Was die Hitze des Sommers nicht alles bewirken kann... von Mondsicheldrache (The Vessel and the Fallen 1) ================================================================================ Kapitel 37: Anschuldigungen --------------------------- Anschuldigungen   *~* Ein wenig durcheinander wankte Koumei wieder in Richtung Haus. Judars unmögliches, respektloses und vor allem aufdringliches Verhalten hatte ihn heillos überfordert. Noch dazu schmerzte seine Schläfe, wo der Pfirsichkern ihn getroffen hatte, mittlerweile höllisch. Außerdem waren seine Gewänder sicherlich in Unordnung und voller Grasflecken. Von seinen Zotteln ganz zu schweigen… wahrscheinlich konnte er gleich nochmal in den Badezuber steigen. Verärgert schüttelte Koumei den Kopf. Hoffentlich hielt Judar sich jetzt ein für alle Male fern von ihm. Dieser aufmüpfige Magi! Voller Groll auf den Priester erklomm er die Stufen zum Eingangstor. Eigentlich hatte er eben nur noch diesem grauenhaften Essen, sowie der stümperhaften Dienerschaft entfliehen wollen, doch nun zog es ihn magisch ins Innere des Hauses. Er war unverkennbar müde. Doch seine Ruhepause sollte ihm noch länger vorenthalten werden, denn sobald er am Tor anlangte, fiel sein Blick auf eine mehr als unschöne Szene. Er konnte sich noch gut daran erinnern, wie er mit Kouha an regnerischen Sommertagen auf der alten Bank unter dem gebogenen Dach ausgeharrt hatte und als Geschichtenerzähler missbraucht worden war. Nun jedoch hatten sich Chuu'un und die junge Dienerin namens Xiiri auf den gemütlichen Platz zurück gezogen. Einträchtig saßen sie nebeneinander. Am liebsten wäre er bei diesem Anblick einfach an ihnen vorbei geschritten oder hätte Chuu'un grob zur Rede gestellt. Für Koumeis Geschmack war das nämlich viel zu nahe. Beide hielten einen verzierten Becher mit dampfendem Tee in den Händen und sahen vollkommen gelöst in den bereits herbstlichen Garten hinaus. Zumindest die junge Frau, Chuu'uns Augen versteckten sich hinter dessen Haaren. War vielleicht nicht ganz so erfreulich, denn auf diese Weise blieb ihre ungewöhnliche, vielleicht auch furchteinflößende Eigenart verborgen. Mit einem einzigen Blick aus geschlitzten Dämonenaugen hätte sein Vasall die Dienerin sicherlich sofort in die Flucht geschlagen. Nur leider beabsichtigte er wohl genau das Gegenteil. Die zwei schienen sich sogar recht gut zu unterhalten. Xiiri lächelte ununterbrochen vor sich hin, während Chuu'un in seiner typisch zurückhaltenden Art über das Bogenschießen erzählte. Doch als die beiden den zweiten Prinzen entdeckten, verneigte sich Xiiri schüchtern. Auch der Vasall verstummte abrupt. Da hatte er wohl ihr trautes Beisammensein gesprengt. Widerstrebend trat Koumei vor seinen Untergebenen und schenkte ihm den bösesten Blick seit langem. Doch Chuu'un ignorierte diesen, hatte offenbar wichtigere Sorgen. „Mein Herr, wo ist unser Priester?“, erkundigte er sich beunruhigt. Ungehalten fuhr sich Koumei durch die zerzauste Mähne. Bei den Rukh, Judar hatte ein großes Unheil auf seinem Kopf angerichtet. „Wieder auf dem Weg zurück nach Kou. Ich habe ihn davon überzeugt, dort zu warten. Oder uns nicht mehr zu belästigen, das trifft es eher.“ „Mhm.“ „Was?“ „Nichts, verzeiht mir.“ Koumei zwang sich zu einem müden Lächeln. Dabei hatte er zu nichts weniger Lust. Mit einem Mal bemerkte er die verstohlene Musterung, welche die unverschämte Dienerin ihm angedeihen ließ. Was erlaubte sie sich? Einen kaiserlichen Prinzen derart anzustarren, galt als grobe Fahrlässigkeit. Eigentlich sollte Chuu‘un sie nun zurechtweisen, doch der untreue Kerl schwieg eisern. Nein, nicht nur das, auch er sah Koumei mehr als seltsam an. Was war heute nur in diese unerträglichen Bediensteten gefahren?   *~*   //_*\ Als Koumei die Treppe zum Eingangstor hinauf getappt kam, schämte sich Chuu'un bereits das zweite Mal an diesem Tag für seinen Herrn. Auch wenn Xiiri, mit der er nach einiger Zeit dann doch ein angenehmes Gespräch gehalten hatte, sich pflichtbewusst vor diesem verneigte, konnte der Bogenschütze erkennen, dass sie von dem Anblick überrascht war. Sicherlich auch nicht besonders angetan, denn das war Chuu'un ebenfalls nicht. Koumei sah aus, als wäre er in einen Wirbelsturm geraten. Die schweren Gewänder verrutscht und halb geöffnet, sodass er Mühe hatte, seine Schultern bedeckt zu halten, die Haare außer Rand und Band. Aber wirklich aufschlussreich war erst sein bitterböser Blick, der von unschönen Ereignissen kündete. Er hatte sich also doch wieder ausführlich mit Judar abgegeben. Anscheinend waren sie sich näher gekommen, als ein gewöhnliches Streitgespräch erforderte. Es versetzte dem Vasallen durchaus einen kleinen Stich, dass sein Herr derartigen Unfug trieb. An sich verhielt er sich immer wie die intelligente und vernünftige Person, die er war. Zumindest wenn es um strategische Planung ging. Alles andere endete meist in einem völligen Chaos. Seinetwegen durfte Koumei gerne eine Geliebte oder einen Geliebten haben, sogar mehrere, in Kou gehörte dies nun einmal zur Tagesordnung und er war schließlich alt genug, diese Angelegenheiten selbst zu beurteilen. Aber Judar? Niemals. Das war kein Umgang für einen Prinzen. Und dieser sollte das eigentlich ganz genau wissen! Eigentlich fand Chuu'un, dass es nicht zu Koumei passte, sich Geliebte zuzulegen. Na schön, vielleicht gefiele es ihm doch nicht so sehr, wenn der zweite Prinz sich einen Harem ähnlich dem des Kaisers zulegen würde, wie er angenommen hatte und es lag nicht nur an dem unerträglichen schwarzen Magi. Und dann war da noch das ungehaltene Funkeln in Koumeis Augen, wenn er Xiiri ansah. Wahrscheinlich mochte er es nicht, dass sich Chuu'un mit jemand anderem abgab und schon gar nicht mit einer Frau. Als ob der Vasall jemals die Gesellschaft einer Dienerin der Treue zu seinem Herrn vorziehen würde. Ab und an schätzte er es jedoch, sich mit anderen Menschen zu unterhalten. Was Koumei daran ablehnte, wollte sich ihm manchmal nicht erschließen. Immerhin war Chuu'un kein Gefangener oder gefährlicher Wahnsinniger, den man von Fremden fernhalten musste. Menschen brauchten nun einmal Kontakte, um sich wohlzufühlen. Ferner würde er niemals auf die Idee kommen, sich von einem Außenstehenden gegen die kaiserliche Familie aufbringen zu lassen. Bei seiner Gesellschaft bestand in diesem Falle nicht einmal der Anlass zur Besorgnis, schließlich war auch Xiiri eine treue Anhängerin des Kaisers. Aber offensichtlich dachte Koumei, dass er durch ein einfaches Gespräch mit dem jungen Mädchen eine feindliche Gesinnung annehmen könnte. Eigentlich war es nur verständlich, wenn man bedachte, welch einer unangenehmen Begebenheit der zweite Prinz seine hohe Stellung zu verdanken hatte. Dennoch hielt Chuu'un dessen Misstrauen dieses Mal schlicht und ergreifend für paranoid. „Lass uns wieder hineingehen“, befahl Koumei plötzlich. Der Vasall nickte ohne zu zögern. Eigentlich hätte er dies viel früher vorschlagen sollen, da die Kleider seines Herrn bedenkliche Mengen an Haut entblößten. Kein guter Eindruck für die einfachen Diener hier. So erhob er sich und geleitete den Zottel fügsam ins Innere des Hauses. Xiiri blieb zum Glück auf der Bank sitzen, andererseits hätte sie wohl noch mehr von Koumeis Abneigung auf sich gezogen. Kaum waren sie außer Hörweite der jungen Frau, kam das, worauf Chuu'un schon seit längerem gewartet hatte. „Du solltest in Zukunft Abstand zu der Dienerin halten“, knurrte Koumei. Genervt blieb der Vasall stehen. Normalerweise bemühte er sich immer, es ihm recht zu machen, aber dass er nicht einmal mit einer Frau reden durfte, ohne böse angepflaumt zu werden, während Koumei mit Judar in den Tiefen des Gartens weilte, machte ihn dann doch ungehalten. Außerdem lag so ein Gekeife unter der Würde seines Herrn. „Eine einfache Unterhaltung sollte an sich kein Grund zur Sorge sein, mein Prinz“, gab er zu bedenken. Der Zurechtgewiesene wirbelte erstaunlich schnell zu ihm herum, wobei ihm endgültig die Gewänder von den Schultern glitten. Zum Glück befand sich momentan niemand außer ihnen auf dem Gang. „Natürlich nicht“, erwiderte Koumei knapp. „Allerdings ist dir sicherlich auch nicht entgangen, dass dieses Mädchen  ein gewisses Interesse an dir gefasst hat.“ Chuu'un fühlte sich ziemlich vor den Kopf gestoßen. Die Worte seines Gegenübers klangen derart beleidigt und wütend, dabei wusste er gar nicht, was Koumei da falsches in Xiiris Verhalten hineingedeutet hatte. Prompt verfiel er in ein angestrengtes Grübeln. Natürlich hatte sie sich irgendwann einigermaßen angeregt und neugierig mit ihm unterhalten. Aber sie sollte die Art von Interesse an ihm haben, die der zweite Prinz glaubte in ihrem Verhalten erkannt zu haben? Ein derart junges Ding? Weshalb denn das? Er hatte nichts dergleichen bemerkt. Sie war sogar anstrengend schüchtern gewesen und das Gespräch hatte er selbst in die Wege leiten müssen. Sein Herr war wirklich paranoid! Er musste sich wirklich unvorstellbar davor fürchten, von seinen Getreuen im Stich gelassen zu werden, wenn er in einem unerfahrenen Dienstmädchen jemanden sah, der ihm seine Unterstützer streitig machen könnte. „Du sagst ja gar nichts mehr“, murmelte es an seiner Seite. „Verzeiht, mein Herr“, meinte Chuu'un und beobachtete mitleidig, wie Koumei vergeblich versuchte, seine Kleidung zu richten. In diesem Moment erinnerte er den Vasallen an den kleinen, hilfe- und pflegebedürftigen Jungen, der er gewesen war als sie sich kennengelernt hatten. Letztendlich hatte sich ja tatsächlich nichts an diesem Umstand geändert. Koumei wirkte niedergeschlagen, als glaubte er Chuu'uns kurzes Schweigen wäre eine Bestätigung, dass er lieber sein restliches Leben an der Seite einer beinahe fremden Person fristen wollte als an der seines kaiserlichen Herrn. Am besten würde er schnell klarstellen, dass dies ein völliger Irrtum war. Aber nicht hier, wo jeder sie belauschen konnte. „Lasst mich Euch in Eure Gemächer geleiten, dort können wir Euch umkleiden und wieder ordentlich zurechtmachen. Euer Obergewand ist mittlerweile sehr unansehnlich geworden.“ Bei diesen Sätzen verzog Koumei angewidert das Gesicht. „Ich will nicht länger hier bleiben. Lass uns von hier verschwinden, so schnell wir können.“ Verwundert musterte Chuu'un den wankelmütigen Prinzen. Als sie hierhergekommen waren, hatte er viel enthusiastischer gewirkt, wollte die Residenz besuchen, auf der er aufgewachsen war und nun konnte er es nicht mehr abwarten, sie so schnell wie möglich zu verlassen? Hoffentlich lag es nicht an Xiiri. Das wäre erbärmlich. Der vergleichsweise angenehme und zwischenfallfreie Rest des Tages schaffte es auch nicht, Koumeis Laune zu heben. Nachdem Chuu'un dem Prinzen in andere Gewänder geholfen hatte, hatte zwischen ihnen bis nach dem Abendessen eisiges Schweigen geherrscht. Dass dessen Magoi immer noch nicht regeneriert war und sie sich auch keine Kutsche nach Rakushou nehmen konnten, hatte ihn noch mehr deprimiert. Mit finsterem Gesicht stapfte er zu seinen Gemächern, den Vasallen dicht auf den Fersen. Müde schlurfte er durch die Tür und ließ sich auf den Rand eines kleinen Hockers sinken. „Mein Herr, nun beruhigt Euch doch. Was ist so schlimm daran, eine Nacht hier zu verbringen? Ihr habt ein sauberes Bett, welches sie für Euch hergerichtet haben, Nahrung und ein Bad bekommen.“ Nicht zu vergessen Judars höchstexquisite Gesellschaft. „Und morgen werden wir in den kaiserlichen Palast zurückkehren können. Es gibt keinerlei Grund, Trübsal zu blasen.“ Er erhielt keine Antwort. Anscheinend bekam dem zweiten Prinzen der Besuch seines Kindheitshauses kein bisschen. Niedergeschlagen beobachtete Chuu'un, wie sich sein Herr mit den Gewändern abmühte. Irgendwann hielt er es nicht mehr aus und wollte Koumei zur Hilfe kommen, schließlich war es seine Schuld, dass der Knoten so fest gebunden war. Doch dieser stieß ihn ungehalten von sich fort. „Du solltest deine Hände bei dir behalten.“ Verblüfft wich der Bogenschütze zurück. „Verzeihung, ich wollte Euch nicht zu nahe treten.“ Das war vollkommen untypisch für seinen Herrn. Er ließ sich eigentlich immer gerne helfen, vor allem wenn er auf diese Weise schneller in sein geliebtes Bett kriechen konnte. Anscheinend hatte er heute beschlossen, wieder zu dem anstrengenden kleinen Jungen zu mutieren, der er einst gewesen war.   ~ Koumei hatte Chuu'un also wie angedroht in seine Gemächer beordert. Nun gut, eigentlich war er ja lediglich vorausgegangen und der Vasall war ihm gefolgt, um ihm beim Umziehen zu helfen. Danach hatte der Prinz ihm befohlen zu bleiben und nachdem er sich ebenfalls für die Nacht bereit gemacht hatte, hatte sich Chuu'un klaglos neben ihm niedergelegt. So oft wie sie nebeneinander in einem derart riesigen Bett genächtigt hatten, keine große Sache. Keiner von ihnen schnarchte allzu laut und in der Regel besaßen beide einen tiefen Schlaf. Doch heute viel ihnen beiden die Ruhe schwer, offenbar war am Tag zu viel geschehen, um ihnen Entspannung zu erlauben. Ein kühler Windhauch wehte zum Fenster herein, doch anstatt einen guten Schlaf zu begünstigen, erinnerte sich Chuu'un daran, wie Judar sie vor wenigen Stunden aus heiterem Himmel überfallen hatte. Dieser ungehobelte Mistkerl. Nur der Magi trug die Schuld daran, dass zwischen ihm und Koumei eine merkwürdig beleidigte Spannung schwebte. Dabei gab es momentan so viele andere Sorgen, die wichtiger waren als zwischenmenschliche Beziehungen. Das Schicksal des Kou Reichs zum Beispiel. Doch nun schien es, als könnte sich keiner von ihnen mehr mit der notwendigen Aufmerksamkeit darum kümmern. Während der Vasall mit dem Rücken zu seinem Herrn lag, spürte er, dass es diesem ganz und gar nicht gut ging und das lag sicherlich nicht allein an dem Ableben von dessen Vater.   //_*\   *~* Koumei hatte dem anderen ebenfalls den Rücken zugedreht und starrte mit trübem Blick aus dem Fenster, dessen Papierbahnen teilweise eingerissen waren. Das schwache Leuchten einiger Sterne drang mit der kalten Nachtluft hinein. Als er früher ab und an mit Hakuren hier geschlafen hatte, war alles so viel wärmer und freundlicher erschienen als jetzt, wo alles seltsam tot wirkte. Der Kaisersohn hatte seine Arme um ihn gelegt und ihn die ganze Nacht über festgehalten. Es hatte sich so unsagbar schön und sicher angefühlt. Nun wo er fort war, wirkte es merkwürdig, wieder allein in diesem Bett zu ruhen. Dabei konnte er die Begebenheiten, zu denen  sich sein bester Freund seit ihrer frühsten Kindheit zu ihm geschlichen hatte, beinahe an Händen und Füßen abzählen. Ganz schön selten dafür, dass sie ihr ganzes Leben lang befreundet und schließlich Liebende gewesen waren… Trotzdem fühlte er nun, wie die Leere sich unerbittlich in seinem Herzen festkrallte. Es war einfach nicht das gleiche, mit seinem Vasallen, der beschützend an seiner Seite wachte, hier zu sein. Es war so jämmerlich. Und einsam. Und irgendwie bedrückte ihn dieser Umstand zum ersten Mal seit vielen Jahren wirklich. Natürlich hatte er sich stets nach Hakuren gesehnt, aber Einsamkeit und Ruhe mochte er durchaus. Heute Nacht jedoch… nach all dem was passiert war fühlte er sich wirklich schlecht. Er hatte Chuu'un vermutlich haltlose Beschuldigungen an den Kopf geworfen und doch wachte sein Vasall so stoisch über ihn, als hätte er ihn heute nicht unzählige Mal angepflaumt wie eine Furie. Was besaß er für einen guten Leibwächter. Wie schlecht er ihn behandelte. Es tat ihm Leid, wirklich leid, aber er wusste nicht, wie er sich bei ihm entschuldigen sollte, wenn ein Teil von ihm noch immer bei dem Bild des Vasallen neben der Dienerin vor Wut bebte. Das war nicht gut. Überhaupt nicht gut. Verfiel er etwa wieder in die irrationale alte Furcht, die ganze Welt hätte sich gegen seine Familie verschworen und würde sich von ihm abwenden? Oder lag es daran, dass er es genoss einen Menschen um sich zu haben, dessen einziger Lebenssinn darin bestand, für seine Sicherheit und sein Wohlergehen zu sorgen und den er auf keinen Fall an einen anderen verlieren wollte? Er seufzte still vor sich hin. Wann war sein Leben derart kompliziert geworden, dass er seine eigenen Gefühle nicht mehr verstand? Seit er fünfzehn Jahre alt gewesen war und bemerkt hatte, dass sein Cousin mehr als nur ein Freund für ihn sein wollte? Ja, da hatte alles angefangen. Dagegen erschien ihm die Verwaltung eines Landes wie ein Klacks. Diese konnte er verstehen und händeln. Seine Gefühle nicht, weshalb er sie meistens verdrängte. Er vermisste Hakuren immer noch und konnte sich einfach nicht von ihm lösen, welch schändliche Schwäche. Unruhig wandte er sich zu Chuu'un um. Es fühlte sich tröstlich an, nicht alleine in dem entfremdeten Zimmer zu liegen und sich völlig verlassen in depressiven Gedanken zu verlieren. „Chuu'un…“, murmelte er, befürchtete allerdings, dass es eher wie ein kleinlautes Winseln klang. Keine Reaktion. In der Dunkelheit konnte er nicht erkennen, ob sein Vasall schlief oder wachte. Was tat er hier überhaupt? Er sollte den anderen in Frieden lassen und nicht um seine wohlverdiente Erholung betrügen. Doch davon hielt ein Teil von ihm erstaunlich wenig: „Chuu'un könntest du nicht… ein bisschen näher… ich…“ Seine Stimme brach. Verdammt, hatte er das grade tatsächlich gesagt? Es war eindeutig an der Zeit, aus dem Fenster zu springen und fortzulaufen. Ganz weit fort. Falls dies nicht so endlos viel Kraft gekostet hätte! Das Rascheln der Decken verriet ihm, dass sich der andere Mann zu ihm herum drehte. Aber er blieb dort, wo er war. Natürlich. Koumei war kein halber Junge mehr, den man noch jederzeit in den Arm nehmen konnte. Beziehungsweise wollte. Mittlerweile war er schließlich älter geworden. Zu alt für derartigen Trost. Dabei wäre es genau das, was er jetzt brauchte. Damals hatte ihm eine schützende Umarmung von Chuu'un ebenfalls beim Einschlafen geholfen. Der Ältere hatte sich nach Hakurens Tod rührend um ihn bemüht. Versucht jedem seiner Wünsche nachzukommen und ihn ein wenig aufzuheitern. Aber nun ging das nicht mehr. Wie schön es doch wäre, wenn statt dem Bogenschützen Hakuren hier läge. Die Finsternis ließe theoretisch durchaus Spielraum für diese Wunschvorstellung. Aber nein… An Stelle von Hakuren hatte er nur Chuu'un, der vielleicht ungleich unkomplizierter, dafür aber bei weitem nicht derart bewundernswert war. Dennoch… eine angenehme Gesellschaft, die er kaum jemals richtig wertgeschätzt hatte. Stockend stahl sich eine vollkommen dämliche Frage über seine Lippen: „Chuu'un?“ Ein leises erschöpftes Seufzen, ungewöhnlich. „Ja mein Herr?“ „Wie… wie kommt es, dass du nur mein Diener und Vasall bist?“ Erneutes Rascheln, ein weiteres tiefes Seufzen. „Weil ich es Euch damals versprochen habe, erinnert ihr Euch nicht mehr?“ „Nein…“, log er reflexartig, dabei wusste er es ganz genau. „‚Sei mein Untergebener, Beschützer und Berater, nicht mehr und nicht weniger. Erinnere mich daran, wenn ich diesen Wunsch je in Frage stellen sollte‘, habt ihr gesagt. Da wart ihr...17 Sommer alt? Und nun, meist habe ich mich daran gehalten“, erinnerte ihn Chuu'un überflüssiger Weise. Koumei schluckte. Er musste verrückt geworden sein, dass war die einzig logische Erklärung für sein Aufgewühltsein. „Ja, dass hast du hervorragend gemacht… nur…“ Wie erbärmlich er sich doch benahm! Es wäre nur gerechtfertigt, wenn der andere gleich entnervt aus dem Bett steigen und sich zu Xiiri stehlen würde. Doch Koumei hatte Glück: „Ihr seid einsam“, stellte der andere fest und es klang derart mitfühlend, dass der Prinz sich am liebsten vor Grauen geschüttelt hätte. Niemand sollte ihn bedauern. Oder…?  Vorsichtig streckte er die Hand in die Düsternis. Etwas Weiches berührte seine Finger und ehe er erschrocken zurückzucken konnte, schlossen sich Chuu'uns Hände um die seinen. Sie waren angenehm warm, nicht Balbadd-warm, sondern menschlich, etwas, das er seit langer Zeit nicht mehr auf diese Weise gespürt hatte.   *~* Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)