Lügner! von Maginisha ================================================================================ Kapitel 20: Schmetterlingseffekt -------------------------------- Ran strich durch die kupferroten Haarsträhnen, die sich über seiner bloßen Brust ringelten. Sie waren weich und rochen frisch gewaschen. Er fühlte den Drang, seine Nase darin zu vergraben und einfach wieder die Augen zu schließen. Aber das war unmöglich, denn seit er erwacht war, drehten sich die Gedanken in seinem Kopf unendlich im Kreis. Was hatte er nur getan? Warum hatte er das zugelassen? Warum hatte er Tim nicht die Wahrheit gesagt? Dass es für sie keine Zukunft geben konnte. Dass sie es beenden mussten, bevor jemand verletzt wurde. Er verzog den Mund. Er wusste, warum nicht. Weil es dafür schon längst zu spät war. Er hatte es in Tims Blick gesehen. Diese wundervollen, hellen Augen, die bis auf den Grund seiner Seele zu schauen schienen. Er konnte nur von Glück sagen, dass es nicht tatsächlich so war. Den Ausdruck, den sie dann angenommen hätten, hätte er nicht ertragen. Wenn sie all das Blut, den Hass, seine dunkle Seite gesehen hätten. Das Monster, das er in Wirklichkeit war. In Tims Augen konnte er sein, wer er gern gewesen wäre. In Tims Augen war er Ran, der unschuldige, junge Mann, der Blumenhändler, derjenige den er liebte und … begehrte. Ein wunderschöner Zerrspiegel der Realität, eingebettet in einen Kokon aus Lügen. Nur dass es in diesem Fall nie einen Schmetterling geben würde.   Ran schloss nun doch wieder die Augen. Das verräterische Stechen darin gefiel ihm nicht. 'Wenn ich nicht so spät dran gewesen wäre, wäre das alles nicht passiert', dachte er bei sich. 'Ich wollte doch Aya besuchen und dann …' Dann hätte er Tim anrufen wollen und ihm sagen, dass sie sich nicht mehr treffen konnten. Er wäre sogar zu feige gewesen, es ihm persönlich zu sagen. Er war wirklich erbärmlich. Aber wie hätte er es tun können, wenn er ihn direkt vor sich hatte? Was, wenn er … Ran hatte keine Ahnung, wie Tim reagiert hätte. Reagieren würde, denn es stand außer Frage, dass er es ihm sagen musste. Aber wann? Und wie? 'Ich könnte jetzt wirklich deine Hilfe gebrauchen, kleine Schwester. Du bist so viel besser im Umgang mit Menschen als ich. Das habe ich immer an dir bewundert. Du bist immer mit allen gut ausgekommen, wolltest allen helfen. Du hättest gewusst, was ich sagen muss, damit ... damit es nicht so wehtut.' Aber Aya war nicht mehr da. Er hatte sie für immer verloren. Und jetzt? Jetzt würde er auch noch Tim verlieren. Es war einfach nicht fair. Er wollte sich zusammenrollen und für immer in diesem Kokon bleiben. Hier war es warm und weich und niemand konnte ihm etwas anhaben. Hier drinnen war die Welt in Ordnung.   Neben ihm begann Tim sich zu regen. Er hob den Kopf und blinzelte Ran an. „Sag bloß, ich bin eingeschlafen.“ „Das sind wir beide“, erwiderte Ran mit einem Lächeln. „War 'ne harte Nacht.“ Tim fragte nicht nach, wie er das meinte. Er streckte sich wie eine Katze und drapierte sich dann wieder auf Rans Brust. „Ich könnte hier ewig liegenbleiben.“ Er rekelte sich und nahm Ran noch ein wenig mehr in Beschlag. Seine Fingerspitzen fuhren langsam über Rans Arm. „Was hältst du davon, wenn wir einfach weglaufen? Irgendwohin, wo uns niemand findet.“ Ran lachte auf. „Und wo sollte das sein?“ Er fragte nicht, wovor sie davonlaufen wollten. „Keine Ahnung. Irgendeine Insel mitten im Pazifik oder so.“ „Genaugenommen befinden wir uns gerade auf einer Insel im Pazifik.“ Tim hob den Kopf und sah ihn mit kraus gezogener Nase an. „Seit wann bist du so ein … wie sagt man Klugscheißer auf Japanisch?“ Ran zog die Augenbrauen hoch. „Hast du mich gerade beleidigt?“ „Darauf kannst du Gift nehmen.“ Tim grinste ihn an. „Möchtest du mich dafür bestrafen?“ Sein Tonfall machte deutlich, das er das anzüglich meinte. Der Gedanke löste ein eigenartiges Kribbeln in Rans Magengrube aus. Tims Grinsen wurde breiter. „Ich wusste, dass du auf so was stehst.“ „Worauf?“, krächzte Ran und fühlte verräterische Wärme über seine Wangen kriechen. „Nun tu nicht so unschuldig.“ Tim richtete sich auf. „Du würdest mich doch am liebsten mal so richtig übers Knie legen.“ Ran schüttelte entschieden den Kopf, obwohl die Bilder, die ihm dazu durch den Kopf schossen, durchaus anregend waren. „Ich könnte dir nie wehtun.“ Tim lächelte. „Ich weiß. Und das liebe ich so an dir.“ Er schob sich weiter nach oben und sah Ran direkt in die Augen. Sein Gesicht schwebte über ihm und für einen Augenblick vergaß Ran alles, worüber er vor wenigen Minuten noch gegrübelt hatte. Er sah sich selbst als winziges Spiegelbild in Tims Augen und da war es wieder, das Gefühl, dass alles in Ordnung war. Das alles gut werden würde. Ohne zu überlegen hob er den Kopf ein wenig und platzierte einen Kuss auf Tims Lippen. Der schloss die Augen und erwiderte den Kuss. Ihre Münder berührten sich ganz leicht, fast zart, vorsichtig, so als wollten sie testen, ob das Gebiet, auf dem sie sich bewegten, auch sicher war. Rans Herz begann schneller zu schlagen. Er wollte sich zurufen, dass das falsch war. Dass er sofort aufhören sollte, aber er hörte sich selbst nicht zu. Im Gegenteil hob er die Hand in Tims Nacken und intensivierte den Kuss. Tim reagierte darauf, indem er sich noch weiter auf Ran schob. Er rutschte über ihn, völlig ungeachtet der Tatsache, dass er immer noch vollkommen nackt war. Als sein Unterleib über Rans Schritt glitt, reagierte dieser sofort. 'Unersättlich', schoss es Ran durch den Kopf, aber er hatte keine Zeit, sich deswegen zu schämen. Tims Zunge glitt über seine Lippen, bevor er spielerisch hineinbiss und die Unterlippe mit den Zähnen nach unten zog. Es fühlte sich aufregend an. „Sieht so aus, als müssten wir noch eine zweite Runde einlegen“, grinste Tim über ihm und rieb seinen Unterleib an Rans Erektion. Auch er war schon wieder bereit.   Ohne eine Antwort abzuwarten, schob sich Tim ein Stück tiefer und hakte seine Zeigefinger in den Bund von Rans Hose. Langsam aber stetig zog er den Stoff nach unten. Ran kippte die Hüfte an, um ihm behilflich zu sein und nur einen Augenblick später lag er vollkommen nackt auf dem Bett. Tims Blick glitt über seinen gesamten Körper und Ran fühlte einen heißen Schauer über seinen Rücken laufen. In den hellblauen Augen lag ein Feuer, das ihn zu versengen schien. Er streckte die Hand aus. „Komm zu mir.“ Tim lächelte, schüttelte aber den Kopf. „Zuerst will ich noch ...“ Ran sog scharf die Luft ein, als sich Tims Kopf plötzlich in seinen Schoß senkte. Die langen Haare fielen wie ein Vorhang herab und streichelten Rans Oberschenkel. Das feine Gefühl trat jedoch vollkommen in den Hintergrund, als sich feste Lippen um seinen Schaft legten und eine geschickte Zunge die empfindliche Spitze zu liebkosen begann. „Ah … Tim!“ „Mhm?“, machte der und die Vibration des Lauts ließ Ran aufkeuchen. Tims Zunge wanderte in kleinen Kreisen um die seidige Härte und hinterließ einen feuchten Film. Sein Atem strich warm darüber und dann senkte er sich weiter nach unten, nahm Ran vollkommen in sich auf. Das Gefühl der plötzlichen Enge und die Intimität der Berührung waren fast mehr, als Ran ertragen konnte. Er bemühte sich, nicht dem Drang nachzukommen, in die feuchte, warme Höhle zu stoßen. Es kostete ihn seine ganze Beherrschung, besonders als Tim anfing, seinen Kopf in kleinen Bewegungen auf und ab zu bewegen. Ran begann zu zittern, biss sich auf die Lippen, versuchte krampfhaft stillzuliegen. Das Gefühl war unbeschreiblich intensiv. Fast so, als würde er … Er keuchte erleichtert, als sich Tim von ihm zurückzog. Der wischte sich mit dem Handrücken über den Mund. Auf seinem Gesicht lag ein amüsierter Ausdruck. „Ich nehme an, dass das heißt, dass es dir gefallen hat?“ Rans Atem ging schnell, er konnte nur noch nicken. Seine Glieder schienen aus Pudding zu bestehen, obwohl sein ganzer Körper vor Energie summte und vibrierte. Unfähig sich zu erheben, griff er nach Tims Hand und zog ihn auf sich. Ihre Lippen fanden sich zu einem Kuss. Eine halbe Ewigkeit küssten und streichelten sie sich nur, bis Ran das Gefühl hatte, wieder Herr über seinen Körper zu sein. Er ließ seine Hand zwischen Tims Beine gleiten und umfasste ihn mit einem festen Griff. Tim kam der Bewegung entgegen und schloss die Augen. Ran kam nicht umhin, für einen Augenblick sein Gesicht zu betrachten. Die schmalen, ebenmäßigen Züge, die helle Haut mit den fast unsichtbaren Sommersprossen, die ebenso hellen Augenbrauen, die sich jetzt, da Ran seine Administration intensivierte, zu einem verzückten Ausdruck zusammenzogen, die schmalen Lippen, die leicht geöffnet direkt vor ihm glänzten und über die so wunderbare, kleine Laute drangen, die Ran fast die Beherrschung verlieren ließen. Jetzt wusste er, was ihm gefehlt hatte, als er Tim vorhin genommen hatte. Es war die Nähe, die Wärme. Der Akt an sich war aufregend gewesen, aber er hatte Tim dabei nicht ins Gesicht schauen können. Ein Umstand, den er jetzt zu ändern gedachte. Er wollte sehen, wie der andere die Berührungen genoss. Das leise Stöhnen hören, als er begann, das Gleitgel zu verteilen und ihn vorzubereiten. Der Ausdruck in seinen Augen, als er ihn ihn eindrang, die Arme rechts und links von seinem Körper abgestützt. Er wollte ihn küssen und halten, ihm süße Nichtigkeiten ins Ohr flüstern und ihn … lieben. Das Gefühl war so groß, es schien seinen Brustkorb sprengen zu wollen. Er spürte, wie sich sein Höhepunkt ankündigte, wie sich die Empfindungen zu einem glühenden Punkt in seinen Lenden zusammenzogen, um dann in einem Feuerwerk aus tausend Farben zu explodieren. Der Orgasmus rollte über ihn hinweg, zog ihn in die Tiefe und ließ ihn ertrinken in all den losgelösten Emotionen. Er spürte, wie warme Flüssigkeit über seine Wangen rollte. Eilig vergrub er seinen Kopf an Tims Schulter, damit dieser es nicht sah. Hände krallten sich in seinen Rücken und Ran spürte, wie Tim sich um ihn zusammenzog, seinen eigenen Höhepunkt ritt und zuckend zwischen ihren Körpern kam. Er schloss die Augen und merkte, dass sich erneut Tränen darin sammelten. Sie waren eins und doch fühlte es sich wie ein Abschied an. Ein letztes Mal, das sie zusammen sein konnten, bevor … Er wollte nicht darüber nachdenken. Jetzt nicht und niemals. Es durfte einfach nicht vorbei sein. „Hey!“ Tims Stimme war leise und sanft. Er strich die Haare aus Rans Gesicht und sah ihn mit einem so warmen Ausdruck in den Augen an, dass Ran schon wieder einen Kloß in seinem Hals fühlte. Dem Hochgefühl, das ihn eben noch getragen hatte, folgte tiefe Ernüchterung. Er hatte es schon wieder getan. Er hatte sich in Tims Armen verloren, das Band noch enger geknüpft. Mit jeder Berührung, jedem Kuss, jeder Umarmung machte er alles nur noch schlimmer. Woher sollte er jetzt noch die Kraft nehmen, um diesen wundervollen Menschen von sich zu stoßen? Wie sollte er das schaffen? Es machte ihn krank, sich selbst so hilflos zu sehen. Er musste doch stark sein. Für Tim und auch … für Aya. Warum ihm ausgerechnet jetzt seine Schwester in den Sinn kam, wusste er nicht. Vielleicht weil sie ihn auch oft so angesehen hatte. So wie ihn niemand angesehen hatte; nicht einmal seine Mutter. So als wäre er etwas besonderes, etwas wert, als würde er die Welt für den anderen bedeuten. Sie hatte ihn verstanden, wie es sonst niemand getan hatte. Er vermisste es. Er vermisste sie. Tim beobachtete ihn und auf einmal kam sich Ran schäbig vor. Wenn Tim gewusst hätte, dass er in diesem Moment an seine Schwester dachte, hätte er ihn vermutlich für einen Perversen gehalten. Tims Lippen verzogen sich zu einem amüsierten Lächeln. „Ich wüsste zu gerne, woran du gerade denkst.“ Hitze kroch über Rans Wangen und er schlug die Augen nieder. „Nichts besonderes. Du hast es wirklich drauf, mich vom Denken abzuhalten.“ Tim lachte auf. „Ich nehme an, das sollte ein Kompliment an meine unglaublichen Fähigkeiten im Bett sein?“ Er grinste und setzte einen Kuss auf Rans Nasenspitze. „Das Kompliment gebe ich gerne zurück. Mit dir zu schlafen, ist etwas ganz besonderes.“ Ran öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, als plötzlich ein hohes Piepen ertönte. Er brauchte einen Augenblick, um zu verstehen, dass sein Handy klingelte. Sein richtiges Handy und nicht das, was er für die Kommunikation mit Tim benutzte. Das Handy, dessen Nummer nur eine Handvoll Personen kannte.   Er machte sich von Tim los und sah sich hektisch um. In seinem Zimmer herrschte Chaos und er brauchte einen Augenblick, um den Ton zum richtigen Standort zurückzuverfolgen. Endlich fand er das Telefon unter einem Haufen benutzter Kleidung. Auf dem Display erschien keine Nummer. Er drückte den grünen Hörer und hielt es sich ans Ohr. „Ja?“ „Ah, Aya-kun. Ich dachte schon, ich erreiche dich nicht.“ Omis Stimme klang fröhlich wie immer. Trotzdem wusste Aya sofort, dass etwas vorgefallen sein musste. Und mit vorgefallen meinte er nicht eine fehlgeleitete Bestellung im Blumenladen. „Was ist los?“ Mit gerunzelter Stirn sah er zu Tim, der es sich in seinem, Bett gemütlich gemacht hatte und ihn aufmerksam beobachtete. Verdammt, er konnte nicht frei sprechen. „Tja, weißt du, wir haben unerwarteten Katzenbesuch bekommen. Es wäre schön, wenn du dir das einmal ansehen könntest. Jetzt gleich.“ Katzenbesuch? Manx oder Birman waren also im Koneko. Aber eine Mission schon so schnell nach der vergangenen Nacht? Das musste etwas enorm wichtiges sein. Hinter ihm raschelte die Bettwäsche und warme Arme schlangen sich um seine Taille. Er erstarrte. Um keinen Preis durfte Tim etwas von dem Gespräch mitbekommen. „Ist gut, ich komme.“ Er legte auf und drehte sich herum. Blaue Augen musterten ihn wachsam. „Ist etwas passiert?“ Ayas Gedanken rasten. Er musste sich etwas ausdenken. Eine Ausrede, die ihm Zeit verschaffte. Er musste einen klaren Kopf bekommen. „Meine Schwester“, platzte er heraus. „Es gibt ... Komplikationen. Sie muss noch einmal operiert werden und ich … ich muss zu ihr fahren. Meine Eltern haben mich gerade darum gebeten. Ich muss sofort los.“ „Jetzt?“ Tims Augenbrauen wanderten nach oben. „Aber bis zu deinen Eltern sind es … keine Ahnung? Vier, fünf Stunden Fahrt? Du wirst gar nicht mehr rechtzeitig ankommen.“ „Die Operation ist morgen früh.“ Die Worte flossen über seine Lippen wie Gift. „Wenn ich mich jetzt auf den Weg mache, bin ich noch rechtzeitig da.“ Er unterbrach sich und lehnte sich an Tim, damit er ihm nicht mehr in die Augen sehen musste. Sein Mund strich über Tims Schläfe. „Es tut mir leid. Ich mache es wieder gut.“ 'Lüge, Lüge, Lüge! Du wirst ihn nie wiedersehen!'   Er trat zurück, ließ Tim los. Die fehlende Wärme ließ ihn schlucken. Er musste sich beeilen, sonst würde er womöglich ... Abrupt wandte er sich ab. Begann seine Sachen zusammenzusuchen. Als er sich sein T-Shirt überstreifte und nach einer frischen Hose suchte, hörte er Tims Stimme. Sie klang irgendwie dünn. „Du liebst sie sehr, oder?“ Ran zog entschieden den Stoff nach unten. „Sie ist meine Schwester. Ich würde alles für sie tun.“ Er drehte sich nicht um, stopfte einige Sachen in eine Tasche, so als wolle er tatsächlich wegfahren. Es musste überzeugend wirken. Vielleicht sollte er für einige Tage nicht in seiner Wohnung schlafen. Er steckte noch einen zusätzlichen Pullover ein. Nur nicht darüber nachdenken, nur nicht umdrehen. „Ran?“ Er atmete tief durch. Das war so schwer. Und feige. Er hätte sich selbst dafür schlagen können. „Ran?“ Erneut rief Tim ihn und dieses Mal konnte er es nicht ignorieren. Er drehte sich herum und sah Tim ins Gesicht. Der hatte die Hände ineinander verschränkt und lächelte schief. „Ich wünsche dir eine gute Reise.“ Er nickte, versuchte ein neutrales Gesicht zu machen. „Danke. Ich … bin in ein paar Tagen zurück.“ 'Lügner!' Er nahm seine Tasche, trat zu Tim und küsste ihn flüchtig auf die Lippen. „Ich verspreche es dir, okay? Kann ich dich hier allein lassen?“ Das Grinsen kehrte auf Tims Gesicht zurück. „Natürlich nicht. Ich werde alle deine Schubladen durchwühlen, deine Unterwäsche anziehen und mir deine Pornosammlung ansehen. Erwarte also nicht, bei deiner Rückkehr ein sauberes Bett vorzufinden.“ Ein Bild von Tim, der sich zwischen seinen Laken selbst befriedigte, ließ Ran schlucken. Verdammt, der Kerl hatte es wirklich faustdick hinter den Ohren. Er musste hier weg. „Pass auf dich auf“, murmelte er und küsste Tim noch ein letztes Mal, bevor er sich entschieden umdrehte und aus der Wohnung stürzte. Er fühlte sich furchtbar und versuchte krampfhaft, die Maske heraufzubeschwören, die er gleich im Koneko brauchen würde. Es wollte ihm nicht so recht gelingen.         Omi sah mit gerunzelter Stirn auf den Telefonhörer, in dem es gerade geklickt hatte. Aya hatte einfach aufgelegt. Nicht unbedingt ungewöhnlich, aber irgendetwas daran störte ihn. Er fühlte, wie seine Wangen warm wurden, als ihm aufging, dass Aya nicht allein gewesen war. Die Geräusche aus dem Hintergrund hatten vermutlich von seinem Freund hergerührt. Er hatte ihn bei einer Verabredung gestört. „Alles in Ordnung, Omi?“ Manx sah ihn fragend an. Ihre roten Haare fielen heute glatt über ihre Schultern und sie hatte die Jacke ihres Kostüms über einem Schreibtischstuhl drapiert. Das halbdurchsichtige, schwarze Oberteil hätte sicherlich die Blicke einiger Männer auf sich gezogen, wenn welche anwesend gewesen wären. Im Keller befanden sich jedoch momentan nur sie und Omi. „Ja, alles bestens. Yoji müsste bald von der Auslieferung zurück sein und Ken verräumt nur noch die gelieferten Schnittblumen.“ „Und Aya?“ Das Blut pulsierte in Omis Ohren. „Der macht sich auch auf den Weg.“ Manx' Blick ruhte für einen Augenblick auf ihm, dann seufzte sie. „Es war ja abzusehen, dass ihr heute nicht mit meinem Besuch gerechnet habt. Dein Bericht von letzter Nacht ist heute Morgen erst auf meinem Schreibtisch gelandet.“ „Auf deinem? Aber ich dachte, Birman betreut Hibinos Fall.“ Manx sah ihn nicht an. „Nachdem sie deinen Bericht gelesen hatte, hat sie ihn an mich abgegeben.“ Er runzelte die Stirn, ging im Geiste ihre letzten Missionen durch und sah plötzlich einen Zusammenhang. „Es liegt an dem, was Hibino gesagt hat, oder?“ Manx blickte immer noch nicht auf. „Was meinst du?“ „Ich spreche von Takatori. Alle Missionen, die etwas mit ihm zu tun haben, bekommen wir von dir. Die neue gehört auch dazu, nicht wahr?“ Manx seufzte erneut. „Du bist manchmal schlauer, als gut für dich ist.“ Sie sah auf und ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. „Ja, es liegt an Takatori. Die Namenslisten, die du aus Hibinos Büro mitgebracht hast, decken sich zum Teil mit denen des neuen Falls. Wir vermuten daher einen Zusammenhang. Irgendjemand plant eine fürchterliche Schweinerei und geht dabei buchstäblich über Leichen.“ „Und ihr denkt, dieser jemand ist Masafumi Takatori.“ Manx zögerte, bevor sie antwortete. „Wir vermuten, dass sowohl er wie auch sein Bruder und sein Vater in die Sache verwickelt sein könnten.“ „Die ganze Familie?“ Omis Augenbrauen wanderten Richtung Haaransatz. „Was für ein Schlamassel.“   Manx sah ihn für einen Augenblick an, dann schob sie ihm die Akte hin. „Am besten siehst du dir das selbst einmal an.“ Dass Manx ihm die Unterlagen gab, bevor er und die anderen die Mission empfangen hatten, war ungewöhnlich. Ein wenig zögernd nahm er daher die Dokumente entgegen und begann zu lesen. Während er die Zeilen überflog, wurde seine Miene immer finsterer. „Dieser ...“ er las noch einmal am Anfang des Textes nach, „ dieser Ajino, er spricht nicht von Takatori. Seine Email ist furchtbar präzise, was Daten und Ortsangaben angeht und er nennt auch einige Namen, aber Takatoris ist nicht darunter. Wie kommt das?“ Manx zuckte mit den Schultern. „Wir wissen es nicht. Diese Verbindung haben wir nur durch deine Nachforschungen anstellen können. Wie gesagt, die Liste der Jungen, die Hibino nach eigener Aussage an Masafumi ausgeliefert hat, decken sich teilweise mit der Liste der Opfer aus der Email. Außerdem ist das Datum der neuen Schlachtorgie gleich dem von Takatoris großer Pressekonferenz. Wir denken, dass es da einen Zusammenhang gibt.“ Omi runzelte die Stirn und fing an, seine Unterlippe zwischen den Fingern zu kneten. „Das ist aber mehr als dürftig, Manx.“ „Zweifelst du etwa an deinen Ordern?“ Die Schärfe in ihrer Stimme ließ ihn aufsehen. Er lächelte entschuldigend. „Nein ich zweifele nicht an Persers Auftrag. Ich gebe nur zu bedenken, dass Weiß eine eindeutige Zielperson braucht. Diese ganze Aktion ist binnen kürzester Zeit aus dem Boden gestampft worden. Aufgrund der Email eines Unbekannten, wenn ich es recht verstanden habe. Oder habt ihr den Mann inzwischen ausfindig machen können?“ Manx schüttelte den Kopf. „Seine Wohnung war leer, lediglich einige Kleider und sein Pass fehlten. Wir vermuten, dass er das Land verlassen will oder es bereits hat.“ „Wir haben also irgendeinen kleinen Computertechniker, der auf einmal mit wahnwitzig wichtigen Informationen an Kritiker herantritt und danach spurlos verschwindet. Woher er die Kontaktadresse hatte, ist auch nicht geklärt. Und er lässt zwar ein paar Namen bekannter Unterweltgrößen fallen, verschweigt dabei aber den vermutlich wirklichen Drahtzieher der ganzen Sache. Ganz ehrlich Manx, wonach hört sich das für dich an?“ Sie presste die Kiefer zusammen und antwortete nicht. Er ballte die Hand zur Faust. „Ich sage dir, wonach sich das anhört. Das klingt nach einer Falle.“ „Mach dich nicht lächerlich. Wer sollte denn Weiß eine Falle stellen?“ Ihre Antwort kam zu schnell, um nicht einstudiert zu sein. „Manx, was ist hier los? Warum besteht Perser auf dieser Mission? Warum lässt er uns so blind ins Verderben laufen?“ Manx antwortete nicht und wich seinem Blick aus. Omi konnte diese Reaktion nicht einordnen. Wusste sie, worum es wirklich ging? Oder wusste sie es nicht, konnte Persers Entscheidung aber ebenfalls nicht gutheißen? Oder war sie mit allem einverstanden, und verschwieg ihm etwas, das ein Risiko für Weiß darstellte?   Von oben drangen Laute an sein Ohr. Er wusste, das in wenigen Augenblick einer der anderen die Treppen hinunter kommen konnte. Er musste sich schnell entscheiden. Mit entschlossenem Gesicht baute er sich vor Manx auf. „Wir werden diese Mission durchführen, aber ich werde entscheiden, welche Informationen ich an die anderen weitergebe. Sollte sich das Ganze tatsächlich als Falle herausstellen, werde ich persönlich zu Perser gehen und ihm klarmachen, was ich davon halte, einen so schlampig vorbereiteten Auftrag zu bekommen. Er hat mich ausgebildet, um das Team zu führen. Dann sollte er mir jetzt auch vertrauen. Das sind meine Bedingungen.“ Manx sah ihn mit schreckgeweiteten Augen an. „Omi, wenn ich ihm das sage, dann ...“ „Dann was, Manx? Wird er mich dann ersetzen?“ Er schüttelte langsam den Kopf. „Ich habe keine Erinnerung an das, was vor meiner Zeit bei Weiß war. Weiß ist meine … Familie, wenn man so will. Sie sind das Einzige, was ich zu verlieren habe außer meinem Leben. Und das werfe ich jedes Mal in die Waagschale, wenn es daran geht, eine Mission für Perser zu vollenden. Was also will er mir noch nehmen, was ich nicht ohnehin schon fast verloren habe?“ Es waren Schritte auf der Treppe zu hören. Kens und Yojis Stimmen hallten von den Kellerwänden wieder. Manx atmete tief durch. „Also schön, ich werde es ihm sagen.“ Sie reichte ihm die Videokassette. „Es ist deine Entscheidung.“ Omi nickte und lächelte. „Danke sehr, Manx. Und mach dir keine Sorgen. Wir werden das schon hinkriegen.“     Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)