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Was die Hitze des Sommers nicht alles bewirken kann...

The Vessel and the Fallen 1
von

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Drohung

 

~*~
 

Der schwarze Magi hasste diese Erinnerungen. Und zugleich faszinierten sie ihn. Doch da waren noch mehr ungewollte Gedankenfetzen.  Sein Blick fiel auf den herzförmigen Ohrring, der, sanft hin- und herschaukelnd, an Koumeis Hals stieß. Seinen Beobachter zu verhöhnen schien. Schwarze Rukh ballten sich um ihn herum zusammen. Wenn er seinen Gefühlen völlig nachgeben würde, hätte er ihn wohl gepackt und aus dem winzigen Loch in Koumeis Ohrläppchen herausgerissen. Bis Blut aus der Wunde tropfte. Schadenfroh. Erwartungsvoll. Was würde sein Königskandidat wohl tun, wenn Judar ausnahmsweise einmal ihn verletzte? Ja, er hatte den Prinzen immer gemocht. Trotz seiner finsteren Miene und dem ungepflegten Äußeren, das beinahe kränklich wirkte. Denn irgendwann hatte er dessen scharfe Intelligenz und die versteckte Härte unter diesem schläfrigen Antlitz entdeckt und für bewundernswert erklärt. Ihn zu seinem Königskandidaten gemacht. Aber diese Nacht… Er hatte sie so erfolgreich verdrängt. Fast vergessen. Schon viele Male war er Koumei seitdem begegnet. Als ob zwischen ihnen beiden nie etwas Derartiges geschehen wäre. Ihr Verhältnis unverändert. Gefäß und Gefallener. Eine Beziehung des Nutzens und der Regeln wegen. Weil alle Mitglieder der Familie Ren zu ihm gehörten. Er schenkte ihnen Macht. Auch Koumei. Und  sie hatten sich trotz allem gut verstanden. So wie vorher.
 

Judar wusste nicht genau warum, aber ihm schien es, als hätte Koumei als einziger schon immer ein wenig Verständnis für seine schwierige Art gehabt. Nicht viel. Auch der Zottel war meist von ihm genervt. Ihre Gespräche ebenso gereizt wie die mit seinen anderen Königsgefäßen. Doch manchmal zeigte er sich von einer zugänglichen Seite, die Judar noch nie von einem anderen Menschen dargeboten worden war. Die er bei jedem anderen auch abgelehnt hätte. Er mochte es nicht, jemanden an sich heran zulassen. Konnte niemanden an seinen Gefühlen teilhaben lassen. Selbst den alten Zottel nicht. Doch er wusste, dass dieser ihn durchschaute. Auch ohne Worte verstand, was nach all den Jahren als Werkzeug der Kaiserin immer noch in ihm vorging. Die meiste Zeit, wenn er nicht Gyokuen zu Diensten sein musste, zog Judar laut und unverschämt, wie es seinem Wesen entsprach, durch die Gegend. Aß Pfirsiche auf dem Palastdach und warf die Wachen damit ab, bis sie ihm wutgeladene Morddrohungen an den Kopf warfen. Kindisch, aber unvorstellbar spaßig. Schockierte Kouen mit seinen unvorhersehbaren Launen. Ärgerte Kougyoku und flüchtete vor Kouha. Begutachtete die Fortschritte von Hakuryuu und Hakuei mit größter Zufriedenheit. Erschuf Dungeons, wo er nur konnte und beobachtete oftmals gespannt, wer in ihnen scheiterte. Bestahl die Händler auf dem Markt von Rakushou. Trieb sich in der Welt herum und verursachte Chaos, Angst und Zerstörung.
 

Doch wenn es ihn einholte, ihm alles zu viel wurde, hatte er Koumei besucht. Sich einfach in eine Ecke gesetzt, bis ihm langweilig geworden war. Irgendwann wurden ihm die Schatten der Vergangenheit dann tatsächlich so gleichgültig, wie er immer vorgab. Dann hatte er den Prinzen stets genervt und von der Arbeit abgehalten. Daraufhin hatte ihn dieser, mit Hilfe seines Metallgefäßes, vor die Tür gesetzt. Und prompt ging es dem schwarzen Magi besser. Bald hatte er geglaubt den unglücklichen Ausrutscher zwischen ihnen beiden vergessen zu haben. Doch scheinbar hatte er sich getäuscht. Er war nach Sindria gezogen und voller Vorfreude zu seinen Leuten wiedergekehrt. Nichts Böses ahnend. Wie immer hatte er sich am meisten auf den finsteren Zottel gefreut. Ohne Hintergedanken.
 

Aber wieso waren dann die Erinnerungen heute auf einmal zurückgekehrt? Aus heiterem Himmel? Oder war etwa der Schock der Auslöser gewesen? Die Angst, einen seiner Königskandidaten zu verlieren? Er konnte es nicht sagen. Wieder zog dieser Ohrring seine ganze Aufmerksamkeit auf sich. Dieser Schmuck war nicht immer da gewesen. Zumindest nicht dort, wo er jetzt so scheinheilig baumelte. Nein. Erst nach dieser einen, verdammten Nacht.

 

*
 

Es brauchte einige Zeit, bis Judar schließlich zur Besinnung kam. Sich die schmutzige Kleidung überstreifte und unsicheren Schrittes in Richtung Palast tappte. Ihm war immer noch übel. Kotz übel. So schlimm, dass er eine Pause auf einer der zahlreichen Bänke einlegen musste. Begleitet vom zarten Plätschern eines der zahlreichen Wasserspiele. Hatte sich nochmals übergeben und versucht die schlimmsten Stacheln aus der wunden Haut zu ziehen. Hatte die losen Perlen in seiner zerkratzten Hand betrachtet. Den glänzenden Anhänger. Er fühlte sich merkwürdig leer. Völlig ausgelaugt. Verdammt, dieser dämliche Zottel! Wie konnte er es wagen? Was war da nur in sie gefahren? Wie hatte er nur so viel trinken können, obwohl er doch genau wusste, was die Folgen waren? Wie hatte er derart die Kontrolle verlieren können? Selbst seine Rukh ließen sich nur langsam wieder ansprechen. Sein Magoi floss immer noch träge dahin, unnütz und schläfrig. Ließ ihn sich seltsam nackt fühlen. An diesem Morgen hatte er sich geschworen, nie wieder einen Tropfen Alkohol anzurühren. Schließlich erhob er sich ungeschickt und setzte seinen Weg fort. Er würde erst einmal seinen Rausch ausschlafen müssen. Aber zuallererst wollte er Klarheit in das Gewirr aus zerstreuten Erinnerungsfetzen bringen. Doch dazu musste er Koumei aufsuchen. Aber etwas in ihm sträubte sich dagegen. Schämte sich. Wollte diese Nacht einfach vergessen und ihm nie wieder unter die Augen treten. Dabei scherte es ihn doch sonst nie, was andere von ihm hielten. Warum kümmerte es ihn jetzt auf einmal? Die andere Seite jedoch drängte ihn zu seinem Königsgefäß. Vielleicht nicht nur, weil er Antworten brauchte. Vielleicht, weil er…nun ja… er wusste nicht genau, was diese widersprüchlichen Gefühle, die in seinem Inneren umherschwirrten, bedeuten sollten.
 

Als er endlich vor der Tür zu den Gemächern des Prinzen stand, war er unsicher, ob er wirklich hineingehen sollte. Nicht in dieser Verfassung. Nicht in diesen dreckigen, zerfledderten Klamotten. Das erste Mal wünschte er sich, etwas weniger freizügiges zu tragen. Wollte dem anderen nicht unter die Augen treten. Vor allem nicht nach dieser Nacht. Doch er brauchte Klarheit. Dass er nicht wusste, was vorgefallen war, machte ihn ganz hibbelig. Oder war das lediglich eine Nachwirkung dieses widerlichen Pflaumenweins? Seine Rukh ließen ihn im Stich und ließen ihn wehrlos und verletzlich zurück. Kaum jemals hatte er sich derart hilflos gefühlt. Was sollte er tun? Schließlich fasste er sich ein Herz und öffnete die Schiebetür einen winzigen Spalt. Dann noch einen. Bis er unauffällig hindurchschlüpfen konnte. In dem ihm so vertrauten Raum roch es nach längst verglühten Räucherstäbchen, Papier und frischer Tinte. Wie immer. Sofort überkam ihn eine besänftigende Ruhe. Bis er sich auf sein Anliegen besann. Der Prinz saß wie gewohnt an seinem Schreibtisch und arbeitete. Schrieb mit fahrigen Handbewegungen irgendetwas nieder. Er sah aus wie immer. Moment, wieso war er schon wieder auf den Beinen und beschäftigt, wo Judar grade erst erwacht war? Und weshalb sah er nicht im Geringsten lädiert aus? Seine Gewänder schienen sogar sauberer und geordneter als sonst. Ebenso das tiefrote Haar. Verunsichert räusperte sich der junge Magi. Mit einem Mal wusste er nicht mehr, wie er ihm gegenübertreten sollte.
 

Koumeis Gesicht wandte sich mit der üblichen Langsamkeit zu ihm um. Die umschatteten Augen klitzeklein. Schlaftrunken. Nichts Neues oder gar Ungewöhnliches. Beinahe zu normal. „Na, was machst du denn hier?“, gähnte er und kratzte sich am Hinterkopf. „Das wollte ich eher dich fragen“, gab der Magi ungehalten zurück. Dabei konnte er seine Unsicherheit kaum verbergen. Es ärgerte ihn. „Arbeiten. Was sonst. Schon seit dem Morgengrauen. Wieso fragst du?“, erkundigte sich der Ältere ahnungslos. Judar runzelte die Stirn. Seine Mundwinkel sanken skeptisch herab und er verschränkte die Arme vor der Brust. Wie konnte das sein? „Ich wollte dir etwas wiederbringen“, rang er sich nach kurzem Zögern ebenfalls zu einer Antwort durch. Verwundert hob der Prinz die Augenbrauen. „Was denn? Ich vermisse nichts.“ Nun war Judar maßlos verwirrt. Nein, verärgert traf es besser. Wieso tat der alte Zottel so unwissend? Stellte er sich dumm? Als wüsste er nicht ganz genau, was in der vergangenen Nacht passiert war! Entschlossener überbrückte der Rotäugige die Distanz zwischen ihnen. „Na, das hier natürlich!“, zischte er. Anklagend ließ er das zerrissene Armband und den metallenen Anhänger vor der vernarbten Nase Koumeis baumeln.
 

Für einen winzigen Moment versteifte sich sein Königsgefäß. Erstarrte regelrecht. Doch sofort entspannte es sich wieder. Eine leise Stimme drang warm und amüsiert in Judars Ohr. So einen Tonfall hatte er von dem Prinzen noch nie gehört. Beinahe ein Schnurren: „Oh, du hast mir also mein Herz gestohlen.“ Judar versteinerte. „Wa-Was?“, stotterte er. Eine feine Röte überzog seine Wangen. Koumei lächelte verhalten und verbarg seine Augen hinter dem schwarzen Fächer. „Natürlich rein wörtlich“, fügte er fast spöttisch hinzu. Judars Gesicht brannte vor Scham. So hinterhältig kannte er seinen Königskandidaten wirklich nicht. „Du kannst es gerne behalten. Als Erinnerung. Ich brauche es nicht mehr. Es ist kaputt und ich habe noch ein anderes“, meinte dieser und schob seine Gewänder hoch. An den dünnen Handgelenken pendelten wieder zwei Armbänder, genau identisch mit dem zerstörten Schmuckstück. Verwirrt betrachtete Judar den Anhänger und die Perlen in seiner Hand. Dann pfefferte er sie wütend auf den Tisch. Die Kugeln sprangen durch den ganzen Raum. „Glaubst du ernsthaft, ich will deinen Schrott?“, fauchte er zitternd und ballte die Hände zu Fäusten. Dieser dämliche… Plötzlich bohrten sich zwei roséfarbene Augen fest in die seinen. Ein gefährliches Funkeln vertrieb den Schleier der Müdigkeit. „Was willst du, Magi?“ Die tiefe Stimme auf einmal schneidend und scharf. „Antworten.“ Judar schluckte. Seine Stimme klang seltsam heiser. Mit einem Mal spürte er seine Schwäche wieder ganz deutlich. Die Übelkeit stieg wieder in ihm auf. Doch er drängte sie entschlossen zurück. Warum ließ er sich von diesem dämlichen Zottel auf einmal so sehr einschüchtern? „Welche Antworten?“, erkundigte sich Koumei scheinheilig. Dann zuckte er unmerklich zusammen und zog mit den Schneidezähnen einen langen Dorn aus seinem Zeigefinger. Der Gefallene knurrte unterdrückt. „Das weißt du ganz genau!“
 

Die Hand des Prinzen fuhr nachdenklich durch sein langes Haar. „So?“ Judar knirschte verbissen mit den Zähnen. „Was hast du heute Nacht mit mir gemacht?“ Koumei hielt erstaunt inne. Dann brach er in gedämpftes Gelächter aus. „Ich? Machst du Witze? Bei allen Rukh auf dieser Welt! Unser Magi beliebt wahrhaft zu scherzen! Ich?“ Er hielt sich belustigt die Hand vor den Mund. „Das fragst grade du? Nein, ist das herrlich. Verzeih aber-“ „Was ist denn, nun sag schon!“, forderte Judar aufgebracht. Sein Königskandidat kicherte einfach weiter. Vielleicht hatte der Kerl immer noch mehr von dem Pflaumenzeug von gestern im Blut, als ihm anzusehen war. Koumei hatte sichtlich Mühe, einen Satz hervorzubringen ohne an seinem Lachen zu ersticken. „Du musst es ja wissen, so wie du dich gestern Nacht regelrecht an mich herangeschmissen hast…“ Judar erbleichte. „Ich habe mich nicht… das hätte ich niemals getan! Du bist doch einer meiner Königskandidaten!“, protestierte er. Doch Koumei schenkte ihm nur einen mitleidigen Blick. „Du warst ganz schön betrunken gestern. Du kannst dich an gar nichts mehr erinnern, oder?“ „Oh doch! Und ich kann dir ganz genau sagen, dass ich nicht-“, fauchte der Magi entrüstet, aber der Ältere brachte ihn mit einem scharfen Schnalzen zum Schweigen, während er mit den Resten des zerstörten Armbands herumspielte. „Du warst vollkommen benebelt, Judar. Deshalb habe ich dich mitgenommen, als ich zurück an die Arbeit gehen wollte. Scheinbar hatte ich auch ein wenig zu viel getrunken. Aber meine Idee war es sicherlich nicht, mich plötzlich an meinen Begleiter zu hängen und ihm die Kleider vom Leib zu reißen… Nun gut, ich kann nicht behaupten, dass ich vollkommen unschuldig an der Sache bin. Wahrscheinlich hätte ich dich aufhalten sollen, oder?  Nur habe ich bedauerlicherweise auch keine weiteren Einzelheiten mehr im Kopf.“
 

Entgeistert starrte der Schwarzhaarige auf den anderen hinab. Was sollte er darauf noch erwidern? Bei aller Redegewandtheit, er hatte keine Ahnung, ob das falsch war oder stimmte. Und er schätzte Koumei nicht als Lügner ein. Der Prinz seufzte verständnisvoll. „Ich kann verstehen, dass du das nicht wahrhaben willst, aber so ist es nun einmal gewesen. Weißt du, in deinem eigenen Interesse solltest du das alles so schnell wie möglich vergessen.“ „Wie um alles in der Welt soll ich das bitte vergessen, verdammt noch mal?“, jaulte Judar entsetzt. „Ist das meine Sorge?“, schnappte Koumei ungewohnt harsch und erhob sich. Sein finsterer Blick eine unausgesprochene Drohung. „Dieser Vorfall bleibt in diesem Zimmer. Verlässt niemals diesen Raum. Du wirst dich davor hüten irgendjemandem auch nur ein Sterbenswörtchen davon zu erzählen, hast du mich verstanden, Priester?“
 

Judar wich unwillkürlich einen Schritt zurück. Doch Koumei folgte ihm, sein Metallgefäß in der Hand. Rote Haare kitzelten verlockend seinen Hals, als er sich zu ihm hinüber beugte, dass er die Narben zählen konnte. „Ich habe dich gefragt, ob du mich verstanden hast“, wiederholte Koumei verwarnend. Warmer Atem streifte seine Wange und ließ ihn erschaudern. Brannte. Verdammt, er konnte nicht mehr. Musste sofort hier weg. „J-ja, ich versprech‘s dir“, erwiderte Judar schließlich, während er schleunigst auf die Tür zu stolperte. Das Gefühl, welches die Nähe seines Königsgefäßes in ihm auslöste, gefiel ihm überhaupt nicht. Oder? Und wohin war der müde Prinz verschwunden, der kaum einen ganzen Satz zu Stande brachte, ohne zu gähnen?  Woher kam plötzlich diese dunkle, berechnende Seite? Die ihn so sehr verunsicherte? Und doch auf unerklärliche Weise faszinierte?
 

Vollkommen von seinen Empfindungen überfordert trottete Judar in seine Gemächer. Er fühlte sich zerschlagen. Gedemütigt. Auf seltsame Weise sogar hintergangen. Völlig am Ende. Wollte sich nur noch in seinem Bett verkriechen, sich einrollen und Koumei nie wieder ins Gesicht sehen. Oder? Wenn er sich ehrlich war, spürte er noch etwas gänzlich anderes. Ein merkwürdig beschwingtes Gefühl. Prickelnd und stechend in seinem Herzen. Etwas, das er noch nie zuvor erlebt hatte. Was war das? Es war nicht schlecht. Aber war es deshalb sofort gut? Ach, dieses verfluchte Schicksal. Wieso konnte es nicht einmal eindeutige, einfache Situationen für ihn bereithalten?
 

Stöhnend erwachte Judar. Verschwitzt und orientierungslos. Mitten am Tag. Er musste seit gestern Morgen durchgeschlafen haben. Nun fühlte er sich überraschend ausgeruht. Bis die Ereignisse wieder über ihm zusammenbrachen. Mann, das zog ihn wirklich runter. Verdammt, er wollte sie nur noch vergessen. Gähnend stand er auf. Streckte sich wie eine Katze. Er sollte baden gehen. Seine Haare waren immer noch voller spitzer Dornen und verdreckt. Also schnappte er sich ein dünnes Nachtgewand zum Überziehen und eilte in Richtung Bad. Als er um die Ecke bog tönten ihm wohlbekannte Stimmen entgegen. Die eine tief und ehrfurchtgebietend, die andere ein wenig weicher und müde. Oh nein, er wollte ihn jetzt nicht sehen! Doch es war zu spät. Die kaiserlichen Prinzenbrüder schritten einträchtig nebeneinander dahin. Kouen stolz und stark, Koumei dagegen… nun ja… zerzaust und halb am Dösen. Sie kamen direkt auf ihn zu. Fast erwartete Judar, dass Koumei etwas sagen würde, oder ihn mit einem stechenden Blick bedenken würde, um ihn an sein Versprechen zu erinnern. Wieder stieg dieses unbeschreibliche Gefühl in ihm auf. Doch nichts dergleichen geschah. Die beiden Brüder nickten ihm lediglich beiläufig zu, als registrierten sie gar nicht, dass ihr Magi sie kritisch musterte. Dann waren sie vorbei. Plötzlich bemerkte Judar etwas Neues an dem verlotterten Prinzen. Ein metallener Anhänger baumelte fröhlich an seinem linken Ohrläppchen. Das verlorene Herz funkelte im einfallenden Sonnenlicht, als wollte es ihn auslachen. Dann verschwanden die beiden um die nächste Biegung. Das einzige was zurückblieb, war ein zarter Duft nach altem Pergament und Kirschblüten.

 

*
 

„Ist alles in Ordnung mit dir?“, zerschnitt Koumeis müde Stimme das Schweigen, welches sich unbemerkt zwischen ihnen ausgebreitet hatte, während Judar seinen unerfreulichen Erinnerungen gefolgt war. „Wenn ja, frage ich mich langsam, weshalb du mich die ganze Zeit über anstarrst.“ Judar schrak zusammen. Errötete. Wieso kamen die Erinnerungen grade jetzt? Und mit ihnen… ja mit ihnen zeigten sich auch wieder diese seltsamen Anwandlungen, besonders wenn er den Prinzen betrachtete. Nach all der Zeit, in der er sie so erfolgreich zurück gehalten hatte! Bis er überzeugt war, dass sie niemals wiederkehren würden. Aber seine Sorge um den anderen musste all die Mühe wieder zu Nichte gemacht haben. Er durfte sich nichts anmerken lassen. Seine Rukh stoben ertappt auseinander. Schnell gab er eine bissige Antwort: „Wie kommst du denn auf die blödsinnige Idee? Ich frage mich nur, ob du überhaupt noch mit deinem Metallgefäß zurechtkommst. Schließlich hockst du die ganze Zeit nur hier drinnen! Nimm dir lieber mal ein Beispiel an Kouen, der ist in deutlich besserer Verfassung als du!“ Keine Reaktion. Schnell  verdrängte er die unerwünschten Bilder und richtete seine Aufmerksamkeit auf Koumeis Fächer. Ein sichereres Thema. Der Zottel verbarg wirklich geschickt, was für eine berechnende Intelligenz hinter dieser zerzausten, schläfrigen Fassade steckte. Auch wenn es in diesem Fall frustrierend war, Judar gefiel das. Eigentlich. Er mochte mächtige Menschen. Wenn man den verlotterten zweiten Kou-Prinzen von außen betrachtete, wäre man nie darauf gekommen, wie hart er sein konnte. Niemand hätte ihn je verdächtigt, für die strenge gesetzliche Ordnung des Reiches verantwortlich zu sein oder wie er mit den Gefühlen anderer spielen konnte, wenn es darauf ankam. Wahrscheinlich nicht einmal er selbst. Dabei wirkte er immer so Menschenscheu. War das alles nur eine harmlose Fassade, um einen weitaus verschlageneren Charakter zu verhüllen? Es steckte mehr in ihm, als man dachte. Er war leicht zu unterschätzen. Aber das sollte ihn nicht davor bewahren, von seinem Magi in den Wahnsinn getrieben zu werden, beschloss Judar. Er hatte jetzt Lust dazu. Koumei konnte sich seinen heiß begehrten Schlaf sonst wo hin stecken. Er hatte es verdient. Schließlich war ihm grade erst wieder eingefallen, dass sie noch eine Rechnung offen hatten.

 

~*~


Nachwort zu diesem Kapitel:
So liebe Leser, ich hoffe, es hat euch ein bisschen gefallen.
Wer Fehler gefunden hat, egal welcher Art, darf sie mir gerne nennen. Das wäre echt toll ^^
Natürlich habe ich auch kein Problem mit sonstigen Anmerkungen. ;) Komplett anzeigen

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