seinen eigenen Titel zu ignorieren.

„Nun denn, warum erzählt Ihr mir dann nicht etwas über die kulturellen Hintergründe des Barock?“, lenkte Loki schließlich ein, beugte sich nach vorne und ergriff das Buch auf dem Couchtisch. Ohne zu zögern, lehnte er sich wieder gegen Steve und schlug das Buch auf, in dem zu Beginn ein kurzer Abriss über die Epoche verfasst war.

Der Unterschied zur Renaissance war gravierend. Loki fragte kaum nach, hatte keine Einwände oder beschwerte sich über unlogische Handlungen, keine bissigen Kommentare oder spöttische Sticheleien. Er hörte einfach nur zu. Schließlich sank sein Kopf gegen Steves Schulter und dieser hielt ihn davon ab daran runterzurutschen und nach vorne zu fallen, indem er einen Arm um ihn schlang und ihn vorsichtig in eine liegende Position rutschen lies. Sein Kopf landete irgendwie auf seinem Schoß.

Laut Tony, würde er ohnehin bald wieder in Albträumen versinken und Steve würde ihn wecken müssen. Also wartete der Soldat. Er spürte seinen eigenen Magen etwas rumoren. Hier zu sitzen und darauf zu warten, dass die einzige andere anwesende Person eine Panikattacke bekam, fühlte sich äußerst unangenehm an.

Doch es passierte nichts. Er betrachtete das schlafende Gesicht des anderen Mannes. Er rührte sich nicht.

Sachte wischte er ihm die Haare aus dem Gesicht und musste grinsen. Diese Situation kam ihm ziemlich surreal vor. Seine Finger fuhren zwischen die schwarzen Strähnen. Sie fühlten sich weich und seidig an. Er hob auch seine andere Hand und führte sie zu Lokis Gesicht. Mit Zeige- und Mittelfinger fuhr er über die feinen Augenbrauen und dann seitlich am Auge entlang bis zu den hohen Wangenknochen, dessen Verlauf er folgte. Als nächstes fuhr er über seinen Nasenrücken und zu seinen Lippen. Sie fühlten sich noch etwas rau an und die Mundwinkel waren noch leicht eingerissen, aber ansonsten machten sie einen deutlich besseren Eindruck. Er fuhr immer wieder mit seinen Fingern über die Lippen ohne darüber nachzudenken. Nach einiger Zeit öffnete Loki den Mund etwas und Steve erstarrte. Der Asgardier leckte sich über die Lippen, schmatze leise und drehte sich dann etwas zur Seite.

Der Soldat wagte es kaum zu atmen. Sein Blut rauschte viel zu laut in seinen Ohren, die übrigens auch so heiß waren, dass er sich nicht wundern würde, wenn sie rot leuchteten. Sein Herz schlug so hefig und schnell, dass er schon fast befürchtete, dass es ihm aus der Brust springen könnte.

Was tat er hier nur? Da schlief Loki tatsächlich etwas länger als ein paar Minuten und er hatte nichts besseres zu tun als ihm im Gesicht herumzupieken? Was wenn er aufgewacht wäre? Er sollte sich einfach glücklich schätzen über die Situation solange sie währte.

Er ließ sich von Jarvis bestätigen, dass Tony ebenfalls schlief. Alles in allem, hatte Steve doch bekommen, was er gewollt hatte. Jetzt musste er nur noch diese Nervosität loswerden.

Abwägend musterte er den schlafenden Körper neben sich. Wenn Loki schon schlief, vielleicht konnte er ja dann ganz vorsichtig mal auf seinen Rücken schauen? Nur mal eben das T-Shirt etwas hochziehen? Infiziert würde die Wunde nicht sein. Der Außerirdische schien sich also zumindest in irgendeiner Form darum zu kümmern. Immerhin nahm er ja nun Nahrung zu sich, das gab ihm sicherlich mehr Kraft.

Prüfend tastete Steve nach dem Saum des Shirts. Es saß recht locker, der Asgardier war mit seiner mageren Statur noch immer viel zu dünn. Sicherlich würde es noch etwas dauern, bis er nicht mehr skelettartig aussah. Die Zuppelei an der Kleidung des anderen Mannes half Steve zwar nicht dabei weniger nervös zu sein, und wahrscheinlich war es völlig unnötig sich an diesem Punkt noch darüber Sorgen zu machen, aber wirklich zu sehen, dass die malträtierte Haut heilte, würde ihn deutlich beruhigen. Vielleicht würde es auch die unschönen Bilder verscheuchen, die er immer wieder vor Augen hatte, wenn er über den Asgardier nachdachte.

Mit einem Auge auf das entspannt schlafende Gesicht Lokis, zog er den Saum so vorsichtig wie möglich, aber so stark wie nötig hoch. Es schien den Schlafenden nicht zu stören, sodass ziemlich bald der Rücken frei lag. Es war schlimmer als Steve sich erhofft, aber deutlich besser als er befürchtet hatte. Die noch immer riesige, aber inzwischen kleinere, Wunde war noch deutlich zu erkennen. Jetzt allerdings war sie von trockenem Schorf bedeckt. Keine nässenden oder eiternden Stellen. Die große Fläche ließ Steve nicht daran zweifeln, dass jede einzelne Bewegung furchtbar wehtun musste. Dennoch konnte er jetzt sicher sein, dass Loki sich in einem Heilungsprozess befand, anstatt jederzeit mit einer Sepsis rechnen zu müssen.

Steve ignorierte die Narben um die Wunde herum. Er wollte nicht schon wieder über deren Ursprung und die damit verbundenen Situationen nachdenken. Es brachte ihn nicht weiter. Sie würden erst etwas herausfinden, wenn Loki sich dazu entschied jemandem etwas zu verraten. Oder besser gesagt, wenn er sich entschied Tony etwas zu verraten. Niemand anderes würde irgendetwas aus dem Asgardier herausbekommen. Falls Loki sich überhaupt dazu entschloss irgendetwas irgendwann irgendwem zu erzählen. Steve war sich nicht sicher, ob er so genau wissen wollte, was passiert war.

Sorgfältig schob er das Kleidungsstück wieder herunter, bevor er Jarvis bat das Licht auszumachen.
 

Überrascht schreckte Steve hoch. Etwas desorientiert blinzelte er mehrmals und versuchte den Raum zu erkennen. Als erstes bemerke er, dass er nicht alleine war, erst danach, dass das nicht sein Quartier war. Die Irritation über beides verflüchtigte sich, als die Erinnerung zurückkam.

Er saß noch immer auf der Couch in Lokis Wohnbereich, dessen Kopf weiterhin auf seinem Schoß ruhte. Seelenruhig schlief der Asgardier. Er hatte seine Beine angezogen und war nun komplett in Steves Richtung gedreht. Sein Gesicht war völlig entspannt, die Gesichtszüge ohne jegliche Regung.

Einiges an Zeit musste vergangen sein, denn jenseits der Fenster war bereits Tageslicht zu sehen. Die Nacht war noch nicht lange vorbei, aber es war bereits zu erkennen, dass irgendwo hinter den Gebäuden bereits die Sonne aufgegangen sein musste.

Sein Blick fiel vom Fenster wieder nach unten. Es verwunderte ihn etwas, dass der andere Mann offenbar die Nacht durchgeschlafen hatte. Tony hatte ihn doch gewarnt. Aber vielleicht war Loki auch einfach so fertig gewesen, dass nicht einmal mehr seine Albträume an ihn herangekommen waren.

Fast wie in Trance wollte Steve seine rechte Hand anheben und die schwarze Strähne, die sich verirrt hatte und nun über Lokis Gesicht hing, nach hinten streichen. Sein Vorhaben scheiterte, denn er bemerkte, dass seine rechte Hand bereits damit besetzt war, Lokis linke zu halten. Ihre Finger waren ineinander verschlungen und so positioniert, dass Steve den ruhigen, gleichmäßigen Atem des anderen Mannes auf seinem Handrücken spüren konnte.

Mit einem Mal bemerkte Steve die Hitze in dem Zimmer. Vielleicht hatte Jarvis die Temperatur ja extra etwas höher gestellt wegen Loki.

Was sollte er jetzt tun? Irgendetwas sagte ihm, er sollte lieber sofort verschwinden und gleichzeitig wollte er sich keinen Zentimeter wegbewegen. Letztendlich entschied er sich erstmal die Nerven zu behalten, denn umso mehr er darüber nachdachte, was er tun sollte, umso schneller und heftiger schien sein Herz zu schlagen.

Er atmete ein paar Mal kontrolliert ein und aus. Es brachte nicht das Geringste. Dass Loki den Griff um seine Finger nur noch verstärkte, als Steve versuchte seine Hand herauszuziehen, machte die Situation nicht entspannter für ihn. Leise schmatzte der Asgardier, zog die Augenbrauen zusammen und Steves Hand näher, sodass der Handrücken nun seine Nasenspitze berührte, bevor der etwas unzufriedene Gesichtsausdruck sich wieder entspannte.

Steve erstarrte. Einen Augenblick war er nicht mehr dazu fähig überhaupt noch zu denken. Sein Herz war erneut dabei aus seiner Brust zu springen, seine Ohren mussten inzwischen glühen und er war sich sicher, dass er mehr schwitzte als er bei den herrschenden Temperaturen sollte.

Das mit dem Nerven behalten, konnte er wohl vergessen.

Unruhe türmte sich in ihm immer weiter auf. Er konnte seinen Blick kaum von Lokis schlafendem Gesicht lösen. Blut rauschte deutlich vernehmbar in seinen Ohren.

Er musste hier raus. Sofort!

Bestimmt und das Grummeln des Schlafenden ignorierend, befreite er sich aus Lokis Griff. So vorsichtig wie möglich hob Steve ihn von sich herunter, ließ ihn zurück auf die Couch sinken. Fluchtartig verließ er das Zimmer und verschwand sofort im Treppenhaus, bloß raus aus der Situation, irgendwohin, wo sein Herz sich beruhigte und seine Körpertemperatur wieder auf ein normales Niveau sinken konnte. Irgendwohin, wo sein Hirn wieder seine eigentliche Arbeit aufnehmen und ihm verraten würde, was da gerade überhaupt los gewesen war!

Sein Weg führte ihn direkt zurück in sein eigenes Quartier. Als die Tür hinter ihm zuglitt, fühlte es sich an, als würde eine zentnerschwere Last von seinem Brustkorb gehoben. Heftig atmend lehnte Steve sich mit dem Rücken gegen das kühle Metall der Tür und starrte zu Boden. Seine Nerven beruhigten sich langsam. Sein Herzschlag verlangsamte sich wieder und das kühle Material an dem er lehnte, war äußert hilfreich ihn wieder abzukühlen.

„Ist alles in Ordnung, Captain Rogers? Kann ich etwas tun?“, meldete Jarvis sich zu Wort. Besorgnis klang in der mechanischen Stimme mit. Oder zumindest machte es auf Steve den Eindruck. Unfähig Worte zu formulieren, winkte der Soldat nur ab. Er wusste ja selbst nicht genau, was da gerade passiert war. Diese Reaktion auf Loki war ihm nicht neu. Aber es war noch nie so heftig ausgefallen. War das eine Panikattacke gewesen? Entwickelte er jetzt genau wie Tony eine Posttraumatische Belastungsstörung und Lokis Nähe war dafür der Auslöser?

Das machte doch keinen Sinn! Lokis Aufenthalt war völlig komplikationslos verlaufen bisher. Zu Beginn war es auch kein Problem gewesen. Und jetzt verlor Steve derart die Fassung, während Loki völlig harmlos schlief? Das war doch kompletter Blödsinn!

Tief ein- und ausatmend schloss er die Augen. Es wurde besser. Nach einiger Zeit fühlte er sich wieder normal, nur seine rechte Hand kribbelte noch komisch. Als er sie etwas näher betrachtete, konnte er nichts Ungewöhnliches erkennen. Sein Blick blieb an seinem Handrücken hängen, dort wo Loki ihn mit seiner Nasenspitze berührt hatte, wo er den ruhigen, warmen Atem des anderen Mannes gespürt hatte.

Sein Puls wurde schneller und Steve spürte Hitze in sich aufsteigen. Schnell ließ er seine Hand wieder sinken. Okay. Das Kribbeln einfach erstmal ignorieren, befahl er sich während er wieder anfing kontrolliert zu atmen, bis es ihm gelang sich wieder zu beruhigen. Er würde schon einen Weg finden damit umzugehen.

„Ihre Hilfe wird dringend in Mr. Odinsons Quartier gebraucht, Captain Rogers.“, erklang Jarvis alarmierte Stimme.

Ohne zu zögern, reagierte Steve sofort. Sobald er nicht mehr an der Tür lehnte, glitt diese auf und der Soldat stürmte den Gang entlang zum Treppenhaus. Seine eigene Unruhe völlig vergessen. „Was ist passiert?“

„Mr. Odinson hatte erneut Albträume und ich informierte Mr. Stark. Beim Aufwecken wurde Sir von einem Schlag getroffen. Ich fürchte er ist bewusstlos.“, fasste die KI die Geschehnisse zusammen.

Albtraum? Loki hatte völlig ruhig geschlafen! Die ganze Nacht! Hatte Steve so gutes Timing gehabt direkt vorher zu verschwinden? War Loki soweit ausgeruht gewesen, dass die Albträume zu ihm zurückgefunden hatten? Gerade als der Soldat gegangen war?

„Was ist mit Loki?“

„Mr. Odinson ist in sein Schlafzimmer geflüchtet. Er befindet sich in einem… besorgniserregenden Zustand.“

Innerlich fluchte Steve. Wenn er nicht ausgeflippt wäre, wäre das nicht passiert! Und warum hatte Jarvis den Milliardär benachrichtig? Warum nicht ihn?

Als er in das Wohnzimmer des Außerirdischen stürmte, sah er seinen Freund sofort. Reglos lag er auf dem Boden vor der Couch, auf dem Rücken, sein Gesicht zur Seite gedreht.

„Tony!?“, rief Steve und stürzte auf ihn zu. Loki war nirgends zu sehen. Mit routiniertem Blick erkannte er im Gesicht eine Stelle am linken Auge zur Schläfe hin, die offensichtlich dabei war anzuschwellen. Ansonsten schien er unverletzt. Automatisch tastete er nach dem Puls. Der ruhige und kräftige Herzschlag des Milliardärs ließ Steve sich etwas entspannen. Der Asgardier hatte ihn lediglich ausgeknockt.

„Tony?“, sprach er seinen Freund an und tätschelte seine rechte Wange, in der Hoffnung ihn damit aufzuwecken. Tatsächlich kniff der Milliardär die Augen zusammen, grummelte vor sich hin und verzog den Mund unzufrieden. Er blinzelte mehrfach, dann schien sich sein Blick auf Steve zu fokussieren. Irritiert starrte er hoch.

„Bist du in Ordnung?“, hackte Steve nach und erwiderte den verwirrten Blick seines Freundes. Dann schien er sich zu erinnern.

„Loki?“, fragte er, setzte sich ruckartig auf und suchte den Raum mit seinen Augen ab. Steve hielt ihn davon ab aufzuspringen.

„Mr. Odinson befindet sich in seinem Schlafzimmer.“, informierte Jarvis.

„Du gehst da definitiv nicht rein.“ Offenbar war Loki in der Lage ihn zu verletzen. Steve würde Tony sicher nicht in seine Nähe lassen, wenn der gerade eine Panikattacke hatte. Das war zu gefährlich. Sie konnten von Glück reden, dass nichts schlimmeres passiert war.

Der wütende Blick seines Freundes mache Steve schnell klar, dass eine heftige Diskussion vor ihm lag. „Mir geht es gut. Es ist nichts passiert.“ Tony stieß ihn zur Seite und stand auf. Ohne ein weiteres Wort ging er auf die Tür zum Schlafzimmer zu. Es wirkte fast, wie eine Trotzreaktion.

„Jarvis, Tür verschließen.“, befahl der Soldat.

„Natürlich, Captain Rogers.“, bestätigte die KI. Tony blieb wie angewurzelt stehen. Langsam drehte er sich zu dem Soldaten wieder um. Sein Blick spießte ihn geradezu auf.

„Wirklich, Steve? Das ist gerade kein guter Zeitpunkt.“, presste er zwischen seinen Lippen kaum kontrolliert hervor.

„Du warst bewusstlos, Tony.“, erinnerte Steve den anderen Mann. Er stand ebenfalls auf. „Ab jetzt liegt Loki in meinem Aufgabenbereich.“, stellte er klar. Er hatte damals nur nicht widersprochen, weil der Außerirdische harmlos gewesen war. Doch wenn er nun stark genug war jemanden zu verletzen in seiner Panik, war das definitiv keine Option mehr. Wie Tony Luft holte, war offensichtlich, dass er gleich eine Tirade an Unzufriedenheit vom Stapel lassen würde. „Will ich nicht hören. Hol dir ein Icepack für dein Auge.“, wies Steve ihn an als er an ihm vorbeischritt.

Tony bedachte ihn mit einem Blick, der ihm sagte, dass das definitiv ein Nachspiel haben würde. Das war nicht wirklich eine Überraschung.

Als Steve an die Tür herantrat, öffnete diese sich und ließ ihn in den Raum hinein. Hinter ihm glitt sie sofort wieder zu. Es war nicht schwer den Asgardier zu finden. Er hatte sich in die Ecke zwischen Fenster und Nachttisch zurückgezogen. Die dichten grünen Vorhänge waren heruntergerissen und lagen auf dem Boden, sodass das helle Sonnenlicht den ganzen Raum ungestört fluten konnte. Loki selbst kauerte zitternd am Boden, die Beine angezogen, sich leicht hin und her wiegend, Hände seitlich am Kopf in seine Haare gekrallt, Augen weit aufgerissen vor sich starrend. Seine Atmung ging gehetzt und unregelmäßig und seine Mimik verzerrte sich immer wieder zwischen Panik und Verzweiflung, während fremdartige Worte mal lauter und mal leiser zwischen seinen Lippen hervordrangen. Manchmal schien es fast, als würde er jemanden anschreien. Steve konnte geradezu den Wahnsinn spüren, der von Lokis Verstand Besitz ergriffen hatte.

Seine Brust schien sich schmerzhaft zusammenzukrampfen je länger er den anderen Mann anstarrte.

„Loki.“, sprach er ihn schließlich an und trat vorsichtig näher. Seine eigene Stimme klang seltsam gebrochen in seinen Ohren. Nervosität erfasste seinen gesamten Körper. Doch es war andere Nervosität als vorher. Er wusste wie Tony mit den Panikattacken umging. Würde das bei ihm auch funktionieren? Ihm blieb kaum eine andere Möglichkeit als es auszuprobieren. Also setzte er sich etwa zwei Meter entfernt auf den Boden. Loki reagierte nicht auf ihn. Es schien fast, als wäre er gar nicht bemerkt worden. Vielleicht war er das auch nicht. Der Asgardier schien deutlich mehr beschäftigt zu sein mit dem, was in seinem eigenen Kopf vorging. Als hätte die Außenwelt keinen Platz mehr.

Leider hatte er keinen so großen Einfallsreichtum wie der Milliardär, was die Themenauswahl betraf. Er konnte keine witzigen Anekdoten aus dem Ärmel schütteln oder sich über seltsame gesellschaftliche Phänomene auslassen und schon gar nicht selbstverliebt über sich selbst reden, also fing er an von einem Thema zu erzählen, von dem er wusste, dass Loki sich dafür interessierte und von dem er selber etwas verstand. Kunst.

Er wusste nicht wie lange er gesprochen hatte, bis ihm der stechende Blick auffiel, mit dem Loki ihn bedachte. Sonst hatte sich nichts an seiner Haltung geändert. Nur die fremdsprachigen Worte waren zu einem Murmeln geworden und er wiegte sich nicht mehr hin und her. Auf Steve wirkte es fast, als wäre der andere Mann nicht sicher, ob er seinen Augen trauen konnte. Ob Steve wirklich da war.

„Du bist im StarkTower.“, informierte er Loki. Aus einem Impuls heraus rutschte der Soldat etwas näher an den anderen Mann heran und streckte ihm seinen rechten Arm hin, die Handfläche offen nach oben dargeboten. „Ich bin hier. Du bist in Sicherheit.“, beteuerte er ihm.

Das Gemurmel verstummte. Die grünen Augen starrten ihn weiterhin an und erst als Steve den Arm schon fast wieder sinken lassen wollten, glitt der Blick unsicher zu seiner angebotenen Hand. „Ich tue dir nicht weh.“, versicherte Steve dem Asgardier und lächelte ermutigend als die grünen Augen voller Misstrauen und Angst wieder zu seinem Gesicht huschten. Niemals würde er ihm weh tun! Niemals!

Langsam lösten sich Lokis lange filigrane Finger seiner linken Hand aus den schwarzen Strähnen. Zitternd und vorsichtig senkte er sie, bis die Fingerspitzen unsicher über Steves Handfläche streiften. Erschrocken zog Loki seine Hand zurück, drückte sich gegen die Wand hinter sich, sein Blick wieder nach oben flackernd und den Soldaten ansehend. Die feinen Augenbrauen zogen sich zusammen. Es schien fast, als könne der Außerirdische nicht glauben, was er da gerade gefühlt hatte. Als wäre es ihm unverständlich, dass Steve tatsächlich da war.

„Du bist schon seit einiger Zeit bei uns.“, ergriff der Soldat wieder das Wort. Er versuchte seine Stimme so ruhig und ermutigend wie möglich klingen zu lassen. Er war sich nicht sicher, in wie fern ihm das gelang. Loki hatte die Angewohnheit ihn durcheinander zu bringen. Durch seine bloße Anwesenheit. „Du hattest nur einen Albtraum.“ Wieder. Fügte er gedanklich noch hinzu. Immer und immer wieder. Steve spürte wie sein Inneres sich verknotete, wenn er darüber nachdachte, wie nicht nur seine Brust, sondern nun auch sein Magen sich zusammenkrampften. Wie ihm schon wieder übel wurde.

Völliges Unverständnis war auf Lokis Gesicht zu sehen. Er schüttelte den Kopf, starrte kurz nach draußen auf die Stadt, dann wieder zu Steve. Er wirkte überrascht ihn zu sehen. Als hätte er erwartet plötzlich doch alleine zu sein. Oder zumindest nicht in unbedingt seiner Gesellschaft.

Mit erneutem Misstrauen, tastete der Asgardier wieder nach Steves angebotener Hand. Diesmal zuckte er nicht zurück, als sie sich berührten. Fast fasziniert beobachtete Loki ihre Hände, betrachtete wie seine schlanken Finger über Steves Handfläche fuhren und dann zwischen seinen Fingern entlangglitten, sich ineinander verflochten. Das Zittern wurde schwächer und der Soldat spürte, wie Lokis Griff fester wurde. Fest genug um ein Glas mühelos wie Papier zu zerquetschen. Fest genug, um einem gewöhnlichen Menschen die Finger zu brechen.

Vorsichtig schloss Steve seine Finger um Lokis Hand und fuhr mit dem Daumen beruhigend über die blasse Haut an der Stelle. Er spürte jeden einzelnen Knochen. Er sah fast jeden einzelnen Knochen. Die zweite Hand löste sich nun ebenfalls aus den schwarzen Strähnen. Loki starrte eine Weile auf ihre Hände, bevor er wieder hochsah. Steve erkannte sofort, dass der Asgardier wieder wusste, wer er war. Seine Augen weiteten sich erschrocken und er zog seine Hand als hätte er sich verbrannt aus Steves Griff heraus. „Captain.“, sprach er ihn an mit gebrochener Stimme. Er senkte seinen Blick sofort wieder, fast als traue er sich nicht ihn anzusehen und starrte auf den Boden. Dann weiteten sich seine Augen erneut und er hob ruckartig den Kopf, starrte zur Tür. Besorgnis stand ihm ins Gesicht geschrieben, ebenso wie Angst.

„Es geht ihm gut.“, versuchte Steve ihn zu beruhigen. Grüne Augen fixierten ihn unsicher. „Tony. Es wird zwar ein blauer Fleck, aber es geht ihm gut.“, versicherte er seinem Gegenüber. Die Erleichterung über diese Nachricht war dem Asgardier sofort anzusehen. Er atmete tief aus, fuhr sich mit den Händen über das Gesicht und senkte seine Stirn schließlich auf seine Knie, seine Hände am Hinterkopf in die dunklen Haare gekrallt.

„Captain, Mr. Stark verlangt eingelassen zu werden. Gibt er noch sicherheitsbedingte Gründe ihm den Zutritt zu verweigern?“, meldete Jarvis sich zu Wort.

„Nein. Ich denke nicht.“

Loki hob den Kopf an und Steve bemerkte den irritierten Blick, mit dem er bedacht wurde. Doch dann war auch schon der Milliardär in den Raum gestürmt.

„Hat ja auch lange genug gedauert.“, beschwerte er sich und kam ohne zu zögern auf die anderen beiden Männer zu. In seiner rechten Hand hielt er ein Kühlkissen, dass er sich gegen sein Auge drückte. Loki sprang auf und wich soweit zurück wie ihm möglich war, was nicht weit war, er hatte sich ja schon in eine Ecke manövriert. Sein Blick nach unten auf den Boden gerichtet, Angst deutlich in seinem Gesicht zu sehen.

Anscheinend war Steve nicht der einzige, der über diese Reaktion verwirrt war. Die beiden Avengers wechselten kurz einen Blick miteinander, während der Soldat sich ebenfalls vom Boden erhob. Tony schien kurzzeitig wütend, doch dann erkannte er anscheinend, dass Steve sich das ebenso wenig erklären konnte.

„Loki, sieh mich an.“, forderte der Milliardär in neutralem Tonfall und ließ das Icepack sinken.

Offensichtlich sträubte Angesprochener sich dagegen. Doch dann hob er langsam den Kopf. Sein Blick fiel auf Tonys Gesicht und Steve konnte sofort die Abscheu erkennen, die Loki fühlte, als sein Blick an der angeschwollenen Stelle am linken Auge des Milliardärs hängen blieb. Die Schwellung war bereits dabei sich blau zu verfärben. „Mir geht´s gut! Es ist nichts passiert.“, beteuerte Tony, doch das schien Loki lediglich wütend zu machen.

„Das ist Blödsinn, Stark!“, erwiderte er heftig. „Ich hätte dich umbringen können!“, schrie er ihn an und trat nun einen Schritt nach vorne. Seine Augen huschten immer wieder über die Schwellung.

„Hast du nicht.“, erwiderte der Milliardär und zuckte mit den Schultern, als verstehe er die ganze Aufregung nicht. Vielleicht tat er das wirklich nicht, doch auf Steve machte es den Eindruck, dass Loki dadurch nur noch wütender wurde.

„Muss ich das erst tun, damit du mich ernst nimmst?“, hackte er nach. Seine Stimme war ein wütendes Zischen.

„Ich nehme dich ernst!“, beschwerte Tony sich und schien entrüstet über den Vorwurf.

„Dann nimmst du deine eigene Mortalität nicht ernst? Ich könnte dich zerquetschen und es wäre kaum ein Kraftaufwand für mich. Wir haben darüber gesprochen.“

„So wie du letztens die beiden Stangen Stahl in die richtige Form gebogen hast, ist mir klar, dass etwas Knochenstruktur kein wirkliches Hindernis für dich wäre.“ Tony blieb völlig ruhig und winkte mit einer lässigen Handbewegung ab. Okay. Das war neu. Loki konnte Stahl verbiegen? Natürlich erzählte Tony ihm sowas nicht. Steve hätte sofort dafür gesorgt, dass der Milliardär in prekären Situationen keinen Zutritt zu Loki bekommen würde.

Loki gab ein frustriertes Geräusch von sich. Steve verstand nur zu gut wie der Asgardier sich fühlen musste. Und offenbar war das nicht das erste Gespräch dieser Natur.

„Damit ist jetzt ohnehin Schluss.“, unterbrach Steve das Gespräch. „Jarvis wird ab jetzt mir Bescheid geben.“

Augenrollend seufzte Tony. Leicht schüttelte er den Kopf, als könne er nicht fassen, was hier vor sich ging, aber gleichzeitig seinen Intellekt derart beleidigt, dass es ihm nicht wert war eine Diskussion zu starten. „Wie auch immer. Ich werde jetzt in den Workshop zurückgehen. Wenn du Lust hast, kannst du vorbeikommen.“, bot er Loki an, bevor er sich umdrehte und den Raum wieder verließ.

Der Asgardier schien genervt, als er sich Steve zuwandte. „Ich würde es äußerst begrüßen, wenn ich jetzt für mich sein könnte.“

„Natürlich.“, antwortete der Soldat und musterte den Asgardier noch einmal. Als ihre Augen sich erneut trafen, musste Steve sich schließlich von diesem tiefen Grün losreißen. Doch dann verließ er ebenso den Raum und das Quartier. Er war etwas überrascht im Flur auf Tony zu treffen, der offensichtlich auf ihn gewartet hatte.

„Er wird versuchen dich davon abzuhalten ihn aufzuwecken.“

Irritiert sah Steve den Milliardär an. Warum sollte er? Wenn man die Reaktionen sah, konnte der Asgardier wohl nicht wirklich auch nur eine Sekunde länger darin verbleiben wollen. Sein fragender Blick schien genug auszusagen, dass Tony seine Gedanken erkannte.

„Ich kann nur raten. Vielleicht ist es ihm unangenehm so gesehen zu werden, oder er will niemanden stören. Ich habe keine Ahnung! Der Anblick bereitet mir schon Albträume, kaum zu verstehen warum er darin bleiben wollen könnte.“ Frustriert warf Tony seine Arme in die Luft. Zusammen gingen die beiden Avengers zum Fahrstuhl.

„Oder er wollte dich einfach nicht verletzen.“, riet Steve und drehte sich zu dem anderen Mann um. Er griff nach seinem Kinn und drehte sein Gesicht so, dass er das linke Auge gut sehen konnte. „Du solltest das noch kühlen. Umso schlimmer es aussehen wird, umso mehr Vorwürfe wird er sich machen.“ Loki war offensichtlich nicht glücklich über den blauen Fleck gewesen. Dann fuhr Steve mit der Hand über die Bartstoppeln an Tonys Wange. „Und du solltest dich demnächst rasieren. Pepper kommt bald zurück.“

„Ja.“, stimmte Tony zu und grinste. „Rhodey wird demnächst auch wieder in den Staaten sein. Ich dachte, wenn wir alle mal wieder zusammen sind, könnten wir einen Filmeabend veranstalten. Irgendeine Ahnung wann Clint und Natascha wieder da sein werden?“ Der Fahrstuhl war bereits wieder stehengeblieben und die Türen hatten sich zu Bruce´ Etage geöffnet. Das war Jarvis´ subtile Art und Weise seinem Schöpfer zu sagen, dass er sich bitte untersuchen lassen sollte.

„Nein. Belova ist ihnen entkommen und sie versuchen sie gerade wieder ausfindig zu machen. In Brasilien.“

„Hm… okay. Dann vielleicht ohne die beiden.“, überlegte Tony laut. Er trat aus dem Fahrstuhl, drehte sich dann aber doch noch einmal zu Steve um. „Egal was Loki sagt, lass dich nicht irritieren. Irgendetwas stimmt da nicht. Er weiß, was er sagen muss um Wirkung zu erzielen. Er ist nicht unser Feind und umso mehr Zeit ich mit ihm verbringe, umso weniger glaube ich, dass die Invasion irgendetwas mit seinem eigenen Willen zu tun hatte.“

Die Ernsthaftigkeit mit der der Milliardär das sagte, machte Steve ziemlich klar wie wichtig ihm das sein musste. Loki war ihm wichtig. Tony zählte ihn längst zu seinen Freunden, wenn nicht mehr und der Soldat wusste, dass er fast alles tun würde um jemanden, für den er das empfand zu schützen. Es überraschte ihn jedoch etwas, dass er nicht einmal an Tonys Worten zweifelte. Der Mann, den sie bei sich beherbergten schien viel mehr Ähnlichkeit zu haben mit dem intelligenten, sympathischen und friedliebenden kleinen Bruder des Donnergottes aus dessen Geschichten, anstatt mit dem skrupellosen, sadistischen und lebensverachtenden Verrückten, den sie vor eineinhalb Jahren bekämpft hatten.

„Ich weiß.“, stimmte Steve seinem Freund zu. Etwas erstaunt schob der die Augenbrauen nach oben und musterte ihn. Schließlich nickte er und drehte sich um. Die Fahrstuhltüren schlossen sich und öffneten sich auf seiner eigenen Etage wieder. Obwohl der Flur auf jeder der persönlichen Etagen gleich geschnitten war, war es kein Problem zu erkennen, wo man gerade gelandet war. Tony machte sich einen Spaß daraus den Flur immer wieder umzudekorieren. Auf Clints Etage hatte er momentan eine riesige Spotttölpel Konstruktion aus Gold am Ende des Flures installiert. Bei Natascha war eine riesige Spinne, die über dem Fahrstuhleingang hing und zwischen deren Beinen man beim ein- und aussteigen hindurchgehen musste. Steve sah sich mit einem Gemälde konfrontiert, sobald die Fahrstuhltüren aufglitten.

Ein echter Monet. Als das Bild plötzlich in seinem Flur aufgetaucht war, hatte er noch gedacht, es wäre eine gute Nachbildung des Originals, doch es hatte nicht lange gedauert bis er erkannt hatte, dass es echt war. Tony hatte wegen ihm tatsächlich einen echten Monet gekauft! Daraufhin hatte Steve sofort verlangt, dass Tony ihn zurückgab, es war völlig inakzeptabel gewesen! Er wollte gar nicht wissen, wieviel Geld ihn das gekostet hatte. Tony hatte sich geweigert. Sie hatten sich wochenlang immer wieder gestritten und der Milliardär hatte ihm irgendwann noch unter die Nase gerieben, dass in seinem Testament festgehalten war, dass Steve das Bild nach seinem Tod direkt erben würde. Jetzt hing der Monet seit Monaten in seinem Flur. Sie sprachen einfach nicht mehr darüber. Und als wollte Tony ihm seinen Standpunkt noch unter die Nase reiben, war bald darauf ein Van Gogh daneben aufgetaucht. Ein Anwaltsschreiben mit entsprechenden Dokumenten hatte ihn darüber informiert, dass die Besitzerrechte beider Gemälde als Schenkung auf ihn übergegangen waren. Steve war fast durchgedreht und hatte einen erneuten Streit begonnen. Nachdem sein Anliegen jedoch auch bei Pepper auf kein Verständnis gestoßen war, hatte er beschlossen es wieder zu ignorieren.

Als seine Tür hinter ihm zuglitt wusste Steve den ersten Moment nicht, was er tun sollte. Er war jetzt wirklich für Loki zuständig und wenn er das nächste Mal Albträume bekam, würde Jarvis ihn aufwecken.

Die Erinnerung an Loki ließ ihn erstarren. Es war schwer ihn in solcher Panik zu sehen. Das schlimmste war der Wahnsinn, der in die grünen Augen trat. Was musste nur alles in seinem Verstand vorgehen, wenn dieses wunderschöne Grün solche Emotionen ausstrahlte? Wie sehr riss er sich außerhalb davon zusammen? Wenn die Albträume und darauffolgende Panikattacken nicht wären, wäre inzwischen kaum noch etwas zu merken.

Je mehr er darüber nachdachte, was sich alles in Lokis Kopf abspielen musste, umso mehr verknotete sich sein Magen. Es würde definitiv alles andere als angenehm sein ihn immer wieder so sehen zu müssen. Tony war wahrscheinlich durch die Hölle gegangen.

Als Übelkeit in ihm aufstieg, versuchte Steve sich abzulenken. Alles was er zustande brachte, war eine weitere Fokussierung auf Loki und nur wenige Sekunden darauf rannte er ins Bad und übergab sich ins Waschbecken. Seine Finger griffen wieder an die gleiche Stelle des Waschbeckens. Er spürte das Porzellan erneut brechen, während die zweite Welle lediglich Magensaft zu Tage förderte. Das war definitiv nicht gut.



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