Lokis Strafe von uk ================================================================================ Kapitel 63: Entsetzen --------------------- Natasha fand Clint draussen vor dem Eingang zur Basis vor – allein. Eigentlich war es sehr riskant, das Innere des SHIELD-Hauptquartiers zu verlassen, denn in der momentanen Krise musste man jederzeit damit rechnen, angegriffen zu werden. Doch Hawkeye hatte wohl einen Ort gesucht, wo er ungestört von den anderen einen Moment Ruhe finden konnte. Natasha wäre die letzte Person gewesen, die das nicht verstanden hätte. Sie kannte den Freund aber auch gut genug um zu ahnen, dass er nicht allein mit dem fertig werden sollte, was in ihm brodelte. Die Enthüllung von dem, was in Asgard mit Loki geschehen war, war ein regelrechter Schock gewesen. Sie alle hatten lange Zeit angenommen, dass er in einer Zelle gelandet wäre (und sich darunter in etwa das vorgestellt, womit man in einem irdischen Gefängnis in einem solchen Fall rechnen musste). Dann, als Tony ihnen davon berichtet hatte, dass Loki sich auf der Erde befand – und ihre Hoffnung zerschlagen worden war, ihn wenigstens als einen Gefangenen von SHIELD vorzufinden – hatten sie nicht so recht gewusst, was sie von der ganzen Sache halten sollten. Laut Tony hatte Thor persönlich seinen Bruder hergebracht, etwas, das dieser inzwischen auch bestätigt hatte. Doch warum... Auf diese Frage hatte der Donnergott bislang keine Antwort gegeben. Nun wussten sie es. Und Natasha war nicht die einzige gewesen, die das nackte Entsetzen gepackt hatte, als Coulson berichtete, was passiert war... Was er selbst so real vor sich gesehen hatte, als wäre es mit ihm persönlich geschehen. Clints Gesicht war bis zum Schluss von Coulsons leisen, erschütterten Worten eine eiserne Maske geblieben. Bruce Banner hatte sich schon nach wenigen Sekunden die Brille heruntergerissen und sie in sichtlicher Hektik zu putzen begonnen (einzig in dem Bemühen, seine Betroffenheit nicht allzu sichtbar werden zu lassen, da er dadurch schön unauffällig den Kopf senken konnte), Steve hatte mit offenem Mund und fassungslosem Kopfschütteln dagesessen, die Augen verdächtig feucht und Tony... Nun, Tony war verschwunden, kaum dass Coulson geendet hatte – in wilder Hast und offenkundig in Richtung der nächsten Toilette mit dem ebenso offenkundigen Bedürfnis, das Gehörte herauszuwürgen... Buchstäblich. Natasha selbst war wie versteinert gewesen und hatte erst nach einigen Minuten gemerkt, dass sie ihre Hände so fest im Schoss zusammenpresste, dass sich die Fingernägel in die Handlächen krallten, bis es leicht zu bluten begann. Nur Clint war ruhig geblieben – unheimlich ruhig. Und dann hatte auch er sich erhoben und war gegangen. Aber nicht wie Tony, der geradezu geflohen war, sondern scheinbar gelassen. Nur Natasha, die ihn gut genug kannte, hatte gewusst, dass die steinerne Maske wirklich nur genau das war: eine Maske. Nun sah sie den Freund draussen an einen Baum gelehnt, die Arme um den Stamm geschlungen, als finde er dabei Halt und so schwer atmend, als habe er Bauchschmerzen. «Hey,» sagte sie leise. Clints Kopf ruckte herum. Er starrte die Frau an, nur ganz kurz, ehe er das Gesicht wieder abwandte. Doch in dieser einen Sekunde hatte Natasha deutlich das verdächtige Glitzern in seinen Augen gesehen. «Ich... habe ihn gehasst, Nat.» brach es aus Clint heraus, noch ehe die Black Widow dazu kam, das Gespräch einzuleiten. «Ich hätte ihn mit blossen Händen erwürgen können. Er hat sich damals in meinem Kopf festgesetzt und mich Dinge tun lassen, für die ich mich jetzt verabscheue... Ich war eine hilflose, wehrlose Marionette, die er buchstäblich weggeworfen hätte, wenn ihr Dienst getan war. Es war schrecklich gewesen. Teilweise konnte ich mir zusehen, wie von aussen – aber ich konnte nichts tun! Ich wollte schreien, wollte rufen 'Leute, helft mir, das will ich gar nicht!' Aber es war unmöglich, aus diesem Bann rauszukommen. Ich... ich musste mich hilflos dabei beobachten, wie ich Menschen umgebracht und den Helicarrier angegriffen habe. Wie ich euch alle in Gefahr gebracht habe...» Er atmete noch schwerer. Natasha war tief betroffen: Clint hatte ihr zwar damals auf dem Helicarrier, als sie ihn – ziemlich unsanft – aus Lokis Kontrolle herausgeholt hatte, schon davon erzählt, wie schlimm es gewesen war. Aber niemals so detailliert. Vor allem hatte sie bis zum heutigen Tag immer geglaubt, dass Clint in der ganzen Zeit, in der er von Loki gelenkt worden war, nichts von allem mitgekriegt hatte. Aber was sie nun hörte, trieb ihr die Tränen in die Augen. Er hatte hilflos zusehen müssen, wie ein anderer über seinen Körper verfügte und ihn für Terrorzwecke einsetzte..! Nun begriff sie nur zu gut, warum Hawkeye bislang Loki gegenüber abweisend geblieben war. Zumindest bis heute, wie sich zeigte, als Clint weitersprach... «Und dann rettet er mich!» Er wandte den Kopf wieder und sah Natasha so fassungslos an, als könne er es immer noch nicht ganz glauben. «Ich meine... er hätte mich einfach sterben lassen können, nicht wahr? Keiner von euch hätte gewusst, dass er die Möglichkeit besitzt, Flammen zu löschen, Schmerzen innert Sekunden auszuschalten und Verbrennungen zu heilen. Er hätte einfach sagen können, er sei zu spät gekommen, um mich noch zu retten. Aber das hat er nicht getan...» Er verstummte und lehnte den Kopf gegen den Baum. Natasha sagte nichts, liess ihm Zeit. Nach einer langen Schweigepause sprach der Mann leise weiter. «Ich dachte zuerst wirklich, dass er sich über mich amüsiert hätte. Ehrlich, Nat, als ich da am Boden lag und mir die Seele aus dem Leib geschrien habe, da wollte ich... Ich wollte sterben!» Mit zitternder Hand fuhr er sich durch die Haare. «Und gleichzeitig hoffte ich, dass jemand kommen und mich retten würde. Irgendjemand! Aber als dann Loki auftauchte...» Er stöhnte leise. «Es klingt jetzt sicher total verrückt, aber das erste, was mir durch den Kopf schoss, war: oh nein, ausgerechnet er sieht mich so..!» Natasha trat näher und wollte etwas sagen, doch da lachte Clint auf. Kurz, trocken und freudlos. «Im nächsten Moment dachte ich allerdings gar nichts mehr... Ich war mir nur sicher, dass es gleich vorbei sein würde. Wirklich vorbei, meine ich. Dass Loki mich töten würde.» Seine Arme lösten sich vom Baumstamm und er presste die Hände zu Fäusten. «Und es war auch vorbei, Nat. Aber ganz anders, als ich befürchtet hatte: eine flüchtige Handbewegung von Loki und meine Schmerzen waren weg. Das nächste, woran ich mich erinnere, ist, dass ich aufwache... Vollkommen unversehrt!» Wieder starrte er die Frau an, als könne er nicht fassen, was da geschehen war. «Clint...» sagte Nat leise und nahm seine Hand. Ein seltsamer Laut entrang sich Bartons Kehle. Es klang beinahe wie ein Aufschluchzen. «Weisst du noch wie Loki uns bissig sagte, dass wir es mögen würden, was mit ihm in Asgard geschehen ist?» Als Natasha langsam nickte, schniefte er. Sie reichte ihm ein Taschentuch und liess ihn sich die Nase putzen, ehe sie leise und mit zitternder Stimme fragte: «Und, mochtest du es?» Sie ahnte die Antwort, bevor er sie gab. «Ich wollte es, Nat! Ich habe mir die ganze letzte halbe Stunde einzureden versucht, dass er das verdient hat. Aber ich mache mir nur was vor. Statt der Genugtuung, die ich gerne empfinden würde, spüre ich nur Entsetzen...» Er schüttelte den Kopf. «Ich meine, mal ganz ehrlich und abgesehen davon, dass Loki ein Verbrecher ist, aber... Welcher Vater tut sowas mit seinem Sohn?» Das hatte sich Natasha auch gefragt. Und sie würde mit Thor noch darüber sprechen, soviel stand fest. Doch im Moment konnte sie nur leer schlucken. Sie merkte, dass sich Clint regelrecht an ihr festklammerte. «Ich wundere mich, dass er überhaupt noch... normal ist. Naja, sofern man das Wort 'normal' bei Loki verwenden kann.» Ein flüchtiges, sehr flüchtiges, Lächeln spielte kurz um seinen Mund. Natasha erwiderte es, doch es verschwand ebenso rasch wieder wie seines. «Ich meine... Wenn man sowas mit mir gemacht hätte – nicht, dass ein Mensch das überhaupt überleben könnte, aber nur mal so angenommen – dann wäre ich jetzt garantiert ein Wrack. Ein körperliches und vor allem psychisches Wrack!» «Naja, wie du eben sagtest: auf Loki lässt sich der Begriff 'normal' nicht unbedingt anwenden.» Natasha sagte es leise, ohne Belustigung. Clint wusste, was sie meinte: als Ausserirdischer verfügte er über weitaus mehr Kraft als jeder Mensch. Und das offenbar nicht nur in körperlicher, sondern auch in jeder anderen Hinsicht. Dennoch... Und da war noch etwas, das Clint nicht fassen konnte: sie wussten, dass Loki geholfen hatte, Asgard zu retten. Wie um alles in der Welt hatte er das geschafft? Nach allem, was er über ihn wusste, hätte er angenommen, dass der Gott der Lügen diese perfekte Gelegenheit zur Rache nutzen würde – aber nein... Natasha merkte auf einmal sehr deutlich, dass Clint an diesem Abend aus seinem Gefühlswirrwarr nicht mehr herausfinden würde. Und dass er Schlaf brauchte – einfach nur Schlaf. «Komm,» sagte sie daher sanft und zog ihn mit sich wie einen kleinen Jungen. «Ich denke, ein paar Stunden Ruhe wären jetzt genau die richtige Medizin für dich.» Clint schüttelte den Kopf. «Nein, ich möchte erst mit Loki sprechen.» Es klang ängstlich aber gleichzeitig verzweifelt bemüht, das Richtige zu tun. Fast so als fürchte er sich davor, am nächsten Morgen den nötigen Mut nicht mehr aufbringen zu können. Den Mut, sich für sein Verhalten zu entschuldigen. Natasha schaffte ein Grinsen. «Damit würdest du ihm keinen Gefallen tun: der liegt nämlich immer noch flach. Deine Heilung hat ihn offenbar ziemlich mitgenommen.» Clints Augen wurden gross. Er hatte nur am Rande mitbekommen, dass Loki umgekippt war – aber geglaubt, dass er längst wieder auf den Beinen war. «Er schläft.» fügte Natasha hinzu. «Und das, mein Freund, solltest du jetzt auch tun». Da liess er sich widerspruchslos von ihr in sein Zimmer führen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)