Loki: the fallen Prince - der gefallene Prinz von uk ================================================================================ Kapitel 20: Odins Dämonen ------------------------- Odin war unruhig. Schon den ganzen Morgen über. Er kannte diese Unruhe, hatte sie aber seit langem nicht mehr verspürt. Er versuchte, sich abzulenken, doch nichts half. Die Unruhe blieb. Wurde stärker. Er wusste, dass er den Rat einberufen sollte. Wusste, dass er Unterstützung und Hilfe brauchte, dass er allein nicht weiterkam. Aber er wusste auch, dass er das nicht konnte. Denn dann müsste er den Ratsmitgliedern von Dingen erzählen, von denen seit Jahrhunderten niemand ausser ihm Kenntnis hatte. Geheimnissen, die geheim bleiben mussten. Nein, der Rat konnte ihm nicht helfen. Genau genommen konnte niemand ihm helfen. ‘Ausser einem’, flüsterte eine leise Stimme plötzlich in ihm. Odin zuckte zusammen: Die Stimme hatte sich so deutlich angehört, als hätte tatsächlich jemand gesprochen. Unwillig schüttelte er den Gedanken ab. Das war schlicht absurd. Verrückt! Allein die Vorstellung, ausgerechnet IHN wieder einzuweihen, war… Wahnsinn. ‘Du brauchst Hilfe’, flüsterte die Stimme weiter. ‘Du schaffst es nicht allein. Die Dinge laufen aus dem Ruder’. Odin zog sich müde aus dem Stuhl hoch, in dem er den ganzen Vormittag über schon brütend gesessen hatte, und trat ans Fenster. Asgard lag schön und majestätisch zu seinen Füssen wie immer. Doch heute schenkte ihm dieses Bild keinen Frieden – im Gegenteil. Er sah das Dunkle unter der glatten Oberfläche. Die Fäulnis und Verwesung. Wann hatte das begonnen? Wann hatte die Herrlichkeit des Reiches Schaden gelitten und erste Kratzer bekommen? Wann war aus einem strahlenden Juwel ein hässlicher, stinkender Klumpen geworden? Er hätte es nicht mehr zu sagen vermocht. Und rein äusserlich war es ja auch nicht so. Rein äusserlich stimmte nach wie vor alles… Aber Odin wusste genau, dass das nicht den Tatsachen entsprach. Und er hatte die Veränderung gespürt, von Anfang an. Nur hatte er es nicht wahrhaben wollen. ‘Beinahe so wie damals, oder’? Der Allvater zuckte zusammen. Wieder diese innere Stimme! War da vielleicht doch jemand? Aber nein, das Zimmer lag leer und verlassen da. Wie damals..? Nein, das war doch lächerlich. Es gab tausend Dinge, die anders waren. Es konnte nicht sein, die dunklen Mächte waren gebannt. Ein für alle Mal. Seit vielen, vielen Jahrhunderten schon. Er wurde langsam alt, das war wohl alles. Und er fühlte sich auch beinahe täglich älter und gebrechlicher. Fast so, als würde die Lebenskraft aus ihm herausgesaugt werden. Frigga lag ihm auch schon in den Ohren, dass er sich mal wieder in den Odinsschlaf begeben sollte. Doch er wusste, dass dies nichts bringen würde. Was ihn verzehrte, was ihn auslaugte, lag tiefer. Zu tief. Die Geister der Vergangenheit krochen aus ihren dunklen Gruben hervor und versuchten erneut, in das Reich einzudringen. Das Böse lauerte wieder an jeder Ecke und schien ihn zu verhöhnen. Lachte ihm ins Gesicht während er, Odin Allvater, nicht wusste, was er tun sollte. Unsinn! Odin wollte die trüben Gedanken abwehren. Er war einfach nur ein dummer alter Mann - nichts weiter. Seine Fantasie spielte ihm einen Streich. Oder war es sein schlechtes Gewissen? "Die Vergangenheit ist tot! Tot!" sagte er laut. 'Bist du sicher?' flüsterte die Stimme in ihm. 'Deine Dämonen jagen dich. Sie werden nicht Ruhe geben, bis sie dein Blut getrunken haben!' Ganz so, wie es ihm einst versprochen worden war. Odin stöhnte laut. Sein Kopf schmerzte - genauso wie jeder einzelne Knochen in seinem Körper. Auch das war nicht ungewohnt. So hatte es sich auch angefühlt, damals, als... «Aber es ist unmöglich, dass das Schwarze Element zurück ist.» Odin sagte es wieder laut, fast trotzig diesmal und wie um sich selbst Mut zuzusprechen. «Es ist einfach nicht denkbar. Unmöglich! UNMÖGLICH!» Die Worte hallten von den Wänden zurück. «Was ist unmöglich?» Friggas sanfte Stimme riss Odin aus seiner Versunkenheit. Er erschrak zutiefst. Eben war er doch noch allein gewesen! Oder war etwa schon wieder mehr Zeit verstrichen, als er wahrhaben wollte? Auch das geschah in den letzten Monaten nur allzu häufig. Oft schon hatte er sich dabei ertappt, dass er Gedanken nach hing, die in seiner Vorstellung nur einige Minuten gedauert hatten – nur um dann feststellen zu müssen, dass Stunden vergangen waren. Peinlich berührt drehte er sich zu seiner Frau um. Er kam sich fast ein wenig vor wie ein Kind, das bei einer Unart entdeckt worden war. «N… nichts von Bedeutung, meine Liebe. Ich habe nur laut gedacht.» gab er hastig zurück und hoffte, sie würde nicht weiter in ihn dringen. Sie tat es nicht. Dafür war sie zu sehr in ihre eigenen schweren Gedanken verstrickt. «Odin, du musst mit Thor reden.» sagte sie leise, aber bestimmt. «Er geht zu weit.» «Zu weit?» Odin hing noch immer seiner Unruhe nach und antwortete leicht zerstreut. «Mit Loki.» Es kostete Frigga sichtlich Mut, den Namen auszusprechen. Ihr Mann funkelte sie denn auch sofort wütend an. «Ich habe dir doch gesagt, dass ich nichts über ihn hören will! Und dass du seinen Namen in meiner Gegenwart nicht nennen sollst!» «Er ist immer noch dein Sohn.» Friggas Antwort klang fast wie ein Schluchzen. «Mein Sohn!» Odin schnaufte verächtlich. «Mein Sohn, der Schande über Asgard gebracht hat! Der eine hilflose, schwache Welt erobern und knechten wollte! Mein Sohn!» Er spuckte aus. «Trotzdem verdient er es nicht, von Thor wie Dreck behandelt zu werden. Und von allen anderen.» Seine Frau versuchte nach seinem Arm zu greifen, doch der Allvater schüttelte sie ab. «Natürlich verdient er das! Sollen sie ihn behandeln, wie sie es für richtig halten. Das ist nun mal die Konsequenz, mit der Verbrecher zu rechnen haben.» Odins Gesicht wirkte hart wie Stein. Was Frigga nicht sehen konnte, war, dass die schrecklichen Worte ihm ins eigene Herz schnitten. Er schalt sich selbst dafür, aber er konnte nicht verhindern, dass ihn ein derart glühender Schmerz durchzuckte, als ob jemand mit einem Dolch auf ihn eingestochen hätte. Dennoch: er war der König von Asgard, und als solcher musste er mit jedem Übeltäter gleich verfahren. Unabhängig davon, ob es sich dabei um seinen Sohn oder um irgendeinen Bürger Asgards handelte. Andernfalls würde er seine Glaubwürdigkeit einbüssen. Aber tief in seinem Inneren wusste er, dass dies nicht der Wahrheit entsprach. Dass es nicht Gerechtigkeit oder dergleichen war, das ihn so hart sein liess. Frigga sah die Verschlossenheit auf seinem Gesicht und versuchte es anders. «Thor schadet sich auch selbst, wenn er so brutal mit Loki umgeht.» meinte sie vorsichtig. «Merkst du denn nicht, dass er von Tag zu Tag mürrischer wird? Und zorniger?» «Womit letztlich Loki nur noch mehr Schuld anzulasten ist als ohnehin schon!» geiferte Odin zurück. «Schliesslich ist er die Ursache für Thors gerechten Zorn.» «Gerechter Zorn?» Frigga glaubte, sich verhört zu haben. «Das ist mehr als das, Odin. Thor ist…» Sie stockte, wusste nicht recht, wie sie es formulieren sollte. «Es kommt mir zusehends so vor, als wäre er nicht mehr er selbst.» So, jetzt war es heraus! Dass Runya und Loki sogar meinten, er wäre besessen, wagte sie nicht zu sagen, glaubte es selbst auch nicht wirklich. Aber dass man auf die Idee kommen konnte, war für sie nachvollziehbar. Manchmal erkannte sie ihren eigenen Sohn nicht wieder. Odin sah seine Frau auch so schon an, als sähe er eine Verrückte vor sich. «Thor ist zornig. Wütend! Und das wirklich absolut zu Recht, wie du genau wissen müsstest. Wenn er seinen Zorn an Loki auslässt, hat dieser sich das selbst zuzuschreiben. Und damit genug jetzt!» Der Allvater hob gebieterisch die Hand. «Ich will nichts mehr davon hören. Loki bekommt, was ihm zusteht, und damit hat sich’s. Kümmere du dich lieber um diejenigen, die deine Fürsorge auch verdient haben. Um Runya zum Beispiel. Sie scheint noch Mühe damit zu haben, sich hier einzuleben.» Beinahe hätte Frigga geantwortet: ‘Und an wem liegt das wohl’? Doch sie schwieg. Sie wusste, dass sie sich die Worte sparen konnte. Ihr Mann war wild entschlossen, in Thor nur das strahlende Abbild seines früheren Selbst zu sehen. Sie wusste das seit langem, wusste, dass er sich verzweifelt danach sehnte, in seinem Sohn den Mann wieder zu erkennen, der er einst selbst gewesen war. Oder vielmehr: zu sein gehofft hatte. Denn Odin hatte das hohe Ziel, das ihm von seinem eigenen Vater gesteckt worden war, niemals ganz erreichen können. Darum idealisierte er Thor und liess keine Kritik an ihm gelten. Koste es was es wolle. Und wenn es das eigene Urteilsvermögen war. Ja, Frigga wusste um diese Schwäche ihres Mannes – genauso wie sie wusste, dass Odin Loki insgeheim fürchtete. Ihn wohl, wie sie vermutete, schon immer gefürchtet hatte. Und das, wenn sie ehrlich sein wollte, nicht grundlos. Ihr Herz wurde schwerer und schwerer. Es war nicht das erste Mal, dass sie mit Odin über Loki zu sprechen versuchte, doch es war genauso sinnlos gewesen wie all die Male zuvor. Aber Friggas Sorge war echt – die Sorge um BEIDE Söhne. Sie sah, fühlte – nein: wusste! - dass Thor auf einen dunklen Abgrund zulief, doch wann immer sie mit ihrem Mann darüber sprechen wollte, winkte er ab. Wenn er ihr überhaupt zuhörte! So war es bisher immer gewesen, und so war es auch heute. «Lass mich jetzt bitte allein,» kam da auch schon prompt die erwartete Aufforderung. «Ich habe zu tun.» Frigga wusste, dass das nicht stimmte, dass es gar nichts gab, was ihr Mann so scheinbar dringlich erledigen musste. Doch sie fügte sich. Wenn Odin sich auf diese Weise verschloss, hatte es keinen Sinn, weiter zu bohren. Sie würde damit nur das Gegenteil erreichen. Traurig verliess sie das Zimmer wieder. Ihr Mann setzte sich erneut ans Fenster. Er würde die nächsten Stunden dort verbringen – reglos und für niemanden erreichbar. Ausser für die düsteren Stimmen in seinem Kopf. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)