Lokis Strafe von uk ================================================================================ Kapitel 54: Er kommt. Bald! --------------------------- Thor stand auf einer grossen Wiese und wunderte sich, wie er hergekommen war. Er konnte sich nicht erinnern, den Weg auf sich genommen zu haben. Trotzdem war er da. Was wollte er hier? Seine Augen schweiften herum und entdeckten nichts Aussergewöhnliches. In der Ferne – in sehr weiter Ferne – sah er die Umrisse der Stadt mit den hohen Bergen im Hintergrund. Alles wirkte so friedlich und ruhig. Fast so, als ob es niemals eine Hela gegeben hätte. Oder die beinahe erfolgreiche Auslöschung seiner gesamten Rasse. Einen Moment lang saugte er den Frieden in sich auf, ehe er sich zur Ordnung mahnte. Wie immer er her gelangt sein mochte: er hatte anderes zu tun als auf der faulen Haut zu liegen und sich einen schönen Tag zu machen! Gerade wollte er sich kopfschüttelnd zurück zum Palast begeben, als er plötzlich Schritte hinter sich hörte. Er wandte den Kopf und entdeckte eine alte Frau, eine Greisin, um genauer zu sein. Sie ging langsam und benutzte einen Stock, um nicht hinzufallen. Ihr schlohweisses Haar stand ihr etwas wirr vom Kopf ab. Das runzlige Gesicht war ernst und verschlossen, als sie auf den blonden Donnergott zutrat. Ihre Augen jedoch wirkten überraschend jung und zeitlos. «Thor.» sagte sie mit leicht kratzender Stimme. «Wie schön, dich endlich kennen zu lernen.» Der Blonde war verblüfft und fand keine schlaue Antwort auf die Worte. «Ah, ist es nicht herrlich hier?» Die Alte liess den Blick schweifen. «So friedlich, nicht wahr?» Thor fand seine Sprache wieder. «Wer bist du?» «Nenn mich Luitgard.» Die Alte kicherte leise. «Obwohl ich viele Namen habe... Und dieser mir eben erst eingefallen ist.» Ein neues Kichern. «Namen können magisch sein, weisst du. Man tut gut daran, den eigenen nicht jedem zu nennen.» Thors Gesicht war ein einziges Fragezeichen und er schwankte zwischen zwei Empfindungen: Amüsement und Gereiztheit. Er hatte eigentlich keine Zeit für verrückte alte Weiber! «Und was willst du nun von mir, Luitgard?» bemühte er sich um ein Anzeichen von Interesse. In Gedanken war er allerdings beim Wiederaufbau des Hauptflügels im Palast. «Dich warnen.» Die Alte kam näher und packte seinen Arm. «Die Zeit rückt näher und du bist immer noch nicht bereit.» Die Frau musste definitiv nicht ganz richtig im Kopf sein! Thor versuchte dennoch, ruhig und einigermassen freundlich zu bleiben. «Wovor auch immer du mich warnen möchtest, Luitgard...» hob er an, doch sie unterbrach ihn. «Er kommt! Schon bald! Und er wird immer stärker. Er hat schon zwei Steine und wird bald noch mehr in die Finger bekommen. Es gibt kaum noch einen Weg, ihn zu stoppen, bevor er seine ganze Macht besitzt. Das heisst...» Sie holte tief Atem, stemmte die eine Hand in die Seite und schloss: «...dass du verflixt noch eins endlich deine ganze Kraft entfalten solltest, ehe es zu spät ist!» «W... was?» Thor blinzelte verwirrt. Wovon um alles in der Welt sprach diese Verrückte? «Du bist der einzige, der ihn töten kann! Aber du musst deine ganze Kraft dafür einsetzen. Und du Dummerchen weisst noch nicht mal, was das heisst. Nach all den Jahrhunderten hast du immer noch nicht die leiseste Ahnung wie stark du wirklich bist! Also lerne es endlich!» Sie hob ihre Stimme noch mehr an. «Lerne! Oder wir sind alle verloren!» Thor riss der Geduldsfaden. Er packte die Alte am Arm und neigte sein Gesicht zu ihr herunter. «Sprich Klartext: wer kommt? Von welchen Steinen in seinem Besitz redest du? Und was meinst du damit: ich kenne meine wahre Kraft nicht?» Die letzte Frage klang schneidend scharf. «Die Steine der Macht, Dummerchen!» schnauzte die Alte zurück. «Ihr nennt sie anders, ich weiss nicht genau wie. Frag deinen Bruder, der weiss es.» Sie löste sich mit erstaunlicher Leichtigkeit aus seinem Griff, trat einen Schritt zurück und fügte hinzu: «Dein Bruder kennt auch den Zeitplan. Er weiss, wann es soweit ist. Wann er kommt. Ich habe es ihm gesagt, vor langer Zeit schon. Frag ihn.» Ihre Augen funkelten auf einmal wie zwei dunkle düstere Sterne. «Und frag ihn auch gleich, warum er es bis heute nicht geschafft hat, dich in Form zu bringen.» Thor öffnete seinen Mund um die Alte erneut dazu aufzufordern, in klaren Worten zu sprechen. Wütend trat er dabei einen Schritt nach vorne, auf sie zu... ...und plumpste im nächsten Moment aus seinem Bett. Ein Traum. Das Ganze war nur ein völlig verrückter, wirrer Traum gewesen! Thor schaute zum Fenster hin. Es herrschte noch dunkelste Nacht und die Bewohner der Stadt – die wenigen, die es jetzt noch gab – lagen in tiefstem Schlummer. Mit einer fahrigen Geste strich er sich durch sein Haar und lachte nervös. Nur ein Traum. Ein blöder, idiotischer, seltsamer Traum... Doch warum hatte er dann das Gefühl, dass er das alles wirklich erlebt hatte? Er kommt... Von welchem er hatte die Alte bloss gesprochen? Dein Bruder kennt den Zeitplan... Frag ihn! Was für ein Zeitplan? Thor drehte sich zur Seite und versuchte, erneut Schlaf zu finden. Eine halbe Stunde lang wälzte er sich hin und her, ohne Erfolg zu haben. Schliesslich gab er es auf und ging nach draussen auf die Terrasse. Die Kühle der Nacht schlug ihm entgegen und weckte seine Sinne. «Nur ein Traum,» murmelte er vor sich hin, «mach dich nicht verrückt.» ‘Kein Traum!’ raunte eine Stimme in seinem Inneren. ‘Er kommt. Bald!’ ____________________________________________________ Am Morgen war Thor noch immer von der gleichen Unruhe beseelt wie in der Nacht. Er versuchte sich durch ein paar Trainingseinheiten abzulenken, doch es half leidlich wenig. Schliesslich machte er sich auf zu den Gemächern seiner Mutter. Er kam ohne grosse Umschweife zur Sache und fragte sie, ob sie eine Alte namens Luitgard kenne. Kaum hatte er gefragt, kam ihm wieder in den Sinn, dass die Frau behauptet hatte, sich den Namen gerade erst ausgedacht zu haben. Seine Mutter verneinte denn auch dementsprechend die Frage. Doch als er sich bereits achselzuckend und mit einer leise gemurmelten Entschuldigung wieder davonschleichen wollte, hielt ihn ihre sanfte Stimme zurück. «Was ist los, mein Sohn? Was bedrückt dich?» «Nichts,» erwiderte er und wirkte dabei doch derart schuldbewusst wie ein kleines Kind, dass sie sofort erriet, dass er log. Zehn Minuten später hatte sie ihn soweit, dass er ihr von seinem komischen Traum erzählte. Er wartete darauf, dass sie es ihm gleichtun und darüber lachen würde. Doch das tat sie nicht. «Ich weiss nicht, wie die Alte heisst.» sagte Frigga nach einigen Minuten langsam und mit leiser Vorsicht in der Stimme. «Aber ich denke, sie ist eine der Seherinnen aus Vanaheim.» «Seherin?» Thor begriff nicht. Seine Mutter seufzte leise. «Du kannst sie auch Prophetin nennen, wenn du möchtest. Es gab einst drei in Asgard. Niemand kannte ihre Namen – ihre wahren Namen – und zwei davon sind längst tot.» «Wie auch immer,» Thors Antwort kam heftiger als gewollt. Er sträubte sich gegen die in ihm aufkeimende Erkenntnis. «Es war nur ein Traum, Mutter.» Ein leises, spöttisches Auflachen. «Ich bin anschliessend aus dem Bett gefallen – glaub mir also, es war ein Traum.» Frigga lächelte flüchtig, wurde aber gleich wieder ernst. «Es mag sich in einem Traum zugetragen haben. Aber das bedeutet nicht, dass es auch tatsächlich einer war. Seherinnen können in den Geist anderer eintauchen und sie Dinge schauen lassen, welche ein Spiegelbild der Realität sind.» Thor atmete heftig ein. Das war eigentlich nicht das, was er zu hören gehofft hatte. «Und was tun... diese Seherinnen sonst noch so?» wagte er schliesslich die leise Frage. Er kannte die Antwort allerdings schon, bevor Frigga sie ihm gab. «Sie sagen die Zukunft voraus.» Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)