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Was die Hitze des Sommers nicht alles bewirken kann...

The Vessel and the Fallen 1
von

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Dämonin

 

*~*

 

*

 

Am Nachmittag nahm sein Vater Koumei bei Seite. Die Gesellschaft befand sich mittlerweile bereits in einer äußerst angeheiterten Stimmung, was nur an dem in Strömen fließenden Alkohol liegen konnte. Koumei, der mit seinem einzigen Becher Pflaumenwein nicht grade dem Rausch verfallen war, hatte sich etwas abseits auf eine Bank zurückgezogen und beobachtete das wilde Treiben unwillig. Er wollte das nicht. Diese Menschenmenge! Unangenehm. Wie gerne läge er jetzt neben Hakuren hinter den Brombeeren, wo es still und friedlich war und kein überzogenes Gelächter, schreckliche Musik und Geklirr von herunterfallendem Gedeck die Luft erfüllte. Gedankenverloren starrte er ins Leere, bis auf einmal eine grobe Hand auf seine Schulter fiel. Erschrocken schreckte er auf und erblickte Koutoku Ren, dessen mächtige Figur bedrohlich über ihm aufragte. Oh, bei allen Rukh in dieser Welt, er hätte seinem Vater gegenüber niemals solch ein Desinteresse an dieser Feier zeigen dürfen! Unwillkürlich zog er den Kopf ein, in Erwartung eines harten Schlages, doch dieser blieb aus. Noch nicht einmal erzürnte Worte bekam er zu hören. Stattdessen befahl ihm sein Vater mit der gefürchteten, polternden Stimme: „Komm mit Sohn, es gibt da noch etwas, dass ich dir schenken möchte.“ Erstaunt hielt der Rothaarige inne. Noch ein Geschenk? Aber er wollte keine Geschenke mehr, das alles genügte ihm völlig, viel lieber wäre ihm das Erscheinen Hakurens oder eine Woche Ruhe. Wünsche, die sie ihm wohl nie erfüllen würden. Außerdem, weshalb überreichte Koutoku es ihm dann nicht in der Öffentlichkeit? Vor den anderen Gästen? Die fanden so etwas meist ungeheuer spannend. Nun, ihm sollte es recht sein, aber es machte ihn misstrauisch, da er die Gaben ansonsten immer vor allen Versammelten annehmen musste, schließlich war es eben genauso vonstattengegangen.

 

Mit sich überschlagenden Gedanken trottete er unterwürfig hinter dem hünenhaften Mann her. In seiner Gegenwart wagte er kaum zu atmen. Vielleicht rührte das auch daher, dass sie für gewöhnlich kaum Kontakt zueinander hatten und wenn doch, war dieser meist mit wütendem Toben und Schmerzen verbunden. Unbehaglich lauschte er dem angespannten Schweigen zwischen ihnen, unwissend, ob von ihm erwartet wurde, es zu durchbrechen. Sie durchquerten zahlreiche Gänge, bis sie hinaus in den Garten traten. Die warme Luft beruhigte ihn ein wenig, doch dies hielt nur kurz an und wandelte sich schlagartig in Panik, als sein Vater mit ihm auf ein großzügiges Nebengebäude zuschritt, welches vom Stil her dem Haupthaus wie ein Ei dem anderen glich, von dem sich jedoch die meisten Leute bei Hofe unter Strafe fernzuhalten hatten. Bereits bevor sie den Schatten der pagodenförmigen Dächer betraten, schwante ihm böses. Sehr böses. Lediglich einige ausgewählte Personen durften dieses Haus betreten, darunter sein Vater und Kouen. Ebenso wie einige seiner Schwestern und der kleine Kouha. Koumei wusste es nicht so genau. Er wollte es auch gar nicht wissen. Genauso wenig, wie er selbst dieses Haus betreten wollte. Er war schon öfter dort gewesen, als Kouha noch unerkannt bei seiner Mutter gewohnt hatte. Auch heute schlief der Junge noch häufig dort, um auf sie acht zu geben und wenn Koumei ihm etwas zu sagen hatte, musste er eben dort hinein. An sich nichts schlimmes, wenn man nur zu Kouha wollte. Doch irgendetwas sagte ihm, dass ihr gemeinsamer Besuch einen gänzlich anderen Zweck hatte, zumal Kouha sich grade in Kouens Obhut auf Koumeis Fest befand. Dort wäre er jetzt auch lieber gewesen, welch ein Wunder. „Beweg dich endlich“, schnauzte sein Vater und stieß ihn böse schnaufend an. „V-verzeihung, Herr.“, stotterte er und bemerkte erst nun, dass er wie angewurzelt stehen geblieben war. Nur mühsam konnte er seine Beine dazu überreden, Koutoku zu folgen. Sie durchquerten die schweren Eingangstore, ebenso gut bewacht, wie die ihres Hauses und Koumei wünschte sich, einfach in Ohnmacht zu fallen, als sie sich mit einem lauten Knall hinter ihnen schlossen.

 

Die spitzen Schuhe sanken in dicke, rote-goldene Teppichfransen. Das Parkett knarzte sanft unter Koutokus schweren Schritten. Die geschnitzte Decke hing schwer über ihnen. Ein süßer Duft nach Parfüm und Pfirsichen lag in der warmen Luft. Nicht aufdringlich, aber immerhin so stark, dass Koumeis Abneigung noch größer wurde. Doch ihm blieb nichts anderes übrig, als dem Bruder des Kaisers durch den graden Gang, von dem auf beiden Seiten zahlreiche Flure und Türen abzweigten, zu folgen. Er wusste ganz genau, was ihn erwartete und diese Gewissheit machte es nur noch schlimmer. Sein Vater durchbrach das verkrampfte Schweigen mit seiner donnernden Stimme: „Nun, Sohn, du bist jetzt in einem Alter, indem es an der Zeit ist, Interesse an Frauen zu entwickeln. Bisher konnte man bei dir zwar nichts dergleichen feststellen, aber du wirst sehen, das ändert sich. Immerhin bist du nun offiziell im Mannesalter und kannst bald heiraten, das heißt wenn es eine passende Frau für dich oder deinen Bruder gäbe. Leider scheint es so, als würden nur eure Schwestern ihrem Land in nächster Zeit nützlich sein. Es nützt nichts, sich darüber zu ärgern, kommen wir zur Sache. Ich habe Kouen in deinem Alter das gleiche Geschenk gemacht und wie du siehst hat es ihm äußerst gut getan.“ Nein, mir wird das ganz sicher nicht gut tun! Hilfe!, dachte Koumei verzweifelt und sah sich hektisch nach einer Fluchtmöglichkeit um. Die natürlich nicht existierte. Verdammt. Das war der schlimmste Tag seines Lebens.

 

Sie bogen in einen schmalen Korridor ein. Der Rothaarige schauderte angstvoll. Doch sein Vater warf ihm lediglich einen verächtlichen Blick zu. „Ihr Name ist Kali. Eine ausgezeichnete junge Frau. Sie wird dir gefallen. Bei dir hielt ich es für geschickter, eine selbstbewusstere Persönlichkeit auszuwählen. Sie steht dir zu deiner freien Verfügung und du kannst sie jederzeit aufsuchen oder zu dir kommen lassen. Schicke in Zukunft einfach nach ihr. Verstanden?“ Koumei zögerte erstarrt. „Ob du verstanden hast, Junge?“, knurrte Koutoku und rüttelte ihn gewaltsam am Arm. Er zuckte erschrocken zusammen. Es tat weh. „J-ja, Herr“, keuchte er verschüchtert und betete, er würde ihn rasch wieder loslassen. Sein Arm fühlte sich an, als würde er gleich brechen. „Du bist wirklich ein erbärmlicher Nichtsnutz. Verweichlicht obendrein! Es wird Zeit, dass du lernst, dich wie ein potentieller Thronfolger zu verhalten und nicht wie eine zeternde Jungfer! Nimm dir ein Beispiel an deinem Bruder!“ Das Schütteln wurde immer stärker. Koumei winselte unter dem brutalen Griff und den grausamen Worten. Auf einmal lösten sich die gewaltigen Pranken und er taumelte zitternd zurück. „Noch nicht mal ordentlich stehen kannst du! Stell dich grade, wie es deinem Stand gebührt! Du bist eine Schande für das Hause Ren, Junge. Und so ein Abschaum will mein zweiter rechtmäßiger Sohn sein? Deine Mutter wäre entsetzt.“ Koumei fiel auf die Knie und drückte die Stirn tief in den edlen Teppich, der den Boden bedeckte. Ein dumpfer Schmerz durchzuckte seine Beule. „I-ich bitte euch um Verzeihung, werter Vater…“ Seine Stimme bebte voller Angst. Aber es folgten wieder keine Schläge. Nur ein scharfes: „Steh sofort auf! Du sollst nicht einfach vor anderen im Staub kriechen, wenn es unangemessen ist.“ Mit diesen Worten stieß er seinen Sohn in Richtung der Tür. „Worauf wartest du noch? Bist du etwa undankbar? Du solltest den Aufwand, der wegen dir betrieben wird, mehr zu schätzen wissen, Junge!“ Mit diesen Worten donnerten die mächtigen Schritte seines Vaters davon. Bevor er aus dem Sichtfeld seines immer noch eingefrorenen Sohnes verschwand dröhnte er: „Lass dich vor heute Abend ja nicht mehr blicken. Und glaub mir, ich bekomme Bericht erstattet, wenn du ungehorsam bist, also versuch gar nicht erst, dich aus dieser Situation herauszuwinden. Jeder andere hätte seine reine Freude daran!“

 

Schon stand er alleine in dem schummrigen Gang. Stöhnend ließ er den angehaltenen Atem frei. Sobald die erdrückende Präsenz seines grausamen Vaters verschwunden war, fühlte er sich deutlich erleichterter. Doch seinen Befehl hatte er nicht vergessen. Ihn zu verweigern kam nicht in Frage. Aber ihn zu befolgen… ebenso wenig. Alleine schon wegen Hakuren. Nervös riss er den Kopf hin und her, als plötzlich von der anderen Seite der Tür eine scharfe Stimme ertönte: „Was stehst du da draußen rum? Ich habe keine Lust ewig zu warten, Jungchen!“ Koumei schluckte. Das klang nicht gut. Gar nicht gut. Schlimmer noch, als er es sich vorgestellt hatte. „Denk ja nicht, ich wüsste nicht, dass du noch da bist, Prinzlein. Ich bin nicht dumm! Also komm endlich rein und reiß dich zusammen!“ Gerade das fiel ihm zunehmend schwerer. Noch nie hatte er eine weibliche Stimme vernommen, die derart respektlos mit ihm redete. Alleine schon dieser Tonfall. Als wäre er der Untergebene und nicht anders herum. Koumei schauderte wieder. „Na wird’s bald?“ Ihm blieb keine Wahl. Zitternd öffnete er die Tür und hielt prompt den Atem an.

 

Weißer Nebel waberte ihm entgegen. Süßlich nach seltsamen Kräutern riechend und furchtbar aufdringlich. Er machte ihn ganz wirr im Kopf. Ließ seine Gedanken verwischen. Die Tür fiel hinter ihm ins Schloss und stieß ihn mitten in den verhangenen Raum hinein. Was um alles in der Welt, ging hier vor? „Na komm schon, nicht so schüchtern“, kicherte die Stimme, nun ein wenig freundlicher, dennoch nicht weniger beängstigend. Er konnte noch nicht einmal ausmachen, woher die angriffslustige Stimme kam. Dieser…Rauch… etwas anderes konnte es nicht sein, verschleierte alles, das weiter als eine Fingerlänge entfernt war. Also eigentlich jedes Objekt, welches sich wohlmöglich in diesem Raum befand. Unbehagen stieg in ihm auf. Plötzlich schnellte er herum. Da war etwas. Ein winziger Lufthauch, der den Qualm aufwirbelte. Aber er konnte niemanden sehen. Koumei schrie auf und versteifte sich. Auf einmal schlangen sich lange, dünne Arme um seine Brust. Mit einer Kraft, die gelinde gesagt… überwältigend war. Nicht das, was er erwartet hatte. „Na, da haben wir aber jemand ganz schön schreckhaftes erwischt“, zischte es höhnisch in sein Ohr. „Und mager noch dazu. Nicht grade verlockend. Wie bemitleidenswert…“ Koumei blinzelte panisch gegen den Nebel an. Es war sinnlos. Stattdessen fuhr eine kleine Hand zwischen die Stoffschichten, in die man ihn heute Morgen hineingezwängt hatte. Etwas Scharfes kratzte schmerzhaft über seine Haut. Spitze Fingernägel. Plötzlich kam wieder Leben in den jungen Mann. Mit einem gellenden Schrei wich er zurück. Eingehüllt von weißem Rauch. Spürte, wie ihm die Gewänder dabei halb von der Schulter glitten, was ihn noch mehr in Panik versetzte und ihn noch weiter zurück taumeln ließ. Dabei stolperte er über etwas Hartes. Verblüfft ruderte er mit den Armen. Kippte nach hinten. Landete erstaunlich weich. Vorsichtig strich er mit der Hand über den nachgiebigen Untergrund. Es fühlte sich an wie eine Art… breiter Sessel? Mit bequemen Kissen? Plötzlich nahm er aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahr. Sofort schnellte sein Fuß in die Luft und stieß irgendetwas zurück. Ein entrüstetes Keuchen, ein Poltern und ein dumpfer Aufprall. „Ah,  verdammte Scheiße! Wie kannst du es wagen?!“, keifte die Stimme erzürnt. Schritte entfernten sich hastig und mit einem Mal lichtete sich der Nebel.

 

Koumei konnte endlich wieder sehen! Wie gut das tat! Verwirrt ließ er seinen Blick ihn dem fremden Raum umherschweifen. Bunte Gardinen verdeckten die Fenster, erlaubten weder die Sicht hinein, noch hinaus. Mit der Vermutung, in einen Sessel gefallen zu sein, schien er gar nicht so falsch zu liegen, soweit er das beurteilen konnte. Tatsächlich saß oder lag er auf einem sesselähnlichen Möbelstück, mit feinem rotem Bezug. Aber wo um alles in dieser Welt steckte dieses unheimliche Wesen? Koumei musste nicht lange suchen. Kaum hatte er den Kopf erhoben und über den kleinen Beistelltisch mit einer kleinen Zwischenmahlzeit, sowie flackernden Kerzen darauf, der vor seinem Sessel stand, hinweggeschaut, erblickte er sie. Die schrecklichste Frau, die er je kennen sollte, nun zumindest dachte er das damals.

 

Misstrauisch und mit einem Hauch von widerwilliger Bewunderung starrte er die junge Dame an, die sich genüsslich auf einem Diwan räkelte und einen tiefen Zug aus einer langen, stark qualmenden Pfeife nahm. Üppiges, gewelltes, schwarzes Haar fiel bis auf den Boden herab. Rotangemalte Lippen zeigten einen verführerischen Ausdruck, sowie reinen Hohn, als sie den Rauch in seine Richtung blies. Hatte sie eben damit den ganzen Raum vernebelt?! Das ging nicht mit rechten Dingen zu. Tiefbraune Augen, noch dunkler, aber durchaus geschmackvoll geschminkt schienen ihn regelrecht herauszufordern. Schwarzer und Violetter Lidschatten ließen ihren Blick regelrecht tiefgründig wirken,  was ihm eher bedrohlich vorkam. Flüchtig bemerkte er eine längst verheilte, kreuzförmige Brandnarbe unter ihrem rechten Auge. Eine verurteilte Verbrecherin?! Nervös verdrängte er diese Sorge, er wollte sich erst einen Gesamteindruck verschaffen, bevor er selbst über sie urteilte, auch wenn das ihm nahezu unmöglich erschien, da in seinem Kopf bereits ein klares, nicht sonderlich schmeichelhaftes Bild von ihr existierte, das von der Wirklichkeit nur bestätigt wurde: Ein, nach Koumeis Ansicht viel zu kurzes, schwarzes Oberteil enthüllte einen flachen Bauch, wohingegen die schlanken Beine beinahe vollständig von einem langen, goldbestickten Rock verhüllt blieben, zumindest würde es so sein, wenn der Stoff nicht so stark nach oben gerutscht wäre. Schwerer Goldschmuck klimperte dazu passend, aufreizend um ihren schlanken Hals, sowie den elegant ausgestreckten Armen. Der Rothaarige wusste nicht genau, ob es klug war, sie derartig zu mustern, aber er konnte nicht anders. „Na, gefällt dir was du siehst, mein Kleiner?“, gurrte sie und lächelte mit spitzen, blendendweißen Zähnen auf eine Art und Weise, die ihm Angstschauer über den Rücken schickte, während sie sich vorwurfsvoll den Bauch rieb, wo er sie wahrscheinlich mit seinem Tritt erwischt hatte. Nein, es gefiel ihm ganz und gar nicht, aber das konnte er ja schlecht sagen, oder? Verzweifelt suchte er in seinem wie leer gefegten Geist nach Worten, die in dieser Situation angemessen wären, aber sie waren fort.

 

Krampfhaft besann er sich auf die einfachste Konversationsregel, welche man ihm je eingebläut hatte und die er trotzdem nicht beherrschte: Immer freundlich lächeln und zuvorkommend sein. Nutze die Dinge, die du über dein Gegenüber weist und binde sie in das Gespräch mit ein, um Interesse zu zeigen. Ob es schlau war, bei dieser Dame Interesse zu zeigen? Wohl kaum. Aber was sollte er sonst tun? Bevor er jedoch zu einem zittrigen Satz ansetzen konnte, zerschnitt die harsche Stimme die Stille, wie ein Peitschenhieb: „Klapp dein Maul zu, Prinzlein, sonst sabberst du auf meine Kissen.“ „I-ich bin kein Prinz…“, murmelte Koumei verschreckt. Immerhin hatte er auch mal etwas gesagt. Die Haremsdame lachte rau. „Ja, wie recht du hast, du bist eher ein kleines Prinzesschen. Bist du sicher, dass du schon sechzehn Sommer erlebt hast? Hat man dich vielleicht mit deinem älteren Bruder verwechselt, Süße? Wenn ja fände ich es gut, wenn ihr schleunigst die Plätze tauscht, ich habe nämlich nichts für Frauen übrig.“ Was redet sie da? Wie beleidigend. Er wusste, dass er vielleicht nicht grade kraftvoll, imposant oder außerordentlich männlich wirkte, aber als Prinzesschen hatte ihn noch nie jemand bezeichnet. Niemand würde es wagen einen Angehörigen der kaiserlichen Familie in seiner eigenen Residenz derart zu kränken, konnte dieses unvorsichtige Verhalten manchmal sogar Kriege provozieren. Für gewöhnlich konnte er mit Unverschämtheiten umgehen, schließlich hatte er einen Bruder namens Kouha, aber nicht wenn diese Worte aus dem Mund einer einfachen Haremsdame kamen.

 

Überrumpelt starrte Koumei auf die respektlose Frau, die genüsslich den Rauch inhalierte. Er roch so seltsam, vielleicht nach Rauschmitteln oder dergleichen? Opium? Dafür wirkte sie allerdings noch beängstigend wach und kontrolliert. Die Dame deutete mit einem Mal auf den kleinen Beistelltisch. Darauf standen zahlreiche kleine Schälchen mit verschiedenen Obstsorten und ihm unbekannten Süßigkeiten, zusätzlich noch zwei Karaffen, die eine mit einer weißen, dicken, die andere mit einer rot-braunen Flüssigkeit gefüllt. Daneben eine dampfende Teekanne. Fremdartige Getränke. „Darf ich dir etwas anbieten? Lassi mit Mangostückchen, Chai Tee oder Arrak [1]? Wenn ich dich so ansehe, wäre letzterer mit Sicherheit gut für dich. Alkohol entspannt schließlich die Nerven und so verschreckt, wie du mich die ganze Zeit anstarrst, kleine Prinzessin, würde dir das bestens bekommen. Oder lieber ein paar Früchte oder Barfi-Süßigkeiten [2]? Wobei, so wie du aussiehst, würde ich sagen, du hast heute schon mehr als genug zu dir genommen. Also, meine Liebe, kann ich dir mit diesem Angebot dennoch eine Freude machen?“ Zu schockiert von ihrer Unverschämtheit, um irgendetwas zu entgegnen, schüttelte Koumei den Kopf. Sie schnurrte: „Dann eben nicht. Meine Schuld ist es nicht, wenn du nichts anrührst. Hast ja sicherlich bereits eben tüchtig zugelangt. Wunderst du dich, warum du hier diese fremdländischen Spezialitäten angeboten bekommst?“ Ja, das tat er in der Tat, aber eigentlich wollte er nur fort von hier und nicht noch mehr gehässige Worte hören. Ein aufreizendes Kichern. „Die Antwort lautet Koutoku Ren. Dein Vater hegt eine Vorliebe für exotische Schönheiten, wusstest du das nicht? Deshalb bin ich schließlich hier und natürlich brauche ich ein paar Speisen aus meiner Heimat, um mich wohl zu fühlen in diesem traurigen Land. Vielleicht verwundert dich auch meine Kleidung, solch luftige Röcke gibt es bei euch Kou-Leuten ja erbärmlicher Weise nicht. Manche Sindrianer tragen so etwas und es ist das Beste, was man im Sommer anziehen kann.“ Wie um ihre Ansicht zu bestätigen, lüpfte sie den langen Rock, sodass noch mehr nackte Haut aufblitzte. Koumei stöhnte angeekelt. Welch ein schamloser Aufzug. Konnte dieser Alptraum nicht gleich zu Ende sein?

 

Die Frau grinste unverschämt und strich sich das lange Haar über die Schulter. Dann schien ihr etwas aufzufallen: „Ach, ich habe ganz vergessen mich vorzustellen. Wie unhöflich. Mein Name ist Kali. Willst du auch, kleine Prinzessin?“ Mit einer eleganten Bewegung hielt sie ihm ihre Pfeife hin. „N-nein danke“, stammelte er, immer noch schockiert. Nun, immerhin besaß sie den Anstand, sich vorzustellen, auch wenn er ihren Namen bereits von Koutoku erfahren hatte. „Wie heißt du? Nicht dass ich es nicht wüsste, aber es gehört sich, dass du es jetzt ebenfalls sagst, Süße.“ Diese elende Frau! Wie oft wollte sie ihn noch derart verspotten? Zu seiner Angst gesellte sich leiser Zorn, der ihn mit den Zähnen knirschen ließ. „Koumei Ren, ich bin weder Prinz noch Prinzessin, mein Vater ist lediglich der Bruder des Kaisers“, presste er erstaunlich flüssig hervor. Kali schnurrte anzüglich: „Sehr gut. Aber ja mein Kleiner, natürlich bist du weder das eine, noch das andere. Dachtest du wirklich, ich hielte dich für ein Mädchen? Glaub mir, dann hätte ich dich nie hereingerufen.“ „Ähm…nein das dachte ich nicht“, entgegnete Koumei verwirrt. „Dann ist ja gut, du scheinst schlauer zu sein, als du aussiehst. Allerdings… ich gebe zu, dass ich ein wenig enttäuscht von deiner Erscheinung bin, schließlich ist dein älterer Bruder so ein stattlicher Mann. Du bist… nun ja… ein niedliches Prinzesschen!“ Ihr undamenhaftes Grinsen ließ ihn innerlich grollen. Nie hatte jemand ihn derart unverschämt behandelt. Doch er war viel zu eingeschüchtert, um etwas Schlagfertiges zu entgegnen, was ihm ohnehin nicht lag. Unsicher wiegte er sich hin und her. Vielleicht sollte er gehen und seinem Vater berichten, was für eine schreckliche Dämonin er ihm da aufgehalst hatte. Sicherlich hatte dieser nicht gewusst, dass diese wunderschöne Frau in Wahrheit eine vulgäre Hexe darstellte. Aber dann würde Koutoku wieder ausrasten und ihn bestrafen…

 

Kali funkelte ihn aus ihren dunklen Augen an. „Du willst doch nicht etwa schon gehen, mein Koumei?“, säuselte sie leise. Schlagartig erfasste ihn eine unbehagliche Gänsehaut. Hatte sie seine Gedanken gelesen? Diese zarte Stimme klang viel gefährlicher, als der raue, pöbelhafte Ausdruck. „Was machen wir denn nun?“, erkundigte sie sich unverfänglich. Koumei antwortete nicht, er wollte nur noch weg von hier! „Soll ich dir ein paar Geschichten von mir und Kouen erzählen? Seine Gesellschaft ist immer sehr vergnüglich gewesen. Du könntest noch viel von ihm lernen, glaub mir“, schnarrte sie heimtückisch. Heiße Röte machte sich auf Koumeis Wangen breit. „N-nein danke“, wehrte er angewidert ab. Er wollte auf gar keinen Fall wissen, was sein älterer Bruder für Frauengeschichten am Laufen hatte, das war zu verstörend. Zudem konnte er nicht glauben, dass sich sein Bruder mit jemandem wie dieser Hexe abgab, da Kouen sich mehr für Geschichte, als für das weibliche Geschlecht zu interessieren schien. Sicher wollte sie ihn nur noch weiter reizen. Kali verzog ihre geschminkten Lippen zu einem Schmollmund und meinte: „Wie schade, Jungchen. Dann musst du mir wenigstens etwas über dich erzählen. Das einzige, was ich über dich in Erfahrung bringen konnte, waren winzige Details, sehr unglaubwürdige noch dazu, wenn ich dich jetzt so zitternd hier sitzen sehe. Diese hier hingegen sind sicherlich war: Man trug mir zu, du seist zu schwach und ungeschickt, um ein Schwert zu halten? Und von schwächlicher Konstitution, kaum aus dem Bett zu kriegen? Schläfst fast im Stehen ein? Ach mein Süßer, du musst eine wahre Enttäuschung für deine hochwohlgeborene Familie sein. Allerdings gibt es da etwas, das ich einfach nicht glauben kann, das musst du mir vielleicht erklären…“

 

Koumei versteifte sich automatisch. Nie würde er dieser Hexe auch nur irgendetwas erzählen! Aber sie hörte sich offensichtlich selbst am liebsten reden, denn sie gurrte beinahe sanft: „Man sagte mir oft, du sollst ungewöhnlich gut zu Vögeln sein, ist das wahr, mein Koumei? Ich kann es mir kaum vorstellen…“  „Ja, das stimmt“, entgegnete er sofort, froh ein unverfängliches Thema vor sich liegen zu haben. Über Vögel, besonders über Tauben, konnte er sich gut unterhalten. Doch als er Kalis boshaftes Kichern vernahm, weiteten sich seine Augen vor Schreck. Dann brach sie in heilloses Gelächter aus, welches ihren gesamten Körper schüttelte. Dieses schadenfrohe Grinsen kannte er doch irgendwoher… Bloß von wem? Egal, für solche Gedanken blieb ihm nun keine Zeit. Wie konnte er nur auf diesen alten, jämmerlichen Trick hereinfallen? Die Frau hatte sichtlich ihren Spaß an seiner Antwort. „Das ist überraschend. Wollen wir es einmal versuchen? Wenn ich es nicht selbst erlebt habe, kann ich es einfach nicht glauben“, zwitscherte sie genießerisch. Die Dame legte ihre Pfeife beiseite und erhob sich unter rasselnden Schmucksteinen, wobei sie so bedrohlich lächelte, wie eine Rachegöttin. 

 

„N-nein danke“, stammelte er und wollte aufspringen, doch sein „Geschenk“ ließ sich bereits auf seinen Schoß fallen und sah ihm brennend ins Gesicht. Das lange schwarze Haar hing bis auf den Boden herab. Sie war überraschend klein und zierlich, er musste größer als sie sein. Trotzdem fühlte er sich eingeengt und angegriffen durch diese unfreiwillige Nähe. Und eine Frau konnte er auch nicht einfach von sich fortstoßen, das wäre unhöflich. Allerdings war das hier eine Ausnahme. Alleine schon ihr penetranter Geruch nach dem Zeug, das sie fortwährend rauchte und nach exotischen Gewürzen, die er nicht bestimmen konnte, vielleicht Kreuzkümmel und Jasmin, ließen ihn furchtsam erzittern. „Du musst nicht gleich zu Väterchen laufen, entspann dich, Jungchen“, befahl Kali herrisch und Koumei spürte ihre kühlen Hände an seinen Wangen. Er war wie erstarrt, während in seinem Geist die Gedanken miteinander rangen, einer panischer, als der andere. Das durfte doch nicht sein. Sie sollte von ihm herunter gehen, sofort! Ihn loslassen! Die Panik wurde immer schlimmer. Kali krallte ihre langen Nägel in seine unreine Haut. Es war unangenehm. „Mh, näherbetrachtet bist du wirklich hässlich, deine Nase sieht aus wie aufgesprungener Wüstenboden, da täuscht auch die Schminke nicht drüber hinweg. Und was ist mit deiner Stirn passiert? Bist du gegen eine Wand gelaufen?“ Wenn sie mich so hässlich findet, soll sie endlich verschwinden!, dachte Koumei verzweifelt. „Aber… du hast schöne Augen. Schöne Farbe, schöne Form, schöne Wimpern, die hätte ich ebenfalls gerne, auch wenn ich auf den erbärmlichen Rest dankend verzichten würde. Aber was ist, wollen wir einmal schauen, ob du nicht vielleicht doch ein Prinzesschen bist?“, fuhr sie ungehobelt fort. Wie konnten aus dem Mund einer einzigen Person in so kurzen Abständen so viele dreckige Sätze dringen? Koumei schluckte hilflos. Aus dieser Situation schien es kein Entrinnen zu geben.

 

„Nur nicht so schüchtern“, säuselte die Frau mit vorgetäuschtem Verständnis. Er brachte keinen einzigen Ton hervor. Kali schien sich königlich über seine Verklemmtheit zu amüsieren. Auch wenn sie nun nicht mehr derart teuflisch grinste, lag ununterbrochen dieses scharfe Lächeln auf ihren Lippen. Wie ein Messer, an dem man sich böse schneiden konnte. Sie hatte mehr von einem Dämon oder einem Dschinn an sich, als von einem Menschen. Scheinbar erahnte sie seinen Gedankengang, denn sie meinte: „Keine Sorge, ich bin keine übernatürliche Erscheinung oder gar eine Hexe, sondern lediglich eine ehemalige Spionin für einen gewissen Staat namens Sindria samt seinem putzigen kleinen König Sindbad. Sag, mein Süßer, hast du bereits von diesem kleinen Reich gehört?“ Entsetzt starrte Koumei sie an. Das erklärte ihre exotische Kleidung nun wirklich, auch wenn sie bereits eben auf Sindria angespielt hatte, realisierte er das erst jetzt. Aber das konnte doch nicht ihr Ernst sein! In der Tat hatte er in den vergangenen Jahren ein paar Geschichten über das noch sehr junge, machtvoll aufstrebende Land und seinen Herrscher zu Ohren bekommen. Aber wie konnte sein Vater eine Spionin eines fremden Staates in seiner Nähe dulden? Wollte sich diese selbstverliebte Frau lediglich aufspielen oder sprach Wahrheit aus ihren Worten? „Jetzt fall nicht gleich in Ohnmacht, wie gesagt, das gehört längst der Vergangenheit an. Bedauerlicherweise haben eure Wachen mich nämlich eines Tages bei einem meiner Aufträge in Kou erwischt. Nun, statt mich dem Tod zu übergeben, hat man mich hier aufgenommen, da dein Vater wohl Gefallen an mir gefunden hat. Außerdem konnte ich ihm viele Dinge über so einige andere Länder verraten, die euch in ein paar Schlachten bereits zu Gute gekommen sind. Frag deinen Onkel Kaiser. Und nun ja, falls jemand Interesse an ein paar neuen Informationen, zum Beispiel aus Sindria hätte…“, sie lächelte ihm verschwörerisch zu, „würde ich selbstverständlich meine Fähigkeiten in eure Dienste stellen, als Dank für mein Leben. Du könntest mir Befehle erteilen, hättest du nicht Freude daran, mein Koumei? Ich könnte auch jeden Menschen beobachten, den du mir nennst. Ganz egal, wen du beschatten lassen möchtest, ich werde ihn so unauffällig verfolgen, dass ich dir seine dunkelsten Geheimnisse verraten könnte! Falls du jemanden unauffällig loswerden musst, könnte ich dir da auch behilflich sein. Du kannst dich auch bei deinem Bruder erkundigen, ob ich meine Aufträge zufriedenstellend ausführe…“

 

Koumei konnte immer noch nicht glauben, dass das, was sie ihm da auf die Nase band, stimmte. Selbst, dass sein Vater Gefallen an solch einem losen Mundwerk finden könnte, wirkte auf ihn wie eine dreiste Lüge. Sicherlich war Koutoku nicht sonderlich wählerisch, doch er hasste Widerworte sowie Unverschämtheiten. Und Kouen würde ganz sicher nicht irgendwelche Leute beschatten lassen, oder täuschte er sich in seinem Bruder? Immerhin zog dieser bereits mit Hakutoku und seinen Cousins in den Krieg. Falls es allerdings die Wahrheit war, würde es bedeuten, dass Kali wirklich so gefährlich war, wie sie ihm erschien. Dann durfte er ihr noch weniger trauen, als er es ohnehin schon tat. Vor allem durfte er ihr nichts erzählen, was ihn später in Schwierigkeiten bringen konnte, nicht dass er gesprächig wäre oder plante, mit ihr eine längere Diskussion zu führen, wo sie ihn doch durch ihre bloße Anwesenheit einschüchterte. Nein, ihre Dienste, ganz egal welcher Art, wollte er nicht annehmen, wahrscheinlich wartete sie nur auf eine Gelegenheit, für immer aus Kou zu verschwinden, um ihrem König die brisantesten Neuigkeiten mitzuteilen. Diese Dämonin war sich wohl für nichts zu schade. Mit solchen Menschen wollte er nichts zu tun haben. Schließlich hatte er es nicht nötig, irgendjemandem nachzuspionieren. Oder?

 

Plötzlich drückte Kali sich an ihn. Ihr drahtiger Körper schien nur aus sehnigen Muskeln zu bestehen. „Brauchst du noch ein wenig Bedenkzeit, bevor du auf mein reizvolles Angebot eingehst?“, fragte sie. „Ähm… ich möchte gar nichts von…“ „Ja ja, mein Kleiner, dir fällt bestimmt bald etwas ein, wofür du mich einspannen kannst, nicht wahr?“ Ihr Blick wurde noch drohender als zuvor. Braune Augen, wie schlammige Tümpel, die keinen Grund besaßen und ihn verschlingen würden. Was sollte er nun sagen? „Mh… vielleicht?“, entgegnete er zaghaft. Die Haremsdame nickte zustimmend und tätschelte ihm die Wangen. Mit einem Mal schienen ihre Fingerspitzen zu glühen, ebenso ihr unbedeckter Bauch. Wenn er das durch seine Gewänder spürte, musste es wirklich so sein. „Ach mein Süßer, du brauchst nicht gleich rot zu werden, nur weil ich dir ein wenig näher gekommen bin. Ein erwachsener Mann sollte mit so etwas leicht fertig werden“, tadelte Kali. Dann schnalzte sie skeptisch: „Auch wenn du immer noch aussiehst, wie ein dreizehnjähriges Mädchen. Mich würde interessieren, ob deine Haut auch außerhalb deines Gesichtes so kaputt ist. Wollen wir einmal nachschauen?“ Koumei verengte die Augen. Er wusste mit aller Sicherheit, dass dem nicht so war, weder die Sache mit dem kleinmädchenhaften Aussehen, noch mit seiner Haut. Er musste ganz sicher nicht nachschauen. Diese elende… Auf einmal glitt ihre Hand zwischen seine Gewänder. Er versteinerte. Kali fand durch die zahlreichen Stoffschichten, als hätte sie ihr Leben lang nichts anderes getan, als irgendwelchen Männern die festlichen Kleider vom Leib zu reißen. Vielleicht stimmte ihre Geschichte mit der Spioninnensache tatsächlich. Wer konnte schon sagen, was sie nicht alles für Dinge getan hatte, um an Informationen zu gelangen? Ihm wurde schlecht bei dem bloßen Gedanken. So zupfte sie auch flink an den Bändern, die das ganze Ensemble zusammenhielten und kicherte dämonisch, als Koumei hektisch versuchte, sie daran zu hindern. „Meine Güte, stell dich nicht so an. Du darfst dich lieber über meine Anwesenheit freuen.“ „Hör auf“, murmelte er zaudernd. Doch statt zu gehorchen, kratzten ihre langen Nägel provozierend über seine Brust. Erschrocken packte er die viel zu frechen Handgelenke. „Fass mich nicht an!“, fauchte er und warf den letzten Rest seiner Selbstbeherrschung, sowie seiner Scheu vor lauten Worten fort. Nur leider nutzte selbst das nichts. Die Dämonin stemmte die Hände in die Hüften. „Was ist so schwer daran, dich einfach zu entspannen und mich machen zu lassen? Jeder andere, würde es kaum abwarten können“, nörgelte Kali offensichtlich beleidigt. Ihre Augen funkelten wie schlammiges Wasser. Dann blitzte etwas Finsteres in ihrem Gesicht auf. Koumei schauderte bang. Sie ähnelte wirklich einem Dämon. Wieder suchte sie nach einem Weg, den Stoff zu umgehen, doch dieses Mal sollte sie gar nicht erst damit in Kontakt kommen.

 

Koumei stieß sie mit aller Macht von sich. Rasselnder Schmuck und scheppernde Teller begleiteten ihren Sturz mitten auf den kleinen Tisch. Es gab einen unschönen Laut, als sie zuerst mit dem Rücken, dann mit dem Hinterkopf auf der Platte aufschlug. Das Essen, welches sich darauf befunden hatte, flog ungehindert durch den Raum. Eine Kerze fiel herunter und wäre sie nicht genau vor Koumeis Füßen zum Liegen gekommen, hätte es wohl einen Großbrand gegeben. Hektisch trat er die schnell heraufzüngelnden Flammen aus und schaute nervös zu Kali. Trauben und Kirschen rollten wild umher, während hilflose Erdbeeren, sowie feines Gebäck unter ihrem Gewicht zerquetscht wurden. Heißer Tee spitzte aus der zerbrochenen Kanne, löschte die verbliebenen Kerzen und vermischte sich schlierenartig mit dem weißen Lassi. „Ah! Heiß! Das brennt!“, kreischte Kali und schoss in die Höhe. Koumei sprang angstvoll auf. Verstört von seiner eigenen Handlung, betrachtete er die zeternde Frau. Hoffentlich hatte sie sich nicht an dem Tee verbrüht, den Schädel gebrochen oder an den Scherben geschnitten, das konnte gefährlich sein. In böser Erwartung beobachtete er ihre zappelnden Bewegungen. Dann hielt sie plötzlich still und er atmete erleichtert aus. Immerhin, bis auf ein paar Kratzer, eine Abschürfung am Rücken, sowie zahlreiche Erdbeer- und Lassiflecken schien sie unversehrt. Grollend krümmte sie ihren lädierten Rücken und presste die Hände gegen den Kopf. „Mein Steißbein… au… mein Schädel“, stöhnte sie. Koumei horchte alarmiert auf. „I-ist dir etwas passiert? Ist dir vielleicht schlecht?“, verlangte er zu wissen. „Das fragst du noch? Mein verfluchter Arsch schmerzt, als würde er gleich abfallen! Und in meinem Schädel dreht sich alles! Wenn du nicht der Neffe des Kaisers wärst, würde ich dich jetzt umbringen, Junge!“, keifte sie, entfernte sich jedoch sicherheitshalber einige Schritte von ihm. Die langen Haare schleiften durch das zermatschte Obst und brachten sie beinahe erneut zu Fall. Humpelnd stützte sie die Hände in die Seiten. „Ah… was hast du dir nur dabei gedacht, du Vollidiot!“ „Ich habe dich gewarnt“, verteidigte sich Koumei kleinlaut. „Erzähl das irgendeiner anderen Dirne, hässlicher Zottel!“, spie sie aus, ehe sie sich unter gequälten Lauten auf den Diwan fallen ließ, wo sie sich zu einer traurigen Gestalt zusammenkrümmte. Trotzdem verlor sie nichts von ihrer Bedrohlichkeit. „Das wird ein Nachspiel haben! Ich werde deinem Vater alles erzählen und dann hast du ein Problem, du weibischer, kleiner Mistkerl!“, drohte sie zähneknirschend. „Erst dieser Tritt und jetzt das hier! Sei froh, dass mein Kopf nicht aufgeplatzt ist! Wie kannst du es nur wagen, mich derart respektlos zu behandeln? Und warum stehst du eigentlich so dämlich hier rum?“ Das mit dem ‚respektlos‘ hätte sie lieber sich selbst fragen sollen. Doch der Rothaarige zwang sich die Beleidigungen zu ignorieren. „B-Brauchst du irgendetwas? Es t-tut mir leid…“, stammelte er befangen. „RAUS!“, blaffte Kali da. „Aber…“ „VERSCHWINDE! Oder ich bring dich doch noch um!“, brüllte sie in derartiger Lautstärke, dass unterdessen mit Sicherheit jede Bewohnerin dieses Hauses bemerkt hatte, dass hier irgendetwas gehörig schief gelaufen war.

 

Beklommen schlich Koumei zur Tür hinaus. Eigentlich war das genau das, was er wollte, doch dieses Gekeife beschämte ihn. Außerdem würde sein Vater sehr wütend auf ihn sein. Sehr, sehr, sehr, sehr wütend. Er würde sich nicht auf zorniges Brüllen beschränken, sondern in beängstigende Raserei verfallen. Die Haremsdame würde seinem Vater gewiss von seiner groben Verteidigungsmaßnahme erzählen. Koumei zitterte alleine bei der Vorstellung daran. Ob er ihm nach Kalis, mit Sicherheit maßlos übertriebenen Bericht, erzählen sollte, wie sehr sie ihn gekränkt hatte? Eine derartige Hexe gehörte nicht hierher, sie ähnelte keiner Frau, die er kannte. Nein, seine Schwestern mochten mal mehr, mal weniger speziell sein, - schließlich zeigten auch seine Brüder einige absonderliche Verhaltensweisen - aber sie verhielten sich kein bisschen anzüglich, unverschämt oder vulgär. Seine kleine, elfjährige Cousine Hakuei mochte er sogar wirklich gerne, sie verfügte über ein angenehmes Wesen und neben Hakuren und seinen Brüdern konnte er sich am besten mit ihr unterhalten. Auch wenn sie noch sehr jung war, zeigte sich bereits jetzt, dass sie ihrem Land zukünftig großen Nutzen bringen würde. Auch mit den Dienerinnen arrangierte er sich. Aber diese Kali war einfach nur furchtbar, doch wenn Koutoku sie dermaßen schätzte, würde er nicht leicht von ihrer Schrecklichkeit zu überzeugen sein... Nicht, dass Koumei generell große Überzeugungskraft besaß… Er hatte ein Problem. Ein riesiges, unermessliches Problem. Er hätte in Tränen ausbrechen können. Dieser Tag war so unerträglich, dass er am liebsten im Boden versunken wäre. Da dies wohl nicht funktionieren würde, eilte er so zügig wie möglich dem Ausgang entgegen. Seine Schritte wurden vom dicken Teppichboden verschluckt. Auf dem Flur bemerkte er die neugierigen Blicke der anderen Frauen und hörte bereits emsiges Getuschel. Krampfhaft umklammerte er die viel zu lockeren und zerknitterten Gewänder. Es wollte ihm einfach nicht gelingen, die kompliziert geschnürte Robe wieder ordentlich anzuziehen. Was mochten sie nun von ihm denken? Schnell wankte er an ihnen vorbei und war maßlos erleichtert, als hinter ihm die hohen Torflügel mit einem lauten Knall ins Schloss fielen.

 

*

 

*~*


Nachwort zu diesem Kapitel:
[1] Da Kali aus Sindria stammt und dieses scheinbar von Indien inspiriert wurde, hielt ich es für passend, ein paar indische Nahrungsmittel einzubauen.
Lassi: indisches Joghurtgetränk, enthält unteranderem Fruchtsaft oder Fruchtstückchen, gibt es aber auch in eher herzhaften Varianten
Arrak: indische Spirituose, z. B. aus Palmwein hergestellt
[2] Barfi: indisches Konfekt Komplett anzeigen

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