Lokis Strafe von uk ================================================================================ Kapitel 29: Die Göttin des Todes -------------------------------- Thor warf seinem Vater einen besorgten Blick zu. Odin sah aus, als wäre er innert weniger Tage um Jahre gealtert. Auch seine Mutter wirkte äusserst angespannt. Wer war diese Frau, dass sie seine Eltern dermassen in Aufregung versetzte? Sie benahm sich, als wäre sie hier zuhause – fordernd und anmassend. Ganz und gar nicht wie die Botschafterin, die sie angeblich sein wollte. Doch was Thor am meisten beunruhigte war Odins Reaktion auf ihre Worte. «Wir sollten die Beziehungen zwischen unseren beiden Königreichen vertiefen.» sagte sie selbstsicher (und es klang eher wie ein Befehl als wie ein Vorschlag). Thor rechnete damit, dass Odin sie gehörig zusammenstauchen würde, doch nichts dergleichen geschah. Er wich beinahe unsicher aus und versuchte, Zeit zu schinden. Was war los mit ihm? Die Dame rauschte schliesslich mit ihrem Gefolge davon – den Kopf hoch erhoben wie eine Königin. Beim Hinausgehen warf sie Thor einen derart hochmütigen und spöttischen Blick zu, dass dem blonden Donnergott vor Wut das Blut ins Gesicht schoss. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte er dieser impertinenten Person den Zutritt zum Palast für alle Zeiten verwehrt. Nicht so sein Vater: er hatte zugestimmt, sie in zwei Tagen wieder zu empfangen. Zwei Tage lang versuchte Thor, aus seinem Vater etwas Brauchbares heraus zu bekommen – vergeblich. Odin wich seinen Fragen aus und wurde schliesslich sogar richtig unwillig. Bei seiner Mutter hatte er auch kein Glück: sie hörte ihm zwar zu, gab ihm aber ebenfalls keine Antwort auf die Frage, wer diese Unbekannte war. «Wenn dein Vater es für richtig erachtet, wird er es dir sagen,» meinte sie nur. Und dann kam sie wieder. Diesmal mit einem noch grösseren Gefolge und so prächtig gewandet, dass man hätte meinen können, der Thronsaal, den sie betrat, gehöre ihr. Genauso benahm sie sich auch. ‘Fehlt nicht mehr viel und sie verweist meinen Vater von seinem Platz!’ dachte Thor erbost. Wenige Minuten später geschah genau das! «Du bist alt geworden, Odin.» sagte die Frau und betrachtete ihn hochmütig von oben bis unten. «Und was noch schlimmer ist: du bist auch satt und fett geworden. Du leistest nichts mehr, sonnst dich nur noch im Ruhm vergangener Tage, während deine Krieger darauf brennen, neue Welten zu erobern. Sie sind jung und wollen leben, alter Mann! Du kannst ihnen das nicht bieten – ich schon. Darum denke ich, es wird Zeit für dich, den Thron zu räumen und Platz zu machen für die rechtmässige Königin Asgards.» Thor glaubte, sich verhört zu haben! War die Frau von Sinnen? Am liebsten wäre er wütend dazwischen gefahren, doch da meldete auf einmal sich eine leise, warnende Stimme in ihm. ‘Hast du nicht auch mal ganz ähnlich gesprochen?’ fragte sein Gewissen anklagend. Zumindest hatte auch er einst den Vater alt und tatenlos genannt. Und ihm gesagt, dass er den jungen, aufstrebenden Söhnen und Töchtern Asgards, die nach Abenteuern und Ruhm dürsteten, mit seiner ewigen Besonnenheit im Weg stand. So sehr es ihm widerstrebte, er musste dieser leisen, anklagenden Stimme Recht geben - also versuchte er, so gut es ging, ruhig zu bleiben. Auf Odins Stirn schwoll eine Ader an, und sein verbliebenes Auge sprühte Funken. «Wie kannst du es wagen, mich hier, in Anwesenheit meiner Familie und meiner Ratsmitglieder, zu beleidigen?» zischte er, während er sich nach vorne neigte. «Ich dachte, dein Anliegen sei ein Bündnis zwischen Helheim und Asgard. Aber ich sehe, du hattest von Anfang an wohl nur eines im Sinn: Zwietracht zu säen.» Und dann kam sie, die Antwort, die Thors ganze Welt erschütterte... «Aber lieber VATER, genau diese Fähigkeit hast du doch früher immer so sehr an mir geschätzt!» «W.. was?!» schrie der blonde Donnergott, doch er war nicht der einzige, der in völliger Fassungslosigkeit auf die Frau starrte. Nun hatte sie wohl wirklich den Verstand verloren! Wie konnte sie Odin Vater nennen? Aber sie würde sicher gleich lernen, dass man so nicht mit dem Allvater umspringen konnte. Doch weit gefehlt: Odins einzige Reaktion bestand darin, dass er leichenblass wurde und einen erschrockenen Blick mit Frigga tauschte, aus deren Gesicht ebenfalls alle Farbe gewichen war. «Oh, hat es dir die Sprache verschlagen?» spottete die Fremde. «Nun ja, das wäre nicht das erste Mal, stimmts?» Dann hielt sie inne und wandte sich auf einmal Thor zu. Dieser wäre beinahe einen Schritt zurück getaumelt. «Hallo, lieber BRUDER,» sagte sie gehässig, «Wie ich sehe, hast du nichts von mir gewusst. Ich könnte mich zutiefst beleidigt und betroffen fühlen. Andererseits...» Sie drehte das Gesicht wieder Odin zu, «...wenn ich bedenke, wie du mit meinem Adoptivbruder umgesprungen bist, braucht es mich eigentlich nicht zu verwundern. Du bist wirklich ein liebevoller Vater, Odin!» Ein grausames Lachen folgte diesen Worten, doch bevor der Allvater darauf etwas erwidern konnte, fügte sie bereits hinzu: «Was übrigens ein sehr grosser Fehler gewesen ist... Das mit Loki, meine ich.» Ein unheimliches Glühen lag jetzt in diesen dunklen Augen. «Schliesslich war er der einzige, der mir vielleicht hätte die Stirn bieten können. Aber nach dem, was du mit ihm angestellt hast, ist jetzt garantiert nicht mehr genug von ihm übrig, um mir gefährlich werden zu können.» Bleischwere Stille tropfte in den Raum. Die Frau nutzte die atemlose Erstarrung der Anwesenden und sagte, bevor sie sich umdrehte und hoch erhobenen Hauptes wieder hinaus rauschte: «Wir sehen uns bald wieder, lieber VATER. Das nächste Mal wird es allerdings ein eher unerfreuliches Treffen werden... Für euch!» Es klang nicht nur wie eine offene Drohung - es war auch eine. Dann verschwand sie wieder. Fast wie ein unwirklicher Spuk aus einem Alptraum. Nur dass alle Anwesenden genau wussten, dass sie hellwach waren! Thor wartete darauf, dass sein Vater Befehl gab, sie aufzuhalten und festzunehmen, aber Odin blieb still. Er sank in seinen Thron zurück und starrte der Frau nach, als hätte er eben seine grössten Ängste leibhaftig vor sich gesehen. «Wer... ist... das?» konnte Thor schliesslich nur fragend stammeln. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis sein Vater antworten konnte. «Hela. Meine Erstgeborene... deine Schwester.» Ein undefinierbarer Laut entrang sich Odins Kehle – es klang wie ein Stöhnen. «Die Göttin des Todes.» Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)