Tatsächlich schwul von Maginisha ================================================================================ Kapitel 3: Milchbubi -------------------- Nick machte sich gerade an der Abdeckung der Schaufenster-Rückwand zu schaffen, als die Tür aufging und sich das Klackern von Stöckelschuhen mit dem Klingeln der Ladenglocke mischte. Er stellte die schwarze Platte vorsichtig auf den Boden, klopfte sich die Hände ab und drehte sich um. Da stand in ihrer vollen Pracht Renata auf der Türschwelle und neben ihr … ein Alptraum. „Hey, ihr beiden, ich bin wieder da.“ Renatas Stimme war immer noch etwas kratzig, aber es war unverkennbar, dass sie bereits wieder fest im Sattel saß. Die Gestalt neben ihr hingegen versprach nicht viel Gutes. Nick ließ seinen Blick einmal von unten nach oben schweifen und konnte sich gerade noch davon abhalten, ein „Was ist das denn?“ von sich zu geben. Da waren zum einen die weißen Turnschuhe, die so gar nicht zu dem draußen herrschenden, herbstlichen Wetter passten. Es folgte eine ausgeblichene Jeans, die aus mehr Löchern als Stoff zu bestehen schien. Ein weißes T-Shirt, das auch als Unterhemd hätte durchgehen können, versteckte sich nur notdürftig unter einer knappen, schwarzen Lederjacke. Das Ganze endete einem verstrubbelten dunklen Haarmob mit blondierten Spitzen. Als Krönung des Ganzen steckte in einer der dunklen Augenbrauen auch noch ein ringförmiges Piercing. Lisa kam aus der Teeküche und strahlte bei Renatas Anblick von einem Ohr zum anderen. Ohne zu zögern ging sie auf ihre Chefin und dieses Ding an ihrer Seite zu. „Hallo, mein Name ist Lisa“, sagte sie und hielt dem Jungen, bei dem es sich wohl um Renatas Neffen handeln musste, die Hand hin. „Javier“, sagte ihr Gegenüber und schüttelte die ihm hingehaltene Hand. Dabei sprach er den Namen so aus, wie er geschrieben wurde. Mit weichem J. Renata schnalzte missbilligend mit der Zunge. „Das ist nicht der Name, den deine Mutter für dich ausgesucht hat.“ Der Junge rollte mit den Augen. „Ja, Tante Nata. Aber es spricht ihn sowieso jeder so aus. Warum sich also die Mühe machen?“ In diesem Moment entdeckte er Nick und begann zu grinsen. Nick, der es für angebracht hielt, den Neuankömmling ebenfalls zu begrüßen, kam langsam näher und streckte die Hand aus. „Hallo Javier.“ Dabei sprach er den Namen korrekt aus, mit einer Mischung aus Ch und R am Anfang. „Ich bin Nick.“ „Nick so wie in 'Nick the chick'?“ Okay, jetzt war sich Nick sicher, dass er ihn nicht leiden konnte. So gar nicht. Zu seinem Glück schickte Renata Lisa los, um Javier alles zu zeigen, sodass Nick sich wieder seinem Schaufenster zuwenden konnte. Er hörte, wie die beiden durch den Laden liefen, während Renata erst mal in ihr Büro ging, um alles zu sichten, was während ihrer Abwesenheit liegengeblieben war. Nick konzentrierte sich auf seine Arbeit. Zunächst entfernte er die vorherige Dekoration und verstaute die dazu verwendeten Artikel in Kisten und Kartons, die er dafür bereitgestellt hatte. Anschließend ging er daran, das Fenster neu herzurichten. Er kleidete zunächst die beiden Mannequins ein. Eines bekam eine gewagte Komposition in strahlendem Rot, die andere ein bedeckteres Ensemble aus schwarzer Spitze übergestreift. Er korrigierte noch ein wenig an der Positionierung der Puppen herum, sodass es aussah, als würden sie einander ansehen, bevor er sich an die weitere Umgebung machte. Auf dem Boden drapierte er schwarze Schleier und rote Seidentücher. Dazwischen stellte er noch ein kleines Tischchen, auf den er einen künstlichen Totenschädel legte. Darauf war eine weiße Kerze befestigt, deren größten Teil er am Abend zuvor über den Schädel hatte tropfen lassen. Ein altes, in Leder gebundenes Buch vervollständigte die Kulisse. Nach einer kurzen Überlegung wand er noch einige Streifen schwarzen Spitzenstoff um die Tischbeine, als würden diese gerade daran emporwachsen. Zufrieden mit dem bisherigen Werk krabbelte er wieder aus dem Fenster und ging daran, den Hauptaugenmerk zu kreieren, den er sich für das Bild vorgestellt hatte. Renata würde vermutlich rummeckern, dass das Ganze eher nach Mexiko gehörte, aber wenn sie erst mal das Gesamtbild sah, würde sie sicherlich zufrieden sein. Leider hatte er auf die Schnelle keine entsprechenden Requisiten bekommen können, sodass er jetzt selbst ans Werk gehen musste, und zwei einfache, weiße Masken in stilvolle Abbilder der berühmten Zuckerschädel vom Dias de los Muertos zu verwandeln. Er zog die Unterlippe zwischen die Zähne und begann zu malen. „Was machst du da?“ Nick wäre beinahe die Maske aus der Hand gerutscht. Zwar konnte er das gerade noch verhindern, aber dafür zierte jetzt ein hässlicher, schwarzer Strich die untere Gesichtshälfte. Na toll! Das waren die letzten zwei Exemplare gewesen, die er im Bastelladen bekommen hatte. Eine neue kaufen und von vorne anfangen, schied somit aus. „Arbeiten“, knurrte er und versuchte weiter, Javier, der sich neugierig zu ihm herüberbeugte, zu ignorieren. „Sieht ja toll aus.“ Nick ging nicht darauf ein. „Wo ist Lisa?“, fragte er stattdessen und überlegte, wie er die Maske noch retten konnte. „Macht mir einen Tee.“ Javier steckte die Daumen in die Gürtelschlaufen seiner Jeans und zog sie so noch ein Stück nach unten. „Wolltest du auch einen?“ „Nein.“ Nick beschloss, den Strich in eine weitere Blumenranke zu verwandeln. Dann wäre die Maske zwar nicht mehr symmetrisch, aber immerhin sah es nicht so aus, als habe er versucht, eine Narbe zu kreieren. Narben verkauften keine Dessous. Plötzlich schob sich eine Hand in sein Sichtfeld. Eine ausgestreckte Hand. Er sah auf und blickte in ein Paar braune Augen. „Javier Felipe Ramos Navarro. Falls du mich lieber mit vollem Namen ansprechen willst.“ Nick runzelte die Stirn und machte keine Anstalten, die Begrüßung zu erwidern. Immerhin hatte er ja die Hände voll. „Ich kann auch 'Herr Kaufmann' zu dir sagen, wenn es das irgendwie besser macht.“ Nick presste die Lippen aufeinander. Renata hatte also von ihm erzählt. Das erklärte so einiges. Und es machte es keinen Deut besser. Javier zog seine Hand wieder zurück, um sie in seiner Hosentasche zu versenken. Die Jeans rutschte noch ein Stück weiter nach unten und entblößte etwas braune Haut und einen schwarzen Gummibund. Nick stöhnte lautlos und wandte sich wieder seiner Maske zu. Deren schmaler Mund schien sich in einem spöttischen Lächeln zu kräuseln. „Dekorierst du das Schaufenster?“ Javier gab es nicht auf, mit ihm Konversation betreiben zu wollen. Allerdings fiel Nick in diesem Moment ein, dass er Renata ja versprochen hatte, sich um den Jungen zu kümmern. Also musste er wohl oder übel in den sauren Apfel beißen und ihm antworten. „Ja, das tue ich. Wenn du mir helfen willst, kannst du mal die Kartons nach hinten tragen. Da sind die alten Sachen drin.“ „Geht klar.“ Javier beugte sich auf eine Weise nach unten, die Nick nur als obszön bezeichnen konnte, und fischte einen kleinen Karton vom Boden. Er wedelte damit herum. „Wo soll der hin?“ Jetzt hatte Nick endgültig die Nase voll. Er legte die Maske weg, nahm den winzigen Karton aus Javiers Hand, stellte ihn auf die zwei größeren Kisten und drückte dem verdutzten Jungen den ganzen Stapel in die Arme. „Rechts die Tür neben der Teeküche. Dann kannst du gleich mal Lisa fragen, ob sie die alten Vorhänge von den Kabinen noch hat. Wenn ja, soll sie dir die geben. Die Leiter, gleich links neben dem Eingang brauche ich auch. Schaffst du das?“ Javier öffnete den Mund, um etwas zu sagen, dann schloss er ihn jedoch wieder und grinste Nick an. „Wird gemacht, Chef.“ „Gut. Und bring auch noch den Werkzeugkasten mit. Ich muss da noch was anbringen.“ „Okay.“ Nick sah Javier nach, der mit seiner Last durch die Reihen balancierte, und schüttelte leicht den Kopf. Was genau er von der Sache halten sollte, wusste er noch nicht, aber eines stand ohne Zweifel fest: Die Zusammenarbeit mit Javier würde nicht einfach werden. Den Beweis dafür bekam Nick ungefähr zehn Minuten später, als er auf der Leiter stand und versuchte, einen Haken in die Holzdecke über dem Schaufenster zu drehen. Er wollte daran den roten Samtstoff drapieren, sodass das Schaufenster wie eine Theaterbühne wirkte. Als er sich umdrehte, um Javier nach einer Zange zu fragen, erwischte er diesen dabei, wie er ihm unmissverständlich auf den Hintern schaute. Als er Nicks Blick bemerkte, wackelte er mit den Augenbrauen. „Nette Aussicht von hier unten.“ Nicks Finger umklammerten die letzte Stufe der Leiter. Also gut, er hatte es auf die nette Art versucht, aber wenn Javier darauf bestand ... „Bei der Arbeitseinstellung wundert es mich nicht, dass du aus deinen letzten zwei Stellen rausgeflogen bist.“ In Javiers Augen blitzte es auf. „Ich bin nicht geflogen, ich habe gekündigt. Die in der Bank haben verlangt, dass ich in Hemd und Anzug rumlaufe wie ein verdammter Pinguin. Und eine Krawatte sollte ich tragen. So ein Ding schnürt doch die Sauerstoffzufuhr zum Gehirn ab.“ Nick, der heute eine Krawatte trug, ging nicht auf die Spitze ein. „Und die zweite Stelle?“ Javier senkte den Blick. „Die war auch nichts. Nicht meine Branche.“ „Was ist denn deine Branche?“ Er verkniff sich ein „Pornos drehen?“ hinten dranzuhängen. „Keine Ahnung“, fauchte der Junge jetzt und schien ernsthaft wütend. „Deswegen bin ich ja hier, oder nicht? Damit ich rausfinde, was ich mit meinem verfickten Leben anfangen kann.“ „Wenn ich das einmal höre, wenn eine Kundin hier drinnen ist, fliegst du hier auch achtkantig raus.“ Nick wollte noch etwas anfügen, als plötzlich die Ladentür geöffnet wurde und tatsächlich jemand hereinkam. Er schickte Javier noch einen warnenden Blick, stieg von der Leiter und eilte zum Eingang. „Kann ich Ihnen ...“ Der Rest des Satzes blieb ihm im Hals stecken, als er sah, dass sich die Frau mit einem sperrigen Gefährt abmühte, das einfach nicht über die Stufe am Ladeneingang fahren wollte. Es dauerte eine Weile, bis er auf die Idee kam, die Tür aufzuhalten, damit die Kundin den Buggy hineinbefördern konnte. Sie lächelte Nick dankbar an. „Oh, danke sehr. Ich hasse dieses Ding. Normalerweise hab ich Anton ja in der Trage, aber beim Einkaufen ist es ganz praktisch, den Wagen dabeizuhaben, um das ganze Zeug darin abzuladen.“ Sie schloss die Tür und schnaufte. Ihre Wangen waren rosig und ihre Augen funkelten unternehmungslustig, auch wenn deutliche Schatten darunter lagen. „Ist Lisa da?“ Lisa? Lisa! Genau. Seine Rettung. Er musste sofort Lisa holen. „Lisa! Kundschaft!“ Der Vorhang zum hinteren Bereich öffnete sich und Lisa kam mit zwei Teetassen herein. Als sie die Frau erblickte, begann sie zu strahlen. „Hi, Nicole! Lange nicht gesehen.“ Die Frauen ergingen sich in einer gründlichen Umarmung, nachdem Lisa Nick kurzerhand die beiden Teetassen in die Hand gedrückt hatte. „Wie geht es dir?“ „Ach, eigentlich ganz gut, wenn Anton nicht schon wieder Zähne kriegen würde. Der knöttert die ganze Nacht herum und lässt mich nicht schlafen. Aber ansonsten ganz prima.“ Nick lauschte dem Entzückensschrei, der Lisa entfuhr, als sie erwähnten Anton in seinem Wagen entdeckte, der das ganze mit undefinierbaren Babylauten über sich ergehen ließ. Das entsprach auch ungefähr Nicks geistigem Zustand. Als ihm plötzlich eine der Teetassen abgenommen wurde, sah er irritiert zur Seite. Javier blies in die Tasse. „Das ist doch meine, oder?“ Er nahm einen Schluck. Nick nickte nur. Es war nicht so, dass er etwas gegen Babys hatte. Es war nur so, dass die etwas gegen ihn hatten. Wann immer er in den zweifelhaften Genuss kam, eines dieser dauersabbernden Geschöpfe auf den Arm nehmen zu müssen, begann es sofort in den höchsten Tönen zu kreischen. Eines hatte sich sogar mal auf ihm erbrochen und Nick hatte daraufhin den ganzen Tag dezent nach vergorener Milch gerochen. Das war keine Erfahrung, die er wiederholen wollte. Dummerweise hatte das „El Corpiño“ auch einen gewissen Ruf, was den Vertrieb von … „Ich brauche unbedingt einen neuen Still-BH.“ Lisa und ihre Freundin hatten ihre Freundschaftsbekundungen inzwischen beendet und waren zum wahren Grund von Nicoles Anwesenheit durchgedrungen. „Wenn ich gewusst hätte, dass es die Dinger auch in schön gibt, wäre ich ja gleich zu euch gekommen. Aber als ich dann Babsis beim letzten Still-Treff gesehen habe, hab ich sie gleich gefragt, wo sie den herhat. Ich hätte mir gegen die Stirn schlagen können, dass ich nicht gleich drauf gekommen bin.“ „Das nennt sich Still-Demenz“, antwortete Lisa mit einem Grinsen. Sie sah zu Nick. „Soll ich das Vermessen übernehmen?“ Nick war immer noch wie erstarrt. Wenn es um Still-BHs ging, war ein entsprechendes Fitting für ihn vergleichbar mit der Wahl zwischen Pest und Cholera. Denn falls man Lisas Freundinnen, die bereits Nachwuchs hatten, glauben konnte, waren die Brüste stillender Mütter quasi immersprudelnde Milchquellen, die bei der kleinsten Berührung oder – noch schlimmer – beim leisesten Baby-Quieks anfingen, das weiße Gold in Strömen zu vergießen. Da gab es Geschichten von handtellergroßen nassen Flecken auf farbigen T-Shirts beim Einkaufen und ähnlichen peinlichen Pannen. Und da sich die ach-so-gleichberechtigten Väter leider beim Kauf von Still-BHs trotzdem rar machten, blieb es, wenn die entsprechende Mutter sich nicht erbarmt hatte, eine Freundin mitzubringen, meist an Nick hängen, sich während der Beratung um den brabbelnden Anhang zu kümmern. Er hätte natürlich Renata rufen können, aber … „Nick und ich werden uns um das Kind kümmern.“ Nick blinzelte überrascht, als sich plötzlich eine Hand auf seine Schulter legte. Da Javier ein Stück kleiner war als er, hatte er sich damit begnügt, seine linke Hand auf Nicks rechter Schulter zu platzieren. Als er Nicks Blick bemerkte, drehte er sich halb zu ihm herum und zwinkerte ihm verschwörerisch zu. Nick stellte fest, dass Pest sich doch gar nicht so schlecht anhörte, wenn Cholera hieß, dass er zusammen mit Javier auf den Knirps aufpassen musste. „Das ist super“, strahlte Nicole sie an. „Er ist auch ganz pflegeleicht. Wenn er anfängt zu weinen, müsst ihr ihn nur aus dem Wagen nehmen und ihn ein bisschen rumgucken lassen. Das liebt er. Besonders Spiegel sind gerade total in.“ „Na ein Spiegel wird sich wohl finden lassen“, versicherte Javier und beugte sich zu dem Kind herab, das ihn mit großen Augen ansah. „Nicht wahr, kleiner Mann, wir werden schon miteinander klarkommen. Wie alt ist er denn?“ „Sieben Monate.“ Das Baby gluckste freudig und versuchte, sich seine ganze Hand in den Mund zu stecken. Dabei sabberte es wie ein Weltmeister und strampelte mit den Füßen. Lisa verschwand mit ihrer Kundin im Fitting-Bereich und ließ Nick, Javier und das Baby allein. Nick merkte, dass er schwitzte. Möglichst unauffällig wischte er sich die Handflächen an seiner Hose ab. „Mach dir mal nicht ins Hemd, Nick“, sagte Javier, während er den kleinen Anton an den Füßen kitzelte. „Die meisten Babys fangen erst später an zu fremdeln.“ „Aha.“ Was immer das auch hieß. „Und das weißt du woher?“ Javier machte Grimassen, was Anton interessiert verfolgte und sogar vergaß, an seiner Hand zu kauen. Ein Spuckefaden lief ungebremst nach unten und durchtränkte den Kragen seiner Jacke. „Hab früher mal nebenbei Kohle mit Babysitten verdient. Bei uns in der Straße gab's ne ganze Menge von den kleinen Hosenscheißern. Ich kann ganz gut mit denen.“ Obwohl Anton keinen Laut des Unmuts von sich gegeben hatte, löste Javier jetzt die Gurtschlösser und nahm das Kind auf den Arm. Für einen kurzen Augenblick, sah es aus, als wolle Anton anfangen, sich darüber zu beschweren. Aber als Javier anfing, mit ihm durch den Laden zu gehen und ihm irgendwas auf Spanisch zu erzählen, gab er sofort wieder Ruhe und hörte zu, was der große Typ mit der windigen Frisur und der Lederjacke so von sich gab. Nick sah ihm nach und musste zugeben, dass es zumindest einen Vorteil hatte, dass Javier jetzt im Laden war. In Zukunft würde er derjenige sein, der von den Babys vollgekotzt wurde.   Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)