Desaster von Adrija ================================================================================ Kapitel 10: ------------ Leise grummelnd grub Steve sein Gesicht noch etwas mehr in sein Kissen. Ein angenehmer Geruch lag ihm in der Nase. Er vermochte nicht zu sagen, was es war. Ohne die Augen zu öffnen tastete er nach seiner Bettdecke, die er wieder über sich zog und sich dabei umdrehte, damit die Sonne ihm nicht mehr ins Gesicht schien. Anscheinend hatte er vergessen die Vorhänge zuzuziehen. Mit matschigen Gedanken im Kopf herumschwirrend, blieb er noch eine für ihn nicht fassbare Zeit liegen, bevor sein Geist klarer wurde. Wie spät es wohl war? Sie hatten ja gestern Abend noch einiges zu tun bekommen und waren noch ziemlich lange wach gewesen. Immerhin war die Sonne schon so weit aufgegangen, dass sie ihn aus dem Schlaf gerissen hatte, also würde es schon eher später Vormittag sein. Wahrscheinlich sollte er aufstehen und joggen gehen. Sicherlich war es bereits höchste Zeit. Seufzend drehte er sich entschlossen auf den Rücken und öffnete die Augen. Zeit aufzustehen! Irritiert starrte er an die Decke. Verunsichert richtete er sich im Bett auf. Das war Lokis Zimmer. Warum war er…? Als er den Blick zum Fenster wandte, sah er den Asgardier dort stehen. Genauso, wie er ihn gestern ins Bett gelegt hatte, mit den schwarzen Sweatpants und dem grünen T-Shirt, das Pepper für ihn ausgesucht hatte. Die schwarzen Haare fielen ihm seitlich ins Gesicht und unterstrichen nur noch den Kontrast zwischen der Hautfarbe und den dunklen Strähnen. Grüne Augen waren direkt auf ihn gerichtet. Zusammengezogene Augenbrauen unterstrichen die Skepsis in dem blassen Gesicht, als er Steve musterte. Schlagartig beschleunigte sich der Puls des Soldaten und er hörte das Blut in seinen Ohren rauschen. Jegliche Müdigkeit war wie weggeblasen. Diese grünen Augen schienen ihn zu durchleuchten. Konnte er hören wie sein Herz schlug? Konnte er es sehen? Irgendwie schien er nicht fähig seinen Blick abzuwenden, als wäre er geradezu hypnotisiert. Hypnose. Konnte Loki so etwas? Was in aller Welt tat er überhaupt noch in seinem Zimmer? In seinem Bett!? Oh Gott, er musste gestern einfach hier eingeschlafen sein, nachdem er den Asgardier hier abgelegt hatte. Er erinnerte sich daran den Anflug eines Albtraums bemerkt zu haben, der aber vergangen war. Steve hatte sich daraufhin mit aufs Bett gesetzt und noch ein paar Minuten warten wollen, um sicher zu gehen, dass er ruhig schlief. Wahrscheinlich war er dabei weggedöst. Ohne ein Wort drehte Loki sich wieder zum Fenster um und richtete seinen Blick wieder nach draußen. Als würde ein Zauber von ihm abfallen, spürte Steve, wie sein Körper anscheinend wieder willig war ihm zu gehorchen, wie das Gefühl in seine Gliedmaßen wieder zurückströmte. Langsam stieg er aus dem Bett und spielte mit dem Gedanken den Raum einfach zu verlassen. Das erschien ihm jedoch nach weiterer Überlegung wie eine Flucht und er entschied sich dagegen. Stattdessen trat er ebenfalls ans Fenster. Er musste den starken Impuls unterdrücken dem anderen Mann eine Hand auf die Schulter zu legen. Eine Eskalation direkt am Morgen wollte er nicht wirklich provozieren. Loki sah nicht einmal in seine Richtung. Die Nähe schien ihm nichts auszumachen, auch wenn kaum ein Meter zwischen ihnen war. „Hast du etwas länger schlafen können?“, fragte er schließlich und beobachtete den Asgardier. Zunächst kam keine Antwort und als Steve sich wieder abwenden wollte, ergriff Loki doch noch das Wort. „Jarvis informierte mich, ich hätte 9 Stunden geschlafen.“ Wie in Zeitlupe drehte der Asgardier sein Gesicht Steve zu und sah ihn wieder an. Für einen Moment schien es, als würde er etwas in seinem Gesicht suchen und Steve hatte erneut den Eindruck durchleuchtet zu werden. Er spürte wie sein Puls wieder schneller wurde, wie seine Ohren langsam heiß wurden. Was war nur mit ihm los? Wieso war er so nervös? Er erwartete eigentlich nicht, dass Loki jeden Moment durchdrehte. Erst recht nicht, nachdem er gestern einfach zusammengebrochen war und nur erneut bewiesen hatte, wie völlig am Ende er sein musste. Es gab keinen Grund nervös zu sein. Zumindest momentan war Loki völlig ungefährlich. Es sei denn, seine Magie hatte nichts mit seinem Zustand zu tun. Konnte er auch in diesem Zustand auf Magie zurückgreifen? Hätte er das dann nicht schon eher getan? Hätte er dann nicht schon seine Wunde geschlossen? Hätte er sie nicht alle schon längst unter seiner Kontrolle? Hatte er das vielleicht schon und sie haben es nur noch nicht bemerkt? Und Loki sah ihn schon wieder so skeptisch an. Schnell wandte er den Blick von dem anderen Mann ab und sah nach draußen. Oder zumindest richtete er seinen Blick dahin, denn er sah nicht wirklich was da vor seinen Augen war. Einige Sekunden lang konnte er noch geradezu spüren, wie Loki ihn mit diesem skeptischen Blick ansah, doch dann drehte auch dieser sich wieder New York zu. „Ihr habt meinen Rücken behandelt, nachdem ich das Bewusstsein verloren habe.“, warf Loki schließlich in die Stille hinein. Es war keine Frage, sondern eine Feststellung. Steve konnte auch keinerlei Emotionen in dieser Aussage hören, keine Wertung. Als wäre es weder gut noch schlecht gewesen. „Es war dringend nötig.“, antwortete er, ohne sich wieder zu ihm zu drehen und ebenso ohne jegliche Wertung. Zumindest hoffte er das. Stattdessen versuchte er eine Reaktion in der Spiegelung des Glases zu erkennen. Doch es schien nichts zu passieren. „Ich weiß.“, gab der Asgardier zu. An der Stelle konnte Steve sich nicht mehr davon abbringen und drehte sich wieder zu dem anderen Mann neben sich. Sein Blick huschte über den Rücken, dort wo der Verband sein musste, bevor er das Gesicht wieder fixierte. Doch Loki starrte einfach weiter aus dem Fenster. Es gab keinerlei Regung in dem blassen Gesicht. „Ich habe den Verband nicht wie beim letzten Mal abgerissen.“, sprach er weiter. „Er ist noch genau dort, wo Dr. Banner ihn platziert hat.“ „Er sagte, wir sollten das zunächst jeden Tag erneuern.“, informierte Steve ihn. „Die Infektion ist wohl ziemlich aggressiv.“, wiederholte er dann Bruces Worte. „Ich denke nicht, dass das möglich sein wird.“ Loki klang zweifelnd, als er das sagte, als wäre er sich selbst seiner Worte nicht ganz sicher. Seine Mimik spiegelte diese Unsicherheit wieder. „Warum?“, hackte Steve also nach und verschränkte die Arme vor der Brust. Er lehnte sich mit der Schulter gegen das Fensterglas und betrachtete seinen Gesprächspartner. Loki presste seine Lippen zusammen. Das Schweigen zog sich über einige Sekunden hinweg, bevor der Asgardier schließlich erneut sprach. „So sehr mir auch der Verlust meiner Selbstbeherrschung missfällt, muss ich doch zugeben momentan dazu zu neigen.“ Seine eigene Antwort schien Loki deutlich zu verstimmen und für einen Moment schien er sein eigenes Spiegelbild voller Wut und Abneigung anzustarren, bevor seine Mimik wieder neutral wurde. Es war nicht schwer sich in Erinnerung zu rufen, was der Asgardier meinen musste. Die Angst, die jedes Mal in seinem Gesicht deutlich zu lesen war, wenn ihm jemand zu nahekam, war nicht zu übersehen gewesen. Steve konnte sich nur zu gut vorstellen, was es auslösen könnte, wenn Bruce ihn anfasste. Außerdem schien Loki deutlich ein Problem damit zu haben sich auszuziehen. Wenn er Tony glauben wollte – und er sah keinen Grund an dieser Stelle, das nicht zu tun – so hatte Loki seine Kleidung selbst zum Duschen nicht abgelegt. „Gibt es eine Möglichkeit dir zu helfen?“, hackte der Soldat nach. „Ich meine, mit Medikamenten vielleicht? Schmerzmittel? Irgendetwas das bei dir wirkt und du tatsächlich nehmen würdest?“ Steve konnte nur versuchen sich vorzustellen, wie sehr es wehtun musste mit dieser riesigen Wunde auf dem Rücken aufrecht zu stehen. Andererseits war ihr Gast wahrscheinlich deutlich Schlimmeres gewohnt. Loki gab ein amüsiertes und gleichzeitig höhnisches Geräusch von sich. „Ich werde schon nicht zerbrechen, Captain.“ „Das ist nicht, worüber ich mir Sorgen mache.“, gab Steve scharf zurück. Mit einem irritierten Gesichtsausdruck drehte der Asgardier den Kopf wieder in seine Richtung. Grüne Augen musterten ihn und Steve spürte wieder wie sein Puls sich beschleunigte. Doch er ignorierte es. „Hier geht es nicht darum, wie wir dich Odin übergeben. Ich weiß nicht, was du mit deinem Benehmen erreichen willst, aber uns ist allen klar, dass es dir wirklich nicht gut geht. Und du solltest dir helfen lassen.“ Er konnte hören, wie seine eigene Stimme schon fast etwas flehentlich klag. Vielleicht kam es ihm auch nur so vor, weil er sich so fühlte, denn eigentlich hatte er sich bemüht einen halbwegs neutralen Tonfall zu nutzen. Schnell rief er sich zur Ordnung, bevor er weitersprach. „Ich weiß, wir können dir nicht bei allem helfen. Wir wüssten nicht einmal wie. Wenn ich daran denke, was alles passiert ist, kann ich deine Ablehnung und dein Misstrauen auch verstehen, aber glaubst du wirklich, wir würden dein Essen vergiften?“ Steve hielt dem musternden Blick Lokis noch drei Sekunden stand, bevor er letztendlich seinen Blick nach unten richtete, den Kopf etwas senkte und müde mit der Hand über seine Augen fuhr. Diese gesamte Situation war äußerst kräftezehrend. Die Tatsache, dass der Asgardier sich mit seinem Verhalten nur weiter Schaden zufügte, obwohl er bereits so viel hinter sich hatte und offensichtlich keinerlei Reserven mehr besaß, setzte dem Soldaten zu. Ein Gefühl der Hilflosigkeit stellte sich bei ihm ein. Er wusste nicht, was er tun sollte. Sollte er überhaupt etwas tun? Loki war offensichtlich fähig deutlich Schlimmeres zu überleben. Er hatte Recht. Sterben würde er mit ziemlicher Sicherheit nicht. „Ich gebe zu, die Bemühungen verwundern mich.“, ergriff Loki nach einiger Zeit erneut das Wort und ließ Steve wieder aufsehen. Der andere Mann hatte sich erneut der Stadt zugewandt. Doch es war nicht schwer zu erkennen, dass Lokis Augen immer wieder zum Soldaten hinüberglitten. „Keiner hier ist einverstanden mit dem, was SHIELD mit dir getan hat.“, erklärte Steve, auch wenn er nach dem gestrigen Gespräch über seine Definition von SHIELD an dieser Stelle noch einmal nachdenken müssen würde. Coulson schien von seiner Geschichte selbst zumindest überzeugt zu sein. Was Fury anging, so würde er sich selbst noch ein Bild machen müssen. „Eure Handlungen sind also von Schuldgefühlen gegenüber einem Massenmörder geleitet?“ Loki zuckte nicht einmal mit der Wimper, als er das sagte. Ganz so, als würde er über das Wetter reden. Steve wurde sich der Wahrheit in diesen Worten schmerzlich bewusst. Der Asgardier war für den Tod von Hunderten verantwortlich. Das war nicht von der Hand zu weisen. Doch war das alles? War er einfach nur der verrückte Massenmörder, wie er sich selbst gerade darstellte? Jedes Mal, wenn Steve darüber nachdachte, sprang ihn die Erinnerungen an die Narben auf dem Oberkörper des Gottes an. Ganz abgesehen davon, dass Folter ohnehin völlig inakzeptabel war, war in Steves Kopf die Schuldfrage deutlich ins wanken geraten. Würde Lokis Zustand ihm auch so zusetzen, wenn er nicht die Möglichkeit sah, dass dieser vielleicht nicht aus freien Stücken gehandelt hatte? Würde er sich anders fühlen, wenn er nicht befürchtete, dass Loki in dieser Situation einfach nur ein weiteres Opfer war? Würde Tony sich ihm gegenüber anders verhalten? Pepper? Tony und Bruce hatten diese Möglichkeit als erstes angesprochen. „Ist es das, was du bist?“, fragte er also aus seinen Gedanken heraus. Er beobachtete den anderen Mann nun selbst ganz genau, seinen eigenen Herzschlag ignorierend. Die feinen Augenbrauen zogen sich zusammen und seine Oberlippe zuckte etwas. Es dauerte nur den Bruchteil einer Sekunde, dann war keine Regung mehr zu erkennen. Dennoch drehte der Asgardier sich nun komplett zu seinem Gesprächspartner herum. Steve erkannte in den grünen Augen wieder so viel Bewegung. Es war fast, als könnte er durch sie hindurchsehen, wie Lokis Gehirn auf Hochtouren arbeitete, während seine Mimik komplett starr und emotionslos blieb. „Mir war nicht klar, dass das zur Diskussion steht.“, antwortete er schließlich. Er legte den Kopf etwas zur Seite. Für den Soldaten sah es aus, als würde der Asgardier wortwörtlich versuchen ihn aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Es machte ihn nur noch nervöser. Seine Ohren wurden wieder heiß. „Was wäre deine Sicht der Dinge?“, hackte Steve trotzdem stur nach. Er hoffte, dass er es hinbekam einigermaßen souverän zu klingen, denn für ihn hörte sich seine Stimme reichlich wackelig an. Allerdings war es auch schwer sich selbst zu beurteilen, wenn das Blut so laut in den eigenen Ohren rauschte. Stille breitete sich aus. Steve wusste nicht, wie lange sie einfach nur dastanden und sich gegenseitig anstarrten. Sein Zeitgefühl ging ihm völlig abhanden. Dann drehte sich der Asgardier plötzlich wieder zum Fenster. „Ich schätze `Monster´ ist auch weiterhin die einfachste Sicht.“, ergriff Loki erneut das Wort, offensichtlich wenig geneigt sich wirklich zu erklären. Es klang fast, als würde er das Thema als zweitrangig einfach abtun wollen. Oder als wäre es einfach zu schwer sich damit zu beschäftigen. „Wir wollen nicht `einfach´. Wir wollen die Wahrheit.“, drängte Steve etwas und machte einen Schritt auf den anderen Mann zu, stand jetzt direkt neben ihm. Der Asgardier reagierte nicht darauf. Als hätte er ihn gar nicht erst bemerkt. Trotzdem hörte Steve ein gemurmeltes „Wollt ihr nicht.“ Anscheinend war es nicht wirklich für seine Ohren bestimmt gewesen, denn der Asgardier schien mit seinen Gedanken bereits komplett woanders zu sein. Sein Blick war in die Ferne gerichtet, schien unfokussiert und dennoch folgten die Augen etwas vor sich, das nicht da war. Als würde nur er es sehen können. Ein besorgter Ausdruck zeichnete sich in dem blassen Gesicht ab. „Loki?“, sprach Steve den anderen Mann an. Es passierte nichts. Hörte er ihn nicht? Ignorierte er ihn? „Loki!“ Ohne weiter nachzudenken griff Steve nach dem Außerirdischen, umfasste seinen Oberarm und wollte ihn zu sich umdrehen. Doch da schlug dieser auch schon nach ihm, zog und zerrte an seinem Arm, versuchte panisch sich zu befreien. „Rühr mich nicht an!“, schrie er Steve entgegen. Pures Grauen stand ihm ins Gesicht geschrieben, die grünen Augen von blankem Horror erfüllt auf ihn gerichtet. Sofort löste der Soldat seinen Griff. Loki stolperte nach hinten, schreckensgeweitete Augen unablässig auf sein Gegenüber gerichtet. Von seiner eigenen Wucht nach hinten gerissen, stieß er mit dem Rücken gegen die Wand. Sein Atem ging heftig. Er zitterte deutlich wahrnehmbar. Es schien fast, als wollte er mit der Wand hinter sich verschmelzen, so sehr drückte er sich dagegen. „Loki.“, sprach ihn Steve ruhig an. Oder zumindest hoffte er, dass er ruhig sprach. Denn er fühlte sich alles andere als ruhig. „Es ist alles in Ordnung. Du bist in Sicherheit.“ In der Hoffnung ihn damit etwas zu beruhigen, machte Steve zwei Schritte zurück. „Niemand wird dir hier etwas antun.“, versprach er. Ihm wurde schmerzlich bewusst, wie sehr er selbst diese Worte genauso meinte. Es war nicht einfach so dahingesagt. Er hatte noch nie etwas ernster gemeint. Niemand würde den Asgardier anrühren! Dafür würde Steve definitiv sorgen. Egal wer es wagen würde das zu versuchen. Nach für Steve undefinierbarer Zeit löste Loki seinen panischen Blick von ihm. Es war nur kurz. Er schien sich umzusehen, als wüsste er nicht, wo er war, dann fixierte er wieder den Soldaten. Einige Minuten später erneut, diesmal länger, bis sein Blick schließlich auf dem Boden haften blieb. Die hektische, unregelmäßige Atmung wurde ruhiger. Er blinzelte mehrmals, schüttelte den Kopf leicht und fuhr schließlich mit einer zitternden Hand über sein Gesicht und in die Haare, strich tiefschwarze Strähnen nach hinten. Steve musste ein fast unbändiges Verlangen bekämpfen die Distanz zwischen ihnen einfach zu überwinden und den anderen Mann schützend in seine Arme zu ziehen. Wut kochte in ihm hoch. Seine Hände ballten sich zu Fäusten und er biss die Zähne aufeinander. Auch wenn Loki ihr Feind war, das hier war einfach falsch! Und er konnte noch nicht einmal jemanden dafür belangen. Er musste einfach akzeptieren, dass sie diesen Mann so sehr misshandelt und auseinandergenommen hatten. „Verzeiht, Captain.“, riss Lokis Stimme ihn schließlich aus seinen Gedanken. Er sah nicht erneut hoch, sondern fixierte nur den Teppich vor sich. „Wie ich bereits sagte, meine Selbstbeherrschung lässt zu wünschen übrig.“ Ein bitteres Lachen entrang sich seiner Kehle und er rutschte an der Wand nach unten, zog seine Beine an, kauerte sich zusammen und legte seine Stirn auf den Knien ab. Seine Hände legte er auf seinem Hinterkopf ab und verflocht dort die Finger ineinander, sodass seine Arme Steve den Blick auf sein Gesicht verwehrten. Völlig erstarrt beobachtete der Soldat den anderen Mann. Er wusste nicht, was er sagen sollte. Er wusste nicht, ob er überhaupt etwas sagen sollte. Sein Gehirn war wie leer geblasen. Von der Wut war nichts mehr übrig. Lediglich das Gefühl völliger Hilflosigkeit war präsenter denn je. Am Rande nahm er wahr, dass Jarvis ihn ansprach, aber der Inhalt ging völlig an ihm vorbei. Er konnte nicht aufhören den Asgardier anzustarren, der wie ein kleines Häufchen Elend auf dem Boden kauerte. Erst als ihm plötzlich jemand eine Hand auf die Schulter legte, war er fähig seine Gedanken wieder einzusammeln. Er zuckte zusammen und drehte sich zur Seite. Tony stand neben ihm. Er wirkte besorgt. „Alles in Ordnung, Cap?“, fragte er ruhig. Pepper huschte wortlos an ihnen beiden vorbei und direkt auf Loki zu. Sofort holte der Soldat Luft, um sie davon abzuhalten ihm zu nahe zu kommen, doch Tony unterbrach ihn, bevor er auch nur anfing. „Das passt schon. Du wirst sehen.“ Steve beobachtete wie die Frau sich etwa einen halben Meter vor dem Asgardier hinhockte. Er konnte ihre Stimme hören, aber sie war so leise, dass er nichts verstand. „Was ist passiert?“, ergriff Tony erneut das Wort. Sichtlich bemüht löste Steve den Blick von Loki und wandte sich dem Milliardär neben sich zu. Tony beachtete Loki und Pepper gar nicht, sondern schien ihn zu mustern. „Ich weiß nicht genau.“, fing er an. „Ich habe ihn am Arm angefasst. Das war wohl nicht so gut.“, erklärte er schließlich. Immerhin war das der Moment gewesen, als alles komplett aus den Fugen geraten war. „Kann ich mir vorstellen.“, bestätigte Tony. Er drehte den Kopf in Richtung der beiden anderen Anwesenden. „Hey, Lokes, alles wieder gut!?“, rief er herüber und als Steve seinem Blick folgte, erkannte er, dass der Asgardier zwar immer noch zusammengekauert dasaß, sein Kopf aber nach hinten gegen die Wand gelehnt war. Pepper saß direkt neben ihm. Sie berührten sich an den Schultern. Auf Tonys Frage hin, nickte der Asgardier nur, bevor er seine Aufmerksamkeit wieder der Frau neben sich zuwandte, sich mit ihr zu unterhalten schien. Es schien für die beiden so leicht zu sein. Er sah wie Pepper lächelte und neckisch mit einem Knie gegen sein Bein stieß, lachte und ihrem Gesprächspartner ein Grinsen entlockte. „Hab ich´s nicht gesagt?“, hackte Tony nach. Er setzte sich in Bewegung, warf Steve noch einen von Stolz erfüllten Blick zu und ging zu den beiden herüber. „Ich und Pepper wollten in den Workshop. Bist du dabei?“ Ein erfreutes Lächeln breitete sich auf den Lippen des Asgardiers aus als er zu Tony hochsah, der direkt vor ihm stehen geblieben war und ihm eine Hand hinstreckte. Steve blieb fast das Herz stehen, als er diese Reaktion auf die Einladung sah. Sein Magen krampfte sich zusammen und er spürte erneut, wie seine Ohren heiß wurden. Er sah zu, wie der Außerirdische nach der Hand des Milliardärs griff und sich von ihm hochziehen ließ. Offensichtlich zufrieden klopfte Tony ihm auf den Rücken, eine Stelle, von der Steve wusste, dass sie gesund war. „Steve?“, sprach Pepper ihn an, als sie an ihm vorbeigingen. Es fiel ihm schwer seine Augen von den anderen beiden Männern zu lösen. Sie musterte ihn mit einem fragenden Blick. Schien sich dann aber dagegen zu entscheiden es anzusprechen. „Ich verlasse New York heute Nacht wieder. Ich wollte noch einen gemütlichen Filmeabend mit euch verbringen. Natascha und Clint sind ja leider weg, aber Bruce hat schon zugesagt. Hast du auch Zeit?“ „Ja. Klar.“, bestätigte er und lächelte die Frau vor sich an. „Sag einfach Bescheid, wenn es los geht.“ Erfreut lächelnd nickte sie, bevor sie ihrem Freund aus dem Raum hinaus folgte und Steve allein zurückließ. Er atmete ein paar Mal tief durch. Die Magenkrämpfe schienen nicht so richtig nachlassen zu wollen. Letztendlich entschied er sich sie einfach zu ignorieren und verließ das Zimmer in Richtung Fahrstuhl. Er musste sich unbedingt noch die Akte ansehen, die Coulson ihm freigeschaltet hatte. „Jarvis, haben Clint oder Natascha sich gemeldet?“, fragte er nach. Sie müssten eigentlich schon längst in Mexiko angekommen sein. „Eine Sprachnachricht von Agent Barton ist eingegangen. Agent Romanoff hat GPS Daten geschickt.“, bestätigte Jarvis und spielte Clints Nachricht auf ein Handzeichen von Steve ab. „Hey Mum!“, trällerte Clints Stimme durch den Fahrstuhl. „Wir sind da. Noch hat keiner auf uns geschossen. Das macht Nat etwas nervös. Ich finde, das ist mal eine schöne Abwechslung. Ich hoffe, Snow White macht euch keine Schwierigkeiten. Bis dann.“ „Was ist Snow White?“, fragte der Soldat schließlich. Er verließ den Fahrstuhl und ging zu seinem Appartement. Clint hatte Loki nun schon zum zweiten Mal so genannt. Es war wahrscheinlich besser die Anlehnung zu verstehen. „Snow White ist der Titel eines Märchens der Brüder Grimm. Es gibt verschiedene Filmadaptionen. Die bekannteste Version ist wohl der Zeichentrickfilm der Walt Disney Studios.“ Ein Märchen? Er beschloss es sich später anzusehen. Nachdem er die Akte über Yelena Belova durchgelesen hatte. Er schnappte sich eine Flasche Wasser aus seinem Kühlschrank und setzte sich mit seinem Tablet auf das Sofa, um die Berichte zu überfliegen. Es dauerte nicht lange, bis er damit fertig war. Nach kurzem Zögern, suchte er sich als nächstes schließlich in der online Bibliothek das Märchen heraus und las es durch. Es war nicht lang und am Ende hatte er zumindest eine ungefähre Vorstellung davon, warum Clint den Namen als passend empfand, auch wenn er nicht dachte, dass Loki das als schmeichelnd empfinden würde. Er legte das Tablet wieder weg und spielte mit dem Gedanken in die Trainingshalle zu gehen. Sein Magenkrampf hatte sich zwar gelöst, aber dafür fühlte sich sein Thorax erneut an, als würde ihn jemand zusammendrücken. Was war nur los mit ihm? Weiß wie Schnee, ging ihm durch den Kopf und er sah erneut vor seinem inneren Auge, wie der Asgardier sich panikartig gegen die Wand gedrückt hatte. Der Blick, mit dem er Steve angesehen hatte, war so verzweifelt, so voller Angst gewesen. Fast wie das erste Mal, nachdem er aufgewacht war. Nur schlimmer. Dieses von Entsetzen erfüllte Grün in diesem schneeweißen Gesicht umrahmt von dunklen Strähnen, schwarz wie Ebenholz. Mit einem Mal sprang Steve auf, rannte ins Badezimmer und war gerade noch rechtzeitig, um sich ins Waschbecken zu übergeben. Hustend und spuckend lehnte er sich gegen das Porzellan und umfasste die Ränder. Er spürte, wie das Material unter seinen Fingerspitzen nachgab. Eine neue Welle der Übelkeit ließ ihn sich erneut vorbeugen und den kläglichen Rest an Magensaft, den er noch bei sich behalten hatte, ausspucken. Er wartete noch einige Minuten, bis er es wagte sich wiederaufzurichten. Wegen seiner Magenkrämpfe heute Morgen hatte er noch gar nichts gegessen. Wo war das auf einmal hergekommen? Mal abgesehen davon, dass sowas wie eine Nahrungsmittelvergiftung oder eine gewöhnliche Infektionskrankheit bei seinem Körper ohnehin nicht möglich sein sollte. Irritiert von der Situation spülte er sich den Mund aus und betrachtete den Schaden am Waschbecken. Es war zwar noch funktionsfähig, aber jeder würde sofort sehen, dass es beschädigt war. Das war ihm schon lange nicht mehr passiert. Zu Beginn hatte er dauernd irgendetwas kaputt gemacht, weil er seine Kraft nicht hatte einschätzen können. Es war irgendwie peinlich, dass es erneut geschehen war. „Darf ich mich erkundigen, ob alles in Ordnung ist, Captain Rogers? Vielleicht sollte ich Dr. Banner informieren?“, schlug die KI vor. Schnell winkte Steve ab. „Nein. Alles in Ordnung, Jarvis.“, lehnte er ab. Die KI verstummte wieder und Steve sammelte die herausgebrochenen Stücke des Porzellans vom Boden auf, um diese im Mülleimer zu entsorgen. Der Tag hatte schon seltsam begonnen. Vielleicht sollte er es heute einfach ruhig angehen lassen. Also holte er sich eine weitere Flasche Wasser und zog sich mit einem Kunstbildband, den er von Pepper vor einigen Wochen als sie aus Frankreich zurückgekommen war, geschenkt bekommen hatte, in sein Bett zurück. Es dauerte eine Weile bis er es geschafft hatte sich abzulenken, doch dann genoss er die künstlerische Pracht und betrachtete begeistert die verschiedenen Gemälde, die im Buch abgedruckt worden waren. Die Zeit verging wie im Fluge, denn er konnte es kaum glauben, wie spät es schon war, als Jarvis ihn plötzlich darauf aufmerksam machte, dass Pepper und Tony offenbar beschlossen hatte sich nun im Gemeinschaftsraum einzufinden. Ordentlich packte Steve den Bildband wieder zurück an seinen Platz, bevor er sich auf den Weg nach oben machte. Als er den Gemeinschaftraum betrat, roch er sofort, dass offensichtlich jemand Pizza bestellt hatte. Sofort knurrte sein Magen. Kein Wunder, immerhin hatte er ja auch noch nichts zu Essen bekommen heute. Steve hatte erst abwarten wollen, nachdem er sich vorhin ja eher nicht so gut gefühlt hatte. Doch nun schritt er erfreut in den Küchenbereich, wo Pepper sich offenbar an einem Salat versuchte während Tony einen Stapel an Teller und Besteck gerade in Richtung Fernsehecke trug. „Hey Cap.“, begrüßte er ihn im Vorbeigehen. „Ich weiß, du willst dich nützlich machen. Wir brauchen noch Gläser.“ Steve kam der Aufforderung nach und holte vier Gläser aus einem der Küchenschränke, als er aus den Augenwinkeln Lokis schmale Gestalt erkannte. Überrascht drehte er den Kopf in entsprechende Richtung. Sein Herz schlug sofort eine Spur schneller. Der Asgardier stand neben Pepper, die ihm gerade eine Schüssel mit ihrem Salat in die Arme drückte. Kurz schaute er von der Frau vor sich auf und direkt zum Soldaten, nickte ihm kurz zu und verschwand dann wieder wortlos Tony hinterher. Steve starrte ihm nach und muss irritierter ausgesehen haben, als er dachte. „Ich hoffe, es ist in Ordnung, dass wir ihn auch hier haben.“, sprach Pepper ihn an, lief zum Kühlschrank und holte eine kleine Glasflasche mit Salatdressing heraus. „Ja! Natürlich.“, bestätigte der Soldat sofort und wandte sich seiner Gesprächspartnerin zu. „Ich bin nur überrascht, dass er sich darauf einlässt.“, äußerte er seine Verwunderung und zog noch ein fünftes Glas aus dem Schrank, bevor er ihn wieder schloss. „Ich denke, das wird ihm guttun.“, sagte Pepper, lehnte sich mit der Schulter gegen den Kühlschrank und blickte in Richtung des Fernsehbereiches. Steve drehte sich ebenfalls in die Richtung. Erst jetzt bemerkte er Bruce, der gerade mit den Pizzakartons zu kämpfen schien. Offenbar war ihm heute die Aufgabe zugefallen die Pizzen in Stücke zu schneiden. Loki hatte die Schüssel abgestellt und stand nun direkt neben Tony, der in einer Unterhaltung mit dem Wissenschaftler zu stecken schien. Bruce sah immer wieder auf, ein Lächeln im Gesicht. Leider stand Loki mit dem Rücken zu ihm, sodass Steve seine Mimik nicht lesen konnte. Plötzlich legte der Milliardär einen Arm um Lokis Taille und zog ihn an sich. Tonys Hand kam auf der Hüfte des Asgardiers zum Ruhen. Lokis einzige Reaktion darauf war, dass er nicht darauf reagierte. Keine Panikattacke, kein Versuch sich von ihm zu lösen, kein Garnichts! Lehnte er sich da sogar in die Umarmung hinein? Steve spürte wie sich sein Magen unvermittelt wieder zusammenkrampfte. Sein Herzschlag beschleunigte sich erneut, diesmal unangenehm. „Er scheint mit Bruce umgehen zu können.“, bemerkte er schließlich und versuchte das beklemmende Gefühl, das sich in seiner Brust breitmachte zu ignorieren. Was war nur los mit ihm? „Ja. Es war überraschend problemlos.“, stimmte Pepper ihm zu. „Komm. Wir haben alles.“ Damit setzte sie sich wieder in Bewegung, doch Steve hielt sie auf. „Warte.“ Er riss seinen Blick von Loki und Tony los und drehte sich zu der fragend schauenden Frau um. Sie legte den Kopf schief und lächelte, als er einen Moment nach Worten suchte. Offenbar war ihm anzusehen, dass er gerade einen Moment brauchte, um seine Gedanken zu ordnen. Denn wenn er ehrlich war, wusste er selbst nicht so genau, was er sagen wollte. „Tony scheint gar kein Problem mehr zu sein. Und du auch nicht. Was ist passiert?“, fragte er schließlich. Es war ziemlich irritierend zu sehen, wie Tony den Asgardier behandelte. Es war noch viel irritierender, dass der ganz offensichtlich kein Problem damit zu haben schien. „Die beiden haben einen gemeinsamen Nenner gefunden.“, antwortete Pepper. „Loki versteht ziemlich viel Tonys Arbeit. Er geht mit ziemlicher Begeisterung an das Thema heran. Ich denke, das macht es ihm einfach Tonys Nähe zu akzeptieren.“, erklärte sie. „Ich selbst bin wahrscheinlich schon deshalb kein Problem, weil er mich nicht als Bedrohung wahrnimmt.“ Sie haben also Gemeinsamkeiten in ihrer Arbeit gefunden. Deshalb hatte Loki kein Problem damit, dass Tony so anhänglich war? Bei Pepper war die Sache noch etwas anders. Sie hatte ihm im Kampf nie gegenübergestanden. Der Außerirdische hatte sie erst vor ein paar Tagen kennengelernt und war sofort äußerst höflich und charmant ihr gegenüber aufgetreten. Obwohl er ganz offensichtlich schon gewusst hatte, wer sie war. War das schon alles? Würde das bei Steve auch funktionieren? Würde Loki auch seine Nähe so akzeptieren, wenn sie eine Gemeinsamkeit fänden? Irgendetwas? Oder wenn er sich nur ähnlich lang in seiner unmittelbaren Umgebung aufhalten würde? Würde er sich dann vielleicht an seine Anwesenheit gewöhnen und ihn akzeptieren? Könnte er ihn dann auch einfach so an sich ziehen ohne eine Panik auszulösen? Nervös biss der Soldat sich auf die Unterlippe. „Steve?“, sprach Pepper ihn an und lehnte sich etwas vor. Er spürte ihre Hand auf seinem Oberarm. „Ist alles in Ordnung mit dir?“, fragte sie ihn mit deutlich wahrnehmbarer Besorgnis in der Stimme. Schnell zwang er sich ein Lächeln auf die Lippen und wollte schon etwas halb gelogenes antworten, als Tonys Stimme herüberschallte. „Hey! Cap, bist du wieder festgefroren? Kommt schon! Die Pizza wird kalt!“ Ohne eine Antwort, drehte der Soldat sich um, schnappte sich die herausgesuchten Gläser und lief zu den anderen. Pepper folgte ihm. Wortlos stellte er alles ab. Bruce hatte sich mit einem beladenen Teller inzwischen in einen Sessel gesetzt, während Tony mit Loki auf der Couch saß. Beide hatten ebenfalls Teller mit Pizza darauf in den Händen. Doch während sowohl Bruce als auch Tony bereits dabei waren ihr Essen zu verschlingen, beäugte der Asgardier sein Essen noch unentschlossen. Pepper setzte sich auf Tonys andere Seite, warf Steve aber noch einen Blick zu, der ihm sofort klar machte, dass sein aufgesetztes Lächeln sie nicht im Geringsten überzeugt hatte. Doch sie sprach es nicht an. Stattdessen griff sie nach einem unbenutzten Teller und tat sich sowohl Pizza als auch Salat auf. Auch er holte sich etwas zu Essen und nahm auf einem Sessel Platz, der direkt neben dem Couchende stand, auf dem Loki saß. Steve entging der misstrauische Blick nicht, der ihm zugeworfen wurde, doch er entschied sich dafür ihn zu ignorieren. „Also, da Clint eigentlich an der Reihe mit Filmaussuchen ist, habe ich das mal übernommen.“, ergriff Tony das Wort. „Jarvis, los geht´s.“ Das Licht wurde automatisch durch die KI gedimmt, als der Bildschirm ansprang. Steve erkannte den Film nicht. Doch es war klar, dass Tony sich offenbar für einen älteren Streifen entschieden hatte. Die Machart war eindeutig nicht auf dem Stand der heutigen Technik. Er versuchte sich auf den Film zu konzentrieren, doch er merkte sehr schnell, dass er mehr daran interessiert war, wie Loki sich verhielt. Also schielte er immer wieder zur Seite. Der Asgardier saß ziemlich entspannt wirkend auf der Couch. Sein Blick war auf den Fernseher gerichtet und Steve erkannte erleichtert, dass er offenbar von der Pizza gegessen hatte. Es war nicht viel, aber immerhin hatte er etwas gegessen. Froh über diese Entwicklung lehnte der Soldat sich zurück und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf den Bildschirm. Er sah ein paar Kindern auf Fahrrädern zu, wie sie durch die Gegend fuhren. Als nächstes sah er wieder Loki an, der von Tony ein Glas mit Orangensaft in die Hand gedrückt bekam und es ohne den Milliardär oder das Glas überhaupt anzusehen entgegennahm und an die Lippen setzte. Lippen, die noch immer schmerzhaft aufgesprungen aussahen. Als er wieder zum Fernseher sah, war ein braunes Wesen mit gedrungen aussehendem Körper und deutlich zu langem Hals auf dem ein breiter, flacher Kopf thronte zu sehen. Es streckte einen überlangen Arm aus und sein Zeigefinger fing an zu leuchten. Dann beobachtete er wieder die Couch. Pepper hatte sich inzwischen hingelegt und ihr Kopf lag auf Tonys Schoß. Der war dafür näher an Loki herangerückt, wahrscheinlich, damit seine Freundin genug Platz hatte. Der Außerirdische war wieder dabei seine Pizza zu essen. Tony hatte einen Arm über Pepper drapiert, der andere lag ausgestreckt auf der Rückenlehne hinter Loki. Bestimmt berührten Lokis schwarze Strähnen Tonys Arm. Steves gesamter Bauch schien sich zu verknoten. Vielleicht hätte er keine fettige Pizza essen sollen. Er hatte schließlich schon bemerkt, dass sein Magen etwas angeschlagen zu sein schien. Er stellte den Teller auf dem Tisch ab und zwang sich wieder dem Film zu folgen. Inzwischen waren dort Leute in Dekontaminations-Anzügen zu sehen die der Hauptcharakter beobachtete. Der Soldat wusste überhaupt nicht, worum es dort ging. Die Gruppe an Kindern schien jemanden befreien zu wollen, der telefonieren wollte. Oder telefoniert hatte? Was auch immer! Es hatte eh keinen Sinn mehr. Er schielte erneut zur Couch. Dort lehnte Loki nun gegen Tony. Er war zusammengesackt, sein Kopf lag auf der Schulter des Milliardärs und die Augen waren geschlossen, die Lippen standen leicht offen. Tony hatte seinen Arm nun richtig um den Asgardier geschlungen. Steve starrte das Bild an. Er versuchte es noch nicht einmal mehr zu verbergen. Er hatte vollkommen vergessen, dass er nicht so offensichtlich hatte sein wollen. „Steve?“, riss ihn Tonys Stimme schließlich aus der Starre. „Was ist los?“ Erschrocken schaute er von Lokis schlafendem Gesicht hoch. Verwirrt sah sein Freund ihn an. Ebenso wie Pepper, obwohl sie eher skeptisch aussah. Schnell winkte der Soldat ab und drehte sich wieder nach vorne, wo die Kinder inzwischen auf ihren Fahrrädern durch die Luft flogen. Was war das denn bitte für ein Film? Stur starrte Steve auf den Bildschirm. Er konnte die fragenden Blicke seiner Freunde auf ihm spüren, doch er versuchte sie zu ignorieren, ebenso wie den Knoten in seiner Magengegend. Vom Rest des Films bekam Steve nichts mehr mit. Auch wenn er zusah, waren seine Gedanken die ganze Zeit bei Loki, doch er wagte es nicht sich erneut umzudrehen. Er hatte sich ohnehin schon auffällig genug verhalten. Als der Abspann endlich lief, löste der Soldat sich aus seiner absichtlichen Starre. Er versuchte weiterhin jeglichen Blickkontakt zu meiden, doch das änderte nichts daran, dass der Rest der Gruppe ihn anstarrte. Letztendlich gab er sich geschlagen und sah auf. Selbst Bruce beäugte ihn. „Wenn du ein Problem mit seiner Anwesenheit hast, dann sag mir das jetzt. Ansonsten will ich nichts hören und auch keine gruselig starrenden Blicke mehr sehen.“, brach Tony als erstes die Stille. Pepper hatte sich wieder aufgesetzt und musterte Steve, während Tony weiterhin den schlafenden Asgardier im Arm hielt. Wie er den Arm um den schmalen Körper des anderen Mannes geschlungen hatte und ihn an sich drückte, sah es aus, als wollte er ihn vor etwas beschützen. Steve fragte sich, ob er wirklich so bedrohlich gewirkt hatte. „Was?“ Deutlich verwirrt starrte er Tony an als der Sinn seiner Worte in seinem Gehirn ankam. „Nein. Ich war nur überrascht, dass er freiwillig hier war. Das ist alles.“, versuchte er die Situation zu klären. „So sieht überrascht bei dir aus? Du hast ihn die ganze Zeit angestarrt als wolltest du ihn auffressen.“, erwiderte der Milliardär. „Ich weiß nicht, was ich sagen soll, Tony. Es ist alles in Ordnung.“, antwortete Steve nur erneut. Er wusste, dass es nicht stimmte. Irgendetwas hatte ihn die ganze Zeit gestört. Irgendetwas hatte ihn die ganze Zeit beschäftigt und ihn fast dazu gezwungen Loki dauernd anzustarren. Sein Magenproblem hatte die Situation nicht angenehmer gemacht. Aber er konnte irgendwie nicht sagen, was ihn gestört hatte. Er wusste es nicht. Objektiv betrachtet, war alles in Ordnung gewesen. Es war offensichtlich, dass Tony den Mund öffnete, um zu widersprechen, doch Pepper hielt ihn auf und erinnerte alle daran, dass sie langsam losmusste. Sie bat ihren Freund ihren Koffer schon mal aus dem Zimmer zu holen und auch wenn sie dabei zuckersüß klang, war vollkommen klar, dass es sich eher um einen Befehl als eine Bitte gehandelt hatte. Einen kleinen Moment sah es fast so aus, als wollte der Milliardär widersprechen, doch dann klappte er seinen Mund wieder zu. Vorsichtig ließ er Loki mit dem Oberkörper auf die Couch sinken und verschwand dann in Richtung des Fahrstuhls. „Lasst und aufräumen.“, schlug Pepper als nächstes vor und lächelte freundlich. Sie sah Steve einen Moment länger an als nötig gewesen wäre. Ohne eine Antwort abzuwarten, stand die Frau auf und fing an das Geschirr zusammenzuräumen. Bruce schmiss die Pizzareste in eine Pizzaschachtel, bevor er anfing die leeren zusammenzufalten, während Steve anfing die Flaschen zurück in die Küche zu tragen. Er war Pepper dankbar dafür, dass sie die Diskussion so schnell beendet hatte. Das Thema war unangenehm. Es war seltsam und er wusste keine Antwort auf die Fragen. „Kunst.“, durchbrach die zierliche Frau schließlich die Stille, während sie den restlichen Salat in einen kleineren Behälter umfüllte. Bruce war im Wohnbereich und wischte den Tisch, sodass Steve mit ihr alleine war. Irritiert sah er die Frau neben sich an. „Ich habe mit Loki über Kunst gesprochen. Er schien ziemlich interessiert. Das könntest du mal versuchen.“, fügte sie hinzu und grinste ihn an. Der Soldat brauchte einen Moment um die Aussage einzuordnen. Kunst war tatsächlich etwas, das außer ihm und Pepper wahrscheinlich niemand anderes ansprechen würde. Dankbar für diesen Vorschlag nickte er ihr wortlos zu und sie strich ihm in einer beruhigenden Art über den Arm, bevor sie sich den Salat schnappte und ihn im Kühlschrank verstaute. Zusammen hatten sie den Wohnbereich aufgeräumt als Tony zurückkam. „Happy wartet unten im Wagen auf dich. Ich bring dich noch runter.“ Lächelnd drückte Pepper ihrem Freund einen Kuss auf die Lippen, bevor sie sich Bruce und Steve nacheinander zuwandte und sich mit einer Umarmung von ihnen verabschiedete. Zusammen verließ das Paar den Raum. „Du hast für deine Verhältnisse ziemlich wenig gegessen.“, durchbrach Bruce die Stille, während er mit Steve den Geschirrspüler einräumte. Überrascht sah Steve den Wissenschaftler an. Der ließ sich jedoch nichts anmerken und machte einfach weiter, ohne den Soldaten anzusehen. „Ich… hatte vorhin ein paar Probleme mit dem Magen.“, antwortete er und fing an die Flaschen an ihren Platz zu stellen. „Magenprobleme? Du?“, hackte Bruce wie nebensächlich nach. „Ja. Ich weiß auch nicht. Irgendwas ist mir wohl nicht bekommen.“ „Das ist eher beunruhigend.“, kommentiere Bruce und klappte die Maschine zu. Er schaltete sie an, bevor er sich seinem Gesprächspartner zuwandte. „Vielleicht sollte ich mir das mal ansehen.“ Steve konnte sehen, dass sein Freund es ernst meinte. Er hatte Recht. Wenn er nicht gerade hochwirksames Gift zu sich genommen hatte, sollte sein Körper eigentlich keine Probleme mit der Verdauung haben. Beunruhigender war aber noch, dass er nichts anderes gegessen hatte, als die anderen Bewohner des Stark Towers, die alle keine Probleme zu haben schienen. Wenn etwas im Essen gewesen wäre, das ihn beeinflusste, hätte es sich definitiv bei den anderen gezeigt. „Warten wir bis morgen. Wenn es dann noch da ist, kannst du mich ja mal durchchecken.“, schlug Steve also vor. „Okay.“, stimmte Bruce zu, wenn auch wenig begeistert. „Aber wenn es schlimmer wird, weckst du mich auf.“ Es war keine Bitte. Es war eine klare Ansage. Lächelnd füllte der Soldat den Wasserkocher und schaltete ihn an. „Tee?“, bot er als Friedensangebot an und saß zehn Minuten später mit Bruce zusammen an der Theke. Jeder von ihnen hatte eine dampfende Tasse vor sich zu stehen und sie unterhielten sich. Am Anfang war es Steve schwer gefallen mit dem Wissenschaftler geeignete Gesprächsthemen zu finden und sie hätten sich niemals nur zu zweit hingesetzt. Inzwischen war Bruce genauso wie die anderen Avengers seine Familie und selbst wenn sie nichts zu besprechen hatten, genoss er einfach nur die Gesellschaft. Doch es dauerte nicht lange, bis sie die Fahrstuhltür hörten. Tony betrat die Küche und stellte die Kaffeemaschine an. „Und?“, fragte er, drehte sich zu den anderen beiden und sah sie erwartungsvoll an. „Ich fürchte, du musst dich präziser ausdrücken.“, wies Bruce den Milliardär darauf hin, dass er keine Ahnung hatte, was dieser meinte. „Loki. Was machen wir mit ihm?“, verdeutlichte er seine Aussage und nickte in Richtung der Couch. „Mir war nicht klar, dass wir etwas machen müssen oder großartig können.“, antwortete der Wissenschaftler und nahm einen Schluck aus seiner Tasse. „Ha!“, antwortete Tony und goss sich seinen Kaffee ein. Sein Blick traf Steve. „Er ist jetzt eine Woche wach. Was ist euer Eindruck? Gerade du Brucie-Bär hast dich sehr zurückgehalten.“ Stille breitete sich aus. Seufzend lehnte der Milliardär sich gegen die Theke und rollte theatralisch mit den Augen. „Okay, dann fange ich an. Ich denke es ist klar, was Robin Hood von der Situation hält und seine mörderische Marian wird sich wahrscheinlich seiner Meinung anschließen… auch wenn man bei ihr nie so wirklich weiß.“ Kurz verstummte Tony wieder und schien zu überlegen. Dann schüttelte er den Kopf und sah seine beiden Freunde nacheinander an. „Ich will ihn behalten.“ „Ihn behalten?“, wiederholte Steve fragend. „Er ist kein Hund, Tony.“ „Da hast du Recht, Cap. Er ist eher der Katzen-Typ. Man versucht es ihnen gemütlich zu machen, aber im Endeffekt weiß man nie so ganz genau was sie dazu bringt auszurasten. Man weiß nur, irgendwann wird es passieren.“ „Er ist der Gott der Lügen und des Unheils.“, meldete sich Bruce schließlich zu Wort. „Lasst uns das nicht vergessen. Er wird sich diesen Titel verdient haben. Und er hat einige Jahrhunderte gehabt, um sich darin zu üben. Was er uns zeigt und sagt, muss nicht die Wahrheit sein.“ „Schabernack.“, korrigierte Tony sofort. „Gott der Lügen und des Schabernacks.“ „Das kommt auf die Übersetzung an. Die Lügen sind aber definitiv dabei.“ Bruce betrachtete seinen Tee ziemlich interessiert als er weitersprach. „Ich will ihm genauso helfen wie du, aber ich fürchte wir legen uns mit Mächten an, die wir nicht einschätzen, geschweige denn beherrschen können. Wir betrachten ihn mit unseren menschlichen Augen. Er ist aber kein Mensch. Mit jedem Tag steigt die Gefahr, dass er beschließen könnte, dass wir unnötig sind.“ „Und was schlägst du vor? Sollen wir ihn SHIELD zurückgeben?“, hackte Tony mit deutlich herausfordernder Stimmlage nach. „Die haben es geschafft ihn zu beherrschen.“, fügte er mit deutlicher Abscheu noch hinzu. „Nein.“, antwortete Bruce ganz ruhig und sah von seinem Tee hoch. „Ich muss jedoch zugeben, dass ich keine Alternative weiß. Momentan ist er noch auf unseren Schutz angewiesen. Doch an einem Punkt, den wir vielleicht noch nicht einmal bemerken werden, werden sich die Machtverhältnisse so verschieben, dass er wieder der Schuh ist und wir die Ameisen.“ „Wenn es so weit ist, ist er vielleicht auf unserer Seite. Ich hätte ehrlich gesagt kein Problem mit einem Magier im Team. Also seid nett.“ „Du hast schon Rekrutierungspläne?“, hackte Steve erstaunt nach. Er selbst wäre ja schon froh, wenn Loki beschloss die Menschheit nicht unterwerfen zu wollen, wenn er wieder bei Kräften war. Ihn direkt für den Schutz der Menschheit einspannen zu wollen, war doch etwas weit gegriffen. „Ehrlich gesagt ist er eine ziemlich große Hilfe im Workshop.“, fing der Milliardär an und senkte den Blick. Er wirkte ziemlich zerknirscht und spielte mit seiner Kaffeetasse herum. „Ich will ihn behalten.“, wiederholte er dann schon mit einem fast trotzigen Unterton. „Wenn Thor wieder hier ist, haben wir nicht wirklich diese Möglichkeit.“, erinnerte Bruce seinen Freund daran, dass sie den Asgardier eigentlich nur solange hüteten, bis sein großer Bruder zurückkam. Es war ziemlich ausgeschlossen, dass ihr Donnergott sich bereiterklären würde Loki hier zu lassen. „Ich weiß! Ich weiß.“, winkte Tony ab und schmollte. „Lasst uns einfach schauen, wie sich das alles entwickelt.“ „Wir haben momentan nicht wirklich eine andere Wahl.“, stimmte Bruce zu. Steve blieb stumm. Er trank seinen Tee aus und stellte die Tasse im Waschbecken ab. Er konnte kaum etwas dazu sagen. Zumal er selbst nicht fähig war eine Meinung dazu zu bilden mit der er zufrieden war. Er wusste, dass Thor Loki mitnehmen musste. Er sah ein, dass das die beste Lösung für alle Beteiligten war. Gleichzeitig war ihm der Gedanke zuwider. Er wollte sich Tonys Meinung anschließen. Irgendwie wollte er den Asgardier behalten, so unsinnig das auch war. „Ja. Lasst uns abwarten.“, stimmte er schließlich zu. Er richtete seine Augen in Richtung des Wohnbereichs. Die Couch war nur von hinten zu sehen, aber er wusste, dass Loki schlafend darauf lag. Es war besser ihn jetzt nicht zu bewegen. Wenn er eingeschlafen war, sollte er so lange schlafen, wie es ihm möglich war, bevor seine Albträume ihn aufwecken würden. Außerdem wollte er sich gar nicht ausmalen, wie der Mann reagieren würde, wenn er aufwachte während Steve ihn in seinen Armen trug. Er wollte das nicht noch einmal sehen. Er wollte diese Panik nie wiedersehen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)