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Ich bin doch kein Wolf!

von

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Ich bin kein Wolf!

Der Typ war groß, durchtrainiert, und sah auch noch verdammt gut aus. Klar dass er hier das Sagen hatte. Nur was er ausgerechnet von mir wollte, das wusste ich nicht.

Er betrat mein neues Klassenzimmer kurz nach der letzten Stunde, sein Blick glitt suchend über die anderen Schüler, und blieb schließlich an mir hängen.

Während die meisten der anderen einpackten und gingen blieb etwa ein halbes Dutzend meiner Mitschüler wie angewurzelt stehen und ließ ihn nicht aus den Augen, verfolgte jede seiner Bewegungen, und mir wurde direkt ein bisschen flau im Magen. Was wollte der von mir?

Ohne zu zögern bahnte er sich einen Weg zwischen den Tischen und Stühlen hindurch und blieb erst direkt vor mir stehen. Sein Blick war ernst, abschätzend, und ich wurde direkt noch ein bisschen kleiner. Hatte ich etwas angestellt?

Ich sah ihn fragend an, und auf seinem Gesicht erschien ein verärgerter Ausdruck.

„Senk den Blick wenn ich dich ansehe!“ knurrte er warnend, und ich starrte nur noch bedröppelter aus der Wäsche. Hinter mir hörte ich ein leises Hüsteln, gefolgt von geschäftigem Blätterrascheln. Anscheinend wurde da jemand nervös. Ich konnte es verstehen.

„Hörst du nicht? Du sollst den Blick senken!“ der andere hieb seine Fäuste vor mir auf den Tisch. Ich zuckte erschrocken zurück und wäre fast vom Stuhl gefallen. Warum rastete der so aus? Ich hatte doch gar nichts gemacht!

„Schrei mich nicht an, ich hab dir gar nichts getan!“ meine Stimme klang empört, ich fühlte mich im Recht, aber das schien den Muskelprotz gar nicht zu interessieren. Um uns herum wurden die anderen unruhig, aus den Augenwinkeln konnte ich sehen wie sie sich langsam in Bewegung setzten und hinter dem Spinner Aufstellung nahmen. Oh oh. Das war nicht gut.

Nur der Junge direkt hinter mir verharrte weiterhin auf seinem Platz.

Immerhin etwas.

Der aufgebrachte Typ setzte er plötzlich um meinen Tisch herum und zerrte mich mit einem wütenden Knurren vom Stuhl. Ich stieß gegen den Tisch hinter mir, ruderte mit beiden Armen um nicht das Gleichgewicht zu verlieren, und bekam es nun wirklich mit der Angst zu tun. Anscheinend hatte ich was falsch gemacht, auch wenn ich nicht wusste was, und jetzt wurde ich zur Rechenschaft gezogen.

Gerade als der Kerl zum ersten Schlag ausholte spürte ich plötzlich eine Hand an meinem Arm, irgendwer hatte mich gepackt und zog mich mit überraschender Kraft aus der Reichweite des tobenden Irren.

„Schnapp dein Zeug und renn!“

Dieser Aufforderung kam ich nur zu gerne nach.

Ich beugte mich blitzschnell nach unten, schnappte meine Tasche an einem Riemen, und flüchtete Hals über Kopf aus dem Klassenzimmer, direkt meinem unverhofften Retter hinterher.

„Haltet sie auf!“

Hinter uns ertönten hektische Schritte, Tische und Stühle wurden ohne Rücksicht auf Verluste zur Seite geschoben und umgeworfen, und dann hetzten uns unsere verbliebenen Mitschüler hinterher. Alle, bis auf den Anführer.

Ich warf einen Blick über die Schulter zurück und sah ihn im Türrahmen stehen, die Arme vor der Brust verschränkt, ein siegessicheres Grinsen auf dem Gesicht. Ach, leck mich doch!

Der Junge der mich so eben aus der Gefahrenzone gebracht hatte sprintete den Flur entlang, eine Treppe hinunter, und raus aus dem Schulgebäude. Ich folgte ihm blind, ich hätte eh nicht gewusst wo ich sonst hätte hinrennen sollen. Und er schien sich hier auszukennen.

Gemeinsam überquerten wir den Schulhof, bogen um die Ecke des Kunstflügels, und versteckten uns schließlich hinter einem dunkelgrauen Kombi auf dem Lehrerparkplatz. Mein Atem ging pfeifend, dieser lächerliche Sprint hatte mich bereits an den Rand meiner Kräfte gebracht, und gerade konnte ich unsere Verfolger ebenfalls um die Ecke kommen sehen. Oh verdammt!

Ich warf meinem Retter einen hilflosen Blick zu, den er deutlich verärgert erwiderte. Auch er atmete schwer, sein Gesicht war ungesund gerötet.

„Warum…verärgerst du auch unseren Anführer? Jetzt…haben wir…das Rudel auf dem Hals!“ keuchte er leise, und auf meinem Gesicht erschienen noch mehr Fragezeichen.

„Wen?“

Der andere sah mich skeptisch an, er wollte gerade zu einer Erwiderung ansetzen, da passierten unsere Mitschüler unser Versteck. Ich hielt vor Angst die Luft an, meine Knie zitterten, aber…sie entdeckten uns nicht. Sie gingen vorbei. Ich atmete erleichtert aus.

Wir warteten noch bis die Meute um die nächste Ecke verschwunden war, denn setzten wir uns auf einen Wink meines Retters wieder in Bewegung.

„Wir verstecken uns hinter der Turnhalle bis das Rudel das Gelände verlassen hat. Sie werden höchstwahrscheinlich am Eingang auf uns warten, und ich möchte ihnen ungern direkt in die Arme laufen.“

Da waren wir eindeutig einer Meinung.

Ungesehen gelangten wir hinter die bereits geschlossene Turnhalle und ließen uns auf der dem Schulhof abgewandten Seite ins Gras fallen. Mein Atem kam immer noch stoßweise, ich war völlig aus der Puste, und die Tatsache dass ich gerade eben fast verprügelt worden wäre tat ihr übliches zu meinem Allgemeinzustand.

So hatte ich mir den ersten Tag an meiner neuen Schule eindeutig nicht vorgestellt.

„Was war das eben? Wieso ist der Kerl so ausgerastet? Ich hab ihn wirklich nicht schief angeguckt! Der ist doch verrückt!“ ich wischte mir mit dem Handrücken das verschwitzte Haar aus der Stirn, dann sah ich meinen unverhofften Retter fragend an.

Der starrte angestrengt über das Gelände hinter der Schule, dann seufzte er leise.

„Verrückt trifft es ganz gut. Das sind hier so ziemlich alle. Du hast dich mit Hector angelegt, unserem Alphamännchen. Er ist der Anführer des hier ansässigen Rudels, und du hast ihn mit deinem unangebrachten Verhalten verärgert. Das war ziemlich dumm.“ er musterte mich von oben bis unten und blieb schließlich an meinem völlig verständnislosen Gesicht hängen.

Er runzelte verwirrt die Stirn.

„Du bist doch ein Wolf, genau wie der Großteil der hier lebenden Familien. Und deinem Nachnamen nach eindeutig einer unseres Rudels. Genau wie deine Eltern.“

Der Typ schien zu denken ich würde ihn für dumm verkaufen, das konnte ich an seiner Stimme hören. Aber ich hatte wirklich keinen Plan wovon er da redete.

„Du veralberst mich doch, oder?“

Und jetzt endlich begann er zu begreifen. Der misstrauische Ausdruck verschwand von seinem Gesicht und machte völligem Unglauben Platz.

„Du weißt von nichts? Du weißt echt nicht was du bist? Oh man, das erklärts natürlich. Niemand der ganz bei Trost ist würde Hector freiwillig herausfordern. Am Arsch bist du jetzt leider trotzdem, aber vielleicht kann ich dich wenigstens vor weiteren Katastrophen bewahren. Soll ich dir helfen?“

Der Typ war doch genauso verrückt.

Ich hockte nach Luft japsend hinter dieser Turnhalle und versteckte mich vor etwas dass er das „Alphamännchen“ unseres Rudels nannte.

Unseres Rudels!

Ich gehörte zu keinem „Rudel“, ich war ein Mensch, verdammt! Nur leider schien das dieser Hector nicht so zu sehen. Und der Junge neben mir auch nicht.

Ich wischte mir über das erhitzte Gesicht, dann machte ich Anstalten aufzustehen. Der fremde Junge packte mich kraftlos am Hosenbein und zupfte kurz daran.

„Bleib sitzen, die sind noch lange nicht weg. Und wenn wir uns still verhalten hören sie uns vielleicht nicht. Das wäre zu deinem besten, glaub mir.“ Er ließ mich los und lehnte den Kopf gegen die Mauer hinter uns, die Augen geschlossen. Er sah nicht besonders glücklich aus.

Und ich konnte es ihm nachfühlen.

Also ließ ich mich wieder in die Hocke sinken, die Hände zwischen den Knien, und versuchte meinen Atem zu beruhigen. Tausend Fragen schossen mir durch den Kopf, aber jedes Mal wenn ich den Mund öffnete um eine davon zu stellen merkte ich erst wie…lächerlich sie sich anhörte.

Wir waren Menschen, keine Wölfe! Das hier war doch eine ganz normale Schule, mit ganz normalen Schülern, und weder der Junge neben mir noch der der vor nicht einmal fünf Minuten versucht hatte mir seine Faust ins Gesicht zu rammen sahen aus wie welche!

Eher im Gegenteil.

Ich musterte meinen Retter schweigend von der Seite; er war zwar groß, aber eher schlaksig, mit unordentlichem lockigem braunen Haar und einer erstaunlich modernen großen schwarze Brille. Er trug Bluejeans, ein rot kariertes Holzfällerhemd, und abgelatschte dunkelgraue Turnschuhe.

Ein ganz normaler, durchschnittlicher Junge. Aber sicher kein Wolf!

„Du weißt wirklich von nichts, oder?“ unterbrach der Fremde meine verwirrten Gedanken. Er hatte die Augen geöffnet und sah mich fragend an. Und wieder misstrauisch. Oha.

Ich zuckte die Schultern.

„Offensichtlich nicht. Aber vielleicht kannst du mir ja auf die Sprünge helfen.“ Ich starrte ebenso offensiv zurück, und das war anscheinend schon wieder ein Fehler. Der andere erwiderte meinen Blick, dann senkte er die Augen und knurrte: „Hör auf damit! Wir starren uns nicht so an!“

Was sollte das denn jetzt? Was hatte ich nun schon wieder falsch gemacht? Ich hatte ihn doch nur angesehen, verdammt noch mal!

Aber ich wollte ihn nicht verärgern, ich brauchte dringend Antworten! Und so wie es aussah war er der einzige von dem ich sie gefahrlos und unkompliziert bekommen konnte. Also schluckte ich meinen Ärger hinunter und versuchte es mit einem beschwichtigenden Lächeln, ohne Blickkontakt aufzunehmen.

„Tut mir Leid, okay? Aber ich weiß gar nicht was ich falsch mache. Anscheinend trete ich hier von einem Fettnäpfchen ins nächste, und ich hab keine Ahnung warum!“ ich hob in einer hilflosen Geste beide Hände, und meine offensichtliche Ahnungslosigkeit schien ihn zum Glück zu besänftigen. Er lehnte sich wieder zurück, den Blick aber immer noch zu Boden gesenkt. Dann fuhr er sich etwas unschlüssig übers Gesicht.

Anscheinend war das hier eine ziemlich ernste Sache. Ich bekam direkt ein bisschen Mitleid mit ihm. Aber nur ein bisschen, schließlich konnte ich nichts für all das hier. Und er hatte sich freiwillig eingemischt. Zu meinem Glück, wie ich still zugeben musste. Sonst wäre ich jetzt wahrscheinlich Hackfleisch.

„Wo fange ich an…?“ der Junge klang ziemlich ratlos, dann straffte er sich, und starrte mich erneut an. Ich hob ebenfalls den Blick, und es wahr als würde etwas zwischen uns…vorgehen. Ich spürte wie meine Muskeln sich strafften, meine Atmung beschleunigte sich, mein Herz raste. Ich hatte das dringende Bedürfnis die Zähne zu fletschen und zu knurren! Und ich konnte verdammt nochmal den Blick nicht abwenden! Was zur Hölle ging hier vor? Erst als der andere kurz zwinkerte gelang es mir meine Augen von seinen zu lösen, und meine Vitalwerte rutschten wieder zurück in den Normalbereich. Ich fühlte mich als hätte ich gerade einen zweiten Sprint hingelegt, und das obwohl ich mich keinen Millimeter bewegt hatte!

Was passierte hier mit mir?

„Ich hab dich gewinnen lassen, aber das ist nicht schlimm. Ich denke nicht dass wir beide Probleme miteinander bekommen werden. Du bist vernünftig, und ich bin es auch. Das hilft uns hier schon sehr viel weiter.“ Er klang zufrieden. Im Gegensatz zu mir. Ich wurde immer verwirrter.

„Was meinst du? Gewinnen? Was war das eben? Das war doch…verrückt!“ ich wollte aufspringen, weglaufen, aber ich befahl mir sitzen zu bleiben. Ich war aufgebracht, aber ich wollte Antworten. Und zwar jetzt! Nur schien es der andere es plötzlich gar nicht mehr so eilig zu haben. Er streckte die Beine im spärlich wuchernden Gras aus und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. Er lächelte.

„Wir hatten ein Duell. Mit Blicken. Deswegen habe ich dich erst so angeraunzt als du mich angestarrt hast. Das war eine Herausforderung gewesen. Nur dass du davon anscheinend überhaupt keine Ahnung hattest. Wir sind wie…naja, vereinfacht ausgedrückt: Hunde. Unsere Vorfahren waren Wölfe, aber deren Benimmregeln sind inzwischen ziemlich veraltet. Wir bringen uns nicht mehr gegenseitig um nur weil einer schief geguckt hat. Aber wie du bemerkt hast, eine Faust riskiert man damit trotzdem. Mein Rat: halte dich einfach bedeckt bis du unsere Regeln gelernt hast. Nicht alle hier sind Wölfe, aber viele. Das wirst du schon noch merken. Und Hector…“ der Junge sah mich durchdringend an, und jetzt senkte ich den Blick. „…ist unser Anführer. Dem solltest du besser nicht noch einmal dumm kommen. Geh ihm am besten aus dem Weg, wenn du kannst.“ Er seufzte. „Und ich werde fürs erste das gleich tun. Es war nicht sehr clever von mir dir zu helfen. Aber ich konnte nicht anders. Das sind alles hormongesteuerte Idioten, und denen konnte ich dich nicht einfach zum Fraß vorwerfen.“ Er lächelte fast schon peinlich berührt, dann straffte er sich wieder und streckte mir die Hand entgegen.

„Ich bin Georg, freut mich!“



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