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Stray Cats

von

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All cats are gray in the dark


 

Never try to outstubborn a cat.

- Robert A. Heinlein, Time Enough for Love

 

- Tag 1 -

„Nein!”

„Ich befürchte, ich habe den Moment verpasst, in dem ich dich nach deiner Meinung gefragt habe, Reed.”

Fowlers Nasenflügel bebten, und wenn er es nicht besser wüsste, würde er behaupten, dass der Blutdruck des Mannes innerhalb weniger Sekunden auf ein ungesund hohes Maß angestiegen war. Nicht, dass das neu oder auch nur im Ansatz überraschend wäre, denn jeder auf diesem Revier wusste, dass Captain Jeffrey Fowler ein verdammter Choleriker war, der sehr, sehr gerne aus der Haut fuhr, wenn man ihm nur die richtige Steilvorlage lieferte. In diesem extremen Fall hatte schon ein einfaches “Nein“ dafür gereicht, wohl, weil die Stimmung im Büro ohnehin schon zum Zerreißen gespannt war.

Gavin blickte über die Schulter nach hinten, sah den Grund, aus dem er hier überhaupt eine hitzige Diskussion führen musste – oder es vielmehr wollte, denn die Versuche wurden von Fowler bereits im Keim erstickt. Mit einem leisen Grollen wandte er sich wieder an den Captain, startete einen letzten, allerletzten Versuch, an die Vernunft des Mannes zu appellieren.

„Warum ich?“, fragte er in einem Tonfall, der Fowler hoffentlich vermittelte, dass er den Scheiß hier wirklich nicht mitmachen wollte und ein gutes Dutzend Leute kannte, die besser dafür geeignet wären, sich damit auseinanderzusetzen.

„Weil wir seit der Revolution noch mehr Arbeit haben als jemals zuvor! Und weil hier alle gestresst und überarbeitet sind, aber im Gegensatz zu dir sind sie auch in der Lage, mit unseren Androiden zusammenzuarbeiten! Alle! Nur dein verdammter Sturschädel scheint nicht zu kapieren, dass mir der Ausschuss für Androidenrechte im Nacken sitzt und nur darauf wartet, bis sie irgendwas finden, das sie gegen mich verwenden können. Wie etwa den Detective, der den verdammten Umgang mit Androiden trotz drei verschiedener Schulungen nicht geregelt bekommt! Deswegen übernimmst du Fälle, die mit Androiden zu tun haben und deswegen habe ich dich ausgesucht.“

Mittlerweile war Fowler aufgestanden, hatte die Hände auf sein Pult gelegt und sich nach vorne gelehnt, wohl in dem für Gavins Empfinden eher müden Versuch, sich noch wichtiger zu machen.

„Also spar dir die dumme Frage, wenn du doch genau weißt, weswegen du mit ihm arbeiten sollst. Weil du dich mit all den Änderungen hier abzufinden hast, wie jeder. Andere. Auch.“

Die letzten Worte wurden durch Fowlers Zeigefinger untermalt, der bei jedem einzelnen davon gegen Gavins Brust stieß.

„Und jetzt verschwinde.“

 

Seine Stirn traf auf die kühle Oberfläche seines Schreibtischs, während er leise vor sich hin fluchte. Dass Fowler ausgerechnet ihn ausgewählt hatte, kam ihm noch immer wie ein schlechter Scherz vor, sogar regelrecht wie Hohn. Gavin blieb in dieser Position, bis er Schritte näher kommen hörte, die direkt neben seinem Platt verstummten. Mit einem leisen, unwilligen Laut hob er den Kopf, und hätte ihn am liebsten sofort wieder sinken lassen, als er das Ding neben sich erblickte.

Er hatte das Memo gelesen, ja. Das, in dem gestanden hatte, dass CyberLife dem Revier einen weiteren Prototypen zur Verfügung stellte, einen, der eigentlich in Massenproduktion hätte gehen sollen, hätte Markus‘ Revolution nicht mit einem Mal das ganze Land verändert und diese Pläne vereitelt. Keine Ahnung, ob es nicht trotzdem noch mehr von diesen Arschgeigen in irgendwelchen Lagern warteten, aber ein Einziger von ihnen reichte auch schon vollkommen aus.

Ein RK900. Nachfolgemodell des RK800, besser in jeder Hinsicht, weil höher, schneller, weiter wohl auch für CyberLifes Androiden galt. Und als wäre das nicht genug, sah dieser dumme Arsch bis auf einige, wenige Unterschiede fast genauso aus wie Gavins allerliebster Lieblingsandroid Connor. Er hatte sogar die gleiche dämliche Frisur wie sein Vorgängermodell, aber insgesamt schien es fast so, als hätten sich seine Erbauer gedacht, dass sie ihn irgendwie bedrohlicher machen mussten. Seine Augen waren heller als Connors, gingen schon fast in ein blaugrau über, seine Schultern waren breiter, und mit seinem beschissenen Rollkragenpulli unter der Jacke sah er fast aus wie ein vermaledeiter Türsteher.

Gavin wurde aus seinen Gedanken gerissen, als ein Becher Kaffee auf seinem Platz abgestellt wurde. Mit gerunzelter Stirn sah er erst zu seinem liebsten, koffeinhaltigen Heißgetränk hinüber, und dann wieder zurück zum Androiden.

„Mir wurde mitgeteilt, dass man sich Ihre Gunst eventuell mit einem Becher Kaffee erkaufen könnte“, meinte der Android ruhig. So ruhig, dass sich Gavin dabei schon wieder die Nackenhärchen aufstellten. Die Menschheit hatte noch immer nicht die richtigen Worte für seine Abneigung gegenüber diesen Dingern erfunden. Statt dem Androiden zu antworten oder sich – Gott bewahre – bei ihm zu bedanken, schnappte er sich das Datenpad mit den Infos zu seinem neuesten Fall, den er bearbeitet hatte, bevor Fowler ihn in sein Büro zitiert hatte.

„Ich befürchte außerdem, dass wir einander noch nicht richtig vorgestellt wurden. Mein Name ist RK900, ich -“

„Erstens: Nein, man kann sich meine Gunst nicht mit einem Kaffee aus unserem Automaten erkaufen. Zweitens: Deine Bezeichnung ist kein verdammter Name. Drittens bis Zehntens: Rutsch mir den Buckel runter, Blechbüchse.“

Gavin stand auf, richtete seine Jacke etwas und schnappte sich dann das Datenpad und den Kaffee, den er trotz allem sicher nicht verschmähen würde, um sich auf den Weg zum im Bericht erwähnten Tatort zu machen.

Und er machte sich keine Hoffnung, dass der Android ihm nicht folgen würde.

 

- Tag 2 -

„Versteckst du dich wirklich vor deinem neuen Partner?“ Tinas amüsierte Stimme brachte ihn fast wieder auf die Palme, ehe er unter dem Schreibtisch hervor kam und sein Smartphone auf die Tischplatte warf.

„Ich hab‘ nur mein verdammtes Handy aufgehoben“, murrte er leise und deutete auf das Gerät, ehe er mit einem Hauch von Dankbarkeit nach dem Kaffee griff, den ihm Tina reichte.

„Und?“, fragte der Officer dann mit einem Lächeln. „Wie war der erste Tag? Hat er was angeleckt? Ihr habt euch ja offensichtlich nicht die Köpfe eingeschlagen, was bei dir schon eine Menge zu heißen hat.“

„Har-di-har“, machte Gavin freudlos, ehe er an seinem Becher nippte. Nein, sie hatten sich nicht gegenseitig umgebracht und wenn, dann wäre es sicher von Gavin selbst ausgegangen, weil der RK900 ein verdammter, stoischer, unnahbarer Klotz von einem Androiden war, der alles besser wissen wollte. „Um deine Neugier zu befriedigen: Er hat nichts angeleckt. War auch nichts da, aber ich will auch nicht ausschließen, dass der Creep es niemals tun würde.“

„Hat dein Creep eigentlich schon einen Namen?“

Gavin schnaubte bei der Frage leise. Es war ihm scheißegal, ob der Android einen Namen hatte oder nicht. Er war nicht sein Besitzer und noch weniger war er derjenige, für den es überhaupt eine Rolle spielte.

„Nein…?“

Tina hätte ihm sicher gerne gesagt, dass er sich als Partner des Androiden doch einen überlegen sollte, aber in diesem Moment kam der RK900 zur Tür herein und überfiel den Detective sofort mit der Nachricht eines Mordfalls an einem Androiden, den sie untersuchen sollten.

 

Gavins Zeigefinger trommelte im Takt der Musik auf dem Lenkrad, während sie an der roten Ampel warteten. Der RK900 saß neben ihm, mit derselben stoischen Ruhe, die dem Detective so abging, und er sah einen Moment lang zu dem Androiden hinüber.

„Mochten dich die Leute bei CyberLife eigentlich so wenig, dass sie dir nicht mal einen richtigen Namen gegeben haben?“, fragte er schließlich, als die Ampel gerade auf Grün schaltete.

„Ich sollte erst gar nicht in Betrieb genommen werden, Detective“, antwortete der RK900, ohne ihn auch nur eines Blickes zu würdigen. „Ich habe eine Bezeichnung, eine Seriennummer und eine Aufgabe. Das sollte ausreichend sein.“

„Also könnte man jederzeit einen Namen registrieren? Robocop? Toaster? Terminator? Connor 2.0? Connor, die Rückkehr?“

“Wie es Ihnen beliebt, Detective. Wobei ich Ihnen versichern kann, dass ich Beleidigungen nur sehr selten meine Aufmerksamkeit schenken werde. Ich würde Sie also bitten, davon abzusehen.“

Gavin rollte bei der Antwort nur die Augen und setzte den Blinker, um in die nächstbeste Seitengasse einzubiegen. Nicht nur, dass er sich einen Androiden eingetreten hatte, er hatte sich einen mit einer Attitüde angelacht.

„Sonst was?“

„Nun, da bereits Connor in der Lage war, sie im Zweikampf zu besiegen und ohnmächtig im Beweisraum liegen zu lassen, wollen Sie sicher nicht herausfinden, wozu Connor 2.0 in der Lage ist, richtig?“

Wow. Jetzt war es offiziell.

Er hasste dieses Plastikarschloch. Mit jeder Faser seines Körpers.

 

- Tag 8 -

„Sie sollten wirklich weniger Kaffee trinken.“

„Du solltest mir wirklich weniger auf die Eier gehen.“

„Vielleicht ist ihre Gereiztheit dem übermäßigen Koffeinkonsum und dem Schlafmangel geschuldet.“

„Vielleicht. Oder aber es ist deine charmante Art, die mich langsam aber sicher in den Wahnsinn treibt.“

 

- Tag 14 -

Es war nicht so, als wäre der RK900 nicht nützlich. Das Problem war, dass er zu nützlich war. Komplette Erstellung von Täterprofilen, Wiederherstellung von Tathergängen, Analyse von Blutproben und Thiriumrückständen. Alles, wofür sie früher Tage und einen Hochleistungsrechner benötigt hatten, erledigte ein Android in Minuten, während die gesamte Polizei nur um ihn herumstand und zusehen konnte. Und nichts war für Gavin schlimmer als das Gefühl, unnütz zu sein, und ersetzbar. In sämtlichen Bereichen des Lebens hatten die verdammten Androiden schon Einzug gehalten, in einigen hatten sie Menschen gänzlich verdrängt und Gavin hatte gehofft, dass sie zumindest in seinem Bereich nie eine übergeordnete Rolle spielen würden. Dass menschlicher Instinkt und Intellekt der kühlen und distanzierten Berechnung eines Androiden immer voraus sein würden.

Aber wenn er dann in Fowlers Büro stand und das Lob für einen gelösten Fall einheimste, bei dem er eigentlich nicht mehr als ein stiller Zuschauer gewesen war, dann kochte in ihm eine unbeschreibliche Wut hoch, die er kaum unterdrücken konnte.

„Das war gute Arbeit heute, Detective“, meinte der RK900, nachdem sie Fowlers Büro verlassen hatten und auf dem Weg zu Gavins Platz waren.

„Was genau?“, fragte Gavin schnippisch, als er sich auf seinen Stuhl fallen ließ und zu seinem Partner nach oben sah. „Dazustehen, während du alle Beweise zusammenträgst und erläuterst, was passiert ist? Ja, großes Kino.“

„Sie hatten doch bereits erahnt, wie der Fall abgelaufen war, noch ehe ich meine Berechnungen zu Ende geführt hatte. Ich wollte nur Ihren Instinkt loben.“

„Wie wäre es, wenn du dir dein Lob an den Hut steckst? Oder jemanden lobst, der sich auch etwas daraus macht?“

Als er aufblickte, sah er die LED an der Schläfe des Androiden gelb blinken, die Augenbrauen waren leicht zusammengezogen und er sah den Detective an, als hätte dieser ihm gerade ins Gesicht gespuckt. Gut, im Grunde hatte Gavin genau das getan, aber wenigstens etwas unterschwelliger.

„Ich bin hier, um Ihnen bei Ihren Untersuchungen und Fällen zu helfen, Detective, nicht, um Ihren Ruhm einzuheimsen oder Sie zu ersetzen.“

Und warum fühlte es sich dann so sehr danach an?

 

- Tag 22 -

Eigentlich hatte er nur noch den Androiden zurück aufs Revier bringen wollen. Er wusste nicht, wo der RK900 seine Nächte verbrachte, und es war ihm eigentlich auch egal, aber er hatte zumindest so viel Anstand, ihn nicht im Regen stehen zu lassen. Es war mehr Entgegenkommen, als er sich selbst normalerweise eingestanden hätte.

Auf dem Weg zurück hatte er noch an einem Imbiss angehalten, um sich etwas zu Essen mitzunehmen und sich damit die Mühe des Kochens zu ersparen, und jetzt, ein paar Minuten später, da kniete er neben dem Imbisswagen und warf einer streunenden Katze etwas Fleisch hin, weil sie aussah, als könnte sie einen kleinen Snack vertragen.

„Ja, das schmeckt dir, hm?“, fragte er, als er das Tier mit dem grau gestreiften Fell fressen sah. „Fühl dich geehrt, ich teile mein Essen nicht gerne.“

„Ich befürchte, die Katze wird sie nicht verstehen.“ Der RK900 stand neben dem Wagen, den Gavin auf dem Gehweg geparkt hatte, und betrachtete das Szenario anscheinend mit einer bizarren Faszination. „Sie ist ein Tier. Sie wird mit menschlicher Sprache nicht viel anfangen können.“

Der Detective stand auf und ging wieder zum Auto hinüber, öffnete die hintere Tür, um sein Essen zu verstauen, ehe er an der Fahrertür stehen blieb und den RK900 betrachtete.

„Du bist eine Maschine, und ich rede trotzdem mit dir“, sagte Gavin schließlich leise. „Dann kann ich wohl auch mit einem Tier reden. Das lebt wenigstens.“

Als die LED des Androiden rot zu blinken begann, hätte Gavin einen Moment lang fast so etwas wie ein schlechtes Gewissen überkommen. Fast. Denn so schnell, wie der Augenblick gekommen war, war er auch wieder vorbei, und der Android nickte nur schwach, ehe er mit einem fast schon verständnisvoll klingendem „Natürlich“ ins Auto einstieg.

Kurz blieb der Detective stehen, betrachtete die Katze, die sich gerade ihre Pfote putzte, ehe sie ins Gebüsch sprang, und stieg dann ebenfalls ein.

See which way the cat jumps

- Tag 30 -

So, wie der Android am Rande des Geschehens auf dem Bordstein saß, sah er fast schon verloren aus. Als wäre es seine Schuld, dass die Situation eskaliert war, dass der Android, der sich einen Menschen als Geisel genommen hatte, diese im Eifer des Gefechts beinahe erschossen hätte und deswegen von der Polizei hatte ausgeschaltet werden müssen. Ja, vielleicht hätte man das verhindern können, aber wer wusste das schon? Gavin war lange genug in diesem Job, um zu wissen, dass man manche Dinge einfach nicht verhindern konnte.

Seufzend zog er seine Zigarettenschachtel aus der Tasche, entnahm eine und zündete sie an. Um ihm herum waren Spurensicherung und Einsatzkräfte, redeten durcheinander, versorgten die Geisel, betrachteten die Überbleibsel des Androiden. Gavin ging zu seinem Androiden hinüber, betrachtete den RK900 schweigend, ehe er einen tiefen Zug von seiner Zigarette nahm und den Rauch in die kalte Nachtluft von Detroit blies.

„Was ist los?“, fragte er schließlich und legte den Kopf schief. „Das, was da passiert ist, hättest du auch mit noch mehr Verhandlungsgeschick nicht verhindern können, Knalltüte. Nur, falls du Sorge hast, dass es deine Schuld war.“

Der Android schwieg sich aus, aber der Detective konnte an der sich gelb drehenden LED erkennen, dass ihn diese Sache beschäftigte. Mehr, als gut für ihn war.

„Würde dir ja ‘ne Zigarette anbieten, aber Rauch kannst du zwischen deinen mahlenden Zahnrädern sicher nicht brauchen, hm?“

Noch immer keine Antwort. Gavin fuhr sich mit der Hand durch die Haare, ehe er sich mit einem entnervten Laut neben den Androiden fallen ließ, die glimmende Zigarette noch immer zwischen den Lippen.

„Die Rollen hätten genauso gut vertauscht sein können“, sagte der RK900 schließlich, ohne Gavin dabei anzusehen.

„Ja, dann hätten wir den Menschen davon abhalten müssen, den Androiden zu erschießen. Selbes Problem, nur mit weniger Plastikmüll und mehr Blut.“

„Dann hätte die Polizei einen Menschen erschossen.“

„Nein, kein Scheiß, sag bloß. Vor dem Gesetz sind wir doch jetzt fast alle gleich. Hätte es da einen Unterschied gemacht?“ Bei Gavins letztem Satz sah der Android endlich auf, mit rot leuchtender LED. Der Detective traf seinen Blick und runzelte die Stirn.

„Sie sagten, Androiden leben nicht“, meinte der RK900 leise. Anscheinend erinnerte er sich an alles, was Gavin sagte, viel zu gut. Er selbst hatte das schon wieder verdrängt.

„Spielt es eine Rolle, was ich sage und glaube, Toaster?“, erwiderte Gavin schnippisch und drückte seine Zigarette auf dem Bordstein aus, ehe er aufstand und sich die Kapuze aufzog, weil es zu nieseln begonnen hatte.

„Ja.“ Die Antwort, die auf sich hatte warten lassen, traf ihn ziemlich unvorbereitet. „Sie sind mein Partner, und Sie haben eine Menge Erfahrung. Das mag für Sie nichts bedeuten, Detective, aber trotz Ihres feindlichen Auftretens habe ich Vertrauen in Ihre Fähigkeiten.“

„Oh“, gab Gavin lahm von sich und starrte den Androiden vor sich fassungslos an. Mit vielen Antworten hätte er gerechnet, aber das… war überraschend.

„Ich würde gerne zurück auf das Revier.“ Etwa eine halbe Minute hatten sie sich ziemlich unangenehm angeschwiegen, und bis der RK900 wieder zu reden begonnen hatte, war der Nieselregen zu einem ausgewachsenen Regenschauer geworden. Gavin nickte nur, sah noch einmal zum Tatort hinüber und ging dann zu seinem Wagen hinüber. Als sie auf dem Revier angekommen waren, stieg der Android aus, aber ehe er die Tür schloss, lehnte er sich noch einmal nach unten, begegnete Gavins Blick ein weiteres Mal. Der Detective war mehr als überrascht, ein schwaches Lächeln auf dem Gesicht seines Partners zu sehen.

„Und danke für Ihren Zuspruch, Detective Reed.“

Gavin sparte sich die Erklärung, dass Zuspruch nicht mit dem einfachen Aussprechen der Wahrheit gleichzusetzen war, und winkte nur ab.

„Verpiss dich schon.“

 

- Tag 41 -

„Es ist fast 23 Uhr, Detective.“

„Ich bin stolz auf dich. Du kannst schon die Uhr lesen, ganz wie ein Großer!“

„Sie sind übermüdet und schon wieder dezent angepisst. Ich schlage vor, dass Sie heimfahren und sich hinlegen.“

„Ja, Mutti, ich geh doch gleich… Warte! Hast du gerade wirklich gesagt, dass ich dezent angepisst bin?“

„Ich wusste, dass Sie diesem Detail die nötige Aufmerksamkeit schenken würden. Und jetzt gehen Sie bitte nach Hause.“

„Leck mich, Aushilfsterminator.“

 

- Tag 57 -

Wenn er behauptet hätte, dass er noch nie darüber nachgedacht hätte, den Androiden zu erschießen und auf der nächstbesten Mülldeponie zu entsorgen, dann hätte er gelogen. Aber Gedanken waren die eine Sache, die Realität eine andere.

Gavin hatte schon einige Male gesehen, wie Kollegen im Dienst angeschossen wurden, Himmel, er hatte selbst die ein oder andere Narbe von einem Schusswechsel davongetragen, aber zu sehen, wie der RK900 wie ein nasser Sack zu Boden fiel, weil er den Detective aus der Schusslinie hatte halten wollen, das war eine gänzlich andere Geschichte. Natürlich hätten sie ahnen müssen, dass die Demonstranten bewaffnet sein könnten, aber Gavin und der RK900 waren auch nicht für die Arbeit an der Front eingeteilt, sondern nur als Beobachter, die notfalls einschreiten konnten. Dass einer der Männer durchgedreht war, als er den Androiden an der Seite des Polizisten gesehen hatte, war aber irgendwie doch zu unerwartet gewesen.

Vier Stunden später saß er im Wartezimmer einer Androiden-Arztpraxis, derselben, die vor mehr als einem Jahr noch als einfache Werkstatt bezeichnet worden war. Aber wie alles in Detroit hatte sich auch das hier nach der Revolution geändert.

Neben ihm auf dem Tisch standen drei leere Kaffeebecher, und er hätte trotz seines unangenehmen Herzrasens jederzeit wegnicken können. Sein Kopf fiel sogar gerade zur Seite, als sich die Tür öffnete.

„Detective Reed?“, fragte der RK900 überrascht und vorsichtig zugleich, und Gavin konnte diesen verdammten Brummkreisel an der Schläfe des Blecheimers rotieren sehen. „Waren Sie die ganze Zeit hier?“

„Kann sein“, antwortete Gavin wahrheitsgemäß und deutete auf das Datenpad neben sich. „Die erste Stunde konnte ich damit zubringen, den Bericht darüber zu schreiben, wie du ganz unzeremoniell zu Boden gegangen bist, ab da war es ziemlich langweilig.“

Unauffällig betrachtete er den Androiden. Es war keine Spur mehr von dem Einschuss zu sehen, nur das Loch im Rollkragenpullover erinnerte noch daran, wo er getroffen worden war. Tja, das war der Vorteil daran, wenn man nicht aus Fleisch und Blut bestand, sondern aus einer Menge Einzelteilen aus Plastik und Metall – irgendwer hatte immer ein Ersatzteil da.

Gavin schluckte die wieder aufkeimende Wut über diesen unfairen Umstand hinter – Konnte ja niemand etwas dafür, dass die Androiden widerstandsfähiger waren und leichter heil zu machen, außer diesen Pissern von CyberLife vielleicht.

„Sie hätten das nicht tun müssen.“

„Und du hättest dich nicht erschießen lassen müssen, aber hier sind wir wohl, hm?“

Es war kein Dankeschön, im Grunde schuldete Gavin ihm keinen Dank, warum auch? Der Mann hatte den Androiden erschießen wollen, dabei fast den Polizisten getroffen und dann am Ende doch sein eigentliches Ziel durchsiebt. Es ärgerte ihn regelrecht, dass es keinen wirklichen Grund für ihn gab, hier zu sitzen und auf den beschissenen Androiden zu warten, außer, weil er dachte, er würde es ihm schulden.

„Deine Jacke hat es übrigens nicht überlebt. Möge Sie in Frieden ruhen.“

„Es ist nur eine Jacke, Detective Reed. Aber wenn Sie möchten, verbrennen wir sie natürlich feierlich für ihren aufopferungsvollen Dienst.“

Gavin schnaubte verächtlich, aber nur, um das Lachen zu unterdrücken, das sich gerade anbahnte. Diese Blechbüchse hatte in nicht einmal zwei Monaten besser mit Sarkasmus umzugehen gelernt, als diese Dumpfbacke Connor in mehr als einem Jahr.

„Okay, was auch immer. Lass uns hier verschwinden.“

 

- Tag 71 -

Er hasste es, krank zu sein. Von einem Männerschnupfen ließ er sich selten ins Boxhorn jagen, aber eine ausgewachsene Grippe war etwas anderes. Mehr als einmal hatte er sein Leben an sich vorbeiziehen sehen, und noch einmal mehr hatte er die Toilettenschüssel von innen betrachten dürfen. Es war ein Elend ohnegleichen.

Als es irgendwann an der Tür klingelte, hallte das Geräusch unangenehm in seinen Ohren nach. Knurrend schleppte er sich zur Wohnungstür, öffnete sie mit dem bösartigsten Gesicht, dass er in seinem momentanen Zustand aufbringen konnte und rollte dann die Augen, als er den Toaster vor sich stehen sah.

„Guten Tag, Detective Reed“, begrüßte er ihn so höflich, dass Gavin die Tür am liebsten direkt wieder geschlossen hätte.

„Hi“, antwortete er mit heiserer Stimme. „Woher genau weißt du noch mal, wo ich wohne? Nur, damit ich weiß, wen ich umbringen muss?“

„Officer Chen wusste, dass Sie das sagen würden. Und auch, dass ich Ihnen die Suppe als Friedensangebot überreichen soll.“

„Gottverdammte Tina“, murmelte Gavin, ehe er einen Schritt zur Seite machte. „Komm schon rein. Du kannst sich ja wenigstens nicht anstecken.“

Der Android betrat die Wohnung und stellte die Frischhaltedose, in der sich zweifellos die Friedenssuppe befand, auf dem Schrank ab. Gavin winkte ihn ins Wohnzimmer und ließ sich dort auf die Couch fallen, verschränkte die Arme vor der Brust und zog in bester Manier den Rotz zurück in die Nase. Der RK900 folgte ihm und setzte sich auf den Sessel ihm gegenüber.

„Ich würde ja gerne fragen, wie es Ihnen geht, aber ich denke, die Frage hat sich erübrigt.“ Der Android lächelte bei der Aussage dreist, und Gavin verzog nur das Gesicht. Ja, die Antwort auf seine Frage sah er doch vor sich sitzen.

„Weil du es siehst oder weil du mich gescannt hast?“

„Beides, um ehrlich zu sein. Ich will Sie auch nicht lange aufhalten. Ich – oh.“

Gavin grinste schief, als plötzlich jemand auf der Armlehne des Sessels sah und den RK900 mit grünen, mandelförmigen Augen betrachtete. Der Android schien über den Besuch mehr als überrascht zu sein, und streckte mit für den Detective gut sichtbarem Respekt die Hand aus, um über das schwarzweiß gemusterte Fell der Katze zu streicheln. Sie lehnte sich der Berührung sogar entgegen, und begann zu schnurren, als die Finger durch den weichen Pelz glitten. 

„Mir war nicht bekannt, dass Sie eine Katze haben“, sagte der RK900 und sah zu Gavin hinüber, der nur mit den Schultern zuckte. „Ich dachte nur, dass Sie nicht für ein anderes Lebewesen außer sich selbst sorgen können.“

„Wow. Einen ganz kurzen Moment lang warst du mir nicht gänzlich unsympathisch, und dann versaust du es dir wieder.“

Die Finger des Androiden fuhren unter das Köpfchen der Katze, während der RK900 sanft lächelte.

„Sie sind unfreundlich, koffeinabhängig, rauchen gerne und haben nahezu chronischen Schlafmangel, da sollte es Sie nicht wundern, dass ich nicht davon ausgegangen bin, dass Sie Liebe für ein Tier aufbringen können.“

„Ich weiß nicht, wie dich alle Punkte zusammen zu dieser Schlussfolgerung gebracht haben, aber Marbles hat, obwohl sie ein kleines Arschloch ist, nur das Beste verdient.“

Das auf diese Worte folgende Geräusch musste der Mann erst einmal einordnen und sein von der Krankheit angegriffener Verstand brauchte eine Weile, bis er verstand, dass der Android gerade lachte. Das war neu. Und seltsam.

„Marbles also“, hörte er den Androiden sagen, während es sich die Katze langsam auf dem Schoß des Besuchers gemütlich machte.

„Lach du nur, ich hab‘ ihr den Namen nicht gegeben, das war mein dämlicher… Ich hätte sie jedenfalls anders genannt.“

Irgendwie konnte er auch noch nicht fassen, dass er wirklich hier saß und sich mit seinem Androiden vom Revier über seine Katze unterhielt. Wie unwirklich war das denn bitte? Vielleicht hatte er sich beim Kotzen den Kopf an der Kloschüssel angeschlagen und halluzinierte gerade?

„Ich wollte Sie vorhin auch nicht beleidigen, Detective Reed“, meinte der RK900 irgendwann, als Marbles schon auf dessen Schoß lag und vor sich hin schnurrte. „Und ich weiß, dass der Punkt ‚Unfreundlichkeit‘ größtenteils nur mir gegenüber zutrifft. Damit lerne ich aber umzugehen.“

„Du könntest es dir einfacher machen und einfach auch unfreundlich sein?“

„Es mag Sie überraschen, Detective, aber ich finde, dass wir gut zusammenarbeiten. Wir haben eine Erfolgsquote von 78,2% und als Captain Fowler fragte, ob ich lieber einem anderen Partner zugewiesen werden möchte, habe ich abgelehnt.“

Gavin hätte laut Luft ausgestoßen, hätte seine Nase ihn gelassen. Fowler hatte dem Plastikpolizisten die Wahl gelassen und er hatte nicht wechseln wollen? Was zum Teufel stimmte denn nicht mit dieser verrückten Maschine?

„Du hast… was?“

„Auch das mag Sie überraschen, aber ja, ich habe abgelehnt. Sie sind eine Herausforderung, Detective Reed, und ich bin spezialisiert darauf, jede Herausforderung anzunehmen und zu überwinden.“

„Welche Art von Herausforderung soll das sein?“

Der RK900 löste eine Hand aus dem Fell der Katze und hob sie an. Auf dem holografischen Display erschien eine Anzeige, und als sich Gavin nach vorne lehnte, erkannte er so etwas wie eine To-Do-Liste. Ein paar der Punkte waren bereits durchgestrichen, aber unter einigen anderen erkannte er die Aufgabenstellung [Mit Detective Reed anfreunden].

Scheiße, Nines, da hast du dir was vorgenommen.“

Die LED des Androiden leuchtete gelb auf, und er lächelte etwas verhalten, während er die Hand sinken ließ.

„Vielleicht bin ich gar nicht so weit davon entfernt, wie wir beide glauben. Immerhin bin ich mittlerweile bei einem Namen angekommen, der keine direkte Beleidigung ist.“ 

The cat's out of the bag

- Tag 83 -

Waffenstillstand. Ungefähr so wollte Gavin den Zustand beschreiben, in dem sich der RK900 und er jetzt befanden. Natürlich bedeutete Waffenstillstand nicht, dass er keine dummen Kommentare abgab, Himmel, er wäre nicht Gavin Reed, wenn er seinen Androiden nicht ab und an mal beleidigen würde – aber er bemerkte selbst immer öfter, wie seine Worte an Schärfe vermissen ließen und das, genau das, war eigentlich nicht geplant gewesen.

Er wusste nicht, wann es passiert war und das warum kannte er erst recht nicht, aber Fakt war, dass dadurch nicht nur das Leben auf dem Revier ruhiger wurde, auch die sonst aufgestaute Wut in Gavins Bauch kehrte dadurch seltener zurück.

Fand er Androiden immer noch kacke? Ja. Check.

Wünschte er sich die gute alte Zeit zurück, in der man noch nicht jede verdammte Schneeflocke wie etwas ganz Besonderes hatte behandeln müssen? Auf jeden Fall.

Hasste er seinen verdammten Partner immer noch bis auf dessen blaues Blut? Fehlanzeige.

Und genau das machte ihm beschissen viel Angst.

Vielleicht musste er einfach mal wieder ausgehen, um auf andere Gedanken zu kommen. Weg vom Revier, von all den nervtötenden Kollegen, und vor allem weg von dem Androiden, der mittlerweile immer mehr seine Scheu zu verlieren schien. Keine Ahnung, wann er sich angewöhnt hatte, Sarkasmus mit selbigem zu beantworten, aber Gavin fand sich immer öfter in Situationen wieder, in denen er es regelrecht vermisste, sich mit dem Androiden zu kabbeln. Er wollte nicht behaupten, dass es Spaß machte, sich immer wieder mit dem RK900 anzulegen, aber es war auf jeden Fall besser, als tagelang mit angestauter Wut herumzulaufen, weil man alles hinterschlucken musste, was einem auf der Zunge brannte. Und es war auch anders, wenn sich das Gegenüber nicht beleidigt fühlte, sondern vielmehr herausgefordert.

Gottverdammte Androiden.

 

- Tag 84 -

„Sie geben 16 Dollar für einen Kaffee aus, auf dem Ihr Name falsch geschrieben ist?“

Die Augenbrauen des Androiden schossen so in die Höhe, dass Gavin einen Moment lang Angst hatte, dass sie sich von seinem Gesicht ablösen und gen Himmel schweben würden. Zufrieden nahm Gavin einen Schluck aus dem Becher, auf dem in gut lesbaren Buchstaben „Gaffin“ geschrieben stand und hob ihn dann in Nines‘ Richtung.

„Ich bin ein freier Mann, wenn ich mir einen Mocha Middle Light Frappucoffee – eingetragenes Wahrenzeichen – kaufen will, dann tue ich genau das. Wer will mich aufhalten?“

„Ihr nächster Durchfall aufgrund eines Koffeinüberschusses wahrscheinlich.“

„Weißt du, zuerst warst du nur ein millionenschweres Stück Plastikschrott, aber jetzt bist du ein sarkastisches millionenschweres Stück Plastikschrott, und ich weiß echt nicht, ob das besser ist.“

 

- Tag 94 -

„Da steht ein Katzenklo in deinem Apartment.“ Gavin hatte kaum seine Jacke ausgezogen und aufgehängt, als ihm neben dem sehr vertrauen (und verhassten) Geruch auch der Anblick des Katzenklos bekannt vorkam.

„Sie sind sehr aufmerksam, Detective.“ Der RK900 hatte seine Jacke ebenfalls abgelegt (und nach dem Vorfall damals war sich Gavin sicher, dass CyberLife ungefähr fünfhundert dieser Dinger gelagert hatte, weil der Android immer wieder mit einer neuen zurückkam) und sah den Mann aufmerksam an, der gerade das Ein-Zimmer-Apartment betreten hatte.

„Verarsch mich nicht. Warum steht da ein Katzenklo in deinem Apartment?“ Zur Verdeutlichung der Dringlichkeit seiner Frage zeigte Gavins Hand unnötigerweise noch auf den Gegenstand, was den Androiden offensichtlich sehr amüsierte.

„Detective Reed, es gab einen ziemlich bestimmten Grund, warum ich Sie um Hilfe gebeten habe und nicht Connor oder jemand anderen vom Revier“, sagte der RK900 in einem Tonfall, der für ihn wahrscheinlich die Antwort auf alle von Gavins Fragen war. Aber am Arsch, es war nicht die Antwort auf eine einzige davon!

„Weil ich klug bin? Und weil ich weiß, wann man draufhauen muss, weil Argumente manchmal versagen?“

Der Android machte bei dieser Aussage ein Gesicht, als würde er sich sicher sein, dass seine Antwort den Detective verletzen würde, und Gavin warf nur entnervt die Hände in die Luft.

„Rede mit mir, Nines.“

„Ich habe eine Katze.“ Die Antwort kam nicht wirklich unerwartet, aber überraschend. Der RK900 hatte eine Katze. Der verdammte Android hatte sich ein Haustier angeschafft. Jetzt hatte Gavin wirklich alles gesehen und gehört.

„Du?“, hakte er dennoch noch einmal nach. „Du hast eine Katze?“

„Wie sonst erklären Sie sich die Existenz einer Katzentoilette in meinem Eingangsbereich?“

Gavin atmete tief durch, ehe er noch dem Impuls nachgab, den Garderobenständer nach seinem Gegenüber zu werfen. Mittlerweile hatte er schon bemerkt, dass man auch nur Antworten bekam, wenn man die richtigen Fragen stellte. Aber dennoch sah der Ständer gerade wirklich verführerisch aus.

„Wie dem auch sei, ich befürchte, sie mag mich nicht sonderlich. Nicht, dass ich es an irgendwelchen Daten festmachen könnte, es ist eher so ein…“ Der Android hob etwas hilflos die Schultern.

„So ein Gefühl“, half Gavin nach und seufzte, als der RK900 nickte. Er folgte der Maschine nach in den einzig weiteren Raum neben der natürlich unbenutzten Küche und dem Klo, in dem man sich gerade um die eigene Achse drehen konnte. War eben alles für Menschen gebaut wurden, nicht für Maschinen. Der Android kniete sich neben das Bett und wies den Detective an, es ihm gleich zu tun. Gavin starrte unter das Bettgestell – und ein paar bernsteinfarbene Augen starrten zurück, ehe er schon angefaucht wurde.

„Das ist eine Katze, ja, ohne Zweifel.“ Er setzte sich wieder auf und sah den Androiden aufmerksam an. „Warum hast du eine Katze?“

„Weil sie vor dem Apartmentkomplex ausgesetzt wurde und ihre von mir errechneten Überlebenschancen nicht sehr gut standen.“ Wie immer sah der RK900 bei dieser Aussage furchtbar ernst aus, aber die kalten Augen bekamen irgendwie einen ganz anderen Ausdruck. „Außerdem mag ich Katzen.“

Gavin lehnte sich gegen den Bettrahmen und kicherte leise. Schöne Scheiße. Sein Android hatte einmal eine Katze gestreichelt und mochte die Viecher jetzt. Ob sie ihn auch mochten, war immer noch eine ganz andere Frage, denn nur, weil Marbles es tat, hieß es nicht, dass ihn jede Katze mögen würde. Das war bei Menschen ja absolut nicht anders.

„Sie kommt also nicht vor und du bist mit deiner Weisheit endgültig am Ende, weil weder Google noch Yahoo weiterhelfen können.“ Es war keine Frage, sondern vielmehr eine Feststellung. „Dann kümmern wir uns mal darum.“

 

Ein paar Minuten später, nachdem Gavin dem Androiden erklärt hatte, dass die Katze bestimmt wusste, wo sich Klo und Essen befanden und sich nur weigerte, hervorzukommen, weil keine Vertrauensbasis geschaffen war, saßen sie neben dem Bett, hatten eine Spur aus Snacks gelegt und warteten darauf, ob die Katze nicht doch irgendwann hervorkommen würde.

„War das bei Marbles auch so?“, fragte der Android, der wie gebannt auf die Lücke zwischen Bett und Boden starrte.

„Marbles hat mir drei Mal in die Schuhe gepinkelt, nachdem wir sie bekommen haben. Nur in meine Schuhe! Nicht in die von Alex, oder von Besuchern. Nur in meine. Mittlerweile glaub ich, dass es irgendeine krude Art von Liebesbeweis war, aber was weiß ich schon.“

Irgendwann hörten sie Fressgeräusche von unter dem Bett, und nicht viel später schaute ein rotbrauner Katzenkopf unter dem Bett vor, der weitere Leckerlis erschnüffeln wollte.

„Und jetzt bleiben wir ganz ruhig sitzen und schauen mal, wie weit sie vorkommt“, sagte Gavin leise, und sie sahen beide zu, wie sich die Katze langsam den Weg an Leckerlis wegfraß, bis sie fast bei ihnen angekommen war. Neugierig schnüffelte sie umher, sogar an ihren Beinen, miaute kurz klagend, weil anscheinend nicht mehr genug zu Essen da war und zuckte etwas zurück, als der RK900 die Tüte öffnete, um ihr noch mehr hinzulegen. Sie fraß sie auf, beäugte kritisch Nines‘ Hand und rannte dann erst mal wieder zurück unter ihr Bett.

„Würden Sie das als Erfolg verbuchen, Detective?“

„Nun, sie ist unterm Bett vor, kam zu dir… Wenn du ihr jetzt noch einen Namen gibst, dann seid ihr auf dem besten Weg, Freunde zu werden.“

„Einen Namen?“, fragte der RK900 nach, während er aufstand und die Tüte mit den Snacks wieder verschloss. Gavin entging nicht, dass genau das dafür sorgte, dass die Katze noch mal unter dem Bett hervor sah.

„Ja, klar. Willst du sie ‚Katze‘ nennen? Sie braucht einen Namen. Aber vorsichtig: Wenn man jemandem einen Namen gibt, hängt man auch sein Herz mit dran.“

„Das erklärt, warum Sie sich so schwer damit tun, mir einen zu geben, oder, Detective?“ Gavin sah zu dem Androiden hinauf, der mit einem sanften Lächeln zu ihm hinuntersah. Was für ein…! Das war nicht dasselbe, das war ganz und gar nicht dasselbe, was bildete er sich denn ein?!

„Das ist in Ordnung“, meinte der Android irgendwann leise, bis Gavin klar wurde, dass er ihn die ganze Zeit über dümmlich angestarrt haben musste. „Ich komme mittlerweile auch mit schlechten Spitznamen gut zurecht.“

Das war nicht der Punkt. Und das wussten sie beide. Gavin stand auf, klopfte sich den nicht vorhandenen Schmutz von den Knien und rieb sich über den Nacken.

„Tja, dann noch viel Glück mit deiner Katze“, meinte er nur, während er sich auf den Weg zur Tür machte, ohne den Androiden noch einmal anzusehen. Er griff nach seiner Jacke und zog sie an, in dem Wissen, dass er sich gerade einmal mehr wie ein Arschloch verhielt.

„Vielen Dank für Ihre Hilfe, Detective Reed. Einen schönen Abend noch.“

„Ja, was auch immer, Robocop. Was auch immer.“

 

- Tag 96 -

„Ihr Name ist Abby.“

Gavin sah von seiner Zigarette auf, als er die Stimme neben sich hörte. Es hätte nur eine kurze Zigarettenpause sein sollen, ehe sie wieder zurück aufs Revier fuhren und er hatte eigentlich gedacht, dass der Android so lange im Auto sitzen bleiben würde, aber er hatte sich offensichtlich einmal mehr getäuscht. Er stieß den Rauch seines letzten Zuges durch die Nase aus und betrachtete den Androiden, der neben ihm stehen geblieben war.

„Abby, hm? Klingt doch gut.“

„Mittlerweile schläft sie gerne am Fußende, während ich im Standby-Modus bin. Ich wusste nicht, ob es Sie interessiert, aber ich hatte dennoch einen gewissen Mitteilungsbedarf.“ In letzter Zeit schlich sich immer wieder dieses wissende Lächeln auf die Züge des RK900, und obwohl es wirklich nervtötend war, war der Drang, es ihm aus dem Gesicht zu wischen, fast nicht mehr existent.

„Siehst du, Nines, ich sag ja, in Nullkommanix seid ihr beste Freunde. Bitte ladet mich nicht zu euren Filmabenden ein. Oder zu euren Tupperpartys.“

„Zu schade.“ Der Android verschränkte die Hände hinter dem Rücken und sah dem Sonnenuntergang über Detroit zu. „Ich hatte darüber nachgedacht.“

 

- Tag 100 -

„Nines.“

Keine Reaktion.

„Nines!“

Nichts.

NINES!“

Der Android öffnete die Augen, die LED blinkte gelb auf, ehe er zu Gavin hinübersah, als könnte er nicht verstehen, wieso der Mann gerade aufgebracht war, weil der RK900 reglos in seinem Auto saß.

„Ihr Puls ist erhöht, Detective“, stellte der Android ruhig fest, und Gavins Griff um das Lenkrad wurde für einen Moment so fest, dass die Knöchel weiß hervortraten. „Haben Sie sich etwa Sorgen um mich gemacht?“

„Ich hab‘ mir Sorgen darum gemacht, wie ich Fowler erklären soll, dass das beschissene State-of-the-Art-Modell in meinem Auto ausgefallen ist!“

„Also haben Sie sich Sorgen gemacht.“

„Nicht um dich, du beknacktes Stück Plastik!“ Gott. Er brauchte eine Zigarette. Und einen Kaffee. Am besten noch beides! Und konnte der Android aufhören, ihn so dämlich anzusehen? So selbstzufrieden?

„Ich habe lediglich einen Systemcheck durchgeführt. Hätte ich gewusst, dass Sie so schnell zurück sind, hätte ich damit noch etwas gewartet.“

„Fick dich, du hast das extra gemacht. Du wusstest genau, dass ich nur Kippen holen war.“

Er zuckte mit den Schultern. Der verdammte Android zuckte mit den verdammten Schultern. Er würde ihn umbringen. Umbringen und auf irgendeiner Müllhalde ausliefern und es dann ein wenig bereuen, weil er niemanden mehr hätte, mit dem er sich anlegen konnte, aber er würde es tun, er würde genau das tun!

„Ist Ihnen schon mal aufgefallen, dass Sie mich nur Nines nennen, wenn Sie entweder besorgt oder aber ziemlich zufrieden sind?“

„Halt die Klappe.“

„Wirklich, Gavin, achten Sie nur einmal darauf. Es ist fast schon so, als würden Sie ein klein wenig an mir hängen.“

„Oh Gott. Zwing mich nicht, dir mit meiner Dienstwaffe den Schädel einzuschlagen.“

„Weil Sie mich dann vermissen würden?“

Er hasste diesen gottverdammten Androiden nicht. Er hasste es, dass er sich nicht vorstellen wollte, wie langweilig die Arbeit mittlerweile ohne ihn wäre. Und das war noch so viel schlimmer.

Das hatte er nun davon, dass er sich einen Namen für dieses gottvermaledeite Stück Plastikschrott ausgesucht hatte. Als hätte er einen verdammten Streuner angefüttert und jetzt hatte er das Viech am Hals. Nur, dass das Viech ein eins neunzig großer Android war, der ihm wahrscheinlich das Genick brechen könnte, wenn er es denn nur wollte.

 

Das hatte man davon, wenn man einen Namen vergab. Da hing immer noch ein bisschen Herz mit dran.



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Kommentare zu dieser Fanfic (1)

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Von:  Moira-chan
2020-07-27T22:43:12+00:00 28.07.2020 00:43
ich finde die ff super geschrieben, musste oft lachen. :D


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