Was die Hitze des Sommers nicht alles bewirken kann... von Mondsicheldrache (The Vessel and the Fallen 1) ================================================================================ Kapitel 8: Schauspiel ---------------------   *~* Koumei hatte langsam genug. Wieso war der Hohepriester immer noch in seinem Zimmer und störte ihn bei der Arbeit? Nicht, dass er sich momentan zu derartigen Anstrengungen in der Lage fühlte, aber dennoch… wenigstens ein wenig Schlaf sollte der andere ihm nach all der Aufregung gönnen. Ihn alleine lassen. Die Tauben stritten sich draußen immer noch um die ausgestreuten Körner. Bei dieser Hitze! Ermüdend. Seine Lieder wurden so schwer… Hätte er jetzt nur sein Metallgefäß griffbereit, dann hätte er den Magi wie üblich vor die Tür gesetzt. Manchmal schien diese spezielle Magie wirklich wie für ihn geschaffen. Mit ihr konnte man sich seine Ruhe nehmen, wann man sie brauchte. Ohne sich selbst großartig anzustrengen. Nicht, dass er dem Magi nicht dankbar für das Essen wäre. Ohne wäre er wahrscheinlich bald zusammengebrochen. Außerdem hatte er heute für kurze Zeit bewiesen, dass er doch nicht so kindisch und verhätschelt war, wie es immer den Anschein machte. Die aggressive Art für ein paar Sekunden gegen echte Sorge eingetauscht. Doch nun reichte es dem Prinzen mit der störenden Gesellschaft. Auch wenn Judar sich noch friedlich und für seine Verhältnisse mehr als erträglich verhielt, heute war ihm alles zu viel. Aber statt endlich den Raum zu verlassen, stand der Priester immer noch hinter ihm. Starrte auf seinen Hinterkopf, mit einer Intensität, dass er sie beinahe spüren konnte. Unzufrieden. Brennend. Wie das blutige Rot seiner Augen. Ungewöhnlich. Aber Koumei konnte sich denken, was in ihm vorging. Wusste, was er wollte. Diesen Blick hatte er lange nicht mehr an seinem Magi gesehen. Er konnte nur eines bedeuten. Zumindest vermutete er es. Aber das konnte nichts Gutes verheißen… er sollte ihn einfach ignorieren. Plötzlich richtete er sich auf. Trotz der quälenden Müdigkeit bemerkte er, wie sich sein Geist klärte. Wie Nebelschleier über einer weiten Ebene, davon getragen von einem belebenden Windhauch. Es war merkwürdig. Die meiste Zeit hing er schläfrig über seiner Arbeit und dann…von einem Moment auf den anderen, wenn es darauf ankam, wurde sein Verstand messerscharf. Berechnend und kalt. Ein wenig beunruhigend. Nun gut, eigentlich lediglich befremdlich. Aber solange es seinem Bruder und dem Reich half, wollte er sich nicht beschweren. Fragte sich nur, was er jetzt mit diesem plötzlichen Aufmerksamkeitsschub anfangen sollte. Auf einmal zuckte er zusammen. Dieser unverschämte Magi. Da gruben sich wieder diese ungeschickten Hände in sein Haar! Ziepten und zerrten durch die verknoteten roten Strähnen. Aufdringlich und grenzüberschreitend. „Judar, was soll das?“, protestierte er. „Du ignorierst mich“, keifte es ihm prompt entgegen. „Und du könntest eine Bürste vertragen!“ Koumei fühlte, wie sich ein schmales Lächeln in sein Gesicht stahl. „Tue ich das nicht immer, falls ich noch Arbeit zu erledigen habe? Weißt du, nicht jeder kann den ganzen Tag in der Gegend herumstreunen, Leute belästigen und tun und lassen was er will. Außerdem ist das Aussehen nebensächlich, wenn man dabei ist, wichtige Pläne zu verfassen.“  Die Miene des Jüngeren verfinsterte sich schlagartig. „Ich streune nicht herum und belästigt habe ich auch niemanden!“, gab er beleidigt zurück. Koumei nickte mit hochgezogenen Augenbrauen. Das konnte Judar jemand anderem unter die Nase reiben, aber ganz sicher nicht ihm, dem zweiten kaiserlichen Prinzen. Aber es störte ihn nicht. Anscheinend hatte er doch Interesse daran gefunden, sich mit dem Magi zu unterhalten. Nein, stellte er plötzlich fest, eher zu streiten. Wobei, das ist nicht das richtige Wort. Ich habe Lust, ihn ein wenig zu reizen. Mit ihm zu spielen. Mal schauen, wie er darauf reagiert. Verwundert über seine aufbrandende Energie schüttelte er den Kopf. Das war ganz und gar nicht gerechtfertigt. Nicht seine Art. Eigentlich wollte er alleine sein und noch ein wenig schlafen, bevor Kouen ihn beim Nichtstun entlarvte und bestrafte. Da spürte er einen unangenehmen Druck an seiner Schulter. Etwas Hartes. Der Magi lehnte sich provozierend gegen ihn, wie er es so gerne tat. Plötzlich fiel etwas Schweres auf seinen Kopf. „Au!“, entfuhr es ihm beinahe erschrocken, als er das kleine Fläschchen bemerkte, welches nach dem Aufprall direkt in seiner offenen Hand gelandet war. Judar stieß einen Laut des Erstaunens aus und langte nach seinem Besitz. Doch Koumei wich ihm aus. Momentan konnte er sich ausnahmsweise auf seine Reaktionen verlassen. Neugierig betrachtete er den Flakon. Pfirsich-Haaröl? Das hatte also in Judars Schultertuch gesteckt. Wozu, bei allen Rukh in dieser Welt, brauchte der Priester Haaröl? Für Damen? Noch dazu mit „erlesensten Pfirsichessenzen“, wie es das feine Etikett versprach? Natürlich, Judars Vorliebe für das süße Obst war im Palast ein offenes Geheimnis, so oft wie die, mit den Kernen der Früchte abgeworfenen, Wachen sich bei Kouen beklagten. Außerdem wusste jeder, dass er, wenn es um seine Haare ging, äußerst eigen war. Wer konnte schon sagen, was er alles anstellte, damit es so lang und glänzend wuchs. Allerdings…der edle Flakon kam ihm bekannt vor. Er hatte ihn bereits einmal gesehen. Bloß wo? Eine übliche Ware in ihrem Reich war das sicherlich nicht. Solch ein unnützes Luxusgut. Ah, Prinzessin Kougyoku hatte ihnen allen davon vorgeschwärmt, als sie es von König Sindbad geschenkt bekommen hatte. Angeblich ein ziemlich teures Produkt. In Sindria lebten die Menschen scheinbar in ungebrochenem Wohlstand, wenn sie für etwas derart überflüssiges so viel Geld ausgaben. Kein Wunder, dass Judar daran interessiert war. Es vereinte wahrscheinlich viele der Dinge, die ihm gefielen. So gewitzt, wie er seinen Priester kannte, hatte er es der Prinzessin mit Sicherheit gestohlen. Aus welchem Grund auch immer. Wahrscheinlich lediglich aus Langeweile. Wieder griffen die kräftigen Finger in sein Haar. Unsanft. Störrisch. Zogen mit Absicht daran. „Wie kann man nur so ein ungepflegter Zottel sein?“, murrte Judar unzufrieden. „Das Haarzeugs von der alten Vettel solltest lieber du benutzen, du hast es bitter nötig!“ An jedem anderen Tag, hätte Koumei die Tortur ohne größere Klagen über sich ergehen lassen, da er schlicht zu müde war. Oder er hätte sich der Störung mit Dantalions Hilfe entledigt. An diesem Abend jedoch… Ohne Vorwarnung schnellte seine Hand nach oben. Fing die Handgelenke des Magi ab, bevor dieser begriff, was geschehen war. Ließ sich nach hinten fallen, als wäre er zu erschöpft, um noch länger Sitzen zu können. Zog an Judars Armen. Spürte dessen erschrockenen Widerstand. Ja, der ungehobelte Magi konnte es nicht haben, wenn ein andere die Kontrolle übernahm. Nun, vielleicht befürchtete er lediglich einen erneuten Schwindelanfall von seinem Königskandidaten. Wie amüsant. Er würde sich noch wundern. Einen hämischen Gedanken konnte er nicht unterdrücken. Was er über all die Jahre hatte ertragen müssen… Mitten in der Nacht aus dem wohlverdienten Schlaf geschreckt, weil der Gefallene meinte, irgendwo Unheil und Zerstörung anrichten zu müssen. Gefolgt vom Schreien und Tumult unter den aufgescheuchten Wachen. Morgens grob geweckt, weil Judar mit seinen übrigen Königskandidaten stritt. Sie ankeifte, bis die Wände wackelten und an Schlaf nicht mehr zu denken war. Mittags von der Arbeit abgehalten, weil er unerwünschten Besuch bekam. Der ihn die ganze Zeit über mit diesen stechenden roten Augen musterte. Abends so entnervt von dem aufdringlichen Verhalten des Hohepriesters, dass er die Rechnungen und Papiere verzweifelt aufgab, um sich seiner endlich zu entledigen. Seine Dschinnausstattung und Dantalions Kräfte für so etwas Kleinliches verschwendete. Eine weitere Nacht in der er mit der Gewissheit ruhen musste, sein Reich vernachlässigt zu haben. Aus diesem nichtigen Grund. Nur wegen Judar... Da war eine Revanche ab und an durchaus legitim. Na, Judar, ist es das, was du wolltest?   *~*   ~*~ Überrascht beobachtete Judar, wie sein Königsgefäß mit einem Mal zu Boden sank. Ohne Vorwarnung. Wurde von den schlanken Fingern, die seine Handgelenke umklammerten, mit hinab gezogen. Der schwarze Magi war sofort alarmiert. Verdammt, schon wieder die Hitze? Oder hatte er zu wenig getrunken? Wenn man den geflüsterten Privatgesprächen zwischen Kouen und dem kleinen Kouha lauschte, hatte der Zottel manchmal ein Problem damit, für sich selbst zu sorgen. Besonders in der heißen Sommerzeit hier in Balbadd, konnte einem Nahrungs- oder Wassermangel zum Verhängnis werden. Eine echte Gefahr für Koumei. Immerhin war er noch bei Bewusstsein. „He, alter Zottel, kannst du mich hören?“, drängte er angespannt. Die hellen Augen begegneten unsicher seinem Blick. „Ah… diese Hitze!“, stöhnte der Angesprochene nur und wand sich mit sichtlichem Unwohlsein auf den Holzdielen. Schweißperlen standen auf seiner Stirn. Die verrutschten Gewänder entblößten eine sich angestrengt hebende und senkende Brust. Die Haut totenblass. Mist, dabei hatte er ihm doch schon Wasser und diese Tintenfischdinger gegeben und es ging ihm immer noch nicht besser? „K-Koumei?“, fragte Judar mit zitternder Stimme. „Was soll ich tun?“ Träge Augen blickten unter langen Wimpern halb geschlossen zu ihm auf. Schienen ihn kaum noch zu erkennen. „Dantalion…“, keuchte der Prinz. Sein Atem ging nur noch stockend. Sofort sprang der Magi auf. Eilte zu der Stelle, an der der Fächer einsam am Boden lag und schnappte sich das Metallgefäß. Nun bekam er doch wieder Panik. Dieses Mal war es sicher kein Schlafmangel mehr, der dazu kam. Seinem Königskandidaten schien es wirklich schlecht zu gehen. Schnell stürmte er zurück zu dem Liegenden und drückte ihm den Fächer in die bebende Hand. „Was hast du?“, zischte er angstvoll und fragte sich, wieso der Zottel nicht sogleich Gebrauch von dem Metallgefäß machte. Konnte es ihm überhaupt noch helfen? „He, antworte gefälligst!“, fauchte er besorgt. Doch er erhielt nur ein undeutliches Ächzen. Dann fiel der Kopf des Prinzen zur Seite und er verstummte. Die Hand, die krampfhaft den Fächer umklammert hielt, schlug kraftlos gegen Judars Knie. Verdammt, er hatte keine Ahnung, was er machen sollte! „K-Koumei? Hallo?!“ Er schüttelte den reglosen Mann. Keine Reaktion. Genau wie eben. Irgendetwas stimmte nicht mit seinem Königskandidaten. Angst krallte sich wieder in seine Brust wie ein Tiger. Ließ sie nicht mehr los und drohte, ihn zu ersticken. Es half nichts. Er musste Hilfe holen. Kouen oder irgendjemand anderen. Kam alleine nicht weiter. „Warte hier“, rief er nervös, „ich komme sofort zurück!“  Damit stob er zum Ausgang. Dabei entging ihm bedauerlicherweise das verräterische Zucken der, gar nicht mal so kraftlosen, Augenlider seines Königsgefäßes. Heimtückisch und nichts Gutes verheißend. Aber Judar eilte nur panisch davon. Doch weit sollte er nicht kommen. Bevor er die Tür auch nur annähernd erreicht hatte, blitzte ein goldener Lichtkreis genau vor ihm auf. Mitten in seinem Weg. Er taumelte direkt hinein. Wollte anhalten. Zu spät. Sternenlicht. Er war für eine Sekunde geblendet. Stürzte schwer atmend hinaus. Prallte gegen etwas Unerwartetes. Hartes. Unnachgiebiges. Spürte etwas Weiches in sein Gesicht wehen. Der sanfte Geruch nach Kirschblüten und altem Papier hüllte ihn ein. Rot. Ungläubig blinzelnd wollte er zurückweichen, doch etwas hielt ihn bestimmt fest. Kühle Hände, die auf seiner erhitzten Haut brannten, strichen mit aufreizender Langsamkeit von seinen Schultern hinab über seinen unbedeckten Rücken. Lösten ein intensives Prickeln aus. Wanderten spielerisch nach vorne. Fuhren beinahe genießerisch über seine sehnigen Muskeln. Schaudernd starrte er in die roséfarbenen Augen, die ihn unter den langen Wimpern hindurch belustigt musterten. Neckend. Spöttisch. Plötzlich weder leidend verschleiert, noch schläfrig. „K-Koumei?“, brachte er geschockt hervor. Welcher Wahnsinn war denn nur in den Prinzen gefahren? Doch als Antwort kitzelten ihn lediglich die schwarzen Federn am Hals. Sofort stand ihm die verschwommene Nacht wieder vor Augen. All das Verdrängen vergebens. Er senkte verlegen den Blick. Merkte, wie ihm die Röte auf die Wangen trat. „W-Was soll das?“, keuchte er verwirrt. Solch eine überflüssige Frage, schien der erheiterte Blick des anderen zu antworten. „Nun hab dich nicht so. Du bist doch sonst nicht so leicht zu verunsichern, Priester.“ Koumeis ansonsten eher dunkle Stimme, ein helles, verhaltenes Kichern.   ~*~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)