Lokis Strafe von uk ================================================================================ Kapitel 50: Der Feind der zum Freund wird ----------------------------------------- Clint Barton stand mit verschränkten Armen ausserhalb des Raumes, in dem Loki und die Avengers sowie die beiden SHIELD-Agenten das Geschehen am Monitor verfolgten. Er hatte sich nicht überwinden können, mit hinein zu gehen. Dafür tobten viel zu viele widerstrebende Gefühle in ihm. Noch immer konnte er Loki kaum ansehen, ohne ihm an die Gurgel gehen zu wollen. Und doch... Der Kerl hatte zwei Agenten gerettet sowie diesen Fandral aus Asgard. Lauter Feinde also. Warum? Barton konnte es nicht nachvollziehen. Er fragte sich, welches doppelte Spiel Loki spielen mochte. Doch so sehr er sich auch den Kopf zermarterte: er konnte sich beim besten Willen nicht erklären, was Loki selbst von all dem haben könnte. Wenn er irgend einen eigennützigen, bösen Plan verfolgte, dann war dieser jedenfalls ziemlich genial da schlicht in keinster Weise durchschaubar. Andererseits: wenn er wirklich ein falsches Spiel spielte, wäre er ihnen gegenüber dann so sarkastisch und spöttisch? Barton gab sich die Antwort gleich selbst: nein. Ein guter Schauspieler – und von Thor wusste er, dass Loki sogar ein hervorragender Schauspieler war! – würde etwas ganz anderes vortäuschen. Er würde sich möglichst zerknirscht und extrem liebenswürdig geben, um Vertrauen zu erwecken und alle in falscher Sicherheit zu wiegen. Loki hingegen schien sich nur reichlich Mühe zu geben, ihnen ihre Wut auf ihn zu erhalten. Oder war etwa genau das sein Plan? In Clints Kopf begann es zu schwirren, und er massierte sich die schmerzenden Schläfen. Er war seit über vierundzwanzig Stunden auf den Beinen, und es machte sich langsam bemerkbar. «Ist nicht ganz einfach, damit klar zu kommen, wenn aus dem Feind plötzlich ein Freund wird, nicht wahr?» hörte Clint da eine leise, noch etwas schwach klingende Stimme im Rücken. Er wirbelte herum und sah Fandral hinter sich stehen. «Freund..?» Barton dehnte das Wort. «Also, wenn Sie von Loki sprechen, dann können Sie das knicken! Als Freund werde ich ihn in meinem ganzen Leben nie bezeichnen.» «Man sollte niemals nie sagen.» gab Fandral zurück. Er lächelte flüchtig, wurde aber gleich wieder ernst. Sehr ernst. «Glauben Sie mir: ich spreche aus Erfahrung.» Clint musterte ihn neugierig. «Ich hab’ gehört, Sie waren einer der Krieger, die damals, als Thor auf die Erde verbannt wurde, hergekommen sind, um ihm zu helfen. Um ihn aus den Händen seines Bruders zu retten, genau gesagt.» Er wandte kurz den Kopf und zeigte mit dem Finger auf Loki. «Mit anderen Worten: Sie haben gegen ihn gekämpft.» «Natürlich habe ich das. Aber die Dinge... haben sich geändert.» Fandral zögerte einen Moment, dann erzählte er Barton davon, wie Loki Asgard vor der Eroberung – und beinahe kompletten Vernichtung - durch Hela gerettet hatte. Clints Mund stand am Ende seines Berichts weit offen. Er wollte etwas antworten und merkte, dass er es nicht konnte. Fandral nickte nur düster und lächelte wieder matt. «Wie ich vorhin sagte: man sollte niemals nie sagen.» «Und sie sollten im Bett liegen.» Das war Jemma. Sie hatte eben ihren Rundgang gemacht und festgestellt, dass der Krieger nicht mehr auf der Station war. «Sie sind noch zu schwach um hier rumzuschleichen.» Der Asgardianer schenkte ihr ein herzliches Lächeln. «Eigentlich würde ich ja jetzt widersprechen. Aber bei einer so schönen Dame wie Ihnen mache ich natürlich eine Ausnahme.» Er hielt ihr den Arm hin. «Sie dürfen mich gerne in mein Bettchen zurückbringen, meine Liebe.» Jemma wurde leicht rot und nahm dann seinen Arm. Mit einem letzten bekräftigenden Kopfnicken in Clints Richtung liess Fandral sich von ihr brav wie ein Lämmchen zur Krankenstation zurück geleiten. ‘Soviel zum Thema wir sollten uns in Sicherheit bringen, sobald der Mann wieder auf den Beinen ist!’ zuckte es durch Clints Gehirn, doch der flüchtige Spott verflog gleich wieder. Fandrals Worte hallten noch in ihm nach. ‘Er hat uns alle gerettet – und das, obwohl wir ihn schlimmer als Dreck behandelt hatten. Ich weiss nicht, wie Sie auf Midgard so jemanden nennen. Aber in Asgard bezeichnet man solche Leute als Helden.’ «Auf der Erde auch.» murmelte Clint leise vor sich hin. Fandral hasste sich selbst dafür, aber er musste sich ehrlicherweise eingestehen, dass er froh darum war, dass Jemma Simmons ihn zurück gebracht hatte. Auf diese Weise hatte er Loki nicht in die Augen sehen müssen. Noch nicht, zumindest. In dieser dunklen Dimension, da war es einfacher gewesen... Da hatte es keine Zeit gegeben für etwas anderes als die Gefahr, in der sie schwebten. Alles hatte sich einzig und allein darum gedreht, sie alle drei – vor allem die beiden Menschen, die ihm Loki sozusagen anvertraut hatte – heil zurück zu bringen. Aber nun war diese Gefahr vorüber und er musste das tun, weshalb er überhaupt nach Midgard gekommen war. Er wollte es auch. Sogar mehr als alles andere sogar im Moment. Denn Fandral hasste offene Rechnungen. Doch zum ersten Mal in seinem Leben fehlte dem Krieger der nötige Mut um sich einer Aufgabe zu stellen. Ausserdem war er sich absolut sicher, dass Loki ihn von ganzem Herzen hassen und verabscheuen musste. Mochte Thor sagen, was er wollte. Und mochte es sogar – offensichtlich – stimmen, dass er die breite Masse der übrig gebliebenen Asgardianer nicht verfluchte: für ihn galt das bestimmt nicht. Fandral stöhnte leise auf bei dem Gedanken an seine letzte persönliche Begegnung mit Loki in Asgard. Was er damals zu ihm gesagt hatte, als er in diesem Käfig sass... Ihn fröstelte auf einmal. Er hätte das gleiche tun sollen wie Thor: ihn da rausholen. Stattdessen hatte er ihn verspottet! Er hatte sich noch niemals so elend gefühlt. Und so erbärmlich. Die ganze Nacht über wälzte er in seinem Kopf mögliche Entschuldigungen hin und her – nur, um sie alle wieder zu verwerfen. Erst gegen Morgen fiel er in einen unruhigen Schlaf. Als er wieder aufwachte, sass Loki an seinem Bett und grinste ihm zu. «Na Schlafmütze, hübsche Träume gehabt?» Fandral rieb sich die Augen, aber das Bild blieb. Loki sass neben ihm und sah auf ihn hinunter: nicht mit hassverzerrtem Gesicht sondern mit einem leicht amüsierten – aber gutmütigen – Lächeln auf seinen bleichen Zügen. «Wie fühlst du dich?» Fandrals Mund klaffte auf. Träumte er doch nocht? Aber nein, Loki hatte ihn tatsächlich soeben gefragt, wie er sich fühlte. Und zwar völlig ernsthaft und ohne Spott. «N... noch etwas zittrig, aber sonst ganz okay.» gab er zurück. «Freut mich zu hören.» Noch immer erschien kein Spott auf Lokis Gesicht. Das kurze Lächeln, das er ihm beim Aufwachen geschenkt hatte, war längst einer ernsten Konzentration gewichen. «Dann kannst du mir vielleicht jetzt in allen Einzelheiten wiedergeben, was da drüben passiert ist.» Fandral starrte den Magier noch immer fassungslos an. «Loki, bitte, ich möchte dir zuerst...» Er wurde unterbrochen. «Es ist wichtig, Fandral.» Lokis Augen funkelten düster. «Sehr wichtig sogar.» Und schlagartig fiel dem Krieger wieder ein, dass die Sache ja noch nicht ausgestanden war. Ein Teil von ihm wollte erleichtert aufatmen. Neue Gefahr bedeutete einen Aufschub... Doch dann riss er sich zusammen und erwiderte: «Gleich, Loki. Doch zuerst möchte ich dir sagen, wie unendlich leid es mir tut, was ich dir angetan habe.» So, jetzt war es raus! Auch wenn die Worte extrem lahm geklungen hatten: er hatte es geschafft, zu sagen, was ihm auf dem Herzen lag. Und da es ohnehin keine richtige Entschuldigung dafür gab, spielte es wohl letzten Endes keine wirkliche Rolle, wie schwach es klang. Ängstlich wartete er auf die Reaktion des anderen und wagte kaum, ihn anzuschauen. Auf Lokis Gesicht zeigte sich jedoch nichts als Verwirrung. «Wovon redest du..?» Und dann, eine Sekunde später: «Hör zu, Fandral, es gibt zwei Möglichkeiten. Entweder, ich schaue mich einfach in deinem Kopf um und hole mir die nötigen Informationen auf diese Weise, oder du erzählst es mir. Da ich davon ausgehe, dass dir die zweite Version lieber ist, frage ich nochmals: was ist genau da drüben passiert?» «Loki, ich...» Dieser seufzte leise und etwas genervt. Er hatte zuerst wirklich nicht begriffen, wovon Fandral gesprochen hatte – schlicht aus dem einfachen Grund, weil er mit seinen Gedanken bei der aktuellen Situation gewesen war. Doch dann war der Groschen natürlich gefallen. Aber das Letzte, worauf Loki jetzt Lust hatte, waren irgendwelche fadenscheinigen Entschuldigungen. Zumal er zu wissen glaubte, warum Fandral den Zerknirschten spielte. Also sagte er hastig, ehe der Krieger weitersprechen konnte: «Hör zu, ich habe jetzt keine Zeit für diesen Quatsch. Und du brauchst auch keine Angst zu haben: ich werde dich nicht auffressen. Also kannst du die Schauspielerei lassen und wieder dein ehrliches Gesicht zur Schau stellen. Steht dir ausserdem viel besser!» Nun brauchte Fandral eine Sekunde, um zu verstehen. Als er es schliesslich tat, ging sein Atem schwer. «Du glaubst, ich tue nur so, als ob ich mein Verhalten dir gegenüber bereuen würde?» «Aus welchem Grund solltest du sonst sowas sagen?» gab Loki mit einem zynischen Grinsen zurück. «Ich kann mir nicht vorstellen, dass du auf einmal deine Liebe zu mir entdeckt hast.» Fandral wollte schon aufbrausen, aber dann sank er in die Kissen zurück und erwiderte leise: «Du kannst in meinen Kopf reinschauen, sagst du? Dann tu es – denn dann wirst du wissen, dass ich es ernst meine.» Loki neigte sich leicht zu ihm hinunter. «Fandral, ich wiederhole: ich habe keine Zeit für diesen Quatsch. Also erzählst du mir nun...» «TU ES.» Die Stimme des Kriegers klang scharf und flehend zugleich. «Hol dir die Informationen aus meinem Bewusstsein, wenn du das wirklich kannst. Alle Informationen. Denn dann wirst du nicht nur wissen, dass meine Reue echt ist, sondern auch meine Dankbarkeit. Oder glaubst du allen Ernstes, mir wäre nicht völlig klar, dass ich ohne dich jetzt tot wäre? Elendiglich zugrunde gegangen in einer Dimension, die mir schlimmer erscheint als alles, was man in Worte fassen kann?» Die beiden massen sich mit den Augen. Eine gefühlte Ewigkeit lang antwortete Loki nichts darauf und Fandral wollte schon nachhaken. Doch da wurde Lokis Blick einen Moment lang völlig leer. Als er den Krieger wieder bewusst ansah, war er noch um einiges bleicher geworden. Er hatte in Erfahrung gebracht, was er hatte wissen wollen. Und er hatte begriffen. Völlig verblüfft stammelte er: «Du meinst das... wirklich ernst...» Es schien, als müsse er es laut aussprechen, um es glauben zu können. Dann erhob er sich ohne ein weiteres Wort und ging. Erleichtert schloss Fandral die Augen. Er hatte es hinter sich gebracht. Und vielleicht – irgendwann einmal – würde Loki ihm sogar verzeihen können. Erst ungefähr zehn Minuten später fiel ihm auf, dass er sich keinen Moment lang darüber gewundert hatte, dass Loki offenbar Gedanken lesen konnte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)