Zum Inhalt der Seite

Was die Hitze des Sommers nicht alles bewirken kann...

The Vessel and the Fallen 1
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Geschenke

 

*~*
 

 

*
 

Woche um Woche verging dank Hakuren in einem angenehmen Schwebezustand. Koumei genoss ihr Beisammensein mehr als alles andere. Dann kam der Tag seines sechzehnten Geburtstages. Ein plötzlicher Einschnitt zwischen den verschwommenen Stunden. Koumei hasste Geburtstage. Sie waren so anstrengend. Zu viel für ihn und schrecklich ermüdend. Diese ganzen Menschen, die ihm ihre herzlichsten Glückwünsche aussprechen wollten… Vor allem diese Feierlichkeiten hier würden furchtbar werden, denn sechzehn war ein wichtiges Alter. Gewöhnliche Menschen des Kou Reichs wurden an diesem Tag volljährig und die jungen Männer offiziell als heiratsfähig anerkannt. Von nun an konnten sie ihr eigenes Leben führen, ohne dass ihre Familie dem Gesetz nach Einfluss auf sie erheben durfte, mit Ausnahme der Auswahl eines Partners für die Heirat. Doch danach konnten die Menschen zumindest auf dem Papier selbstständig leben und ihre eigenen Familien gründen und über sie bestimmen. Natürlich blieben viele in engem Kontakt zu ihrer alten Familie und ließen sich auch nach ihrer Kinderzeit noch stark von ihr beeinflussen, doch es gab auch durchaus viele Fälle, wo sich die jungen Leute von ihr lossagten. Natürlich liefen auch schon kleine Kinder von zu Hause fort, Koumei konnte das gut nachvollziehen, hatte er selbst diese Überlegungen manchmal bei Kouha beobachtet, aber das kam in jedem Land vor und trug nichts zum allgemeinen Brauch bei. Jedenfalls konnten einfache Bürger ab ihrem sechzehnten Lebensjahr größtenteils ihrem eigenen Willen folgen.
 

Beim Hochadel war das ein wenig anders. Die einfachen Leute beneideten sie um ihren Reichtum und ihre Macht, doch dies bedeutete nicht, dass sie jemals frei waren. Nein, eigentlich war ihr Leben sogar noch enger vorgegeben, als das des gewöhnlichen Pöbels. Zwar wurden in Adelskreisen die Ehen auch oft in diesem jungen Alter geschlossen, wenn nicht bereits vorher und es kam nicht selten vor, dass die arrangierten Hochzeiten bereits im Säuglingsalter oder gar vor der Geburt beschlossen wurden. Meist erhoffte man sich dadurch Profit, zum Beispiel politische Bündnisse mit anderen Ländern oder wirtschaftliche Vorteile. So würde es auch Hakuren ergehen, seine zukünftige Frau kam aus einem unbedeutenden, kleinen Land, welches sich mit Kou gutstellen sollte. So traurig und sinnlos. Kou hatte es nicht nötig, sich mit einem derart winzigen Land zu verbünden. Nein, sie konnten es einfach überrennen und einnehmen, wenn ihnen bald der Sinn danach stünde. Wieso musste die Tochter irgendeines ärmlichen Königs nur an Hakuren vergeben werden? Hakuyuu hätte schließlich eigentlich zuerst heiraten sollen, war er doch der ältere Bruder. Weshalb musste Hakuren also vor ihm heiraten? Weil er lediglich an der zweiten Stelle in der Thronfolge stand und demnach unwichtig genug für diese Hochzeit erschien? Wie ungerecht. Koumei war unglaublich dankbar, dass ihn selber solch ein Schicksal noch nicht erwartete, doch das konnte jeder Zeit kommen. Ja, in diesem Punkt waren sie alle beinahe noch schlimmer eingeschränkt, als die einfachen Menschen. Außerdem erlaubte einem dieses Alter nicht von zu Hause fortzugehen und nach seinem eigenen Willen zu leben, wie es das gemeine Volk tun konnte. Solange sein Vater Koutoku existierte, mussten ihm die drei Brüder Folge leisten, bis Kouen nach dessen Tod die hohe Stellung erben würde. Somit würde sich mit diesem Geburtstag eigentlich nichts in seinem Leben verändern, schon gar nicht würde er sich erwachsen fühlen. Trotzdem, dieser Anlass wurde stets besonders prunkvoll gefeiert. An sich nicht sonderlich schlimm, jedoch graute Koumei vor diesem Tag, eben wegen dieser opulenten Feier.
 

Kouen musste ihn an diesem Morgen regelrecht aus dem Bett zerren. Die aufgehende rötliche Sonne strahlte höhnisch in seine Gemächer, als wolle sie ihn ärgern. Koumei widersetzte sich mit aller Macht. Er krallte sich widerspenstig an seiner Bettdecke fest und als sein Bruder ihm diese entriss, klammerte er sich verzweifelt an den Bettpfosten. „Nein!“, heulte er und wand sich erbittert in Kouens Griff. Doch gegen die Kraft des Älteren, der mit jedem Tag stärker zu werden schien, war er einfach nicht gewappnet. Mit einem lauten Poltern stürzte er zu Boden und stieß sich den Kopf heftig an der Kante des Bettes. Das rotbraune Sandelholz war härter als seine Stirn. Benommen hockte er, nur mit einem zerknitterten Nachthemd bekleidet, auf dem hölzernen Boden und versuchte, die Situation zu begreifen. Sein rotes Haar stand ihm wild zu Berge und ließ bei seinem Anblick eher an eine Bestie, als an einen jungen Mann denken. Jammernd rieb er sich den lädierten Schädel und wischte sich einige Tränen aus den Augenwinkeln. Sein Kopf war sicherlich zersprungen, so wie er schmerzte! Aber Kouen blaffte ungnädig: „Koumei, stell dich nicht so an, so schlimm kann das nicht gewesen sein. Du hast heute Geburtstag und wirst bald erwartet! Willst du etwa, dass Vater sich ärgert? Du bist erwachsen, also verhalte dich dementsprechend. Komm jetzt! Ach, bevor ich es vergesse, alles Gute, auch wenn ich dir lieber in deinen faulen Hintern treten würde!“ Sein bedrohliches Gratulieren versank im Gähnen des jüngeren Bruders. Darauf folgten eine heftige Ohrfeige und ein sehr anstrengender Gang über die Flure ihrer Residenz, dem sich der Kleinere nicht entziehen konnte. Ja, selbst Koumeis Stöhnen, dass die grobe Behandlung ihm grade eine Gehirnerschütterung bereitet hätte, änderte nichts an Kouens zielstrebigen Schritten. Das einzige, was er knurrte war: „Bestens, hast du sonst noch ein Problem?!“ „Mir ist schlecht… ich muss mich hinlegen, sonst werde ich mich übergeben…“, hauchte Koumei  torkelnd. „Quatsch nicht!“, polterte der große Bruder und stieß ihn vorwärts.
 

Der Ältere schleppte ihn zu den Dienerinnen, die offenbar den Auftrag erhalten hatten, ihn ausnahmsweise einmal ordentlich herzurichten, so begeistert, wie sie ihn empfingen. Offenbar herrschte mehr als nur gute Laune unter den Damen, denn sie summten regelrecht vor sich hin, auch wenn es sich für gewöhnlich für Bedienstete ganz und gar nicht gehörte. Sie gratulierten ihm mit tiefen Verbeugungen und stimmten dann ein altes Wäscherinnenlied an. Die meisten besaßen nicht grade reine Stimmen. Doch dieses Grauen war nichts im Vergleich zu dem, was er danach ertragen musste: Die ausgelassenen Frauen zogen ihm das Nachthemd über den pochenden Schädel, steckten ihn unbarmherzig in einen Badezuber mit kochend heißem Wasser, zumindest kam es ihm so vor, und begannen erbarmungslos seinen dünnen Körper abzuschrubben, bis sich seine Haut schälte. Selbst der blumige Seifenduft konnte nicht darüber hinweg trösten. Anschließend wuschen sie seine verfilzten Haare. Es ziepte unerträglich, als sie zu mehreren mit grobzinkigen Kämmen auf ihn losgingen. Es war, als rissen sie ihm jede Strähne einzeln aus. Trotzdem blieb am Ende noch genug übrig, um sich schwer mit Wasser vollzusaugen. Schmerzgepeinigt ertrug er die grobe Prozedur. Mit einer ungeahnten Effizienz erledigten die Dienerinnen ihre Arbeit. Schon zogen sie ihn aus dem Wasser und wickelten ihn in weiche Handtücher. Sie zwangen ihn auf einen niedrigen Hocker und machten sich an seinen Nägeln zu schaffen. Entfernten hartnäckigen Schmutz, der sich bei Koumei immer recht lange hielt, kürzten sie und feilten sie grade. Unterdessen vergriff sich eine von ihnen abermals an seinem Haar. Fuhr unsanft mit einer viel zu feinen Bürste hindurch, bis auch die letzte Zottel geglättet war. Schließlich fasste sie die Strähnen zu einem hohen Knoten zusammen und steckte sie fest. Das ganze Konstrukt krönte sie mit einer besonders prächtigen, goldenen Haarnadel, die leider genauso schwer war, wie sie aussah. Tränen traten in seine Augen. Koumei unterdrückte nur mühsam das Verlangen, alle Haarnadeln heraus zu ziehen, so sehr schmerzte seine Kopfhaut bereits jetzt. Doch viel Zeit, um sich von den Strapazen zu erholen, blieb ihm nicht: Schon streiften sie ihm das wärmende Handtuch ab und bearbeiteten seine mittlerweile trockene Haut mit viel zu stark parfümierten Ölen, bis sie schrecklich weich wurde.
 

Langsam bekam der Junge es mit der Angst zu tun. Sie richteten ihn her, als ginge es zu einem wichtigen Staatsakt, seiner Hochzeit oder dergleichen. „Alles in Ordnung, mein Herr?“, erkundigte sich eine Dienerin pflichtbewusst und mitleidslos, als Koumei zu schwanken begann. Die verbrauchte, heiße Luft in diesem Zimmer stieg ihm zu Kopf, schließlich war dieser immer noch angeschlagen und bald bekäme er sicher eine riesige Beule dort. „Diese Hitze“, stöhnte er angestrengt und ließ sich erschöpft zu Boden sinken. Doch die Frauen kannten sein Verhalten schon zu Genüge und sorgten sich nicht sonderlich darum. Dafür verschlossen sie die Ölfläschchen und tupften etwas hautfarbene Creme auf seine tiefen Aknenarben und auf die Augenringe. Abschließend hüllten sie ihn in eng anliegende, glänzend-dunkelviolette Gewänder mit Blumenstickereien, die deutlich eleganter wirkten, als seine sonstige gelb-grüne Garderobe mit dem bestickten Gürtel und seinen geografischen Mustern. Trotzdem hätte er alles darum gegeben, seine Alltagskleidung anzuziehen. Immerhin hatte die Qual nun ein Ende. Verstört ließ sich Koumei danach von seinem Bruder abholen. Zwar ließ er sich für gewöhnlich immer von den emsigen Frauen ankleiden, aber nie hatten sie ihn derart gefoltert und so vornehm zurechtgemacht. Scheinbar war es Kouen in der Zwischenzeit nicht besser ergangen. Der Kerl sah ebenfalls ordentlicher aus als sonst. Eigentlich hatte Koumei bereits nach dieser quälenden Prozedur genug von diesem Tag. Er roch schlimmer, als die zahlreichen Haremsdamen beziehungsweise Ehefrauen seines Vaters und sah mit Sicherheit nicht viel besser aus.
 

Natürlich reichte das noch nicht: Mittlerweile stand die Sonne hoch am Mittagshimmel. Sein Magen glich einem bodenlosen Loch und knurrte hungriger als ein Tiger. Kouen schleifte ihn in den Speisesaal, aus dem bereits der Geruch nach einem feudalen Festmahl drang. Sie schritten in die große Halle, wo sich die Gäste bereits in Reih und Glied, wie es in Kou üblich war, aufgestellt hatten. Überraschend viele Menschen - nicht gut. Diese Ordnung zerfiel jedoch schnell, sobald die Brüder ihren Weg zu der festlich gedeckten Tafel entlang schritten. Koumei mochte es nicht, derart von der überraschenden Menge an Menschen angestarrt zu werden und ließ sich erschöpft auf seinen Platz fallen, wo er aber sogleich von allen Seiten bedrängt wurde. Zuerst von seinen Brüdern, die ihn stolz anstrahlten. Zumindest tat das der kleine Kouha, der ihn lachend umarmte und blauäugig fragte, wie man nur so alt werden konnte. Mit Kouen hatte er es sich für diesen Tag wahrscheinlich verdorben. Dann erschien sein Vater. Koumei verspürte  keine überschwängliche Freude, allerdings sollte er sich geehrt fühlen, dass der hohe Herr sich dazu herab ließ, ihm zu gratulieren. Ja, zu diesem Anlass musste selbst er sich um seine Söhne kümmern und sie nicht nur herumkommandieren und mit Schlägen zu Recht weisen, wenn ihm etwas nicht gefiel. Alle Bewohner des Hauses waren anwesend. Niemand hatte es sich nehmen lassen, sich für diesen festlichen Anlass herauszuputzen. Dabei hatte er doch lediglich Geburtstag! Die zahlreichen Schwestern wagten sich deutlich zögerlicher an ihn heran, sahen aber noch blendender aus als alle anderen. Daneben gab es noch einige Staatsgäste, die bei ihnen untergekommen waren. Weshalb wohnten sie nicht im Palast der Hauptstadt Rakushou bei Onkel Hakutoku? Furchtbar. Immerhin waren der Kaiser, seine Frau und seine Söhne, sowie Hakuei nicht anwesend, damit hätte dieses Fest noch mehr an Wichtigkeit gewonnen. Eigentlich wunderte ihn dieser seltsame Umstand, für gewöhnlich ließ Kaiser Hakutoku es sich nicht nehmen, Familienfesten beizuwohnen. Doch all dies hatte eigentlich keine Bedeutung für ihn. Er wollte nur Hakuren sehen. Aber dieser zeigte sich ebenfalls nicht an der großen Tafel, beladen mit allerhand Köstlichkeiten, nur für ihn.
 

Der Geruch war göttlich. Er erinnerte an eine kleine Weltreise, so viele verschiedene Dinge hatten die Köche aufgetischt. Unzählige edle Gewürze und Kräuter, deren Duft die Luft ihrer Residenz nicht jeden Tag erfüllte. Warmer Zimt, scharfer Ingwer, würziger Kardamom, süße Vanille, fruchtiges Curry, erdiger Kreuzkümmel, Koriander, Nelken, Zitronengras... zu viel um alles zu bestimmen. Die Speisen waren herrlich angerichtet und es gab so viele, dass man sicherlich das ganze Reich davon hätte ernähren können, wie es den Anschein machte. Exotisches Obst, eingelegtes, gesottenes, gebratenes, gegrilltes Gemüse, Wurzeln, Sprossen, sämtliche Getreidearten als Brot, Brei oder gekocht, Fisch in allen Formen, unendlich viele Gebäcksorten, süß und herzhaft, der übliche Duftreis in ausufernden Mengen, sodass ihm unbewusst das Wasser im Munde zusammen lief. Den Nachtisch noch gar nicht mitgezählt. Da standen kandierte Früchte, wieder haufenweise Gebäck, Bohnenmus, Klößchen, Pudding, Zuckerrohr, süßer Reis mit Zimt, Vanille und Safran und Dinge, die er noch nie gesehen hatte. Selbst gebratenes Fleisch gab es, was sonst nur zu wichtigen Anlässen serviert wurde. Nun ein Geburtstag zählte ebenfalls dazu. Eigentlich gab es viele wichtige Anlässe im Hause Ren… Zu diesem Zeitpunkt schien es ihm unvorstellbar, dass ihn bald, alleine bei dem Geruch nach verbranntem Fleisch, kaltes Entsetzen erfüllen sollte und Übelkeit ihn mit brutaler Macht zu Boden zwingen würde. Noch erschien ihm das reichhaltige Nahrungsmittel allerdings äußerst verlockend. Dennoch, all dies interessierte ihn kaum. Er fühlte sich fehl an dieser übersättigten Tafel. Sie, die Oberschicht, der Adel, schlugen sich hier mit noch nicht einmal der Hälfte der Speisen die Bäuche voll, während ein Teil der Bevölkerung in Armut lebte und Hunger litt. Die Reste dieses Festmahls würden den Schweinen zum Fraß vorgeworfen oder entsorgt werden. Das war ernüchternd. Was für eine Verschwendung, wenn ich das hier geplant hätte, würde ich grade mal die Hälfte von allem auftischen. Und das würde immer noch für die doppelte Zahl an Menschen genügen, überlegte er angewidert, auch wenn er diese vielfältigen Gerüche herrlich fand.
 

Koumei seufzte. Wie sollte er diesen Tag überstehen? Alles erschien im so hoffnungslos übertrieben. Warum diese Mühen? Er war ohnehin nur eine Enttäuschung für seinen Vater, im Gegensatz zu Kouen, der in seinem Alter bereits zwei Metallgefäße und ebenso viele Dschinns sein Eigen nannte. Sein Bruder war aktiv und stark, dabei auch noch klug und genauso wissbegierig, wie Koumei. Zeigte sich nie müde oder schwach. Neben ihm erschien Koumei mit seiner Schläfrigkeit und Schwäche, wie eine Strafe Gottes. Weshalb betrieben sie einen derartigen Aufwand für ihn? Er war nur das schwarze Schaf der Familie, dass nichts konnte, außer Wissen in sich aufzunehmen. Wieso wollten sie seinen Geburtstag mit all diesem verschwenderischen Aufwand feiern, wo er sich ohnehin nichts daraus machte? Er wollte nur bei Hakuren sein und neben ihm im Garten auf der weichen Wiese liegen. Aber wo war er bloß? Er konnte noch nicht abgereist sein.
 

Viel Zeit, um nach seinem Freund zu suchen, nach welchem er sich bereits schrecklich sehnte, vergönnte man ihm nicht. Nachdem sich alle Versammelten um die fürstliche Tafel niedergelassen hatten, folgten die traditionellen Reden von gefühlt mindestens der Hälfte aller Anwesenden. Als erstes sprach sein Vater. Die dröhnenden, pompösen Sätze zogen an seinen Ohren vorbei wie Nebelschwaden, während sich einzelne Wörter in seinen Geist drängten: Erwachsen, intelligent, hohe Erwartungen, vielversprechend, verantwortungsbewusst, was gab es nicht sonst noch alles. Diese elende Heuchelei. Nun es käme ja nicht in Frage, den Gästen irgendetwas Negatives über den eigenen Sohn zu erzählen, von dem Koutoku schwer enttäuscht war. Nach ihm kamen irgendwelche Staatsgäste, die wohl meinten sich bei seinem Vater einschmeicheln zu müssen, denn ihre Worte hatten weder angemessen viel mit Koumei, noch mit Geburtstagswünschen zu tun. Zwar nahmen sie sein Älterwerden als Anlass für ihr widerliches Geschwafel, aber wirklich behandeln taten sie dieses dann nicht. Stattdessen priesen sie die Macht Kous, die Gastfreundschaft seines Vaters, sowie die Schönheit ihres Hauses und beteuerten ihre Freude über das Wohlergehen des Landes. Natürlich wünschten sie sich alle von ganzem Herzen, dass es Kou auch in Zukunft derart gut gehen würde. Sicherlich, sie wollten ganz bestimmt keine Macht für ihre eigenen Staaten. Wie verlogen. Koumei konnte die Augen kaum mehr offenhalten und gähnte unauffällig hinter vorgehaltener Hand. Diese ekelerregende Heuchelei ermüdete ihn. Es hätte ihn auch überrascht, wenn so viele Menschen alleine für ihn eine Rede halten würden. Doch eigentlich störte es ihn nicht besonders, denn so konnte er immerhin still und heimlich in angenehmeren Tagträumen von Büchern, Tauben und Hakuren versinken.
 

Als sein Vater schließlich das Festmahl eröffnete, schreckte er auf. Mit derart vielen Menschen zu speisen erforderte einigen Aufwand für die Dienerschaft. Überall wuselten Sklaven herum, um Wein nachzuschenken, Dinge nachzureichen oder Platten aufzufüllen. Der Alkohol sorgte für einen sehr hohen Geräuschpegel und fallende Hemmungen. Von einem streng formellen Festmahl, ließ sich nichts mehr bemerken. Folglich glich das Essen für den jungen Mann mehr einer Qual, als einem Vergnügen, auch wenn die meisten der Anwesenden es als ebendieses ansahen. Koumei rührte kaum etwas an, war ihm über der unnötigen Völlerei der Gäste schnell der Appetit vergangen. Außerdem setzte ihm der Trubel arg zu. Dabei hatte sein Magen vorhin lautstark seinen Hunger verkündet, doch nun schien es, als könnte er einfach nichts mehr zu sich nehmen. Es tat ihm Leid um die köstlichen Speisen, doch das Einzige, was er aß, waren ein paar Gemüsestückchen, etwas Reis und Tintenfisch. Den herrlichen Geschmack nahm er kaum zur Kenntnis, für gewöhnlich wäre er verzückt gewesen. Von den exotischen Früchten oder Gebäckstücken brachte er nichts herunter, erst recht keinen Nachtisch mehr. Von Kouha ließ er sich lediglich dazu überreden, ein Stück Geflügel zu probieren. Es schmeckte recht gut, doch er hätte wissen müssen, dass sein kleiner Bruder wieder etwas im Schilde führte, so sehr wie er bei seinem Biss in das saftige Fleisch kicherte. Für einen Achtjährigen konnte Kouha sehr grausam sein. „Es ist Taube, Mei und du hast sie gegessen!“, sprudelte es schließlich aus seinem verrückten Bruder hervor. Entsetzt schob Koumei seinen Teller von sich. Die verzierten Essstäbchen fielen klappernd aus seinem, plötzlich erschlafften, Griff. Das zarte Fleisch, von dem er nur einen winzigen Bissen gekostet hatte, schien ihm plötzlich wie ein Stein im Magen zu liegen. Tränen stiegen ihm in die Augen. Seine geliebten Tauben! Was, wenn jemand seine zahmen Brieftauben geschlachtet und zubereitet hatte? Nein, das würden sie nicht wagen, oder? Aber vollkommen sicher war er nicht und Taube war Taube, die konnte er unmöglich essen, egal ob er die Tiere gekannt hatte oder nicht. Es schnürte ihm die Kehle zu. Wütend funkelte er Kouha an, wagte jedoch nicht, ihn zu Recht zu weisen, denn sein Vater schaute scheinbar zufällig zu ihnen hinüber und runzelte missbilligend die Stirn. Ohnehin hatte er viel zu viel Mühe damit, die Tränen zurückzuhalten. Nicht nur wegen dem Taubenfleisch, sondern weil dieser Tag ihm einfach zu wider war. Die heuchelnden Gäste, sein höllisch unbequemer Aufzug und all dieser pompöse Quatsch. Schnell starrte er auf seinen leeren Teller. So entging ihm tragischer Weise Kouhas reuevoller Blick, der eine wahre Seltenheit darstellte. Doch Koumei wünschte sich lediglich, dass dieses Bankett endlich enden möge.
 

Sein Wunsch brauchte lange, bis er erfüllt wurde. Als endlich alle Anwesenden mit vollem Bauch und bereits angeheitert auf ihren Plätzen saßen, träumte Koumei schon längere Zeit von seinem Bett. Schlaf konnte er gut gebrauchen. Äußerlich hatte er sich die geistige Abwesenheit allerdings nicht anmerken lassen. Hoffentlich, so kritisch wie Kouen zu ihm herüber schaute, konnte er sich da nicht vollkommen sicher sein. Schließlich erhob sich die Gesellschaft und Koutoku rief seinen Sohn zu sich, da er nun die Geschenke überreicht bekommen sollte. Die Gäste stellten sich ordentlich auf und Koumei wurde gezwungen, von jedem persönlich die Gaben entgegenzunehmen. Sicherlich ärgerten die Staatsgäste sich, dass sie zu dem ungünstigen Zeitpunkt seines Geburtstags in Kou weilten, so mussten auch sie, obwohl Koumei noch nicht einmal die Namen von allen kannte, ihm etwas darbringen. Andererseits fanden sie es wahrscheinlich hochinteressant, zu sehen, was er alles geschenkt bekam. Oh nein, das halte ich nicht durch…, dachte er gequält, als er die endlose Reihe erblickte. Ja, auch diese Prozedur stellte sich in ihrer Langwierigkeit als außerordentliche Folter heraus. Zuerst überreichte ihm sein Vater etwas oder besser gesagt, er ließ es hereinbringen. Da waren etliche wertvolle Bücher und Schriftrollen, viele mit Blattgold verziert und in dickes Ochsenleder eingebunden. Einige davon mussten sehr alt sein, wieder andere wirkten vollkommen neu. Natürlich waren es keine Sagen, Legenden oder vergnügliche Geschichten, sondern informative Sachtexte über Militärstrategie, Regierungsgeschäfte und womit sich Koumei nicht noch alles herumplagen musste. Nicht, dass es ihm keinen Spaß gemacht hätte, aber immer nur zum Lernen ermutigt zu werden, gefiel nicht einmal ihm. Lieber hätte er auch ein wenig seichtere Lektüre bekommen, um sich ab und an einmal damit im Bett zu entspannen, denn das war ihm noch heiliger, als alte Schriften zu studieren. Auch der edle Pferdezaum, den Koutoku ihm selbstzufrieden zeigte, erschien Koumei nicht sonderlich verlockend. Er hatte nichts gegen die Tiere, doch reiten mochte er nicht allzu gerne, musste er sich dafür doch in die freie Natur begeben. Außerdem taten ihm die Pferde leid, da sie ihre schweren Reiter unermüdlich auf ihrem Rücken dulden mussten. Er besaß selbst eine graue Stute namens Rai, sie war ein früheres Geburtstagsgeschenk gewesen, ein temperamentvolles Warmblut mit einem freundlichen Wesen, doch er besuchte sie bei weitem nicht so oft wie die possierlichen Tauben, die Koumeis träger Art eher entsprachen, als das aufgeweckte Pferd, welches viel zu gerne galoppierte. Folglich ritt er kaum jemals mit ihr aus, es sei denn Hakuren begleitete ihn. Nein, es war einfach nicht sein Ding, gefiel ihm nicht, fürchtete er bei derartigen Geschwindigkeiten immer einen schmerzhaften Sturz.
 

Danach hatte sein Vater nichts mehr für ihn und wechselte den Platz mit Kouen, der ihm eine wunderschöne Schriftrolle mit uralten Mythen, die er selbst gerne studierte, schenkte. Koumei freute sich deutlich mehr darüber, als über die Geschenke seines Vaters, selbst als Kouha ihm einen schlecht geflochtenen Blumenkranz in die Hand drückte, fand er diesen besser. Seine Schwestern schenkten ihm das übliche, das er niemals anrühren würde. Schönheitstinkturen, Tiegel mit angeblichen Wundermittelchen, wohltuende Salben, duftendes Körperöl und Sandelholz-Räucherstäbchen. Für letztere würde er vielleicht Verwendung finden, empfand er ihren Geruch manchmal als recht angenehm. Als letztes kam Kougyoku an die Reihe und hielt ihm nervös ein Fläschchen selbstgemachtes Duftwasser hin. Mit ihren acht Jahren dachte sie natürlich, dass alle möglichen Blätter und Blüten aus dem Garten, vermengt und in Wasser getaucht, eine herrliche Komposition abgaben. Koumei hatte bereits allerhand üble Erfahrungen hinsichtlich des unangenehmen Geruchs dieser Mischungen gemacht, rang sich bei seiner schüchternsten Schwester jedoch ein müdes Lächeln ab.
 

Auf die Verwandtschaft folgten die Gäste. Zum Beispiel die Gesandten aus Reim, welche einen merkwürdig benommenen Eindruck machten. Seltsam, bei ihrer Ankunft vor ein paar Tagen hatten sie noch völlig normal gewirkt. Der eine hustete unterdrückt, sobald er sein Geschenk übergeben hatte und der andere zitterte leicht, als fiele ihm das lange Stehen schwer. Es waren winzige Zeichen der Schwäche, aber Koumei jagten sie einen unerklärlichen Schauder über den Rücken. Für einen unbedeutenden Moment verspürte er den Wunsch, sich die Hände zu waschen, was für ihn doch eher ungewöhnlich war. Allerdings konnte er nicht lange darüber nachdenken, denn es gab noch viele andere fremdländische Leute, die seine Aufmerksamkeit forderten. Koumei konnte ihre schiere Menge kaum ertragen. Sie schenkten kostbare Seidenroben, andere Kleidungsstücke, erlesene Feinkost aus ihrer Heimat, Schmuck aus Elfenbein, Gold oder anderen teuren Materialien und was es nicht sonst noch alles gab, um den Reichtum des eigenen Landes oder der Familie zur Schau zu stellen. Einige überreichten ihm sogar seltene Rassetauben, worüber sich Koumei dann doch ernstlich freute.
 

Schließlich hatte er die Qualen überstanden. Die Menge zerstreute sich wieder und Gespräche entwickelten sich. Einige Leute suchten Koumeis Nähe und wollten mit ihm reden, doch die Konversationen dauerten kaum länger an, als ein paar knappe, distanzierte Sätze. Kouha kam zu ihm gekrochen und bettelte um Aufmerksamkeit, weshalb er sogleich von ein paar Dienerinnen bei Seite gezerrt wurde. Kourin, eine seiner Schwestern wechselte einige freundliche Worte mit ihm, doch selbst mit einigermaßen vertrauten Geschwistern wollte Koumei heute nicht reden. Kouen strafte ihn lediglich mit bösen Blicken wegen dem morgendlichen Theater. So zog sich der junge Mann erschöpft in eine etwas weniger belebte Ecke des Saals zurück, während die Stimmung um ihn herum immer ausgelassener wurde. Koumei jedoch konnte sich nicht an dem Lachen der Menge beteiligen. Er fühlte sich nicht als Teil dieser heiteren Gesellschaft, die unter den freundlichen Worten lediglich versteckten Groll und Neid auf andere verbarg. Zudem schmerzte sein Kopf mittlerweile höllisch. Aber sein größtes Problem waren nicht länger die Anwesenden: Dass Hakuren bis jetzt einfach nicht erschienen war, nagte an ihm. Was, bei allen Rukh dieser Welt, konnte nur der Grund dafür sein?

 

*
 

 

*~*


Nachwort zu diesem Kapitel:
Falls jemand hierzu eine Meinung hat, ist sie immer gerne gesehen, egal ob positiv oder negativ :) Komplett anzeigen

Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück