Ich bin doch kein Wolf! von aceri ================================================================================ Kapitel 3: Also...wann genau wolltest du es mir erzählen? --------------------------------------------------------- Wir hatten fast eine ganze Stunde hinter der Turnhalle gehockt, die Sonne war langsam Richtung Horizont gewandert, aber Georg schien es überhaupt nicht eilig zu haben. Auf meine Frage ob er zu Hause nicht erwartet wurde hatte er nur unbestimmt die Schultern gezuckt. Anscheinend nahmen es Wölfe nicht so genau mit der Pünktlichkeit. Genau wie meine Mutter. Georg hatte mir mit einer Engelsgeduld meine unzähligen, und wahrscheinlich zum Teil echt hirnrissigen, Fragen beantwortet, und nun war ich um einiges schlauer. Ich hatte noch tausend weitere, aber es wurde zumindest für mich Zeit zum Aufbruch, also mussten wir das auf ein andermal verschieben. Aber dank Georgs Hilfe bestand wenigstens eine geringe Chance das ich den morgigen Schultag überleben würde, und dafür war ich ihm sehr dankbar. Wir tauschten noch schnell Handynummern aus um in Kontakt bleiben zu können, dann verabschiedeten wir uns voneinander, und jeder ging seiner Wege. Nach dem Gespräch mit Georg war meine Wut weitestgehend verraucht, aber ich würde meine Mutter trotzdem zur Rede stellen. Immerhin hätte Hector beinahe Hackfleisch aus mir gemacht, und wenn ich meinem neuen Freund Glauben schenken durfte war diese Gefahr noch lange nicht gebannt. Bei dem Gedanken an Hector und seine Schergen wurde mir gleich wieder ein bisschen schlecht, und die Wut kehrte mit einem kurzen Aufflackern zurück. Hätte meine Mutter mir gleich reinen Wein eingeschenkt wäre es gar nicht erst zu dieser Auseinandersetzung gekommen! Dann hätte ich brav den Kopf gesenkt und der Typ wäre einfach wieder gegangen. Stattdessen hatte ich jetzt eine ganze Menge Ärger am Hals! Jetzt war ich doch wieder wütend, und es wurde auch nicht besser als ich bemerkte dass das Auto meiner Mutter nicht in der Einfahrt stand. Sie war also nicht mal da damit ich sie zur Rede stellen konnte! Na toll! Ich rammte meinen Schlüssel ins Schloss und warf dann die Tür hinter mir zu. Es war still im Haus, nur der frisch angeschlossene Kühlschrank in der offenen Küche gab ein leises Brummen von sich. Meine Mutter hatte den freien Tag anscheinen genutzt und die restlichen Kartons ausgepackt, zumindest konnte ich auf den ersten Blick keinen mehr entdecken. Dafür hatte sie großzügig Deko und anderen Klimbim verteilt, vom Schuhschrank grinste mich jetzt eine hässliche Plastik-Winkekatze an. Zumindest konnte sie mir nicht winken, die Sonne war inzwischen so weit untergegangen dass ihr das nötige Licht dazu fehlte. Ich zog meine Schuhe aus und ging hinauf in mein neues Zimmer. Hier standen die Kartons noch fast unberührt unter der Dachschräge, nur auf meinem Bett lagen zwei frische Handtücher und ein Bademantel. Ich beförderte die Sachen auf den Boden und ließ mich in die Kissen fallen. Natürlich hatte ich mir meinen ersten Schultag aufregend vorgestellt, aber ganz sicher nicht in so! Ich hatte mir nicht nur direkt einen sehr gefährlichen Feind gemacht, nein, ich hatte auch noch erfahren dass ich anscheinend einer anderen Spezies angehörte. Ich war ein Wolf. Das leise Piepsen meines Handy riss mich aus meinen Gedanken. Ich lehnte mich seitlich aus dem Bett und fischte es aus der Schultasche. „Gut zu Hause angekommen? Georg“ Ich musste grinsen. Vielleicht war der Tag doch nicht nur furchtbar gewesen. Ich rollte mich auf den Bauch und tippte eine Antwort. Ich musste eingeschlafen sein, denn als meine Mutter endlich die Einfahrt hinauf fuhr war es draußen bereits völlig dunkel. Ein Blick auf mein Handy sagte mir dass es kurz vor acht Uhr war. Zeit fürs Abendessen. Mein Magen knurrte, ich hatte seit dem Frühstück nichts mehr gegessen. Unten wurde die Haustür aufgeschlossen, ich hörte meine Mutter leise vor sich hin summen, dann das Rascheln von Einkaufstüten. Hoffentlich war da ein schnelles Abendessen drin. Ich rollte mich vom Bett, steckte mein Handy in die Hosentasche, und machte mich auf den Weg hinunter in die Küche. „Hey, Ricci, entschuldige, ich hab mich in der Stadt ein bisschen verzettelt.“ Meine Mutter lächelte mir entschuldigend zu, dann wühlte sie weiter in ihren Tüten. Mein verkniffenes Gesicht schien sie gar nicht zu bemerken. Ich sah ihr noch eine Weile schweigend zu, dann setzte ich mich an den Tisch und atmete tief durch. Ich wollte nicht gleich aus der Haut fahren, auch wenn die Wut bereits wieder in mir brodelte. „Ich habe heute ein paar sehr nette Bekanntschaften in der Schule gemacht.“ eröffnete ich das Gespräch. Meine Mutter drehte sich zu mir um, eine Päckchen Zucker in der Hand. Ihre Blick war fragend, aber völlig ahnungslos. Wusste sie wirklich nicht was hier abging? „Ein paar Typen die sich für Wölfe halten wollten mich verprügeln weil ich ihren Anführer falsch angeguckt habe, und danach haben sie mich quer durch die Schule gehetzt. Zum Glück hat mir ein anderer Wolfstyp aus der Patsche geholfen und mich versteckt. Sonst wäre ich jetzt Hackfleisch. Und dann hat er mir noch einige andere interessante Dinge erzählt.“ Ich holte tief Luft und warf meiner Mutter einen durchdringenden Blick zu. Während ich gesprochen hatte war sie immer blasser geworden, das Päckchen Zucker vergessen in ihrer Hand. „Also…wann genau wolltest du mir erzählen dass wir keine richtigen Menschen sind sondern anscheinend nachts den Mond anheulen?“ Das Abendessen verlegten wir ins Wohnzimmer, meine Mutter hatte fertig belegte Baguettes und für jeden einen Hähnchensalat mitgebracht, und die ersten Minuten kauten wir schweigend. Dann räusperte sie sich und legte ihr angebissenes Brot beiseite. „Was genau…hat dieser Junge dir erzählt?“ wollte sie schließlich wissen. Ich aß noch einige Augenblicke weiter, dann zuckte ich die Schultern. „Das wichtigste, nehme ich an. Kurz zusammengefasst meinte er dass wir keine richtigen Werwölfe sind weil wir uns nicht mehr verwandeln. Das ist so weil unsere Vorfahren sich zu oft mit Menschen gepaart haben und diese Fähigkeit dann irgendwann verloren gegangen ist. Aber wir haben bestimmte Instinkte und Verhaltensmuster behalten. Wenn es geht leben wir in Rudeln, und dann ist es wichtig welchen Rang man hat. Den Anführer hat man zu respektieren, ansonsten bekommt man eins auf den Deckel und muss sich verprügeln lassen. Man sollte niemandem direkt in die Augen schauen oder ihn irgendwie anders herausfordern wenn man nicht gerade um einen höheren Rang kämpfen will. Bis man 21 ist gehört man zu den jungen und bildet ein eigenes Rudel, abgelöst von dem der Erwachsenen. Den älteren hat man aber immer Folge zu leisten, vor allem wenn es um rudelinterne Dinge geht. Oh. Und wir beißen nicht.“ Der letzte Satz klang etwas spöttisch, und meine Mutter erlaubte sich ein kleines Lächeln. Dann seufzte sie und lehnte sich in ihrem Sessel zurück. Der Appetit war ihr anscheinend vergangen. Ich dagegen nahm mein Baguette wieder auf und aß weiter. Jetzt war sie nämlich an der Reihe. Ich hatte genug gesagt. Meine Mutter nahm sich die Zeit ihre Gedanken zu ordnen, das schien sie zu einem Entschluss gekommen zu sein. Hoffentlich zu dem nun endlich reinen Tisch zu machen. Meiner Meinung nach hatte ich das verdient. Sie seufzte noch einmal, dann fing sie meinen Blick ein und hielt in fest. Nicht wie ein Wolf, sondern wie ein Mensch. Aha. Das könnte schon einiges erklären. „Dein Vater war der Wolf in unserer Familie. Ich wusste von alledem nichts, immerhin habe ich ihn weit weg von diesem Dorf hier kennen gelernt. Alles was mit seiner Vergangenheit zu tun hatte hielt er gern unter Verschluss. Ich wusste nur dass er auf seine Familie nicht so gut zu sprechen war, deswegen fuhren wir auch nie hier her. Ich bin außer auf ihn nie auf andere Wölfe getroffen, und du warst zu klein als das ich sofort stutzig geworden wäre. Dein Vater war manchmal anders, ja. Schwierig, aufbrausend, aber nie…ach, ich dachte einfach das wäre sein Charakter. Ich habe es mir schön geredet, und das hat auch geklappt, bis deine Großmutter bei uns aufgetaucht ist. Sie hat von dir erfahren und mir nach dem Tod deines Vaters reinen Wein eingeschenkt. Er selbst hat das Geheimnis seiner Herkunft mit ins Grab genommen. Das war hart, aber verständlich. Er wollte nicht dass ich mich zu irgendetwas verpflichtet fühle, und du auch nicht.“ Meine Mutter sah mich offen an. Ich musste schlucken. Sie war also gar kein Wolf, sondern nur ich. Sie würde mir keine große Hilfe sein können, denn sie hatte nie im Rudel gelebt oder überhaupt Kontakt zu anderen unserer Art gehabt. Außer zu meinem Vater. Und der hatte seine Abstammung verleugnet. Jetzt war mir ebenfalls der Appetit vergangen. Ich legte das halb aufgegessene Baguette zurück auf meinen Teller und seufzte leise. Das war wirklich keine besonders erfreuliche Situation. „Du weißt also gar nicht was jetzt auf mich zukommen wird?“ fragte ich trotzdem. Meine Mutter schüttelte den Kopf. „Nein, tut mir Leid. Du weißt jetzt schon mehr als ich damals gewusst habe. Und deine Großmutter war nicht gerade gesprächig. Ich weiß nicht was sie dazu gebracht hat uns das Haus zu hinterlassen, und das werden wir wohl auch nie erfahren.“ Sie klang genauso hoffnungslos wie ich mich fühlte. Aber dann hellte sich ihr Gesicht plötzlich auf, und sie beugte sich mit einem kleinen Lächeln wieder zu mir herüber. War ihr vielleicht doch noch etwas nützliches eingefallen? Nein. „Du könntest doch diesen Jungen aus deiner Klasse fragen ob er dich ein bisschen unter seiner Fittiche nimmt. Er hat dir doch schon einmal geholfen, vielleicht möchte er dein Freund sein!“ Diese Idee schien meiner Mutter offensichtlich zu gefallen, sie strahlte mich an, und ich betrachtete unschlüssig mein Abendessen. Natürlich wäre es ihr lieb wenn Georg mich „unter seine Fittiche“ nahm, dann wäre sie aus dem Schneider, und ihr schlechtes Gewissen wäre auch beruhigt. Und ich? Ich würde mein Schicksal in die Hände eines Typen legen den ich gerade einmal wenige Stunden kannte. Und den ich schon jetzt in gehörige Schwierigkeiten gebracht hatte. Super. Das war wirklich eine klasse Idee. „Ich weiß nicht…“ meinte ich widerwillig, aber ich wusste bereits dass das meine einzige Möglichkeit war einigermaßen unversehrt aus der Sache herauszukommen. Zumindest was Hector und sein Rudel anging. Und dann könnte mir Georg zeigen wie ich in Zukunft solche Zwischenfälle vermeiden konnte. Vielleicht war die Idee doch nicht so dumm. „Ich werde ihn fragen.“ antwortete ich schließlich, und meine Mutter nickte glücklich. Für sie schien die Sache damit fürs erste erledigt denn sie griff nach ihrem Salat und begann wieder zu essen. Klar, sie musste sich morgen ja auch nicht einem wildgewordenen Wolf und seinen Schergen stellen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)