Lokis Strafe von uk ================================================================================ Kapitel 20: Besorgnis wider Willen ---------------------------------- Der Anfall ebbte so schnell ab wie er gekommen war. Doch Loki stand noch immer der kalte Schweiss auf der Stirn, als er neben Coulson, Melinda und Daisy im Quinjet sass. Eli Morrow, der noch immer bewusstlos war, lag sicher verwahrt in der hinteren Kabine. «Wieder alles in Ordnung?» fragte Coulson. Seine Stimme klang sachlich. Loki wischte sich über die Stirn und hoffte, dass der Agent das leichte Zittern seiner Hand nicht bemerken würde. «Ja, alles bestens.» «Was war denn los?» Noch immer war es unmöglich, hinter Coulsons Stirn zu blicken. Sein Gesicht wirkte völlig ausdruckslos. «Keine Ahnung.» gab Loki zurück, doch das war nur die halbe Wahrheit. Er wusste zwar wirklich nicht, wie das hatte geschehen können – doch was vorhin passiert war, das wusste er nur zu gut. Für wenige Augenblicke war er mit der in der anderen Dimension zurückgelassenen Hälfte seiner Selbst verbunden gewesen. Und was das bedeutet hatte, liess ihn nach wie vor erzittern... Diese Schmerzen! Sie waren grauenhaft gewesen, nicht nur körperlich, sondern vor allem psychisch. Er wusste, dass Geister von Toten lebende Wesen nicht wirklich verletzen konnten, doch wenn sie berechtigte Gründe hatten, jemanden zu verdammen, konnten sie den Entsprechenden mental derart fürchterlich leiden lassen, dass es sich komplett echt anfühlte. Sein Zwilling machte also momentan wohl grade die Hölle durch... Wobei – fast hätte Loki innerlich aufgelacht – womit sonst hatte er denn gerechnet? Er hatte den Hass dieser Geister ja deutlich genug gespürt gehabt. Und sie hassten ihn nicht nur wegen dem, was er ihnen selbst angetan hatte. Nein: im Grunde verabscheuten sie ihn noch weitaus mehr wegen dem, was er Menschen, die sie liebten, zugefügt hatte. Er fragte sich, ob es je möglich wäre, seine zweite Hälfte da rauszuholen – und ob er sich wieder zu einem Ganzen vereinen konnte. Noch immer war er sowieso überrascht, dass es überhaupt geklappt hatte. Er wusste, dass sich nur die Magier der allerhöchsten Stufe an diesen Vorgang heran wagten... und auch von diesen nur wenige. Er selbst gehörte zwar längst zur höchsten Klasse, aber wenn er nicht zu so einer Verzweiflungstat gezwungen worden wäre, hätte er nicht im Traum daran gedacht, so etwas ernsthaft durchzuziehen. Es zu üben, klar... Denn Übungen konnte man im letzten Augenblick abbrechen. Aber der Ernstfall war ja dann wohl doch etwas anderes. Was ihn aber zutiefst verwirrte und, wenn er ehrlich sein wollte, verunsicherte, war, dass er trotz der Ablösung mit seiner anderen Hälfte verbunden gewesen war. Auch wenn es nicht lange gedauert hatte – so etwas dürfte eigentlich aller Erkenntnis der Magier nach nicht geschehen. Eine Trennung von sich selbst war absolut. Eigentlich... Aber noch etwas beunruhigte ihn: was, wenn es wieder passierte? Womöglich noch in einem höchst unpassenden Moment? Er war vorhin komplett zusammengebrochen. Was in dem Augenblick einfach nur schlimm gewesen war, würde sich in einem Kampfeinsatz schlicht fatal auswirken. Zurück im ‘Bus’ wurde Eli Morrow sofort in dieselbe Hochsicherheitskapsel gebracht, in die man Loki gesperrt hatte. Melinda May übernahm wieder das Steuer und flog die nächstgelegene SHIELD-Basis an. Morrow würde dort den Behörden übergeben werden. «Er ist ein Inhuman.» sagte Daisy, die eben die letzten Informationen über Morrow besorgt hatte. «Aber seine Fähigkeiten sind noch unbekannt.» «Loki?» Coulson warf dem Asgardianer einen fragenden Blick zu. Thor hatte ihm auch anvertraut gehabt, dass sein Bruder nicht nur jeden Inhuman, sondern auch dessen Fähigkeiten sofort erkennen konnte. Und zwar unabhängig davon, ob die Verwandlung bereits ausgelöst worden war oder nicht. Loki, der ziemlich abwesend gewirkt hatte, schrak zusammen. «Tut mir leid Coulson, ich tappe genau wie sie im Dunkeln.» «Tatsächlich?» Coulson warf dem Mann einen prüfenden Blick zu. Er hatte sich schon darüber gewundert, dass Loki bei Jake Bauer offensichtlich nicht gewusst hatte, dass es sich um einen Inhuman handelte. Und nun war es bei Eli Morrow genau so. Entweder hatte sich Thor für einmal geirrt, was Lokis Möglichkeiten anbelangte, oder... ...oder Coulson lag mit seiner Intuition richtig und es stimmte wirklich irgendetwas nicht mit dem Halbgott. Seit Loki so unvermittelt in diesem Stollen wieder aufgetaucht war, wurde Coulson von der unterschwelligen Ahnung verfolgt, dass der Asgardianer ihnen etwas verschwieg. Etwas, das mit ihm zu tun hatte... Etwas, das mit ihm passiert war... Coulson hätte nicht zu sagen vermocht, woher diese Ahnung kam. Andererseits: da er offensichtlich auf irgendeine schräge Weise mit Loki verbunden war, seit er einen Teil seines Blutes in sich trug, sollte es ihn wohl auch nicht wirklich überraschen. Aber er hatte nicht vor, weiterhin im Dunkeln zu tappen. «Ich würde sie gerne kurz sprechen. Allein!» sagte er deshalb und liess Loki gar nicht erst die Zeit zu einer Antwort. Er wies in Richtung seines Büros und hielt ihm die Tür auf. Loki warf ihm einen misstrauischen Blick zu, ging dann jedoch wortlos hinein. «Ich wünsche, nicht gestört zu werden.» meinte Coulson zu seinen Leuten gewandt, ehe er ebenfalls eintrat und die Tür hinter sich schloss. Er besah sich Loki genauer. Abgesehen davon, dass sein Gesicht sehr angespannt wirkte, konnte er keine Veränderung an ihm feststellen. Doch bevor er dazu kam, eine erste Frage zu stellen, hörte er Loki bereits sagen: «Sie fliegen also eine SHIELD-Basis an...» Es klang gedehnt und vorsichtig. «Ja. Unsere Leute dort werden sich mit Eli Morrow unterhalten, ehe er den zuständigen Polizeibehörden übergeben wird.» Coulson wies auf einen der Stühle vor seinem Schreibtisch. «Nehmen sie Platz.» Er selbst setzte sich hinter dem Tisch in den Bürostuhl und verschränkte die Hände ineinander. «Aber der Grund, warum ich mit ihnen sprechen möchte, ist...» «Fliegen sie SHIELD wirklich nur wegen Morrow an?» fragte Loki, als habe er ihn gar nicht gehört. Er stand noch immer und wirkte auf Coulson plötzlich wie ein fluchtbereites Tier. Sieh an – wurde der mächtige Loki aus Asgard etwa plötzlich nervös? Beinahe hätte Coulson gelächelt, aber er zwang sich, sein Pokerface beizubehalten. «Ja, natürlich.» erwiderte er betont gelassen. «Warum?» Loki kam nun doch näher und liess sich in einen Stuhl fallen. «Ich weiss auch nicht....» versetzt er trocken. «Schliesslich kennen sie ja sonst sicher niemanden, den sie am liebsten in einer ihrer Einrichtungen auf Nimmer-Wiedersehen verschwinden lassen möchten.» Seine Stimme troff vor Sarkasmus, doch der Spott erreichte seine blau-grünen Augen nicht im mindesten. Coulson richtete sich kerzengerade auf. «Eli Morrow wird nicht verschwinden.» antwortete er scharf. Dann machte er eine Kunstpause, ehe er hinzufügte: «Und sie auch nicht.» «Tatsächlich?» Loki hob die Brauen und grinste ironisch, doch wieder sagten seine Augen etwas ganz anderes aus. Coulson entschloss sich, Klartext zu reden. «Ich bin nicht blöd, Loki. Ich weiss genau, dass sie schneller weg wären als wir bis zwei zählen könnten, wenn sie wollten. Also würde ich gar nicht erst auf die Idee kommen, sie irgendwo festnageln zu wollen. Und hören sie auf zu grinsen...» Er erhob sich und kam um den Schreibtisch herum. «Ich weiss, wir hatten sie da unten in der Kapsel eingesperrt. Aber mir war immer absolut klar, dass sie nur da drin waren, weil sie freiwillig drin geblieben sind.» Er zog scharf die Luft ein und starrte auf Loki hinunter. «Aus welchen Gründen auch immer.» «Coulson...» «Lassen wir das!» Diesmal war Coulson derjenige, der den anderen unterbrach. «Ich sagte schon, dass es mir bei diesem Gespräch nicht um Morrow geht. Und stellen sie sich vor: ich meinte das auch so.» «Sondern?» Das Lächeln auf Lokis Gesicht verschwand und machte einem anderen, sehr merkwürdigen Ausdruck Platz. Einer Mischung aus Anspannung, Ernst und... ...Angst? ‘Unsinn.’ schalt Coulson sich selbst. ‘Wovor sollte Loki denn Angst haben?’ Aber der Eindruck blieb. Und als Coulson ihn jetzt ganz direkt fragte, was während der Zeit, als er verschwunden gewesen war, passiert war, wandelte sich die Vermutung in Gewissheit. Ja, Loki empfand Angst. Oder, um es genauer zu sagen: Panik! Zumindest ein Teil von ihm. Coulson keuchte, als es ihm klar wurde. Und er keuchte noch mehr, als er realisierte, warum ihm das auf einmal klar war: er hatte wieder einen Blick in Lokis Inneres getan. Einen flüchtigen Blick nur – aber so intensiv wie nie. Auch Loki hatte es bemerkt. Doch er zögerte mit der Antwort. Und das nicht nur, weil er ganz sicher keine Lust hatte, dem Mann, der ihn bestimmt genauso hasste wie die Geister, in deren Gewalt seine andere Hälfte nun war, die Wahrheit anzuvertrauen. Nein, er zögerte auch, weil er keine Ahnung hatte, wie er einem Sterblichen überhaupt erklären sollte, wie es möglich war, dass man sich selbst zweiteilen – und dennoch weiter existieren konnte. Also entschloss er sich, auszuweichen. «Ist das wichtig?» fragte er gespielt lässig und lachte trocken auf. «Sie werden mir ja kaum erzählen wollen, dass sie sich meinetwegen irgendwelche Gedanken machen.» Coulson wurde wieder ruhig. Der Mann machte Loki langsam nervös. Warum war ihm früher bloss nie aufgefallen, mit welch feinem Lächeln Coulson jemanden verwirren konnte? «Und wenn es so wäre..?» fragte der Agent gelassen, als ob es das Normalste auf der Welt sei. Loki verschluckte sich beinahe. «Hören sie auf, du meine Güte...» «Es geht nicht um sie.» erklärte Coulson noch immer mit dieser gleichgültigen Ruhe. «Sondern um die Sache an sich. Ich will wissen, womit wir es allenfalls zu tun kriegen könnten.» «Da bin ich ja schon fast beruhigt.» gab Loki bissig zurück. «Einen Moment dachte ich schon, sie wären meinetwegen besorgt. Aber ich kann sie in jeder Hinsicht beruhigen...» Bei diesem Satz troff seine Stimme vor Sarkasmus, «...sie werden es mit gar nichts zu tun kriegen.» «Ist dem so?» Coulson zog eine Braue hoch. «Meiner Erfahrung nach ziehen meine Agenten und ich Schwierigkeiten irgendwie an. Und offen gesagt: seit sie hier sind, scheint dies noch vermehrt der Fall zu sein.» «Oh, ich bestehe nicht darauf, hier zu bleiben. Wie sie vielleicht noch wissen, gibt es da eine nette kleine Hütte in den Bergen, wo sie mich gerne wieder absetzen dürfen.» «Lassen wir das!» Coulson wurde schlagartig ernst und fixierte Loki scharf. «Was ist da passiert? Und was stimmt mit ihnen nicht?» Seine Augen schienen den Asgardianer zu durchbohren, und eine kleine Ewigkeit massen sie sich gegenseitig. Dann fügte der Agent gefährlich leise hinzu: «Ich kann spüren, dass etwas an ihnen anders ist. Ich habe keine Ahnung was, aber wenn ich raten müsste, würde ich fast darauf tippen, dass sie...» Er atmete tief durch, «...nicht mehr ganz derselbe sind. Fast so als ob Teile von ihnen... fehlen würden.» Loki starrte Coulson an, als sähe er einen Geist vor sich. Er wurde leichenblass, fiel im Stuhl zusammen und wusste sichtlich nicht, was er darauf antworten sollte. Coulson trat dicht vor ihn und stützte sich mit den Händen auf den Seitenlehnen des Stuhls ab. Er neigte sich zu Loki hinunter und sagte bloss: «Ich höre.» Und während Loki schliesslich leise und erstarrt zu erzählen begann, fühlte Coulson, wie eisiges Entsetzen in ihm aufstieg und durch alle seine Glieder kroch. Und was er Loki gegenüber niemals zugegeben hätte - ja, nicht einmal sich selbst gegenüber, wenn man es genau nahm - sah er nun bestätigt: dass seine Besorgnis nicht grundlos gewesen war. Seine Besorgnis um den Asgardianer, wohlgemerkt. Nicht um 'die Sache an sich', wie er es vorgegeben gehabt hatte. Und er verfluchte sich einmal mehr für sein wirklich viel zu gutes Herz. Dasselbe Herz, das ihm von eben dem Mann durchstochen worden war, dem er jetzt betroffen lauschte... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)