Omniscient von lady_j (YuKa) ================================================================================ Kapitel 9: Bakuten III - Finale II ---------------------------------- We knew the world would not be the same. A few people laughed, a few people cried, most people were silent. I remembered the line from the Hindu scripture, the Bhagavad-Gita: Vishnu is trying to persuade the Prince that he should do his duty and, to impress him, takes on his multi-armed form and says, „Now I am become Death, the destroyer of worlds.“ I suppose we all thought that, one way or another. (Robert Oppenheimer) Kaum zu glauben, dass diese Attacke unwirksam war. Gott, Boris würde sauer sein. Der ganze Aufwand, nur, um schon nach wenigen Minuten einen neuen Gleichstand zu haben. Beide Blades lagen reglos im Staub und Kinomiya und er standen sich schwer atmend gegenüber. Kai spürte keinen Schmerz mehr, nur noch Hitze, die in ihm pulsierte. Ohne das Training mit Yuriy hätte die Verbindung mit Suzaku niemals so stark werden können. Ob Kinomiya Seiryu in gleicher Weise spürte? Und wenn ja, wie hatte er dieses Band aufbauen können? Kai schüttelte leicht den Kopf, diese Fragen würden ihn jetzt nicht weiter bringen. Langsam hob er die Hände und nahm seinen Schal ab, der schwere Stoff sank unbeachtet neben ihm zu Boden. Kinomiyas Basecap war ihm vom Kopf geweht, nun hob er sie auf und klopfte den Staub ab, bevor er sie wieder überstülpte. Dann holten sie ihre Blades zurück, bereit für die nächste Runde. „Das ist Wahnsinn”, raunte Kinomiya ihm zu als sie sich gleichzeitig vorbeugten, um nach Dranzer und Dragoon zu greifen. „Angst, Kinomiya?”, flüsterte er zurück. „Träum weiter, Kai!” „Hn”, machte er und ein Grinsen grub sich in seine Mundwinkel. Ja, es stand einiges auf dem Spiel, und nicht nur für sie beide - dennoch hatte er in diesem Augenblick verdammt noch mal Spaß. Dann jedoch wurden sie von Daitenji unterbrochen. Kai traute seinen Ohren kaum, als der Alte tatsächlich Anstalten machte, sie beide zu den Gewinnern des Turniers zu erklären. Suzaku ließ wilde Flammen in ihm aufzüngeln und er hatte kurz das Gefühl, Feuer speien zu können wenn er nur den Mund öffnen würde. Doch dann waren es Worte, die aus ihm herausbrachen, seine ganze Entrüstung und Wut. Es war nicht fair, diesen Kampf nun als unentschieden zu werten, nicht nach den ganzen Strapazen, durch die er in den letzten drei verdammten Jahren gegangen war! Kinomiya blieb seltsamerweise stumm. Vielleicht erstaunte ihn Kais Ausbruch. Doch von den anderen Teams, die nun von ihren Sitzen aufsprangen, bekam er Zustimmung. Rei und Max waren da und die anderen Mitglieder von Baihuzu und den PPB All Starz. Daichi kreischte irgendwas. Sein eigenes Team konnte Kai nicht finden, aber irgendwie hatte er das Gefühl, dass sie hinter ihm waren. Er wollte sich nicht umdrehen, um nachzusehen. Schließlich und nach einigem Zögern gab Daitenji nach. Dann stand wirklich wieder alles auf null. Eine zweite Chance, unglaublich: Wie viele Chancen brauchte er denn noch, um Kinomiya zu besiegen? Ihm war, als hätte sein Leben in den letzten Jahren nur aus dem Warten auf diese Chancen bestanden. Die Blades krachten aufeinander, dieses Mal waren sie für die freigesetzte Energie gewappnet. Noch mehr Felsen brachen, flogen um sie herum, doch Kinomiya schien es genauso wenig zu merken wie Kai, wenn sie von Steinen getroffen wurden. Der Wind hob erneut an, verwirbelte sich und bildete eine Säule, die bis zu Decke – wo zur Hölle war die Decke der Halle geblieben? Kai hatte keine Zeit, sich Gedanken darüber zu machen, wenn er auch ahnte, dass es zum Teil seine Schuld war, dass nun helles Sonnenlicht auf die Arena herabfiel. Bis Seiryus Unwetter dräuten und den Himmel bedeckten. Wieder spürte er den Drachenatem auf seiner Haut – er durfte ihn nicht zu nahe an sich heranlassen. Mit dem erneuten Blazing Gig Tempest stieg Suzaku über Dranzer auf. Um Dragoon bildete sich in buchstäblicher Windeseile der Orkan des Galaxy Turbo Twisters. Kai fühlte, wie er an seiner Kleidung zerrte. Immer mehr Staub wurde aufgewirbelt und er musste heftig dagegen anblinzeln. Wo nahm Kinomiya diese Stärke her? Er musste doch mindestens so ausgelaugt sein wie Kai selbst. Er war sich sicher, wenn sie das Battle in diesem Moment abbrachen, würde er einfach das Bewusstsein verlieren. Nur Suzakus Energie hielt ihn noch auf den Beinen, sein Körper war am Ende. Im letzten Moment gab sein Bit Beast ihm eine Eingebung, Dranzer bewegte sich in präzisem Gleichklang mit seinen Gedanken und seine Zan-Attacke zerschnitt den Orkan. An eine Atempause war jedoch nicht zu denken. Sie gingen einfach weiter aufeinander los. Kai fühlte, wie ihm die Sinne schwanden. Er spürte seinen Körper nicht mehr. Sein Sichtfeld war von einem hellen Flimmern erfüllt, ein Leuchten, das ihm durch den Kopf stach, dann war alles dunkel. Nein, er war nicht ohnmächtig. Aber wo war er? Kurz meinte er, wieder mit Yuriy zu trainieren, abgeschirmt von dessen Dom aus Eis – doch dafür war es viel zu warm. Und dieses Glitzern über ihm – waren das Sterne? Takao war hier. Er stand nur ein paar Schritte von ihm entfernt. Lächelte. Die Arena war verschwunden und mit ihr das ganze Stadion, selbst die Blades waren nicht mehr da. Doch die Präsenzen ihrer Bit Beast umschlangen sie noch immer. Hatten Seiryu und Suzaku diese Welt erschaffen? Ihm lagen Fragen auf der Zunge, doch er konnte nicht sprechen. Das einzige, das in dieser Umgebung sicher war, war Takao. Mochte alles andere auch nur ein Trugbild sein, er war da. Wie immer. Ihre Blicke bohrten sich ineinander und ein tiefer, innerer Friede erfüllte Kai, den er so noch nie gespürt hatte. Nicht einmal in Yuriys Armen. Die kleine Stimme in seinem Kopf, die ihn stets ermahnte, besser und stärker sein zu müssen als alle anderen, verstummte. Sie hinterließ eine Leere, eine Stille, ein erleichterndes Schweigen. Dann durchfuhr Suzaku seinen Körper, machte ihn sich zu Eigen. Er wurde zu ihrem Feuer, alles in ihm stand in Flammen und er glaubte wirklich, er würde verbrennen. Für einen Moment war er sich sicher, sie würde ihn opfern, um Seiryu zu schlagen. Stattdessen wuchs der Krasnaja Kometa. Suzaku lenkte ihn, ihre Kraft fuhr durch ihn wie ein Fluss durch ein verengtes Bett – dafür hatte er trainiert, doch er hätte sich nicht ausmalen können, wie es wirklich war, diese Attacke auszuführen. In diesem Moment glaubte er Yuriy jedes Wort – nur eine falsche Bewegung und sein Körper würde zerreißen. Ob Suzaku ihn trotz allem schützte? Sie waren nun eins, und dank ihrer Sinne spürte er nun auch all die anderen Bit Beasts in unmittelbarer Nähe. Seiryu natürlich, er war wie ein Leuchtturm im Dunkeln, dann Genbu und Byakko und Gaia… Wolborg, Falborg und Seaborg. Die anderen verschwammen zu einer diffusen Masse, doch sie waren da. Hinter ihm stieg unheilvoll der rote Komet auf. Sein Licht fiel auf Takao, in dessen Mimik sich die Erkenntnis widerspiegelte. Was sah er? Sah er nur Kai oder sah er, wie die Metamorphose vonstattenging, in der er sich befand? Ihm war, als würden ihm geisterhafte neue Gliedmaßen wachsen und Suzaku diktierte seinem Körper die Form. Alles war konfus, und gleichzeitig war da eine Klarheit in seinem Bewusstsein, die er so nicht kannte. Sein Blick schärfte sich, auf einmal erschien Takaos Gesicht ihm so nah, als stünde er direkt vor ihm. Wie immer stürzte Takao sich kopfüber in seinen Abgrund. Das letzte, was Kai sah, war Seiryu, der wie ein rasender Pfeil auf ihn zugeschossen kam. Dann, fand er sich auf dem Rücken liegend wieder. Die Sterne leuchteten noch immer an dem Himmel über ihm, sein Blick war noch immer phantastisch klar. Ihm war, als könne er das ganze Universum erfassen. Und auch der Friede in ihm hielt an. Takao lag neben ihm, so nah, dass ihre Arme sich berührten. Das Gefühl von Takaos Haut an seiner war unendlich intensiv, als könne er in den anderen hineinspüren, seine Emotionen erahnen. Der gleiche Friede. Die Fröhlichkeit, die ihn an tanzende Blätter im Wind erinnerte. Auch in Takao war Dunkelheit, natürlich, doch nicht in diesem Moment. Und was war mit seiner eigenen Dunkelheit, die so viel mehr Raum einnahm? Auch sie – verschwunden, stattdessen nur ein Schwelen wie von Glut in ihm. Er hatte immer gedacht, wenn seine Dunkelheit verschwand, hinterließe sie nur endlose Leere. Er wollte sich umdrehen und Takao in seine Arme ziehen. Immer war er das einzige gewesen, an dem Kai sich festhalten konnte. Warum mussten sie sich dann ständig bekämpfen? Vielleicht war es einfach ihre Art, Zuneigung auszudrücken. Und schließlich waren sie beide auch Kinder ihrer Welt. In ihrem irdischen Leben würden sie wohl immer wieder aneinander geraten. Als Kai sich aufsetzte, spürte er keinen Schmerz, obwohl sein Körper arg mitgenommen sein musste. Der Blick ging weit in die Ferne, der Sternenhimmel erstreckte sich bis an die Grenzen seines Bewusstseins. Es war schwindelerregend, und so wandte er sich ab und sah das einzige an, das ihm in dieser Traumdimension Halt gab: Takao. Dessen Blick war nach oben gerichtet und so voller Neugier und Erstaunen, dass sich ein Lächeln in Kais Mundwinkel setzte. In diesem Augenblick begann das Ziehen. Als würde jemand nach seiner Seele greifen und sie wieder dorthin bringen, wo sie hingehörte. Die Sterne verblassten, gingen auf in einem Schein, das zunächst wie die Morgenröte wirkte, doch dann war alles Licht. Und der Schmerz prasselte auf ihn ein. Sein Körper zog ihn schwer auf die Erde, in seiner Lunge war ein trockenes Pfeifen, jeder Muskel schrie und pulsierte in einer Hitze, wie sie nur Suzaku verursachen konnte. All das übermannte ihn. Er versuchte, es auszuhalten, dagegen anzukämpfen, sich zu fassen. Doch es half nichts. Endlich wurde ihm schwarz vor Augen. श्रीभगवानुवाच | कालोऽस्मि लोकक्षयकृत्प्रवृद्धो लोकान्समाहर्तुमिह प्रवृत्त śrī-bhagavān uvāca kālo 'smi loka-kṣaya-kṛt pravṛddho lokān samāhartum iha pravṛttaḥ The blessed one said: I am the full-grown world-destroying Time, now engaged in destroying the worlds (Bhagavad-Gita xi:32) Kai schleppte sich den Gang entlang bis zu den Umkleiden. In der Ferne war immer noch der donnernde Jubel zu hören. Sie feierten Takao. Sein Mund verzog sich, ob nun zu einem Lächeln oder vor Schmerz war ihm selbst nicht ganz klar, wahrscheinlich war es eine Mischung aus beidem. Ihm war heiß. So verdammt heiß. Er wusste, die Temperatur hier im Stadion war angenehm, sogar eher kühl, doch er konnte kaum atmen. Schließlich erreichte er die richtige Tür und stolperte in den Raum hinein. Drei Köpfe drehten sich zu ihm um, drei Augenpaare musterten ihn. Er hielt inne. Aus irgendeinem Grund hatte er nicht damit gerechnet, sie hier zu sehen. Boris sprach als erster. „Mann, siehst du scheiße aus, Hiwatari.” Mehr als ein Keuchen bekam er nicht heraus, wenn er noch länger zögerte, würden seine Beine unter ihm nachgeben. Vorsichtig setzte er einen Fuß vor den anderen und ließ sich dann neben Yuriy auf die Bank fallen. Boris und Sergeij sahen auch ziemlich mitgenommen aus - und erst jetzt erkannte er mit einem kleinen Stich Reue, wie schlimm er sie zugerichtet hatte - doch das war nichts im Vergleich zu ihrem Leader. Yuriy versuchte, sich nichts anmerken zu lassen, doch er zitterte. Wahrscheinlich würde Kai, wenn er sich noch ein Stück vorlehnte, seine Zähne aufeinander schlagen hören. Wolborg verlangte ihren Tribut. „Hey”, sagte er zu ihm und, nach einem kurzen Zögern, „Snegurotschka.” Ein Lächeln brachte der Rothaarige nicht zustande, doch er verdrehte die Augen. Es herrschte eine seltsame Stimmung zwischen ihnen. Kai fiel es schwer, den anderen in die Augen zu sehen. Sie waren so weit gekommen, hatten sich zusammengerissen und als Team gearbeitet – nur, um kurz vor dem Ziel zu versagen. Kai hasste dieses Gefühl, er war ein paarmal zu oft in Situationen wie diesen gewesen. Nun aber schmerzte ihn seine Niederlage nicht nur um seines Willen, sondern auch, weil sie Neo Borg im Ganzen betraf. Ob sie es wollten oder nicht, er fühlte sich ihnen inzwischen verbunden. Er hatte einen guten Job machen wollen, für das Team, dem er ansonsten ziemlich viel Ärger bereitet hatte. Das nagte irgendwie stärker an ihm als seine eigene Enttäuschung. Boris gesellte sich zu ihnen, ließ sich auf die Bank gegenüber fallen. Der Blick, den er Yuriy zuwarf, war besorgt. „Tja”, meinte er, „Was machen wir jetzt? Wir haben verloren.” Daraufhin schwiegen sie alle. Vermutlich wusste niemand, was zu sagen war. Schließlich kam auch Sergeij, der bisher etwas abseits gestanden hatte, herüber und setzte sich. Dabei konnte er ein leises Ächzen nicht unterdrücken. Kai war versucht, sich bei ihm und Boris zu entschuldigen, wenn schon nicht für das Battle gegen ihn und Sergeij, so doch zumindest dafür, dass er sie danach einfach so zurückgelassen hatte. Seine Eitelkeiten schienen auf einmal so wenig von Bedeutung zu sein, jetzt wo sie alle hier zusammenhockten wie ein einziges Häufchen Elend. „Tja, ich habs vermasselt“, sagte er und meinte damit irgendwie alles, „Was soll ich sagen?“ Boris schnaubte und verschränkte die Arme. „Dieser Kinomiya! Er hätte diesen Kampf nicht gewinnen sollen, sein Sieg ist vollkommen unlogisch! – Ist doch so, oder, Yura?“ „R-richtig”, presste Yuriy hervor, sobald er den Mund öffnete schien er noch weniger Kontrolle über sein Zittern zu haben. „Wir b-brauchen einen n…neuen Plan”, fügte er nach einer kurzen Pause hinzu. „Wofür?“, fragte Sergeij ehrlich verwirrt und Kai wurde klar, dass auch die anderen beiden noch immer nicht mehr wussten als er selbst. Doch der Gedanke verlor sich, als eine neue Welle von Schmerz über ihn rollte. Sein ganzes Inneres schien sich zu verkrampfen. Und wenn ihm doch nur nicht so unerträglich heiß wäre… „Vielleicht sollten wir ihn in ein Bad stecken”, meinte Sergeij in diesem Moment. „So schlimm war es ja noch nie mit Wolborg.“ Seine Augen, die bis dahin auf Yuriy geruht hatten, wanderten zu Kai. „Dich hat Suzaku auch ganz schön mitgenommen.” Kai nickte nur und fuhr sich mit dem Handrücken über die Stirn. Er musste sich sehr anstrengen, um nicht zu würgen. Daran, jetzt etwas zu sich zu nehmen, wollte er nicht einmal denken. Die Hitze in ihm brachte nicht nur seinen Kreislauf durcheinander, sondern drückte ihm auch auf den Magen. Als er die Hand wieder auf die Bank legte, berührte er versehentlich Yuriys Finger mit seinen. Sie waren eiskalt, doch für seine erhitzte Haut war es wie Balsam. Bevor er seine Hand wegziehen konnte, packte Yuriy sie und obwohl ihn die Kälte schüttelte, war sein Griff fest. Nach ein paar Sekunden bemerkte Kai erstaunt, wie das Zittern nachließ. Sein Partner seufzte kurz, wahrscheinlich hatte er nicht einmal bemerkt, dass er es tat. Ihre Blicke trafen sich. Kai merkte, dass sich der Nebel seiner Gedanken aufzulösen begann, während sich erfrischende Kühle über seine Haut ausbreitete. Gleichzeitig konnte er förmlich beobachten, wie es hinter Yuriys Stirn arbeitete. Einen Moment später hatten sie wohl beide denselben Einfall, denn sie fuhren wie gestochen auseinander, jedoch nur, um hastig ihre Jacken auszuziehen. „He, was zur Hölle macht ihr -?”, setzte Boris an, doch da lagen sie sich schon in den Armen. Kai spürte die Kälte, die Yuriy abstrahlte, durch den dünnen Stoff ihrer Shirts und schloss erleichtert die Augen. Das tat so verdammt gut. „Du bist so warm”, seufzte Yuriy. „Interessant“, hörte er Sergeij sagen, „Suzaku und Wolborg können anscheinend ihre Kräfte gegenseitig wieder ins Gleichgewicht bringen. Es ist wirklich selten, dass Bit Beasts so exakt aufeinander reagieren.“ „Nun, aber es ist auch kein Wunder, oder?“, entgegnete Boris. Kai, der sie nicht sehen konnte da sein Kopf auf Yuriys Schulter lag, runzelte die Stirn. Dann löste er sich von dem anderen, der nun wieder wesentlich ruhiger wirkte. Das Zittern jedenfalls kam nicht zurück und ihm war, als wären seine Hände nicht mehr ganz so eisig. „Also Yuriy“, sagte er, „Dein großer Plan ist gescheitert, wir sind nicht Weltmeister. Was nun?“ „Ja Chef, was nun?“ Ihr Leader ließ den Blick von einem zum anderen schweifen; vielleicht überlegte er, was oder wie viel er sagen konnte. „Ganz ehrlich“, meinte er dann, „Ich habe wirklich keine Ahnung.“ „Nun, das höre ich allerdings zum ersten Mal“, brummte Boris. Kai schwieg. Seine Kräfte ließen nach und er merkte, wie immer weniger von dem, was gesagt wurde, bei ihm ankam. Er sank noch ein wenig mehr gegen Yuriy und fühlte das Vibrieren seiner Stimme, als er sprach: „Immerhin bleiben wir hier. Wir sollten die Zeit nutzen und Kinomiya einfach noch ein wenig im Auge behalten.“ Falls das Gespräch dann weiterging, blendete Kai es aus. Doch ihm schien, dass auch die anderen sich nur schwer wach halten konnten. Ihre Worte kamen ihm sehr langgezogen und träge vor. Das einzige, was jetzt noch half, war tiefer, traumloser Schlaf. Und zwar für sie alle. Routiniert band Kai seinen Schlips und zog ihn fest. Er war daran gewöhnt, Anzüge zu tragen, denn wann immer er die Zentrale von Hiwatari Enterprises betreten musste, war er für den Anlass gekleidet. Voltaire wollte es so. Nach mehreren Wochen, in denen er wesentlich lockere Kleidung getragen hatte, engte ihn sein Outfit nun aber ein. Sein Hemd war weiß, hatte allerdings schwarze Knöpfe, dazu hatte er ein Jackett in Hellgrau mit schwarzem Revers gewählt. Der Schlips war schmal und, genau wie Hose und Schuhe, dunkel. Er trug keine Streifen im Gesicht und hatte seine Haare gebändigt, bereute aber, keine Zeit für einen Friseurbesuch gefunden zu haben. Er trat einen Schritt zurück und sah noch einmal in den Spiegel. Die Anstrengung des Finalkampfes war ihm immer noch deutlich anzusehen: Seine Wangen wirkten eingefallen und seine Augen lagen tief in den Höhlen. Alles in allem schaffte er es aber, einen ganz passablen Anblick abzugeben. Besser würde es jetzt jedenfalls nicht mehr werden. Es blieben noch zwei Stunden, bis sie sich alle in der BBA-Zentrale versammelten, wo ein Saal für sie vorbereitet worden war. Er würde sich mit seinem Team treffen, bevor sie gemeinsam zur Party gingen. Sein Magen knurrte - am allermeisten freute er sich in diesem Moment aufs Essen. Ob er dann lange genug wach bleiben konnte, um zu erleben, was auf der Tanzfläche passierte, stand noch gänzlich in den Sternen. Das Match gegen Kinomiya war einen Tag her, und obwohl er seitdem beinahe nichts anderes getan hatte als zu schlafen fühlte er sich noch immer ausgelaugt. Eine Stunde später stieg er am Hintereingang des Hotels aus dem Wagen und eilte nach drinnen, bevor irgendwelche Reporter ihn bemerkten. Er nahm den Fahrstuhl nach oben und atmete, als er vor Yuriys Zimmer angekommen war, noch einmal durch, bevor er klopfte. Sein Leader öffnete ihm die Tür - „Hey Kai, du bist früh…” - und brach mitten im Satz ab. Kai erging es ähnlich. Für einen Moment waren sie beide wie gebannt von dem Anblick des jeweils anderen. Yuriy trug einen mitternachtsblauen Anzug und ein schwarzes Hemd, die dunklen Farben betonten seine große, schmale Statur und brachten sein Haar zum Leuchten. „Ähm...wow”, entfuhr es Kai. „Ja...du aber auch”, entgegnete Yuriy, dann trat er zur Seite. Bevor Kai an ihm vorbeigehen konnte, streckte er den Arm aus und zog ihn zu sich heran, um ihn kurz zu küssen. „Du riechst anders”, stellte er daraufhin fest und Kai lächelte ihn nur an. Dann setzte er sich auf das Sofa. „Bist du schon fertig?” Yuriy deutete auf seine Frisur. „Sieht das für dich fertig aus?” Er verkniff sich eine Antwort, denn er fand tatsächlich, dass bereits jede Haarsträhne an ihrem Platz lag, aber was wusste er schon. Yuriy ging ins Bad und von seiner Position aus konnte er beobachten, wie der andere mit seiner roten Mähne kämpfte. Sie hatten seit dem vorigen Abend aus purer Erschöpfung nur wenig miteinander kommuniziert. Im Halbschlaf hatte Kai noch eine Nachricht an Yuriy geschickt und sogar Antwort erhalten. Erst heute Morgen fiel ihm auf, dass beide Texte beinahe nur aus Tippfehlern bestanden. Für mehr als die Verabredung vor der Party hatte es nicht gereicht. Und so war dies der erste Moment, in dem sie wieder ungestört reden konnten. Er räusperte sich. „Kann ich dich was fragen?“ „Hm?“ „Boris hat mir bei unserem Battle etwas erzählt. Es ist dämlich, aber… es beschäftigt mich.“ „Na was denn?“ Yuriy schien nicht im Geringsten beunruhigt von Kais Worten zu sein, er zupfte an seinen Haaren herum ohne ihn auch nur anzusehen. Kai stand jetzt doch auf und ging zu ihm, um sich in den Rahmen der Badezimmertür zu lehnen. „Er hat behauptet, du hast in der Abtei ein ziemlich mieses Gerücht über mich verbreitet, als ich zurückgekommen bin“, sagte er, „Es ging wohl darum, dass ich zu schwach sei und Black Suzaku mich schon erledigen würde.“ „Oh. Ja, das stimmt.“ Kai blinzelte. Er hätte nicht damit gerechnet, dass Yuriy alles so leichthin zugab. Sein Gegenüber musste seine Reaktion bemerkt haben, denn endlich wandte er sich ihm zu. „Hör mal, Kai“, sagte er, „Ich war erstens ein Kind und zweitens verdammt sauer auf dich. Du bist einfach in die Abtei reinstolziert, hast dir Black Dranzer gekrallt und angefangen, meine Battles zu übernehmen. Was denkst du denn, was ich mache – den Kopf einziehen und so tun, als ginge mich das alles nichts an?“ Er verschränkte die Arme und sah auf Kai herab, der sich abwandte. „Mir ist schon klar, was deine Beweggründe waren. Ich wusste nur nicht, wie hinterhältig du sein kannst.“ „Hmm. Warum habe ich das Gefühl, dass da noch mehr ist? Was hat Boris noch gesagt?“ „Eventuell, dass ich in dieser Weltmeisterschaft nur Mittel zum Zweck für dich bin.“ Jetzt lachte Yuriy und Kai warf ihm einen beleidigten Blick zu, der aber komplett an ihm abprallte. „Natürlich habe ich dich ausgenutzt!“, rief er aus, „Und du mich, oder etwa nicht? Ich brauchte einen starken Blader in meinem Team und du brauchtest einen guten Partner, um gegen Kinomiya antreten zu können. Das war von Anfang an der Deal. Hätte ja keiner ahnen können, dass…“ Er brach ab, als er Kais Gesichtsausdruck bemerkte. Dann legte er den Kopf schief. „Ach Kai. Komm her.“ Und er zog ihn in eine Umarmung. „Da hat Boris ja genau die richtigen Knöpfe gefunden, was?“ Kai brummte missmutig, allein der Duft, der aus Yuriys Kleidung stieg, stimmte ihn schon versöhnlich. Er kam sich ziemlich dumm vor und bereute, das Thema überhaupt erst zur Sprache gebracht zu haben. Die Antworten fielen nicht unbedingt so aus, wie er es sich erhofft hatte. „Sorry. Ich wollte das nur klären.“ „Und ist es jetzt geklärt?“ Er riss sich zusammen. „Ja. Aber von jetzt an trau ich dir höchstens so weit wie ich dich werfen kann.“ Er machte eine Pause. „Obwohl. Selbst das ist noch zu viel.“ „Was soll das denn bitte heißen?“ „Dass du zwar lang bist, aber nichts weiter. Ich würde dich werfen können.“ „Pff, wetten?“ Anstatt zu antworten schlang Kai seine Arme fester um Yuriys Taille und schaffte es tatsächlich, ihn ein Stück hochzuheben. Sein Leader quittierte das mit einer entsetzten Lautäußerung und ein wenig Gestrampel. „Ist ja gut, ist ja gut! Lass mich runter!“ Sobald Kai ihn losgelassen hatte, strich er sich über das knittrige Jackett. „Bozhe my… Du bist ja fast wie Sumeragi, klein und aufgepumpt.“ „Wie bitte?“, sagte Kai entrüstet, doch er konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. In diesem Moment klopfte es erneut an der Tür. Yuriy fluchte leise. „Kannst du aufmachen? Ist bestimmt Boris.” Dann drehte er sich noch mal zum Spiegel um. Es waren tatsächlich ihre Teamkollegen. Sergeij trug klassisch Schwarz-Weiß, während Boris einen dunkelroten Anzug mit einem weißen Hemd gewählt hatte, der ihm erstaunlich gut stand. Aus seiner Brusttasche lugte ein graues Einstecktuch. „Hiwatari! Und ich war so sicher, dass du zwei Stunden zu spät auftauchst!” Er schob sich an ihm vorbei und Sergeij schloss die Tür. „Hey Yuriy, Sergeij hat Alkohol bekommen! Sie haben ihn nicht mal nach dem Ausweis gefragt, weil er so böse geguckt hat.” Mit diesen Worten stellte er eine Tüte auf dem Tisch ab. Yuriy kam aus dem Bad und schien endlich zufrieden mit seinem Äußeren zu sein. „Sehr gut. Da drüben auf dem Schrank sind Gläser.” „Ist aber Shochu, keine Ahnung wie das schmeckt. Der Verkäufer hat gesagt, es ist wie Wodka, aber irgendwie glaube ich ihm nicht.” „Das ist genau wie Wodka”, sagte Kai. „Wollt ihr euch vor der Party besaufen?” „Nein, Hiwatari, wir wollen anstoßen”, antwortete Boris tadelnd und reichte ihm ein Glas, „Unter anderem auch auf dein Match, also mach dich locker.” Tatsächlich fanden sie, bevor sie sich auf den Weg zur BBA machten, mindestens vier Dinge, auf die sie anstoßen konnten. Den neuen Plan, von dem Yuriy in seinem Delirium am Tag zuvor gesprochen hatte, erwähnten sie mit keinem Wort, vielleicht war das Absicht. Und auch Kai verdrängte diesen Gedanken schließlich, denn spätestens als er sich mit den anderen in das Auto zwängte merkte er, dass er schon etwas benebelt war. Sergeij bekam den Beifahrerplatz und Yuriy und Boris nahmen ihn auf der Rückbank in die Mitte. Boris zog ihn noch eine ganze Weile damit auf, dass er offensichtlich nichts vertrüge; sein Redeschwall riss nur einmal kurz ab, als Yuriy die Hand auf Kais Oberschenkel legte. Doch er fing sich schnell wieder. Durch die Reihen der Reporter, die auch vor der BBA-Zentrale auf sie warteten, ging ein Raunen, sobald sie aus dem Wagen stiegen. Blitzlicht flimmerte über sie hinweg und ein sehr höflicher Mitarbeiter bat sie darum, sich für ein Gruppenfoto aufzustellen. Innerlich seufzte Kai. Die Tage, in denen er ohne seine Gesichtsbemalung nicht erkannt wurde, waren wohl gezählt. Dann wurden sie nach drinnen geführt. Die Eingangshalle sah noch so aus wie vor dem Finale, als sie das letzte Mal hier gewesen waren. Doch auf der rechten Seite befand sich eine offene Doppeltür, aus der Musik bis zu ihnen drang. Der Saal - sonst ein öffentlicher Trainingsraum - war ein wenig hergerichtet worden, die geschmückte Tafel in der Mitte zog alle Aufmerksamkeit auf sich. Das Licht war gedimmt und über ihnen schwebte schon eine Diskokugel, die kleine, flirrende Punkte streute. Das Essen war wie zu erwarten gut. Die BBA hatte sich bemüht, das Menü international zu halten, und bis auf ein paar seltsame Kombinationen war das auch gelungen. Daitenji hielt eine kleine Ansprache, bei der er für alle ein paar lobende Worte übrig hatte, und zeigte sich überzeugend traurig über das Fehlen von Barthez Soldiers. Nach dem offiziellen Teil wurden sie gebeten, zu den Tischen zu gehen, die an den beiden langen Seiten des Raumes aufgestellt worden waren, damit die Tafel entfernt werden konnte. Dort entstand nun die Tanzfläche. Im hinteren Teil befand sich eine Bar, zwar improvisiert, aber mit einem langen Tresen und passenden Hockern. Das Licht wurde noch ein wenig mehr heruntergedreht und die ersten bunten Spots irrten über den Boden. Boris überredete Yuriy und Sergeij, sich für eine heimliche Raucherpause nach draußen zu stehlen. Kai nutzte den Moment, um sich von ihnen abzusetzen und zu Max und Rei zu gehen, die gemeinsam an einem der kleineren Tische saßen, jeder ein Getränk vor sich. Auch Hiromi stieß nun zu ihnen. „Hey Kai”, begrüßte ihn Max, „Gut siehst du aus!” Er selbst hatte die obersten beiden Knöpfe seines Hemdes schon längst geöffnet; Rei neben ihm war wie immer umwerfend in seinem dunklen Blazer und dem Hemd mit Mandarinkragen. „Und du bist auch hübsch, Hiromi!” Sie hatte sich tatsächlich herausgeputzt und trug ein helles Blau. „Ich kann Takao später gerne darauf aufmerksam machen, sollte er es nicht selbst bemerken…” „Max, wie oft denn noch - ich will nicht verkuppelt werden!”, rief Hiromi, doch selbst im Zwielicht war zu erkennen, wie sie rot anlief. „Wo hast du Mao gelassen?”, fragte Kai Rei, der über seine Schulter nach hinten deutete. Seine Freundin stand dort und unterhielt sich mit Emily, und sie sah bezaubernd aus mit hochgestecktem Haar und dem eleganten Kleid. Rei und Kai sahen sich über den Tisch hinweg an und tauschten ein wissendes Grinsen. Das entging Hiromi natürlich nicht. „Hab ich was verpasst? Was soll das Machogehabe?” Doch sie winkten beide ab. Max lachte auf und schlug Rei auf die Schulter. „Erzählt lieber, wie es jetzt weitergeht bei euch! Feiern wir bald das Revival der Bladebreakers?” „Hmm”, machte Rei langgezogen, „Ich denke, ich werde erst einmal mit Baihuzu zurück nach China gehen. Das hatte ich sowieso vor. Und dann - mal sehen! Was ist mit dir?” „Oh, ich bleibe in Japan”, antwortete Max, „Business as usual. Ich glaube, Mom würde mich gerne weiter im Team behalten, aber momentan stehen auch keine weiteren Turniere an. Deswegen bin ich eigentlich offen für alles.” Rei nickte, dann breitete sich Schweigen aus. Als Kai ihre Blicke auf sich spürte merkte er, dass er nun an der Reihe war. „Was ist dein Plan, Kai?”, fragte Hiromi schließlich. Er lehnte sich zurück und verschränkte die Arme. „Ich bleibe auch hier”, sagte er, „Zumindest für den Rest des Sommers. Mein Team übrigens auch.” „Wie, Boris, Sergeij und Yuriy gehen nicht zurück nach Russland?” „Daitenji hat Arbeit für sie”, erklärte Kai, „Direkt bei der BBA.” Es entstand eine kurze Pause. „Oho”, machte Max, dann riss er die Augen auf, „Ohooo! Das sind ja mal Neuigkeiten!” Sein Tonfall ließ keinen Zweifel daran, was er dachte. Und auf einmal wurde Kai klar, dass Rei ausgeplaudert haben musste, was sich in der Nacht vor dem Finale ereignet hatte. Er sah seine ehemaligen Teamkollegen böse an, und ihre Reaktionen waren Antwort genug: Max strahlte übers ganze Gesicht und Rei versuchte, unschuldig zu wirken, was ihm aber überhaupt nicht gelang. „Das wird ein Nachspiel haben”, sagte er zu dem Schwarzhaarigen, doch Max ächzte übertrieben. „Komm schon, Kai, ich hätte es doch eh erfahren!” „Jungs, wovon zur Hölle sprecht ihr?”, fragte Hiromi, „Ich glaube, an mir sind in letzter Zeit wirklich Dinge vorbeigegangen. Hey! Was habt ihr miteinander ausgeheckt?” „Später, Hiromi”, sagte Rei und tätschelte ihre Hand. „Ich erzähle es dir, wenn Kai weg ist”, fügte Max hinzu, woraufhin Kai ihm wortlos drohte. „Achtung Leute, er macht den bösen Blick!“ Automatisch duckten sich alle drei unter den Tisch, selbst Hiromi machte mit. Es war einer der vielen Running Gags, die Kai nicht vermisst hatte. Er verdrehte die Augen und wartete, bis die anderen kichernd wieder auftauchten. Sehr zufrieden mit sich griff Max nach seinem Glas, das vermutlich Cola enthielt, und trank es zur Hälfte aus. „Euch ist schon klar, dass ihr nachher noch tanzen müsst, oder?”, fragte er dann in die Runde. „Ach kommt schon, Leute…” „Keine Einwände, Kai! Ich habe dem DJ schon gesagt, dass er nachher unseren Song spielen soll!”, unterbrach Max ihn. Es gab tatsächlich ein Lied, das die Bladebreakers scherzhaft als „ihren” Song bezeichneten, seit sie durch Zufall festgestellt hatten, dass sie wirklich alle zu einhundert Prozent textsicher darin waren. Und es wäre auch nicht das erste gemeinsame Mal auf der Tanzfläche für sie. Kai stand bei dem Thema auf verlorenem Posten, seit er sich zum ersten Mal von den anderen zu einem Klubbesuch überreden lassen hatte. „Ist ja gut, Maxie, aber bitte blamier uns dann nicht mit deinen Disco-Moves”, sagte er. „Jaja!”, rief der Blonde, „Schon klar, der große Kai Hiwatari tanzt sowieso nur ironisch! Hauptsache du verschwindest nicht wieder kurz vor…” Seine Worte verloren sich, während sein Blick über Kais Schulter hinweg ging. Dann hob er die Hand. „Heeey, Takao! Komm rüber!” Kai wandte sich um, gerade noch rechtzeitig, um das Grinsen in Takaos Gesicht zu sehen, bevor es wieder zusammenfiel, als sich ihre Blicke trafen. Der Weltmeister hielt inne, schien kurz zu überlegen und wandte sich dann doch ab, um in eine andere Richtung zu gehen. Kai drehte sich zurück zu den anderen, beinahe war er versucht, sich zu entschuldigen, denn ganz offensichtlich hatte er es dieses Mal sogar ohne jedwede Intention geschafft, Takao den Abend zu vermiesen. Doch seine ehemaligen Teamkollegen trugen einen traurig-wissenden Ausdruck im Gesicht. Er seufzte. „Na los”, sagte Rei leise, „Geh zu ihm.” Max nickte bekräftigend. „Ja. Tanzen können wir später. Ihr zwei müsst reden. Na los!” Er machte eine Kopfbewegung in die Richtung, in die Takao verschwunden war. Kai brummte, erhob sich jedoch und hielt nach dem Dunkelhaarigen Ausschau. Er entdeckte ihn an einem Stehtisch etwas weiter weg, wo er nachdenklich ins Leere starrte. „Okay…”, murmelte er, bevor er begann, sich einen Weg durch den Raum zu bahnen. Aus den Augenwinkeln sah er, wie Yuriy und die anderen wieder hereinkamen. Sein Leader winkte ihm kurz zu, doch er machte eine abwehrende Geste, woraufhin der andere nur die Schultern hob. Dann war Kai bei Takao und damit beschäftigt, herauszufinden, wie zur Hölle er das Gespräch beginnen sollte. Er schob die Hände in die Hosentaschen und sagte: „Hi.” „Hi, Kai.” Die erste Pause entstand. Verstohlen musterte Kai sein Gegenüber, der trotz des festlichen Anlasses noch immer Jeans trug, dazu allerdings ein Hemd und Jackett. „Tja”, begann er dann erneut. „Du hast es also geschafft. Schon wieder.” „Ha! Ein Champion hält sein Wort!” Der Tonfall war nicht überzeugend, und das merkte selbst Takao, denn er hüstelte verlegen. „Nein. Jetzt im Ernst, Kai, du… Du warst großartig.” Er sah ihn flüchtig an. „Danke für das Match.” „Hn.” Kai verschränkte die Arme. „Ich muss dir wohl auch danken. Und gern geschehen.” Es gab so viel mehr, über das sie hätten reden können. Aber irgendwie war es schon immer so, dass sie sich dann am besten verstanden, wenn sie sich gegenseitig in der Bowl bekriegten. Mit Worten war das bei ihnen weitaus schwieriger. Kai war froh, dass Takao ihm seinen Weggang von der BBA Revolution nicht mehr vorwarf. Das bedeutete eine Entschuldigung weniger für ihn. Immerhin hätte es ihr Finalmatch gar nicht erst gegeben, wenn er geblieben wäre. „Hör mal, Kai“, sagte Takao da, und zwar so leise, dass er es beinahe nicht bemerkt hätte, „Ich hatte in dieser WM ganz schön viele Durchhänger. Das hatte nicht nur damit zu tun, dass ihr alle das Team verlassen habt. Wobei das natürlich auch ein Grund war. Es war ziemlich scheiße.“ Kai brummte wieder. Dem hatte er nichts hinzuzufügen. „Ich habe mich sehr oft sehr alleingelassen gefühlt“, fuhr Takao fort, „Und das, obwohl Kyoujyu, Hiromi und mein Bruder da waren. Und Daichi! Aber es ist nunmal nicht dasselbe, wie mit euch. Jedenfalls war es manchmal ein ganz schöner Krampf. Ich will nur sagen… Von dem Moment an, da ich wusste, dass du sicher im Finale bist, wusste ich wieder, warum ich hier bin. Kai, ich wollte dieses Battle einfach so sehr! Nicht nur aus Rache oder um zu zeigen wie stark ich bin – ich wollte einfach nur mit dir kämpfen. So wie wir es immer tun.“ Er brachte ein kleines Lächeln zustande. „Sorry, ich weiß nicht wie ich es anders sagen soll…“ „Ich weiß, was du meinst“, unterbrach Kai ihn. Er wusste es ganz genau. Wieder waren sie eine Weile stumm, sahen sich unschlüssig an. Kai haderte mit sich, ob er Takao auf die Traumdimension ansprechen sollte, in die es sie beide versetzt hatte. Vielleicht hatte das Ganze ja nur in seinem Kopf stattgefunden? Schließlich gab er sich einen Ruck. „Was ist eigentlich passiert? Ich meine, während des Battles. Hast du auch…“ „Sterne gesehen?“, fragte Takao und kratzte sich verlegen am Kopf. „Ich dachte, ich hätte mir das eingebildet. Also war es…wirklich? Waren wir wirklich dort?“ „Vielleicht hat es was mit den Bit Beasts zu tun“, sprach Kai seine Gedanken laut aus, „Aber für alle anderen scheint das Battle einfach weitergegangen zu sein. Nur ganz kurz hat man wegen des grellen Lichts nichts sehen können – das haben Rei und Max gesagt.“ „Ja, Hiromi und die anderen auch“, sagte Takao. „Scheint, als wäre das unser kleines Geheimnis.“ Er grinste ihn schief von unten an und kurz kam der Takao zum Vorschein, den Kai kannte. Seine Mundwinkel hoben sich. „Ja, scheint so.“ Es würde ihnen wahrscheinlich sowieso nie jemand glauben, wenn sie erzählten, was passiert war. Außenstehende würden es auf ihre überstrapazierten Körper und den hohen Stresslevel schieben. Doch eins wusste Kai sicher, dort zwischen den Sternen mit Takao war er so ruhig gewesen wie wohl noch nie in seinem Leben. Seitdem fragte er sich, wie stark die Verbindung des anderen mit seinem Bit Beast war. Es schien ihm so leicht gefallen zu sein, die Einheit von Kai und Suzaku zu durchbrechen. Womöglich wusste Takao es nicht, doch seine Intuition musste es über die Jahre ermöglicht haben, dass Seiryu sich unglaublich schnell mit ihm verbinden konnte. Und so stand ihm dessen unendliche Kraft zur Verfügung. Wofür Kai durch lange, qualvolle Trainingseinheiten gehen musste, machte Takao instinktiv. Unglaublich. „Ich habe deine Attacke übrigens wiedererkannt“, sagte sein Gegenüber in diesem Moment, als hätte er Kais Gedanken erraten, „Glaub mir, so einen Anblick vergesse ich nicht. Schließlich war das damals mein erster Finalkampf in einer Weltmeisterschaft. Hat Yuriy dir geholfen?“ „Ich habe ihn darum gebeten“, antwortete Kai schlicht und auf Takaos Gesicht stand kurzes Erstaunen. Dann lächelte er schon wieder. „Wow. Nicht schlecht.“ Letztendlich hatte es nichts genützt. Wie immer war Takao als der Stärkere mit dem Sieg davongegangen. Aber anders als bei den vorigen Malen hielt Kais Frust sich in Grenzen. Er konnte es sich selbst nicht erklären, doch es schien, als wäre es bei ihrem Kampf letztendlich gar nicht ums Gewinnen gegangen, auch wenn er sich nicht sicher war, worum stattdessen. Irgendwann würde er sicher wissen, was das alles zu bedeuten hatte. „Ich weiß nicht, was ich zu ihnen sagen soll”, sagte Takao plötzlich und sah zu Rei und Max. „Sie haben das Finale genauso verdient. Aber ich bin wirklich froh, dass du es warst.” „Ich glaube, das wissen sie”, entgegnete Kai, „Und sie akzeptieren es. Du solltest zu ihnen gehen.” „Ich habe mich so daneben benommen. Scheiße.” Er hob die Augenbrauen, sagte aber nichts. Vermutlich erwartete Takao auch keine Erwiderung. „Aber du hast wohl Recht, ich sollte rübergehen.” Langsam aber sicher verflog die düstere Nachdenklichkeit aus dem Gesicht des anderen und Takao wurde wieder völlig er selbst. Er atmete tief durch und sah sich um. „Wo ist Daichi? Er hat ziemlich viel Nachtisch gegessen, ich hoffe, er hat sich nicht übernommen...oh, da ist er ja. Bei Yuriy.” Als er das sagte, hob Kai den Kopf. Tatsächlich, die beiden saßen auf Barhockern, was bei ihrem immensen Größenunterschied ein recht seltsames Bild abgab. Daichi gestikulierte wild in der Luft und Yuriy beobachtete ihn mit spöttisch gehobenen Augenbrauen. Doch selbst von Weitem war zu erkennen, dass sie den jeweils anderen wertschätzten. Für eine Weile waren Kai und Takao versunken in den Anblick, den ihre Partner boten. Dann stemmte Takao die Hände in die Seiten. „Dieser Daichi! Ich kümmere mich mal um ihn, bevor er deinen Teamchef aus Versehen erschlägt.” Er brüllte den Namen des Jüngeren und Kai konnte geradeso verhindern, dass er zusammenzuckte. Auch ein paar andere Köpfe drehten sich zu ihnen um, das Verhalten des Champions löste einige Lacher aus. Takao war da schon längst davongeeilt, zog Daichi vom Hocker und stürmte mit ihm im Schlepptau zum Tisch von Max, Rei und Hiromi. Kais Blick wanderte zu Yuriy, der diesen, noch ganz verdattert vom plötzlichen Ende seines Gesprächs, erwiderte. Dann setzte Kai sich ebenfalls in Bewegung, um Daichis Platz einzunehmen. „Na, kaufst du mir einen Drink?” Yuriy lachte. „Nichts lieber als das. Ich fürchte nur, die Drinks hier sind erstens kostenlos und zweitens ohne Alkohol.” Er beugte sich zu Kais Ohr. „Boris hat aber einen Flachmann dabei.” Das Gefühl des warmen Atems an seinem Hals löste bei Kai einen wohligen Schauer aus. Er winkte dem Barkeeper und bestellte sich ein Wasser, denn langsam wurde es warm. Yuriy folgte jeder seiner Bewegungen, dabei lächelte er unergründlich in sich hinein. Sie schwiegen, Kai spielte mit dem Wasserglas, das zwischen ihnen stand und an dem binnen Sekunden Kondenstropfen hinunterliefen. Hinter ihnen sammelten sich immer mehr Blader auf der Tanzfläche. Die bunten Leuchten waren nun greller und hatten angefangen zu blinken. Während Yuriys Gesicht zu einem großen Teil im Licht der Bar lag, wurde seine Schulter schon in wechselnde Farben getaucht. Schließlich streckte der Rothaarige den Arm aus, angelte einen der Eiswürfel aus Kais Glas und schob ihn in den Mund. Dann drehte er sich auf seinem Hocker, sodass er beobachten konnte, was auf der Tanzfläche passierte. Die Ellenbogen stützte er auf dem Tresen ab. Kai hatte das Gefühl, sich niemals an diesem Menschen satt sehen zu können. Nur ganz langsam gelang es ihm, wieder zu sich zu finden und zu realisieren, was um sie herum geschah. Die Party war in vollem Gang. Die Musik kam aus den vergangenen Jahrzehnten, vielleicht wollte der DJ den Älteren im Raum einen Gefallen tun; die Teenager ließen sich davon allerdings nicht beirren und hüpften mehr oder weniger graziös zu den altmodischen Rhythmen auf und ab. Als Kai sich ebenfalls umdrehte, sah er als erstes Boris und Sergeij auf der Tanzfläche. Sie sorgten für einige Entgleisungen in den Minen der Leute um sie herum, doch blamieren taten sie sich natürlich nicht. Das Tanzen lag ihnen im Blut. Und auf einmal tauchte Julia auf, um nach Sergeijs Hand zu greifen und ihn mehr zur Mitte zu ziehen. Boris breitete die Arme aus und sah ihnen hinterher, dann machte er wohl oder übel alleine weiter. Rei und Mao schmiegten sich ein Stück weiter links aneinander und schienen gar nicht mitzubekommen, dass sich die Musik nicht wirklich für einen romantischen Paartanz eignete. Miss Judy und Max’ Vater hingegen schienen in ihre Jugend zurückversetzt worden zu sein. Sie ernteten für ihren Tanz spontan Applaus vom amerikanischen Team. Alles in allem herrschte ein ziemlicher Tumult. Ohne es zu merken begann Kai, mit dem Fuß im Takt zu wippen. Yuriy verzog den Mund zu einem Grinsen. „Sollen wir tanzen gehen?” „Hmmm…” „Ach na los, komm schon!” Der Rothaarige sprang von seinem Hocker und machte eine lockende Handbewegung, während er rückwärts auf die Tanzfläche zuging. Schließlich seufzte Kai und stand ebenfalls auf. „Aber ironisch, klar?!”, sagte er, als er bei Yuriy angekommen war. Die Wahrheit war, Kai tanzte gerne. Vor den Bladebreakers konnte er das inzwischen ohne Probleme zeigen, bei komplett Fremden machte es ihm auch nichts aus, aber die Anwesenheit so vieler flüchtig Bekannter war irgendwie seltsam. Nach ein paar Sekunden stellte er jedoch fest, dass alle ziemlich mit sich selbst beschäftigt waren, und das half. Dann richtete er seine volle Aufmerksamkeit auf Yuriy. Vielleicht hatten sie noch betont ironisch angefangen, bald darauf war es ihnen jedoch egal, wie sie aussahen. Es war kein enger Tanz, nur manchmal legte sich Yuriys Arm um ihn und sie schaukelten für ein paar Takte gemeinsam hin und her, ab und an berührten sich ihre Hände. Es war wie ein Spiel mit dem Ziel, den jeweils anderen möglichst oft heimlich anzufassen. Kai überlegte, ob er Yuriy zu den Toiletten lotsen und sich in irgendeiner Kabine von ihm an die Wand drücken lassen sollte. Er hätte in diesem Moment ziemlich viel für einen langen, intensiven Kuss gegeben, oder sogar ein bisschen mehr. Irgendwann tauchte Max in seinem Blickfeld auf und gab ihm breit grinsend einen doppelten thumbs up. Als Takao ihn wenig später entdeckte, rief er nur „Whoo, Kai!”, was wohl eher der Tatsache galt, dass er überhaupt auf der Tanzfläche war, und winkte, bevor er wieder von jemand anderem abgelenkt wurde. Und auf einmal stand Boris neben ihnen und schlang die Arme um ihre Schultern. Wahrscheinlich hatte er schon etwas tiefer in seinen Flachmann geguckt. „Tovarischi! Da seid ihr ja!”, rief er, dann beugte er sich vor und zog sie näher zu sich heran. „Yuiry. Hast du Gras?” „Aber Boris!”, gab dieser gespielt entrüstet zurück, „Das ist Medizin!” „Komm schon, nur ein bisschen! Ich tausche gegen Shochu!” Er blickte verschwörerisch in die Runde. „Ich habe draußen die zweite Flasche versteckt.” „Wir könnten uns Mixer von der Bar mitnehmen”, meinte Kai, woraufhin Boris ihm kräftig auf die Schulter schlug. „Ich mag, wie du denkst, Hiwatari!” „Sollten wir Sergeij Bescheid sagen?”, fragte Yuriy und sah über die Schulter. „Ich glaube, der ist beschäftigt, Yura, lass ihm seinen Spaß.” „Ist ja gut, ist ja gut…” Zehn Minuten später saßen sie im Dunkeln auf der Feuertreppe, die zum Hinterhof führte, tranken Shochu mit Zitronenlimonade und ließen eine Zigarette kreisen. Das Gras hatte Yuriy im Hotel gelassen. Boris schien jedoch schon wieder vergessen zu haben, dass er überhaupt danach gefragt hatte. Kai zog seinen Schlips aus und öffnete die oberen Knöpfe seines Hemdes. Zeit, sich ein wenig lockerer zu geben. Seine Haut war am Hals bereits nass vom Tanzen, und so brachte die kühle Luft hier draußen ein wenig Erleichterung. Yuriy gab die Zigarette an ihn weiter, und während er an ihr zog, spürte er, wie die Hand des anderen zu seinem Hinterkopf wanderte. Er fuhr ihm durchs Haar und begann dann, seinen Nacken zu massieren. Kai lehnte sich in die Berührung und streckte den Arm aus, um Boris die Zigarette zu geben. Der blies einen langen Strom Qualm aus und musterte sie. „Wollt ihr das eigentlich offiziell machen?”, fragte er dann. „Ich meine, es ist bald schon nicht mehr zu übersehen. Man trifft euch ja kaum noch alleine.” Yuriys Hand rutschte tiefer, blieb auf Kais unterem Rücken liegen. „Hm, keine Ahnung...”, sagte er und warf dem Rothaarigen einen Blick zu. War er vorher angenehm beschwipst gewesen, fühlte er sich schlagartig wieder nüchtern. Er erinnerte sich an ihr Gespräch in Sydney, und plötzlich wurde ihm bewusst, dass ihre Probleme nicht einfach verschwunden waren, nur weil Neo Borg ein paar Wochen länger in Japan blieben. Sie waren lediglich aufgeschoben. Dabei wollte er es gern offiziell machen, allein, um die Gerüchteküche im Keim zu ersticken. Aber auch, weil doch bitte die ganze Welt sehen sollte, dass Yuriy Ivanov sein Freund war. „Da habe ich wohl einen Nerv getroffen”, stellte Boris fest. „Ich habe nur gedacht, wenn wir jetzt länger hier sind, wird sich das wohl ergeben. Deine kleinen BBA-Freunde scheinen ja eh schon alles zu wissen, Kai. Das Problem ist nur, was machen wir, wenn wir wieder zurückgehen?” Dabei sah er Yuriy an. „Du kennst meine Meinung, Yura.” „Und die wäre?”, hakte Kai nach, obwohl er es sich denken konnte. „Nichts sagen, bevor wir zurück in Russland sind”, antwortete Yuriy an Boris’ Stelle, „Oder noch besser: Es komplett geheim halten.” „Wie stellst du dir das vor? Früher oder später wird es Gerüchte geben.” „Ja. Aber vielleicht ist es besser, wenn es nur Gerüchte sind. Ich glaube nicht, dass wir uns einfach als Paar zeigen können. Nicht...dort.” Kai nickte nur und wechselte einen langen Blick mit Yuriy. Auch Japan war in dieser Hinsicht nicht das Paradies auf Erden. Noch dazu wollte er sich nicht ausmalen, wann sein Großvater wohl sagen würde. „Mir gefällt das auch nicht”, sagte Yuriy, „Aber Boris hat Recht. Allein durch die Weltmeisterschaft werden wir so viel Aufmerksamkeit bekommen, wenn wir wieder zurück sind - wir bekommen ja jetzt schon Anfragen für Interviews.” „Sie werden uns garantiert einmal wie die goldene Kuh durchs Dorf treiben”, ergänzte Boris, „Wir sind dann kurz die guten Parny, bevor sie uns wieder vergessen.” „Ich verstehe schon. Aber was machen wir mit den Leuten da drin?” Kai deutete zur Tür, die zurück in den Saal führte, „Ich meine, alle, die nach morgen noch hier sind, wissen es sowieso.” „Ganz ehrlich, Kai”, sagte Boris, „Willst du, dass ein Rick Anderson von euch erfährt? Oder jemand, der so gern mit der Presse spricht wie die Fernandez-Zwillinge? Oder jemand, den du kaum kennst, Kiki zum Beispiel?” Da hatte er definitiv einen Punkt. Kai griff nach seinem Glas, das noch halb gefüllt war mit Alkohol-Zitrone, und leerte es in einem Zug. Er war hier eine kleine Berühmtheit und Yuriy und die anderen hatten ein Leben in Severodvinsk, und es wäre naiv zu glauben, dass es keine Konsequenzen haben würde, wenn ihre Beziehung dort durch die Medien ging. Hier und jetzt, auf der klapprigen Treppe, konnten sie das Problem allerdings nicht lösen. Das schien auch Boris eingesehen zu haben, denn er schenkte ihnen allen großzügig nach. „Es tut mir leid, wenn ich euch die Stimmung vermiest habe”, sagte er entschuldigend, während er den Shochu mit Limonade aufgoß. „Ich muss das ja auch alles selbst noch richtig in den Kopf kriegen. Es ist schon irgendwie irre. Ich meine” Er hob sein Glas und trank, ohne zu prosten. Das war ein sicheres Zeichen dafür, dass der Alkohol ihn doch schon im Griff hatte. „Yuriy! Du bist mein bester Freund, ich liebe dich aus ganzem Herzen und will nur, dass du glücklich bist. Blabla. Also sag mir” Er machte eine Kunstpause. „Was findest du bitte an Hiwatari?” Auch Kai trank erneut, um seine Verlegenheit zu überspielen. Er bemerkte wohl, wie der andere ihn von der Seite musterte, konzentrierte sich aber ganz auf sein Getränk. „Boris”, sagte Yuriy schließlich tadelnd, „Hast du ihn dir mal angesehen?” „Hm-hm. Er bekleckert sich gerade mit Brause.” „Gar nicht wahr!”, verteidigte Kai sich, musste sich aber ein paar Tropfen vom Kinn wischen. „Ja, okay. Hiwatari” Boris deutete mit dem Finger auf ihn. „Was findest du an Yuriy?” Als Kai sich nun zu Yuriy drehte, erwiderte der seinen Blick unumwunden. In diesem Moment hätte er sehr viele Dinge aufzählen können. „Hast du ihn dir mal angesehen?”, antwortete er stattdessen, während sie sich weiter betrachteten. Yuriys Mund verzog sich zu einem Lächeln. „Ich sehe hier nur zwei besoffene, verknallte Idioten”, sagte Boris, „Und ich hätte wirklich nie damit gerechnet, mal in so eine Situation zu kommen.” „Kai, möchtest du knutschen? Ich glaube, sowas hat Boris auch noch nie gesehen…” „Yura, bitte! Ich hab gesagt, ich muss mich langsam daran gewöhnen! Könnt ihr nicht mit Händchenhalten oder sowas anfangen?” Doch sie achteten schon nicht mehr auf sein Gezeter. „Es wird ihn schon nicht umbringen”, meinte Kai. Dann verwickelte Yuriy ihn in einen ziemlich intensiven Kuss. „Oh mein Gott! Leute!”, rief Boris, „Okay...das...das sieht weniger widerlich aus als ich dachte, aber es ist mega seltsam und...Dinge, die ich nie erleben wollte...Könnt ihr bitte aufhören? Hey!” Er bespritzte sie mit ein paar Tropfen aus seinem Glas, und das brachte sie tatsächlich zum Ende. Kai fing an, sich lautstark zu beschweren, doch dann ging quietschend die Tür über ihnen auf. „Kai!” Es war Max. „Hör auf, verbotene Dinge zu machen und komm! Sie spielen unseren Song!” Tatsächlich war im Hintergrund bereits die bekannte Melodie zu hören. Kai sprang auf. Oh je, er war betrunken. Das würde peinlich werden. „Verdammt - Warte Max, ich komme!” Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)