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Stray Cats

von

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See which way the cat jumps

- Tag 30 -

So, wie der Android am Rande des Geschehens auf dem Bordstein saß, sah er fast schon verloren aus. Als wäre es seine Schuld, dass die Situation eskaliert war, dass der Android, der sich einen Menschen als Geisel genommen hatte, diese im Eifer des Gefechts beinahe erschossen hätte und deswegen von der Polizei hatte ausgeschaltet werden müssen. Ja, vielleicht hätte man das verhindern können, aber wer wusste das schon? Gavin war lange genug in diesem Job, um zu wissen, dass man manche Dinge einfach nicht verhindern konnte.

Seufzend zog er seine Zigarettenschachtel aus der Tasche, entnahm eine und zündete sie an. Um ihm herum waren Spurensicherung und Einsatzkräfte, redeten durcheinander, versorgten die Geisel, betrachteten die Überbleibsel des Androiden. Gavin ging zu seinem Androiden hinüber, betrachtete den RK900 schweigend, ehe er einen tiefen Zug von seiner Zigarette nahm und den Rauch in die kalte Nachtluft von Detroit blies.

„Was ist los?“, fragte er schließlich und legte den Kopf schief. „Das, was da passiert ist, hättest du auch mit noch mehr Verhandlungsgeschick nicht verhindern können, Knalltüte. Nur, falls du Sorge hast, dass es deine Schuld war.“

Der Android schwieg sich aus, aber der Detective konnte an der sich gelb drehenden LED erkennen, dass ihn diese Sache beschäftigte. Mehr, als gut für ihn war.

„Würde dir ja ‘ne Zigarette anbieten, aber Rauch kannst du zwischen deinen mahlenden Zahnrädern sicher nicht brauchen, hm?“

Noch immer keine Antwort. Gavin fuhr sich mit der Hand durch die Haare, ehe er sich mit einem entnervten Laut neben den Androiden fallen ließ, die glimmende Zigarette noch immer zwischen den Lippen.

„Die Rollen hätten genauso gut vertauscht sein können“, sagte der RK900 schließlich, ohne Gavin dabei anzusehen.

„Ja, dann hätten wir den Menschen davon abhalten müssen, den Androiden zu erschießen. Selbes Problem, nur mit weniger Plastikmüll und mehr Blut.“

„Dann hätte die Polizei einen Menschen erschossen.“

„Nein, kein Scheiß, sag bloß. Vor dem Gesetz sind wir doch jetzt fast alle gleich. Hätte es da einen Unterschied gemacht?“ Bei Gavins letztem Satz sah der Android endlich auf, mit rot leuchtender LED. Der Detective traf seinen Blick und runzelte die Stirn.

„Sie sagten, Androiden leben nicht“, meinte der RK900 leise. Anscheinend erinnerte er sich an alles, was Gavin sagte, viel zu gut. Er selbst hatte das schon wieder verdrängt.

„Spielt es eine Rolle, was ich sage und glaube, Toaster?“, erwiderte Gavin schnippisch und drückte seine Zigarette auf dem Bordstein aus, ehe er aufstand und sich die Kapuze aufzog, weil es zu nieseln begonnen hatte.

„Ja.“ Die Antwort, die auf sich hatte warten lassen, traf ihn ziemlich unvorbereitet. „Sie sind mein Partner, und Sie haben eine Menge Erfahrung. Das mag für Sie nichts bedeuten, Detective, aber trotz Ihres feindlichen Auftretens habe ich Vertrauen in Ihre Fähigkeiten.“

„Oh“, gab Gavin lahm von sich und starrte den Androiden vor sich fassungslos an. Mit vielen Antworten hätte er gerechnet, aber das… war überraschend.

„Ich würde gerne zurück auf das Revier.“ Etwa eine halbe Minute hatten sie sich ziemlich unangenehm angeschwiegen, und bis der RK900 wieder zu reden begonnen hatte, war der Nieselregen zu einem ausgewachsenen Regenschauer geworden. Gavin nickte nur, sah noch einmal zum Tatort hinüber und ging dann zu seinem Wagen hinüber. Als sie auf dem Revier angekommen waren, stieg der Android aus, aber ehe er die Tür schloss, lehnte er sich noch einmal nach unten, begegnete Gavins Blick ein weiteres Mal. Der Detective war mehr als überrascht, ein schwaches Lächeln auf dem Gesicht seines Partners zu sehen.

„Und danke für Ihren Zuspruch, Detective Reed.“

Gavin sparte sich die Erklärung, dass Zuspruch nicht mit dem einfachen Aussprechen der Wahrheit gleichzusetzen war, und winkte nur ab.

„Verpiss dich schon.“

 

- Tag 41 -

„Es ist fast 23 Uhr, Detective.“

„Ich bin stolz auf dich. Du kannst schon die Uhr lesen, ganz wie ein Großer!“

„Sie sind übermüdet und schon wieder dezent angepisst. Ich schlage vor, dass Sie heimfahren und sich hinlegen.“

„Ja, Mutti, ich geh doch gleich… Warte! Hast du gerade wirklich gesagt, dass ich dezent angepisst bin?“

„Ich wusste, dass Sie diesem Detail die nötige Aufmerksamkeit schenken würden. Und jetzt gehen Sie bitte nach Hause.“

„Leck mich, Aushilfsterminator.“

 

- Tag 57 -

Wenn er behauptet hätte, dass er noch nie darüber nachgedacht hätte, den Androiden zu erschießen und auf der nächstbesten Mülldeponie zu entsorgen, dann hätte er gelogen. Aber Gedanken waren die eine Sache, die Realität eine andere.

Gavin hatte schon einige Male gesehen, wie Kollegen im Dienst angeschossen wurden, Himmel, er hatte selbst die ein oder andere Narbe von einem Schusswechsel davongetragen, aber zu sehen, wie der RK900 wie ein nasser Sack zu Boden fiel, weil er den Detective aus der Schusslinie hatte halten wollen, das war eine gänzlich andere Geschichte. Natürlich hätten sie ahnen müssen, dass die Demonstranten bewaffnet sein könnten, aber Gavin und der RK900 waren auch nicht für die Arbeit an der Front eingeteilt, sondern nur als Beobachter, die notfalls einschreiten konnten. Dass einer der Männer durchgedreht war, als er den Androiden an der Seite des Polizisten gesehen hatte, war aber irgendwie doch zu unerwartet gewesen.

Vier Stunden später saß er im Wartezimmer einer Androiden-Arztpraxis, derselben, die vor mehr als einem Jahr noch als einfache Werkstatt bezeichnet worden war. Aber wie alles in Detroit hatte sich auch das hier nach der Revolution geändert.

Neben ihm auf dem Tisch standen drei leere Kaffeebecher, und er hätte trotz seines unangenehmen Herzrasens jederzeit wegnicken können. Sein Kopf fiel sogar gerade zur Seite, als sich die Tür öffnete.

„Detective Reed?“, fragte der RK900 überrascht und vorsichtig zugleich, und Gavin konnte diesen verdammten Brummkreisel an der Schläfe des Blecheimers rotieren sehen. „Waren Sie die ganze Zeit hier?“

„Kann sein“, antwortete Gavin wahrheitsgemäß und deutete auf das Datenpad neben sich. „Die erste Stunde konnte ich damit zubringen, den Bericht darüber zu schreiben, wie du ganz unzeremoniell zu Boden gegangen bist, ab da war es ziemlich langweilig.“

Unauffällig betrachtete er den Androiden. Es war keine Spur mehr von dem Einschuss zu sehen, nur das Loch im Rollkragenpullover erinnerte noch daran, wo er getroffen worden war. Tja, das war der Vorteil daran, wenn man nicht aus Fleisch und Blut bestand, sondern aus einer Menge Einzelteilen aus Plastik und Metall – irgendwer hatte immer ein Ersatzteil da.

Gavin schluckte die wieder aufkeimende Wut über diesen unfairen Umstand hinter – Konnte ja niemand etwas dafür, dass die Androiden widerstandsfähiger waren und leichter heil zu machen, außer diesen Pissern von CyberLife vielleicht.

„Sie hätten das nicht tun müssen.“

„Und du hättest dich nicht erschießen lassen müssen, aber hier sind wir wohl, hm?“

Es war kein Dankeschön, im Grunde schuldete Gavin ihm keinen Dank, warum auch? Der Mann hatte den Androiden erschießen wollen, dabei fast den Polizisten getroffen und dann am Ende doch sein eigentliches Ziel durchsiebt. Es ärgerte ihn regelrecht, dass es keinen wirklichen Grund für ihn gab, hier zu sitzen und auf den beschissenen Androiden zu warten, außer, weil er dachte, er würde es ihm schulden.

„Deine Jacke hat es übrigens nicht überlebt. Möge Sie in Frieden ruhen.“

„Es ist nur eine Jacke, Detective Reed. Aber wenn Sie möchten, verbrennen wir sie natürlich feierlich für ihren aufopferungsvollen Dienst.“

Gavin schnaubte verächtlich, aber nur, um das Lachen zu unterdrücken, das sich gerade anbahnte. Diese Blechbüchse hatte in nicht einmal zwei Monaten besser mit Sarkasmus umzugehen gelernt, als diese Dumpfbacke Connor in mehr als einem Jahr.

„Okay, was auch immer. Lass uns hier verschwinden.“

 

- Tag 71 -

Er hasste es, krank zu sein. Von einem Männerschnupfen ließ er sich selten ins Boxhorn jagen, aber eine ausgewachsene Grippe war etwas anderes. Mehr als einmal hatte er sein Leben an sich vorbeiziehen sehen, und noch einmal mehr hatte er die Toilettenschüssel von innen betrachten dürfen. Es war ein Elend ohnegleichen.

Als es irgendwann an der Tür klingelte, hallte das Geräusch unangenehm in seinen Ohren nach. Knurrend schleppte er sich zur Wohnungstür, öffnete sie mit dem bösartigsten Gesicht, dass er in seinem momentanen Zustand aufbringen konnte und rollte dann die Augen, als er den Toaster vor sich stehen sah.

„Guten Tag, Detective Reed“, begrüßte er ihn so höflich, dass Gavin die Tür am liebsten direkt wieder geschlossen hätte.

„Hi“, antwortete er mit heiserer Stimme. „Woher genau weißt du noch mal, wo ich wohne? Nur, damit ich weiß, wen ich umbringen muss?“

„Officer Chen wusste, dass Sie das sagen würden. Und auch, dass ich Ihnen die Suppe als Friedensangebot überreichen soll.“

„Gottverdammte Tina“, murmelte Gavin, ehe er einen Schritt zur Seite machte. „Komm schon rein. Du kannst sich ja wenigstens nicht anstecken.“

Der Android betrat die Wohnung und stellte die Frischhaltedose, in der sich zweifellos die Friedenssuppe befand, auf dem Schrank ab. Gavin winkte ihn ins Wohnzimmer und ließ sich dort auf die Couch fallen, verschränkte die Arme vor der Brust und zog in bester Manier den Rotz zurück in die Nase. Der RK900 folgte ihm und setzte sich auf den Sessel ihm gegenüber.

„Ich würde ja gerne fragen, wie es Ihnen geht, aber ich denke, die Frage hat sich erübrigt.“ Der Android lächelte bei der Aussage dreist, und Gavin verzog nur das Gesicht. Ja, die Antwort auf seine Frage sah er doch vor sich sitzen.

„Weil du es siehst oder weil du mich gescannt hast?“

„Beides, um ehrlich zu sein. Ich will Sie auch nicht lange aufhalten. Ich – oh.“

Gavin grinste schief, als plötzlich jemand auf der Armlehne des Sessels sah und den RK900 mit grünen, mandelförmigen Augen betrachtete. Der Android schien über den Besuch mehr als überrascht zu sein, und streckte mit für den Detective gut sichtbarem Respekt die Hand aus, um über das schwarzweiß gemusterte Fell der Katze zu streicheln. Sie lehnte sich der Berührung sogar entgegen, und begann zu schnurren, als die Finger durch den weichen Pelz glitten. 

„Mir war nicht bekannt, dass Sie eine Katze haben“, sagte der RK900 und sah zu Gavin hinüber, der nur mit den Schultern zuckte. „Ich dachte nur, dass Sie nicht für ein anderes Lebewesen außer sich selbst sorgen können.“

„Wow. Einen ganz kurzen Moment lang warst du mir nicht gänzlich unsympathisch, und dann versaust du es dir wieder.“

Die Finger des Androiden fuhren unter das Köpfchen der Katze, während der RK900 sanft lächelte.

„Sie sind unfreundlich, koffeinabhängig, rauchen gerne und haben nahezu chronischen Schlafmangel, da sollte es Sie nicht wundern, dass ich nicht davon ausgegangen bin, dass Sie Liebe für ein Tier aufbringen können.“

„Ich weiß nicht, wie dich alle Punkte zusammen zu dieser Schlussfolgerung gebracht haben, aber Marbles hat, obwohl sie ein kleines Arschloch ist, nur das Beste verdient.“

Das auf diese Worte folgende Geräusch musste der Mann erst einmal einordnen und sein von der Krankheit angegriffener Verstand brauchte eine Weile, bis er verstand, dass der Android gerade lachte. Das war neu. Und seltsam.

„Marbles also“, hörte er den Androiden sagen, während es sich die Katze langsam auf dem Schoß des Besuchers gemütlich machte.

„Lach du nur, ich hab‘ ihr den Namen nicht gegeben, das war mein dämlicher… Ich hätte sie jedenfalls anders genannt.“

Irgendwie konnte er auch noch nicht fassen, dass er wirklich hier saß und sich mit seinem Androiden vom Revier über seine Katze unterhielt. Wie unwirklich war das denn bitte? Vielleicht hatte er sich beim Kotzen den Kopf an der Kloschüssel angeschlagen und halluzinierte gerade?

„Ich wollte Sie vorhin auch nicht beleidigen, Detective Reed“, meinte der RK900 irgendwann, als Marbles schon auf dessen Schoß lag und vor sich hin schnurrte. „Und ich weiß, dass der Punkt ‚Unfreundlichkeit‘ größtenteils nur mir gegenüber zutrifft. Damit lerne ich aber umzugehen.“

„Du könntest es dir einfacher machen und einfach auch unfreundlich sein?“

„Es mag Sie überraschen, Detective, aber ich finde, dass wir gut zusammenarbeiten. Wir haben eine Erfolgsquote von 78,2% und als Captain Fowler fragte, ob ich lieber einem anderen Partner zugewiesen werden möchte, habe ich abgelehnt.“

Gavin hätte laut Luft ausgestoßen, hätte seine Nase ihn gelassen. Fowler hatte dem Plastikpolizisten die Wahl gelassen und er hatte nicht wechseln wollen? Was zum Teufel stimmte denn nicht mit dieser verrückten Maschine?

„Du hast… was?“

„Auch das mag Sie überraschen, aber ja, ich habe abgelehnt. Sie sind eine Herausforderung, Detective Reed, und ich bin spezialisiert darauf, jede Herausforderung anzunehmen und zu überwinden.“

„Welche Art von Herausforderung soll das sein?“

Der RK900 löste eine Hand aus dem Fell der Katze und hob sie an. Auf dem holografischen Display erschien eine Anzeige, und als sich Gavin nach vorne lehnte, erkannte er so etwas wie eine To-Do-Liste. Ein paar der Punkte waren bereits durchgestrichen, aber unter einigen anderen erkannte er die Aufgabenstellung [Mit Detective Reed anfreunden].

Scheiße, Nines, da hast du dir was vorgenommen.“

Die LED des Androiden leuchtete gelb auf, und er lächelte etwas verhalten, während er die Hand sinken ließ.

„Vielleicht bin ich gar nicht so weit davon entfernt, wie wir beide glauben. Immerhin bin ich mittlerweile bei einem Namen angekommen, der keine direkte Beleidigung ist.“ 



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