Lokis Strafe von uk ================================================================================ Kapitel 4: Flucht aus Asgard ---------------------------- Loki hörte die nahenden Schritte und hob trübe den Kopf. Eigentlich war es ihm von Herzen egal, wer sich ihm da mal wieder näherte, um etwas Spass zu haben, aber etwas an den forschen, festen Schritten kam ihm seltsam bekannt vor. Volstagg..? Der war gross und schwer genug, um ein solches Beben auf dem Boden zu hinterlassen. ‘Wie passend!’, dachte er mit einem Anflug von Galgenhumor. ‘Nachdem Fandral hier gewesen ist, kommen sie jetzt wohl einer nach dem anderen angeschlichen’. Er atmete tief durch und wappnete sich für das Unvermeidliche... Doch dann blieb beinahe sein Herz stehen. Denn der Mann, der da auf ihn zutrat, war nicht Volstagg. Auch nicht Hogun. Nein, wer sich ihm da mit raschen Schritten näherte war ein blonder Hüne mit wehend rotem Umhang. Thor! Loki wurde leichenblass und versuchte unbewusst, zurückzuweichen. Es half natürlich nichts, er stiess nur an das gegenüberliegende Gitter. Seine Augen weiteten sich schreckensstarr, und ohne dass es ihm bewusst war, streckte er abwehrend die linke Hand aus. Sie zitterte. «Loki!» sagte Thor hastig und leise. Er warf einige seltsam gehetzte Blicke um sich. Doch da es bereits zu dämmern begonnen hatte, war ausser ihnen niemand zu sehen. «Ich bin gekommen, um dich hier rauszuholen.» Loki blickte ihn nur schweigend an. Sein Atem ging heftig, und als Thor vor ihm in die Hocke ging und seine Augen suchte, konnte er nicht verhindern, dass ihm ein leises Stöhnen entfuhr. Noch immer streckte er abwehrend die Hand aus – was natürlich völlig idiotisch war. Als hätte er ernsthaft eine Chance, den blonden Riesen abzuwehren! Seine Erstarrung brachte Thor aus dem Konzept. Ob Loki ihn nicht verstanden hatte? Er versuchte es erneut, während seine Finger gleichzeitig nach dem Schloss des Käfigs tasteten. Er würde es aufbrechen müssen. «Loki, hast du mich gehört? Ich hole dich hier raus... Ich kann das nicht mehr mitansehen.» Lokis Augen schlossen sich, und er merkte, wie er in sich zusammensackte. Seine Hand fiel nach unten. «Schon... gut...» War das wirklich seine Stimme? Dieses krächzende, kaum verständliche Etwas? Er räusperte sich und sah wieder auf. «Ich kann... verstehen, dass dir... das Spass macht. Aber...» Ein Zittern durchfuhr ihn, seine wenige Kraft drohte ihn zu verlassen. Innerlich hörte er sich aufschreien. «...es tut mir leid, wenn ich dich... enttäuschen muss. Ich falle nicht... auf dieses Spielchen herein.» Thor verhielt mitten in der Bewegung. Nun war er es, der Loki anstarrte. Fassungslos, ungläubig – und erst nach einigen Atemzügen begreifend. «Loki, um Himmels Willen...» Er stockte mitten im Satz. Dieser Blick aus den Augen seines Bruders! So unendlich traurig und... verletzt. Als habe er ihm gerade ein Messer zwischen die Rippen gestossen. «Du glaubst, ich spiele mit dir?» Er schaffte es kaum, verständlich zu sprechen. Die schreckliche Erkenntnis schockte ihn vollkommen. «Warum... solltest du sonst hier sein?» gab Loki kaum hörbar zurück, ehe er die Augen schloss und den Kopf ans Gitter lehnte. Thor sah, dass er am ganzen Körper zitterte – aber nicht vor Kälte. Die linke Hand krallte sich kurz in den Boden, ehe er sie resigniert in den Schoss fallen liess. Thor begriff instinktiv, dass es keinen Sinn hatte, Loki mit Worten überzeugen zu wollen. Er schluckte seine Betroffenheit und seinen Schock hinunter und tat einfach, weshalb er hergekommen war. Seine Hand mit dem Hammer hob sich leicht, ein Blitz schoss heraus, und das Schloss zum Käfig sprang auf. «Komm raus, Bruder.» stiess Thor hastig hervor. Wieder warf er einen unruhigen Blick über die Schulter. Wenn jetzt bloss niemand kam! Er hätte ungern einen Bürger niedergeschlagen. Aber wenn es nötig sein sollte, würde er es tun. Loki rührte sich nicht, starrte ihn nur stumm und… mit noch schmerzlicheren Augen an. Thor sah die plötzliche Angst darin. Diesmal begriff er sofort. Was sollte er tun? Sanfte Worte würden Loki nicht überzeugen, dass er ihm nichts Böses wollte. Ihn einfach raus schleifen? Er war drauf und dran, doch dann entschied er sich für etwas anderes. Mit aller Härte, die er aufbringen konnte, sagte er: «Wenn du wirklich glaubst, dass ich hier bin, um irgendwelche Spielchen mit dir zu spielen, bist du ein Dummkopf, Bruder. Und dass du das nicht bist, wissen wir beide! Also komm jetzt endlich raus… denn sonst, das schwöre ich dir, zerre ich dich eigenhändig aus diesem Käfig.» Erneut brach ein Stöhnen aus Lokis Mund, und Thor glaubte schon, er müsse seine Drohung wahr machen. Doch da kam Bewegung in seinen Bruder. Langsam und schwach schob er sich nach vorne, auf die Öffnung zu. Thor wollte gerade erleichtert anfangen zu lächeln, als Loki mit derselben uralten, tonlosen Stimme wie vorhin sagte: «Keine Angst, Thor, ich… weiss schon, dass ich… zu gehorchen habe. Aber nur so aus Neugier: was hast du… mit mir vor? Willst du mich… nach all den Monaten mal wieder ein wenig mit der… Peitsche traktieren? Oder planst du noch was… Netteres?» Wiederum ein Stöhnen, gefolgt von einem kurzen trockenen Lachen, das schon mehr einem Aufschluchzen glich. «Nein, lass – ich will… es gar nicht vorher… wissen.» Wieder hatte Thor das Gefühl, dass sein Herz stehen blieb. Dachte Loki wirklich, dass er zu so etwas fähig wäre? Zu so einer Grausamkeit, noch dazu nach allem, was er durchgemacht hatte? Am liebsten hätte Thor ihn geschüttelt, doch als er die ausgezehrte Gestalt seines Bruders sah, die sich quälend langsam aus dem Käfig zog, wurde ihm plötzlich klar, dass Loki gar nichts anderes glauben konnte. Schliesslich wusste er ja nicht, welche Sorgen sich Thor in all der Zeit um ihn gemacht hatte. In seinen Augen war er einfach nur der Bruder, der kein einziges Mal zu ihm gekommen war, ihm mit keinem Wort oder wenigstens irgendeiner Geste zu verstehen gegeben hatte, dass er mit ihm litt. Dass er sich keineswegs über Lokis Unglück freute… ganz im Gegenteil. Nein, von all dem wusste Loki nichts - weil Thor sich an die strickte Anweisung seines Vaters gehalten und ihn nie aufgesucht hatte. Bis heute... Das Herz wurde Thor schwer, noch schwerer als ohnehin schon. Und als Loki endlich draussen war und er ihm auf die Beine half, konnte der Donnergott seine Tränen kaum zurückhalten. Sein Bruder zitterte am ganzen Leib, und er zitterte aus Angst – vor ihm! Doch was Thor beinahe ebenso entsetzte war die Tatsache, dass Loki sich noch nicht einmal die Mühe gab, es zu verbergen. So, als hätte er tatsächlich aufgegeben, als wäre ihm alles egal. Aber nicht aus Gleichgültigkeit, sondern aus Resignation. Gerade als Thor sich noch fragte, was er sagen konnte, um seinem Bruder irgendwie zu versichern, dass er wirklich hier war, um zu helfen, fuhr plötzlich ein erneutes Zittern durch den schwachen Körper. Allerdings ein ganz anderes, kräftigeres Zittern, das schon mehr einem Durchschütteln glich - beinahe so, als würde Loki von einer unsichtbaren Macht überwältigt. Thor wusste, was das bedeutete: Lokis Magie kehrte zurück. Die Augen seines Bruders weiteten sich überrascht, als die nun wieder freigesetzten magischen Kräfte in ihn zurückflossen. Er starrte Thor an – und sackte dann in sich zusammen. «Loki!» Der blonde Hüne fing ihn auf. Seine Stimme klang jetzt ganz weich. Er sprach wie zu einem Kind: sanft und geduldig. «Es wird alles gut, hörst du. Ich lasse nicht mehr zu, dass sie dir weh tun. Nie mehr, ich verspreche es.» Er strich dem Bruder eine Strähne seines schwarzen Haares aus dem Gesicht. Loki versuchte erneut zu stehen, doch die Beine knickten ihm wieder ein. Kein Wunder: schliesslich hatte er ein halbes Jahr lang nur sitzen und liegen können. «Ganz ruhig, Bruder.» Thor hoffte inständig, dass Loki jetzt langsam begriff, dass er es ernst meinte. «Du musst nicht laufen. Wir werden fliegen. Leg deinen Arm um meinen Hals… Ja, so ist es gut. Und jetzt sag mir, wo ich uns hinbringen muss, damit wir einen deiner geheimen Pfade benutzen können.» «W… was..?» Zuckte da tatsächlich so etwas wie ein schwacher Hoffnungsschimmer über Lokis bleiches Gesicht? Thor schluckte schwer, dann wiederholte er noch sanfter: «Einen deiner Geheimpfade, Loki. Heimdall hat mir erzählt, dass du Wege aus Asgard heraus kennst, die sonst niemandem bekannt sind. Schaffst du es, uns zu einem von ihnen zu bringen?» «Thor, das… kannst du nicht tun.» Diese schwache Stimme! Sie versetzte Thor einen Stich nach dem anderen. «Du wirst dich… in Schwierigkeiten bringen.» «Na und?» Jetzt schaffte der Donnergott doch ein Lächeln. «Du kennst mich doch, Bruder: Schwierigkeiten sind mein zweiter Vorname.» Und während er mit dem linken Arm seinen Bruder an der Hüfte packte, schwang er mit dem anderen seinen Hammer. Sekunden später flogen sie mit Mjölnirs Kraft raus aus der Stadt. Thor steuerte zunächst auf die hohen Berge im Norden zu und setzte Loki dort vorsichtig in einer der vielen Höhlen, die es hier gab, ab. Immer wieder musterte er ihn besorgt und fragte sich, wie er seinem Bruder nur klar machen sollte, dass er vor ihm nichts zu befürchten hatte. Und vor allem: dass es eigentlich nur eine Welt gab, auf die er ihn bringen konnte... Doch wenn er Loki sagte, dass Midgard im Grunde genommen seine einzige Option war, würde er doch sicher sofort wieder annehmen, dass er ihn nur dort hinbringen wollte, damit sich auch die Menschen an ihm rächen konnten. Noch während er sich verzweifelt den Kopf zermarterte, wie er ihm das beibringen sollte, hörte er Loki plötzlich leise sagen: «Du hast Recht.» «Recht?» Thor zuckte zusammen und starrte seinen Bruder verblüfft an. Loki sass erschöpft am Boden, erwiderte seinen Blick aber das erste Mal offen – jedoch mit einem sehr sonderbaren Ausdruck in den Augen. Fast glaubte der Donnergott, Tränen darin schimmern zu sehen. «Womit habe ich Recht?» «Midgard.» Lokis Hand fuhr fahrig über seine Stirn. Noch immer zitterte sie leicht. Ob es diesmal wenigstens nur die Kälte war? Thor hoffte es. Dann erst realisierte er, was der andere da eben gesagt hatte. «Woher weisst du, dass ich..?» «Thor.» Loki liess die Hand sinken. Seine Augen sahen ihn schmerzlich an. «Ich habe euch.... immer ein wenig in Unkenntnis gelassen über das wahre Ausmass meiner... magischen Fähigkeiten.» Seine Stimme kratzte wie diejenige eines Mannes, der sie lange nicht mehr gebraucht hatte. Thor stockte der Atem. «Was willst du damit sagen?» «Ich kann so einiges mehr als das, was ihr... in der Vergangenheit von mir gesehen habt. So zum Beispiel auch in das Bewusstsein anderer eindringen. Zumindest in das von fast allen. Es gibt Ausnahmen... wie Heimdall zum Beispiel.» Er räusperte sich und schien zu zögern, ob er weitersprechen sollte. Eine Moment lang starrte er ins Nichts, ehe er den Kopf wieder hob und Thor ansah. Diesmal schimmerten deutlich Tränen in seinen Augen. «Du willst mir wirklich helfen...» Es klang verwundert, als versuche er, ein Rätsel zu lösen, das ihm unbegreiflich war. Thor war zu erleichtert darüber, dass Loki endlich begriffen hatte, um ihm in irgendeiner Weise böse zu sein, dass er ein derartiges Geheimnis so lange gehütet hatte. Irgendwann würde er ihn fragen, was der Grund dafür gewesen war, doch nicht heute. Er strahlte übers ganze Gesicht und setzte sich neben seinem Bruder auf den Boden. Seine Hand hob sich, um ihm kräftig auf die Schultern zu klopfen – doch im letzten Moment bremste er die Bewegung noch ab, und es wurde ein sanftes Tätscheln daraus. Loki war so schwach, dass er ihn nicht kaputt hauen wollte! «Endlich hast Du’s kapiert!» rief er aus. «Hat ja lange genug gedauert.» Dann wurde er wieder ernst. «Ich nehme an, wenn du nicht meine Gedanken lesen könntest, würdest du mir immer noch nicht vertrauen, stimmt’s?» «Eigentlich ist es kein ‘Gedankenlesen’» erwiderte Loki mit einem matten Lächeln. «Eher das komplette Erfassen einer anderen Person.» Rasch hob er die Hand. «Aber da mich das ziemlich viel Kraft kostet, habe ich nur gerade lange genug in deinen Kopf reingeschaut um zu erkennen, dass du es ehrlich meinst.» Seine Hand senkte sich langsam, schwankte, und dann legte er sie zögernd auf Thors Arm. «Du solltest das aber nicht tun. Odin wird...» «Mir egal, was Vater dazu sagen wird.» unterbrach ihn Thor heftig. Es schmerzte ihn, dass Loki ‘Odin’ und nicht ‘Vater’ gesagt hatte, aber er konnte ihn verstehen. Schuldbewusst senkte er den Blick. «Ich habe viel zu lange tatenlos zugesehen. Ich hätte dir schon längst helfen müssen.» Er schluckte schwer, atmete tief durch und fügte dann leise hinzu: «Ich hoffe, dass du mir eines Tages vergeben kannst, Bruder.» «Ich dir?» Loki hätte beinahe gelacht, hielt aber im letzten Moment inne. «Ich glaube, du verdrehst ein paar Dinge, Thor. Wenn hier jemand um Verzeihung bitten müsste, bin das ja wohl ich. Schliesslich war ich derjenige, der dich zu töten versucht hatte... Mehr als einmal sogar.» Die letzten Sätze kamen nur ganz leise. Lokis Blick verlor sich wieder in der Ferne, doch ehe Thor etwas einwerfen konnte, fuhr er fort: «Aber wenn du mich wirklich aus Asgard wegbringen willst, sollten wir wohl langsam weiter. Meine... Flucht wird sicher inzwischen bemerkt worden sein.» «Fühlst du dich denn schon stark genug, um einen der Pfade zu öffnen?» Loki nickte. «Ich denke, es wird gehen.» «Und du stimmst mir zu, dass Midgard die beste Lösung ist?» Thor wagte trotz allem kaum, zu fragen. «Die beste...? Das dürfte fraglich sein.» Ein leicht bitteres Lächeln huschte über Lokis bleiche Züge. «Aber es ist die einzige Lösung. Überall sonst würden sie mein Kommen innert kürzester Zeit bemerken und Odin davon unterrichten.» Vermutlich wäre er auch auf Midgard nicht vor dem Zugriff des Allvaters sicher, aber das sagte er nicht laut. Und dass er davon ausgehen durfte, ansonsten wohl von den Menschen in Stücke gerissen zu werden, behielt er erst Recht für sich. Er besass die Gabe, immer eines nach dem anderen zu nehmen, und so tat er nun genau das: einen Schritt nach dem anderen.... Wohin sie führten, würde die Zukunft weisen. Thor schwang sich auf und streckte ihm die Hand hin. «Bist du auch stark genug, dir wärmere Kleider zu bilden?» fragte er, während er Loki hochzog. «Du zitterst, Bruder.» «Ja. Eigentlich verrückt, wo ich doch ein Frostriese bin.» Loki grinste flüchtig, dann hob er die rechte Hand und liess sie zweimal vor seinem Körper auf und ab gleiten. Sofort wurden die dünne Hose und das Hemd durch wärmere Kleider aus dicker Baumwolle und Leder ersetzt, die halbhohen Schuhe durch feste Stiefel. Für asgardianische Verhältnisse immer noch sehr einfach, aber dennoch stivoll. Mit einer weiteren Handbewegung richtete Loki sein wirres Haar, dann grinste er flüchtig. «Meinst du, so kann ich mich sehen lassen?» «Aber sicher!» Thor erwiderte das Grinsen und nahm Loki wieder in seinen Griff. «Also, Bruder: zeig mir den Weg.» Eine Stunde später landeten sie auf der Erde. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)