Was die Hitze des Sommers nicht alles bewirken kann... von Mondsicheldrache (The Vessel and the Fallen 1) ================================================================================ Kapitel 2: Ungehorsam --------------------- ~*~     Wind peitschte ihm um die Nase. Der Geruch nach Freiheit. Ekstase durchschoss seinen Körper. Der Klang tausender Flügel. Rukh fluteten durch ihn hindurch, durchflossen die Natur. Schenkten ihr und ihm ihre Energie. Schwarze wie Weiße. Sie alle liebten ihn. Alles folgte ihrem Strom. Dem Schicksal. Doch er nicht. Er hasste sein Schicksal. War ein Gefallener. Judar, der schwarze Magi. Aber in diesem Moment empfand er reine Freude. An der Geschwindigkeit, die ihn in einen Rausch versetzte. Dem Strom der Rukh. An der Begegnung vom Vortag… Sie war zwar nicht so verlaufen, wie er es sich vorgestellt, oder gar gewünscht hatte, doch immerhin hatte er ein wenig Angst und Schrecken verbreitet. Welch einen Spaß er gehabt hatte! Wie entsetzt die dummen Soldaten ihn angeglotzt hatten, als er diesen lumpigen Schutzwall zerstört hatte. Erbärmlich. Völlig mühelos. Wie das Fliegen. Sein langer schwarzer Zopf flatterte in der Luft, wie ein Banner. Der Wind ließ seine lockere Kleidung wehen. Was für ein herrliches Gefühl. Ja, das Treffen mit den schwachköpfigen Sindrianern hatte ihn regelrecht beflügelt.   Auch die kleine Auseinandersetzung mit Ja’far, dem Berater des Königs von Sindria und der Allianz der Sieben Meere, hatte ihm gefallen. Schade, dass der König so schnell dazwischen gegangen war. Ansonsten hätte er das schwächliche Sommersprossengesicht zerfetzt! Ein Hindernis weniger, das zwischen ihm und dem König stand. Nun, das Beste war allerdings Sindbads Blick gewesen, als Judar vor versammelter Mannschaft ein kleines Schauspiel geliefert hatte. Göttlich. Dieser Vollidiot. Zuerst kalt und hart wie immer, hatte er zwischenzeitlich tatsächlich Mitleid mit ihm gehabt. Nur weil er ihnen ein bisschen aus seiner ach so tragischen Vergangenheit vorgeheult hatte! Die ihn selber nicht die Bohne interessierte. Zu köstlich. Kein Wunder, dass er irgendwann Tränen gelacht hatte. Eigentlich hatte er gehofft, den Idiotenkönig einmal alleine anzutreffen. Er wünschte sich schon so lange, in aller Ruhe gegen ihn kämpfen zu dürfen. Das wäre sicherlich äußerst spaßig. Vor allem wenn er diesen Vollidioten, der partout nicht mit ihm zusammenarbeiten wollte, besiegen würde! Dann würde dieser Trottel die ganzen Abweisungen bereuen, mit denen er den jungen Magi bedacht hatte! Aber natürlich war das nicht so leicht. Also hatte er lediglich für ein wenig Aufregung gesorgt und Sindria nebenbei im Alleingang den Krieg erklärt. Immerhin etwas.   Nun konnte Judar sich leichten Gemüts wieder zu Hause sehen lassen. Dann könnte er sich endlich mal wieder richtig entspannen. Er liebte zwar Chaos und Krieg, aber nach all der Anstrengung und Aufregung konnte ein wenig Ruhe auch nicht schaden. Ausnahmsweise. Zwar gab es auch einiges in Kou zu tun, doch das war nicht der Rede wert. Alle dort tanzten nach seiner Pfeife. Außer der Kaiser Koutoku Ren und seine Frau Gyokuen. Auf letztere freute er sich am wenigsten. Diese nervige Alte! Kommandierte ihn immer herum wie einen erbärmlichen Diener! Aber das konnte er verdrängen. Bald würde er seine Königsgefäße wieder sehen! Ob sie sich in seiner Abwesenheit verändert hatten? Würde sich bald zeigen, wer von ihnen am besten für seine Zwecke geeignet war? Wohl kaum. Aber sie alle waren äußerst vielversprechende, starke junge Menschen. Metallgefäßbändiger natürlich. Besonders der eine hatte es ihm neuerdings angetan. Er war der einzige, der immer ein kleines Mitbringsel von seinen Ausflügen nach Sindria bekam. Vielleicht, weil er der einzige war, der sich ernsthaft darüber freute oder es zumindest gebrauchen konnte. Den Besuch bei ihm würde er sich bis zum Schluss aufheben. Aber eigentlich wollte er sie alle sehen. Inzwischen hatte sogar der Kleinste einen Dschinn. Noch dazu einen überaus nützlichen und mächtigen. Welch ein Spaß es gewesen war, mit ihnen allen die verschiedensten Dungeons zu erobern. Oder eher gesagt, ihnen dabei zuzusehen. Nun gut, manchmal hatte er sie auch ein wenig unterstützt, aber mit dem Herbeirufen eines Dungeons hatte sich die Sache für ihn meist erledigt… Ach, da waren ja auch schon die Dächer der Stadt. Wieso die kaiserliche Familie momentan in Balbadd residierte, wollte ihm zwar nicht so recht einleuchten, aber endlich war er wieder dort, wo er hingehörte. Bester Laune segelte er durch die Lüfte und hielt Ausschau nach dem Stützpunkt der Kou Armee. In Balbadd kannte er sich nicht allzu gut aus. Doch hier würde er sie hoffentlich alle treffen. Suchenden Blickes glitt er über der Stadt dahin. Da! Das sah schon mal viel versprechend aus. Judar schwebte über dem palastartigen Gebäude. Keine Minute später landete er in Mitten einer Traube von Soldaten. Die heißen Pflastersteine verbrannten seine bloßen Fußsohlen. Sofort schnellte er wieder in die Luft. Sie bemerkten nichts. Der schwarze Magi lachte übermütig. Sprang über ihre Köpfe hinweg und streckte dabei, mehr versehentlich, einen von ihnen zu Boden. Die erschrockenen Rufe belustigten ihn außerordentlich. Seine Aktion endete in einem kleinen Tumult. Taumelnde Soldaten, umgeworfene Kisten, in denen dem Scheppern nach zu schließen, neue Waffen steckten und aufgescheuchtes Vieh.   Alarmierte Schreie gellten über den Hof. Bald schon fand er sich von einem Dutzend bewaffneter Männer umzingelt. Scharfe Lanzenspitzen richteten sich bedrohlich auf seine Brust und hinderten ihn daran, seinen Zauberstab aus dem weißen Tuch, welches um seine Schultern lag, zu ziehen. Die waren vielleicht angespannt! Das war ja schlimmer als in Sindria! „Was willst du, Eindringling?“, schnauzte der augenscheinlich älteste Soldat grob. Vollidioten! Erkannten sie ihn denn nicht? „Na, was denkst du denn, dämlicher Trottel?“, keifte Judar wütend. So eine respektlose Behandlung ließ er sich doch nicht von den eigenen Landsleuten gefallen. In Sindria hatte es ihn noch mit Adrenalin  und tiefer Befriedigung erfüllt, dass sie ihn für so einen gefährlichen Feind hielten. Hier jedoch ging es ihm gehörig gegen den Strich. Er hatte genug und wollte endlich seine Königskandidaten treffen. Empörtes Gemurmel machte sich unter den Männern breit. „Wenn du nicht sofort einen triftigen Grund lieferst, warum du hier so plötzlich aufgetaucht bist und Unruhe gestiftet hast, schlagen wir dir den Kopf ab!“, donnerte ein anderer Soldat erzürnt. Dem schwarzen Magi blieb der Mund offen stehen. Eine Unverschämtheit! Ein jüngerer Kerl murmelte kaum hörbar: „Immer diese Kanalratten, die glauben die kaiserliche Familie belästigen zu können!“ Das brachte das Fass zum überlaufen. Sahen sie denn nicht, dass er goldene Armreifen und edelsteinverzierten Schmuck trug? Und dann nannten sie ihn eine Kanalratte?! Dieses dreiste, minderwertige Pack! Er würde sie alle vernichten! „Was glaubst du, mit wem du da sprichst?“, fauchte Judar und katapultierte sich mit einem Satz in die Lüfte.   Jetzt war es an den Soldaten, mit offenem Maul zu ihm aufzuschauen. Mit einer fließenden Bewegung zog er den kleinen Stab hervor und sammelte dunkles Magoi an der Spitze des roten Kristalls. Schwarze Rukh umschwirrten ihn sirrend. Dafür würden diese Bastarde bezahlen! Er würde sie alle mit Eiskristallen durchbohren! Plötzlich wurde er von einer erstaunlichen Kraft herum gerissen. Ächzend prallte er gegen die Palastmauer. Nur sein magischer Schild schützte ihn davor, sich sämtliche Knochen zu brechen. Mist. Er wusste, wer das war. Oh ja… „Schluss damit! Warum bedroht ihr einen der unseren, Soldaten? Und Judar, wie kommst du auf solch eine kindische Idee? Aus welchem Grund vergreifst du dich an unseren eigenen Männern?“, polterte eine mächtige Stimme. Befehlsgewohnt. Beinahe angsteinflößend. Überrascht ließ sich der Magi zu Boden sinken. Die Soldaten wichen zitternd vor ihm zurück. Dann fielen sie auf die Knie. „Verzeiht, eure kaiserliche Hoheit. Wir haben ihn nicht erkannt.“ Judar warf ihnen einen verächtlichen Blick aus roten Augen zu. Erbärmliche Heuchler. Doch dann besann er sich auf den, den er sowieso hatte sehen wollen. „Ach, Kouen, lange nicht gesehen!“, grinste er. Die Dschinnausstattung des Angesprochenen löste sich auf.   Der erste kaiserliche Prinz bedachte ihn mit einem respekteinflößenden Blick. Andere wären vor Angst erstarrt. Der Mann wirkte aber auch imposant mit den breiten, muskulösen Schultern und dem roten Haar. Und er war bewaffnet. Judar jedoch warf lediglich lässig den Zopf über die Schulter und lief ihm entgegen. Als sein Magi, der ihm zur Eroberung dreier Metallgefäße verholfen hatte, brauchte er ihn nicht zu fürchten. „Ist etwa der Priester wieder da, Bruder En?“, ertönte eine weitere, wohl bekannte Stimme. Glockenhell wie sie war, verschleierte sie gekonnt die wahre Natur ihres Besitzers. Verdammt, den schrecklichen Kerl hatte er beinahe schon verdrängt gehabt. Doch zur Flucht blieb keine Zeit mehr… „Oh, Judar, du kommst spät!“ Ehe er ausweichen konnte, klammerten sich kleine Hände um seinen Arm. Unerbittlich, wie ein Schraubstock. Rosafarbenes Haar kitzelte ihn unangenehm am Bauch und ebensolche Augen blickten groß zu ihm hinauf. Groß wie bei einem Reh. Ansonsten hatten sie nichts mit den unschuldigen Tieren gemein. Sie mochten zuerst so wirken, doch schnell ließ sich der Wahnsinn in ihnen erkennen. Zumindest, wenn man seit seiner Kindheit mit ihm in einem Palast lebte. „Balbadd ist so ein schwüles Land! Viel zu heiß! Ich schwitze wirklich schrecklich hier!“, beschwerte sich Kouha Ren, der dritte kaiserliche Prinz. Judar sträubte sich innerlich. Er hasste es, einfach so von anderen berührt zu werden. So vollkommen ohne Erlaubnis. Auch wenn er selbst nicht besser war. Was für eine schöne Begrüßung…Und was kümmerte den kleinen Kouha schon die Hitze dieses Landes? Er wollte doch ohnehin nur Aufmerksamkeit. „Wenn das so ist, dann geh weg von mir. Lass mich los. Du lässt mich schwitzen!“, beschwerte sich der Magi, obwohl der Kleine schon Recht hatte. Die Mittagssonne brannte unbarmherzig und die Luft fühlte sich auf seiner nackten Haut abgestanden und staubig an.   Maulend folgte der Junge dem Befehl und beobachtete ihn neugierig. Ein beängstigendes Verhalten, wenn man betrachtete, dass sie beide ungefähr im gleichen Alter waren. Kouha zeigte sein typisches, irres Lächeln. „Wo warst du?“ „In Sindria“, antwortete Judar höchst selbstzufrieden und bedachte ihn mit einem möglichst überheblichen Blick. Der Junge konnte einem echt Angst machen. Was für ein Glück, dass er selbst ein mächtiger Magi war, da konnte er sich immerhin verteidigen… Kouen hob bereits erwartungsvoll die Augenbrauen. „Was hast du da gemacht?“, drängte Kouha wissbegierig. Der Kleine war eine echte Nervensäge. Dann aber mischte sich auch der ältere Bruder ein: „Dafür dass du mich so lange hast warten lassen, musst du mir aber ein interessantes Geschenk mitgebracht haben.“ Oh ja, das hatte er wahrlich. Die Selbstzufriedenheit zeigte sich mittlerweile sogar im breiten Grinsen des Magi. „Ja…ich habe mich mit Sindbad getroffen. Und ihm und Sindria den Krieg erklärt!“ Die Brüder wechselten einen erstaunten Blick. „Ohne Einwilligung von Kaiser Koutoku?“ Plötzlich brach Kouen in herzhaftes Gelächter aus. Es klang eher wie ein Donnern. „Na, das passt ja hervorragend zum Magi unseres Reiches!“ In der Tat. Das fand Judar auch. Ihn scherte es einen Dreck, was andere ihm befahlen. Wenn er dem Idioten König Krieg erklären wollte, tat er das auch. Während sich die beiden Brüder immer noch blendend über seinen Ungehorsam amüsierten, schlenderte er an den frustrierten Wachen vorbei. Ihre bösen Blicke ließen seine roten Augen voller Vergnügen funkeln. Ja, er hatte es mal wieder allen gezeigt.   ~*~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)