Ich bin doch kein Wolf! von aceri ================================================================================ Kapitel 5: Ein Sieg!...und eine Niederlage? ------------------------------------------- Ich hatte mich noch nie ernsthaft geprügelt. Klar, ein bisschen Herumgeschuppse in der Grundschule und ein zwei Rangeleien während den Anfängen der Pubertät hatte es gegeben, aber die Außeinandersetzung mit Hector war die erste ihrer Art gewesen. Zumal ich mich immer noch für völlig unschuldig hielt. Aber wie hieß es doch so unschön, Unwissenheit schützt vor Strafe nicht, und von der letzten schmerzte mir immer noch fast jeder Knochen im Leib. Sie lauerten mir nach dem Musikunterricht auf, meiner letzten Unterrichtsstunde an diesem Tag. Beziehungsweise einer lauerte mir auf, die restlichen drei waren nur Publikum. Normalerweise wäre ich an diesem Tag mit Gregor verabredet gewesen, aber dem war etwas dazwischen gekommen, und so traf ich ganz allein auf die übereifrigen Wölfe. Der Herausforderer war eine Klasse unter mir, aber fast einen Kopf größer als ich und eindeutig überzeugter was seine körperlichen Fähigkeiten anging. Er war nicht überheblich, und auch sein Gefolge erschien mir nicht besonders sensationsgeil, trotzdem wurde mir bei seinem Auftreten Angst und Bange. Ich war kein geübter Kämpfer, im Gegenteil, ich war ja kaum in der Lage mich effektiv zu verteidigen, aber Kneifen kam nicht in Frage. Die ganze Sache mit dem Rudel und den Wölfen war mir zwar immer noch suspekt und außerdem ein Buch mit sieben Siegeln, aber Feiglinge waren überall nicht gern gesehen. Und irgendetwas tief in mir drin wollte die Herausforderung annehmen! Die gefletschten Zähne des anderen und dessen drohende Körperhaltung machten mich rasend, es war als würde ein frisch entfachtes Feuer meine Nervenenden in Brand setzen und dabei auch noch den letzten Rest menschliche Vernunft in Asche verwandeln. Plötzlich war es mir egal dass mein Gegenüber mir sowohl körperlich als auch in seinen kämpferischen Fähigkeiten deutlich überlegen war. Ich wollte ihn unter mir sehen, ich wollte ihn unterwerfen, und zwar sofort, ohne Rücksicht auf Verluste. Mit einem wütenden Knurren stürzte ich nach vorn, meine Schultasche landete achtlos neben mir im Dreck, und dann hatte ich den anderen bereits am Kragen gepackt und warf ihn zu Boden. Offensichtlich kam mein Angriff überraschend, es dauerte zwar nur den Bruchteil einer Sekunde bis mein Herausforderer sich wieder gesammelt hatte, aber dieser winzige Augenblick reichte mir. Ich landete einen gezielten Schlag gegen seine Schläfe bevor er mich endlich zu fassen bekam und mir ebenfalls zwei schmerzhafte Treffer verpasste; einen gegen den Oberarm, und einen direkt in die Rippen. Wir prügelten uns noch eine ganze Weile, ich war rasend, und das gab mir einen gewissen Vorteil. Irgendwann bemerkte ich gar nicht mehr wo und wie oft ich getroffen wurde, ich wollte den anderen nur noch unter mir im Dreck sehen. Und dem ging langsam die Puste aus. Er hatte mich eindeutig unterschätzt, und das wurde ihm nun zum Verhängnis. Nach kaum zehn Minuten warf er schließlich das Handtuch und gab auf. Wir waren beide lädiert, aber zum Glück nicht ernsthaft verletzt. Ich rappelte mich auf und klopfte mir den Staub aus den Klamotten, dann suchte ich meine Schultasche. Einer der Zuschauer hatte sie während des Kampfes an sich genommen und sicher verwahrt, jetzt gab er sie mir zurück und klopfte mir mit einem anerkennenden Nicken auf die Schulter. Das fühlte sich unglaublich gut an. Auch mein geschlagener Herausforderer war inzwischen wieder auf den Beinen, er blutete aus Lippe und Nase, war aber trotzdem erstaunlich gut gelaunt. Ich erinnerte mich an Hectors Worte, er hatte gesagt dass Wölfe nicht nachtragend seien, und offensichtlich hatte er Recht damit. Der andere streckte mir grinsend die Hand entgegen während er sich mit der anderen noch das Blut aus dem Gesicht wischte. „Gut gemacht, hätte ich nicht gedacht. Du bist härter als du aussiehst.“ wir schüttelten uns die Hände, danach erfuhr ich noch dass er Alex hieß und sich darauf freute sich irgendwann noch einmal mit mir zu messen. Diese Freude war zwar nicht ganz meinerseits, aber ich erwiderte sein Lächeln und nickte unverbindlich. Sollte es noch einmal zu einem Kampf zwischen uns beiden kommen würde ich hoffnungslos unterliegen. Aber dieses Ereignis lag noch in ferner Zukunft, und momentan wollte ich mich einfach nur an meinem allerersten Sieg erfreuen. Der Heimweg dauerte fast doppelt so lange wie normalerweise, vor allem meine Rippen und mein Arm schmerzten fürchterlich, aber ich hatte Glück, als ich endlich zu Hause ankam fand ich das Haus verlassen vor und so blieb mir noch genug Zeit mich zu waschen und die verdreckten Klamotten ganz unten in die Wäschetonne zu stopfen. Auf Arm und Rippen erblühten bereits hässliche tiefblaue Blutergüsse und auch im Gesicht hatte ich etwas abbekommen. Ansonsten war ich aber erstaunlich glimpflich davon gekommen. Ich überlegte einen Moment ob ich Georg von meinem glorreichen Sieg erzählen sollte, ließ es dann aber bleiben. Ich wusste ja wie er zu den Prügeleien zwischen den Rudelmitgliedern stand. Er würde sich kaum über meinen Sieg freuen. Des Rest des Nachmittags verbrachte ich mit Hausaufgaben und Fernsehen bis meine Mutter am frühen Abend nach Hause kam. Mein lädiertes Gesicht bedachte sie mit einer fragend hochgezogenen Augenbraue, aber ich winkte ab und kommentierte es nur mit einem „Hab gewonnen, alles gut. Kommt so schnell nicht wieder vor.“ Sie beließ es bei dieser Erklärung, und erst als ich nach dem Bettfertig machen noch einmal ins Wohnzimmer kam um Gute Nacht zu sagen kam sie noch einmal darauf zurück. „Kommst du klar mit dieser…Wolfsache?“ ihre Stimme klang erstaunlich besorgt, und in mir regte sich fast so etwas wie ein schlechtes Gewissen. Warum? Ich hatte keine Ahnung. „Klar, siehst du doch. Mir ist nichts passiert, und außerdem habe ich doch Georg. Der hilft mir wenn was ist.“ versuchte ich sie zu beruhigen. Ich wollte nicht dass sie sich einmischte, ich wollte das alleine regeln. Alles andere fühlte sich irgendwie falsch an. Meine Mutter lächelte mich über die Rückenlehne unserer Couch an, sie wirkte erleichtert. Zum Glück. „Okay, wenn du dir da so sicher bist. Ich glaub an dich, du schaffst das schon. Und jetzt ab ins Bett, bis morgen.“ Ich huschte die Treppe hinauf und kroch unter meine Bettdecke. Vor dem Zähneputzen hatte ich zwei Aspirin genommen, und die begannen nun endlich zu wirken. Fast schmerzlos driftete ich langsam in einen erstaunlich ruhigen und erholsamen Schlaf hinüber, wohl wissend dass der nächste Morgen höchstwahrscheinlich die Hölle werden würde.   Kaum hatte es zur nächsten Pause geklingelt sprang Georg hinter mir von seinem Stuhl auf und packte mich unsanft am Arm. „Aua!“ ich versuchte mich zu befreien, aber sein Griff wurde nur noch fester. Was war denn jetzt los? Hatte ich es schon wieder geschafft in irgendein Fettnäpfchen zu treten? War Georg sauer auf mich? Ich sah ihn fragend an, aber da zog er mich bereits von meinem Stuhl hoch und führte mich zielstrebig aus dem Klassenzimmer. Dass die anderen Rudelmitglieder uns dabei interessiert beobachteten schien ihm gar nicht aufzufallen. Das war ungewöhnlich, und beunruhigend. Mir schossen tausend Fragen durch den Kopf während wir über den vor Schülern wimmelnden Schulflur gingen, aber erst als wir eine etwas ruhigere Ecke erreicht hatten schaffte ich es endlich mir bei Georg Gehör zu verschaffen. „Was soll das? Warum zerrst du mich so rum? Hab ich dir was getan?“ knurrte ich wütend und versuchte erneut ihm meinen Arm zu entwinden. Diesmal ließ Georg mich los, aber sein Blick nagelte mich fest. Er war wütend, und ich wusste einfach nicht warum! „Mit wem hast du dich geprügelt?“ zischte er. Ich setzte gerade zu einer bissigen Antwort an, dann hielt ich verblüfft inne. Das war sein Problem? Dass ich mich geprügelt hatte? Ich hatte ja mit vielen Gründen gerechnet, aber nicht damit. Sofort entspannte ich mich etwas und strich mir verwirrt über den noch frischen Kratzer an der Wange. Es war nicht einmal schlimm gewesen, nur eine kleine Rangelei, und mehr als ein paar Schrammen hatte keiner dabei davon getragen. Warum war Georg also so aufgebracht? Ich war ratlos. „Ich hab mich mit Alex geprügelt, gestern, nach der Musikstunde. Du warst schon weg. Und es war auch gar nichts großartiges. Nur ein bisschen Kräfte messen. Und ich habe gewonnen!“ verteidigte ich mich. Ich verschränkte die Arme vor der Brust und starrte Georg herausfordernd an. Der schnaubte nur verächtlich und schnippte mir mit den Fingern gegen die Stelle an der er mich zuvor aus dem Zimmer gezerrt hatte. „Aua! Warum machst du das?“ ich wurde wieder wütend. An dem Arm hatte Alex mich gestern auch erwischt, und es tat immer noch weh. Dort hatte sich im Laufe des Abends ein wirklich beachtlicher Bluterguss gebildet. Georg versperrte mir den Weg, er betrachtete mich mit gerunzelter Stirn, anscheinend war er noch nicht fertig mit dem was er mir sagen wollte. Warum klingelte es nicht endlich zur nächsten Stunde? Ich lehnte mich abwartend gegen die Wand in meinem Rücken, den schmerzenden Arm wieder vor der Brust verschränkt. „Du hast es verdient. Wie kannst du nur so dumm sein und dich provozieren lassen? Ich dachte wir sind uns einig dass das alles nur hirnlose Idioten sind. Aber nein, du musst ja trotzdem hinrennen und dich verprügeln lassen. Du bist genauso dumm wie sie!“ fauchte Georg. Ich schoss nach vorn und wollte ihn am Kragen packen, das war genug, aber er kam mir zuvor und ergriff meine Handgelenke. Verdammt war Georg schnell. Wir rangen eine Weile stumm, dann ließ er mich plötzlich los. Ich stolperte vor Überraschung ein paar Schritte nach vorn, ruderte mit den Armen, und hätte beinahe äußerst unsanft den Boden geküsst wenn Georg mich nicht noch rechtzeitig gepackt hätte. Ich fuhr sofort wieder zu ihm herum, bereit für Runde zwei, aber er schüttelte nur den Kopf und trat einen Schritt zurück, beide Hände erhoben. Gab er auf? Ich runzelte verwirrt die Stirn. „Lass gut sein, Ricci. Prügel dich von mir aus so viel du willst, aber lass mich damit in Frieden. Ich hab besseres zu tun.“ Er winkte ab und trat an mir vorbei, und diesmal war ich es der ihn am Weitergehen hinderte. Ich packte ihn am Arm und hielt ihn fest. Georg war gar nicht wütend auf mich, er war enttäuscht! Und ich hatte es dank meiner sinnlosen Wut einfach nicht gemerkt. Und ihn auch noch angegriffen. Er hatte also doch Recht, ich war ein hirnloser Idiot. „Georg, bleib stehen.“ bat ich leise. Das schlechte Gewissen musste mir anzuhören sein, denn er blieb tatsächlich stehen und sah mir zweifelnd ins Gesicht. Er wirkte gar nicht mehr wütend, nur tief verletzt. Mein Magen zog sich zusammen, und ich schluckte schwer. „Ich…ich wollte nicht auf dich losgehen. Wirklich nicht. Das war dumm von mir. Und die Prügelei auch.“ Ich sah betreten zu Boden. Würde Georg mir verzeihen? Ich wagte einen vorsichtigen Blick in sein Gesicht, aber das war immer noch unergründlich. Er sagte gar nichts. Und ich wurde langsam nervös. „Georg?“ versuchte ich es noch einmal, und diesmal regte er sich. Ein Seufzer kam über seine Lippen, dann streckte er die freie Hand aus und strich mir vorsichtig über den verletzten Arm. Seine Stimme schwankte zwischen Besorgnis und mühsam unterdrücktem Zorn. „Ich will nur nicht dass du dir Ärger einhandelst, das ist alles. Für dich war es nur eine Prügelei, aber für das Rudel ist es weit mehr.“ Er ließ meinen Arm los und befreite danach seinen aus meinem Griff. Es klingelte zum Unterricht. Georg seufzte erneut, dann trat er an mir vorbei und wandte sich zurück in Richtung Klassenzimmer. Ich folgte ihm auf dem Fuße, aber aus den Augenwinkeln nahm ich eine Bewegung war. Hatte uns jemand belauscht? Ich kniff die Augen zusammen und starrte den Flur hinunter. Schülermassen eilten in ihre Klassenräume, aber keiner schien uns besondere Beachtung zu schenken. Wahrscheinlich litt ich an Verfolgungswahn. „Ricci, komm!“ Georg winkte mir zu, und ich eilte an seine Seite. Es war alles wieder gut, wir hatten uns vertragen, und die anderen konnten uns egal sein. Ich würde einfach versuchen das Rudel zu ignorieren, genau so wie Georg das machte. Das würde schon funktionieren. Und wenn nicht…ich hatte ja bewiesen dass ich durchaus in der Lage war mich zu wehren, also brauchte ich mir auch da keine Sorgen machen. Ich schloss zu Georg auf und grinste ihn an. „Kommst du heute mit zu mir? Meine Mutter ist nicht da, sie kann uns also nicht auf die Nerven gehen.“ Georg runzelte die Stirn. „Ich muss Nachhilfe geben.“ Ich zuckte die Schultern. „Dann warte ich eben auf dich, kein Problem.“ Jetzt erwiderte Georg mein Grinsen. Er war wirklich nicht mehr sauer auf mich. Schön! „Okay, dann nach der achten Stunde. Ich werde versuchen mich zu beeilen.“ antwortete er, und ich jubelte innerlich. Wir waren wieder Freunde, zum Glück! Und ab jetzt würde ich mich ein bisschen mehr zusammenreißen um ihn nicht gleich wieder zu enttäuschen. Wir erreichten unser Klassenzimmer und nahmen unsere Plätze ein. Nicht einmal die jetzt drohende Mathestunde konnte mir noch die Laune verderben. Georg war wieder mein Freund, und das war das wichtigste. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)