Ich bin doch kein Wolf! von aceri ================================================================================ Kapitel 6: Ziemlich feige ------------------------- „Du hast dich gestern ziemlich gut geschlagen.“ Ich fuhr erschrocken von meinen Geschichtshausaufgaben hoch und stieß dabei mein Stiftemäppchen von meinem Schoß. Der Inhalt purzelte ins Gras, aber das war mir im Moment völlig egal. „Hector?“ ich sah den anderen verblüfft an, dann senkte ich schnell den Blick. Was wollte der denn jetzt von mir? Wir waren zwar im Guten auseinander gegangen, aber mir wurde trotzdem sofort flau im Magen als ich ihn erkannte. Er war immerhin der Rudelführer, und ich noch ziemlich ungeschickt in allen Dingen die das Wolfeinmaleins betrafen. Die Gefahr dass ich mich erneut in die Nesseln setzte war dementsprechend nicht gerade gering. Hector schien meine Unsicherheit zu bemerkten, er grinste breit, dann klopfte er mir auf die Schulter und ließ sich mir gegenüber ins Gras fallen. Ich versuchte das Lächeln zu erwidern, aber am liebsten hätte ich meine Sachen eingesammelt und wäre geflüchtet. Hector flöste mir Respekt ein, und ich wusste ja dass er mich binnen Sekunden fertig machen konnte. Ich musste mich zusammen reißen! Er war sicher nicht hergekommen um mich zu verprügeln, immerhin hatte er mich ja gerade sogar gelobt, oder nicht? Ich atmete tief durch, dann begann ich beiläufig meine Stifte vom Boden aufzulesen. Hector hatte damit bereits begonnen, er drehte einen Kugelschreiber zwischen den Fingern, dann reichte er ihn mir. „Danke.“ nuschelte ich leise und stopfte ihn zurück in mein Mäppchen. Vor wenigen Stunden hatte ich mit Georg zusammen beschlossen dem Rudel aus dem Weg zu gehen, und schon suchte mich der Rudelführer höchstpersönlich auf. Konnte das ein Zufall sein? Ich hoffte es sehr. Hector ließ sich Zeit bis ich meine Stifte komplett aufgesammelt hatte, dann erst ergriff er wieder das Wort. „Für deinen ersten richtigen Kampf war das wirklich nicht schlecht, ehrlich. Du hast bewiesen dass der Wolf in dir keine Memme ist. Und solche Leute brauchen wir. Das verstehst du doch sicher, oder?“ seine Stimme klang betont fröhlich, aber ich wusste das da mehr unter der Oberfläche lauerte. Hector war nicht gekommen um Smalltalk zu machen, er wollte etwas von mir. Und so langsam dämmerte mir auch was. Genau das Gegenteil von dem was ich Georg versprochen hatte. Hector wollte mich für das Rudel, und zwar nicht nur als stillen Mitläufer. Ich hatte gekämpft, und ich hatte gewonnen. Und damit erneut seine Aufmerksamkeit erregt. Ich war ein hirnloser Trottel. „Hm, ich weiß nicht. Es war ja nur eine kleine Auseinandersetzung, kein richtiger Kampf.“ versuchte ich abzuwiegeln. Ich wollte mich aus den Rudelangelegenheiten raushalten und nicht an erster Stelle mitkämpfen. Aber Hector schien da andere Pläne mit mir zu haben. Er beugte sich bedächtig nach vorn und packte mich erneut an der Schulter. Sein Griff war fest, aber nicht schmerzhaft. Trotzdem zuckte ich zusammen. Ich würde ihm nicht ins Gesicht sehen. Ich würde ihm keine Vorlage bieten um mir noch einmal die Leviten zu lesen. Meine Angst musste fast greifbar in der Luft liegen, denn plötzlich lockerte sich Hectors Griff und er rutschte wieder ein Stück von mir weg, und dann hörte ich ihn lachen. Was denn nun? Ich wagte es ihm einen verwirrten Blick zuzuwerfen, und er erwiderte ihn grinsend. „Ricci, echt, jetzt mach dir nicht ins Hemd. Ich werde dir sicher nicht den Kopf abreißen oder so. Was hat Georg dir denn erzählt? Also außer das er uns für triebgesteuerte Idioten hält.“ Hectors Grinsen wurde noch eine Spur breiter als er mein verblüfftes Gesicht sah. Er wusste also was Georg von ihm und dem Rudel hielt? Und nahm das einfach so hin? Ich war ehrlich verwirrt. Für mich hatte es sich bis jetzt so angehört als wäre es ein Sakrileg sich gegen das Rudel zu stellen, aber Hector nahm es erstaunlich gelassen. „Da bist du überrascht, was? Natürlich weiß ich was Georg von mir denkt, wir kennen uns praktisch schon seit dem Kindergarten. Aber trotzdem ist es mir bis jetzt noch nicht gelungen ihn von unserer Sache zu überzeugen.“ Nun beugte Hector sich wieder nach vorn und zwinkerte mir verschwörerisch zu. „Und da, mein lieber Ricci, kommst du ins Spiel.“ Mein ratloser Gesichtsausdruck brachte Hector erneut zum Lachen, nur mir wurde die Sache immer unangenehmer. Ich wollte mich nicht hinter Georgs Rücken mit jemandem verschwören, das fühlte sich falsch an. Aber hatte ich denn eine Wahl? Hector tat zwar einen auf freundlich aber wer wusste schon wie er reagieren würde wenn ich eine Zusammenarbeit ablehnte. Er war stärker als ich, und er hatte das komplette Rudel hinter sich. Und ich? Ich hatte nur Georg. Den ich heute beinahe erfolgreich vergrault hätte. Ich lebte wirklich gefährlich. „Wie denn?“ fragte ich und sah Hector dabei gespielt interessiert an. Ich würde erst einmal mitspielen, meiner eigenen Gesundheit zu liebe. Und dann weitersehen. Wahrscheinlich würde Georg mich sowieso sofort durchschauen, er wusste ja dass ich mich genau wie er selbst vom Rudel fernhalten wollte. Da würde er mir einen so plötzlichen Sinneswandel garantiert nicht abnehmen. Dieser Gedanke beruhigte mich etwas, und ich wurde ein bisschen entspannter. Hector konnte von mir nicht verlangen Georgs Einstellung zu ändern, zumal er es ja anscheinend selbst nicht geschafft hatte. Und er kannte ihn schon deutlich länger als ich. „Georg wird da nicht auf mich hören, er scheint mir viel zu festgefahren. Auf dich hat er ja auch nicht gehört.“ versuchte ich also mein Glück. Vielleicht konnte ich Hector mit Vernunft kommen. Aber der winkte nur ab, immer noch dieses kleine verschwörerische Lächeln auf den Lippen. „Der Unterschied zwischen dir und mir, mein lieber Ricci, ist: er mag dich. Also wird er auf dich hören. Und das ist wichtig. Es untergräbt mein Ansehen als Anführer wenn einer von uns aus der Reihe tanzt. Georg hatte bis jetzt Narrenfreiheit weil wir eigentlich gut miteinander auskommen. Aber langsam wird er mir zu hochmütig, und damit muss Schluss sein.“ Hectors Stimme klang plötzlich ernst, er warf einen Blick über meine Schulter, dann erhob er sich plötzlich und warf mir noch einen letzten eindringlichen Blick zu. „Es liegt an dir ob die Sache freundlich…oder unfreundlich geregelt werden muss.“ Und damit drehte Hector sich um und ließ mich mit meinen völlig verwirrten Gedanken allein zurück. „Was wollte der denn?“ Zum zweiten Mal an diesem Nachmittag fuhr ich erschrocken hoch, aber diesmal behielt ich mein Stiftemäppchen in der Hand. Ich wandte mich um und schirmte mein Gesicht gegen die Sonne ab. Georg. Er sah dem davon schlendernden Hector mit einen verkniffenen Ausdruck im Gesicht hinterher. Ich rappelte mich auf und packte meine Sachen zusammen. Bloß weg hier, bevor noch einer kam und mich in irgendwelche Intrigen verstricken wollte. Für heute hatte ich genug. Ich schulterte meinen Rucksack und zuckte betont gleichgültig mit den Schultern. „Nur bisschen reden, glaube ich. Er hat mir zu meinem Sieg gratuliert, das war alles. Gehen wir jetzt?“ ich wollte dringend das Thema wechseln, aber Georg schien nicht so recht überzeugt. Er starrte Hector noch einen Augenblick hinterher, dann wandte er sich zu mir um. „Gratuliert, ja? Lass dich von ihm bloß nicht einlullen, das versucht er bei jedem. Aber so dumm wirst du ja nicht sein, hab ich Recht?“ Georgs Worte klangen mehr wie eine Drohung als ein gut gemeinter Rat. Hätte ich nicht so ein schlechtes Gewissen ihm gegenüber gehabt wäre ich wahrscheinlich direkt wieder aus der Haut gefahren. So aber beließ ich es bei einem zustimmenden Grummeln und schwieg zu dem versteckten Vorwurf. Ich musste mir das jetzt alles erst einmal in Ruhe durch den Kopf gehen lassen bevor ich mir weiteren Ärger einhandelte. Und vor allem musste ich Georg auf andere Gedanken bringen. Ich hakte mich kurzerhand bei ihm unter und zog ihn mit mir Richtung Schultor. „Hör jetzt auf darüber zu reden, okay? Ich dachte das Thema ist fürs erste abgehakt. Und ich will jetzt heim, ich bin am Verhungern. Nur wegen dir!“ versuchte ich Georg abzulenken, und zu meiner Freude ging er darauf ein. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht, dann löste er seinen Arm aus meinem und legte ihn mir stattdessen auf die Schulter.n Er schien mir wirklich nicht mehr böse zu sein, und wenn mir Hectors letzter Satz nicht immer noch im Kopf herumspuken würde hätte ich richtig glücklich sein können. Stattdessen fraß mich das schlechte Gewissen auf. Ich seufzte leise und lehnte meinen Kopf an Georgs Schulter. Der warf mir einen überraschten Blick zu und zog fragend die Augenbrauen hoch. „Alles okay?“ Ich nickte schnell und versuchte ein unverfängliches Lächeln. „Alles okay, war nur ein komischer Tag. Gehen wir irgendwo eine Pizza essen? Ich hab wirklich riesigen Hunger, und die Hausaufgaben können doch noch warten. Mit Geschichte habe ich schon angefangen!“ plapperte ich, und Georg stöhnte theatralisch. Er zog seinen Arm zurück und schnippte mir gegen die Schulter. „Du hast bloß keine Lust auf die Hausaufgaben, gib´s zu. Aber weil du so nett warst und auf mich gewartet hast gehen wir nicht nur Pizza essen, ich lade dich sogar ein. Ist das ein Deal?“ er grinste breit während ich mir die schmerzende Schulter rieb, dann knurrte ich ein gespielt beleidigtes: „Das ist ja wohl das mindeste.“Gemeinsam schlenderten wir Richtung Pizzeria, und es wurde ein richtig schöner Nachmittag. Bis auf die Tatsache dass mein schlechtes Gewissen auch weiterhin ständig präsent war. Ich konnte Georg nicht so hintergehen, aber ich hatte einfach keine andere Wahl. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)