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Was die Hitze des Sommers nicht alles bewirken kann...

The Vessel and the Fallen 1
von

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Kaiserin

~*~
 

An einem weitentfernten Ort erstrahlte helles Licht und eine kreischende, zappelnde Gestalt fiel vom Himmel. Das erste Zeichen, welches Judar signalisierte, dass sein Königskandidat auf einmal, ohne ersichtlichen Grund, völlig entgegen seinem gelassenen Wesen, wirklich schlecht auf ihn zu sprechen war, stellte ein unheilvolles Knacken dar. Keinen Wimpernschlag später löste ein Schmerz wie von hundert kleinen Nadelstichen das Knirschen ab und Judar fand endlich Halt. Der Schock über den Sturz stand ihm ins Gesicht geschrieben. Mit panisch geweiteten Augen klammerte er sich an den rauen Ästen des Baumes fest, über welchem Koumei ihn aus seinem Teleportationskreis hatte stützen lassen. Diese bogen sich unter seiner Last allerdings bereits bedenklich durch. Knurrend versuchte er, sein Gewicht zu verlagern, um sich Orientierung zu verschaffen, bemerkte allerdings schnell, dass ihm dies nicht so leicht gelingen würde. Das einzige, was er erkannte, war das grüne Gras unter sich und das rote Dach des Palastes von Rakushou. Na, immerhin hatte Koumei die Güte besessen, ihn an den richtigen Ort zu schicken, er befand sich augenscheinlich in einem der begrünten Innenhöfe des herrschaftlichen Anwesens. Wahrscheinlich hatte er Glück im Unglück, dass ihn dieser hinterlistige, schäbige Zottel nicht über dem Krater eines Vulkans hatte erscheinen lassen. Dann wäre er jetzt ein verschmortes Etwas. Trotzdem, toll war es auch nicht, in einem Baum zu hängen. Die Rinde riss seine Handflächen auf und machte ein Umgreifen zwecks besseren Halts schmerzhaft. Judar fühlte sich aufgeschmissen. Wie kam er denn bitteschön von hier auf den Boden zurück? Er litt ja nicht unter Höhenangst, immerhin schwebte er mit größtem Vergnügen in der Weltgeschichte herum. Aber ohne magische Einwirkung seinerseits in der Luft zu hängen, machte ihn nervös. „Was hast du dir dabei gedacht, du Trottel?!“, brüllte er außer sich dem wolkenverhangenen Himmel entgegen. Natürlich bekam er keine Antwort, sein Königskandidat befand sich in weiter Ferne.
 

Dafür steckte Judar nun im Wipfel irgendeines Baumes fest und konnte weder vor noch zurück. Nicht nur, weil jede kleine Bewegung einen Absturz erschreckend real werden lassen konnte, sondern auch, weil die Zweige sich heillos in seiner Kleidung verfangen hatten. Dieser Bastard hatte ihn hier oben festgesetzt, ganz sicher vollkommen absichtlich. Bei Koumei blieb eine Handlung nie undurchdacht. Wahrscheinlich lachte er sich über Judars missliche Lage dort drüben in Balbadd ein Loch in den Bauch. Ach was, bestimmt schlief er bereits wieder und hatte ihm lediglich eine Lektion erteilen wollen, schließlich lachte Koumei so gut wie nie. Außer gestern. Und das war gruselig wie sonst was gewesen! Kein anderer Mensch konnte derart finster dreinblicken, nicht einmal der Kaiser. Dieser Zottel hatte ihn in seine Schranken verweisen wollen, wahrscheinlich weil er immer noch über Judars Alleingang in Sindria empört war. Wie unverschämt! Nun, wenn Judar ihm das nächste Mal begegnete, würde dieser Trottel einen hinterhältigen Angriff wie grade eben nie wieder wagen. Der schwarze Magi sann bereits über heimtückische Rachepläne nach oder genauer gesagt beschloss er, sein Königsgefäß das nächste Mal solange mit Eiszapfen zu bombardieren, bis es um Gnade winselnd am Boden lag. Ja, so könnte er ihn gleich für seine vorgetäuschten Annäherungsversuche mitbestrafen. Dass er Koumei noch nie um Gnade winseln gesehen hatte, was darauf hindeutete, dass sein Vorhaben von vorneherein zum Scheitern verurteilt war, verdrängte er recht erfolgreich, da ihm just in dem Moment aufging, dass er sich schleunigst etwas überlegen musste, um von diesem verdammten Baum herunter zu kommen. Die spitzen Ästchen piekten unangenehm in seinen Bauch, hatten auch sein Oberteil und die Hose aufgerissen und stachen ihn schmerzhaft. Sein langer Zopf hing ausgestreckt in die Höhe, da er sich an einem weiter oben wachsenden Zweig verkeilt hatte. Was musste er für ein lächerliches Bild abgeben. Dafür würde Koumei bezahlen! Wie konnte man nur so bescheuert sein? Einen Magi sollte man lieber nicht reizen! Nicht mit dieser hirnrissigen Racheaktion gegen sich aufbringen! Judar fühlte sich völlig hilflos. Eine Pleite, die er in seinem Leben wohl nicht mehr vergessen würde. Noch nicht mal an seinen Zauberstab gelangte er, denn dafür hätte er einen Ast loslassen müssen, damit er in sein Schultertuch greifen konnte. Doch dann wäre er unweigerlich weiter durch das Geäst gestürzt. Ob ihm in diesem Falle der Zauberstab noch behilflich sein könnte, bezweifelte er. „Scheiße!“, keifte er, rot vor Zorn.
 

Einige Minuten verharrte er im Baumwipfel wie ein eingewickeltes Insekt in einem Spinnennetz. Er konnte nicht mehr. Obwohl, wenn er sich nicht weiter bewegte, ließ es sich hier wohl am besten aushalten. Schicksalsergeben beschloss er, nach Hilfe zu schreien. Tolle Idee. Niemand kam, egal wie sehr er seine Stimmbänder malträtierte. Na großartig! Da machte man sich einmal die Mühe seinen Stolz über den Haufen zu werfen und es juckte keinen einzigen dieser Banausen! Wollten sie etwa den Zorn ihres Magi auf sich ziehen?! Mit einem wütenden Zischen verstärkte er seinen Griff um die Äste. Langsam wurde er wirklich müde. Offenbar hatte er ein extremes Problem. Ungehalten wippte er mit den Füßen, sodass ein leichtes Wackeln durch den Baum ging. Dann spürte er plötzlich erschrocken, wie sich etwas aus seinem Schultertuch schob. Nein, es rutschte. Bei den verfluchten Rukh, das Pfirsich-Haaröl! Dabei hatte Koumei es doch als Letzter in den Händen gehalten? Wie kam es wieder zu ihm, das war unheimlich! War dieser verdammte Flakon etwa verflucht? Wollte ihn jemand für dessen Diebstahl bestrafen? Aber lange konnte er nicht darüber nachgrübeln, denn das Fläschchen drohte, aus dem Tuch zu gleiten. Oh je! Wenn es herunterfiel und im Gras unter ihm zerbrach… Prinzessin Kougyoku würde nie wieder ein einziges Wort mit ihm wechseln. Dabei brauchte er die üblichen Streitereien mit ihr wie die Luft zum Atmen! Doch das Fläschchen wollte ihm offenbar seine Dreistigkeit vom vorherigen Tag heimzahlen und… fiel. Dann ging alles ganz schnell. Aus einem dummen Reflex heraus schnellte seine rechte Hand an sein Schultertuch und fing den Flakon. Im ersten Moment schwankte der Magi zwar, doch dann schien er sich wieder gefangen zu haben. Aber zu früh gefreut: Als Judar erleichtert wieder nach dem Ast greifen wollte, verlor er endgültig das Gleichgewicht, seine Füße zappelten mit einem Male frei in der Luft, die linke Hand konnte sein Gewicht nun auch nicht mehr halten. Er stürzte ab. Verspürte einen unerträglichen Ruck auf der Kopfhaut, als sein Haar riss und sich befreite. Schreiend und fluchend rauschte er durch die Blätter, prallte gegen harte Zweige und Äste, dass es ihm den Atem aus dem Körper trieb. Er glaubte fast, von diesem blöden Baum zermalmt zu werden. Dann schlug er heftig am Boden auf und blieb benommen liegen. Selbst seinen Schwebezauber hatte er nicht mehr verwenden können.
 

Irgendwann begann Judar zu verstehen, dass er noch am Leben war. Auch wenn er sich grade eben problemlos den Hals hätte brechen können. Geschockt und am ganzen Leib zitternd spürte er die zahlreichen Schrammen auf Rücken, Bauch, Armen und Beinen. Sein Körper schmerzte beinahe genauso heftig wie nach dem Kampf mit diesem kopflosen Dschinn damals in Balbadd! Er fühlte sich völlig zerschlagen. Blätter und Zweigstückchen ragten aus seiner zerzausten Mähne, die ihm wild über die Schultern fiel. Jetzt sah er bestimmt genauso verwahrlost aus, wie der alte Zottel. So freute ihn nicht einmal das intakte Glasfläschchen, welches er rasch wieder an seinem Platz verstaute. Er tauschte es gegen seinen Zauberstab, denn irgendwie brauchte er jetzt dessen vertrautes, beruhigend glattes Material zwischen den Fingern. Danach lag er wie gelähmt auf der Wiese. Heute konnte er ausnahmsweise verstehen, weshalb Koumei sich so gerne ausruhte. Nun hatte er es nämlich selber bitter nötig. Dieser Mistkerl hätte ihn umbringen können!
 

„Ach, da ist ja endlich mein treuer, mächtiger Judar“, säuselte aus heiterem Himmel eine liebliche Stimme.

Der Magi zuckte erschrocken zusammen. Schwarze Rukh tanzten in der Luft, doch sie gehörten nicht ihm. Fahrig kämpfte er sich in eine sitzende Position und blickte sogleich zu der Sprecherin auf, welche unbemerkt an ihn herangetreten war.

Oh nein, war ja klar, dass ich ausgerechnet der Alten als erstes begegnen muss…, dachte Judar entsetzt. Vor ihm stand niemand geringeres als Gyokuen Ren. Die Kaiserin höchstpersönlich nahm seinen Verwahrlosten Anblick in sich auf, wobei ihre klaren, himmelblauen Augen keine ihrer Emotionen verrieten. War sie gelangweilt? Erzürnt über seinen seltsamen Auftritt oder die Verspätung? Nein, so sah sie nicht aus. Ihr trotz des Alters makelloses Gesicht zierte ein Lächeln, welches wohl jeder Außenstehende für echt und hinreißend gehalten hätte. So war es auch dem schwarzen Magi einst ergangen. Erst mit der Zeit hatte er bemerkt, was für eine falsche Hexe er vor sich hatte. Sie gierte nach Macht, das war kein Geheimnis. Jeder, der einer Versammlung mit ihren Priestern beiwohnte, konnte dies erkennen. Die Sekte namens Al-Thamen war ihr treu ergeben und hatte Judar ins Kou Reich gebracht, wo sie ihn zu Gyokuens persönlichem Spielzeug geformt hatten.
 

Anfangs hatte er sich über die Aufmerksamkeit dieser freundlichen Frau gefreut. Schließlich war er nur ein dummer, kleiner Waisenjunge gewesen und diese elegante, ach so gütige Dame, hatte ihn liebevoll im kaiserlichen Palast aufgenommen. Nur ihre hyperaktiven Kinder, welche viel älter als er gewesen waren und ihn nicht grade zuvorkommend aufgenommen hatten, waren ihm sofort nervtötend erschienen. Mit Ausnahme des kleinen Hakuryuu vielleicht, mit ihm hatte er manchmal gespielt, wobei er jünger als Judar und schrecklich schüchtern war. Ob er ihn in der nächsten Zeit noch einmal zu Gesicht bekommen würde? Na gut, Hakuei konnte sich ebenfalls sehen lassen, sie besaß viel Talent für ihr Metallgefäß. Sie waren so anders, viel nützlicher als ihre älteren Geschwister. Besonders Hakuren Ren, dieser Idiot von einem Prinzen, hatte ihn immer verächtlich gemustert. Sein hochnäsiger Bruder Hakuyuu hatte das Waisenkind zwar manchmal mit einem nachsichtigen Lächeln bedacht, doch Judar konnte diese aufgesetzte, verständnisvolle Maske selbst in seiner Erinnerung nicht ab. Nun, jetzt waren sie beide schon ewig tot und ehrlichgesagt bekümmerte dieser Umstand den schwarzen Magi nicht sonderlich. Die misstrauischen Blicke, mit denen sie ihn stets so herablassend durchbohrt hatten, konnte er nicht vergessen. Sie hatten eine Konkurrenz dargestellt. Eine Konkurrenz um die Aufmerksamkeit der schönen, liebevollen Kaiserin, deren Lächeln so bezaubernd wirkte, dass sämtliche Kinder ihr sofort verfallen waren und den Wunsch verspürten, ihr all ihre Geheimnisse anzuvertrauen. Damals war sie ihm eine gute Mutter gewesen, glaubte er zumindest. Eigentlich hatte seine Kindheit nur aus Züchtigungen und Drill bestanden, weil er sich stets davon stahl, um irgendwelchen Unsinn anzustellen. So hatte er sich ständig mit dem wahnsinnigen Kaiserneffen Kouha geprügelt. Na gut, eigentlich war immer nur er von dem winzigen, mädchenhaften Jungen vermöbelt worden und hatte erfolglos versucht, sich mit Hilfe seiner Magie zu wehren. Judar war körperlich schon immer ein schwaches Kind gewesen, nicht sonderlich praktisch, wenn man eigentlich ein fieser, kleiner Draufgänger war. Jedenfalls hatte er wohl viele der Strafen sogar verdient gehabt, auch wenn sie meist unnötig schwer gewesen waren. Aber die Kaiserin hatte er trotzdem vergöttert. Sogar ihre gewaltsamen Bestrafungen, wenn er sich beim Lernen nicht anstrengte oder böse war, hatte er klaglos ertragen, weil er geglaubt hatte, sie verdient zu haben. Dabei hatte sie sich selten die Hände an ihm schmutzig gemacht, schließlich verfügte sie über genügend willenlose Marionetten. Die Magier von Al-Thamen gehorchten ihr blind. Mittlerweile hatte Judar ihre perfekte Fassade allerdings durchschaut und verabscheute die Alte.
 

Gyokuen schien zu bemerken, dass er abgelenkt war.

„Hast du mir denn etwas Interessantes mitzuteilen, Judar?“, erkundigte sie sich süßlich. Widerlich! Dass ihm dieser abschreckende Ton in ihrer Stimme damals nie aufgefallen war!

So gerne er sich einfach aufgerappelt hätte und davon geflogen wäre, die Hexe durfte von seinen düsteren Gedanken nichts erfahren, sonst würde sie ihn bestrafen. Das wollte er nicht. Auf keinen Fall. Das letzte Mal spukte immer noch verstörend nah in seinen Gedanken herum.

„Du wirkst ungewöhnlich beschäftigt, ist etwas Wichtiges vorgefallen?“, hakte Gyokuen unverbindlich nach.

„Nein nein, nichts“, wehrte er grummelnd ab.

Die freundlichen blauen Augen verengten sich. Auf diese Weise wollte sie wohl Besorgnis vortäuschen, aber Judar wusste es besser. Die Kaiserin würde sich niemals um irgendetwas oder irgendwen sorgen, egal wie überzeugend sie ihre Rolle spielte. Außer vielleicht um ihren „Vater“ Il-Illah, den sie und ihre Priesterschaar so sehnsüchtig anbeteten. Wahnsinniges Weib!

„Dann erzähle mir doch bitte von deinem Aufenthalt in Sindria, ich würde zu gerne ein paar Geschichten von König Sindbad zu hören bekommen!“, rief sie aus, bevor sie sich zu ihm herunter beugte und seine Wange streichelte.

„Na gut, sofort“, stöhnte er. Hastig wich er der mütterlichen Berührung aus und stemmte sich mit schmerzenden Gliedern hoch. Bei den schwazen Rukh, tat das weh! Sein widerspenstiger Tonfall wurde nicht weiter beachtet.

„Judar, Judar, wie kommt es denn, dass du so zerschmettert im Gras liegst?“, fragte die Kaiserin.

Bildete er es sich lediglich ein, oder klang in ihrer mütterlichen Stimme die reine Schadenfreude mit? Man hätte diesen Redensweise problemlos als mitfühlend betiteln können und doch… die Art, wie sich ihr kleiner Mund unmerklich verzerrte gab ihm die Gewissheit: Gyokuen spielte mit ihm. Es machte ihn unvorstellbar zornig! Niemand sollte das tun, er war der schwarze Magi von Kou! Aber im Angesicht der mächtigen Hexe blieb ihm nichts anderes übrig, als zu kuschen. Säuerlich stand er vor ihr, während sie sich erheitert die schwarzen Haare aus dem Gesicht strich. Erst jetzt bemerkte Judar die anderen: Hinter den Säulen des überdachten Wandelgangs lugten verschreckte Diener hervor. Na toll, jetzt hielten ihn alle für einen jämmerlichen Versager, der zum Klettern auf Bäume zu schwach war. Warum hatte ihm denn niemand geholfen, wenn sie eh schon alle dämlich gafften? Prüfend wanderte sein stechender Blick über den gesamten Innenhof. Sobald die Dienstleute von seinen roten Augen erfasst wurden, zuckten sie ertappt zurück und trollten sich. Priester schienen hingegen keine anwesend zu sein. Seltsam, normalerweise wagte sich die Alte nie ohne ein, zwei ekelhafte Dornenkronenmänner ins Freie.
 

Bevor er sich noch weiter darüber wundern konnte, legte ihm seine Ziehmutter die zarten Hände auf die Schultern. Die kleine Frau bedachte ihn mit einem belustigten Mundwinkelzucken.

„Was?!“, hätte er sie am liebsten angefaucht, ließ es aber bleiben. Sie wirkte immer so jung und hübsch, aber wehe dem, der sich von ihrer Erscheinung einlullen ließ! Judar hatte dies in seiner Kindheit auf unangenehme Weise erfahren müssen.

„Warum gehen wir nicht hinein und du berichtest mir von deiner Reise, mein Kind?“, meinte sie.

Judar nickte lediglich. Wie gerne er ihr dieses falsche Lächeln von den angemalten Lippen gewischt hätte! Dass er ihr grade quasi zu Füßen gefallen war, machte die Sache nicht besser. Dennoch gab sich der junge Mann ausnahmsweise Mühe, seine Aggressionen zurückzuhalten. Als er der Kaiserin ins Innere des Palastes folgte, wäre kein Beobachter auf den Gedanken gekommen, dass in seinem Geist Hass und Abneigung gegen diese mächtige, ach so gütige Frau tobten.
 

Gyokuen führte ihn erhobenen Hauptes in ihre Privatgemächer, zu denen ebenfalls ein kleiner Empfangsraum gehörte. Kaum hatten die beiden die Schwelle übertreten, wurden sie bereits von den Priestern von Al-Thamen umschwärmt. Die weißgewandeten Männer geleiteten ihre Herrin zu einem thronähnlichen Stuhl in der Mitte des Zimmers und halfen ihr, sich nieder zu setzen. Ha, als hätte sie das nötig! Während sie ihre pinkfarbenen und weißen Gewänder glättete, kümmerten sich zwei ihrer Untergebenen um ihr eigentlich tadelloses Haar, kämmten sie und banden ihre beiden Zöpfe neu. Obwohl die Priester in einem fort um sie herumstrichen und das Klacken ihrer hölzernen Stäbe einen verrückt machen konnte, nahm Gyokuen niemals den Blick von Judar. Ihre dünnen Augenbrauen zogen sich kaum merklich zusammen und schon stellte man ein Tablett mit Tee und Pfirsichen vor ihm ab und drückte ihn auf ein weiches Seidenkissen. Außerdem begannen ein paar damit, seinen langen Zopf von Ästchen und Blättern zu befreien, während wieder andere ihm die löchrige Kleidung vom Leib rissen.

Was soll das denn jetzt werden, altes Weib?! Die Pfirsiche hab ich ja echt vermisst, aber Ich hab keinen Bock, hier mit dir Tee zu trinken, die alten Säcke an mir herumfingern zu lassen und irgendeine Scheiße zu labern! Und schon gar nicht habe ich Lust, nackt hier rum zu hocken!, grollte er innerlich. Nein, er wollte sich nur noch ausruhen. Hätte Koumei ihn nicht eben in diesen blöden Baum teleportiert, hätte er vielleicht den Nerv besessen, gesittet mit seiner Kaiserin zu sprechen, aber so würde es verdammt schwer werden.

Gyokuen runzelte die glatte Stirn, als sie seine aufgewühlte Miene bemerkte. Selbst jetzt, wo er unbekleidet vor ihr saß, beobachtete sie ihn unverhohlen. „Du musst in Anbetracht der ganzen Aufregung hungrig sein“, mutmaßte sie.

Tatsächlich, die saftigen Pfirsiche aus Kou ließen ihm bereits das Wasser im Munde zusammen laufen. Ihnen konnte er unmöglich widerstehen.
 

Wenige Minuten später lagen einige abgenagte Pfirsichkerne vor ihm auf dem Tablett, sein Zopf glänzte frisch gekämmt, er trug eine dünne Seidenrobe und die Kaiserin sah zufrieden aus. Auf eine herrische Geste hin, versammelten sich die Priester hinter ihr und knieten nieder. Sogleich fühlte Judar ihre erwartungsvollen Augen auf sich ruhen. Wütend packte er einen Pfirsichkern und warf ihn dem erst besten der Männer an den Kopf, was keinerlei Wirkung zeigte. Auch als er den Rest seiner Munition verschoss, erhielt er keine Reaktion, mit Ausnahme eines kalten „das reicht“ von Gyokuen. Sofort straffe er die Schultern und funkelte sie trotzig an. Warum durfte er nicht einmal seinen Spaß haben? Diese starren Witzfiguren mussten doch auch einmal zu einer selbstständigen Regung im Stande sein! Am liebsten wäre er in die Luft gesprungen und hätte mit Eiszapfen um sich geschleudert. Natürlich hätte seine Herrin dies um keinen Preis zugelassen.
 

Nachdem die Männer die abgekauten Pfirsichkerne zusammen geklaubt hatten, ergriff sie abermals das Wort: „Nun Judar, bevor wir uns deiner Geschichte widmen, möchte ich dir gerne etwas mitteilen. Es geht um den ehrenwerten Kaiser Koutoku Ren, meinen geschätzten Ehemann.“ Täuschte er sich, oder hatte sie grade belustigt gekichert? „Vielleicht hast du dich bereits gewundert, weshalb du nicht vor uns beiden im großen Audienzsaal stehst. Bedauerlicherweise ist mein Gemahl an einem unbekannten Leiden erkrankt, welches ihn beängstigend schnell seiner Kräfte beraubt. Es ist möglich, dass er nicht mehr zu retten ist, was eine große Tragödie für unser Reich darstellen würde. Wie dir sicherlich bewusst ist, gibt es viele Länder, die unser Reich bedrohen und ohne Herrscher wären wir in einer großen Bredouille. Deshalb hoffe ich, dass du immer noch unverändert treu an meiner Seite stehst, auch in dieser schwierigen Zeit. Ich danke dir.“

Verwundert starrte Judar sie an. Der Kaiser lag im Sterben? Eigentlich nicht weiter verwunderlich. Wie oft hatten die Heiler bereits befürchtet, dass er einer seiner furchtbaren Krankheiten erliegen würde? Koutoku war immer schon anfällig für jede Art von Schwäche gewesen. Der starke Alkoholkonsum und die Vergnügungssucht kamen seiner Gesundheit wohl ebenfalls nicht zu Gute. Es blieb abzuwarten, ob auf dieses ach so verheerende Leiden nicht eine wundersame Genesung folgte wie gewöhnlich. Und selbst wenn nicht, was würde es ändern? Koutoku besaß mittlerweile einen äußerst starken, fähigen Erben, nein sogar ziemlich viele davon. Judars Königskandidaten. Der erste von ihnen, Kouen würde ein würdiger Nachfolger sein. Vermutlich fähiger als sein Vater. Mit ihm an seiner Seite könnte Judar ein herrliches Leben führen. Voll mit spannenden Kämpfen, Krieg und Chaos. Verdammt, diese Vorstellung war zu schön um wahr zu sein!

„Du wirkst nicht sonderlich betroffen, Judar“, stellte die Kaiserin trocken fest. Ob er die Hexe mit seiner nichtvorhandenen Betroffenheit verärgert hatte? Bestimmt würde sie sehr mit einem erneuten Verlust des Ehemannes zu kämpfen haben.

Aber was kümmerte es ihn? Diese falsche Schlange konnte man nicht durchschauen und trauen wollte er ihr schon gar nicht mehr.

Als hätte sie seine erbosten Gedanken gelesen verdeckte sie ihr schönes Gesicht mit den langen Robenärmeln. Bedauernd seufzte sie: „Ach ja, das Kou Reich musste immer schon mit Höhen und Tiefen zurechtkommen.“ Einer der Priester legte ihr beruhigend eine Hand auf die Schulter.
 

Gyokuen lächelte plötzlich und fuhr fort: „Aber nun möchte ich, dass du mir alles gründlich berichtest. Sag Judar, wie geht es Hochkönig Sindbad und aus welchem Grund bist du derart aufgelöst hier aufgetaucht?“

Judar knirschte mit den Zähnen. Na toll, diese Erzählrunde konnte ewig dauern! Er verspürte keinerlei Lust nach diesem Sturz Bericht zu erstatten. Außerdem musste er dringend etwas Klarheit in seinen, von Koumei aufgewühlten, Gedanken schaffen. Klar, das Denken lag ihm ohnehin nicht, doch irgendwie fühlte er das Bedürfnis, irgendetwas in sich abzuklären, was auch immer es war. Aber das würde warten müssen. Befehl war Befehl. Widerstrebend begann der Gefallene, von seinen Erlebnissen zu erzählen.
 

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