Cold wind blows von Dracos-Princess ================================================================================ Kapitel 12: Am Abgrund ---------------------- - Kapitel zwölf -     Draco hatte diesen kleinen, ausdruckslosen Laden zuvor nie beachtet, doch heute war es anders gewesen. Er wusste nicht, wieso es ein solches Geschäft gab, aber womöglich gab es etliche Magier, die sich ab und zu einen Spaß erlaubten und sich Muggelkleidung kauften, um unauffällig durch London zu spazieren. Mit der Zeit hatte man gelernt, wie auffällig man war, wenn man in Umhängen und Hexenhüten durch die Straßen Londons streifte. So auch Draco, der mit mehreren kleingezauberten Tüten über die Schwelle seines Anwesens apparierte und augenrollend die Tüten zurückzauberte, während er an die Verkäuferin im Laden dachte. Unvoreingenommen hatte er sich von der Hexe, die höchstens dreiundzwanzig war, beraten lassen, deren Rock so kurz war, dass sie sich nur hätte bücken müssen, um Draco Einblicke zu gewähren, die nicht normal wären – aber es beeindruckte ihn nicht. Der Reiz war verloren gegangen, etwas zu tun, was nicht der Norm entsprach – dasselbe galt der Verkäuferin in ihrem Rock und der hautengen Bluse. Es war durchaus nett anzusehen, und das war es dann auch schon. Sie war belanglos, uninteressant und inhaltslos. Selbst die Kleidung in seinen Einkaufstaschen war essenzieller.   „Ich will mich ja nicht einmischen, aber -“   „Dann misch dich auch nicht ein“, fauchte Draco dazwischen, wovon sich sein Inneres aber in keinster Weise beeindruckt zeigte.   „- aber hat dieser Wandel etwas mit Granger zu tun?“, vollendete die Stimme ihren Satz.   Nein, dieser – wie die Stimme ihn nannte – Wandel hatte überhaupt nichts mit Granger zu tun. Wieso brachte diese nervige Stimme alles, was neu war, mit Granger in Verbindung? Draco wollte bloß wissen, wie sich die Stoffe einiger Muggelkleidung anfühlten und ob genauso viel Wert auf die Verarbeitung gelegt wurde, wie in der Zaubererwelt, denn dort zählten keine Markennamen, sondern ausschließlich die Stoffe, die verwendet wurden. Merlin, es war doch nur ein Versuch – nichts, was zu bedeuten hatte. Er kam sich vor, als würde er sich für einen Seitensprung entschuldigen, gar rechtfertigen.   „Genau das solltest du Lucius sagen, wenn er dich auf deine neue Kleidung anspricht, die natürlich nur als Versuch gedeutet werden sollte“, erwiderte die durchschneidende Stimme hämisch.   Er würde die Stimme unterdrücken und sich nicht weiter davon irritieren lassen. Was Lucius' Portrait betraf, auch davon würde er sich nicht einschüchtern lassen. Ha, als ob das Abbild seines Vaters etwas an seinem Kleidungsstil ändern konnte – lächerlich. Was im Gegenzug zu den Gedanken an seinen Vater nicht lächerlich war, war die Stille in seinem Haus, nachdem er das Tor aufgestoßen hatte und dahinter verschwunden war. Die Tage zuvor – als er noch alleine hier war – genoss er die Ruhe, die herrschte. Zweifelsohne, das tat er. Aber seit Granger hier lebte, empfand er jegliche Ruhe als störend, weil es nichts Gutes bedeuten konnte.   Ausgelaugt stellte er die Taschen neben sich ab, strich sich über die feuchte Stirn und knurrte in die Dunkelheit: „Brisko!“   Unmittelbar darauf erschien auch schon der alte Elf vor ihm – ehrfürchtig, den Blick nach unten gewandt, als er sich verbeugte. „Ja, Herr?“   „Wo ist das Mädchen?“, fragte er sublim, während seine Hand unsichtbaren Schmutz von seiner Kleidung klopfte. Es war eine unnötige Angewohnheit, die sich Draco von seinem Vater abgeschaut hatte, der selbiges tat, um Autorität vor dubiosen Geschäftspartnern zu erzeugen.   „Das Mädchen?“ Brisko hob seinen faltigen Kopf, da er nicht wusste, was er tun sollte. Dass er auf den Gast ein Auge werfen sollte, war ihm bisher unbekannt, weshalb er sich schuldig fühlte und sich am liebsten sofort bestraft hätte, da er scheinbar die Aufgaben seines Meisters nicht gewissenhaft genug erledigte. „Brisko weiß es nicht, Herr. Das Mädchen war nicht in der Küche.“   „Es wäre mir lieber, sie wäre es heute gewesen.“ Ein ungutes Gefühl breitete sich in ihm aus. Zudem ärgerte es ihn, dass seine Elfen nicht wussten, wo sie sich herumtrieb. Zugegeben, Malfoy Manor war kein kleines, gewöhnliches Häuschen, aber spurlos darin abtauchen konnte auch niemand, zumal siebenundsechzig Elfen sein Haus beherbergten. Irgendjemand musste sie doch gesehen haben, aber wenn man etwas wissen wollte, musste man es selbst in die Hand nehmen.   Das tat Draco auch. Er zückte seinen Zauberstab, was den Elf wenige Schritte zurückgehen ließ, und vollführte eine galante Zauberstabbewegung. „Zeig mir das Mädchen“, befahl er murrend. Des Weiteren hatte er sich extra beeilt, weil er sich vorgenommen hatte, sie nie allzu lange alleine zu lassen. Er konnte sich bereits ausmalen, auf welch skurrile Ideen das Weib kommen würde, wenn er ein oder zwei Tage wegbleiben würde. Nicht auszudenken, was sie alles in seiner Abwesenheit anstellen würde. Würde er – sofern er für einige Tage verschwinden würde – nach Hause kommen, hätte sie vermutlich – schadenfroh wie sie nun mal ihm gegenüber war – sein Haus niedergebrannt. Aus diesem Grund hatte er beschlossen, sie nie länger als notwendig war, alleine zu lassen. Unterdessen schossen aus seiner Stabspitze hellblaue, funkelnde Strahlen die zueinander fanden und einen riesigen Komplex bildeten. Vor seinen grauen Augen erschien der Bauplan von Malfoy Manor – unterteilt in die jeweiligen Abteile und Stockwerke. Brisko stand derweil neben Draco und wagte sich nicht vom Fleck. Angesichts der Zufuhr von Magie, begannen seine Fledermausohren heftig zu wackeln. Sogar die weißen, feinen Härchen, die aus seinen langen Ohren sprießten, leuchteten unter dem Bauplan hellblau auf.   Eigentlich war es unnötig, dass Draco diesen komplizierten Zauber heraufbeschwor. Er wusste es schon vorher, wo sie sich befand. Er hatte es einfach gespürt, dass sie sich ihm widersetzte und etwas tat, was er ihr verboten hatte, aber er wollte es eben genau wissen und das tat er nun, nachdem ein kleiner Punkt in seinem Schlafzimmer aufleuchtete...   „Nein!“, murmelte er zornig, ehedem er mit einem Schlenker seines Zauberstabs den Bauplan verschwinden ließ. „Nimm meine Sachen, Brisko, und bring sie später nach oben.“   „Gewiss, Herr“, versicherte ihm der Elf mit wenigen Worten, ehe er mit den Taschen in die Küche apparierte.   Draco hingegen apparierte vor seine Schlafzimmertür, wo er mit Erschrecken feststellen musste, dass seine Schlafzimmertür einen Spalt weit offen stand, woraufhin ein bedrohliches Knurren seine Kehle verließ. Dieses Weibsbild hatte es ganz offensichtlich darauf angelegt, hierher zu kommen. Andernfalls hätte sie keine Vorkehrungen getroffen, wie beispielsweise die Tür offen stehen zu lassen. Sie strapazierte seine Gastfreundlichkeit bis zum Äußersten, aber heute würde er keine Gnade vor Recht walten lassen. Heute würde er sie in die Kerker werfen und darin schmoren lassen. Bis sie begriff, dass sie sich ihm nicht zu widersetzen hatte. Bis sie verinnerlichte, dass sie seine Regeln befolgen musste, wenn sie einigermaßen vernünftig leben wollte. Und irgendwann würde sie es lernen – sei es mit roher Gewalt. Draco würde dem widerspenstigen Miststück zeigen, wie skrupellos er sein konnte. Sie würde auf ihrem verdammten Zahnfleisch kriechen, bis es blutete. Granger würde ihn um Gnade anflehen. Ja, genau das sollte sie auch.   Bis heute hatte er mehrere Tage Ruhe, er ging ihr geflissentlich aus dem Weg und heute? Heute war er ihr nachgegangen, als sie in diese blöden scheiß Stallungen gegangen war – ein Fehler. Ein sehr böser Fehler, da er sich besser weiterhin von ihr ferngehalten hätte. Aber das Kind war in den Brunnen gefallen und es konnte sehr wohl noch schlimmer kommen, das bewies sie ihm gerade mit ihrer Durchtriebenheit. Ha, und ihm warf sie dasselbe vor – dass er niederträchtig und hinterlistig war... Der Unterschied war, dass er dazu stand. Sie nicht.   Im Nachhinein brachte es aber alles nichts. Draco öffnete die Tür noch weiter und konnte nichts weiter hören, als Hände, die etwas zu durchsuchen schienen. Granger besaß nicht einmal den Anstand zu erschrecken, sie bemerkte gar nicht, dass noch mehr Licht in sein Zimmer flutete. Nein. Sie durchforstete ungeniert seinen Kleiderschrank weiter, während seine rechte Hand sich fest im Türrahmen verkeilte.   „Granger?“, knurrte er leise.   Und endlich kam die ersehnte Reaktion ihrerseits. Erschrocken drehte sie sich um und verlor daraufhin fast ihren Halt, was sie im letzten Moment verhindern konnte, indem sie sich an der Außenverkleidung seines Schrankes festhielt. Im Licht konnte er ihre aufgerissenen Augen, sowie ihren herunterklappenden Mund erkennen.   „Mal- Malfoy, ich... ich -“   „Was machst du hier?“ Draco ließ den Türrahmen los, bevor er seinen Zauberstab zog. Unsanft stieß er währenddessen das große Tor auf, wodurch sein Zimmer hell erleuchtet wurde und er seinen Zauberstab zielsicherer gegen sie richten konnte.   „Ich -“   Was fragte er sie überhaupt noch? Sie würde ihm sowieso nur Lügen auftischen, obwohl er genau wusste, was sie hier tat – ihn ausspionieren. In seinen Räumen, in denen er ihr ausdrücklich den Zutritt verboten hatte.   „Ich wollte nur -“   „Was wolltest du?“ Abschätzig blickte er an ihr hinab, bis seine Augen abrupt an ihrer Hand kleben blieben. Was zum Teufel hielt sie da in ihrer Hand? Was war es?   „Ich weiß, ich darf nicht hier sein und dass es verboten -“   „Verboten?“, schrie er sie an. „Ja, verdammt, es ist dir verboten, Granger!“ Plötzlich zuckte kurz ihre Hand, aufgrund seines Aufschreis, was es dem Malfoy-Erben ermöglichte, den Gegenstand in ihrer Hand zu identifizieren. Es flackerte nur kurz im Licht silbern auf, aber es genügte, um erkannt zu werden. Granger hielt seine Todessermaske in ihrer Schlammbluthand, woraufhin er sich wie ein wild gewordenes Tier auf sie stürzen wollte.   Daraufhin erschrak sich Hermine abermals, nachdem sie sein Vorhaben entschlüsselte und ihren Körper lediglich gegen eine der noch verschlossenen Schranktüren pressen konnte. Unbemerkt hatte sie sogar die Luft angehalten. „Malfoy, bitte hör auf!“, bat sie wimmernd, aber es war vergeblich. Jüngst hatte er sie erreicht und zwischen seinem Körper und dem Schrank eingeschlossen, bevor er ihr die Maske aus der Hand riss und seinen Zauberstab gegen ihre Kehle drückte. Mit seinen grauen Augen bohrte er sich in ihren angsterfüllten Blick, während seine freie Hand ihre Schulter packte.   „Ich habe dir verboten, den Westflügel zu betreten!“, schrie er ihr hemmungslos ins Gesicht.   „Ich hatte nichts Böses vor, Malfoy. Wirklich.“ Ihr Körper zitterte wie Espenlaub, während sie mit bebenden Lippen zuerst zu seinem Zauberstab und anschließend auf seine Hand sah, die zitternd auf ihrer Schulter lag.   „Du hattest nichts Böses vor?“ Die Hand, die noch immer ihre Schulter umfing, sank langsam zur Seite, weil er – trotz seiner unbändigen Wut – anhand seines Zauberstabs, den er an ihre Kehle drückte, sehr wohl ihren rasenden Puls spüren konnte. Etwas, das ihn in die Realität zurückholte und ihm half, sich nicht gänzlich zu vergessen. „Was suchst du dann hier?“   „Ich war nur neugierig und -“   „Neugierig?“ Zurück war die Wut, die er schamlos in ihr Gesicht schleuderte, während er mittels seines Stabes unzählige Bücher aus den Regalen katapultierte. „Neugier kann fatale Folgen haben, Fräulein. Und ich muss gestehen, dass es mir endgültig reicht. Mir reichts wirklich.“ Nachdem er seine Wut in die herumliegenden Bücher projiziert hatte, presste er nochmals den Stab an ihren Hals. Was hatte er sich nur ins Haus geholt? Was hatte er sich bei Merlin nur eingebrockt, als er Granger an sich und das Haus band? Er hielt ein Mädchen gefangen, auf das er unglaublich wütend war. Draco war wirklich sauer, was den Grund rechtfertigen würde, sie in Stücke zu fluchen. Aber würde ihn das weiterbringen? Mitnichten, denn selbst wenn er sie in ihre Einzelteile zerlegt hätte, fände dieses Weib einen Weg, sich ihm weiterhin zu widersetzen. Was also sollte er noch machen?   Er sollte schleunigst darüber nachdenken und währenddessen trinken. Ja, viel trinken. Das erschien ihm im Moment als eine passable Lösung, die er dringend umsetzen sollte. Draco wollte einen doppelten Whiskey trinken, während er nachdachte – das war stets seine Passion gewesen. Abschließend war er seine Todessermaske mit voller Wucht nach hinten, dass man den Aufprall gegen die Wand deutlich hören konnte.   Im Anschluss sank sein Kopf leicht nach unten, bevor er ihn nochmal nach oben hob und das eingeschüchterte Mädchen ansah. „Raus, Granger.“   Wortlos sah sie ihm entgegen, ohne etwas zu tun, was mit seinen Worten in Relation stand.   „Raus!“ Brummend legte er seinen Kopf in den Nacken, weil er seine Fassung nicht verlieren wollte, aber sie machte es ihm unglaublich schwer und eigentlich gehörte dieses Mädchen in die Kerker, aber war es zu fassen? Er konnte ihr nicht einmal das antun, geschweige denn ihr Wesen in irgendeiner Art verletzen, weil es ihn womöglich noch mehr schmerzen würde. Verdammte Axt. Er konnte ihr nicht einmal mehr Leid zufügen, da sich sein Inneres vehement dagegen sträubte.   „Oh, er entwickelt Gefühle? Ich hätte da eine Vermutung, die -“   Nein! Seine Stimme würde ihm nichts mehr einreden – keine falschen Wahrheiten mehr, keine leeren Floskeln. Gar nichts mehr. Rigoros blockte er ab und fixierte sich vollständig auf seinen Zauberstab, den er in seiner linken Hand hielt. Wenn er diese Stimme fangen könnte, hätte er ihr längst den Garaus gemacht – soviel stand fest.   Ferner drehte er sich von ihr und dem Kleiderschrank weg, aber noch immer verharrte sie in ihrer Position, wie er zornig feststellte, als er sie wutentbrannt über seine Schulter hinweg ansah. „Bist du schwerhörig?“, feuerte er ihr entgegen. „Raus hier, Granger.“   Aber sie gehorchte ihm nicht. Stattdessen stand sie immer noch wie zur Salzsäule erstarrt an seinem Kleiderschrank, was ihn nur rasender werden ließ. Verdammt. Ob sie das absichtlich tat, indem sie seinen Befehlen nicht Folge leistete? Infolgedessen schritt er hasserfüllt zu einem kleinen Holztisch, den er mit einer Hand umwarf.   „Verschwinde endlich, verdammt nochmal!“ Um seiner Drohung noch mehr Ausdruck zu verleihen, zog er seinen Zauberstab, den er sofort einsetzte und sie mit einem ohrenbetäubenden Zauber – der unvermittelt neben ihr einschlug – zur Flucht bewegen wollte.   Und es schien zu helfen. Der Einschlag ließ sie aus ihrer Starre erwachen, woraufhin sie ängstlich davonrannte – durch das große Portal. Hermine nahm zwei Stufen auf einmal und hätte fast Akina umgerannt, die inmitten der Stufen plötzlich aufgetaucht war, um ihren Herren zu fragen, welches der Zimmer für seine Mutter hergerichtet werden sollte, da Draco es bevorzugte, seine Mutter in einem der Gästezimmer unterzubringen, statt in ihrem Schlafzimmer, das voller Erinnerungen an Lucius war. Aber auch das war Hermine herzlich egal, sofern sie von diesen Beweggründen gewusst hätte. Sie wollte einfach nur noch hier weg. Raus aus diesem schrecklichen Haus, in dem sie selbst schon so viel Leid mit ansehen musste.   „Miss?“, entkam es der Elfe irritiert, die ihre Hände nach oben hob, um Hermine aufzuhalten. Nebenbei sprang sie zwei Stufen hinunter, weil sie dem Mädchen hinterherrennen wollte, aber Hermine war bedeutend schneller und hatte die Eingangshalle, samt Portal bereits erreicht. „Miss, so warten Sie doch bitte.“   „Es tut mir leid, Akina – versprochen oder nicht. Aber ich kann nicht eine Minute länger hier bleiben“, rief sie über ihre Schulter und zog sich gleichzeitig ihren Umhang über, bevor sie die Tür aufzog und die liebe Elfe zurückließ. Die kleine Elfe, die sich als erstes Malfoy widersetzte und Hermine in die Küche geführt hatte. Die Elfe, die ihr jeden Tag das Frühstück brachte und ihr Bett gemacht hatte... Schwungvoll riss Hermine derweil das Eingangsportal auf und lief eine weitere Treppe hinab. Sie rannte krächzend den Kiesweg entlang und sah am Ende des Weges das schmiedeeiserne Tor. Oh Merlin, sie würde es einfach aufreißen und nach draußen stürmen – weg von Malfoy, weg von allem. Ganz egal, was sie danach zu erwarten hatte. Es war egal, dass sie Malfoy ihr Wort gab, für immer hier zu bleiben. Es war sowas von egal. Selbst wenn das Ministerium sie einsammeln und wieder hier abliefern würde, angesichts dieses dubiosen Abkommens Hermine hier festhalten zu dürfen. Es war vollkommen egal, denn obwohl Malfoy die Macht hatte, sie auf legalem Weg zu zwingen hier zu bleiben, war es immer noch Hermine, die im Bezug auf ihre Geiselnahme das letzte Wort hatte. Undsi würde ihrem Gefängnis nun den Rücken kehren, denn hinter dem Wald, den sie bereits erkennen konnte, war irgendwo Tante Milas Haus, in dem ihr Vater bestimmt auf die warte würde. Es wäre ein wenig zu laufen, aber dieses Hindernis nahm sie liebend gerne in Kauf.   Während sie immer schneller lief, bemerkte sie gar nicht, dass die Erde unter ihren Füßen mit jedem Schritt den sie tat, immer kräftiger zu beben begann. Hermine war so sehr darauf fixiert gewesen, dieses Tor zu öffnen, als dass sie überhaupt ihre Umgebung wahrnehmen konnte.     ~*~       Inzwischen war Draco in seinem Schlafzimmer bestimmt schon dutzende Male im Kreis gelaufen. Die Maske, die auf dem teuren Parkettboden vor dem Schrank lag, starrte mit leeren Augen zur Decke hinauf und bekam nicht die Aufmerksamkeit von Draco, die man ihr zu Voldemorts Glanzzeiten schenkte. Merlin, diese dämliche Maske hatte alles ruiniert. Aber wieso musste sie auch in sein Zimmer gehen? Hatte er ihr nicht am ersten Tag ganz unmissverständlich klar gemacht, dass dieser Bereich des Hauses tabu war? Warum hatte sie immerzu den Drang, gegen Regeln – und speziell gegen seine – zu verstoßen? Das, genau das, hatte sie auch schon in Hogwarts getan – zusammen mit Potter und Weasley. Schnaufend marschierte er zurück in das Studierzimmer, in dem sie mit Sicherheit auch gewesen war. Doch anders als sie, setzte er sich in den Stuhl und zog die Schublade auf, in der sonst immer die Maske lag. Tja, er hatte die Maske – nachdem er beschlossen hatte, ihr in die Stallungen zu folgen – wahllos auf den Stuhl geworden. Ein Fehler, der auf seine Kappe ging. Aber – und das war sein Glück – hätte sie die Maske in der Schublade gefunden, wäre sie auch auf ihren Zauberstab gestoßen...   Was war nun das größere Übel? Dass sie die Maske fand oder noch immer ohne Zauberstab herumirrte?   Und wieso hatte er seine Maske überhaupt noch? Nun, er behielt die Maske, damit er diesen abscheulichen Krieg niemals vergessen würde. Dass er niemals vergaß, wie viele Opfer – auf beiden Seiten – dieser Krieg gekostet hatte. Damit er niemals vergaß, auf welcher Seite er stand – nämlich auf der falschen. Diese Maske – so viel Blut auch daran klebte – würde ihn immer wieder in die Realität zurückholen. Sie würde Draco immer daran erinnern, was er getan hatte. Sie würde ihm anhaltend seine Fehler aufzeigen und ihn daran erinnern, nie mehr dieser gefährlichen Macht zu verfallen und während er zeitgleich überlegte, wie er den Westflügel vor ihr schützen konnte – weil er nicht noch einmal wollte, dass sie in seine graue Welt eintauchte und sie vielleicht auch vor weiterem Elend bewahren wollte -, kam Akina aufgewühlt hineingestürmt.   „Herr!“, piepste die Elfe aufgeregt und fuchtelte wild mit ihren dürren Armen.   „Nicht jetzt, Akina“, murmelte Draco – den Blick zur Seite geneigt.   „Aber Herr, die -“   „Akina, lass mich alleine“, forderte er das ängstliche Geschöpf mit ruhiger Stimme auf.   „Herr, bitte hört Akina an. Die -“   „Akina!“, brüllte Draco letztendlich, weil er sich nicht noch einmal erklären wollte, es aber dennoch tat. „Ich sagte, du sollst abhauen. Raus hier!“ Fingen seine Elfen etwa auch an, sich gegen ihn zu stellen? Planten sie etwa eine Revolte gegen ihn oder woher kam der Mut, seine Befehle wissentlich zu missachten? Lag es an Granger, dass sie für sie Partei ergriffen? Merlin, sie alle konnten froh sein, dass er sie nicht bestrafen würde – dafür, dass sie Granger ungeachtet in seine Räume gelassen hatten.   Folglich zuckte das magische Geschöpf zusammen, bevor sie im Schleier des aufgewühlten Feinstaubes verschwand, um einer Bestrafung zu entgehen, weil sie bereits zu weit gegangen war.   „Diese verdammten Elfen“, knurrte er und schlug mit der geballten Faust auf den Tisch, den er am liebsten verbrannt hätte, weil es ein altes Erbstück von Lucius gewesen war. „Scheiß Granger!“   Wieso konnte Potter nicht endlich aufwachen und das Schlammblut retten? Weasley – der wandelnde Misserfolg – würde sich nicht wagen, seinen Grund und Boden ungefragt zu betreten. Dazu fehlte ihm die nötige Courage, aber dem Narbengesicht traute er zu, dass er hierher käme. Potter besaß dieses heuchlerische Helden-Gen, das er gerne nach außen trug. Aber nein, Sankt Potter musste ja im Koma liegen, wo er offenbar beschloss, nicht mehr aufzuwachen, weil es sich so viel schöner leben ließ. Ja, er schien nur darauf zu warten, bis der ganze Spuk vorbei war. Weasley hingegen war feige und schickte Draco bloß mehrere Briefe und keinen hatte der blonde Malfoy-Junge bisher beantwortet. Er würde sich hüten, etwas derartiges zu tun.   Der Gedanke an Weasley trieb ihn fast zur Explosion. Wütend öffnete er die zweite Schublade, in der die zerknüllten Briefe von Ronald Weasley verstaubten. Wahllos hatte er nach dem erstbesten Brief gegriffen, den er im Anschluss glatt strich und las.   Ich verzichte getrost auf eine formelle Begrüßung, Malfoy, aber wieso antwortest du mir nicht? Ich habe dich bereits mehrmals darum gebeten, mir endlich deine Erlaubnis zu geben, dass ich Hermine zumindest sehen und mich davon überzeugen kann, dass es ihr gut geht. Ich erwarte gar nicht, dass du mir erklärst, wieso sie bei dir ist, aber bitte erlaube mir doch wenigstens, Hermine zu sehen.   Wieso tust du das?   Ich bettle doch schon. Das ist es doch, was du immer willst, oder? Dass man dich um etwas bittet, im schlimmsten Fall anfleht und um Gnade winselt. Was willst du noch?   Draco konnte schon anhand der immer unsauber werdenden Schrift erkennen, wie viel Kraft und Überwindung es den rothaarigen Jungen gekostet haben musste, ihm diese Zeilen zu schreiben.   Wieso lässt du sie nicht gehen, wenn du mir schon nicht erlaubst, nach Malfoy Manor zu kommen? Was erhoffst du dir nur? Wenn Harry wüsste, was du dir erlaubst, er würde dich ins Nirwana hexen, das versichere ich dir, Arschloch.   „Oh“, äffte Draco und sah die Zeilen an, „wenn Harry das wüsste. Du dummer Idiot, Potter weiß es aber nun mal nicht und dir fehlen die Eier dazu, etwas zu unternehmen.“ Ihm wäre es auch lieber, wenn der Goldjunge hier antanzte, aber das ging ja nicht und Granger einfach gehen lassen, konnte er auch nicht. Wie stünde er denn da? Wie ein feiger Schwächling, der an seinen Prinzipien nicht festhalten konnte. Ha, nein. Dieser Schmach würde er sich niemals freiwillig aussetzen.   Du weißt scheinbar nicht, was Hermine alles mitmachen musste? Sie hat erst ihre Mutter verloren – soll sie jetzt auch noch ihren Vater und ihre Freiheit verlieren? Wieso quälst du sie nur so dermaßen? Ich kann nicht verstehen, wieso das Ministerium so etwas duldet.   Als ob Weasley ihn damit ködern konnte. Und wieso das Ministerium so etwas duldete? Weil er die nötigen Mittel besaß, darum. Er spendete Summen in beträchtlichem Ausmaß, die Weasley nicht einmal aussprechen könnte. Natürlich bekam er im Gegenzug das, was er wollte und konnte damit bezwecken, dass Granger ihre Strafe hier absaß. Er hätte dem rothaarigen Bastard doch antworten und ihn fragen sollen, ob es ihm lieber gewesen wäre, seine Prinzessin in Askaban zu sehen. Sollte sie dort zu Grunde gehen, ja? Wäre das dem Wiesel lieber gewesen? Denn das wäre die Alternative gewesen, wenn er ihr damaliges, unbefugtes Betreten seines Grundstücks zur Anzeige gebracht hätte. Und Draco ärgerte sich, dass er diesen einfachen Weg nicht gegangen war – all seine Sorgen, bezüglich Granger, wäre er los gewesen. Ja, es ärgerte ihn maßlos, dass er auf die Gefühle dieser undankbaren Gryffindor eingegangen war und sie vor Askaban bewahrt hatte. Er hätte jetzt hier sitzen und genussvoll seinen Whiskey trinken können, ohne Weasleys dämlichen Brief in der Hand. Er könnte Frauen verführen, wann immer er Lust dazu hätte. Alles Alltagssituationen, die ihm lieber waren als das, was er jetzt hatte.   Ich schwöre dir auf Merlins Grab, wenn du ihr etwas antust oder etwas gegen ihren Willen von ihr verlangst, dann prügle ich alles aus dir heraus – ich reiße dir alle Gedärme und Gliedmaßen aus deinem schäbigen Körper.   Ron Weasley   Etwas gegen ihren Willen? Nochmals las Draco die Passage, bevor er den Brief mit schnalzender Zunge auf die Oberfläche des Schreibtischs warf. Unfassbar, dieser Junge. So nötig hatte es Draco nun auch wieder nicht, obwohl er sehr wohl eine Gegenleistung von Granger erwarten könnte. Schließlich hatte er dafür bezahlt, dass sie hier bleiben konnte und vor Askaban verschont wurde. Fünftausend Galleonen hatte er gezahlt, damit Granger nichts geschah. Da könnte er verdammt nochmal auch von ihr verlangen, mit ihm zu schlafen. Aber er hatte auch fünfhundert Milliarden Galleonen von Lucius geerbt – da taten ihm fünftausend Galleonen nicht weh, solange er das bekam, was er wollte.   Missgestimmt nahm er daraufhin nochmal den Brief, um ihn zu den anderen zerknüllten Briefen in die Schublade zurückzuwerfen. Anschließend legte er sich entspannt in seinen Stuhl zurück, um das Weasley-Problem auszublenden. Seinen Kopf lehnte er ebenfalls zurück und schloss die Augen, um nachzudenken. Aber nicht einmal das schien man ihm zu gönnen. Nein, niemand gönnte ihm etwas – nicht einmal die dumme Erde, die von einer fürchterlichen Erschütterung heimgesucht wurde und Draco fast aus dem Stuhl geworfen hatte.   „Verdammt, kann man in diesem verfluchten Haus nicht einmal seine scheiß Ruhe haben?“, rief er zur hellen Decke hinauf, doch antwortete sie ihm nicht und wieder ballte er seine Hände zu Fäusten, bevor er zum Fenster schritt und zum Eingang seines Grundstücks starrte – wo ihn ein Bild erwartete, das ihm das Blut in den Adern gefrieren ließ. Grundgütiger, war das etwa Granger?   Bei Merlin!   Hatte er ihr nicht auch noch gesagt, dass sie die Grenze nicht überschreiten durfte, wenngleich sie nicht wusste, wo die Grenze anfing? Egal, er hatte es ihr jedenfalls gesagt und hatte schon wieder nicht auf ihn gehört. Verdammt. Er ließ alles stehen und liegen und rannte die Treppen hinunter – Granger zur Hilfe eilend.     ~*~     Es kam ihr vor wie ein Fußmarsch durch Sibirien, aber sie erreichte endlich das Tor, das sie in die lang ersehnte Freiheit entlassen würde. Nur wenige Meter trennten Hermine von der Freiheit, weshalb sie immer schneller darauf zulief und ihre Hand nach dem Griff des Tores ausstreckte. Sobald sie es berührt hatte, passierte alles im Bruchteil einer Sekunde. Es geschah so rasend schnell, dass Hermine gar nicht frühzeitig reagieren konnte. Die feste Erde unter ihren Füßen heulte auf, sie bebte unaufhörlich, sie wurde weich und matschig, was Hermines Halt in Mitleidenschaft zog. Ihre Hand wurde von einer anderen, unbekannten Macht vom Griff zurückgezogen, bevor sich die Erde unter ihr spaltete und eine Kluft entstand – ein Abgrund, so tief, dass man das Ende nicht ausmachen konnte.   Panisch versuchte sie sich auf den Beinen zu halten. Hermine versuchte vergeblich, nach hinten zu gehen – was angesichts ihres Schocks, aber auch der Faszination des Zaubers nicht so einfach war. Währenddessen verschluckte die unendliche Tiefe das Tor, bevor diese Feuer nach oben zur Oberfläche spuckte. Es war ein Bild des Grauens – jenseits von Gut und Böse. Das Feuer war so strahlend hell, dass es Hermine blendete und sie nichts mehr sehen konnte. Aus ihrem Reflex heraus hob sie die Arme vor ihre Augen, weshalb sie nicht sah, wie der Flecken unter ihr bröckelig wurde, die Risse immer breiten wurden und sich schlussendlich teilte. Ein großes Stück Erde brach ab – ausgerechnet dort, wo sich Hermines linker Fuß befand. Schreiend entfernte sie die Arme vor ihrem Gesicht, verstummte und blickte nach unten, bevor sie in den Abgrund hinabrutschte. Mit letzter Kraft gelang es der verschüchterten Hexe, sich an einer heraushängenden Wurzel festzuklammern.   „Oh nein, Hilfe!“, schrie Hermine aus Leibeskräften, während ihr Körper in der Luft taumelte und sie gleichzeitig versuchte, mit ihren Füßen irgendwo an der lehmigen Wand Halt zu finden. Hinzu kamen ihre schwindenden Kräfte, die sie alsbald in die Knie zwingen würden.   Außerdem... wer konnte schon wissen, wie lange die Wurzel ihr Gewicht tragen konnte?   „Malfoy!“, kreischte sie nach oben, doch glitt ihr Blick immer wieder hinab – hinab in die Schlucht, die keinen Boden hatte. Stattdessen wütete unter ihr ein Sturm aus Lava und Feuer. „Malfoy, bitte hilf mir!“   Und es fiel ihr wie Schuppen von den Augen, was dazu führte, dass sie sich in dieser brenzligen Situation befand – Hermine hatte die Grenze überschritten. Sie durfte sowohl das Haus, als auch das Grundstück nicht verlassen.   Das Haus wird es zu verhindern wissen...   Das waren Malfoys Worte, als sie ihre Strafe angetreten hatte und dieses Anwesen hielt sich strikt daran. Im Gegensatz zu Hermine gehorchte es seinem Herren, indem es Hermines Flucht verhinderte. Grundgütiger, das Haus würde sie unter der Erde begraben, nachdem die Flammen sie verschluckt hätten...   „Malfoy, bitte!“, schrie sie erneut nach oben, aber wieso kam er nicht? Würde er sie wirklich sterben lassen – hier in dieser Kluft? Hatte er es letzten Endes darauf angelegt, dass sie fluchtartig das Haus verließ, um sich ihr zu entledigen und darauf zu hoffen, dass das Haus den Rest erledigte? Großer Gott, plötzlich rann der Schweiß in Strömen über ihren Körper. Die Hitze, die unter ihr aufstieg war erdrückend und würde schlussendlich dazu führen, dass sie sich nicht mehr lange an der Wurzel festhalten konnte. Zusätzlich stieg ihr dunkler Rauch in die Nase, der sie – je länger sie dem Dunst ausgesetzt wäre – in die Ohnmacht treiben würde, was ebenfalls zum sofortigen Tod führte. „Bitte lass mich nicht hier unten sterben!“   Es war der Situation geschuldet, dass sie bitterlich zu weinen anfing. Ja, sie würde sterben. Malfoy würde nicht hierher eilen und sie retten, egal wie laut sie auch schreien würde, egal wie sehr sie um eine schnelle Rettung bettelte und... und sie verstand ihn. Würde sie ihm helfen? Aber darüber konnte sie sich keine Gedanken machen, da sie weiterhin kläglich versuchte, ihre Füße in die harte, lehmige Erde zu rammen, um etwas mehr Halt zu haben, statt sich auf eine vereinzelte Wurzel zu verlassen. Allerdings war der Lehmboden so hart, dass sie befürchtete, es nicht zu schaffen und mehr Schwung in ihren Körper konnte sie auch nicht bringen, aus Angst, dass ihre verschwitzten Hände sich nicht länger an der Wurzel festhalten konnten.   „Granger?“   Von der Panik ummantelt, blickte Hermine nach oben – in das Gesicht von Draco Malfoy. Würde er jetzt zusehen, wie sie abstürzte? Sie hoffte nicht. „Malfoy, dem Himmel sei Dank. Bitte... Bitte zieh mich rauf“, hustete sie ihm entgegen, die Augen aufgrund des Qualms zusammengekniffen.   Blitzschnell sank der ehemalige Slytherin auf die Knie, ehe er seinen Arm nach unten ausstreckte. Seine Sinne teilten ihm unterdessen mit, dass die Erde unter ihm fest genug war, um sich abstützen zu können. Ja, sein Haus würde nicht zulassen, dass er abstürzte. Das Haus schützte schließlich seinen Erben.   „Nimm meine Hand“, ächzte er und streckte seinen Arm so weit nach unten, wie es ihm möglich war.   „Ich... Ich kann nicht“, röchelte Hermine verzweifelt zurück und sah zu den aufbrausenden Flammen.   „Doch, du kannst. Lass eine Hand los und gib sie mir.“   Bitte was? Sie sollte eine Hand von der rettenden Wurzel lösen? War er denn verrückt geworden? Sie würde sofort nach unten fallen, da sie nicht genügend Kraft hatte, um sich mit einer Hand festzuhalten. „Nein, das... das geht... nicht. Ich... Ich werde fallen, wenn... ich die Wurzel loslasse.“   „Granger, sieh mich an“, befahl er und war dankbar, dass sie diesem Befehl endlich nachkam. Eindringlich sah er in ihre Augen, in denen er die Angst deutlich herauskristallisieren konnte. „Ich werde dich nicht fallen lassen, aber du musst mir dabei helfen, in Ordnung?“   „Malfoy, bitte! Bitte tu etwas“, brüllte sie angsterfüllt. Sie war so in Panik versetzt, dass sie sich nicht mehr konzentrieren konnte. Sie verstand nicht, dass Malfoy ihr helfen wollte.   „Sieh nicht nach unten, Granger. Sieh mich an!“   „Malfoy, ich... ich hab Angst!“, erwiderte sie mit Tränen in den Augen, die sofort vertrockneten, anlässlich der Hitze, der sie ausgesetzt war.   Was sollte er machen? Er kam einfach nicht weit genug nach unten, um sie am Arm packen zu können. Sie mit Magie hinaufschweben lassen ging auch nicht. Das Haus wollte sie strafen, weil sie weglaufen würde. Würde Draco mit Magie dazwischenfunken, würde das Haus nur noch wütender werden – nicht auf ihn, aber auf Granger. Dass sie dadurch noch mehr Schaden davontragen würde, konnte er mit seinem Gewissen auch nicht vereinbaren. Hinzu kam Grangers Angst... Etwas, das ganz neu für ihn war, was ihm aber gleichzeitig erneute Divergenzen zwischen ihnen aufzeigte. Granger konnte ehrlich zugeben, dass sie Angst hatte. Etwas, das Draco nicht konnte... Eine weitere Möglichkeit sie aus dem Dilemma zu befreien, wäre womöglich sein Besen gewesen, aber diese Idee schlug er sich ebenfalls aus dem Kopf. Der Schweif des Besens würde vermutlich Feuer fangen, was die Balance des Flugbesens erheblich beeinträchtigen würde.   Ihm fiel nur noch eine Möglichkeit ein. „Brisko!“, brüllte er über seine Schulter hinweg.   „Herr, Ihr habt -“ Weiter konnte der Elf nicht sprechen, als ihm bewusst wurde, was sich gerade vor seinen großen Augen abspielte. Es versetzte den alten Elfen in Panik.   „Brisko, halt meine Beine fest.“ Sie hatten keine Zeit, sie mussten sofort handeln. Draco legte sich flach auf den Bauch und robbte sich anschließend nach vorne – so hatte es auch Blaise getan, als Draco einmal im Eis eingebrochen war... Was Jahre zurücklag, als sie noch kleine Kinder gewesen waren... Binnen kürzester Zeit hatte er wieder den Blick auf das Wesentliche richten und sich auf Granger fokussieren können. Dank Brisko, der Dracos Beine fest umschlang, kam er ein gutes Stück weiter als zuvor. Jetzt müsste Granger nur noch ihre Hand loslassen, damit er sie hinaufziehen konnte.   Aber die Angst die sie umhüllte... Sie macht ihm einen Strich durch die Rechnung.   „Granger, lass eine Hand los. Ich kann dich sonst nicht hinaufziehen.“   Kritisch blickte Hermine nach oben und sah, wie weit sich Malfoy in die Schlucht hinabließ – ihretwegen. Sollte sie es wirklich versuchen und... und ihm vertrauen? Es kam ihr vor, als wären Jahre vergangen, seit sie eine solch enorme Angst verspürt hatte.   „Bitte, Granger“, rief er ihr aufmunternd zu. Auch ihm stand bereits der Schweiß auf der Stirn. Selbst seine Haare waren nass und vereinzelt tropften Schweißperlen hinab, die während des Falls verdampften. „Ich verspreche dir, dich nicht fallen zu lassen!“   Indessen kämpfte Hermine mit sich. Sie hatte furchtbare Angst. Nicht nur, dass sie sterben konnte, nein, sie konnte Malfoy nicht vertrauen. Er hatte ihr nie das Gefühl gegeben, ihm vertrauen zu können. Er hatte ihr nie etwas Gutes getan. Wie sollte sie demzufolge eine Hand loslassen, damit Malfoy angeblich nach dieser greifen konnte? Ihr blieben nur zwei Möglichkeiten. Entweder sie würde solange hier hängen, bis sie sich nicht mehr halten konnte, oder sie vertraute dem Menschen, der sie lieber tot, statt lebendig sah. Noch einmal blickte sie hinunter – zur tosenden Lava, die Hermine verschlingen würde, wenn sie sich für ihre erste Wahl entschied.   Aber das Mädchen mit den gezähmten Locken, die mittlerweile in sanften Wellen über ihren Rücken fielen, entschied sich für Letzteres.   „Malfoy“, stöhnte Hermine, die sich davor krampfhaft in ihrer Unterlippe verbiss, „bitte, ich flehe dich an. Bitte lass mich nicht fallen“, keuchte sie und krampfte sich mit ihrer letzten Kraft an der Wurzel fest.   „Versprochen!“, entgegnete Draco entschlossen und beugte sich noch ein wenig tiefer in die Schlucht, um ihr zu signalisieren, dass er sofort nach ihrer Hand griff, sobald sie sie gelöst hätte.   „Okay!“, krächzte sie, ehe sie noch einmal ihre letzten Reserven zusammensammelte und ihre Hand kraftvoll nach oben hob.   „Noch ein bisschen höher!“ Nicht nur ihre Hand war feucht, auch Dracos Handinnenfläche schwitzte, weshalb er das Risiko wagen musste und sich noch weiter in die Schlucht hinablassen musste. Brisko quälte sich indessen mühsam hinter ihm, doch hielt er tapfer die Beine seines Herren fest und Draco hoffte inständig, dass der Elf sein Gewicht halten konnte, denn er müsste sich so weit hinunter schieben, bis er Grangers Hand packen konnte. „Granger, nimm endlich meine Hand!“   Wild wirbelte das Mädchen mit seiner Hand hin und her, doch sobald sie Dracos Hand berührte, entglitt sie ihm.   Intuitiv wischte er seine Hand an seinem Umhang trocken, ehe er sie nochmals Granger entgegenstreckte. Er hätte ihr auch den Umhang hinunterwerfen können, doch in ihrer jetzigen Verfassung, in der Erschütterung, in der sich Grangers Geist befand, bezweifelte er, dass sie seine Handlung deuten konnte – selbst wenn er es ihr sagen würde. Granger war von ihrer Angst so eingenommen, dass sie vermutlich nicht einmal mehr eins und eins zusammenzählen konnte. Derweil hielt sie immer noch ihre freie Hand nach oben, aber das würde nichts bringen – ihre Hand war zu schwitzig. Also musste er die Initiative ergreifen, indem er ruckartig nach ihrem Handgelenk griff.   Ja! Endlich.   Endlich hatte er etwas, woran er sie nach oben ziehen konnte. Und bei Merlin, er würde dieses Handgelenk so lange festhalten, bis sie beide wieder festen Boden unter ihren Füßen hatten. Nicht eher würde er dieses Gelenk loslassen. Mit ganzer Kraft zog er anschießend ihren Arm nach oben, aber er bemerkte auch, dass ihre Kräfte nachließen. Schön, er würde sie demzufolge ganz ohne ihre Hilfe hinaufziehen müssen.   Aber dann war das eben so.   Nach zehn nervenaufreibenden Minuten hatte er Granger endlich aus der Kluft hinaufziehen können. Merlin, das war anstrengend. Vorsichtig platzierte er ihren Körper auf den Boden, entledigte sich seines Umhangs, den er über ihren bebenden Körper legte und wandte sich wütend dem Haus zu, dem er schreien befahl, sich endlich zu beruhigen, woraufhin sich auch die Schlucht vor seinen Füßen eigenständig schloss... Im Bruchteil einer Sekunde war Ruhe eingekehrt...   „Granger?“, flüsterte er ihr zu, doch sie antwortete ihm nicht. Sie hatte bereits in der Schlucht das Bewusstsein verloren und nun lag sie hier – bewusstlos zwischen seinen Beinen, geschützt durch seinen Körper, den er über ihren beugte. Hier liegen lassen konnte er sie aber auch nicht. Missmutig verzog er daraufhin den Mund, ehe seine Arme unter ihren Körper fuhren, um sie schlussendlich ins Haus zu tragen. Unbeabsichtigt hatte er sie so auf seine Arme gehoben, dass ihr Kopf gegen seine Schulter gelehnt war und nun lag sie da – federleicht in seinen Armen.   „Malfoy?“   Überrascht blieb Draco stehen, nachdem er ihre Stimme hörte. Doch nachdem er sie angesehen hatte, waren ihre Augen wieder verschlossen. Lediglich ihr zarte, leise Stimme konnte er noch hören.   „Danke“, hauchte sie geschwächt und tauchte wieder in die Ohnmacht, die Hermine wohlbehütet in eine schmerzfreie Welt bringen wollte.   Hatte er das gerade richtig verstanden? Hatte Granger sich bei ihm bedankt? Das setzte ihm doch etwas zu, denn wenn Granger sich bedanke, meinte sie das aus tiefstem Herzen ernst. Das konnte Draco mit Bestimmtheit sagen, denn so gut kannte er sie nämlich doch. Sie war nicht der Typ Mensch, der leere Phrasen von sich gab. Nein, Granger war nicht wie Draco.   „Brisko, ruf... ruf den Familienheiler.“ „Jawohl, Herr.“ Sofort apparierte der Elf.   Draco hingegen trug sie den ganzen Weg hinauf zu ihrem Zimmer. Er wollte nicht das Risiko eingehen und sie zersplintern, wenn er apparierte. Vorsichtig legte er sie auf ihrem Bett ab und sah sie an. Merlin, das alles hätte wunderbar schief gehen können... Wieso war sie auch so unsagbar stur und unbelehrbar? Warum musste sie sich auch in sein Zimmer schleichen? Draco hob abschließend die Decke, bedeckte ihren Körper und nahm auf dem Sessel Platz.     ~*~     „Nun, Lord Malfoy“, begann der Heiler, nachdem er den Zauberstab von Hermine entfernte und die hellblaue Blase um ihren Körper verschwand. „Miss Granger hat eine starke Rauchgasintoxikation. Wie lange war sie dem Rauch ausgesetzt?“, wollte er wissen, während er seine Utensilien in eine kleine Tasche hexte.   Woher sollte er das wissen? Zufällig hatte er nicht auf die Uhr gesehen, nachdem er nach unten geeilt war, um ihr zu helfen. Aber er hatte für einen kurzen Moment – und das sehr peinlich berührt – Akina dabei zugesehen, wie sie die bewusstlose Granger in bequemere Kleidung hüllte, nachdem er sie auf ihrem Bett niedergelassen hatte. Ja, er hatte sich zwar weggedreht, doch trotzdem hatte er einen kurzen Blick auf ihren halbnackten Körper erhaschen können. Gott, ihre Haut sah einfach umwerfend aus – trotz der Strapazen, denen sie hier täglich ausgesetzt war. Ihr flacher Bauch schrie ihn an – so empfand er es zumindest –, ihn endlich zu berühren...   Fuck! Fokus, Draco.   „Lord Malfoy?“   Unverzüglich reagierte der Angesprochene, der sich nichts anmerken ließ, im Bezug auf seine Gedanken, die momentan Granger und ihrem Körper galten. „Nun, ich kann es Ihnen nicht genau sagen.“   „Er könnte Ihnen aber sagen, wie lange er das Mädchen angesehen und vor seinem geistigen Auge ausgezogen hat“, fügte die Stimme kichernd hinzu.   „Vielleicht zehn oder fünfzehn Minuten?“   „Nun gut“, nickte der Heiler bedächtig. „Brauchen Sie medizinischen Beistand, mein Lord?“   Draco hasste den Lordtitel, der nach Lucius' Tod auf ihn überging. „Nein, danke“, erwiderte er beiläufig. „Bei mir ist alles in Ordnung.“   „Also schön.“ Der betuchte Herr griff nach seiner Tasche und schritt zur Tür, da hier kein Kamin zu finden war. „Ich habe ihr einen Beruhigungstrank gegeben. Vor morgen früh wird sie nicht aufwachen.“   „Aber sie wird aufwachen?“ Aufrichtig lächelte der ältere von beiden dem jüngeren entgegen. „Lassen Sie sie schlafen, auch wenn es Ihnen womöglich schwer fällt. Aber sobald ihr Körper bereit ist, wird sie auch wieder aufwachen – keine Sorge.“   „Sicher?“, wollte Draco ungläubig wissen und ignorierte die dreiste Anspielung des Heilers. Stattdessen ruhte sein Blick auf der schlafenden Granger.   „Sicher. Es war gut, dass Sie so schnell reagiert haben, Draco.“ Und zum ersten Mal wirkte der Mann vermutlich menschlich und das sollte schon etwas heißen. Draco kannte den Mann schon sehr, sehr lange – er war diskret und kompetent. Ein Mann, der schon lange im Dienst der Malfoys stand. „Wenn es Komplikationen geben sollte, rufen Sie mich – zu jeder Zeit. In Ordnung?“ Als er jedoch Dracos mürrischen Blick bemerkte, hob er schmunzelnd eine Hand. „Reine Routine, Draco. Schließlich kann es immer zu Komplikationen kommen und ich wollte Sie lediglich darauf hinweisen, dass ich immer erreichbar bin – nichts weiter. Aber es ist schön zu wissen, dass die junge Miss so umsorgt wird.“   Der junge Malfoy nickte bloß, während sein Blick auf ihr ruhte. Der Heiler hatte das getan, was nötig war. Alles würde gut werden. Schließlich war Granger zäher als eine Schuhsohle. Hinzu kam, dass sie im Kampf gegen den dunklen Lord eine entscheidende Schlüsselrolle spielte. Da würde eine Rauchvergiftung sie keineswegs umbringen. Außerdem würde er Akina befehlen, in bestimmten Zeitintervallen nach ihr zu sehen und ähnlich wie der Heiler, verschwand auch Draco nach wenigen Minuten aus dem Zimmer. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)