Lokis Strafe von uk ================================================================================ Kapitel 8: Quälende Erinnerungen -------------------------------- Philip Coulson trat langsam an die Tür heran, die zu Lokis Gefängnis führte, und fragte sich, ob er sie öffnen sollte. Nicht die Hochsicherheitskapsel, in der Loki sass, natürlich – nur die Tür zu dem Raum, in dem sich die Kapsel befand. Er zögerte. Seine Hand, die zum Tastenfeld an der Seite fuhr, zitterte leicht. Was versprach er sich hiervon? Er gab die erste Zahl der Kombination ein… und stockte mitten in der Bewegung. Er sah Loki wieder vor sich, damals, wenige Sekunden vor seinem Tod. Der Asgardianer war drauf und dran, Thor, seinen eigenen Bruder, umzubringen, und er, Coulson, hatte ihn soeben zurück gepfiffen. In den Händen eine von SHIELDs neuesten Waffen, entwickelt, nachdem Loki vor rund einem Jahr den Destroyer geschickt hatte. Damals, als Thor das erste Mal zur Erde gekommen war und sie erfahren hatten, dass es Ausserirdische wirklich gab. Mehr noch: dass es sich bei jenen, die einst als Götter verehrt worden waren, um nichts anderes als eben das handelte. Ausserirdische von einem Planeten namens Asgard. Mit der Waffe im Anschlag hielt Coulson Loki in Schach – oder dachte zumindest, dass er das tun würde. Denn plötzlich spürte er einen brennenden, unerträglichen Schmerz in der Herzgegend, und im selben Moment löste sich das Bild des Asgardianers vor seinen Augen auf. Es war nur ein Hologramm gewesen. Der echte Loki hatte sich hinter ihn geschlichen und ihn mit der messerscharfen Klinge seines magischen Zepters erdolcht. Coulson fand zurück in die Gegenwart. Er schwitzte. Ein metallischer Geschmack trat in seinen Mund: Angst. Er wusste genau, wie gefährlich der Mann da drin war. Für Sekunden wallten bunte Schleier vor seinen Augen, dann straffte er sich und wischte sich den Schweiss von der Stirn. Gerade weil er wusste, was für eine Gefahr Loki darstellte, musste er Klarheit haben. Das schuldete er seinem Team… ja, der ganzen Menschheit. Seine Finger tippten die restlichen Zahlen ein, die Tür schwang auf. Der Raum war ganz in Weiss gehalten, die Wände bestanden aus einer wabenartigen Struktur. Sie waren so konstruiert, dass sie auch extreme Schläge und Angriffe jeglicher Art überstanden. Genauso wie die kleine weisse Kapsel darin. Diese war sogar noch aufwändiger konstruiert und galt als absolut ausbruchssicher. Zudem konnte sie durch keine noch so grosse Kraft zerstört werden. Zumindest nicht durch eine, die es auf dieser Erde gab… Die Kapsel war eigentlich konstruiert worden, um Inhumans entweder zu schützen oder in Schach zu halten, jene in immer grösserer Zahl auftauchenden Menschen mit übernatürlichen Fähigkeiten. Sie waren ihnen aufgrund eines ausserirdischen Gens angeboren und wurden durch das Durchlaufen der Terrigenese, eines Verwandlungsprozesses, ausgelöst durch die Terrigen-Kristalle der Kree, aktiviert. Auch Daisy war eine von ihnen. Coulson fuhr sich mit der Zunge über die trockenen Lippen. Vielleicht hätte er sie mitnehmen sollen. Wenn er es jemandem zutraute, Loki die Stirn bieten zu können, dann ihr. Aber nein, er musste allein zu ihm. Loki würde ihm vermutlich eh keine Auskunft geben – doch wenn er noch jemanden dabei hatte, betrug die Wahrscheinlichkeit, dass er reden würde, gleich Null. Der Agent trat ans Fenster der Kapsel heran und war überrascht, dass Loki ihn offenbar erwartet hatte. Er stand unmittelbar vor ihm, und beinahe wäre Coulson zurückgewichen. Sein Herz begann auf einmal wieder zu rasen, und er bemühte krampfhaft, seine Gedanken zu ordnen. Nach einem tiefen Atemholen konnte er zumindest sprechen. «Ich frage mich, warum sie so widerstandslos mitgekommen sind,» begann er und hoffte, dass seine Stimme nicht zitterte. «Erinnert mich irgendwie an das letzte Mal. Da dachten wir auch, wir hätten sie gefangen genommen – und dabei war es genau das gewesen, was sie gewollt hatten.» Loki stiess ein kurzes, sarkastisches Lachen aus. «Diesmal nicht, das können sie mir glauben!» Das Lachen erstarb. «Ich wäre lieber überall sonst als hier.» «Ist das so?» Coulsons Augen verengten sich. «Warum sind sie dann nicht einfach abgehauen? Erzählen sie mir nicht, dass sie es nicht gekonnt hätten.» «Werde ich nicht,» gab Loki zu. «Es wäre wirklich einfach gewesen, sie an dem zu hindern, was sie getan haben.» Er verhielt einen Moment und fügte dann hinzu: «Sie auszuschalten.» Phil stockte der Atem, aber seltsamerweise hatten die letzten Worte nicht nach einer Drohung geklungen… eher betrübt. Aber das konnte kaum sein. Ihn narrten entweder seine Sinne, oder Loki spielte mit ihm. Laut Thor war er ein Meister im Manipulieren von anderen – auch ohne Zepter mit Gedankenstein! Ein Genie mit einem eiskalten, messerscharfen Verstand. Coulson sah keinen Grund, daran zu zweifeln. In seinem Kopf schwirrte es. Er hatte sich seine Worte eigentlich sorgfältig zurechtgelegt. Die halbe Nacht hatte er damit verbracht, sich eine Strategie auszudenken, um Loki zum reden zu bringen. Doch nun schien es, als wäre sein Kopf völlig leer, die ganzen hübsch ausgeklügelten Sätze aus seinem Gehirn verschwunden. Da sagte Loki plötzlich: «Sie sind ein sehr mutiger Mann, Philip Coulson. Nicht jeder würde hierher kommen nach dem, was ich…» Er brach ab und musterte ihn. Der Blick aus den grün-blauen Augen schien seltsam überrascht. Ein Zittern durchlief Coulson… «Warum haben sie gestern auf einmal ihre Gestalt geändert? Was ist geschehen? Wodurch wurde das ausgelöst?» Was machte er da – das hatte er so doch gar nicht sagen wollen! Doch er konnte nicht verhindern, dass ihm noch weitere Sätze dieser Art rausrutschten: «Sie sassen da als ob sie völlig erstarrt wären… und irgendwie ganz woanders. Und ich habe etwas gespürt, als ob...» Er stöhnte leise, konnte sich aber nicht mehr bremsen. «Schon in der Hütte hatte ich das unheimliche Gefühl, dass sie in mich hineinsehen. Hatte das also was mit mir zu tun?» Der letzte Satz kam so leise, dass er sich wunderte, ob Loki ihn überhaupt gehört hatte. Der Gefangene öffnete den Mund, doch bevor er etwas sagen konnte, taumelte Coulson plötzlich wie vom Blitz getroffen zurück. Seine Augen weiteten sich, genauso wie am Tag zuvor diejenigen von Loki, und die Erkenntnis durchzuckte ihn wie ein Schlag. Gestern hatte er ein unerklärliches Entsetzen gefühlt, fast so, als wäre er durch ein unsichtbares Band mit dem Asgardianer verknüpft. Aber er hatte keine Ahnung gehabt, woher sein Entsetzen rührte. Jetzt wusste er es auf einmal, und dieses Wissen liess ihn nach Luft schnappen und nach hinten stolpern. Loki wusste es – er wusste alles! Alles, was mit ihm, Coulson, nach seinem Tod geschehen war. All das Grauen, all die Schmerzen… er hatte es gesehen. Der Agent hatte keine Ahnung wie und warum, aber es bestand kein Zweifel daran. Er irrte sich nicht. Er starrte auf Loki und fühlte das Band zwischen ihnen. Ein Stöhnen entrang sich seiner Kehle, dann brach er auf der Bank in seinem Rücken zusammen und vergrub den Kopf in den Händen. Der Bastard kannte seine schlimmsten Alpträume, seine fürchterlichsten Momente. Alle. Jeden einzelnen von ihnen. Und sicher bereitete es ihm höllisches Vergnügen, dieses Wissen! Coulson wand sich wie im Krampf. Er war sich bewusst, dass er dem Feind gerade noch mehr Munition lieferte, aber er konnte nicht anders. Sein ganzer Körper wurde geschüttelt, und er war unfähig, sich zu rühren. Da nahm er plötzlich aus den Augenwinkeln heraus eine Bewegung wahr, und ehe er sich’s versah, spürte er Lokis Hand auf seiner Stirn. Er zuckte zusammen und kam nicht einmal dazu, sich darüber zu wundern, dass der Gefangene auf einmal aus der Kapsel raus war. Instinktiv wollte er nach der Waffe greifen, als er auch schon Lokis leise Stimme hörte: «Ich habe ihren Schmerz gesehen, Coulson. Ich denke, es ist nur fair, wenn sie jetzt meinen zu sehen bekommen.» Und dann tauchte er ein in Lokis Erinnerungen nach den Ereignissen von New York… Er hatte keine Ahnung, wie viel Zeit vergangen war. Es schienen ihm Stunden gewesen zu sein, doch es konnte sich wohl nur um wenige Minuten gehandelt haben, weil jetzt die Tür erneut aufschwang und Mack und Melinda in den Raum stürmten, die Waffen auf Loki gerichtet. «Lassen sie ihn sofort los!» schrie Mack. «Oder ich schwöre bei Gott, sie sind tot.» «N…nicht.» Coulson schaffte es, ganz leicht die rechte Hand zu heben. «Lasst… ihn.» Die beiden Agenten starrten ihren Chef an, als habe er den Verstand verloren. Doch als Loki ihn jetzt tatsächlich losliess und einen Schritt zurücktrat, fuhr ein Ruck durch Coulson, und seine eben noch zusammen gesunkene Gestalt straffte sich. Er sah kurz auf den Asgardianer, dann zu seinen Leuten hin. Ein sehr merkwürdiger Ausdruck lag auf seinem Gesicht. «Es geht mir gut,» sagte er fest. ----------- Als Coulson zu ihm kam, kannte Loki den Grund dafür sofort. Er hatte sich zwar fest vorgenommen, nicht in das Bewusstsein dieser Menschen hinein zu blicken, aber Phil Coulson sah derart blass und angespannt aus, dass er wenigstens seine Vermutung bestätigt haben wollte. Zumal er bereits wieder spürte, wie sich die Verbindung zwischen ihnen aufzubauen begann... Nur dass es diesmal den Agenten traf und nicht ihn. Ohne dass er selbst etwas dazu beisteuerte, erlebte Loki mit, wie Coulson auf einmal nach hinten taumelte und ihn starr anblickte. Er wusste sofort, was jetzt passierte – nur ging er eigentlich davon aus, dass Coulson nun einen Blick in sein, Lokis, Inneres tun konnte. Als er feststellte, dass dies nicht der Fall war, warf er seine guten Vorsätze über Bord und drang ganz in Coulsons Bewusstsein ein. Er spürte die Verwirrung, die der Agent empfand, die vielen Fragen in ihm... aber vor allem die Scham und Verzweiflung darüber, dass der Mann, der ihn umgebracht hatte, nun genau wusste, was danach alles mit ihm geschehen war. Loki begann zu zittern, als er realisierte, dass Coulson davon überzeugt war, dass er sich darüber freuen würde. Dass er glaubte, vor dem Asgardianer völlig bloss gestellt worden zu sein, weil er seine ganzen Schmerzen, seine Ängste und sein Betteln um den Tod mitbekommen hatte. Der Gedanke ‘der Bastard freut sich sicher teuflisch darüber!’, der durch Phils Gehirn zuckte, brannte sich direkt in Lokis Seele. Was sollte er tun? Er war weit davon entfernt, auch nur einen Hauch von Genugtuung oder Freude zu empfinden. Das einzige, was in ihm tobte, war Entsetzen. Und das Bewusstsein einer grauenhaften Schuld, die er niemals würde tilgen können. Doch das Coulson zu sagen war sinnlos, das wusste er. Der Mann würde ihm nie glauben, sondern annehmen, dass er sich über ihn lustig machte. Verzweifelt suchte Loki nach einem Weg, dem gequälten Menschen zu helfen... ...und dann wusste er plötzlich, was er tun konnte. Allerdings war es so ungefähr das Letzte, was er tun wollte. Denn wenn er Coulson sozusagen im Gegenzug offenbarte, was man in Asgard mit ihm alles angestellt hatte, würde das mehr als nur dessen Schmach wegwischen. Es würde ihm das liefern, was er nun von Loki annahm: einen riesigen Grund zu Freude und Genugtuung. Andererseits hatte er den Mann umgebracht. Er schuldete ihm somit definitiv etwas. Alles, um genau zu sein. Loki atmete tief durch und beschloss dann, es einfach zu tun – bevor er sich die Sache zu genau überlegte und einen Rückzieher machte. Seine Hände berührten die Wände der Kapsel. Wie er vermutet hatte, brauchte er nicht einmal ein Portal zu öffnen, um da durchzukommen. Mochten diese Wände andere Wesen einschliessen, für ihn stellten sie kein Hindernis dar. Er glitt einfach durch sie hindurch. Und noch ehe Phil Coulson ihn richtig bemerkte, hatte Loki die immer noch gefesselten Hände gehoben und ihm die Rechte auf die Stirn gelegt. Loki konnte in das Bewusstsein anderer eindringen, ohne sie zu berühren. Doch wenn er jemandem seine eigenen Gedanken übermitteln wollte, ging das nur durch persönliches Anfassen. Darum blieb ihm nichts anderes übrig: so sehr ihm klar war, dass Coulson auf eine Berührung seinerseits verzichten konnte... wenn er das bekommen sollte, worüber er sich garantiert freuen würde, musste er da wohl durch. Coulson Hand fuhr zur Waffe, doch in derselben Sekunde stockte er. Lokis Erinnerungen an das letzte halbe Jahr begannen in seinem Inneren Gestalt anzunehmen, und nach nur wenigen Augenblicken wusste er, was in Asgard geschehen war. Lokis Urteil, die anschliessende Folter und die unerträglichen Schmerzen danach, die Zeit im Käfig, das öffentliche zur Schau gestellt sein... Es gab keine Geheimnisse mehr zwischen ihnen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)